[Krleza Miroslav] Beisetzung in Theresienburg(Book4You)

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Miroslav Krleža Beisetzung in Theresienburg

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Mirosl av Krleža

Beisetzungin

Theresienburg

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Zu diesem Buch

Maria-Theresienburg ist eine kleine österreichisch- ungarische Garnisonsstadt, die man vergeblich auf der Karte suchen wird – es gibt sie nicht,

sie ist eine Erfindung Krležas. Der Ort ist so langweilig wie fast alle Garnisonsstädte. Amüsieren jedenfalls kann man sich dort nicht. Was bleibt, ist der Dienst und, natürlich Liebesaffären. Die jungen Offiziere tun, als wären sie Her-zensbrecher, und es genügt, daß sie so tun; Erfolg haben sie jedenfalls.

Mitten in die Langeweile schiebt sich im Sommer 1906 der große Tag des K. u. K. Aspern-Eßlingschen Siebzehnten Dragonerregiments, die jährliche Feier des vermeintlichen Sieges bei Eßling, der Napoleon allerdings nicht daran ge-hindert hat, kurz darauf in Wien einzuziehen. Die Feier ist eine Farce, aber irgend etwas muß eben gefeiert werden, auf irgend etwas muß das Regiment stolz sein, das schon bei Friedland und noch bei Königgrätz gekämpft hat, je-desmal tapfer, versteht sieh.

Kurz vor der Feier wird eine japanische Militärabordnung aus Wien angekündigt, die ebenfalls tapferen hohen Offi-ziere, die gerade den Russisch-Japanischen Krieg gewonnen haben. Eine neue Planung wird nötig, Begrüßung, Anspra-chen, Ballabend, aber auch ein Vortrag des Oberleutnants Ramong, eines hochbegabten Mathematikers, der sich in Tübingen zu habilitieren hofft, das Militär verachtet, leider aber gerade hochgradig verwirrt ist, weil Olga von Warro-nigg, die ungetreue Frau seines Regimentskommandeurs,

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ihm gerade den Laufpaß gegeben hat. Er hatte eine Affäre mit ihr, die sie gewohnheitsmäßig überhaupt nicht, er aber über die Maßen ernst nahm.

Während er lustlos seinen Vortrag hält, in dem von öster-reichischen Siegen die Rede nicht ist, denkt er an nichts anderes als an Olga, die – ohne ihn – eine Reise nach Sizi-lien antreten wird. Nur die Japaner, die ohnehin nichts zu verstehen scheinen, sind dankbar für seine Ausführungen, der Kommandeur und die anderen ordensgeschmückten Offiziere schäumen. Während des Balles kommt es zum Eklat, Ramong versucht Olga zur Rede zu stellen und ver-ursacht in seiner Betrunkenheit einen Skandal, für den er wegen Beleidigung der Gäste zu Arrest verurteilt wird.

Die Gäste freilich waren gar keine Japaner, sondern Hoch- stapler, die noch am Abend mit ihren verdächtig großen Spielgewinnen und den Geldern, die sie für die Witwen und Waisen in der Mandschurei gesammelt haben, auf Nim- merwiedersehen verschwinden. Ramongs Aufbegehren ge- gen die ungerechte Bestrafung hilft ihm nichts, hat nur eine weitere Bestrafung zur Folge. Er jagt sich eine Ku- gel in den Kopf und wird in allen Ehren beerdigt, denn nichts wäre furchtbarer als die Wahrheit, die doch alle kennen.

Der Mann, in dessen Augen die Armee Schlächter und Mörder und debile Syphilitiker erzieht, der hingerissen ist von den Rätseln der Mathematik und leider auch hinge- rissen war von Olga von Warronigg, wird beigesetzt, als wäre nichts gewesen. Alle schweigen, niemand muckt auf, denn das eherne Gesetz der Armee lautet: Kuschen und wei-

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terdienen. Krležas kleines Kabinettstück ist eine beißende Satire auf Krieg und Kriegsdienst, auf den Idiotismus von Leuten, die auf dem Standpunkt stehen: möglichst wenig Talent und möglichst viel Pflichtgefühl, die den Intellekt verachten, Außenseiter ausschließen und ihren Säbel, ihr Mordwerkzeug, allem Nachdenken vorziehen. Es ist auch eine Beispielerzählung über den notwendigen Untergang der Donaumonarchie.

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Der Autor

Miroslav Krleža ( 1893–1981 ) besuchte zunächst die Militärakademie in Budapest, desertierte nach Paris, kehr-te nach Serbien zurück und nahm 1912 am Balkankrieg teil. Noch im Ersten Weltkrieg begann er zu schreiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Vizepräsident der Jugo-slawischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Lexikographischen Instituts. Er schildert in seinem Werk einerseits den Verfall der bürgerlichen Gesellschaft, ande-rerseits verhöhnt er Militarismus und Diktatur in der Zeit vor den Kriegen.

Werke: Der kroatische Gott Mars ( 1927 ), Die Glembays ( 1929 ), Die Rückkehr des Filip Latinovicz ( 1932 ), Bankett in Blitwien ( 1939 ).

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rowohlt Jahrhundertherausgegeben von walter boehlich band 83

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Mirosl av Krlež a

Beisetzungin

theresienBurgerzählung

Aus dem Serbokroatischen von

Klaus Winkler

rowohlt

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veröffentlicht iM rowohlt taschenbuch verlag gMbh,

reinbeK bei haMburg, März 1991copyright © der deutschen Übersetzung 1964 by

stiasny verlag gMbh, grazdie originalausgabe erschien 1929 in zagreb

( foto des autors: Keystone )1280-isbn 3 499 40083 9

gesetzt aus der adobe garaMond pro

fÜr das cover:

Jean louis théodore géricault: das floss der Medusa.

1818–1819, öl auf leinwand, 491 × 716 cM. paris , Musée du louvre.

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Das Kaiserliche und Königliche Aspern-Eßling- sche Siebzehnte Dragonerregiment hatte zwei Garnisonen, eine in Wien und die zweite im ma-

gyarisch-transdanubischen Maria-Theresienburg. Lauras Vater, der Kavallerieoberst Mihajlo Edler von

Warronigg, Gemahl der Frau Olga, geborenen Glembay- Bárbóczy, befehligte den Stab des Kaders zu Maria-Theresi-enburg in den Jahren neunzehnhundertfünf und -sechs.

Das Kaiserliche und Königliche Aspern-Eßlingsche Siebzehnte Dragonerregiment hatte im Jahre 1628 der

bekannte Quartiermeister Wallensteins, Robert St. Quen- tin d’ Espagne et de la Porte, als Kürassiereinheit gegrün- det; schon im Jahre 1632 spielte dieses mit kaiserlichem Patent ausgestattete Kürassierregiment in der Bataille von Friedland eine sehr wichtige Rolle.

Sein Sturmangriff bei den Windmühlen von Lützen wur- de auf einem kaiserlichen Gobelin im Wiener Kriegsge-schichtlichen Museum verewigt ( siebenhundert kroatische Reiter ließen ihre siebenhundert anonymen Bauernfelle in dieser ruhmreichen Schlacht ). Der Kaiserliche und König- liche Oberlieutenant Emil Sztatoczny hatte den Gobelin für den Regimentsehrensaal des Mariatheresienburger Regiments kopiert, und diese Imitation hing als kostbarer Karton unter den Regimentstrophäen. Der hohe Gemahl der Kaiserin Maria Theresia, der toskanische Großherzog Franz von Lothringen, hatte dieses heldenhafte Kürassier- regiment umgewandelt und zu seinem persönlichen Gar-deregiment Chevaux-légers gemacht, aber während der

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napoleonischen Kriege wurde das Aspern-Eßlingsche Regiment unter der reorganisierenden Hand des Fürsten Montenuovo den Dragonern zugeteilt, und dort blieb es ununterbrochen bis zu den Tagen unserer Geschichte der Glembaj.

Im Jahre 1878 beging das Kaiserliche und Königliche Siebzehnte Regiment feierlich den Jahrestag seines zwei-hundertundfünfzigjährigen Bestehens, und sein damaliger Inhaber, der russische Großfürst Aleksandr Aleksandrovič, schenkte 53 000 Gulden an den Fonds der Regimentsstif-tung für Militärausbildung von Offizierssöhnen, und S. M. der Kaiser und König Franz Joseph I. machte bei dieser Gelegenheit seinem Regiment eine Goldplakette zum Ge-schenk, mit Allerhöchsteigenhändigem Brief und Namens-zug.

Als vor 158 Jahren Kaiserin Maria Theresia ihr Erbfol-gerecht auf Parma und Piacenza nach dem Prinzip der Se-kundogenitur abtrat, wurde das Siebzehnte Regiment von Parma nach Alsóvár im Gebiet der türkischen Grenze ver-legt, und dort blieb es bis zu den napoleonischen Kriegen.

In den vierziger Jahren lag es in Verona und Mailand und kompromittierte sich ziemlich auf Rechnung der dummen österreichischen Politik in der Lombardei. Das Siebzehnte wurde als brachiale Polizeigewalt gegen das Ri-sorgimento eingesetzt und verhaftete nach Pandurenart die Rebellen im Sinne der politischen Direktiven Metternichs. Jahrhundertelang opferte es unser kroatisches Fleisch und Blut und zog bald hier, bald dort in den Garnisonen der Monarchie herum wie ein Zirkus und kehrte erst bei der

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letzten Dislokation in den siebziger Jahren mit Stab und Kader nach Alsóvár zurück, während die zweite Abteilung in Wien blieb, mit der administrativen Abteilung des Er-gänzungskaders in Aspern, Niederösterreich.

In der Schlacht bei Malplaquet verlor das Siebzehnte Regiment ( damals als Chevaux-Légers Nr. 3 ) vierhundert Mann, und für diese seine » bravouröse Geste auf dem Fel-de der Ehre « verlieh ihm der Herzog von Toskana eine sei-dene Fahne mit Wappen und goldgewebten Insignien.

