PraktPhil_3

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Prof. Dr. Achim Lohmar Einführung in die Praktische Philosophie 3. Vorlesung, 23.04.2013

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Prof. Dr. Achim Lohmar

E i n f ü h r u n g i n d i e

P r a k t i s c h e P h i l o s o p h i e

3. Vorlesung, 23.04.2013

©Achim Lohmar 2

Das Prinzip der Moral

■ Hypothetische und kategorische Imperative

Kant unterscheidet zwischen:

(a) hypothetischen Imperativen und

(b) kategorischen Imperativen

Bei hypothetischen Imperativen unterscheidet Kant zwischen

(c) Imperativen der Geschicklichkeit (= technische Imperative) und

(d) Imperativen der Klugheit (= pragmatische Imperative).

● (a) und (b) stellen eine v o l l s t ä n d i g e D i s j u n k t i o n dar: Ein Imperative (eine

Vorschrift) ist genau dann kategorisch, wenn sie nicht hypothetisch ist.

● Ebenso (c) und (d): eine hypothetischer Imperative ist genau dann ein Imperativ der Geschick-

lichkeit, wenn er kein Imperativ der Klugheit ist.

©Achim Lohmar 3

Das Prinzip der Moral

● HI sind bedingte Vorschriften/Gebote:

HI „stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel, zu etwas anderem,

was man will (oder doch möglich ist, dass man es wolle) zu gelangen vor“ (BA 39).

► Die von HI behauptete praktische Notwendigkeit der Handlung ist eine bedingte Notwendigkeit:

Sie ist a l s M i t t e l zu einem gegebenen Zweck geboten (= praktisch notwendig).

● Schreibt ein Imperativ eine Handlung als Mittel zur Glückseligkeit des Handelnden vor, ist er ein

I m p e r a t i v d e r K l u g h e i t .

● Wird die Handlung als Mittel zu einem anderen Zweck als Glückseligkeit vorgeschrieben, handelt

es sich um einen I m p e r a t i v d e r G e s c h i c k l i c h k e i t .

©Achim Lohmar 4

Das Prinzip der Moral

● KI sind u n b e d i n g t e Vorschriften/Gebote.

Ein KI ist ein solcher, „welcher die Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen Zweck, als

objektiv-notwendig vorstellte.“ (Ebd.)

► Die von KI behauptete praktische Notwendigkeit einer Handlung ist eine unbedingte Notwen-

digkeit: Handlung ist als solche geboten.

► Der Unterschied zwischen KI und HI ist kein grammatischer/syntaktischer, sondern ein

s e m a n t i s c h e r .

► Es gibt kein grammatisches/syntaktisches Kriterium zur Unterscheidung.

Bsp.: „Essen Sie weniger tierische Fette!“ (HI); „Nehmen Sie nun einen Schraubenzieher und ziehen

Sie die Schraube möglichst fest an!“ (HI); „Wenn Du es versprochen hast, musst du es auch tun!“

(KI).

©Achim Lohmar 5

Das Prinzip der Moral

● Kant identifiziert KI mit Geboten (Gesetzen) der Sittlichkeit:

(a) Alle KI sind moralische Imperative UND (b) alle moralischen Imperative sind KI.

● Mit (b) vertritt Kant eine wichtige Theorie über die Bedeutung des moralischen Sollens: der

Begriff des moralischen Sollens ist der Begriff eines kategorischen Sollens.

► Es gibt nicht n u r e i n e n KI, sondern m e h r e r e KI.

Da die Einteilung in HI und KI logisch vollständig ist, würde aus der Annahme, es gäbe nur

einen KI, folgen: dass alle Vorschriften außer dem KI nur hypothetischer Natur sind.

Aber das nimmt Kant klarerweise nicht an! Er glaubt z. B. nicht, dass man, wenn man keine

Neigung zum Helfen hat, Hilfeleistungen einfach unterlassen könnte.

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Das Prinzip der Moral

● Dennoch ist der KI etwas ganz Besonderes.

