Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur · (7 Kap. 2) im Akupunktur Lehrbuch und Atlas...

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2.1 · 2.1 Neurophysiologische Grundlagenforschung Die wissenschaĀ liche Grundlagenforschung zur Akupunktur, die seit 1975 in über 500 Arb eiten p ubliziert ist, wir d k urz zus ammengefasst. Nur w enige Pub likati- onen [18, 19] c hinesische Grundlagenforscher werden berücksichtigt, da sie er st in den letzten Jahren in englischer Sprache zugänglich sind. Die zunächst bekannteste neuronale eorie der a nalgetischen Akupunktur- wirkung wurde 1965 von Melzack u. Wall in der »gate control theory of pain« for- muliert. Dies e eorie wir d nic ht mehr a ufrechterhalten, da sic h die h ypothe- tische Vorstellung von neuronalen Schleusen nicht bestätigen ließ. Bereits b eim Düss eldorfer Ak upunktur-Symposium 1988 wur de der S tand der neur ophysiologischen G rundlagenforschung zur Ak upunktur umfass end referiert, die in mehr eren Review-Artikeln in der Scientific Bases of Acupuncture herausgegeben wur den. I n kompetenten Kreisen b estehen k eine Z weifel mehr an der W irksamkeit der Ak upunktur [33]. N ach Übersichtsartikeln [32, 34] des bekannten kanadischen Neurophysiologen Bruce Pomeranz stellt sich die a nalge- tische Wirkung der Akupunktur als Vorgang auf 3 Wirkebenen dar (s. neb enste- hendes Wirkschema): 2 Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur 2.1 Neurophysiologische Grundlagenforschung – 9 2.2 Klinische Untersuchungen – 12 2.3 Modelluntersuchungen ART und Gerac – 20

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2.1 Neurophysiologische Grundlagenforschung

Die wissenschaĀ liche Grundlagenforschung zur Akupunktur, die seit 1975 in über 500 Arb eiten p ubliziert ist, wir d k urz zus ammengefasst. Nur w enige Pub likati-onen [18, 19] c hinesische Grundlagenforscher werden berücksichtigt, da sie er st in den letzten Jahren in englischer Sprache zugänglich sind.

Die zunächst bekannteste neuronale Th eorie der analgetischen Akupunktur-wirkung wurde 1965 von Melzack u. Wall in der »gate control theory of pain« for-muliert. Dies e Th eorie wir d nic ht mehr a ufrechterhalten, da sic h die h ypothe-tische Vorstellung von neuronalen Schleusen nicht bestätigen ließ.

Bereits b eim Düss eldorfer Ak upunktur-Symposium 1988 wur de der S tand der neur ophysiologischen G rundlagenforschung zur Ak upunktur umfass end referiert, die in mehr eren Review-Artikeln in der Scientifi c Bases of Acupuncture herausgegeben wur den. I n kompetenten Kreisen b estehen k eine Z weifel mehr an der W irksamkeit der Ak upunktur [33]. N ach Übersichtsartikeln [32, 34] des bekannten kanadischen Neurophysiologen Bruce Pomeranz stellt sich die a nalge-tische Wirkung der Akupunktur als Vorgang auf 3 Wirkebenen dar (s. nebenste-hendes Wirkschema):

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Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur

2.1 Neurophysiologische Grundlagenforschung – 9

2.2 Klinische Untersuchungen – 12

2.3 Modelluntersuchungen ART und Gerac – 20

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10 Kapitel 2 · Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur

Der Schmerzreiz wird vom Ort der Entstehung, z. B. Gelenk, Haut oder inne-rem Or gan üb er Nervenfasern zunäch st zu den H interhörnern des R ücken-marks geleitet. Hier erfolgt die Umschaltung auf ein zw eites Neuron , das den Schmerzreiz weiter zum Th ala mus und s chließlich zur Hirnrinde , dem Or t der Schmerzwahrnehmung leitet. An den Synapsen der Hinterhörner ist der Neu-rotransmitter Enkephalin und Dynorphin, während im Mittelhirn, Hypothalamus oder Th alamus andere Endorphine (β-Endorphin, Dynorphin) die Reizüb ertra-gung übernehmen. An diesen Synapsen kann man den Schmerz modulieren.

Der N adeleinstich der Ak upunktur f ührt zu einer Reizun g v on Rezep toren der Gruppe II und III, die in den Muskeln liegen. Man verspürt ein Schwere- oder Druckgefühl in der Tiefe, De Qi von den Chinesen genannt, wenn die Nadeln für 10–20 min im Gewebe liegen oder durch Drehen stimuliert werden, um die Reiz-stärke zu in tensivieren. D er Nadelreiz ka nn auch mi t Hilfe elek trischer Impulse verstärkt werden: Man spricht von E lektrostimulation. Die N ervenreize von den Akupunkturnadeln ziehen zunächst zu den Hinterhörnern des Rückenmarks , werden hier mehr fach umgeschaltet, um zu einer s egmentalen Hemmung , der ersten Station der S chmerzleitung zu f ühren, die mi t Hilfe der N eurotransmitter Enkephalin und Dynorphin erfolgt. Dabei kommt sowohl der Schmerzreiz als auch die nicht schmerzhaĀ e Aff erenz der Akupunkturnadel aus dem gleichen Segment.

