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Fremdsprache DeutschHeft 26 I 2002Zeitschrift fr die Praxis des Deutschunterrichts

Motivation

INHALT Heft 26: MotivationPETER BIMMEL: Zu diesem Heft GUDULA LIST: Motivation im Sprachunterricht HANS-JRGEN KRUMM: Wie demotiviere ich richtig? ANNETTE BERNDT: Motivation ist nicht statisch Motivation ndert sich Der Faktor Motivation als Kernkompetenz lebenslangen Fremdsprachenlernens ZOLTN DRNEY: Wie motiviere ich richtig? ANNELIEN HAITINK / JACQUES HAENEN: Kooperatives Lernen Teamlernstrategien und wie sie funktionieren knnen ANGELIKA RATHS: Der Fun-Faktor Oder: Zum 1x1 der didaktischen Verfhrung RAINER E. WICKE: Fenster im Fenster Eine Stadt erzhlt Fotos als Auslser fr einen fantasievollen und kreativen Deutschunterricht WILFRIED KRENN: Grammatik und Motivation ein Widerspruch? Motivierungschancen und -strategien im Grammatikunterricht CAROLA MARX: Wtend oder vertrumt die Gesichter der Alten Meister Deutsch lernen in der Gemldegalerie am Kulturforum in Berlin Am Schwarzen Brett: Was motiviert, was demotiviert? Schlerstimmen 46 ZSUZSA MARLOK: Vokabelkartei einmal anders Vokabellernen in der Gruppe Ideenkiste Zwei Websites Angelika Grning: Fragebogen zur Motivation Karin Vavatzanadis / Maria Schmidt: Der Geschichtenbaukasten Gundula Meiritz: Papiermach-Masken bauen im Sprachunterricht Isabella Leibrandt: Eine Radiosendung selber machen Elke Hughes / Margaret Brady: Debattierwettbewerb JUMA Mach-mit!-Aktionen

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RUBRIKEN 40 57 58/59 60/61 62 63 64 Aktuelles Fachlexikon Bcher und Aufstze zum Thema Rezensionen Gewusst wie, ... erklrt warum: Unsere Sprachecke Litfasule Unsere Autorinnen und Autoren

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3Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

IMPRESSUMZeitschrift fr die Praxis des Deutschunterrichts herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts Inter Nationes und Peter Bimmel, Hans-Jrgen Krumm, Gerhard Neuner im Verlag Ernst Klett International-Edition Deutsch, Stuttgart Schriftleitung und Vertretung des Goethe-Instituts Inter Nationes: Kristina Pavlovic, Bereichsleiterin 325 Redaktionsbeirat des Goethe-Instituts Inter Nationes: Christa Ganterer, Eva Marquardt, Ralf Baltzer, Hilke Muselmann Korrespondierendes Mitglied: Diethelm Kaminski (Zentralstelle fr das Auslandsschulwesen) Verantwortlicher Heftherausgeber: Peter Bimmel Redaktion: Eva-Maria Jenkins Satz und Gestaltung: Peter Chalupnik Anzeigenleitung: Ernst Klett International-Edition Deutsch Druck: Ludwig Auer GmbH, Donauwrth Titelbild: Arbeiten von Schlerinnen und Schlern eines Deutschkurses (siehe S. 52 ff.) Themen der nchsten Hefte: Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht Europa Schlerbegegnungen/Schleraustausch Fr FREMDSPRACHE DEUTSCH gibt es ein Jahresabonnement mit zwei regulren Heften zum Preis von Euro 15,00 zuzglich Versandkosten, das Einzelheft kostet Euro 8,80 zuzglich Versandkosten. Beitrge sind urheberrechtlich geschtzt. Alle Rechte vorbehalten. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte werden sorgfltig geprft. Unverlangt eingesandte Bcher werden nicht zurckgeschickt. Die als Arbeitsblatt oder Kopiervorlage bezeichneten Unterrichtsmittel drfen bis zur Klassen- bzw. Kursstrke vervielfltigt werden. Adresse der Schriftleitung: Kristina Pavlovic Goethe-Institut Inter Nationes, Bereich 325 Postfach 190419, D-80604 Mnchen (Tel.: 089/1 59 21-295; mailto: [email protected]) Bezugsadresse: Ernst Klett International GmbH Klett Edition Deutsch Postfach 106016, D-70049 Stuttgart, (Tel.: 0711/6 66 40-0; Telefax: 0711/61 72 01) Tel/Fax der Redaktion: ++43/ 1/523 54 48 ISBN 3-12-675553-4 ISSN 0937-3160 Heft 26/2002

EDITORIALLiebe Leserin, lieber Leser, eine der von Lehrerinnen und Lehrern am hugsten gestellte Frage lautet: Was kann ich tun, um meine Schlerinnen und Schler zu motivieren? Denn oft wird beklagt, dass die Lernenden im Unterricht nicht zu motivieren seien und bestenfalls eine passiv-konsumierende Haltung einnehmen wrden. In diesem Heft mchten wir Ihnen Ideen geben und zeigen, welche Wege man beschreiten kann, um Schlerinnen und Schler zu einer aktiven und engagierten Mitarbeit im Unterricht zu bewegen. Dabei geht es ebenso um den fun-faktor beim Sprachenlernen, als auch um die verschiedenen Facetten der Motivation, die als eine der wichtigsten Voraussetzungen fr lebenslanges Lernen gesehen wird. Rezepte, wie man Schlerinnen und Schler ganz sicher motivieren kann, sind deshalb so schwer zu geben, weil Motivation immer nur ganz persnlich, in jedem einzelnen Lernenden selbst ihre Wirkung entfalten kann. Dennoch nden Sie in diesem Heft einige Antworten auf die Frage Wie motiviere ich richtig? und ein Rezept, womit Sie Ihre Schlerinnen und Schler ganz sicher demotivieren. Viele Schlerinnen und Schler haben uns selbst erzhlt, was sie persnlich als besonders motivierend oder demotivierend empnden. Diese Schlerstimmen nden Sie am Schwarzen Brett auf S. 44/45. Das Titelbild zeigt Masken, die Schlerinnen und Schler in einem sicher sehr motivierenden Deutschkurs selbst gestaltet haben. Ihre

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Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Zu diesem HeftVON PETER BIMMEL Ein Heft von FREMDSPRACHE DEUTSCH zum Thema Motivation? Wieso denn das? Handeln denn nicht alle Beitrge in dieser Zeitschrift immer von motivierenden Arbeitsweisen im Deutschunterricht? Diese Frage stellte eine Kollegin, als ich ihr von unserem Vorhaben erzhlte. Warum also ein Motivationsheft? Der wichtigste Auslser sind Erfahrungen in Fortbildungsseminaren in den verschiedensten Lndern: Von Seoul bis Asuncin und von Chicago bis Moskau antworten Lehrerinnen und Lehrer auf die Frage, was sie in der Fortbildung lernen mchten, immer das Gleiche: Ich mchte lernen, wie ich meine Schlerinnen und Schler motivieren kann. Dieses Bedrfnis spiegelt eine Erkenntnis wider, die in vielen Varianten in der Fachliteratur zu nden ist: Die Lernermotivation ist eine der Hauptdeterminanten wenn nicht die Hauptdeterminante des Erfolgs beim Fremdsprachenerwerb. Welche Mglichkeiten haben Lehrerinnen und Lehrer eigentlich, auf die Motivation ihrer Lernenden einzuwirken? Und welche Grenzen sind diesem Wunsch gesetzt? In ihrem Einfhrungsbeitrag geht Gudula List aus psychologischer Perspektive auf die Komplexitt des Themas Motivation ein. Sie betont dabei, dass die Lehrenden ihre Mglichkeiten, das innerpsychische Geschehen bei Lernenden zu beeinussen, nicht berschtzen sollten. Annette Berndt betont in ihrem Aufsatz den Prozesscharakter von Motivation: Die Motive eines Lernenden, die Fremdsprache zu lernen, knnen sich im Laufe des Fremdsprachenlernprozesses ndern und lassen sich im Unterricht beeinussen. Die praktischen Mglichkeiten, die man dazu als Lehrerin oder Lehrer hat, sind das Thema von Zoltn Drnyei. Im vergangenen Jahrzehnt hat er mit einer Reihe von englischsprachigen Verffentlichungen entscheidend zur Entwicklung der Motivationstheorie im Bereich des Fremdsprachenunterrichts beigetragen. Wir freuen uns, dass wir in diesem Heft seine Vorschlge fr einen motivierenden Fremdsprachenunterricht verffentlichen drfen. Die weiteren Aufstze in diesem Heft lassen sich als einfallsreiche Versuche zur praktischen Ausarbeitung von Vorschlgen aus der Motivationstheorie lesen jeweils mit unterschiedlichen Akzentsetzungen. In den meisten Beitrgen werden Vorschlge gemacht, die Attraktivitt der Lerninhalte und -materialien zu erhhen. So gehen Annelien Haitink und Jacques Haenen auf praktische Mglichkeiten des kooperativen Lernens ein. Angelika Raths betont, wie wichtig es ist, dass sowohl die Lernenden als auch Lehrerin und Lehrer Spa an den Lernmaterialien nden. Zentral in ihrem Aufsatz steht das Bestreben nach spannenden Inhalten und variationsreichen Arbeitsformen. Rainer Wicke berichtet von einem Unterrichtsprojekt mit Architekturfotos als attraktivem Anlass fr Gesprche und kreative Schreibaufgaben. Ebenfalls mit Bildern als Sprechanlass arbeitet Carola Marx in ihrem Aufsatz zum Deutschlernen im Museum: Hier sind es Gemlde, die die Lernenden zum Sprechen bringen in einem Kontext, wo nichts an Schule erinnert, und wo die Lernenden vielleicht eher als im Klassenzimmer ohne Angst vor Fehlern in der Fremdsprache kommunizieren. Abwechslungsreiche Grammatikarbeit ist das Thema von Wilfried Krenn. Ihm geht es darum, den Grammatikunterricht fr die Lernenden signikanter erscheinen zu lassen. Er schlgt Prsentationstechniken vor, die die Lernenden dazu fhren, Sprache auf fr sie ungewohnte Weise wahrzunehmen. Zsuzsa Marlok schlielich schlgt die Verwendung einer Gruppenwortschatzkartei vor, die gegenber der klassischen, individuellen Vokabelkartei Vorteile hat, wenn es um die Motivation der Lernenden geht. Was motiviert dich beim Fremdsprachenlernen? Was demotiviert dich? Schlerantworten auf diese Fragen sammelte Kristina Pavlovic am Schwarzen Brett auf S. 44/45. Idiotensichere Rezepte fr einen motivierenden Unterricht gibt es nicht. Jeder Lehrer, jede Lehrerin muss seinen bzw. ihren eigenen Weg nden: Was passt zu mir? Was passt zu meinen Schlern? Trotzdem hoffen wir, mit diesem Heft zumindest Anstze zu einer praktisch brauchbaren Antwort auf die Frage Wie motiviere ich meine Schlerinnen und Schler? zu geben. Bei all dem sollten wir allerdings eins nicht vergessen: Wie attraktiv auch die Lerninhalte und wie abwechslungsreich auch die Arbeitsformen sie greifen nur, wenn der Lehrer oder die Lehrerin ein gutes Verhltnis zu den Lernenden aufbaut, mit Begeisterung unterrichtet und eine angenehme, entspannte Arbeitsatmosphre im Unterricht herzustellen wei. 5Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Motivation im SprachenunterrichtVON GUDULA LIST