(1) Für alle besonderen kategorischen Vorschriften/Gebote/Imperative gilt: Ihre Kategorizität ist

'abgeleitet'.

Moralische Gebote drücken nicht nur die Verbindlichkeit einer Handlung aus, sondern haben

praktische Autorität: Akteure sollen sich diesen Geboten entsprechend verhalten.

Die praktische Autorität besonderer Gebote ist eine 'geerbte' Autorität: Sie haben Autorität weil

sie aus einem zugrundeliegenden Prinzip – dem KI – resultieren, das intrinsische Autorität hat.

(2) Der KI muss sich daher von anderen KI auch von seinem Gehalt her grundsätzlich unter-

scheiden.

Er ist ein Imperativ höherer Stufe, der sich nicht direkt auf Handlungen bezieht (Objekte des

Wollens) sondern auf Bestimmungsgründe des Willens.

©Achim Lohmar 7

Das Prinzip der Moral

■ Wie können wir wissen, welchen Gehalt der KI hat?

● Kants Idee ist:

Der Inhalt des KI lässt sich entdecken durch Reflexion auf den Begriff eines KI:

Welche Bedingungen muss eine praktische Vorschrift erfüllen, um absolut verbindlich zu sein?

● Reflexion auf diesen Begriff ergibt den kategorischen Imperativ :

Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derje­

nigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

(GMS, BA 52).

©Achim Lohmar 8

Das Prinzip der Moral

■ Was sind Maximen?

Maxime ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. i. dasjenige, was

allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würde, wenn

Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische Gesetz. (BA

16).

● Maximen sind subjektive Prinzipien des Wollens in dem Sinne, dass sie Handlungsregeln sind,

die ein handelndes Subjekt zur Grundlage seiner Entscheidungen macht und die es in seinem

Handeln wirklich befolgt.

► Wichtig: Nach dieser Erklärung schließen sich ‚subjektiv’ und ‚objektiv’ keineswegs aus!

„Objektiv“: gültig für alle (=alle möglichen) Vernunftwesen; „subjektiv“ bedeutet aber n i c h t :

nicht für alle Vernunftwesen gültig“.

©Achim Lohmar 9

Zusammenfassung 1

● In der GMS präsentiert Kant die Suche nach dem Prinzip der Moral als Suche nach dem Prinzip

eines guten Willens.

● Ein Prinzip der Moral muss ein Prinzip moralischer Verhaltensregeln oder Handlungsvor-

schriften sein.

● Moralische Handlungsvorschriften sind kategorische und keine hypothetischen Imperative.

● Kategorische Imperative drücken die unbedingte praktische Notwendigkeit einer Handlung aus,

hypothetische Imperative lediglich eine bedingte Notwendigkeit.

● Alle moralischen Gebote sind kategorische Imperative.

● Das Prinzip der Moral ist das Prinzip aller besonderen moralischen Gebote: Deren praktische

Autorität ist ein Resultat dieses Prinzips – des kategorischen Imperativs.

©Achim Lohmar 10

Zusammenfassung 2

● Der Gehalt des KI lässt sich nach Kants Auffassung alleine durch eine Reflexion auf den Begriff

einer absolut verbindlichen (kategorischen) Handlungsvorschrift gewinnen.

● Absolute Verbindlichkeit verlangt strikte Allgemeingültigkeit der Maxime oder Unabhängigkeit

der Gültigkeit der Maxime von den Neigungen der handelnden Subjekte.

● Das Prinzip der Moral schreibt daher die Gesetzmäßigkeit der Maxime vor: Die Fähigkeit der

Maxime eine Maxime aller vernünftigen Wesen sein zu können.

Es bezieht sich also nicht auf Handlungen, sondern auf die Bestimmungsgründe des Willens.

● Kants Idee ist damit: Moralische Gebote sind Gebote der Vernunft. Ihre Verbindlichkeit ergibt

sich aus ihrer Vernünftigkeit

● Der KI ist das Prinzip der praktischen Vernunft (= der Vernunft insofern sie den Willen bestimmt)

● Der gute Wille ist dann der vernünftige Wille.