In der Schlacht bei Hochkirch verlor dieses Reiterregi- ment in blutigem Sturmangriff siebenhundert Pferde und Reiter und zeichnete sich derart brillant aus, daß ihm die Kaiserin persönlich eine vergoldete Ehrentrompete aus Silber mit Allerhöchstem Begleitbrief vom 28. Okto-ber 1764 stiftete, » für Verdienste unter dem Kommando des Grafen Imre Báthory «. Im Ellipsoid der vergoldeten Trompete waren in sehr kunstvollem Relief drei Hengste im Sprung dargestellt, und auf der Seite gegenüber war die Goldmedaille der Kaiserin eingraviert. Unter dem Bild der Herrscherin stand, in Kursive und mit goldenen Lilien ge-schmückt, folgende Allerhöchste Widmung eingegraben: » Die Kaiserin Ihrem treuen Theresienburger Dragonerregi-ment «. Quer an dieser kostbaren, gold-silbernen Trompe-te hing ein seidener gestickter Hoftrompeterbehang, die Standarte des kaiserlichen Herolds, mit zwei massiven Quasten, mit goldgewirkten Doppeladlern und den In-itialen Ihrer Majestät, die mit Lorbeer zum heraldischen Motiv des kaiserlichen Monogramms verschlungen waren. Die gelbe Seide am Behang der Trompete war grau gewor-

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den, aber das Gold auf den Adlerflügeln und die Fäden in den Buchstaben funkelten immer noch lebhaft.

Diese kostbare kaiserliche Reliquie, dieses pathetische Andenken an siebenhundert durchschossene und wie Kür-bisse zerhackte Schädel wurde im Ehrensaal des Regiments in einer bronzebeschlagenen Glasschatulle, auf einem vio-letten Plüschkissen aufbewahrt.

Die Bronzeschatulle stand in einer goldenen Vitrine ( im Stil des mißgestalten Wiener mauvais-goût ) auf einer Estrade, und auf den Samtregalen der goldenen Vitrine lagen noch andere Trophäen, silberne Lorbeerblätter und schwarz-gelbe Moiréseiden, Fotografien und Plaketten, Sie-gerpokale, Urkunden und Siegel, lauter blutige Dokumen-te des unermeßlichen Elends kroatischen Kriegsruhms.

So stand dort die goldgerahmte Daguerreotypie des Regi-mentsinhabers, des russischen Großfürsten Aleksandr Alek- sandrovič im byzantinischen Magnatenbrokat eines russi-schen Bojaren mit Biberpelz und Sarafan, darunter die ei-genhändige violette Unterschrift und die Großfürstenkro-ne. Da war die silbergerahmte Fotografie des Kaiserlichen Großherzogs Generalfeldmarschall Maria Immaculata Fe- lix, der in den neunziger Jahren als Kadett gedient hatte, und noch zehn Jahre später wurde in der Menage beim schwarzen Kaffee von seinen Streichen erzählt: wie er ein-mal wegen einer Wette mit seiner Stute Belladonna den Budapester Schnellzug zum Stehen gebracht hatte und wie die Offiziere des Siebzehnten Regiments auf seine Initiati-ve eines Nachts ein Klavier aus dem ersten Stock des Bür-gerkasinos geworfen hatten.

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In diesem Ehrensaal des Ruhms und der Geschichte des Regiments hingen drei historische Regimentsstandarten:

eine, die mit dem Ritterkreuz des Mariatheresien-Or-dens in der Schlacht bei Sadova ( zweihundert Tote auf dem Felde der Ehre ) dekoriert worden war, die zweite, durchsiebt im siegreichen Treffen bei Aspern und Eßling, wo auf dem Schlachtfeld das ganze Regiment mit Pferden und Reitern in voller Stärke gefallen war, und die dritte, aus Seide, noch nicht mit Blut befleckt, bereit, vom Sieb- zehnten als Signal durch den todbringenden Sturm vor- wärtsgetragen zu werden, der noch in allen Schubladen der Regimentsschreibstuben unter dem Geheimsiegel des Allerhöchsten Mobilmachungsbefehls schlummerte.

Die Vorhänge des Ehrensaales des Regiments waren schwer, aus Damast, und schlossen mit ihren schweren Fal- ten von undurchsichtigem Gewebe den ganzen Raum in die dunkle Beleuchtung einer Leichenhalle ein. Zwölf schwe- re Stühle an einem langen, mit Purpur verhangenen Tisch, alles aus Eichenholz im altdeutschen Stil des Dreißigjähri-gen Kriegs à la Wallenstein geschnitzt.

Dieser Ehrensaal des Siebzehnten Regiments lag im er-sten Stock des Zentralbaus eines ehemaligen Jesuitenklo-sters, und man gelangte in diesen ersten Stock über ein monumentales Treppenhaus, das zu Ende des 18. Jahrhun-derts aus Gründen der Repräsentation umgebaut worden war. Ein Portal mit Säulen, Giganten, Engelsköpfen und Wappen stand hoch über den Marmorstufen; links und rechts vor der Treppe waren drei altertümliche Kanonen aus dem 18. Jahrhundert mit der Mündung in die Erde ein-

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gelassen und dienten als Barriere für die altmodischen Fia-ker, in denen etwa die Elite von Maria-Theresienburg zum Besuch ihres gastfreundlichen Kavallerieregiments gefah-ren kam. Bei feierlichen Anlässen und Festlichkeiten, an denen die zivilen Behörden und auch die Damen der The-resienburger Gesellschaft teilnahmen, wurde vom Vestibül bis zum ersten Stock ein roter Teppich ausgelegt, und an jeder Wendung der Treppe im Zwischengeschoß, vor den Glastüren im Parterre und beim Eingang zum Korridor des ersten Stocks standen zwei Dragoner in Paradeuniform, mit weißen Handschuhen, wie Lakaien.

Dieses barocke Jesuitenportal, die Teppiche und die Pa-radelakaien, der Festsaal mit Fahnen und altertümlichen Bildern – das alles sah sehr vornehm aus, und all das er-schien aus der plebejischen Perspektive der subalternen, administrativen Zivilbeamtenschaft aus dem Volke als rit-terlich-dekorativer Traum, und es gab keinen einzigen le-benden Theresienburger Regierungsassessor, der nicht die zivile Verdammnis seines elenden Beamtenberufs bedauert hätte: elendes Verhängnis der zivilen Kriecher!

Aber die schönen Frauen fallen vor den Dragonern in ihrer pastellblauen Montur und vor ihren Säbeln wie die Garben. Sie mähen sie bloß so hin. Die Farbe der Tapeten an den Wänden des Festsaales war dunkelbraun verwittert, und an diesen Wänden hingen in Goldrahmen die neun Porträts der neun Regimentsinhaber.

I. Der Herzog von Toskana, Franz von Lothringen, mit Hermelin und dem Purpurornat eines römischen Kaisers;

II. Graf Béla Eszterházy, Sohn vom zweiten Obersten

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des Siebzehnten, der auf dem Schlachtfeld gefallen war ( 1768–1803 );

dann III. Baron Feldmarschall-Lieutenant Albert Gleis-stätten, der das Siebzehnte zur Zeit der Kampagne Bona-partes in der Lombardei kommandiert hatte ( 1803–24 );

IV. Graf Keglevich ( 1824–49 ), das einzige Bild eines Grandseigneurs in Zivil, mit weißseidener Krawatte und einem Windspiel;

V. Großfürst Aleksandr Aleksandrovič ( 1849–69 ); in der Gala eines Dragonerobersten des Siebzehnten Regiments, mit den Insignien vom Goldenen Vlies, verliehen vom Kai-ser als Zeichen des Dankes für die persönliche Teilnahme des Großfürsten an der Expedition gegen die Magyaren;

VI. Der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin ( 1869 bis 78 );

VII. Fürst Auersberg-Lipschitz;VIII. Der König von Bayern;IX. Generalmajor Graf Ségur-Cabanac ( 1888–99 ).

Als Oberst von Warronigg das Kommando innehatte, war der Platz eines Ehreninhabers des Siebzehnten

Dragonerregiments leer. Man meinte, Inhaber werde der König von Spanien

werden, Alfonso XIII., der in ganz Europa als berühmter Charmeur und Golfvirtuose bekannt war, oder Erzherzog Ferdinand Albrecht oder der bulgarische Coburg, der jedes dritte Jahr in den Revieren von Theresienburg Schnepfen schoß und in der Komitatshauptstadt als guter und geist-reicher Charmeur sehr volkstümlich war, ein Enkel von

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Louis-Philippe, einem ebenso geistreichen Charmeur. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts galt das Kaiserliche und Königliche Dragonerregiment Nr. 17 nicht mehr als exklusives Gentry-Regiment, aber dessen ungeachtet ge-noß es dennoch den durchaus anständigen Ruf eines gu-ten und distinguierten Regiments, in dem zu dienen zwar nicht besonders chic war, aber jedenfalls auch nicht kom-promittierend.

Im Siebzehnten Regiment bei der Theresienburger Ab-teilung dienten damals drei Grafen: Hollós, L’ Ours-Wal-derode und Buttler ( ein direkter Nachfahr des Wallenstein-Mörders ), ein Herzog von Mantua ( als Kadett ), vier Barone und neun Adlige, neun elende Krautjunker dank Verböczi, die leider nichts besaßen außer ihrem armseligen Adels-prädikat, dieser billigen blaublütigen Marke, die wie eine Art Blechtrommel um den Zunamen gehängt wird und aus zwei nichtigen Buchstaben besteht: p und 1. Aber jeden-falls war die andere Hälfte des Offizierskorps, das genau 31 Köpfe zählte, leider – bürgerlich. Immerhin, diese Bürger waren alle mehr oder weniger von solider und durchaus anständiger Herkunft, Söhne von hohen Beamten, Groß-grundbesitzern und Herren der Komitatsverwaltung.