Unsere Alltagskonzepte von Motivation scheinen von der Spagesellschaft begelt zu werden. Um in der Schule Lernmotivation zu stiften, produziert manche Lehrerin hchst fantasiereiche Lernwelten, um Schler didaktisch zu verfhren. Hinzu kommt so etwas, wie die Angst des Elfmeterschtzen vor dem Torwart: Wie ist es wohl zu schaffen, Dinge die ich fr wichtig halte, von denen ich aber annehme, dass sie fr Schlerinnen wenig fun bedeuten (Grammatik), so einzuschleusen, dass bei den Lernern ein Unbehagen nicht wirklich aufkommt? (Fremd)Sprachenlehrerinnen stehen da keineswegs allein. Man scheint in den Schulen generell nicht so recht darauf zu bauen, dass Schler, die ja immerhin eine kleine Biograe schon hinter sich haben, von sich aus berzeugt sein knnten (oder sich davon berzeugen lieen), dass die Dinge, die im Unterricht anstehen, interessant und wichtig fr sie sind, und dass Anstrengungen bei ihrer Aneignung keine Zumutung sein mssen.Die Motivationspsychologie (einen leicht lesbaren berblick bietet Rheinberg 1997) ist ein weites Feld, in dem die Szenerie Unterricht explizit nur einen kleinen Raum einnimmt. Allerdings sind Motivationen, also Antriebe, sich so oder so zu verhalten, berall im Spiel, natrlich auch in jedem Unterricht. Aber nie werden Gegenstnde oder Materialien an sich oder Ziele als solche von der Motivationspsychologie thematisiert. Alle Kategorien, die diese Sparte bereithlt: Leistungsbereitschaft, Anreizsysteme, Anspruchsniveau, Zielorientierung, Attributionen von Erfolg oder Misserfolg (fhre ich sie auf eigenes Versagen oder auf uere Umstnde zurck?), internalisierte Bezugsnormen (messe ich mich am Leistungszuwachs anderer oder an meinem eigenen?), usw., beziehen sich auf innerpsychisches Geschehen in sozialen Konstellationen. Ein Bild oder eine Wortkartei sind nie als solche motivierend und wrden daher auch von der Motivationspsychologie so nicht in den Blick genommen werden. Auch gute Ratschlge, wie sie sich fr das Verhalten von Lehrpersonen etwa bei Drnyei & Csizr (1998) nden (create a pleasant, relaxed atmosphere in the classroom, make the language classes interesting, personalize the learning process, ...), reichen bei aller lehrerseitigen Anstrengung nicht unbedingt an das Motivationsgeschehen selbst heran, das sich ja in Es geht bei der Motivation immer um den Schlerinnen Wahrnehmungen und Bewertungen von und Schlern abVerhaltensweisen, von Materialien und spielt. Es geht bei Angeboten durch einzelne Personen in der Motivation imihrem Lebenskontext. mer um Wahrnehmungen und Bewertungen von Verhaltensweisen, von Materialien und Angeboten durch einzelne Personen in ihrem Lebenskontext. Es geht um die 6Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Erfahrungen und die Geschichte dieser Personen, um die sozialen Zusammenhnge, in denen Wahrnehmungen und Bewertungen geschehen, und um die Konsequenzen fr das Handeln, die schlielich aus all dem erwachsen. Sich dies zu vergegenwrtigen, kann durchaus in gewissem Sinne eine Entlastung fr einen Lehrer oder eine Lehrerin bedeuten. Sie brauchen nmlich ihre Kunst des Lehrens nicht mit ungebhrlichen Ansprchen zu befrachten, sind es doch keineswegs alleine sie, mit ihren Techniken, Materialien und Vorgehensweisen, die das Motivationsgeschehen in der Hand haben, das sich im Innern ihrer Schlerinnen abspielt. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass auf Lehrkrfte eine besondere Aufgabe zukommt, nmlich die, sich aufmerksam genau diesem vor-didaktischen Motivationsgeschehen im Einzelnen zuzuwenden. Was nun den Unterricht selbst angeht: Wenn er rundum langweilig ist, wird er gewiss generell wenig motivierend sein, auch wenn er in den unterschiedlichen Kpfen verschiedenartig verarbeitet wird. Umgekehrt hat interessanter Unterricht generell groe Chancen, motivierend zu wirken, wohl in erster Linie dann, wenn die Lehrperson ihr eigenes Interesse am Gegenstand und an seiner Vermittlung glaubhaft machen kann. Medien geschickt einzusetzen, informationsreiche Materialien zu produzieren, faszinierende Themen anzubieten, ungewhnliche Lernorte zu nutzen, das sind unzweifelhaft frderliche Tugenden, die sehr wohl intrinsische Motivationen befrdern knnen, also solche, die von den Lernenden um der Sache selber investiert werden. Fr all dies und mehr nden sich in diesem Heft reizvolle Beispiele. Aus psychologischer Sicht erscheint aber noch wichtiger die Konzentration auf das, was die

die Feinde des SpraSchler von ihren inneSoziale Aufmerksamkeit schafft ein gutes ren VerarbeitungsvorgnKlima, in dem Schlerinnen und Schler jene chenlernens, Risikobegen offenbaren, und auf Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft reitschaft und Neugier die Art, wie die Lernentfalten, die alle Lehrenden so entschieden dagegen knnen es bewnschen. geln. Wer immer am gruppe beobachtend und selben Ort verbleibt und reagierend miteinander umgeht. Soziale Aufmerksamkeit schafft ein gutes die Muster der sprachlichen Interaktion mit anderen Klima, in dem Schlerinnen jene Eigeninitiative und und sich selbst wenig variiert, der kann zwar mit Kooperationsbereitschaft entfalten, die alle Lehren- Beharrlichkeit auf manchen Feldern viel erreichen. Wer aber viele Sprachspiele schon in der eigenen den so entschieden wnschen. Dieser kleine Einleitungstext zum Themenheft Umgebung kennt, hat Chancen, ein bedeutsames kann und soll nicht ein Extrakt der Motivationspsy- Kapital an metasprachlichem Interesse und an soziachologie sein, er wird auch nicht weiter generell von ler Flexibilitt anzusammeln und wird sich neuen Motivation im Unterricht handeln. Vielmehr mch- Sprachen eher neugierig und bereitwillig zuwenden. Es ist also durchaus ratsam, dass Fremdsprachente ich mich auf die Errterung weniger Gesichtspunkte beschrnken, die meiner Einschtzung nach lehrerinnen einen Blick und ein Gehr fr die eigeneine spezische Bedeutung fr den Fremdspra- sprachlichen Gewohnheiten und Kompetenzen ihrer chenunterricht haben: Die Sprachbiograe, die Schler entwickeln. Das gilt ebenso fr den Fall, dass Selbstdarstellung (vor allem bezogen auf die frem- sie im Ausland Deutsch beibringen wie fr den Fall, dass sie in Deutschland fremde Sprachen unterrichde Prosodie) und das Interesse. ten. Und wrde ein Fach Deutsch als Zweitsprache hierzulande sich intensiver als bisher auf die HerFremdsprachenunterricht und ausforderungen des multilingualen Alltags an deutSpracherfahrungen schen Grundschulen einstellen, so knnte manche Es gilt fr jedes Klassenzimmer und fr alle Alters- Unlust und manche Klage in der Lehrerschaft sich in stufen von Lernenden, dass Schlerinnen und Sch- angenehme Experimentierfreude verwandeln. Dann ler ihren je unterschiedlichen Lebens- und Erfah- wrde man Spracherfahrungen von Kindern mit nicht deutscher Familiensprache willkommen heirungshintergrund in den Unterricht mitbringen. Auch in jedem Fremdsprachenunterricht, gleich en, statt sie als Last beim Erlernen des richtigen auf welcher Altersstufe und gleich in welcher Unter- Deutsch zu entwerten. richtsform, spielt die Spracherfahrung einer Schlerin eine ganz entscheidende Rolle fr ihr MotivatiFremdsprachenlernen und die onsgeschehen. Nicht nur bereitet die Lernge-

Darstellung des Selbst

Im Fremdsprachenunterricht, gleich auf welcher Altersstufe und Unterrichtsform, spielt die Spracherfahrung der Schlerinnen und Schler eine ganz entscheidende Rolle fr ihr Motivationsgeschehen.

schichte in einer fremden Sprache die Zugnge zum Lernen nchster Sprachen vor, und zwar je nach Verarbeitung und Bewertung dieser persnlichen Lerngeschichte mit guten oder weniger guten Vorzeichen. Darber hinaus baut aber schon jeglicher Kontakt mit einer fremden Sprache, auch einer ersten, bereits auf einer Spracherfahrungsbiograe auf. Wohl den Menschen, die schon in ihrer angestammten Sprache, also derjenigen, in der man sich einrichtet, ohne dass sie unterrichtet wird, hinreichende Vielfalt vornden: Je reichhaltiger die Stile, Dialekte, Varianten, also insgesamt die Register in der Ausgangssprache zur Verfgung sind, desto mehr Flexibilitt in der Gestaltung von Interaktionen wird sich auch fr weitere Sprachen ergeben (List & List 2001). Sesshaftigkeit und Selbstgengsamkeit sind

Manche Schlerinnen und Schler berfllt der Unterricht in einer Fremdsprache als eine regelrechte Bedrohung ihres Selbstkonzepts, denn sie mssen in diesem Unterricht ja nun anders klingen. Mit Selbstkonzepten bezeichnet man die Gesamtheit des Wissens, das eine Person ber sich selber besitzt (Filipp 1994). Die Psychologie arbeitet seit einiger Zeit vermehrt mit diesem Begriff, nicht mehr wie in der Vergangenheit so intensiv mit denen der Identitt oder der Persnlichkeit. Man ist davon abgekommen, Personen durch die Aufzhlung eines Bndels von Eigenschaften und Leistungen zu kennzeichnen, die sich in der Entwicklung herausbilden und irgendwann stabil und verlsslich die Person ausmachen. Stattdessen werden die Kognitionen fr wirksam gehalten, die eine Person bei anderen auslst und die wiederum in Form direkter und indirekter Botschaften an das Subjekt zurckgelangen, um dessen Konzepte ber das eigene Selbst zu formen, zu bereichern und zu verndern. Die Persnlichkeit erscheint damit als etwas, das in Interaktionen konstruiert und 7

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durch wechselseitige Selbstdarstellung und soziale Kognition in bestndiger Dynamik begriffen ist. Selbstdarstellung (keineswegs ist mit diesem wichtigen psychologischen Konstrukt die steuerbare und kommerziell rentable Anleitung zur Selbst-Stilisierung gemeint) wird auf diese Weise zum unweigerlichen Medium fr Selbsteinschtzungen, die wiederum die Motivationen, die Handlungen und damit letztlich die soziale Wirkung lenken, die auf andere Personen ausgebt wird (Mummendey 1995). Natrlich ist sprachliche Interaktion hierbei von besonderer Wichtigkeit: Entscheidend fr soziale Einschtzungen ist, was eine Person wem gegenber in welcher Absicht und an welchem Ort uert, und vor allem, wie sie das tut. Und fr dieses Wie haben Botschaften para- und nonverbaler Art ein mindestens ebenso groes Gewicht wie die Inhalte, die bermittelt werden. Fr die paraverbalen, die sprachliche uerung gestaltenden Botschaften ist die menschliche StimDie Stimme hat fr einen Menschen me das hauptschgeradezu die Qualitt eines Fingerabdrucks, liche Medium, ihr sie ist ihm unverwechselbar zu Eigen. Klang, ihre Lage, Die Stimme ist der Kernbereich der Selbstihre Lautstrke und darstellung einer Person. vor allem ihre Melodie (Eckert & Laver 1994). Die Stimme hat fr einen Menschen geradezu die Qualitt eines Fingerabdrucks, sie ist ihm unverwechselbar zu Eigen. Ihre Rahmenbedingungen erhlt sie durch die typische Prosodik der ersten Sprache. Das Erlernen dieser Melodie in der frhen Kindheit ist ein elementarer Bestandteil des Spracherwerbs, der indessen wenig Beachtung durch die Wissenschaften erfhrt. Kein Wunder, denn wir wissen sehr wenig ber die zugrunde liegenden Vorgnge. Aber so viel ist klar: Sie sind aufs engste mit dem (ungesteuerten!) Erlernen der syntaktischen und morphologischen Regeln einer Sprache verkoppelt. Die Stimme entpuppt sich so als Kernbereich der Selbstdarstellung einer Person. Fremde Sprachen zu erlernen fordert rezeptiv und aktiv das Einlassen auf neue Melodien. Das kann Spa bereiten, als riskantes Experiment mit dem eigenen Selbst lustvoll erlebt werden und so etwas wie Schauspieltalente mobilisieren. Es kann aber auch als bedrohlich aufgefasst werden, ngstigen und Situationen heraufbeschwren, denen man sich am liebsten entzieht. Fremde Sprachen zu lernen fordert rezeptiv Auf jeden Fall weist und aktiv das Einlassen auf neue Melodien. der UnterrichtsgeDas kann Spa bereiten, als riskantes Experiment mit dem eigenen Selbst lustvoll erlebt, genstand (lebende) aber auch als bedrohlich aufgefasst werden. Fremdsprache gegenber anderen Gegenstnden, etwa Mathematik oder Geographie, eine Besonderheit auf: Er involviert die Person auf 8Motivation