©Achim Lohmar 11

Die 'Formeln' des kategorischen Imperativs

■ Kant selbst spricht ausdrücklich von drei Formeln des KI („drei Arten, das Prinzip der Sittlichkeit

vorzustellen“ (BA 79).

D i e U n i v e r s a l i s i e r u n g s f o r m e l

[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein

allgemeines Gesetz werde. (§ 29, BA 52).

D i e Z w e c k f o r m e l

Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden

anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. (BA 66/7)

©Achim Lohmar 12

Die 'Formeln' des kategorischen Imperativs

Die Reich-der-Zwecke-Formel [Besser: „Gesetzgebungsformel“]

Variante 1:

[Handle nur so] dass der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein

gesetzgebend betrachten könne. (BA 76)

Variante 2:

[...] ein jedes vernünftige Wesen [muss] so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit

ein gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reich der Zwecke wäre. (BA 84)

©Achim Lohmar 13

Die Universalisierungsformel

[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines

Gesetz werde. (§ 29, BA 52).

● Maximen sind subjektive Prinzipien: Prinzipien, nach denen eine Person S wirklich handelt.

Sie sind Ausdruck des Willens einer Person S und beziehen sich auf eine von S gewollte

Handlung.

● Die ‚Gewolltheit’ einer Handlung H (durch S) impliziert nichts im Hinblick auf den deonti-

schen/moralischen Status von H (ihre Erlaubtheit).

● Die Frage nach der Erlaubtheit einer Handlung lässt sich übersetzen in die Frage, ob jedes

vernünftige Subjekt die Handlung wollen könnte.

► Wenn ein vernünftiges Subjekt H nicht wollen kann, ist die Maxime nicht fähig ein Gesetz zu

sein und die Handlung ist widervernünftig oder praktisch unmöglich (= verboten).

©Achim Lohmar 14

Die Zweckformel

Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen,

jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. (BA 66/7)

● Maximen hat man nicht einfach, sondern man macht sie sich zu eigen (es sind ‚selbstauferlegte

Regeln’ (BA 84).

● Der Grund, aus dem man sich eine Maxime zu eigen macht, ist immer ein Zweck. Ebenso auch:

der Grund, aus dem man eine Maxime M verwirft (und damit sich non-M zu eigen macht) ist ein

Zweck.

● Wären alle Zwecke optional, hinge jeder Grund, sich eine Maxime zu eigen zu machen/zu ver-

werfen von der Willkür von Personen ab: d.h. alle Imperative wären HI.

● Die Existenz moralischer Verpflichtungen setzt daher voraus: dass es Zwecke gibt, die nicht

von subjektiver Zwecksetzung abhängig sind.

©Achim Lohmar 15

Die Zweckformel

● Etwas, das ein Zweck ist, aber nicht deshalb Zweck ist, weil ein Subjekt es sich zum Zweck

gemacht hat, ist ein Zweck an sich selbst:

● Was Zweck an sich selbst ist, ist aber Zweck nicht im Sinne von Gegenständen von Intentio-

nen/Plänen, sondern Zweck in einem ‚negativen’ Sinn: ein selbständiger Zweck (BA 83) etwas,

das a l s Z w e c k e x i s t i e r t .

● Was als Zweck existiert (Zweck unabhängig davon ist, ob irgendjemand seine Existenz sich

zum Zweck macht) ist eine Grenze für die Zwecksetzung vernünftiger Wesen: es darf nicht nur

als Mittel gebraucht werden.

● „(...) der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an sich selbst“.

(BA 64)

©Achim Lohmar 16

Die Reich-der-Zwecke-Formel

[...] ein jedes vernünftige Wesen [muss] so handeln, als ob es durch seine Maximen jederzeit ein

gesetzgebendes Glied im allgemeinen Reich der Zwecke wäre. (BA 84)

● Ein Reich der Zwecke ist eine Verbindung (Vereinigung) von Vernunftwesen (den Zwecken). Die

Verbindung/Vereinigung zu einem Ganzen ergibt sich durch praktische Gesetze

.