Es waren auch fünf, sechs Millionäre dabei, so zum Bei-spiel Lieutenant Mayer Kolozsváry, dessen Vater elf Braue-reien des » süßen Kolozsváry-Doppelbiers « besaß, das in der ganzen Monarchie bekannt war dank der berühmten Pla-kate, auf denen König Matthias Corvinus seinen feudalen, fürstlichen, trunkenen Gästen den Gruß entbot mit einem schäumenden Krügel des » süßen Koloszváry-Doppelbiers «.

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Aber es waren da auch problematische, dunkle Persönlich-keiten mit völlig obskurem Hintergrund, so zum Beispiel der beste Reiter des ganzen Regiments, Oberlieutenant Sza- lai, dessen Vater irgendwo in Kaposvár als pensionierter Komitatskanzlist lebte.

Theresienburg ( ungarisch Alsó Teréz-Vár ) war die Haupt- stadt des jenseits der Donau gelegenen Komitates Al-

sóvár, Geburtsort des Kardinals, Staatsmannes und Predi-gers Thurzói Thuróczy Aladár ( ein historisch berühmter Henker, der im Verlauf seiner genialen rhetorischen Kar-riere als Kirchenredner Calvinisten und Hexen zu Tausen-den umbrachte ), eine Stadt mit Kastanienalleen, mit dem Hauptkorso der Erzherzogin Maria Valeria und einem öf-fentlichen Haus neben dem Stadtzollamt, in der Gastwirt-schaft zur Gläsernen Lilie.

Im Vestibül des Bahnhofs von Theresienburg hing ein überirdisches, vier Meter hohes Bild des Kaisers Napoleon Bonaparte, in historischem grauem Mantel mit Zweispitz und dazu der ungarischen Reklameinschrift, die amerika-nische Schreibmaschine Underwood habe die Erdkugel erobert.

Mitten vor dem Bahnhofsgebäude stand zwischen Bee- ten von Tulpen und Stiefmütterchen das bronzene Reiter- standbild des Königs Matthias Corvinus mit drei marmor- nen Frauen. Eine hielt in der Hand eine Fahne, die zweite einen Lorbeerkranz und die dritte eine Urkunde mit kö-niglichem Siegel, durch die König Matthias Alsóvár zur königlichen Freistadt erklärt hatte ( 1467 ). Das war eine

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Arbeit von höchst problematischem künstlerischem Wert, aus der Hand irgendeines namenlosen Epigonen des Pester Bildhauermeisters Strobl, und unter der Krone des Matt-hias Corvinus hatten sich vor zwei Jahren Schwalben ein-genistet, und dort waren sie dann auch im Frieden Gottes wohnen geblieben und reisten jeden März von Kairo zum Denkmal von Alsóvár.

Theresienburg hatte drei Fabrikschornsteine ( den Schornstein der Dampfmühle, den Schornstein der Pa-pierfabrik und den der Glashütte ), ein Rathaus mit Turm und beleuchteter Uhr, ein barockes Jesuitenkloster, das zur Kaserne umgebaut war, und eine Promenade vor der Ka-thedralkirche.

Die Platanen der Promenade von Alsóvár waren alt und faul; jedes Jahr etwa warf ein Sturm den einen oder anderen Stamm um, und vor dem hölzernen Musikpavil- lon stand ein riesiger Eisenkäfig mit einem lebendigen Eichhörnchen.

Am Ostrand der Promenade zwischen Immergrün und Oleanderbüschen leuchtete weiß die Marmorbüste von Lajos Kossuth, und am Westrand die der seligen Kaiserin Elisabeth, die so besonders großen Wert auf ihren Titel einer Königin von Ungarn gelegt hatte. Vor der Kaiserin verkaufte während der Sommerzeit ein alter Invalide vom Jahre 1848 Himbeergeist und Luftballons, und von Kos-suth reckte sich diskret zwischen Efeu und Lorbeerbüschen eine groteske hölzerne Hand mit einer Tafel, auf der zwei symmetrische, elliptische Nullen in ihrer schlaraffischen Symbolik für das pannonische WC verzeichnet waren.

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So sah Theresienburg aus, eine Stadt mit Platanen und einer Kathedrale, zwischen riesigen Eichenwäldern inmit-ten des welligen Terrains, das sich eintönig und waldig von der Donau bis zur steirischen Grenze und zum Plattensee hinwälzte. Pappeln an den Straßen, Schmieden und Wirts-häuser, Türme in der Ferne und Ziegeleien am Stadtrand, Waldparzellen und Weingärten mit hölzernen Sommer-häusern – dieses ganze Panorama rings um die Stadt war billiger Kitsch, und zur Zeit der Herbstregen war dieser Kitsch neblig und langweilig.

Etwa halb drei Uhr nachts und gegen vier Uhr nachmit-tags kreuzten sich in Theresienburg zwei Pester Expresszü-ge, und wenn die Omnibusse der Hotels König Matthias und Magyarischer Palatin in ihrem eintönigen Trab über die Kronprinz-Rudolf-Allee und Maria-Valeria-Straße zurückkehrten, dann wußte das Kassafräulein Žofika im Cafe Sloboda schon, wer in Theresienburg angekommen war: ein neuer Offizier oder ein Handlungsreisender mit Krawatten.

Theresienburg hatte zwei Konditoreien und ein graues Rokokotheater in der Deakstraße, von der bekannten Kai-serlichen und Königlichen Baufirma Hellmer und Fellner, den Hofbaumeistern für Provinztheater diesseits und jen-seits vom Geltungsbereich des Ausgleichs, am östlichen und am westlichen Strand der Leitha.

In der ersten Fensternische des Theresienburger Cafes und Hotels Zum Magyarischen Palatin saß jeden Tag von fünf bis sieben wie eine Wachspuppe im Waffenrock mit dem Leopoldkreuz S. Exzellenz Feldmarschall-Lieute-

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nant von Schwartner, Divisionär und Standortkomman- dant, bei einem Kapuziner und der Reichspost von gestern, die mit dem Mittagszug eingetroffen war.

In der Gesellschaft des Feldmarschall-Lieutenants von Schwartner las der Brigadier Generalmajor Draveczk sei-ne Pester ungarische Zeitung, und manchmal, gewöhnlich samstags nach fünf, kam zum Generalstisch sehr höflich, subaltern und im vorschriftsmäßigen Abstand der Kaval-lerieoberst und Kommandeur des Siebzehnten Regiments, von Warronigg. Die Kavallerieoffiziere spielten Billard im Kaptol, in einem engen Gäßchen neben dem Dom, und die Infanterieoffiziere vom 107. Infanterieregiment kehrten im Bürgercafe Szahadság ( Freiheit ) an der Ecke beim Thea-ter in der Deakstraße ein.

Nach elf Uhr rührte sich auf den Straßen von Theresien-burg niemand mehr. Auf dem Hauptmarkt beim Spring-brunnen stand der Nachtwächter, und irgendein schwarzer Hund verschwand bei der letzten Petroleumlampe im Hin-tergrund der Allee in der Finsternis.

Es überquerte etwa eine einzelne Frau im Kopftuch die Straße, allem Anschein nach auf dem Weg zur Apo-theke. Vom Kaptol her schallt das Cimbal. Dort lum-pen die Dragoner und werfen Gläser entzwei. Ein einzelner Fiaker trabt über den Asphalt der Deakstra-ße. Der fährt zur Gläsernen Lilie, weit draußen, an der Peripherie beim Stadtzollhaus.

Auf dem Bahnhof jammert eine Dampfmaschine. Es ist spät.

Mitternacht ist vorbei.

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Am 22. Mai eines jeden Jahres feierte das Aspern- und Eßlingsche Regiment den Sieg bei Aspern und Eßling

als seinen Regimentssieg, denn das Siebzehnte Dragoner-regiment hatte jenes Heldenfleisch gestellt, das unter dem persönlichen Kommando des Erzherzogs Karl den Sturm-angriff des Marschalls Masséna am Donauarm abgewiesen und Napoleon zurück in die Lobau geworfen hatte. In dem Gemetzel, bei dem siebzehn Generale umgekommen waren, hatte das Siebzehnte Regiment bis zu den Knien im Blut gewatet, war aber keinen Fuß breit zurückgewichen: » Ein Beispiel hoher Moral für Generationen « ( dreitausend Tote ).

Der 22. Mai war der Tag des Triumphs für das Siebzehn-te Regiment, aber am 22. Mai des Jahres 1906, zum 97. Jah-restag der Schlacht bei Aspern und Eßling, wurde dieser Triumph durch eine ungewöhnliche Ehrung besonders ausgezeichnet:

Seine Exzellenz der Generallieutenant des kaiserlich-japanischen Heeres Graf Fudji-Hasegawa, der Sieger von Liao Jang und oberster Chef der operativen Abteilung im Generalstabskabinett des Generallieutenants Baron Kod-ama hatte dem siegreichen Siebzehnten Dragonerregiment seinen hohen Besuch angekündigt.

Graf Fudji-Hasegawa war der General, der den Gene- ral Zaharov und dazu die Generale Kuropatkin und Blago- vješčenskij bis auf den letzten Mann geschlagen und der mit seinen genialen Operationen vor Liao Jang die russi-schen Divisionskommandeure und Generale Baron Stak-kelberg, Papengut, Webelj, Tizengausen, Baron Bilderljing

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und Freiherr von Geršeljman zusammen mit ihren Divisio-nen samt Divisionstroß und Reserven gefangengenommen hatte ( zwanzigtausend Pferde und Reiter waren in diesem Gemetzel ums Leben gekommen ).