sehr persnliche Weise, weil er ihren Klang verndert. Es ist daher nicht ohne weiteres zu erwarten, dass Schlerinnen, die in anderen Leistungsbereichen gut dastehen, auch mit dem schulischen Fremdsprachenlernen gut zurechtkommen mssen. Lehrkrfte mssen aufmerksam auf solche Sachverhalte sein. Zumindest sollten sie sich die Problematik bewusst machen, die ja mglicherweise so brisant fr sie selbst nicht erscheinen mag, denn sie gehren in der Regel wohl zu den hiervon gerade nicht so deutlich betroffenen Personen. Die Vermeidung von sozialem Druck und ein sensibles Korrekturverhalten knnen Krnkungen vermeiden helfen, die sonst weitreichende Folgen haben knnten. Auch gibt es Mglichkeiten, an die fremde Sprachmelodie in eher sanfter Weise heranzufhren, wenn etwa zunchst die eigene Sprache mit dem Akzent der angestrebten Sprache intoniert wird. Solche Vorgehensweisen frdern Spiel- und Risikofreude und knnen langsam die zeitweise Entfremdung vom gewohnten Klang bewirken. Als Lernziel ernst nehmen sollte man im Fremdsprachenunterricht allerdings unbedingt die Arbeit an Prosodie und Akzenten. Denn sofern er prparieren soll auf interkulturelle Kommunikation, muss bedacht werden, dass gerade diese Parameter subtile sozialpsychologische Wirkungen entfalten knnen. Es gibt Nachweise darber, dass ein fremder Akzent die Einschtzungen und Bewertungen der Person durch Mitglieder der Zielsprachgemeinschaft insgesamt und weitgehend unabhngig von den bermittelten Inhalten negativ beeinusst (Cargile & Giles 1997).

Leistungsmotivation und Interesse: Die Bedeutung des spezischen Lerngegenstands FremdspracheLeistung und Interesse sind wichtige Konzepte der Motivationspsychologie. Die klassische Leistungsmotivationsforschung, ber die nachfolgend einige wenige Andeutungen gemacht werden, hat gewiss ganz generell ihre Relevanz fr jeden Unterricht behalten. Jedoch drften fr den Fremdsprachenunterricht eher neuere Anstze von spezischem Interesse sein, die mit dem wieder verstrkt ins Spiel kommenden Begriff des Interesses verbunden sind. Leistungsmotivation spielt seit den spten fnfziger Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts eine Schlsselrolle in der westlichen Psychologie. Zwei Amerikaner haben den Weg fr zahllose Untersuchungen bereitet: David McClelland, assoziiert mit dem Buchtitel Die Leistungsgesellschaft (Orig. 1961), und J.W. Atkinson, assoziiert mit dem Risikowahlmodell des leistungsorientierten Verhaltens, in

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dem subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeiten von seit einiger Zeit bemht sich die pdagogische PsyErfolg und Misserfolg und antizipierte Freude ber chologie erneut um begrifiche Klrungen und angeErfolg bzw. antizipierter rger ber einen Misserfolg reicherte Modelle (Krapp 1992, Schiefele 1986, Schiemiteinander verrechnet wurden, um konkretes fele & Wild 2000). Auch der Begriff der intrinsischen Verhalten vorherzusagen und um Tchtigkeitsein- Motivation (Deci & Ryan 1985) gewinnt dabei an schtzungen fr eine Person zu ermitteln. Heinz Schrfe (Krapp 1999). Diese verstrkte Bemhung Heckhausen hat (beginnend 1963) viel dazu beige- um die Verschrnkung von Motivationen und Sachtragen, diese Art der Persnlichkeitsforschung in bezgen, die hiermit zum Ausdruck kommt, trgt Deutschland zu etablieren. Seine Denition von Leis- erfreulicherweise dazu bei, die Motivationspsycholotungsmotivation ist hier klassisch geworden: ... das gie lebendiger zu machen, sie nher auf die SubBestreben, die eigene Tchtigkeit in all jenen Ttig- jekte zu beziehen. Vermeintlich allgemein wirksame keitsbereichen zu steigern oder mglichst hoch zu und berall anwendbare Prinzipien wie motivierenhalten, in denen man einen Gtemastab fr ver- de Aufbereitung des Materials, Stimulusprparation (didaktisch-methodische bindlich hlt (HeckhauEine wichtige Rolle fr die Motivation Arrangements) oder sen 1965, 604). Aufgabenspielen die Beziehungen der Lernenden (irgendwie organisierte) schwierigkeit, also die zur Sache, also die Interessen des Bekrftigung fr Leistung Herausforderung an die Subjekts. ben demgegenber eigene Tchtigkeit, muss einiges von ihrem Nimdemnach vom Betroffenen einschtzbar sein nach Gte und nach Menge, bus ein. Aufgewertet nden sich dagegen Fragen und eine Leistung muss der eigenen Tchtigkeit nach der Spezik von Lerngegenstnden und ihrem zugeschrieben werden knnen, nicht etwa dem Einuss auf die Entwicklung von Motivation. Glck. Diese Leistung wiederum ermittelt sich im Was also zeichnet Fremdsprachen als LerngegenVergleich mit anderen, also durch die Orientierung an den sozialen Bezugsnormen. In psychologischen stnde aus, dass sie Motivationen nicht nur dank Laboratorien sind unzhlige Wettkampfsituationen guten Unterrichts als Mittel zum Zweck des ungeentwickelt worden, vom Turmbauen mit Kltzen strten Arbeitens in einer Klasse entstehen lassen, oder Ringen fr Vorschul- und Schulkinder bis zu sondern sich selbst als Gegenstand des Interesses komplizierten Problemlsungsaufgaben fr Erwach- darstellen knnen? Was kann Lernende dazu brinsene. Da es jedoch dabei immer um Absicherung der gen, sich die Motivation zum Erwerb von Sprachen Theorieelemente durch quantitativ belegte Signi- wirklich zu Eigen zu machen? Beweggrnde fr das kanzen ging, geriet ein Kerngedanke eher aus dem Sprachenlernen lassen sich mannigfaltig ins Feld Blick, nmlich dass die Aufgabenfelder, fr die man fhren: ber die eigenen Sprachgrenzen hinaus einen Gtemastab fr verbindlich hlt, der freien Kontakte suchen und kommunizieren zu knnen, Wahl der einzelnen Subjekte unterliegen mssen. von Fremden so viel erfahren zu wollen, dass man Leider hat sich auch bei der seit Jahrzehnten ver- die Befangenheit in eigenen Gewohnheiten berbreiteten Anwendung dieser Theorie im Unterrichts- denken kann (List 1997). Natrlich auch: Qualikageschft die Thematik der Gtemastbe auf tionen zu erwerben, mit denen sich LebensperspekQuantitten reduziert, nmlich auf Noten im Pr- tiven erffnen, die Abiturnote fr das Studium der fungssystem, damit auf bezifferbare Endpunkte Wahl zu prparieren, Geschfte machen zu wollen des eigentlich interessanten Motivationsgeschehens. mit anderen Lndern. Warum nicht? Wo die Lernenden freiwillig zum Unterricht komPrfaufgaben, die zu den Noten fhren, werden zudem von Lehrkrften vorgegeben, sind also fremd men, gar fr ihn bezahlen, drfte der Anreiz des Spraformuliert und knnen damit gar nicht ohne weite- chenlernens auf ein wie immer hergeleitetes, jedenres als selbst gewhlt erlebt werden, wie die Theorie falls voraussetzbares Interesse stoen, das sich genedas eigentlich verlangt. Die Sachlage ist ganz dazu rell mit didaktischen Motivierungsbemhungen gut angetan, in der Grundlagenforschung ebenso wie in in Einklang bringen lsst. Die oben verhandelten Proder didaktischen Anwendung, eine entscheidende blemfelder der vorgngigen Spracherfahrungen und Variable des an sich so interessanten Leistungsmoti- der Selbstkonzepte verdienen freilich auch hier Aufvationskonzepts zu vernachlssigen, nmlich die merksamkeit. Mehr noch davon ist aber wohl im curBeziehung der Lernenden zur Sache, also die Inter- ricular vorgegebenen Schulunterricht gefordert, wo eher eine zwangsweise Verpichtung auf Gegenstnessen des Subjekts. Das eher alteuropische Konzept des Interesses de herrscht. Hier drfte sich fr eine gnstige Beeinhat seinerseits seit eh und je gerade den Gegenstand ussung von Interesse und Lernmotivationen nicht von Lernbemhungen ins Blickfeld geschoben. Und zuletzt das niederschlagen, was den Lehrkrften 9Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

melte Wissen umzugeselbst als bedeutsam am Interessant erscheinen fremde Sprachen, stalten und zu bereiFremdsprachenlernen wenn sie nicht als ein beliebiger weiterer erscheint. Denn diese Code fr die bisherigen uerungsbedrfnisse chern. Der Fremdsprawerden ja auf Grund angeboten werden, sondern neugierig machen chenunterricht hat daher auf ganz andere Perspektiven. eine groe Chance. Er ihrer eigenen Mehrsprakann an die Eigensprachchigkeits-Sozialisation jeweils persnliche Konzepte ber Sinn und Zielvor- erfahrung der Lernenden anknpfen und Kontraste gaben des Fremdsprachenunterrichts an Schulen anbieten, die nicht nur Zugang zu Neuem verspreausgebildet haben. Und diese Konzepte drften chen, sondern auch das bisher Selbstverstndliche, Bestand haben ber wechselnde Stimmungen und die eigene Sprache, auf neue Weise zu verstehen. Interessant knnen fr Schlerinnen und Schler Konjunkturen der Fachdidaktik hinweg. Auf die Vorbilder, die Lehrpersonen auf diese Wei- fremde Sprachen vor allem dann erscheinen, wenn se mit ihren persnlichen Konzepten, ihren subjek- sie nicht als ein beliebiger weiterer Code fr die bistiven Theorien ber Fremdsprachenlernen darstel- herigen uerungsbedrfnisse und die eigene kultulen, werden Schler und Schlerinnen, die ja ihre relle Praxis angeboten werden, sondern neugierig eigene Spracherfahrungsgeschichte und eigene Ein- machen auf ganz andere Perspektiven, neue Gestellungen zu Fremdsprachen mitbringen, gewiss sprchspartner und andere Kulturen. uneinheitlich reagieren. Das ist im Grunde keine ungnstige Konstellation, legt sie doch auf Seiten der Lehrkrfte eine Orientierung an individuellen Bezugsnormen nahe, weniger am sozialen Bezugsnormensystem der Klasse. Damit glte die Aufmerksamkeit den jeweiligen Lernfortschritten einzelner Literaturverzeichnis: Schler, nicht deren Stellung im Leistungsgeflle der Gruppe. Individuelle Bezugsnormenorientierung begnstigt allemal die Abnahme von ngstlichkeit und Unlust am Schulunterricht. Sie wirkt der Tendenz entgegen, Unterschiede zwischen Schlern auf Faktoren zurckzufhren, die weder vom Lehrer noch von den Schlerinnen beeinussbar sind, wie Begabung oder husliches Milieu (Heckhausen & Rheinberg 1980). Damit wird ein Klima gefrdert, in dem niemand glaubt, Lernen spielt sich immer auf einer Basis schon wegen zu geringer vorhandenen Wissens ab. Was zu fremd und Fhigkeiten keine nicht anschliebar an dieses Wissen ist, weckt keine Neugier; was allzu wenig Neuheit bietet, Fortschritte machen zu knnen, und niedas langweilt und reizt nicht zum Lernen. mand fr sich beschliet, dass Anstrengung sich nicht mehr lohne, weil man ohnehin an der Spitze liegt. Die Orientierung am Subjekt und an seinen Interessen und Erfolgen entspricht einer Auffassung vom Lernen und von dem, was es in Gang setzt, die inzwischen Allgemeingut ist (Holzkamp 1995): Interessant, also zur Aufnahme von Neuigkeiten anregend, ist, was auf der Schwelle zwischen Vertrautem und Neuem liegt. Lernen spielt sich immer auf einer Basis schon vorhandenen Wissens ab. Was allzu fremd und gar nicht anschliebar an dieses Wissen ist, weckt keine Neugier; was allzu wenig Neuheit bietet, das langweilt und reizt zum Lernen nicht. Die Menschen sind offenbar darauf eingestellt, mit dem, was sie an Erfahrungen angesammelt haben, auf die Suche nach Neuem zu gehen, um so das schon angesam10Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007Cargile, Aaron Castelan & Giles, Howard: Understanding Language Attitudes: Exploring Listener Affect and Identity. LANGUAGE AND COMMUNICATION 17/1997, 195-217. 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GLOSSE

Wie demotiviere ich richtig ?VON HANS-JRGEN KRUMM

Fragt man Schler, die nach ein oder zwei Jahren Deutsch eher zu den schwachen gerechnet werden oder nach Auskunft ihrer Lehrer nicht viel Lust haben mitzumachen, woran das denn ihrer Meinung nach liegt, so erzhlen sie Misserfolgserlebnisse. Dabei kommt heraus, dass Sprachunterricht gerade am Anfang systematisch zur Demotivierung beitragen kann. Hier einige Zitate, die man immer wieder hren kann, und die wichtigsten Regeln, wie man als Lehrer seine Schlerinnen und Schler so richtig zu demotivieren vermag.