● Ein Reich der Zwecke ist: ein Reich, in dem jeder als Zweck an sich mit jedem als Zweck an

sich verbunden ist.

● Ich wäre nicht a l s V e r n u n f t w e s e n Teil eines ‚Reichs’, wenn ich lediglich Regeln folgen

würde (müsste), die andere mir auferlegt haben. Also:

► Als ‚Glied’ im RZ kann ich mich nur betrachten, wenn ich mich auch als gesetzgebend im RZ

betrachte.

D.h. ich muss die Maximen, die ich mir zu eigen mache, zugleich als (durch die ‚Selbstauf-

erlegung’) allen anderen auferlegt denken.

©Achim Lohmar 17

Die Reich-der-Zwecke-Formel

● Um mit den anderen aber als mit anderen Zwecken an sich selbst verbunden sein zu können,

können die Maximen/Regeln n i c h t n u r u n i l a t e r a l von mir ihnen auferlegt werden.

► Was ich ihnen auferlege, müssen sie zugleich auch sich selbst auferlegen können (sie müssen

wollen können, was ich will, das sie wollen) und müssen sie mir auferlegen können.

► Also kann ich mit anderen als Zwecke an sich selbst nur zusammenleben, wenn ich mich und

jeden anderen als zugleich (a) gesetzgebend und (b) gesetzunterworfen denke: als a u t o n o m

denke.

„[...] jedes vernünftige Wesen, als Zweck an sich selbst [muss] [...] seine Maximen jederzeit

aus dem Gesichtspunkt seiner selbst, zugleich aber auch jedes anderen vernünftigen als

gesetzgebenden Wesens [...] nehmen.“ (BA 84)

©Achim Lohmar 18

Zusammenhang der Formeln

■ Nach Kant gilt:

(1) es handelt sich um verschiedene Formeln eines und desselben Gesetzes (des KI, dem

obersten Prinzips der Moral);

(2) UF hat Vorrang (was die Beurteilung von Handlungen betrifft): UF bringt den KI in seiner

Rolle als principium diiudicationis am besten zum Ausdruck. (Vgl. BA 79/80);

(3) RZF ‚vereinigt’ die anderen zwei in sich’.

● (1) bis (3) zusammengenommen machen deutlich: UF, ZF und RZF sind nicht gleichbedeutend!

● Sie müssen aber äquivalent sein, sonst wäre (1) falsch!

©Achim Lohmar 19

Zusammenhang der Formeln

● Idee ist, dass man sich selbst und andere als Zwecke berücksichtigt, indem man ausschließlich

nach verallgemeinerungsfähigen Maximen handelt; und dass man, umgekehrt, die Zweckhaf-

tigkeit von sich oder anderen unberücksichtigt lässt, indem man nach Maximen handelt, die

nicht verallgemeinerungsfähig sind.

► Wenn ich nach Maximen handlen, von denen ich nicht wollen kann, dass jeder nach dieser

Maxime handelt, mache ich f ü r m i c h e i n e A u s n a h m e .

Aber das nicht verträglich mit ZF, und dieser Zusammenhang wird in RFZ ausgedrückt.

► Indem UF, ZF, und indem UF RZF.

„Indem“ drückt hier die Identität der Handlung aus:

Indem ich mich der UF entsprechend verhalte, verhalte ich mich der ZF entsprechend, und

auch der RZF entsprechend.

©Achim Lohmar 20

Zusammenfassung 1

● Kant präsentiert das Prinzip der Moral (den kategorischen Imperativ) in unterschiedlicher Form.

● Nach seinen eigenen Angaben in GMS können wir drei Formeln des KI unterscheiden: UF, ZF

und RZF.

● Der Zusammenhang zwischen diesen Formeln ergibt sich daraus, dass Maximen als praktische

Regeln nur dadurch existieren, dass sie von Subjekten entworfen und angenommen werden.

● Entwurf und Annahme oder Zurückweisung einer Maxime setzen Zwecke voraus.

● Wenn es lediglich Zwecke durch Zwecksetzung gäbe, kann es keine Maximen geben, die man

verwerfen oder annehmen muss – also keine verbindlichen Handlungsregeln.