Graf Fudji-Hasegawa hatte persönlich mit 116 Bataillo-nen, 33 Eskadronen und 112 Batterien operiert, und dieser Stabschef des Siegers, Marquis Ojama, der bei Wafaung, Fönhuantschön, Windschu und Mukden gesiegt hatte, war gekommen, um persönlich dem Siebzehnten Regiment zu seinem Siege über Napoleon bei Aspern und Eßling zu gra-tulieren.

Schon 48 Stunden vor diesem außerordentlichen Ereig-nis war die Nervosität im Siebzehnten Regiment derartig groß, daß man den Eindruck hatte, auch die Pferdeketten in den Ställen klangen aufgeregter als an gewöhnlichen Ta-gen. Gerenne der Ordonnanzen, Türenschlagen, die Regi-mentsbarbierstube voll besetzt, Unruhe in den Schneider-werkstätten von ganz Theresienburg. Hochkonjunktur im Leihhaus, und auch das Kassafräulein Žofika im Szabad-ság – alles war aufgeregt wegen des Grafen Fudji-Hasegawa, der mit dem Pester Express um fünf Uhr nachmittags ein-treffen sollte. Das Programm war sehr kompliziert und in-nerhalb von 24 Stunden aufgestellt worden, denn der Graf Fudji mußte nach seinem internationalen Terminplan am nächsten Tag um zwei Uhr nachmittags mit dem Express nach Fiume abreisen, um rechtzeitig zu einer internationa-len Flottenkonferenz in Venedig einzutreffen. Graf Fudji sollte in seinem Appartement im Magyarischen Palatin als Gast des Siebzehnten Regiments wohnen, aber da im letz-

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ten Augenblick auch noch die Ankunft des Helden von Port Arthur, des Generals Lin Tsi, gemeldet wurde, über-nahm Rittmeister Graf Hollós den Helden von Port Arthur ( und dessen Begleitung ) in seine gastfreundliche Fürsorge. Nach den telegrafischen Anweisungen des Kriegsministeri-ums wurde das kleine Programm des feierlichen Empfangs kurzerhand folgendermaßen festgelegt:

Um fünf Uhr feierlicher Empfang am Bahnhof. Graf Fudji-Hasegawa in Begleitung der Generalität. Früh-stück in der Menage des Regiments. Um sieben Uhr erwartet ihn im Ehrensaal das Offizierskorps des Sieb-zehnten in corpore. Begrüßungsrede des Regimentskom- mandeurs Obersten Ritter Warronigg. Antwort Seiner Ex-zellenz des Grafen Fudji-Hasegawa. Um acht Uhr im gro-ßen Saal des Offizierskasinos Vortrag des Oberlieutenants im Siebzehnten Dragonerregiment Dr. Géza Örkényi es Magasfalvai Ramong zum Thema: Der 97. Jahrestag des Kampfs bei Aspern und Eßling ( mit Lichtbildern ). Neun Uhr fünfzehn feierliches Abendessen zu Ehren des Siegers von Liao Jang und Mukden in der Menage des Siebzehnten Regiments. Danach venezianische Nacht im Park des Regi-ments. Am folgenden Tag: Abteilungsmanöver kombiniert mit Infanterie und Artillerie. Einnahme der Ausgangsstel-lungen zwei Uhr nachts. Neun Uhr dreißig Besichtigung des Siebzehnten im Gelände bei Malom-Falva. Elf Uhr dreißig Divisionsdéjeuner ( dinatoire ) im Gelände. Der Ge-neral kehrt im Divisionsvierspänner nach Theresienburg zurück. Um zwei Uhr zehn Abfahrt mit dem Schnellzug nach Fiume.

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Punkt fünf Uhr dreiunddreißig trat der Sieger von Liao Jang, Graf Fudji-Hasegawa, durch die Tür des Regi-

mentsehrensaals; ihn begleiteten der japanische Admiral Watanaba, der General von Port Arthur, Pei Lin Tsi, der Kommandant der Theresienburger Infanteriedivision, Feld- marschall-Lieutenant von Schwartner, der Brigadier der 74. Brigade, Generalmajor Lajos Nemes Draveczky von Draveczky, der Oberst und Kommandeur des Siebzehnten Regiments, Ritter von Warronigg.

An der Spitze der zahlreichen Suite von Divisionsad-jutanten, Flügeladjutanten und Ordonnanzoffizieren, vor dem gesamten Offizierskorps des K. u. K. Siebzehnten Dragonerregiments, in dieser Masse von Gala, Lack, Nik-kel und Gold, sah Graf Fudji-Hasegawa altmodisch aus in seinem grauen Salonrock mit weißer Krawatte, in hellen Handschuhen, in seinem unmodernen Zylinder, kurzsich-tig, mit fingerdicker Brille, wie eine Puppe, die mit Glas-augen zwinkert und scharfe Schneide- und Eckzähne zeigt, als ob sie knurre.

Oberst Warronigg warf den routinierten Regisseurblick des erfahrenen Kommandeurs über die Offiziere seines Siebzehnten Regiments. Dort standen 29 Offiziere der The-resienburger Dragonerabteilung vom Oberstlieutenant Redl bis zum Kadetten Imre Fazekas, alle in voller Gala mit metallbeschlagenem Dragonerhelm unter dem rechten Arm, in hellblauem Waffenrock mit der berühmten kaiser-lich-gelben Egalisierungsfarbe des Siebzehnten ( Farbe der Kanarienvögel, nach der man sie in der Monarchie Kanari-envögel oder Alsóvárer Rührei-Dragoner nannte ), in roten

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Hosen, Stiefeln und mit schwerem Kavalleriepallasch an der Hüfte, alle vorschriftsmäßig stramm, alle in weißen Handschuhen, frisch rasiert, stumm, würdevoll wie Stand-bilder. 29 Paar Sporen erklangen in dem Augenblick, als Generallieutenant Graf Fudji-Hasegawa über die Schwel-le der massiven Eichentür schritt, und dieses Klirren von 29 Paar Sporen tönte unangenehm durch den Saal, so wie Glas klingt, wenn es Neger bei Vorführungen eines Pro-vinz-Zirkus zerbeißen.

Als erster schritt vor dem Offiziersspalier her über den roten, vierzehneinhalb Meter langen Teppich der General Fudji-Hasegawa, ein direkter Nachkomme eines der be-rühmtesten Donnerer vom gelben, mongolischen Olymp und einer weißen, grazilen Elefantenkuh, die so ruhmreich war, Mutter von Halbgöttern und Halbelefanten in kaiser-lichem Ornat zu werden, hinter ihm Admiral Baron Wa-tanaba mit dem General Pei Lin Tsi, und hinter dem Ad-miral düster, stumm, sehr streng und dienstlich reserviert der Divisionskommandant Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner im bescheidenen Glanz seines frischgebacke-nen Adelsattributs, das ihm von seiner Majestät genau vor zwei Jahren oktroyiert worden war.

Admiral Watanaba trug die volle Gala eines japani-schen Flottenoffiziers, mit Admiralszweispitz und weißem Schwanenfederbusch, reich galoniert mit 29 allerhöchsten internationalen Orden, voll von Sternen und emaillier-ten Abzeichen, mit silbernen Verzierungen und Schärpen, während der Held von Port Arthur, Pei Lin Tsi, in einfa-cher Khaki-Uniform erschienen war, auf der er die Minia-

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turbänder seiner Auszeichnungen in zwei bunten, langen Schnallen über dem Herzen trug.

Pei Lin Tsi, der vor Port Arthur neun Monate lang dem sicheren Tod ins Auge geblickt hatte, dieser miles glorio-sus, trug keinen Säbel: seine rechte Hand fuchtelte nervös mit einem etwa 40 Zentimeter langen, silberbeschlagenen Bambusrohr herum.

Die japanischen Generale in Begleitung des Divisionärs, des Brigadiers und des Obersten Warronigg schritten bis zur linken Wand des Saales und nahmen dort Aufstellung unter dem Bild S. M. des Kaisers und Königs F. J. I. auf schwarzem Araber, in der Galauniform eines österreichi-schen Feldmarschalls, einer italienischen Monumental-komposition aus der Zeit von Solferino und Magenta. Die japanischen Herren erstiegen die Estrade und machten kehrt, während die Suite von Adjutanten, Begleitoffizieren und Flügeladjutanten diskret links und rechts vom Auf-gang zurückblieb.

Warronigg, eine hochgewachsene und magere Erschei-nung mit angegrautem, ungestutztem Schnauzbart, stand mit auf der Estrade und war fast einen halben Kopf größer als die japanischen Würdenträger. Bei seinem Einzug am Schluß der Generalssuite hatte sein unruhiger Blick die Gesichter seiner Offiziere links und rechts gestreift, die, dem Dienstrang nach aufgereiht, in strengster zeremoniel-ler Haltung darauf warteten, das Wort ihres Chefs zu hören. Es entstand eine stumme Pause, die nach dem Programm als erster der Divisionskommandeur Fcldmarschall-Lieute-nant von Schwartner unterbrechen mußte.

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Von Schwartner war unansehnlich von Natur und in seinem Alter kurzatmig geworden, und doch dominier-te dieser blaublütige Arrivé von Schwartner über all die Dragonerritter dank seines Generalskostüms mit seinen roten Streifen, goldenen Sporen und hohen Auszeich-nungen. Leopoldskreuz, Eiserne Krone IL Klasse, Kriegs- verdienstmedaille am Bande des Kriegsverdienstkreuzes, Silberne Tapferkeitsmedaille, Kriegsmedaille für die bosni-sche Okkupation 1878, Militärdienstabzeichen III. Klasse für Offiziere, Bronzejubiläumsgedenkmedaille, Militärju-biläumskreuz, der italienische Verdienststern mit allen elf Orden auf der Brust, im Waffenrock, der zu eng geschnürt war für sein asthmatisches Herz, stand von Schwartner da, dann räusperte er sich dreimal laut und trocken, und seine Hand ( wie immer im frischgewaschenen, billigen, mög-lichst allerbilligsten Wildlederhandschuh, den ihm die gnädige Frau an der Peripherie von Wien bei israelitischen Krämern einkaufte ) winkte den Herren Offizieren, aus ih-ren Spalierreihen links und rechts bis zum Teppich einzu-schwenken, Front zur Estrade:

» In Doppelreihen links und rechts bitte anschließen, meine Herren! «

Dieses Aufrücken links und rechts in Doppelreihe ge-schah fast lautlos, in einer Sekunde, und nach einem Au-genblick Sporenklirren wurde es wiederum still. Das Offi-zierskorps des Siebzehnten Dragonerregiments stand still wie aus Wachs, ohne die geringste Bewegung und schaute fast ohne Wimpernschlag auf den Generallieutenant Graf Fudji-Hasegawa wie ein Mann.