1. Deutsch ist eine besonders schwierige Sprache! Nur wer stets aufpasst, alle Hausaufgaben erledigt und immer eiig ist, wird es schaffen, diese schwere Sprache zu lernen. Deutsch ist eben keine Sprache fr jeden, sondern nur fr die intelligenten und eiigen Schler, das muss man ihnen in jeder Stunde sagen. 2. Fehler sind schlimm! Fehler zeigen, dass man nicht aufgepasst oder nicht richtig gelernt hat oder den Lehrer rgern will. Das hat sofort eine Rge oder einen Minuspunkt zur Folge. Es ist besser, den Mund zu halten, als einen Fehler zu machen. Deshalb sollen alle Schlerinnen und Schler dazu angehalten werden, gut zu berlegen, bevor sie den Mund aufmachen. 3. JEDER Fehler muss (sofort) korrigiert werden! Deutschunterricht zielt auf die korrekte Beherrschung der deutschen Sprache. Wenn sich doch einmal Fehler einschleichen, so besteht die Gefahr, dass diese sich einprgen. Jeder Fehler sollte daher auf der Stelle korrigiert werden, und zwar so, dass die ganze Klasse mitbekommt, dass das falsch war. 4. Ein bisschen Spott und Gelchter begeln den Lerneifer! Bei Schlern, die zu viele Fehler machen oder nicht aufpassen, kann ein wenig Spott den Lerneifer begeln. Wenn die ganze Klasse ber einen Schler lacht, so wird dieser sich beim nchsten Mal gewiss mehr Mhe geben. 5. Keine Experimente! Schler sollten auf Deutsch nichts lesen, sprechen oder schreiben, was nicht zuvor vom Lehrer grndlich vorbereitet wurde. Unterricht ist schlielich keine Reise ins Unbekannte, sondern der systematische Aufbau von den kleinen zu den greren sprachlichen Einheiten.

6. Was im Buch steht, ist wichtig! Lehrwerkautoren haben sich viel Mhe mit der Entwicklung einer systematischen Progression gegeben. Lehrende sollten darauf achten, dass sich die Lernenden nicht vom Lehrbuch entfernen und eventuell Wrter gebrauchen und Stze versuchen, die noch nicht dran waren. 7. Schler mssen nicht alles wissen! In Lehrplnen und Lehrbchern haben sich kluge Menschen viele Gedanken ber die Ziele des Deutschunterrichts und den Weg dorthin gemacht. Es ist Zeitverschwendung, Schlern die Lernziele einer Unterrichtseinheit zu erlutern. Solange die Schler nicht wissen, wohin die Reise geht, sind sie gezwungen, wach zu bleiben und aufzupassen. 8. Eine Sprache muss man alleine lernen! Da schlielich jeder eine Sprache alleine knnen muss, sollte die Zusammenarbeit von Schlern verhindert werden. Gruppenarbeit fhrt nur dazu, dass die schwcheren Schler ihre Schwchen nicht bemerken und die Faulen sich drcken knnen. 9.Die Muttersprache hat im Deutschunterricht nichts zu suchen! Beim Deutschlernen sollte jeder Gebrauch der Muttersprache oder auch anderer Sprachen, die die Lernenden beherrschen verhindert werden, damit sich alle auf Klang und Struktur der deutschen Sprache konzentrieren. Wenn jemand trotz aller Mhen des Lehrers auf Deutsch etwas nicht versteht, ist er oder sie wahrscheinlich nicht intelligent genug fr das Deutschlernen. 10. Ruhe muss sein im Deutschunterricht! Im Sprachunterricht kommt es auf Details an, auf Aussprache, Intonation, auf die unscheinbaren Endungen etc. Damit alle verstehen, was gesagt wird, ist absolute Ruhe im Klassenraum das oberste Gebot.

11Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Motivation ist nicht statisch Motivation ndert sichDer Faktor Motivation als Kernkompetenz lebenslangen FremdsprachenlernensVON ANNETTE BERNDT

Motivation und LernbiograeBetrachtet man die Lernbiograen von Fremdsprachenlernern, so ndet man, dass dem Faktor Motivation aus der Lernersicht sehr groe Bedeutung zugemessen wird. Als Beispiel mchte ich die Transkription eines Interviews mit einer russischen Studierenden anfhren. In dem Interview berichtet sie von den wechselnden Motivationen beim Erlernen der Fremdsprachen Deutsch, Englisch und Trkisch im Laufe ihrer Schul- und Studienzeit.

Erste Fremdsprache Deutsch Zur Zeit studiere ich in Kassel, im Fachgebiet Deutsch als Fremdsprache im Masterprogramm. Zur Zeit spreche ich mehr oder weniger gut vier Sprachen: Russisch ist meine Muttersprache, als meine erste Fremdsprache habe ich Deutsch gelernt, dann Englisch und jetzt bin ich beim Trkischen. Mit Deutsch habe ich angefangen, als ich 10 Jahre alt war und das war ganz normal wie alle Kinder in Russland in der vierten Klasse war ich, und da stand die Frage: Entweder Deutsch oder Englisch. Da habe ich Deutsch gewhlt, weil die Lehrerin ganz sympathisch war, ich habe sie sehr gemocht als Persnlichkeit, und obwohl meine Eltern eigentlich dafr waren, dass ich mit dem Englischen anfange, habe ich trotzdem Deutsch gelernt, und immer wieder wollte ich meinen Eltern beweisen, dass ich eine richtige Entscheidung getroffen habe, habe auch selbststndig was dazugelernt und auch noch extra Leistungskurse in diesem Fach belegt, obwohl, was wir im Deutschunterricht gemacht haben, hat mir gar nicht gefallen, weil wir haben gar nicht kommuniziert, wir haben nur Texte gelesen oder auswendig gelernt. Und dann habe ich mich beworben fr einen Studienplatz an

der Uni, da wollte ich Germanistik studieren, und das hat eigentlich ganz gut geklappt. An der Uni war ich eigentlich ganz doll motiviert, und ich wusste, dass es DAAD-Stipendien gibt, und von unserem Fachbereich gab es schon ein paar Studenten, die in Deutschland waren und von daher war es sehr interessant und unser Fachbereich war sehr stark, so dass wir ganz tolle Professoren gehabt haben. Auerdem hatten wir Muttersprachler als Lehrer, und das war auch sehr interessant, und das hat auch sehr stark motiviert. Zweite Fremdsprache Englisch Mit Englisch habe ich keine positive Erfahrung gemacht, ich habe mit 19 erst angefangen mit dem Englischen und das hat berhaupt keinen Spa gemacht. Ich habe das gelernt, nur, weil ich das lernen sollte, weil ich das fr meine Staatsprfung brauche und natrlich im Hinterkopf hatte ich den Gedanken: Englisch ist eine Sprache, mit der man was anfangen kann und die dann sicherlich im Leben nutzvoll ist. Und auerdem: Meine Schwester, die hat Abitur in Amerika gemacht und von daher habe ich mit ihr auf Englisch kommuniziert, die E-Mails geschrieben, weil sie keine russi-

sche Tastatur gehabt hat, und das war so der einzige Motivationspunkt im ganzen Englischlernen. Jetzt, zur Zeit, bin ich in der zweiten Stufe, Unicert II mache ich, und das macht eigentlich auch keinen Spa, ich brauche nur dieses Zertikat, ehrlich gesagt. Dritte Fremdsprache Trkisch Vor einem Jahr habe ich mit dem Trkischen angefangen, weil mein Freund aus der Trkei kommt, seine Freunde, die ganze Umgebung Trkisch spricht, und da habe ich gedacht, dass ich das unbedingt lernen muss. Ich habe im Wintersemester mit Unicert I angefangen und dann in den Winterferien praktisch selbststndig fr ein Jahr nachgearbeitet auf jeden Fall habe ich selbststndig gelernt und dann die Prfung abgelegt und bin jetzt im Unicert II Trkisch. Ich habe praktisch ein Jahr gespart. Und das macht eigentlich sehr viel Spa, mal sich hinzusetzen und nicht nur in der Rolle der Lehrenden zu sein. Und meistens macht mein Freund mit mir bungen, wobei ich den Unterrichtsentwurf mache und er dann praktisch nur die bungen, die ich mir ausgedacht habe, mit mir macht. Das macht ganz viel Spa. (Anastasia, 22 Jahre)

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Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Motivation ndert sich im Laufe des LernensGanz deutlich zeigt sich in der Sprachlernbiograe von Anastasia der Prozesscharakter von Motivation: Im Alter von 10 Jahren entscheidet sie sich fr die deutsche Sprache, weil die Lehrerin sympathisch ist. Die sympathische Lehrperson ist ein Motiv, das man besonders bei Kindern und Jugendlichen hug antrifft, das aber in der Lehrerbildung als Vermittlungsinhalt fr motivierenden Unterricht schwer zu instrumentalisieren ist, da es direkt auf Persnlichkeitsmerkmale der Lehrer verweist und auf diese dann im Sinne von Persnlichkeitsbildung einwirken msste. Bedenkt man jedoch die zentrale Stellung des Lehrers im Unterricht, drfte dies ein bedenkenswerter Faktor sein. Im weiteren Schulverlauf ist Anastasia stark intrinsisch motiviert trotz eines wenig motivierenden Unterrichts, der sich auf das Lesen und Auswendiglernen von Texten beschrnkt, und trotz der Entfernung von Deutschland. Ein Motiv ist auch, dass sie ihren Eltern ihre Leistungsfhigkeit beweisen will, ein Motiv, das besonders bei Kindern und Jugendlichen zu Leistungen anregt: Der Wunsch nach persnlicher Anerkennung. Bezglich des Englischen wirkt sich die Motivation, dass es im Leben ntzlich sei und dass man damit etwas anfangen knne, eher mig auf die Leistung aus. Englisch wird in extrinsischer Motivation auf eine Prfung hin gelernt. In den Kategorien des Motivationsmodells von Gardner (1960) wrde man Anastasia als instrumental motiviert bezeichnen: Das Englischlernen dient als Mittel zum Zweck beruichen Fortkommens. Gardner markiert auch den Beginn der fremdsprachlichen Motivationsforschung im Jahre 1960 mit einer Dissertation zum Thema Motivational variables in second-language acquisition. Im Jahre 1972 folgte eine mit Lambert zusammen verfasste empirische Querschnittstudie zum Erwerb des Franzsischen als Fremd- bzw. Zweitsprache mit dem Titel Attitudes and motivation in second

sympathische Lehrperson

language learning. Auffallend ist, dass sich ihr Erkenntnisinteresse stark an die Sozialpsychologie und an die Ergebnisse der Forschungen zum Erstsprachenerwerb anlehnte. So war im Jahre 1950 eine wegweisende Studie von Mowrer erschienen, Learning theory and personality dynamics, in der die Wichtigkeit der emotionalen Identikation und der Wille zur Integration mit der sprechenden Gruppe beim L1-Erwerb, also beim Muttersprachenlernen, nachgewiesen wurde. Diese Erkenntnisse versuchten Gardner und Lambert dann auf den L2- bzw. Fremdsprachenerwerb allgemein zu bertragen. Ihr Erkenntnisinteresse lag eindeutig bei Einstellungen der Lernenden und nicht bei kognitiven Variablen wie beispielsweise der Sprachlerneignung (language learning aptitude). Hier ein kurzes Zitat aus dieser Studie in deutscher bersetzung:

Damit ein Fremdsprachenlerner erfolgreich sein kann, muss er psychisch dazu bereit sein, die ihm fremden Verhaltensweisen der Zielsprachengruppe anzunehmen. Die Einstellungen, die der Lerner der fremden Kultur und deren Sprechern entgegenbringt, scheint wesentlich fr den Erfolg beim Erlernen der Fremdsprache verantwortlich zu sein. (Gardner/Lambert 1972, 3 ). Motivation wird hier offenbar konstruiert ber die Funktionen von Einstellungen und Orientierungen gegenber dem Land und seinen Sprechern. Gardner und Lambert differenzieren hier zwischen zwei Arten der Motivation und somit auch zwischen zwei Arten von Motiven, aus denen heraus Fremdsprachen gelernt werden: Das integrative Motiv: Der Lerner sucht nach Integration in den Kontext der Zielsprache. Das instrumentelle Motiv: Die Fremdsprache ist Mittel zum Zweck beispielsweise des beruichen Fortkommens. Dass Gardner und Lambert in ihrer Studie gerade das integrative Motiv als Prdiktor erfolgreichen Fremdsprachenlernens hervorheben, begrndet sich im bikulturellen Kontext der Erhebungsorte (Kanada), denn wo Zweisprachigkeit zum kulturellen Inventar eines Landes gehrt, ist das Erlernen 13

persnliche Anerkennung

beruiches Fortkommen

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der zweiten Landessprache auch eine der Grundlagen der soziokulturellen Identikation. Diese Situation ist durchaus vergleichbar mit der Motivation Anastasias zum Erlernen der trkischen Sprache: Ihr groer Lernerfolg sie hat das Lernpensum von zwei Jahren in einigen Monaten absolviert grndet in ihrer Absicht, sich in den trkischen Freundeskreis zu integrieren. Sozialer Integrationswille und der direkte Kontakt zur Zielsprache sind hier ganz sicher als Garant fr Lernerfolg zu werten. Wie sieht es aber aus mit dem Fremdsprachenlernen in groer Entfernung vom Zielland, wo diese Sprache gesprochen wird? Integrative Motive knnen dort kaum der Motor zum Erlernen der deutschen Sprache sein. An dieser Stelle sei an einen Artikel von Chan in der Sondernummer Fremdsprachenlerntheorie von FREMDSPRACHE DEUTSCH (1995, 42-50) erinnert. Der Verfasser des Artikels schreibt zu den Rahmenbedingungen des Deutschunterrichts in Singapur:

Leistungsorientierung

Die Mehrzahl der Studienanfnger in Singapur weist eine auffllig leistungsorientierte Lernhaltung auf. Die Grnde fr diese Haltung liegen meines Erachtens im Lernkontext: a) die prfungsbetonte Lerntradition, b) die vorausgegangenen schulischen Erfahrungen, c) der gesellschaftliche Erwartungsdruck. Im Deutschunterricht wird diese Lernhaltung zudem noch durch die groe geograsche Distanz zum Zielsprachenland begnstigt. Die Deutschlernenden wissen mangels authentischer Kommunikationssituationen hug nicht recht, ob sie die mhsam erworbenen Sprachkenntnisse jemals auerhalb des Klassenzimmers anwenden knnen. Fr sie besteht deshalb die Hauptmotivation zum Lernen in der Hoffnung auf Prfungserfolg und gute Noten (Chan, 42). Deutschlernende in Singapur zeichnet also weniger eine integrative Motivation aus, da sie kaum authentische Kontakte zum Zielland haben. Vielmehr gilt es, einem von auen gegebenen Motiv gerecht zu werden, nmlich den Ansprchen eines auf Leistung orientierten Schul- und Ausbildungssystems. In der Motivationsforschung wird diese Motivation extrinsisch genannt, wobei die Unterscheidung intrinsisch vs. extrinsisch unscharf ist, fasst man Motivation als ein Konstrukt auf, das sich in seinen Charakteristika mit dem Lernprozess entwickelt und daher selbst auch Prozesscharakter hat: Muss ein

extrinsisch motivierter Lerner, dem von auen ein Lernziel gesetzt wird, nicht im Laufe des Lernprozesses intrinsisch motiviert sein, um auf lngere Sicht erfolgreich sein zu knnen? Eines der wichtigsten Charakteristika des Motivationskontruktes im Blickwinkel lebenslangen Lernens ist dann auch dessen Flexiblisierung hin zu einer prozessualen Sicht: Motivation ist nicht statisch, von Anfang an vorhanden oder eben auch nicht vorhanden, sondern die fr die Motivation verantwortlichen Motive ndern sich im Laufe des Fremdsprachenlernprozesses, wie man am Beispiel der Lernbiograe von Anastasia nachvollziehen kann. Das bedeutet, dass sie auch von auen und vor allem dann auch durch den Fremdsprachenunterricht selbst beeinusst werden knnen. An diesem Punkt setzt Hermanns Resultativhypothese (Hermanns 1980)an. Er versucht dabei, die Kausalhypothese von Gardner/Lambert umzukehren, nach der bestimmte Einstellungen und Orientierungen den Lernerfolg in der Fremdsprache bestimmen. Hermann postuliert das Gegenteil, nmlich, dass gerade durch den Prozess des Fremdsprachenlernens und durch den unterrichtlichen Kontext bestimmte Einstellungen und Motivationen im positiven und auch negativen Sinne entwickelt werden. Kennzeichnend fr den empirischen Hintergrund der Resultativhypothese ist die Beobachtung des frhen Fremdsprachenlernens im Kindergarten und in den ersten Schuljahren, in einer Altersstufe also, wo im Grunde noch wenig Vorerfahrungen und damit Einstellungen oder bestimmte Motive aus entwicklungspsychologischen Grnden vorhanden sein knnen. Die scheinbare Widersprchlichkeit der Hypothesen von Gardner/Lambert und Hermann kann beispielsweise in ihrer Fixierung auf bestimmte Altersstufen der Lerner aufgelst werden. Eine Besttigung hierfr kann man auch in der Motivationsforschung zum Fremdsprachenlernen im Seniorenalter nden, wonach die deutsche Sprache bei Lernern ab 60 ber das gesamte Leben hinweg durchwegs positiv besetzt war, und auch die frheren Lernerfahrungen eine positive Einstellung hervorgerufen hatten (vgl. Berndt 2001). Nur so haben die Lerner auch im hheren Alter noch die Motivation, sich einer spten Lernsituation auszusetzen. Letztendlich lassen sich die beiden Hypothesen zu

frhe Sprachlernerfahrungen

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Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

einem Rckkoppelungsmodell zusammenfassen, bei dem sich die vier Faktoren Motivation, Einstellungen gegenber der zielsprachlichen Kultur, Lernerfahrungen und Lernerfolg gegenseitig positiv oder negativ beeinussen. Dieses Rckkoppelungsmodell verweist auf den schwerwiegenden Einuss frher Sprachlernerfahrungen in den ersten Schuljahren, denn hier werden die Einstellungen geprgt, die in spteren Jahren entscheiden, ob ein Lerner sich motiviert einer Lernsituation stellt und sie erfolgreich besteht oder noch krasser, ob er sich im Laufe des Lebens berhaupt noch einer formellen Lernsituation aussetzt. Dem Lernen im Laufe des Lebens scheint aber gerade die Zukunft zu gehren, glaubt man den aktuellen Statuten des Gemeinsamen europischen Referenzrahmens fr Sprachen (2001), in dem immer wieder das Stichwort der Lernenden Gesellschaft fllt.

Methodisch-didaktische KonsequenzenEs stellt sich nun die Frage, welche methodischdidaktischen Schlussfolgerungen gezogen werden knnen, wie die theoretischen Erkenntnisse fr die Unterrichtspraxis letztendlich verwertet werden knnen. Spiele, und seit einiger Zeit auch die Neuen Medien, werden genannt, wenn es um die motivatorische Aufbereitung von Unterricht geht. Diese sind eher als Katalysator von Motivation zu werten und als kurzfristige Interventionen geeignet, sie sind oft aber kein motivationaler Motor auf die lngere Sicht des Fremdsprachenlernprozesses. Drnyei (1999; vgl. auch Seite 16 f. in diesem Heft) und Williams & Burden (1997) haben jeweils Kriterienkataloge erstellt, die motivierenden Unterricht charakterisieren und wie Lehrer und Lerner darauf einwirken knnen. Beide verweisen auf die Wichtigkeit von Kognitivierung im Sinne einer Bewusstmachung deklarativen und prozeduralen Wissens und berhren damit einen der Schwerpunkte der aktuellen Fremdsprachendidaktik. Eingelst wird dieses Desiderat in der Unterrichtsrealitt ber die Bewusstmachung und Vermittlung von Lernstrategien, durch die Vermittlung des Werkzeuges also, das das Lernen erleichtert. Ein Beispiel fr eine erfolgreiche Kognitivierung ist der Lernprozess in der 3. Fremdsprache Trkisch, wie ihn Anastasia in dem Interview berichtet. Sie stellt sich als autonome Lernerin dar, die ihren Unterricht selbst entwirft. Der Freund, der Trkisch als Muttersprache hat, fungiert einzig als sprachliche

Bewusstmachung und Vermittlung von Lernstrategien

Kontrollinstanz. Als Lernexpertin in Sachen Fremdsprachen verfgt sie ber das notwendige Metawissen und, was nicht ohne weiteres natrlich ist sie setzt es auch ein. Strategienvermittlung ist nmlich nur dann sinnvoll, wenn die vermittelten Strategien auch im Einsatz gebt werden. Wie bei der Sprache selbst muss das deklarative Wissen prozeduralisiert werden (vgl. Knigs 2000, 12) in dem Sinne, dass es ber lange Zeit Teil des zu vermittelnden Lernstoffs sein und auch gebt werden muss. Nur so kann Strategieanwendung im Fremdsprachenunterricht auf lange Sicht als motivierendes Metawissen den Lernerfolg untersttzen. Im ersten Moment erscheint dies als weitere Belastung des Fremdsprachenlernprozesses auf die lngere Sicht des Fremdsprachenlernens aber, wie sie durch die Vision der lebenslangen Perspektive erffnet wird, schafft die Vermittlung von Lernstrategien eine verlssliche Basis fr weitere Fremdsprachenlernsituationen. Strategisches Wissen ist auch die Basis der oft eingeforderten Autonomie des Fremdsprachenlerners im Prozess lebenslangen Fremdsprachenlernens; nur so kann der Lerner selbstverantwortlich auf Lernsituationen reagieren. Das Konzept der Selbstverantwortung scheint in der Trias Lebenslanges Lernen, Motivation und Autonomie ein tragender Faktor zu sein. So meint Sprenger in seinem Bestseller Das Prinzip Verantwortung: Wege zur Motivation (1995, 36 f.): Was soll denn Selbstverantwortung anderes heien, wenn nicht Verantwortung fr die eigene Motivation?