Neben diesen Aff erenzen, die zu einer s egmentalen Hemmung auf Rücken-markebene führen, werden Nervenreize von Akupunkturnadeln auch zum Mittel-hirn R P und zu N ervenzentren im H ypothalamusgebiet geleitet . Im Mittel-hirn er folgt nac h mehr maliger U mschaltung – zunäc hst im p eriaquäduktalen Grau P , dann in den R aphekernen R – eine a bsteigende Nervenleitung zur ück zu den H inter hörnern im R ückenmark, die hier die er ste Station der S chmerz-leitung hemmen. Enk ephalin und D ynorphin ist der T ransmitter sowohl in den Raphekernen als auch im periaquäduktalen Grau, während die absteigende Hem-mung a uf R ückenmarkebene d urch Monoamine (S erotonin und N oradrenalin) vermittelt wird.

Im H ypothalamusgebiet, der 3. Eb ene der S chmerzhemmung d urch Akupunktur, konnte s owohl eine A CTH- als a uch eine Endo rphinausschüttung (β-Endorphine) nachgewiesen werden.

Han Jisheng vom Pekinger Physiologischen Institut fand ein System von Kern-gebieten im Mittelhirn, das »mes olimbic loop«, das durch Akupunktur aktiviert, Schmerzen reduziert [18, 19]. Dies e mesolimbische Analgesieschleife besteht aus dem periaquäduktalen Grau, Nucleus accumbens und dem Habenula.

In den zur ückliegenden Jahren sind 17 v erschiedene Vorgehensweisen expe-rimenteller F orschung a ufgetaucht, die una bhängig v oneinander die Ak upunk-tur-Endorphin-Hypothese stützen [32, 34]. Die hier beschriebenen Wirkungsme-chanismen wurden zum gr ößten Teil durch neurophysiologische und neur oche-mische Untersuchungen an Versuchstieren gewonnen.

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Abb. .. Wirkschema zur Akupunkturanalgesie [17, 18].

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12 Kapitel 2 · Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur

Zusammengefasst a ktiviert Ak upunktur ein k örpereigenes S ystem der Schmerzkontrolle auf 3 Wirkebenen:1. Auf Rückenmarkebene erfolgt eine s egmentale Hemmung der S chmerzreize

durch nicht schmerzhaĀ e Reize a us Muskelspindeln von Typ II und III, die von den Ak upunkturnadeln kommen. Neurotransmitter ist hier Enk ephalin und Dynorphin.

2. Eine absteigende Hemmung der H interhornneurone, über Monoamine ver-mittelt, er folgt d urch N ervenreize v om M ittelhirn, v om p eriaquäduktalen Grau und vom Raphekern.

3. Nervenreize von den Akupunkturnadeln wirken daneben auf den Hypothala-mus und führen hier zu einer β-Endorphinausschüttung [13].

Neueste Untersuchungen von Heine [21, 22], Anatom an der Universität Herdecke, zeigen, dass Ak upunkturpunkte Perforationen der ob erfl ächlichen Körperfaszie mit durchtretenden Gefäßnervenbündeln entsprechen. Der Vergleich der Lokali-sation von perforierenden Gefäßnervenbündeln durch die oberfl ächliche Körper-faszie (Durchmesser 2–8 mm) an Leichen mit der L age klassischer Akupunktur-punkte ergab einen hohen Grad an Übereinstimmung. Das Gefäßnervenbündel ist im Perforationsbereich in lo ckeres, wasserreiches Bindegewebe gehüllt. Dadurch erklärt sich der niedr igere elektrische Widerstand im B ereich der Ak upunktur-punkte, ein Phänomen, das seit den 60 er Jahren bekannt ist und häufi g zur Loka-lisation von Akupunkturpunkten genutzt wird. Die Perforationsstellen der Gefäß-nervenbündel könnten ein morphologisches Korrelat für die Akupunkturpunkte bilden.

2.2 Klinische Untersuchungen

Hunderte v on k ontrollierten und nic ht k ontrollierten k linischen Arb eiten der letzten 25 Jahre belegen die Wirksamkeit der Akupunktur bei zahlreichen Erkran-kungen. Nach Anal yse der k linischen Akupunkturliteratur zieht Pomeranz [32, 34] 2 wic htige Schlussfolgerungen: 1) Ak upunktur ist b ei der B ehandlung chro-nischer Schmerzen hochwirksam, da sie 55–85 % der Patienten hilĀ ; 2) Akupunk-tur ist wirksamer als Plazebo. Zu diesen beiden Th es en fi nden sich viele weiterfüh-rende Erkenntnise in 7 Kap. 2.3 »Modelluntersuchungen ART und Gerac«.

Für eine B egutachtung d urch die a merikanische Food and Drug Administra-tion (FD A) wur den k ontrollierte k linische U ntersuchungen a usgewertet. Die FDA schlug zur Begutachtung der Wirksamkeit von Akupunktur 5 Gruppen von Erkrankungen vor: chronische S chmerzen, Emesis, A poplex, Erkrankungen des Respirationstraktes und Drogenmissbrauch. Birch u. Hammerschlag [4 a] wählten und analysierten 70 kontrollierte Studien mit dem besten Studiendesign, die signi-

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fi kante Unterschiede zwischen Akupunkturtherapie und Kontrollgruppen zeigten. Aufgrund dieser Studien und der B efragung der FDA von zahlreichen Experten erfolgte 1996 eine K lassifi zierung der Ak upunkturnadeln in die G ruppe II v on medizinischen Instrumenten, die sicher und wirksam sind.