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Alle waren sie da, das ganze Siebzehner Eliteregiment. Die Grafen Hollós, Walderode und Buttler, die vier Barone des Regiments, Swirsen, Lendvaj, Rimay und Cziráky, und der Kadett Herzog von Mantua, und die neun Adligen, unter ihnen Oberlieutenant Géza Örkényi es Magasfalvai Ramong, Stolz des Regiments, Doktor der Mathematik an der Tübinger Universität, und dann die elf Plebejer, darun-ter der beste Reiter Szalaj, Sohn eines Komitatskanzlisten, und Oberlieutenant Emil Sztatoczny, der als Maler Talent und jenen Gobelin kopiert hatte, der die Kürassiere von St. Quentin im Sturmangriff bei den Windmühlen von Lützen zeigte.

In diesem Augenblick waren im Saal mehr als fünfzig Sporen, fünfzig Nickelkartuschen, fünfzig Säbel und mehr als zweihundert kostbare Orden: japanische, kaiserliche und internationale aus Silber und Emaille, Seide und Blut; das ganze Riemenzeug, all die Kettchen, bronzenen Lö-wenhäupter, die Roßschweife auf den Tschakos der Hu-saren, Husarendolmane und Dragonergala, Pickelhauben und Helme, goldene Doppeladler, Handschuhe, Tschakos, Löwentatzen und Kartuschen, Augen, Frisuren und Gebis-se – all das sah aus wie aus Wachs gegossen, tot und starr, ohne einen einzigen intelligenten Gedanken.

Kaum daß unter dem Pelz des Husarendolmans und un-ter dem pastellblauen Tuch des Dragonerwaffenrocks das eingezwängte Menschenfleisch einförmig und eben merk-lich atmete. Alle Handschuhe waren weiß, wie mit Krei-de bestrichen, alle Kartuschen glänzten, als wären sie aus kostbarem Metall, alle Knäufe der schweren Reitersäbel,

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alle Troddeln an den goldenen Portepees, alle Sporen, alle Augenbrauen und alle Schnurrbarte – alles das war streng, mit Wichse, Lack und Brillantine bestrichen, in Benzin ge-waschen, gebügelt, geordnet, restlos unter Regie und zur Repräsentation aufgestellt.

Das Kaiserliche und Königliche Siebzehnte Dragoner-regiment stand in Gala unter dem Bild des Kaiser-Impe-rators, unter den altertümlichen Porträts seiner toten In-haber, unter seinen blutigen Fahnen zu Ehren des Siegers in der Mandschurei, von Liao Jang und von Mukden, des Grafen Fudji-Hasegawa.

Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner sprach lang-weilig und schablonenhaft, wie man schon so redet bei derartigen Anlässen. Er sagte, er betrachte es als eine unge- wöhnliche Ehre und sei glücklich, im Namen eines der her-vorragendsten kaiserlichen Eliteregimenter eine der bedeu-tendsten strategischen Kapazitäten begrüßen zu können, einen Mann, der im Pantheon internationaler Berühmtheit und Ehre unsterblich bleiben werde, so wie ein v. Clause-witz, ein v. Bleibtreu, ein Erzherzog Karl unsterblich seien; Graf Fudji sei nicht bloß ein einfacher Empiriker, sondern ein Gelehrter, der auf dem Gebiete der Ballistik schwerer Mörser mit seinem System Fudji 306 bereits im Chinesisch-Japanischen Krieg 1895 ein Recht auf den Lorbeer erwor-ben habe. Amerika habe das anerkannt und ihn schon 1897 zum Ehrendoktor der Columbia University ernannt.

Nach dem Feldmarschall-Lieutenant nahm programm-gemäß der Kommandeur des Siebzehnten, Oberst Warro-nigg, das Wort. Er sprach von den genialen Operationen

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der Armeen des Grafen Nodsu und des Barons Kuroki und betonte besonders, daß die Schlacht bei Liao Jang dank der herrlichen Zusammenarbeit aller, ganz besonders aber durch die Intuition und die strategische Weitsicht des Gra-fen Fudji zum Meisterwerk der Kriegskunst geworden sei. Es ist ihm besonders lieb, daß er gerade heute, am 22. Mai, am 97. Jahrestag von Bonapartes erster Niederlage, im Na-men des siegreichen Siebzehnten Regiments zum Sieger des 29. August spricht. Er erwähnte auf diese Weise sieb-zehnmal das Wörtchen » besonders « und zitierte laut und pathetisch den Tagesbefehl des Generals Kuroki:

» Die Kuroki-Armee, welche so oft schon dem Feind Verluste bereitete, soll nun mit größeren Truppenmassen als dies bis jetzt je geschah, einen Nachtangriff ausführen. Niemand soll darauf bedacht sein, lebend zurückzukehren. Jeder bekleide sich daher mit einem frischen Hemd ( als Leichenkleid ).«

Ein solcher Befehl eines Generals gehört schon nicht mehr in den Bereich militärischer Stilistik! Das ist eine rei-ne Epopöe. Solch ein Zeitalter derartiger Helden ist legen-där. Und einer dieser legendären Helden steht hier auf der Estrade, und das Siebzehnte Dragonerregiment betrachtet in ungewöhnlicher innerer Bewegung diesen 22. Mai 1906 nach dem 22. Mai 1809 als seinen größten Ruhmestag!

Nach einer Pause von 40 Sekunden begann der legendä-re japanische Held zu sprechen. Unter dem Lützener Go-belin, unter den Fahnen von Malplaquet, Kollin, Aspern und Eßling, Magenta und Königgrätz, unter dem Bild des Kaisers, im grauen Salonrock, den Zylinder in der Hand, kurzsichtig und bescheiden stand er da auf der Estrade wie

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ein Professor auf dem Katheder. Er sprach Englisch. Be-scheiden und halblaut bat er die Generale und die Offizie-re des Siebzehnten um Verzeihung, daß er nicht Deutsch sprechen könne, aber was er von seinen Deutschkenntnis-sen nicht vergessen habe, sei so wenig, daß er sich schäme, das hochgebildete kulturelle Niveau dieses ruhm- und sieg-reichen Korps zu beleidigen.

Graf Fudji-Hasegawa sprach lange und langsam, und er hob die einzelnen Wörter besonders hervor, aber es ver-stand ihn in der Versammlung außer dem Grafen Hollós, dem Herzog von Mantua und dem Oberlieutenant Ra-mong so gut wie niemand.

Man hörte ihn den Namen Bonapartes erwähnen, die Schlacht bei Aspern und Eßling, und Wagram, Moskau, Mandschurei, Port Arthur und Liao Jang. Man spürte, daß er sehr geschickt und gelehrt sprach; und weil er die Suggestion zu erzwingen wußte, machte er den Eindruck, dort auf der Estrade stehe ein Praktiker, » der schwarz vom Pulver der Gewehre mehr als 150 Bataillone in den Tod geschickt hatte» ( Zitat nach Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner ), und damit wirkte Graf Fudji auf die Gene-ralität und auf die Dragoner und die Adjutanten magisch und überzeugend.

Das gelbe Gesicht, herb und hart wie aus Kautschuk, die flachen Schneide- und Eckzähne unter den roten Lippen, die glattrasierte mongolische Maske mit der schwarzen Bril-le, der imposante und geheimnisvolle englische Text – das war alles sehr effektvoll und suggestiv. Und hinterher, fast eine ganze Minute nach seinem letzten Satz, rührte sich

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niemand, und keiner sprach ein Wort. Es folgte ein langes Schweigen voll von Respekt und historischem Pathos.

Nach dieser Pause brachte seine Exzellenz den Wunsch zum Ausdruck, alle Offiziere persönlich kennenzulernen. Daraufhin zerteilte Feldmarschall-Lieutenant von Schwart-ner mit einer Bewegung seiner Hand die Achterreihen sei-ner Dragoner zum Spalier rechts und links vom roten Tep-pich, und somit hielt Graf Fudji-Hasegawa, begleitet von Rittmeister Graf Hollós und dem Kadetten Herzog von Mantua als Dolmetschern, vorschriftsmäßig Cercle mit al-len anwesenden Offizieren.

Jedem einzelnen gab er die Hand, und Ritter von War-ronigg erstattete ihm Bericht über alle Berühmtheiten des Siebzehnten Regiments: Baron Cziráky, rangältester Ab-solvent der Kriegsschule, zukünftiger Generalstäbler, und Graf Buttler, der beste Schütze, und der Doktor der Ma-thematik der Tübinger Universität, Oberlieutenant Géza Ramong, und der Maler und Privatist der Pester Kunst-akademie, Oberlieutenant Emil Sztatoczny, und Oberlieu-tenant Szalaj, der beim letzten internationalen Herbstreit-turnier in Kopenhagen den internationalen Weltrekord für den Sprung zu Pferd ohne Anlauf um 7 Millimeter verbes-sert hatte.