Selbstverantwortung fr das eigene Lernen

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15Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Wie motiviere ich richtig?Die folgenden Vorschlge sind eine Zusammenfassung von dreiig Motivierungsstrategien, die Zoltn Drnyei in mehreren englischsprachigen Verffentlichungen vorstellt. Sie beruhen zum einen Teil auf Praxiserfahrungen des Autors und zum anderen Teil auf Erkenntnissen der Lernpsychologie. Es sind keine Goldenen Regeln, sondern eher Hinweise auf Strategien, die je nach Lehrerpersnlichkeit, Lernergruppe und Lernsituation besser oder schlechter funktionieren knnen. Dennoch bietet die Aufzhlung einen guten Ausgangspunkt fr Lehrerinnen und Lehrer, die motivierende Elemente in ihre Unterrichtsplanung integrieren wollen. Drnyei unterscheidet drei Ebenen: die Ebene der Sprache, die Ebene der Lernenden und die Ebene der Lernsituation. Welche Strategie(n) passt (passen) zu Ihnen und zu Ihren Lernergruppen? Probieren Sie doch mal die eine oder andere Strategie aus! Viel Erfolg!matik und Wortschatz bestimmt wird. Sprechen Sie offen ber ihre eigenen Erfahrungen beim Fremdsprachenlernen und verschweigen Sie Ihre eigenen Schwchen dabei nicht. Helfen Sie den Schlerinnen und Schlern, die Zusammenhnge zwischen Aufwand und Ergebnis richtig zu erkennen. Misserfolge knnen oft kontrollierbaren Faktoren wie unzureichendem Einsatz (falls zutreffend), Missverstehen der Aufgabe oder der Einsatz ineffektiver Strategien zugeschrieben werden anstelle reiner Unfhigkeit. Fordern Sie die Lernenden auf, sich selbst realistische Teilziele zu setzen. Ein konkretes Ziel knnte es beispielsweise sein, eine bestimmte Anzahl Vokabeln pro Woche zu lernen. Solche Ziele knnen sehr gut in einen persnlichen Lernplan aufgenommen werden.

Die Ebene der SpracheBieten Sie ihren Lernenden viele Mglichkeiten, positive Erfahrungen mit der Zielsprachenkultur zu sammeln, indem Sie Filme oder Fernsehsendungen zeigen, Lieder behandeln oder Muttersprachler einladen. Frdern Sie Kontakte ihrer Schlerinnen und Schler mit Muttersprachlern. Organisieren Sie Treffen im eigenen Land, Schulreisen ins Ausland, Austauschprogramme oder Brief- oder E-Mail-Freundschaften.

Die Ebene der LernendenTragen Sie zur Entwicklung des Selbstbewusstseins ihrer Schlerinnen und Schler bei. Zeigen Sie, dass Sie ihnen vertrauen und an ihre Fhigkeiten glauben. Sparen Sie nicht mit Lob, Ermutigung und Besttigung. Dadurch vermitteln Sie ihnen das Gefhl, erfolgreich zu sein und etwas erreichen zu knnen. Helfen Sie ihnen, Unsicherheiten ber die eigene Kompetenz und Leistungsfhigkeit zu beseitigen, indem Sie vergleichbare Beispiele fr Erfolg nennen. Bieten Sie gegebenenfalls einfachere Aufgaben an, um frustrierende Erfahrungen auszugleichen. Untersttzen Sie die positive Selbstwahrnehmung der Lernenden. Betonen Sie, was sie in der Fremdsprache knnen und nicht, was sie nicht knnen. Weisen Sie darauf hin, dass Fehler ein Teil des Lernprozesses sind und der Erfolg von Kommunikation nicht ausschlielich von Gram16Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Die Ebene der Lernsituation1. Unterrichtsspezische Motivationsfaktoren:Stellen Sie den Lernplan auf Basis einer Bedarfsanalyse auf und beteiligen Sie die Lernenden an der Planung des Kursprogramms. Erhhen Sie die Attraktivitt der Lerninhalte, indem Sie authentische Materialien (Texte, Tonbandaufnahmen, Videos usw.) verwenden, die fr die Lernenden naheliegend sind, aber auch ungewhnliche und exotische Zusatzmaterialien. Diskutieren Sie die Auswahl des Lernmaterials (Lehrwerk und Zusatzmaterial) mit den Lernenden und besprechen Sie dessen starke und schwache Seiten: Bietet es ntzliche Inhalte? Ist es attraktiv gestaltet? Ist es interessant?

Wecken Sie Neugier und Aufmerksamkeit und versuchen Sie, diese zu erhalten, damit der Unterricht nicht zur Routine wird. Durchbrechen Sie von Zeit zu Zeit den statischen Charakter einer Stunde, indem Sie die Interaktionsart wechseln oder die Lernenden sich ab und zu bewegen lassen, so dass sie nicht ununterbrochen sitzen. berraschen Sie ihre Schler durch unerwartete oder ungewhnliche Verhaltensweisen und Aktionen. Vergrern Sie das Interesse und Engagement der Lernenden fr die Aufgaben, indem Sie abwechslungsreiche und herausfordernde Lernaktivitten whlen. Passen Sie die Aufgaben an den Interessenbereich der Lernenden an und sorgen Sie dafr, dass mglichst jede Aktivitt etwas Neues oder Besonderes zu bieten hat. Denken Sie zum Beispiel an spielerische Aufgaben wie Puzzles oder Aufgaben, die Probleme, Fallen, Hindernisse, und Spannungselemente beinhalten. Zgern Sie auch nicht, Aufgaben zu stellen, bei denen Fantasie und Gefhle der Lernenden angesprochen werden. brigens: Manche Aktivitten drfen auch ein offenes Ende haben. Stellen Sie Aufgaben, die sichtbare Ergebnisse hervorbringen. Wenn diese Ergebnisse dann in der Klasse gezeigt, vorgetragen oder vorgespielt werden knnen, lst das Befriedigung und Stolz aus. Stellen Sie von Zeit zu Zeit die Fortschritte der Schlerinnen und Schler in Form von Graken dar und feiern Sie den gemeinsamen Lernerfolg.

ken. Vor allem bei Projektarbeit knnen die Lernenden Funktionen mit Verantwortung bernehmen. Ihr Feedback sollte motivierend und eher informierend als kontrollierend sein. Konzentrieren Sie sich auf den Fortschritt im Lernprozess und den Wert des Lernerfolgs und nicht zu sehr auf die Fehler.

3. Gruppenspezische Motivationsfaktoren:Sprechen Sie mit den Lernenden ber die Gruppenlernziele und fragen Sie sie von Zeit zu Zeit, in welchem Mae sie sich diesen Zielen annhern. Dadurch stimulieren Sie das zielgerichtete Lernen der ganzen Gruppe. Beurteilung hat oft eine negative Auswirkung auf die intrinsische Motivation. Konzentrieren Sie sich deshalb auf individuelle Erfolge und Fortschritte und vermeiden Sie jeglichen expliziten oder impliziten Vergleich von einzelnen Lernenden mit anderen Schlerinnen oder Schlern, so dass es nicht zum Wettbewerb kommt. Beurteilungen sollten nicht ffentlich, sondern besser unter vier Augen erfolgen. Die Zeugnisnote sollte das Produkt eines persnlichen, verhandelnden Gesprches zwischen Lehrer (Lehrerin) und Schler (Schlerin) sein, in welchem auch die Lernenden selbst ihre Lernerfolge einschtzen. Frdern Sie den Zusammenhalt der Gruppe und das gegenseitige Verstndnis durch Lernaktivitten, bei denen die Schlerinnen und Schler sich kennen lernen und authentische persnliche Informationen oder Erfahrungen (Gefhle, ngste, Wnsche etc.) austauschen knnen. Dazu tragen vor allem Teamspiele im Unterricht sowie gemeinsame Unternehmungen auerhalb der Schulzeit, wie z.B. Ausge, bei. Organisieren Sie fter kooperatives Lernen in der Klasse: Die Lernenden arbeiten dann in Gruppen, beurteilt wird nicht primr die Leistung eines Einzelnen, sondern das Produkt der Gruppe. AnmerkungDie Verffentlichung dieser deutschsprachigen berarbeitung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Zoltn Drnyei. Die bersetzung und berarbeitung ist von Katja Sund.

2. Lehrerspezische Motivationsfaktoren:bernehmen Sie im Lernprozess der Lernenden die Rolle des Organisators, anstatt die eines Lehrmeisters. Versuchen Sie, ein harmonisches Verhltnis zu ihren Schlerinnen und Schlern aufzubauen. Frdern Sie die Autonomie der Lernenden, indem Sie ihnen die Wahl zwischen alternativen Mglichkeiten zur Erreichung des Lernziels lassen. Minimalisieren Sie Kontrolle und Druck von auen (z.B. Drohung oder Strafe). Beziehen Sie die Lernenden in die Verantwortung fr die Organisation ihres Lernprozesses mit ein. Fordern Sie sie beispielsweise auf, sich Aufgaben und Aktivitten fr ihre Mitschler auszuden-

Literaturverzeichnis:Drnyei, Zoltn: Motivation and Motivating in the Foreign Language Classroom. MODERN LANGUAGE JOURNAL, 78/1994, 273-284. Drnyei, Zoltn, & Csizr, Kata: Ten Commandments for Motivating Language Learners: Results of an Empirical Study. LANGUAGE TEACHING RESEARCH, 2(3)/1998, 203-229. Drnyei, Zoltn: Motivational Strategies in the Language Classroom. Cambridge: Cambridge University Press 2001.

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Kooperatives LernenTeamlernstrategien und wie sie funktionieren knnenVON ANNELIEN HAITINK UND JACQUES HAENEN Freitagmorgen, dritte Stunde. Die neunte Klasse einer Amsterdamer Realschule hat Deutsch. An den Wnden hngen Wandzeitungen und Gedichte, die die Schlerinnen und Schler in den letzten Wochen hergestellt haben. Vorne sitzen drei Mdchen und ein Junge mit einem groen Blatt Papier und Filzschreibern. Sie reden darber, was sie in einem Kassettenbrief an eine deutsche Briefpartnerin ber ihren Tagesablauf sagen knnten. Sie fragen sich, was ihre Briefpartnerin daran eigentlich interessant nden knnte. Auf dem Blatt Papier entsteht ein Assoziogramm. Ganz hinten, am Computer, sitzen eine Schlerin und ein Schler. Sie schreiben eine E-Mail an einen deutschen Briefpartner. An einem anderen Tisch sitzen vier Schler, die kurz vorher in Zweiergruppen an einem Brief gearbeitet haben. Jetzt legen sie sich ihre Konzepte vor. Einer von ihnen meint, es wrde eine gleichaltrige deutsche Schlerin vielleicht gar nicht besonders interessieren, welche Schulfcher in den Niederlanden auf dem Programm einer 9. Klasse stehen. Die interessiert sich vielleicht viel mehr dafr, ob das wirklich stimmt, dass Haschischrauchen bei uns erlaubt ist. Die anderen lachen. Eine meint, sie sollten ihre Briefe (nur zur Sicherheit) doch noch mal dem Lehrer vorlegen, bevor sie verschickt werden.