● Es gibt aber Entitäten, die als Zweck an sich existieren: Alle Vernunftwesen.

©Achim Lohmar 21

Zusammenfassung 2

● Dinge, die als Zwecke an sich existieren, schränken die Willkür eines jeden ein.

● Wenn ich eine Maxime annehme, von der ich nicht wollen kann, dass jedes vernünftige Wesen

sie annimmt, ist es so, dass ich

(1) nicht alle Vernunftwesen als Zweck an sich achte, und

(2) mich selbst nicht als gesetzunterworfen sondern als nur gesetzgebend betrachte.

● Das zeigt die Äquivalenz von UF, ZF und RZF:

Indem ich mich UF entsprechend verhalte, verhalte ich mich ZF entsprechend, und indem ich

mich ZF entsprechend verhalten, verhalte ich mich RZF entsprechend.

©Achim Lohmar 22

A. Ethik

1. Kants Pflichtenethik

2. Der Utilitarismus

3. Tugendethik

©Achim Lohmar 23

Figuren der utilitaristischen Ethik

■ Die drei Klassiker des 18./19. Jahrhunderts:

– Jeremy Betham (1748 – 1832)

Wichtiges Werk: The Principles of Morals and Legislation (1780/1789)

– John St. Mill (1806 - 1873)

Wichtiges Werk: Utilitarianism (1861/1863)

– Henry Sidgwick (1838 – 1900)

Wichtiges Werk: The Methods of Ethics (1874; 7. Aufl. 1907)

©Achim Lohmar 24

Figuren der utilitaristischen Ethik

■ Bedeutende Utilitaristen des 20. Jahrhunderts:

– G.E. Moore (1873 – 1958)

Wichtige Werke: Principia Ethica (1903); Ethics (1912)

– R. M. Hare (1919 - 2002)

Wichtiges Werk: Moral Thinking. Its Levels, Method and Point. (1981)

– Peter Singer

Wichtiges Werk: Practical Ethics (1973; 2. erweiterte und revidierte Aufl. 1994)

● Sehr gute philosophische Einführungen in den Utilitarismus:

– William H. Shaw: Contemporary Ethics. Taking Account of Utilitarianism. Oxford u.a. 1999

– Tim Mulgan: Understanding Utilitarianism. Stocksfield 2007.

©Achim Lohmar 25

Ein anderes Bild der Moral

● Nach Auffassung von Utilitaristen sind wir als moralische Denker genau wie als moralische

Akteure primär auf die Welt ausgerichtet:

Unsere primäre moralische Einstellung ist nicht Sorge um uns selbst oder Sorge um die

Übereinstimmung unseres Wollens mit bestimmten Verhaltensmaßstäben, sondern Sorge um

die Welt.

Um die Welt besorgt sein, heißt darum besorgt sein ob die Welt besser oder schlechter verläuft,

ob Gutes oder Schlechtes realisiert wird.

► Nicht die Idee der Pflicht ist der Ausgangspunkt, sondern die Tatsache, dass unser Handeln

Einfluss darauf hat, wie gut die Welt verläuft.

► Ob man sich richtig oder falsch verhält, hängt davon ab, was durch das eigene Tun bewirkt

wird, und nicht davon, dass das eigene Tun normenkonform oder pflichtgemäß ist.

©Achim Lohmar 26

Ein anderes Bild der Moral

■ Der Unterschied zu pflichtenbasierten Ethiken lässt sich am Beispiel moralischer Kritik eines

Rechtssystems illustrieren.

Was ist die Basis einer moralische Kritik bestehenden Rechts?

– Eine deontologische Vorstellung ist:

Moralische Kritik positiven Rechts appelliert an ein nicht-kodifiziertes ‚überpositives’ Recht

(Naturrecht, Vernunftrecht, göttliches Recht).

– Die utilitaristische Alternative:

Wir appellieren nicht an ein Recht ‚hinter’ dem Recht.