So stellte denn Graf Fudji, Schritt für Schritt von der Generalität begleitet, verschiedene Fragen; dann verneigte er sich vor dem Kadetten Fazekas als letztem, grinste wohl-wollend nach allen Seiten und verließ in Begleitung des Feldmarschall-Lieutenants von Schwartner, des Admirals Watanaba und des Generals von Port Arthur Pei Lin Tsi

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den Saal. Man hörte noch die Trompeten am Portal des alten Jesuitenklosters den Marschallsgruß wimmern, die Herrschaften stiegen in den Vierspänner, und in Beglei-tung weiterer vier Kutschen mit Adjutanten und Ordon-nanzoffizieren bewegte sich der Zug im Trab zum Magyari-schen Palatin auf dem Domplatz.

Oberlieutenant Géza Örkényi es Magasfalvai Ramong war aus mehreren Gründen verdrossen. Schon vor

zwei Monaten hatte er seine Habilitationsschrift über die Ellipsoide nach Tübingen geschickt und gedacht, er wer-de damit von Maria-Theresienburg und auch vom Sieb-zehnten Dragonerregiment loskommen, bei dem er schon fünf Jahre, ziemlich wenig begeistert von seinem Schick-sal, diente. Eine Antwort aus Tübingen war indes noch nicht gekommen, und aus privaten Informationen hatte er erfahren, daß die Frage seiner Dozentur in Tübingen nicht so glatt gehen werde, wie es anfangs ausgesehen hatte. Überall tauchten nicht vorherzusehende Hindernisse und Verwicklungen auf.

Abgesehen von Tübingen stand er noch über eine tech-nische Agentur in Pest in vertraulichen Beziehungen zur » Festungsbauabteilung im Kriegsministerium « der Repu-blik Bolivien, wo man einen hochqualifizierten Speziali-sten, Mathematiker und Pionier, suchte. Oberlieutenant Ramong war nun zwar kein Pionier, aber er hatte vor zwei Jahren in Wien den einjährigen Pionierkurs absol-viert, doch weil die Republik Bolivien neue Dokumente angefordert hatte, wurde die Sache immer komplizierter.

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Die Chancen, einige Tausend Pfund pro Jahr zu verdienen, nahmen keinerlei konkrete Gestalt an, indes erschienen ihm die paar Tausend Pfund jährlich als einziger rettender Ausweg aus der romantischen Situation, in die er sich mit der Gemahlin seines Kommandeurs, der Baronin Warro-nigg verwickelt hatte.

Beim Regiment war der Kommandeur Oberst Warro-nigg mit Ramong ( aus vielen Gründen ) unzufrieden, und er hatte ihn selbst » aus eigener Initiative «, wie man das nennt, zum Lehrer für Technologie an der Kadettenschule in Mährisch-Weißkirchen vorgeschlagen, um diese unan-genehme und exaltierte Person, von dem die Frau Obristin Olga schon seit dem vergangenen Silvester schwärmte, los-zuwerden.

Oberlieutenant Ramong hatte keine Lust, unter die Technologen in Mährisch-Weißkirchen zu gehen. Und ge-rade jetzt in die Zeit, wo sich Frau Olga anschickte, nach Sizilien zu verreisen, fiel dieser blöde 97. Jahrestag von Aspern und Eßling, kamen die Japaner, und Oberst War-ronigg, natürlich, drangsalierte ihn mit dem Befehl, einen unmöglichen Lichtbildvortrag im Kasino zu halten.

Was kann man überhaupt über den » Sieg « bei Aspern sagen, wo es doch überhaupt gar kein Sieg war, son-

dern nur ein völlig belangloses strategisches Intermezzo zwischen Wien und Wagram? Von Regensburg bis Thaun, von Abensberg bis Wagram, lauter Débâcles, eins größer als das andere, und was soll das heißen, die historischen Fakten derart zu fälschen? Bonaparte sitzt in Schönbrunn,

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und sie fälschen die Fakten mit irgendwelchen Siegen! Un-glaublich!

So saß der Oberlieutenant Ramong über die Karte der Gegend zwischen Regensburg und Wien gebeugt, auf der alles rot war von kleinen roten Pfeilen, die die Marschrich-tungen von Bonapartes Marschällen Masséna, Davoust, Lannes, Bessières angaben, und starrte mechanisch auf die Städtenamen der Karte und dachte an die Frau seines Kommandeurs, die Obristin Olga.

Gestern abend in der Dämmerung hatte ihr Stuben-mädchen bei ihm geklingelt und einen Brief von Olga ge-bracht. Er wußte, daß sie eine Reise nach Sizilien vorhatte, aber daß sie ihn mit einer gewöhnlichen Visitenkarte und den Buchstaben p. p. c. liquidieren wollte, das war denn doch übertrieben originell von Olga Warronigg. So schüt-telt man sich einen Pinscher vom Schoß, aber nicht einen Doktor der Mathematik und Offizier des Siebzehnten. Ist er ein Sack, daß sie ihn so über Bord werfen?

Wie steht’ s mit der Kräfteverteilung zwischen Aspern und Wagram? Bonaparte: Oudinot drei Divisionen, Da-voust vier Divisionen, die Kavalleriereserve des Generals Bessières fünf Kavalleriedivisionen, Bernadotte, Wrede und Broussier in konzentrischer Bewegung aus Graz nach Linz. Und was ist mit Erzherzog Karls Generalmajor Schoustek? Wo ist dieser Idiot Schoustek? ( Wie kann einer Schoustek heißen? Zu blöd! )

Also mit einer Visitenkarte und den drei Buchstaben p. p. c. ? Olga bildet sich ein, er werde diesen Handschuh vergessen? Es wäre eines Ramong unwürdig, darüber in pas-

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sivem Schweigen hinwegzugehen. Und wenn sie morgen zu dem japanischen Abend erscheint, dann wird er ihr sei-ne Meinung klarmachen. Er wird seine Beziehungen zu dieser Dame um jeden Preis klarstellen! Coûte que coûte! Daran wird sie denken!

Géza Örkényi es Magasfalvai Ramong war eine verhält-nismäßig komplizierte Persönlichkeit. Als einziger Sohn des pensionierten Husarenoberstlieutenants Aurel Ra-mong hatte dieser junge Mann eine sehr trübselige Kind-heit an der Seite seines verwitweten Vaters verbracht, der zudem als junger Husarenoffizier beim Rennen gestürzt und mit einem Holzbein sein Leben lang verschlossen und unglücklich geblieben war.

Nach der Familientradition stammten die Ramong aus Spanien; die Farben ihres Familienwappens aus dem Jah-re 1694 waren die spanischen: ein roter Greif auf gelbem Feld. Zum 27. Geburtstag seines Einzigen im September vergangenen Jahres hatte der Vater ihm die in gelbrote Sei-de gebundenen Blätter Die Briefe an einen jungen Offizier geschickt mit der Bemerkung, er freue sich natürlich, daß sein Sohn in Mathematik promoviert habe, doch sei er der Meinung, daß das kaiserliche Offiziersdekret über seine Beförderung zum Oberlieutenant eine viel wichtigere Aus-zeichnung sei als seine Tübinger Ellipsoide.

Der alte Ramong war als Invalide mit seinem Holzbein in die Verwaltungs- und Rechnungskarriere übergegangen und hatte schwermütig vor Sehnsucht nach der Eskadron zwanzig Jahre lang in den Militärrechnungsämtern als Be-amter gearbeitet, um sich dann eines Tages völlig deklas-

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siert in Pension zu finden. So lebte er trübselig und leer in einer dieser unsauberen und düsteren Straßen um den Pester Ostbahnhof, wo Altwarenhändler angeschlagenes Mobiliar verkaufen und wo aus den Schnapsboutiken die Orchestrions schallen.

Der alte Ramong wohnte im ersten Stock einer riesigen Mietskaserne in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit Renais-sancebalkon und häßlicher, von Regen und Wind verwa-schener Front, wo unter den Gipskaryatiden den ganzen Tag lang feiste, kropfige Tauben gurrten. Im Jahre 1899 hat-te er sich von einer französischen Sanitätsfirma die damals modernste Prothese mit Gummigelenken anfertigen lassen, und in diesem Jahr war er unerwartet auf dem Ball des Ro-ten Kreuzes in Husarengala und ganz neuen Lackstiefeln erschienen. Allein das Faktum des Holzbeins machte den Vater zu einem fremden Wesen, von dem der Sohn sich stumm distanziert hielt; Ramong dachte von Anfang an an seinen Vater als dritte Person und einen fremden Men-schen mit Holzbein.

Die graue Straße beim Ostbahnhof, die drei Zimmer im ersten Stock mit Balkon, der ungeheizte und kalte Salon mit roten Plüschsesseln und einer Imitation von vergol-deten französischen Stühlen ( die unsolide aussahen, so unsolide wie das Mobiliar in Fotografenateliers ), all das war Géza Ramong fern und fremd. Ihm war noch aus frü-her Kindheit der Gedanke befremdend und unangenehm, daß sein Vater ein Holzbein hatte, mit diesem Holzbein blöde Ballveranstaltungen besuchte, daß das Mobiliar im Salon immer mit weißen Stoffbezügen bezogen war, daß

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die Ordonnanz Palatschinken backte, die nach Schicht-seife rochen, daß der Vater jeden Morgen Schnaps trank, stinkende Portoricos rauchte; und in diesem Komplex un-angenehmer Beziehungen hatte Ramong sich so von sei-nem Elternhaus entfernt, daß er nie ein inneres Bedürfnis danach empfand.

Seit seinem elften Lebensjahr war er in militärischen Anstalten gewesen und hatte dabei an sein Elternhaus im-mer sehr kalt, wie an etwas Unangenehmes gedacht, wohin man im Urlaub reiste, wo die gebackenen Hühner immer sehr bleich und ohne Fett, die Knödel hart, die Zimmer ungeheizt und mit goldenen Möbeln in Leinenbezügen vollgestellt waren, und wo ein einsilbiger, verschlossener Mensch lebte, der ein Holzbein und kalte Finger hatte, ein Mann, der nach Unteroffiziersvirginiern stank, spuckte und Schnaps trank. Und später, als er zum Regiment ge-kommen war, zuerst zum Neunten, dann zum Siebzehnten, lebte Ramong in einer ebenso kalten Distanz zu aller Le-bensrealität und wurde allein von seiner einzigen Leiden-schaft fortgetragen: der Mathematik.