Die Anerkennung der Akupunktur ist auch 1997 einen entscheidenden Schritt weitergekommen: Eine K ommission der a merikanischen National Institutes of Health (NIH) hat nach einer ausführlichen Anhörung von 20 führenden Wissen-schaĀ lern die Akupunkturtherapie positiv bewertet. Die Konsenskommission des NIH kam zur Schlussfolgerung, dass es k lare Beweis gibt, dass die Nadeltherapie wirksam ist, und zwar bei Übelkeit und Erbrechen postoperativ und in B egleitung einer Chemotherapie, bei SchwangerschaĀ sübelkeit und bei postoperativen Zahn-schmerzen.

Die 12-köpfi ge Kommission stellte weiter fest, dass auch bei einer Reihe v on anderen schmerzhaĀ en Zuständen und sonstigen Erkrankungen die Akupunktur wirksam ist als »zusätzliche Methode, als akzeptable Alternative oder als komple-mentäre Th erapie«. B ei dies en Erkra nkungen gib t es jedo ch w eniger g esicherte wissenschaĀ liche Daten als bei der ersten Gruppe.

Diese zweite Gruppe von Erkrankungen beinhaltet Suchterkrankungen, Kopf-schmerzen, M enstruationsschmerzen, T ennisellbogen, Fib romyalgien, R ücken-schmerzen, K arpaltunnelsyndrom, A sthma b ronchiale und Reha bilitation nac h Schlaganfällen.

Die NIH-Kommission stellt weiterhin fest, dass die Nebenwirkungen der Aku-punktur extrem niedrig sind, häufi g deutlich niedriger als die der konventionellen Th erapien. Die K ommission fordert eine K ostenübernahme der Ak upunkturbe-handlung durch die K rankenkassen sowie eine st ändige Verbesserung der Ak u-punkturausbildung, eb enso eine V ereinheitlichung der Z ertifi zierung und der Niederlassungskriterien für Akupunkteure.

Randomisiert kontrollierte Studien RKS (randomized controlled trials, RCT) sind heu te die S tandardmethode zum Nachweis der Wirksamkeit eines Pha rma-kons. Diese Studienmethode kommt aus der klinischen Untersuchung von Medi-kamenten und wur de in den 80 er J ahren auch auf die Ak upunktur unkr itisch übertragen.

Die Wahl eines Plazeb os als K ontrolle f ür die Ak upunktur ist ä ußerst p ro-blembeladen, da die Ein stiche v on N adeln in den K örper a uch a n N icht-Aku-punkturpunkten (Hauptregionen hier Oberarm und Oberschenkel) starke unspe-zifi sche W irkungen ha ben. Die An wendung v on v orgetäuschtem Ein stich, als o ohne N adeleinstich, z. B. nac h der S treitberger-Methode, ist in der k linischen Anwendung s ehr um ständlich; deshalb fi ndet dies e M ethode in S tudien no ch kaum Anwendung [38 a]. Als K ontrollen werden auch nichteingeschaltete TNS (mok TENS) oder übliche Standardtherapien wie Medikamente oder Massage ein-gesetzt.

2.2 · Klinische Untersuchungen

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14 Kapitel 2 · Wissenschaftliche Grundlagen der Akupunktur

Der Einsatz von Sham-Akupunktur wird sehr kritisch diskutiert, da sie v er-mutlich d urch un spezifi sche Endo rphinausschüttung a usgeprägte W irkungen zeigt. D eshalb wurde in vielen Pub likationen der AR T- und G erac-Studien der Begriff »Sham-Akupunktur« nicht mehr verwendet, vielmehr wurden diese proble-matischen Kontrollgruppen mit ausgeprägter Wirksamkeit, die oĀ deutlich höher liegt als b ei der S tandardtherapie, einfac h »M inimalakupunktur«, »G erac-Aku-punktur« oder auch »japanische Akupunktur« genannt (s. dazu auch 7 Kap. 2.3).

Vor k urzem st ellte B rian B erman die Er gebnisse v on syst ematischen Üb er-sichtsarbeiten (systematic reviews) einzelner wic htiger Akupunkturindikationen für die ak tuelle Üb erarbeitung des W issenschaĀ skapitels v on B ruce P omeranz (7 Kap. 2) im Ak upunktur L ehrbuch und A tlas zus ammenfassend dar, aus dem die folgenden Teile in gekürzter Form entnommen sind:

Eine Üb ersicht v on Üb ersichtsarbeiten, die L inde in 2001 v eröff entlichte, führte 3 systematische Reviews zum Th ema chronische Schmerzen bei stationären Patienten auf [25 a]. Alle drei kamen zu dem Er gebnis, dass es n ur begrenzt aus-sagekräĀ ige o der nic ht s chlüssige U ntersuchungsergebnisse zum N achweis der Wirksamkeit der Ak upunktur in der B ehandlung chronischer Schmerzzustände gibt.