Was sich hier abspielt, nennt sich kooperatives Lernen, eine effektive und natrliche Arbeitsweise, die fr Schlerinnen und Schler motivierend ist und dazu beitrgt, dass sie das Beste aus sich selbst und aus anderen hervorholen. Forschungsergebnisse (Slavin, 1996) haben gezeigt, dass diese Art des Lernens positive Auswirkungen haben kann und zwar nicht nur im kognitiven Bereich, sondern auch auf die Arbeitshaltung und die Motivation der Lernenden. Was dabei gebt wird? Nicht nur Deutsch, sondern auch soziale Fertigkeiten wie: sich gegenseitig anhren, andere um Feedback bitten, anderen Feedback geben oder sich gegenseitig helfen. Andere Studien (Marzano et al., 2001) haben darber hinaus gezeigt, dass Schlerinnen und Schler besonders viel lernen, wenn sie ber Inhalte diskutieren, persnliche Erfahrungen austauschen oder Mitschlern Fachinhalte erklren. Die Lehrerrolle besteht beim kooperativen Lernen vor allem darin, eine sichere, entspannte Arbeitsatmosphre herzustellen. Und wenn das Lehrwerk keine passenden Aufgaben fr kooperatives Lernen bietet, mssen Lehrer oder Lehrerin sich entsprechende Aufgabenstellungen ausdenken, Aufgaben, die fr die Lernenden inhaltlich interessant, bedeutungsreich, motivierend und funktional sind. In der Unterrichtsstunde selbst besteht die Arbeit der Lehrerin/des Lehrers vor allem darin, die Aktivitten der Lernenden zu strukturieren und zu begleiten. 18Motivation

Anforderungen an TeamaufgabenKagan (1994), ein amerikanischer Experte in diesem Bereich, hat die Hauptmerkmale des kooperativen Lernens in vier Empfehlungen zusammengefasst (Kasten 1). Diese Empfehlungen im Einklang mit dem Lehrbuch in die Unterrichtsplanung einieen zu lassen, ist fr die Lehrerinnen und Lehrer nicht immerKasten 1

Einige Grundprinzipien fr kooperatives Lernen 1. Positive gegenseitige Abhngigkeit Die Schlerinnen und Schler mssen einen Grund haben, um zusammenzuarbeiten. Sie kommen nur durch Kooperation zu ihrem Ziel oder Endprodukt. 2. Individuelle Verantwortlichkeit Jeder Schler, jede Schlerin muss einen individuellen, kontrollierbaren Beitrag zur Entstehung dieses gemeinsamen Endproduktes liefern. 3. Gleichwertiger Beitrag Alle Beitrge sind gleichwertig und erkennbar. 4. Simultane Interaktion Alle Teams arbeiten gleichzeitig und nutzen die Unterrichtszeit effektiv.in Anlehnung an Kagan 1994

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einfach. Meistens bietet das Lehrwerk nur wenige Aufgaben, bei denen die Lernenden zusammenarbeiten mssen. Darber hinaus muss eine gute Aufgabe bestimmten Anforderungen entsprechen, was in vielen Lehrwerken nicht der Fall ist. Eine Aufgabe, die kooperatives Lernen frdert, zeichnet sich durch zwei Merkmale aus. 1. Die Aufgabe muss inhaltsreich und authentisch sein, damit verschiedene Fertigkeiten gebt werden knnen. 2. Die kommunikativen Teilziele der Aufgabe mssen zu einem Endprodukt fhren, ber welches die Lernenden ihre erworbenen Kenntnisse austauschen und dadurch vertiefen knnen. Auch die Art des sozialen Kontakts beim Lsen der Aufgabe spielt beim kooperativen Lernen eine groe Rolle: Die Lernenden arbeiten auf eine Prsentation ihrer Zwischen- und Endprodukte fr ein interessiertes Publikum hin. Deshalb fhlen sie sich verantwortlich und beschftigen sich ernsthaft mit der Lsung der Aufgabe. Das Schreiben einer Geschichte zum Beispiel lernen sie, indem sie fr ein echtes Leserpublikum schreiben, welches die Geschichte interessant genug nden muss, um seine Meinung dazu zu uern. Ein interessanter und attraktiver Inhalt spielt dabei eine ebenso groe Rolle wie die verwendete Sprache, also passender Wortschatz, Grammatik und Rechtschreibung. Kassettenbriefe oder E-Mails zum Beispiel richten sich an reale Personen, die zurckschreiben und auf den Inhalt reagieren. Dass solche Schreibprodukte letztendlich auch von der Lehrerin oder vom Lehrer beurteilt werden, ist offensichtlich, dennoch ist die Note nicht der wichtigste Motivationsfaktor, sondern die Herausforderung, sich etwas fr andere (fr Mitlernende) oder jemanden auerhalb der schulischen Umgebung auszudenken. Bei dieser Art der Prsentation und des Austauschs spielen auch Kreativitt, Sensibilitt frs Publikum und der Umgang mit Medien eine Rolle. Die Schlerinnen und Schler knnen also ihre Talente zeigen und auf ihre Person aufmerksam machen. Wenn sie dafr Lob und positives Feedback bekommen, wirkt das wiederum motivierend. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie voneinander lernen und das von den anderen bernehmen, was ihnen hilft, die eigenen Leistungen zu verbessern. Fr die Lernenden sind diese Seiten des kooperativen Lernens attraktiv, weil der Unterricht lebendiger wird und es in der Klasse auch um sie selbst geht.

TiefenlernenWarum ist der soziale Kontext so wichtig? Deutschlernende engagieren sich eher fr eine Aufgabe, wenn sie wissen, dass sie das Ergebnis ihrer Arbeit einem interessierten Publikum vorstellen werden. Durch den Nutzen, den sie in ihrer Arbeit sehen, setzt sogenanntes Tiefenlernen ein (Biggs & Moore, 1993). Tiefenlernen ist das Gegenteil von oberchlichem Lernen, wie z.B. das extrinsisch motivierte Lernen fr eine Klassenarbeit. Tiefenlernen ndet statt, wenn die Lernenden Informationen verarbeiten, sie in eigene Worte fassen, Ausdrcke bernehmen, Textteile kategorisieren, kombinieren oder strukturieren und eigene Ideen entwickeln, bis etwas Neues entsteht. Durch kooperatives Arbeiten knnen sie ihr Denken und Handeln im Vergleich mit anderen auf die Probe stellen und die Anwesenheit der Mitlernenden nutzen, um zu ben und Hilfe oder Feedback zu bekommen. Sie beschftigen sich bewusst und intensiv mit sich selbst, mit anderen und mit der Sprache. Dabei entwickeln sie Fertigkeiten, welche sie auch in anderen Schulfchern oder auerhalb der Schule nutzen knnen. So knnen z.B. Schreibfertigkeiten, die in anderen Schulfchern erworben wurden, sehr ntzlich im Fach Deutsch sein.

Zwischen- und EndprodukteDie soziale Komponente des Lernens ist besonders wichtig beim Entwerfen lngerfristiger Aufgaben, die mit einer Prsentation der Ergebnisse auerhalb der Klasse enden. Aber auch bei kurzen Aktivitten, die nicht mehr als 20 Minuten der Unterrichtszeit in Anspruch nehmen, arbeiten die Schlerinnen und Schler sowohl gemeinsam als auch individuell an Teilaufgaben oder Zwischenprodukten, deren Ergebnisse sie regelmig ihren Teams oder der ganzen Gruppe vorstellen. Produkte sind z.B. die (vorlugen) Ergebnisse von kommunikativen Aufgaben, welche die Schlerinnen und Schler gemeinsam bearbeitet haben und die untereinander oder mit dem Lehrer bzw. der Lehrerin besprochen werden knnen. Auf diese Weise knnen die Schlerinnen und Schler zeigen, wie sie selbst den Stoff zu etwas Neuem verarbeitet haben. Die Palette mglicher (Zwischen-)Produkte ist breit: eine Idee, eine Meinung, eine Behauptung, eine Problemstellung, ein Plan, ein Kassettenbrief, ein Video, ein Sketch, ein Gedicht, ein Lied, ein Rap, eine Speisekarte, eine Broschre, eine Zeitung, ein Kalender, Nachrichten, ein Spiel, ein Bericht usw. Solche Produkte knnen einige Arbeitswochen in Anspruch nehmen oder sind das Ergebnis einer 10bis 20-mintigen Unterrichtsaktivitt. 19

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Kasten 2

AufgabentypenSechs Aufgabentypen1 Sammeln und ordnen ... fhrt zu einer Aufstellung von Wrtern und Assoziationen zu einem bestimmten Thema oder zu einem Gedankenschema. Sammeln und ordnen muten fantasielos an, aber bei diesen Ttigkeiten knnen bestimmte mentale Handlungen ausgefhrt werden, z.B.: Brainstorming in der Klasse, zu zweit oder im Team; dabei bringen die Lernenden ihr Vorwissen und ihre Erfahrung ein, denken sich Fragen zum Lernstoff aus, die sie Mitschlern oder anderen Personen stellen, um mehr ber das Thema in Erfahrung zu bringen. 2 Ordnen und sortieren ... fhrt zu einem Schema, einer Grak, einem Diagramm, einer Rangliste, einer Tabelle oder hnlichem. Dabei werden folgende mentale Handlungen ausgefhrt: Handlungen oder Ereignisse chronologisch ordnen, eine Rangfolge fr persnlich oder allgemein bedeutungsvolle Informationen aufstellen, Informationen nach Themen oder nach selbst erdachten Kategorien ordnen. 3 Vergleichen ... von Texten unterschiedlicher Textsorten und dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausstellen. Dabei werden folgende mentale Handlungen ausgefhrt: auswhlen und kombinieren von Texten und Textteilen, Gemeinsamkeiten suchen, Unterschiede feststellen. 4 Untersuchungen ausfhren Hierbei handelt es sich um komplexe Aufgaben, bei denen die Lernenden verschiedene Handlungen ausfhren: planen, begrnden, logisch denken, Hypothesen aufstellen, ber die Herangehensweise verhandeln, ber Alternativen nachdenken, ber Synthese nachdenken und die Ergebnisse prsentieren. Dabei mssen sie Texte auswhlen, Zusammenfassungen schreiben, vergleichen, kombinieren, ergnzen, Kriterien aufstellen oder andere Aktivitten, die zu einer Gruppenuntersuchung gehren, ausfhren. Das Ergebnis ist ein Untersuchungsplan, ein Bericht ber die Ausfhrung der Untersuchung, die Prsentation der Ergebnisse und die Reexion ber die einzelnen Arbeitsphasen und die Zusammenarbeit. 5 Persnliche Erfahrungen austauschen Bei diesen meist sehr offenen Aufgaben sprechen die Lernenden ber sich selbst und teilen sich gegenseitig ihre Erfahrungen mit. Sie fhren also persnliche Gesprche in der Zielsprache. Da die Schlerinnen und Schler sowieso miteinander ber ihre Erlebnisse, vor allem nach dem Wochenende oder nach den Ferien, reden wollen, kombiniert man hier das Ntzliche mit dem Angenehmen. 6 Kreative Aufgaben Hierunter fallen verschiedene kleinere oder grere Projekte, bei denen die Lernenden innerhalb und auerhalb des Unterrichts zusammenarbeiten. Endprodukte knnen ein Theaterstck, eine Ausstellung oder ein Videolm sein, die anderen Klassen oder den Eltern gezeigt werden. Solche Projekte werden oft mit viel Begeisterung ausgefhrt und sind ein gutes Aushngeschild fr die Schule.Die bersicht wurde zum Teil von Willis (1996) bernommen.

Wenn aufgrund der prsentierten (Zwischen-)Produkte deutlich ist, welche Fertigkeiten die Lernenden bereits beherrschen und welche noch nicht, knnen Lehrer oder Lehrerin Aufgaben auswhlen oder anpassen, bei denen bestimmte Fertigkeiten noch intensiver trainiert werden. Bei der Auswahl passender Aufgaben kann man sich auf eine bersicht von Willis (1996) sttzen, in welcher sechs Aufgabentypen mit jeweils unterschiedlichen Endprodukten genannt werden (Kasten 2). Denkbar wre zum Beispiel, dass zu einem Thema aus dem Lehrbuch anhand der Liste von Willis passende Aufgaben zusammengestellt werden, einfachere Aufgaben fr Anfnger, komplexere Aufgaben fr Fortgeschrittene. Bei allen Aufgabentypen geht es um das integrierte ben der Fertigkeiten Lesen, Hren, Sprechen und Schreiben. Die Lernenden fhren die Aufgaben abwechselnd in Zweier- oder Viererteams aus. In ihrer Struktur entsprechen die Aufgaben den Prinzipien kooperativen Lernens, wie sie in Kasten 1 (S. 18) genannt werden: Es gibt ein gemeinsames Ziel und gegenseitige Abhngigkeit. Wichtig dabei ist, dass jeder Schler, jede Schlerin einen gleichberechtigten Beitrag liefert, fr den er oder sie individuell verantwortlich ist. Keiner darf also Arbeit auf andere abschieben. Auch sind alle Lernenden gleichzeitig beschftigt, im Gegensatz zum herkmmlichen Unterricht, bei dem die Lernenden nur selten zu Wort kommen bzw. lang darauf warten mssen, dass sie drankommen. Simultane Interaktion ist vor allem im Sprachunterricht wichtig. In vielen aktuellen Studien (Willis, 1996) wird die Bedeutung eines breiten und vielfltigen Sprachangebots im Fremdsprachenunterricht betont. Dabei knnen Lernende einander helfen. In einer frontal gehaltenen Unterrichtsstunde von 45 Minuten in einer 30-kpgen Klasse htte jeder Schler, jede Schlerin, durchschnittlich hchstens anderthalb Minuten Sprechzeit. In der simultan in Zweiergruppen arbeitenden, kooperativen Klasse wrde sich diese Zeit auf 22 Minuten erhhen, weil abwechselnd die eine Hlfte der Klasse das Wort fhrt, whrend die andere Hlfte zuhrt. Natrlich vergeht noch Zeit durch Arbeitsanweisungen und Organisation, eine Sprechzeit von etwa einer Viertelstunde pro Schler(in) ist aber durchaus zu realisieren. Ein Beispiel fr eine oft verwendete und leicht einsetzbare Teamlernstrategie, welche simultane Interaktion frdert, ist das Drei-Schritte-Interview (Kasten 3).