Von der ersten Klasse der unteren Militärschule in Kiseg bis nach Mährisch-Weißkirchen war Ramong ein Phäno-men in der Mathematik, geradezu mathematisch hellsich-tig im höheren Sinn des Wortes, dabei isoliert von jeder Lebensrealität.

Für Frauen hatte er nie besonders viel Sinn gezeigt, und die charmante Baronin Warronigg verwandelte sich in den Augen dieses jungen Mannes in ein Ideal, im edelsten und naivsten nachpetrarkischen Sinn.

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» Es kann einer als Kavallerieoffizier ein Weiberheld sein, dann ist er krank, hat die Syphilis, riecht nach Pester Par-füms, schneidet in seiner roten Hose Grimassen wie ein Zirkusaffe, geht in Lack und hat sogenannten Erfolg bei den Damen. Er ist ein Weiberheld, stinkt wie die Pest nach Brillantine, schmiert sich mit Quecksilber ein, hat seine Weiberheldenlogik und lebt danach! «

Er heiratet die Einzige eines Hausbesitzers, wohnt im eigenen Haus als der vornehme Herr Gemahl der einzigen Hausbesitzerstochter, hat eine Apanage von 30 000 Gold-kronen, zieht die Miete ein zu 8 Prozent, trinkt sonntags vormittags Bier auf der Promenade, knuspert Brezel, reist zweiter Klasse im Nachtschnellzug und stirbt dann als Ka-valleriemajor, Paralytiker und Ochse mit großen Hörnern.

Aber Géza Ramong konnte sich nie vorstellen, was ei-gentlich das Geheimnis des sogenannten Erfolgs bei den Damen war. Schon seit der Pubertät war es ihm unter sei-ner persönlichen Würde vorgekommen, sich irgendeiner Dame ( Kleinbürgerin ), die man mit » Gnädiges Fräulein « anredet, zu nähern, in der roten Hose eines Zirkusaffen:

Pardon, wenn Sie nichts Gescheiteres haben, möchte ich um einen Walzer bitten! Er kam sich selbst lächerlich vor, wie eine Karikatur aus den altmodischen, in Samt gebun-denen Alben: Pardon, gnädiges Fräulein, wenn Sie nichts dagegen haben, gestatten Sie, gnädiges Fräulein, darf ich mich vorstellen? Ich bin de Ramong! Ich bin der Edle Ra-mong von Magasfalvai und Örkényi. Oberlieutenant im Siebzehnten. Ich bin ein Syphilitiker in roten Hosen, ich schmiere mir das Haar mit Brillantine ein! Ihr Herr Vater

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ist Apotheker, er besitzt eine angesehene und gutgehende Apotheke auf dem Hauptplatz, verkauft Wurmkuchen, Verdauungstee und Franz-Joseph-I.-Bitterwasser, Ihr Herr Vater besitzt eine herrliche Apotheke mit dunkelvioletten Hypermangangefäßen im Schaufenster, und für mich, gnä-diges Fräulein, wird es eine Ehre sein, der Vater der Apo-thekersenkel werden zu können, der Enkel meines zukünf-tigen Herrn Schwiegervaters, der so frei sein wird, mir das zweistöckige Haus mit Balkon an der Ecke der Maria-Vale-ria- und Matthias-Corvinus-Straße zu schenken und unter dem Titel der Mitgift auf meinen Namen zu überschrei-ben. Sie werden mir, gnädiges Fräulein, Hörner aufsetzen, in Opatija, in Wien und in Roič, und wir werden auf diese Weise ein ideales Paar werden, darf ich Sie um einen Walzer An der schönen blauen Donau bitten?

Da, auf eine derartig imbezile Art kommt man an Frau-en! An was für Frauen? An diese Theresienburger Gäns-chen, die auf den Bällen wie von Sinnen kichern, und die alten Nachteulen von Apothekermamas schauen uns an mit dem Blick von verfluchten Erinnyen! Zu blöd! Es war ihm immer unter seiner persönlichen Würde erschienen, und er wäre sich selbst in einem solchen Augenblick blöd vorgekommen wie eine Figur aus einem altmodischen Plü-schalbum:

Pardon, wenn Sie nichts dagegen haben, ich bin, ge-statten Sie mir, daß ich mich vorstelle, der Edle von Ra-mong! Unwürdig! Komisch und dumm! Aber trotzdem: wenn einer kein Schlittschuhläufer ist, kein Tänzer, kein Weiberheld, kein Kartenspieler, kein Syphilitiker – etwas,

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zum Teufel, muß er doch immerhin sein in diesem System von Pferden, Champagner, Weibern und Karten! Wie kann denn, zum Teufel, der Mensch » Mensch « werden in diesem System von Pferden, Champagner, Apothekergäns-chen und Poker?

Bandi Kállay zum Beispiel war ein Weiberheld! Oberlieu-tenant Bandi Kállay war schon fünfzehn Jahre lang unun-terbrochen aufs glücklichste in wenigstens dreißig Frauen verliebt. Immer elegant, im Lack, frisch gebadet, durch-manikürt, pedikürt, durchmassiert, durchtrainiert, durch-purgiert, durchvoltigiert, quecksilberimprägniert, durch- gonorrhöisiert, in Panik und Verwirrung, ausrasiert, gepu-dert.

Bandi Kállay ( geradezu in Todesangst vor einzigen Apo-thekerstöchtern ) lernte Englisch nach der Methode Berlitz, korrespondierte mit sieben Damen zugleich ( niemals im eigenen Regiment gemäß den berühmten Vorschriften der alten erprobten aktiven Liebhaber ), er lernte die modern-sten Tänze, Boston und Cakewalk, spielte La Machicha auf der Gitarre, sang das neueste Couplet von Medgyasszay: » Little lady, oh yes, oh yes «, und war einer der glücklichsten Schürzenjäger im ganzen Siebzehnten Regiment.

Er war als Liebhaber dekorativ, ohne Furcht und Tadel, trug am linken Arm drei goldene Armbänder, wohnte im Hotel Zum Magyarischen Palatin ( denn er konnte nicht leben ohne warmes Wasser, ohne Bidet, für sich und die Damen, für die das Bidet eine französische Schweinerei war ), hatte ein paraphiertes Fotoalbum mit einer ganzen Serie nackter Frauen, mit all seinen Liebchen, und so blöd

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sympathisch, gefräßig, mit englischer Pfeife und bereits den ersten Zeichen sichtbarer Glatze spielte Bandi Kállay Karten, lieh Geld, setzte auf Pferde, liebte und lebte aben-teuerlich von 24 bis 24 Uhr, wie sich das auch für einen Weiberhelden gehört.

Oder der Kadett Herzog von Mantua, zum Beispiel! Er malte, komponierte, beschäftigte sich mit technischen Erfindungen und war auf englische Zeitschriften abon-niert, er fotografierte, studierte Jura, war reich, jagte mit den kaiserlichen Prinzen, war die Sensation aller Damen, ja, der Herzog von Mantua war ein Weiberheld dank des blaublütigen fürstlichen Prestiges seines blauen Strumpfs. Ihm gaben sich die Frauen hin, ohne zu überlegen, glück-lich, daß sie es durften, denn er hob die Frauen empor zu seinem fürstlichen Glanz und Ansehen, und alle seine Be-ziehungen in Maria-Theresienburg kompromittierten, im gesellschaftlichen Sinn des Wortes, nur ihn.

Kreisassessor Dr. Ujhely zum Beispiel, Gemahl von Frau Ujhely, dem neuesten herzoglichen Flirt, betrachtete die fürstlichen Besuche in seiner bescheidenen Wohnung an der Sandor-Petöfi-Straße als besondere Ehrung.

Alle Aristokraten des Siebzehnten waren Weiberhelden, und vom Rittmeister Grafen L’ Ours-Walderode sagte man, er sei progressiver Paralytiker, und da hatte einmal Rittmei- ster Döbrentey ( selbst auch progressiver Paralytiker ) in betrunkenem Zustand laut behauptet, die Theresienburger Abteilung des Siebzehnten gleiche eher einem Varieté-En-semble als einem richtigen Regiment.

Rittmeister Döbrentey war ein ausgeprägt mongoli-

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scher Typ, mit kräftigen, knochigen Jochbeinen, waagrecht geschnittenen Augen, und als Chef der Regimentsma-schinengewehrabteilung sprach er immer mit einem tie-fen Bariton, als riefe er im Gewehrfeuer aus einem tiefen schwarzen Faß.

» Meine Herren, ich sage Ihnen: Wenn wir alles Queck-silber verkauften, das in den Adern unserer Kameraden fließt, hätten wir Quecksilber genug für alle Thermometer unserer ganzen Kaiserlichen Armee! Ein Offizier ist ein Of-fizier, wenn er schwarz ist vom Schießpulver, vom Qualm der Geschütze, von Blut und Schlamm bedeckt – das ist der Offizier als Mann, aber heute, das sind Wachspuppen, Modelle für den neuesten Modeschnitt, Mannequins, die in die Schaufenster des Maria-Valeria-Korsos gehören! « ( Die Maria-Valeria-Straße war die Hauptstraße von Maria-Theresienburg: mit dreißig Schaufenstern und zwei Cafes war diese Straße der Korso von Maria-Theresienburg, auf dem die Dragoneroffiziere jeden Tag herumbummelten und Frauen jagten ).