Die erste Übersicht von Patel [29 a] stellte 14 randomisiert kontrollierte Studi-en (RKS) vor, in denen Ak upunktur gegen Pseudoakupunktur, Standardbehand-lung oder gar keine Behandlung verglichen wurde. Die Review-Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass den S tudien zufolge die Patienten mit Akupunktur mit 18 % höherer Wahrscheinlichkeit eine V erbesserung er fuhren, jedo ch wurde auf ver-schiedene Verfälschungsmöglichkeiten in den Studien hingewiesen.

Eine weitere Üb ersichtsarbeit von Ter Riet [42 a] stellte 51 k ontrollierte k li-nische Studien vor. Vierundzwanzig kleine Studien von niedriger Qualität zeigten positive, und 27 S tudien zeigten negative Ergebnisse. Die M ehrzahl der S tudien von guter Qualität im Studiendesign war in der negativen Gruppe.

Die neueste und vollständigste systematische Übersicht über Untersuchungen zu chronischen Schmerzen von Ezzo u. Berman [16 a] stellte 51 RKS vor. Einund-zwanzig Studien zeigten positive, 3 S tudien negative Ergebnisse, und 27 S tudien waren unentschieden. Die vielversprechendste Schlussfolgerung, die hier erreicht wurde, besagte, dass es Hinweise von eingeschränkter BeweiskraĀ dafür gab, dass Akupunktur b esser wa r als üb erhaupt k eine B ehandlung. Alle 5 RKS, die dies e beiden Wege mi teinander v erglichen, ha tten p ositive Er gebnisse zugun sten der Akupunktur, jedoch waren zugleich alle fünf von geringer Qualität. Elf RKS verg-lichen Akupunktur gegen physiologisch inerte Kontrollen, wobei 5 Studien posi-tive Ergebnisse erbrachten und 6 S tudien neutrale. Die M ehrheit dieser Studien wurde jedoch als von niedriger Qualität eingestuĀ , daher gibt es hier keine schlüs-sigen B eweise f ür eine Üb erlegenheit der Ak upunktur g egenüber S ham-Aku-punktur. Bei der M essung gegen Sham-Akupunktur zeigten 15 S tudien neutrale

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und 7 positive Ergebnisse. Wenn auch diese Studien die höchste Zahl von metho-disch hochwertigen Untersuchungen aufwiesen, wurde daraus dennoch geschlos-sen, dass die Beweise für eine bessere Wirksamkeit der Akupunktur im Vergleich zu S ham-Akupunktur g egen c hronische S chmerzen no ch unzur eichend s eien. Schließlich b etrachteten die A utoren 12 S tudien, in denen Ak upunktur g egen Standardtherapie untersucht wurde, von denen jedoch alle bis auf eine von nied-riger Qualität waren.

Wenn man auf die Gesamtheit aller Ergebnisse schaut, kann allerdings festge-stellt werden, dass die meisten der hochwertigen Studien mit positiven Ergebnissen mit Schmerzen des Bewegungsapparates zu tun hatten – und dass sich off enbar ein lohnender Bereich für zukünĀ ige Forschung auĀ ut [16 a].

Akupunktur ka nn als B ehandlungsmethode g egen eine Reihe w eiterer Schmerzzustände wie Ar thritis, Fibromyalgie und K opfschmerz eingesetzt wer-den. Z ur Z eit gib t es 4 syst ematische Üb ersichtsarbeiten zu den rheumatischen Erkrankungen [25 a], von denen zw ei das Th ema allgemein behandeln, während die zwei anderen sp ezifi sch auf rheumatoide Ar thritis fokussiert sind. B edauer-licherweise können hier k eine spezifi schen Folgerungen gezogen werden, wegen schlechter Studiendesigns oder der Unmöglichkeit, positive Eff ekte der Akupunk-tur gegenüber denen der Pseudoakupunktur abzugrenzen.

Die Knie-Osteoarthritis-Studie kam zu dem Er gebnis, dass Ak upunktur eine sichere und wirks ame Z usatztherapie ist, im V ergleich zu a lleiniger k onventio-neller Th era pie [4 a].

Die Hüftstudie kam zu dem g leichen Ergebnis. Hier zeigte die Ak upunktur-gruppe einen verminderten Analgetikaverbrauch und abgesenkte WOMAC-Wer-te [19 a].

Über die Fibromyalgie wur de b is da to eine syst ematische Üb ersichtsarbeit durchgeführt [4 a].

Von den 7 Studien, die aufgenommen wurden, war nur eine hochklassig. Die-se Studie legt nahe, dass Akupunktur wirksamer als Sham-Akupunktur die Sym-ptome der Fib romyalgie erleichterte; die Erleichterung war von sofortigem Cha-rakter, die D auer der B esserung nach der B ehandlung ist nich t bekannt. Welche Akupunkturbehandlung mag bei Fibromyalgie besonders wirksam sein? Um sol-che Fragen zu b eantworten sind j edoch mit Sicherheit weitere Studien erforder-lich.