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Kasten 3 Das Drei-Schritte-Interview In einem Drei-Schritte-Interview tauschen die Lernenden Informationen aus. Dies funktioniert am besten in Vierergruppen. Erster Schritt: Die Vierergruppe besteht aus zwei Paaren, in jedem Paar gibt es einen Befrager und einen Befragten. Zweiter Schritt: Die Rollen innerhalb eines Paares werden getauscht. Dritter Schritt: Die Mitglieder des Vierer-Teams berichten sich gegenseitig, was sie erfahren haben. Fr jeden Schritt haben die Lernenden immer gleich viel Zeit. Sie tragen selbst die Verantwortung dafr, dass diese Zeit eingehalten wird. Das Interview kann sich auf den Unterrichtsstoff, z.B. Literatur, Grammatik oder die Hausaufgaben, aber auch auf persnliche Themen, die nahe am Stoff liegen, beziehen. Zur Einfhrung kann der Lehrer/die Lehrerin das Vorwissen erfragen: Was wisst ihr schon ber dieses Thema?, und am Ende der Stunde: Was habt ihr in dieser Stunde gelernt, wie setzt ihr dieses Wissen ab jetzt ein, wollt ihr noch mehr wissen? Neben dem Austausch von Erfahrungen (Filmtipps, Urlaubsgeschichten) knnen auch Denkfertigkeiten gebt werden. Die Lernenden mssen dann verschiedene Auffassungen verteidigen (einer ist dafr, der andere dagegen) oder beim Interview die Rolle einer Romangur bernehmen.

Abb. (Kasten) 4: Aus: Neue Kontakte, Textbuch S. 32

Ein Brief fr die Villa KunterbuntIn dem Lehrwerk Neue Kontakte, das im schulischen Deutschunterricht in den Niederlanden hug verwendet wird, sollen die Lernenden im Kapitel Villa Kunterbunt (so heit das Kapitel, weil ein Entwurf des sterreichischen Maler-Architekten Hundertwasser fr die kunterbunte Gestaltung einer Schule vorgestellt wird) Kontakte mit Altersgenossen im Ausland knpfen und mit ihnen zum Thema Schule Informationen austauschen, z.B. ber ihren Schulalltag: den Stundenplan, die Lehrer, die Fcher und die Noten. Die Lernenden mssen am Ende des Kapitels in der Lage sein, ber diese Dinge zu informieren und ihre Meinung zu uern. Im Sinne des kooperativen Lernens muss nun zuerst ein Endprodukt festgelegt werden. Wir nden einen Vorschlag zu Beginn des Kapitels: ein Aufruf zu einer Kassettenbrief-Aktion des Jugendmagazins Juma (Abb. 4).

Ein Kassettenbrief bietet viele Lernmglichkeiten. Die Schlerinnen und Schler knnen ihre persnlichen Erfahrungen mit Deutschlernenden aus anderen Lndern vergleichen, sich kreative Varianten fr ihr Produkt ausdenken und eine Antwort aus dem Ausland erhalten. Sie ben sich dabei im Umgang mit Audiogerten, in der Produktion gesprochener Sprache in einer authentischen Situation, wobei ihnen verschiedene Hilfsmittel (z.B. Wrterbuch) zur Verfgung stehen. Darber hinaus trainieren sie kognitive Fertigkeiten wie Brainstorming, Textteile auswhlen, kategorisieren, vergleichen, planen, reektieren und mit Feedback umgehen. Nachdem ein vorluges Endprodukt bestimmt ist, knnen Lehrer oder Lehrerin die Zwischenschritte in Form von Aufgaben und Zwischenprodukten festlegen. Vorlug ist das anvisierte Endprodukt deshalb, weil die Lernenden whrend ihrer Arbeit ja auch noch auf andere Ideen kommen knnen. Vielleicht mchten sie dann lieber eine Videokassette aufnehmen anstelle einer Kassette, oder sie mchten lieber via E-Mail Kontakt aufnehmen. ber die Form des Endprodukts lsst sich grundstzlich verhandeln, ber die inhaltlichen Kriterien, denen das Endprodukt entsprechen muss, meistens nicht. Wenn der Brief einen persnlicheren Anstrich bekommen soll, knnte das Thema Schule beispielsweise durch Lernen, Mein Leben zu Hause und in der Schule oder Das bin ich ersetzt werden. Dann wird ber Hobbys, die Wohnumgebung, die Haustiere oder die Familie berichtet. 21

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Je breiter das Thema gefasst ist, umso mehr eigenes Wissen und eigene Erfahrungen knnen die Lernenden einieen lassen. Auf diese Weise knnen auch Lernende, denen das Thema Schule weniger liegt, ihre Ideen verwirklichen. Da es sich bei dem Lehrwerk Neue Kontakte um ein Anfngerlehrwerk (Grundstufe) handelt, empehlt es sich, den Kassettenbrief zunchst schriftlich vorzubereiten. Wie dabei kooperatives Lernen realisiert werden kann, zeigt Kasten 5. Wenn das Endprodukt, in diesem Fall der Brief fertig gestellt ist, beginnt die Phase des Austauschs und Vertiefens, in der sich die Lernenden des Gelernten bewusst werden und durch Feedback und zustzliche Informationen ihr neu erworbenes

Wissen beurteilen und evaluieren. Ein solcherart aufgabenorientierter, kooperativer Unterricht gliedert sich also in drei Phasen: 1. Orientierung (Motivation und Instruktion der Lernenden) 2. Aufgabenzyklus (planen, ausfhren, und prsentieren der Lernaufgabe) 3. Austausch und Vertiefung (das Gelernte reektieren und auswerten) Ziel dieses dreischrittigen Aufbaus ist es, den Lernenden mglichst viel Verantwortung fr ihr eigenes Lernen zu geben. Dies sollte allerdings das Hauptanliegen jedes Unterrichts sein, denn in die Verantwortung einbezogene Lernende, die an einem autonomen Produkt arbeiten, motivieren sich selbst.

Kasten 5

AufgabenDie Lernenden machen im Team ein Brainstorming zum Thema Lernen oder Mein Leben. Ihre Assoziationen und Ideen schreiben sie mit Filzstift auf ein groes Blatt Papier.

Produkte und FeedbackGedankenschema oder Wortigel mit Inhalten, ber die geschrieben werden kann Feedback im Hinblick auf - den Informationswert der verschiedenen Inhalte fr Lernende in den Niederlanden und in anderen Lndern - die Vielfalt der Inhalte Inhalte in einer Reihenfolge

Die Rolle der Lehrerin, des LehrersZum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Rolle der Lehrenden. Whrend sie in der ersten Phase die Lernenden motivieren, inspirieren und ber die Zwischen- und Endprodukte informieren, haben sie whrend der selbstndigen Arbeit der Lernenden vor allem eine begleitende, moderierende Rolle: Er oder sie tritt mit den Lernenden in Dialog, zeigt sich interessiert, gibt Tipps und Feedback als Ermutigung, hilft gelegentlich mit kleineren Korrekturen. Auch muss gesichert werden, dass die Arbeitsanweisungen deutlich genug sind und verstanden werden; eventuell knnen bestimmte Schritte gezeigt oder das Vorwissen der Lernenden aktiviert werden. Bei der Prsentation der Endprodukte gibt der Lehrer/die Lehrerin auf einfhlsame Weise sein Feedback zu den Vorgehensweisen der Lernenden und zu den Ergebnissen. Wer kooperatives Lernen ins Zentrum des Unterrichts stellt, wird die Erfahrung machen, dass die trockene Schule sich bald in eine lebendige Villa Kunterbunt verwandelt, in der alle gerne miteinander wohnen. Literaturverzeichnis:Das Lehrwerk: Haak, Bert / Mller-Karpe, Beate / Wegdam, Robert: Neue Kontakte. Textbuch 1. Groningen: Wolters-Noordhoff 1998. Biggs, John B. / Moore, Phillip J.: The Process of Learning. New York: Prentice Hall 1993. Haenen, Jacques / Haitink, Annelien: Teamleren op school en in de klas. Leiden: SMD 1998. Kagan, Spencer: Cooperative Learning. San Juan Capistrano, CA: Resources for Teachers 1994. Marzano, Robert J. / Pickering, Debra J. / Pollock Jane E.: Classroom Instruction that Works. Alexandria, VA: ASCD 2001. Slavin, Robert E.: Education for All. Lisse: Swets & Zeitlinger 1996. Willis, Jane: A Framework for Task-Based Learning. Edinburgh Gate: Longman 1996.

Anhand der Kriterien interessant, um darber zu schreiben und fr deutsche Lernende interessant zu wissen whlen die Lernenden Inhalte aus und bringen diese in eine Reihenfolge. Die Lernenden entwerfen zu zweit einen Konzeptbrief und knnen Hilfe suchen im Textbuch, im Wrterbuch, bei ihrem Lernpartner und dem Lehrer/der Lehrerin.

Feedback in Hinblick auf die Inhalte: wie detailreich und vielfltig sind diese? Kurze simultane Prsentationen von zwei Zweiergruppen untereinander, die anderen geben Ratschlge und Ermutigung. Lehrer/Lehrerin beobachtet, geht durch die Klasse, ermutigt usw. simultane Gruppenprsentation Lehrer/Lehrerin gibt mit Blick auf die Endbeurteilung Feedback auf den Brief hinsichtlich Einfhlungsvermgen, Kreativitt, uere Form, Vielfalt des Wortschatzes, Verwendung von Standardausdrcken, und Briefkonventionen. Beurteilung

Die Lernenden revidieren den Brief aufgrund des Feedbacks, denken gemeinsam ber die Form und den Inhalt der Endversion nach, bereiten eine Gruppenprsentation vor; dazu kommen auch Reexionen ber das Produkt (Brief) und den Prozess (ihre Arbeitsweise, die Entscheidungsndung, Unterschiede zum ersten Konzept, ihre Zusammenarbeit usw.). Jeder Schler, jede Schlerin, schreibt nun einen eigenen Brief.

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Motivation Fremdsprache Deutsch Heft 26/2002 Motivation, ISBN 978-3-19-149183-3, Hueber Verlag 2007

Der Fun-FaktorOder: Zum 1x1 der didaktischen VerfhrungVON ANGELIKA RATHS

Ein freier Tag, strahlender Sonnenschein herrlich! Warum um Himmels willen sitze ich am Computer und ringe mit diesem Artikel? Weil ich es will. Seit fnf Jahren lerne ich argentinischen Tango. Mde von der Arbeit schleppe ich mich zum Unterricht, meinen Tanzpartner mchte ich ab und zu wrgen, meine High-heels in die Ecke schleudern. Trotzdem mache ich weiter. Bin ich Masochist? Nein. Die Freude an der Sache berwiegt. Der Spa am Erfolg (auch ist er manchmal noch so klein) ist grer als der Frust. Bei allem, was wir lernen wollen, bleiben wir ,am Ball, auch wenn es Mhe kostet: sprechen, laufen, das Programmieren vom Videorekorder, Tai Chi, Tango-tanzen oder zum Beispiel guten Sprachunterricht geben. Institutionalisiertes Lernen ist berwiegend fremdbestimmt. Andere schreiben vor, was wir lernen mssen Gift fr Motivation. Wer zum Lernen zwingt, muss Motivation, die sonst von selber da ist, erst trickreich mobilisieren. Eine ewige Herausforderung fr alle, die Unterricht geben. Keine leichte Aufgabe. Motivierendes Material kann dabei helfen. Welche Faktoren bestimmen, ob Unterrichtsmate