Wir appellieren vielmehr daran, dass eine Änderung oder Ersetzung des bestehenden Rechts

für alle Betroffenen besser wäre.

► Bestehendes positives Recht wird nicht an einem anderen Recht gemessen, sondern an

seinen Auswirkungen auf das Wohl der Menschen.

©Achim Lohmar 27

Ein anderes Bild der Moral

● Kant und seine Anhänger haben ein l e g a l i s t i s c h e s Bild der Moral

● Utilitaristen verneinen das legalistische Bild: das Recht liefert uns kein geeignetes Modell zum

Verständnis der Moral.

Moralisch richtiges Handeln wir nicht durch die Übereinstimmung mit Handlungsnormen

charakterisiert, sondern durch die Vorzugswürdigkeit des dadurch bewirkten Weltverlaufs.

► Die Theorie des Guten ist in der utilitaristischen Ethik grundlegend:

Die Richtigkeit einer Handlung ist eine Funktion des Werts der Wirkungen (der Konsequenzen)

der Handlung.

► Der Utilitarismus ist eine konsequentialistische Ethik, die Pflichtenethik ist nicht-konse-

quentialistisch.

©Achim Lohmar 28

Ein anderes Bild der Moral

■ John Stuart Mill i d e n t i f i z i e r t die Frage nach den Grundlagen der Moral mit der Frage nach

dem summum bonum:

From the dawn of philosophy, the question concerning the summum bonum, or, what is the

same thing, concerning the foundation of morality [...] has occupied the most gifted intellects

[...].

(Utilitarianism, Kap. 1, § 1)

■ Für Sidgwick besteht praktische Rationalität im unparteilichen Bestreben, das Gute zu

realisieren:

(…) it is evident to me that as a rational being I am bound to aim at good generally, - so far

as it is attainable by my efforts, – not merely a part of it.

(Methods of Ethics, 7. Aufl. 382)

©Achim Lohmar 29

Eine andere Konzeption des Prinzips der Moral

■ Oft wird gesagt, der Utilitarismus sei, genau wie Kants Ethik, eine Prinzipienethik oder eine

monistische Ethik.

Das ist insofern richtig als beide die Auffassung vertreten: Es gibt genau ein (oberstes) Prinzip

der Moral.

Diese Übereinstimmung ist aber nicht sehr tiefgehend.

► Utilitaristen haben ein vollkommen anderes Verständnis von einem moralischen Prinzip als

Kant.

(1) „Prinzip der Moral“ heißt für Ut. ausschließlich: Kriterium moralischer Richtigkeit n i c h t aber

Grund/Quelle des Verpflichtetseins.

©Achim Lohmar 30

Eine andere Konzeption des Prinzips der Moral

(2) Ut. behaupten, im Unterschied zu Kant, n i c h t , dass das Prinzip der Moral psychologische

Realität im Sinne eines ‚inneren Gesetzes des vernünftigen Willens’ hat.

Entsprechend:

(3) Das Prinzip der Moral ist, nach ut. Auffassung, überhaupt nicht als ein Gesetz des Willens zu

verstehen: Das Prinzip der Moral ist selbst k e i n Gebot, es handelt sich nicht um einen

Imperativ!

(4) Ut. glauben nicht, dass das Prinzip der Moral, jedem jederzeit vor Augen steht, und von der

‚gemeinen Menschenvernunft’ als Kompass der Entscheidung benutzt wird.

(5) Ut vertreten auch n i c h t die Auffassung, dass man jederzeit mit dem Prinzip der Moral 'vor

Augen' handeln s o l l t e .

©Achim Lohmar 31

[...] the doctrine that Universal Happiness is the ultimate standard must not be understood to imply

that Universal Benevolence is the only right or always best motive of action.

For [...] it is not necessary that the end which gives the criterion of rightness should always be the

end at which we consciously aim:

and if experience shows that the general happiness will be more satisfactorily attained if men

frequently act from other motives than pure universal philanthropy, it is obvious that these other mo-

tives are reasonably to be preferred on Utilitarian principles.

(Sidgwick, Methods of Ethics, 7. Aufl. 413)