Die Literatur zu Kopfschmerzen ist umfangreicher und zugleich ähnlich wenig eindeutig. Die 6 systema tischen Üb ersichtsarbeiten k ommen a llesamt zu dem Ergebnis, dass es k eine schlüssigen Resultate gibt, die b elegen, dass Ak upunktur signifi kant besser als Sham-Akupunktur oder Physiotherapie sei [25 a]. Die mei-sten A utoren b enennen unzureichende Untersuchungszahlen als G rund f ür die nichtschlüssigen Er gebnisse. Die viel versprechendsten Resul tate st ammen v on Melchart [27 a], der 22 RKS betrachtete. In 14 Untersuchungen wurden echte Aku-

2.2 · Klinische Untersuchungen

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3.1 Die Wurzeln: Tao, Yin und Yang

Die traditionelle chinesische Medizin hat ihre wesentlichen Wurzeln in den natur-philosophischen Vorstellungen des Taoismus, einer P hilosophie, die L aotse 500 v. u. Z. in seinen Grundvorstellungen darstellt.

Die Grundlagen der chinesischen Medizin wurden dann 200 Jahre v. u. Z. in einer k lassischen S chriĀ , dem Huang Di Nei Jing, ausführlich da rgestellt. Dies es »Lehrbuch der inner en (p hysischen) M edizin des G elben K aisers« ist in F orm eines Dialogs zwischen Huang Di, dem G elben Kaiser, und s einem Arzt C hi Po abgefasst.

Der Wandel der Natur wurde von den Chinesen nicht als das Werk eines gött-lichen Schöpfers betrachtet, sondern als A usdruck der inner en Gesetzmäßigkeit der Natur, die »Tao« (Dao gelesen) genannt wurde. Das Tao, das ob erste Natur-prinzip, das Weltgesetz, wird von Laotse im »Tao Te King« beschrieben. In den zahl-reichen Übersetzungen des Tao Te King wird Tao als »Sinn«, »Weg«, »Bahn«, »Das Eine« wiedergegeben.

Das Tao, die s chöpferische U rkraĀ , erzeugt das p olare S pannungsfeld der KräĀ e in der N atur zwischen Yin und Yang (Yin wird In gelesen, Yang wie Jang).

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Philosophischer und theoretischer Hintergrund

3.1 Die Wurzeln: Tao, Yin und Yang – 37

3.2 Die Lebensenergie Qi – 39

3.3 Das Entsprechungssystem der 5 Wandlungsphasen – 41

3.4 Pathogenese und Äthiologie in der chinesischen Medizin – 42

3.5 Diagnostik in der chinesischen Medizin – 48

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38 Kapitel 3 · Philosophischer und theoretischer Hintergrund

Aus diesem Spannungsfeld der komplementären Yin- und Yang-KräĀ e entstehen alle Dinge. Tao als das unma nifestierte schöpferische Urprinzip der Natur ist die Grundlage aller dynamischen Wandlung und aller Lebensvorgänge.

Neben der V orstellung v om Tao sp ielt das p olare und k omplementäre Yin-Yang-System eine grundlegende Rolle in der chinesischen Naturbeschreibung der Antike. Die ur sprüngliche B edeutung v on Yang, die sic h im al ten c hinesischen SchriĀ zeichen spiegelt, ist die sonnige Seite des Hügels, während Yin die Schatten-seite symbolisiert. Der Himmel ist Yang, die Erde Yin; männlich ist Yang, weiblich Yin; warm ist Yang, kalt ist Yin; aktiv Yang, passiv Yin. Alle G egensatzpaare der Natur werden so dieser Yin-Yang-Polarität zugeordnet.

Yin und Yang ergänzen sich im dynamischen Wechselspiel in unaufh ö rlichen Prozessen der Umwandlung und führen zur Harmonie der Ganzheit. Es gibt kein Yin ohne Yang, beide KräĀ e ergänzen sich immer zur Ga nzheit, das im Chine-sischen Taiqi heißt.

Dieses p olare S ystem ist g erade in der M edizin b ei der B eschreibung der Lebensvorgänge i m me nschlichen K örper u nd d eren S törungen von g roßer Bedeutung.

Tab. .. P olares Yin-Yang-Entsprechungssystem.

Yin Yang

Empfangende Schöpferische

Erde Himmel

Negativ Positiv

Körper

Ventral Dorsal

Innen Außen

Unten Oben

Körperinnere Oberfl äche

Innere Organe Haut

Funktionen

Hypofunktion Hyperfunktion

Schwäche Lebensenergie, Qi Fülle

Mangeldurchblutung Hyperämie

Kälte Hitze

Degeneration Infektion

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3.2 Die Lebensenergie Qi

Das Tao bringt im Wechselspiel der komplementären Yin- und Yang-KräĀ e nach chinesischer Vorstellung die Lebensenergie »Qi« hervor. Qi ist die Lebenskraft der Natur, die V italität, die allem L ebendigen innewohnend, sie ist gr undlegend für die chinesische Naturbeschreibung. Die c hinesische Konzeption dieser Lebense-nergie geht über die westliche physikalische Energievorstellung weit hinaus. Des-halb ist die Üb ersetzung v on Qi als »L ebensenergie« nic ht b efriedigend. Qi ist nach der al ten Wade-Giles-Transkription der c hinesischen Sprache als »Chi« zu fi nden, im Japanischen »Ki«.

Die L ebensenergie Qi ka nn a us i hren W irkungen er fasst w erden. Qi fl ießt ständig. J ede S tagnation b edeutet S törung der L ebensvorgänge und s chließlich vollständiger Stillstand, den Tod. Das kosmische Qi fl ießt nach chinesischer Auf-fassung überall in der Natur, im Wasser der Flüsse, in der LuĀ , im Wind.

Im men schlichen K örper s ammelt sic h Qi in den Or ganen, die a uch S pei-cher genannt werden, und fl ießt in B ahnen, die c hinesisch Jing und Luo heißen. Jing bedeutet durchfl ießen oder Kanal, Luo bedeutet Verbindung. Sensible Men-schen spüren während der Ak upunkturbehandlung das Fließen des Qi, o Ā ver-bunden mit einem Gefühl des Kribbelns und der daraus erwachsenden Lebendig-keit. Häufi g sagen Patienten, dass sie sic h aufgeladen fühlen, vitaler und ak tiver. Die »Qi-Kanäle« oder Leitbahnen wurden aufgrund ihrer polaren Anordnung mit dem Meridiansystem der Erde verglichen und folglich Meridiane genannt.

Nach chinesischer Vorstellung fl ießen im Körper Qi und Blut gemeinsam im Körper. Wenn das Fließen von Qi gestört ist, fl ießt auch das Blut nicht harmonisch und umgekehrt. In diesem Zusammenhang wird Qi der Y ang-Polarität und das Blut, chinesisch Xue, dem Yin zugeordnet.

Im menschlichen Körper gibt es nach chinesischer Vorstellung verschiedene Formen von Qi:

In der Lunge wird das Qi aus der AtemluĀ aufgenommen. Dieses Qi des Atems wird » Zong Qi«, »D a-Qi«, »Yang-Qi« o der »Kong-Qi« g enannt, w eil es v on oben, vom Himmel, Yang, kommt. Durch Beachtung der entspannten Atmung mit der Verlängerung des Ausatmung während der Akupunktur kann man das Fließen des Qi unterstützen.Aus der Nahrung wird durch die Verdauung »Nähr-Qi«, chinesisch »Ying-Qi«. Eine a usgeglichene N ahrung b zw. wä rmende N ahrungsmittel k önnen die LebenskräĀ e bei geschwächten Patienten stärken.Die 3. wich tige Quelle der L ebensenergie im K örper ist das »Erb-Qi«, » Yuan Qi«, das von den Eltern ererbt wird, das das Wachstum und die En twicklung des Menschen bewirkt. Dieses Ursprungs- oder Anzestrale Qi wir d im N ie-rensystem gespeichert.

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3.2 · Die Lebensenergie Qi

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40 Kapitel 3 · Philosophischer und theoretischer Hintergrund

Die Funktionen der Organe und der en verschiedene L eistungen werden von der Lebensenergie, das den Or ganen inne wohnt, her vorgebracht. Die A tmung als Funktion der Lungen, die Verdauung der Nahrung als Funktion des Magens und Darmes sind Ausdruck des Wirkens vom Qi dieser Organe. Die Lebensenergie Qi reguliert auch die Quantität der Funktionen. Ist das Qi eines Organs schwach, ist die Funktion dieses Organs nur unvollständig. Ist die Lebensenergie Qi jedoch in Fülle, so ist die Funktion überschießend.

Nach chinesischer Vorstellung durchfl ießt Qi den ganzen Körper, ähnlich wie die Flüsse die Kontinente durchlaufen. Die Meridiane, auch Leitbahnen genannt, die »Energiefl üsse« des Körpers, führen das »Meridian-Qi«, das sog. »Jing-Qi«, das durchfl ießende Qi.

Die Lebensenergie Qi hat im Körper vielfältige Funktionen zu erfüllen:Sie ist die Quelle der Bewegungen, nicht nur der willkürlichen Bewegungen, sondern auch der Bewegungsvorgänge der Atmung und der unwillkürlichen Darmbewegung.Die Funktionen von inneren Organen wie Atmung oder Verdauung sind vom Qi dieser Organe abhängig.Auch die psy chische Aktivität und V italität ist A usdruck der Qi-K räĀ e und wird »Shen« genannt.Eine weitere Funktion von Qi ist die V erdauung, d. h. die Umwandlung von Nahrung in Blut und andere KörpersäĀ e.Auch die Erzeugung von Wärme im Körper ist eine der Aufgaben von Qi.Mit Hilfe von Qi s ondert der K örper die giĀ igen Abfallprodukte aus. Diese Funktion schließt aber auch die Speicherung von wichtigen Nährstoff en ein.Die Lebensenergie Qi hat außerdem die Aufgabe, den Körper vor schädlichen Einfl üssen von außen, z B. vor krankmachenden Wettereinfl üssen, zu s chüt-zen. Diese Schutzfunktion von Qi ist besonders wichtig in der Prophylaxe von Krankheiten. Dies es »Abwehr-Qi« wir d » Wei-Qi« g enannt und k onzentriert sich hauptsächlich auf der Oberfl äche des Körpers.

Das Qi ist ein erfahrbares Phänomen. Im Qi Gong, einer prophylaktischen Atem- und Meditationsmethode, lernt man das Qi wahrzunehmen, meist als ein Fließen im Körper oder einer Art Ladung oder einem Gefühl erhöhter Präsenz. Qi Gong das »Üben des Qi« ist eine w esentliche Methode zum Kultivieren der Wahrneh-mung des Qi-Phänomens. Methoden, wie das ja panische Reiki sind in den 90 er Jahren in Mode gekommen und werden zunehmend von Laientherapeuten ange-wendet.

Nach dem S etzen der Ak upunkturnadeln treten Empfi ndungen wie Schwe-re, Dr uck, Wärme, K ribbeln o der Fließen a uf, die als A usdruck der B ewegung und Veränderung des Qi g ewertet werden. Sie werden De-Qi-Sensation genannt und sind eine wichtige Voraussetzung für eine wirksame Akupunktur. De Qi wird

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durch das Drehen, d. h. der manuellen Nadelstimulation verstärkt und fördern die Wirksamkeit der Akupunkturanwendung.

3.3 Das Entsprechungssystem der 5 Wandlungsphasen

Neben dem Yin-Yang-System, das dem Verständnis polarer Vorgänge diente, wur-de im 3. vorchristlichen Jahrhundert das System der »fünf Wandlungsphasen«, chine-sisch Wu Xing, zur Kategorisierung von phasisch ablaufenden Vorgängen schon ein-geführt. Bei diesem System handelt es sich um ein Entsprechungssystem, in dem phy-sische Abläufe oder Phänomene in 5 Wandlungsphasen eingeordnet werden. Dieses

Tab. .. Entsprechungssystem der 5 Wandlungsphasen.

Elemente Jahreszeiten Farben Entwicklungsstufen Richtungen

Holz Frühling Grün Geburt Osten

Feuer Sommer Rot Wachstum Süden

Erde Spätsommer Gelb Wandlung Mitte

Metall Herbst Weiß Ernte Westen

Wasser Winter Schwarz Sammlung Norden

Abb. .. Fünf Wandlungsphasen. Sheng und Ke-Zyklus.

3.3 · Das Entsprechungssystem

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42 Kapitel 3 · Philosophischer und theoretischer Hintergrund

System trug zur Vereinheitlichung des antiken naturphilosophischen Weltbildes bei. Von der tradi tionellen chinesischen Medizin wurden verschiedenste Naturvorgän-ge und prozesshaĀ e Abläufe in dieses System von 5 abstrakten Grundfaktoren einge-ordnet. Die 5 Wandlungsphasen sind Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser. Diese 5 Grund-faktoren stehen in einer innig en wechselseitigen Beziehung der gegenseitigen Her-vorbringung oder Förderung, wie auch der Hemmung bzw. Kontrolle zueinander.

Bei den 5 Wandlungsphasen handelt es sich um abstrakte Symbole, vergleich-bar mit algebraischen Symbolen, wie A, B, C oder x und y, die zu einem logischen Entsprechungssystem angeordnet sind. S o lass en sich mit dies em System empi-risch gewonnene Beobachtungen systematisieren (. Tab. 3.2).

Viele G egebenheiten und V orgänge in der M edizin, z. B. die F unktion v on inneren Organen, Geweben, Sinnesorganen usw., lassen sich in die 5 Wandlungs-phasen einordnen (. Tab. 3.3).

3.4 Pathogenese und Ätiologie in der chinesischen Medizin

Nach traditioneller chinesischer Vorstellung beruhen die meist en Erkrankungen auf S törungen im ha rmonischen Fließen der L ebensenergie Qi. En tweder liegt eine Fülle oder eine Schwäche der Lebensenergie in den Organsystemen und Meri-dianen vor. Auch eine Stagnation bzw. Blockade des Qi in den Meridianen und in einigen Organen ist möglich.

Eine Schwäche von Qi nenn t ma n S chwächestörungen o der a uch L eerestö-rung, c hinesisch Xu. S ie ist d urch unzureichende Funktion der en tsprechenden Organe gekennzeichnet. Dann ist z. B. die Verdauungstätigkeit des Darms unvoll-

Tab. .. K lassifi zierung nach den 5 Wandlungsphasen.

Ele-mente

Innere Organe

Hohlorgan Sinnes-organ

Körper-schicht

Gefühl Klima-tische Faktoren

Holz Leber Galle Auge Muskel Zorn Wind

Feuer Herz Dünndarm Zunge Blutgefäße Freude Hitze

Erde Milz Magen Mund Binde-gewebe

Besorgnis Feuchtig-keit

Metall Lunge Dickdarm Nase Haut Traurig-keit

Trocken-heit

Wasser Niere Harnblase Ohr Knochen, Gelenke

Angst Kälte

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74 Kapitel 4 · Meridiane, Organe und Punkte

4.3.3 Proportionale Messung

Die P roportionen der K örperteile, z. B. Unterarm, Ob erarm, Ob erschenkel usw. st ehen in einem f esten Verhältnis zueina nder, das in C un a usdrückbar ist (. Abb. »Körperproportionen in Cun«).

Vordere zur hinteren Haarlinie in der Mittellinie5 12 CunAugenbrauen, Haaransatzabstand5 3 CunDorsale Haarlinie zum Prominenz5 3 CunAbstand der beiden Mamillen5 8 CunRippenabstand5 1 CunAbstand zwischen Nabel und Xiphoidspitze5 8 CunAbstand zwischen Nabel und Symphysenoberrand5 5 CunAbstand zwischen Axillarfalte und Ellbogenbeugefalte5 9 CunAbstand zwischen Ellbogen und Handgelenkbeugefalten5 12 CunAbstand zwischen Trochanter major und Patellamitte5 19 CunAbstand zwischen Patellamitte und lateralem Malleolus5 16 Cun

4.3.4 Lokalisation durch Einnehmen einer besonderen Lage

Der Patient wird aufgefordert, eine besondere Lage einzunehmen, die zur Punkt-lokalisation günstig ist.

Beispiele:Di. 4 Hegu wird bei adduziertem Daumen am höchsten Punkt des entstehenden Muskelwulstes genadelt.Di. 11 Quc hi wird b ei rechtwinklig gebeugtem E llbogen am lateralen Ende der Beugefalte lokalisiert.MP. 10 Xuehai wird bei gebeugtem Knie auf der Mitte des Muskelbauches des M. vastus medialis aufgesucht.

4.3.5 Lokalisation mit Hilfe von Hautwiderstandsmessung

Viele, v. a. peripher gelegene Akupunkturpunkte weisen einen erniedrigten Haut-widerstand g egenüber der U mgebung a uf. M it ha ndelsüblichen W iderstands-messgeräten für Akupunkturpunkte, die den H autwiderstand akustisch oder mit einem Zeigerausschlag darstellen, gelingt es, Akupunkturpunkte mit erniedrigtem Widerstand genau zu lokalisieren. Diese Methode wird auch häuĀ g zur Überprü-

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75 44.3 · Methoden der Punktelokalisation

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76 Kapitel 4 · Meridiane, Organe und Punkte

fung und Präzisierung der Punktlokalisation nach anderen Methoden herangezo-gen. Sie sei v. a. wenig geübten Akupunkteuren empfohlen. In der Ohrakupunk-tur kommt dieser Methode eine besondere Bedeutung zu, da auf der Ohrmuschel Regionen, die dem erkra nkten Organ entsprechen, eine Er niedrigung des H aut-widerstandes er fahren. S o k ommt dem A ufsuchen v on S tellen mi t nie drigerem Hautwiderstand auf der Ohrmuschel eine diagnostische Rolle zu, da fast nur Stel-len, die den erkra nkten Organen oder erkrankten Regionen entsprechen, solche Veränderungen aufweisen.

4.3.6 Lokalisation, indem man andere Punkte als Ausgangspunkt wählt

Beispiele: Ex. 6 Sishencong wird 1 Cun vor, neben und hinter Du 20 Baihui loka-lisiert. Ma. 40 Fenglong und Ma. 38 Tiaokou wird ausgehend vom Punkt Ma. 36 Zusanli aufgesucht.

4.3.7 Aufsuchen von Punkten, die schmerzhaft sind

Diese Punkte werden Ah-Shi-Punkte (Locus dolendi) genannt und g ehören nicht notwendigerweise zu den systema tisierten Ak upunkturpunkten. Die N adelung dieser dr uckdolenten Pun kte a ls lo kale Ak upunkturpunkte ist b esonders b ei Gelenkerkrankungen von Bedeutung. In klassischen Texten heißt es »Wo Schmerz ist, beĀ ndet sich auch ein Punkt«. Auch das Aufsuchen von Stellen mit Hautverän-derungen, d. h. leichte Rötung oder Schuppung der Haut, ist sowohl von diagnos-tischem als auch therapeutischem Nutzen. Gerade bei der Ohrakupunktur achtet man besonders auf Hautveränderungen und nadel t diese Punkte. Jedoch dürfen Stellen mit ekzematösen Veränderungen nicht genadelt werden.

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77 44.3 · Methoden der Punktelokalisation

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78 Kapitel 4 · Meridiane, Organe und Punkte

4.4 Systematische Darstellung der Meridiane und Punkte

4.4.1 Lungenmeridian L u.

Wandlungsphase: MetallGewebe: HautSinnesorgan: Nase, GeruchssinnGekoppeltes Organ: Dickdarm

Maximalzeit: 3–5 UhrVentraler Alarmpunkt, Mu-Punkt: Lu. 1 ZhongfuDorsaler Segmentpunkt, Shu-Punkt: Bl. 13 Feishu (lateral von Th 3)Der L ungenmeridian ist ein Y in-Meridian und b ildet mi t dem M ilz-Pankreas-Meridian die Tai-Yin-Meridianachse.

Verlauf: D er L ungenmeridian b eginnt a n der la teralen Th oraxwand im 1. I CR, zieht dann über den Ob erarm, die radiale S eite des Unterarms zum Handgelenk und endet am radialen Nagelwinkel des Daumens.

Klinische Bedeutung: Pun kte des L ungenmeridians w erden b ei der B ehandlung von Erkrankungen des Respirationstraktes des Rachens, der Nase, bei Hauterkran-kungen sowie schmerzhaft en Störungen im Verlauf des Meridians angewendet.

Im Folgenden werden nur die wichtigsten Akupunkturpunkte beschrieben.

Wichtige Punkte Punktekategorien, Bedeutung

Lu. 1 Zhongfu Mu, Alarmpunkt

Lu. 5 Chize He-Punkt, Sedierungspunkt

Lu. 7 Lieque Luo → Di. 4 HeguLungenerkrankungenFernpunkt für die NackenregionSchlüsselpunkt für das Ren Mai

Lu. 9 Taiyuan Yuan-Punkt (Yunn), Tonisierungspunkt Meisterpunkt für das Gefäßsystem

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79 44.4 · Meridiane und Punkte