Oberlieutenant Ramong tanzte nicht, spielte nicht Kar-ten, war kein Weiberheld, aber auch für die Kriegs-

kunst zeigte er nicht viel Interesse. Sein glattrasiertes, ener-gisches Gesicht mit den dünn geschnittenen Lippen, seine hohe Stirn und das üppige, wellige Haar, sein hartnäckiges und nachdenkliches Schweigen, all das verriet einen Men-schen, den man im Regiment für einen etwas überspann-ten und unzugänglichen Sonderling hielt. So wie Lieute-nant Winterfeld der » Schöngeist « des Regiments war und

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Gedichte unter dem magyarischen Pseudonym Viktor Téli drucken ließ ( seine Sammlung venezianischer Sonette Tor-re del orologio hatte in der Kritik der Provinzpresse überdies ziemliche Beachtung gefunden ), und so wie Oberlieute-nant Sztatoczny malte, so hatte Ramong angefangen, sich mit der Mathematik zu befassen, anstatt mit dem schönen Kassafräulein Žofika über Walzer zu plaudern oder von Pferden und Karten zu schwätzen.

Zuerst aus Langeweile, aber dann wurde die Mathema-tik für Ramong Ersatz für Zigaretten, Pferde und Karten: mit der Zeit verwandelte er sich in einen leidenschaftli-chen Mathematiker. Nachts las er Euler, La Grange und Descartes, und morgens hatte er Angst vor der Trompete.

Gelbes Licht in den Ställen, Pferdedunst, das Kauen auf dem Heu, das Klirren der Pferdeketten, die Zurufe der Stallwachen, all das festungsmäßig Trübe in seinem eintö-nigen Reiterleben, all das, was unangenehm und schmut-zig war: Nebel und dunkle Herbstmorgen, Gestank feuch-ten Sägemehls in der Reitbahn, der unangenehme Kontakt mit den Vorgesetzten – all das löste sich zu Rauch auf in der hellen Welt der Formeln, wenn die neueste Nummer des Cambridge Mathematical Journal in seinem hellgelben Deckel eintraf. Ramong las sein Cambridge Mathematical Journal mit Genuß, so wie man Partituren liest. Dieser Umschlag in hellem Ocker, der zitronengelbe Deckel, be-deutet für den Oberlieutenant Ramong eine tatsächliche, wahrhaftige, tiefe, naive Freude, ein Vergnügen, wie es auf-tritt in den Augen der Kinder, wenn sie mit den Fingern gelbe, raschelnde seidene Cornets voll von Datteln oder

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Schokoladenbonbons anrühren, und als der Jahresbericht der deutschen Mathematiker seine Arbeit über die Disqui-sitionen von Gauß druckte, fühlte Ramong sich wie einer, der lange in der Windstille eines traurigen und armseligen Hafens auf den Wind gewartet hatte.

Das einzige Bild, das sein Zimmer schmückte, war eine vierfarbige Heliogravüre von Géricaults Komposition Le Radeau de la Méduse, die er aus einer Wiener Kaffeehausil-lustrierten vor einem Jahr ausgeschnitten hatte, unmittelbar nach seinen ersten körperlichen Kontakten mit Olga, die ihn mit dieser Komposition bis zum Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Für Olga war dieses Bild von Géricault zum Lebenssymbol geworden, ein Bild all ihrer Schiffbrü-che, und Ramong, ein Mann mit lebhafter, mädchenhaft reiner Phantasie, hatte diesen genialen malerischen Schiff-bruch in einem seltsamen Vorgefühl seines eigenen Unter-gangs liebgewonnen.

Als Ramong zum Pionierkurs nach Wien abkomman-diert war, hatte er fast ein ganzes Jahr lang auf der Univer-sität den Jakobi-Enthusiasten Müller gehört, und der hatte ihn an seinen Schüler Lichthofen, Professor in Tübingen und Weltberühmtheit ersten Ranges, empfohlen. So war zwischen Lichthofen und Ramong eine mathematische Korrespondenz in Gang gekommen, die damit endete, daß Ramong zur Ehre eines Doktors der Mathematik in Tübingen promoviert wurde. Dies Doktorat der Mathema-tik machte aus ihm einen der interessantesten Offiziere im Siebzehnten, und natürlich bekundete vom vergangenen Silvester bis zum Mai ( genau vor einem Jahr ) die Frau Ob-

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ristin Olga ein überaus wohlgeneigtes Interesse für diesen jungen » Mathematikprofessor « mit den feuchten, dunklen, melancholischen Augen eines jungen Pointers.

Alles entwickelte sich recht banal, nach allen Regeln von Olgas Methode. In einem Sanatorium in Baden bei Wien nahm im vergangenen September dieses Abenteuer seine konkretere Gestalt an, und Ramong, für den Olga eines der ersten ernsthafteren Erlebnisse war, verlor alle Gewalt über sich. Alle seine Kombinationen hinsichtlich der Dozentur in Tübingen, all seine Hoffnungen und Träume von den Tausenden bolivianischer Pfunde – all das erhitzte sich bei Ramong zu einer völlig unausgeglichenen Temperatur, bei der dieser junge Mann jeden Sinn für die Realität verlor.

Bei Olga war das ein ganz gewöhnliches Abenteuer ( » Mein Gott, ein Erlebnis mehr oder weniger ist ja schließlich egal « ) und sie war den ganzen Winter darauf aus, diese unange-nehme und für die kleinen Theresienburger Verhältnisse jedenfalls überflüssige und dumme Verbindung möglichst ohne Reibung und Konflikt abzubauen. Im ganzen Früh-jahr hatte sie Ramong kaum zwei-, dreimal getroffen, zu-letzt Mitte April beim Morgenritt in der Eichenallee des bischöflichen Tiergartens, und gestern hatte sie ihm vor ihrer Abreise nach Sizilien eine Visitenkarte mit den drei Buchstaben p. p. c. ( pour prendre congé ) geschickt.

Der Vortrag des Oberlieutenants Ramong über den » Sie- benundneunzigsten Jahrestag der Schlacht bei Aspern und Eßling « im Offizierskasino vor den hohen japanischen Gä-sten fiel so langweilig aus, daß er langweiliger nicht hätte sein können. Im kleinen Saal des Kasinos war es unerträg-

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lich heiß. Im Saal, der nur sechs Fenster hatte, drängte sich die Masse Damen der Theresienburger Gesellschaft, so daß alle sieben angrenzenden Zimmer und die zwei Vorzimmer und alle Flure übervoll von Gästen waren. Ramong war vollkommen geistesabwesend. Er las sein Manuskript geist-lostrocken herunter, und dazu so leise, daß seine Stimme sich schon in den ersten Reihen verlor. Die Parkettböden knarrten, man hörte die Damen sich bewegen und Sporen rasseln, auf den Fluren trugen die Ordonnanzen ununter-brochen Stühle und Limonade, die Lampe des Projektors ging ein paarmal aus, und Oberlieutenant Ramong war einfach nicht imstande, sich zusammenzunehmen.

In der zweiten Reihe, im braunen Halblicht, im weißen Spitzenkleid mit cremefarbenem Sonnenschirm und langen schwarzen Handschuhen bis an die Ellbogen, ganz weiß wie aus Alabaster, saß die Frau Oberst Olga Warronigg ne- ben den beiden Theresienburger Generalinnen; wie sehr sich auch Ramong anstrengte, sich auf die Ereignisse zwischen Regensburg und Wagram zu konzentrieren – er dachte unablässig an Olga; an ihre drei Buchstaben p. p. c. und daran, daß sie mit ihrer durchsichtigen Schönheit alle diese Generalinnen überragte ( all diese Apothekerskreatu-ren, elendige! ), daß die düstere schwarze Farbe ihrer Hand-schuhe, die so dunkel waren wie die dunkelsten Stiefmüt-terchen, in diesem Augenblick einen herrlich pathetischen Zusammenbruch symbolisierten, den Zusammenbruch all dessen, um dessentwillen es ihm lohnend erschienen war zu leben; er dachte daran, wie diese bleiche, alabasterne Frau im vollen Glanz ihrer Schönheit in seinen Armen ge-

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schlafen hatte, wie samten nackt sie gewesen war, wie ihr Haar übergossen war vom Duft einer dunklen, giftigen, tief unterirdischen, charonischen Kaskade, und morgen wird es sie nicht mehr geben auf diesem Planeten, sie wird ver-schwinden wie ein Schatten vor dem Morgengrauen, wird sich lautlos in Rauch auflösen, und er wird allein bleiben in seiner Schande und Dummheit.

Ohne Zweifel hat bei Warroniggs Vorschlag, ihn nach Mährisch-Weißkirchen zu versetzen, diese Dame ihre

Finger im Spiel gehabt! Sie fährt nach Sizilien, dann wird sie den Sommer in Agram verbringen, und im Herbst, da ist er schon lange in Weißkirchen! Eine edle Behandlung!

» Und am 5. Juli hatte Erzherzog Karl 135 000 Gewehre und mehr als 400 Geschütze zur Verfügung. Bei Florids-dorf, Wagram, Hirschstetten, Aspern und Eßling stand das sechste Korps des Generalmajors von Klenau. Als linker Flügel zwischen Graf Nordmann und Kolowrat stand in der Brigade des Generals Schoustek das Siebzehnte Regi-ment. Der Wasserstand der Donau war zwei siebzig über normal! «

Sie ist nervös. Sie wischt sich dauernd die Nase, als ob sie erkältet wäre! Ihre Augen sind feucht, sie beißt sich

auf die Lippe! Ihre Handschuhe sind dunkel wie der Pau-kenbehang bei Kavalleriebegräbnissen!

Sie hatten zusammen D’ Annunzios Vergine delle Rocce gelesen – und Galathea hatte silberne Knie wie jenes Ba-rock-Kruzifix in Mantua. Oh, diese Knie von Galathea,

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als sie bei ihm gebadet hatte, in seiner Wiener Wohnung, dreifach glänzend im Kristall der Spiegel, übergossen von den sieben Farben des Prismas, mit hellen Alabasterknien und dichtem Seidenhaar, und er hatte mit seiner warmen Handfläche gefühlt, daß ihre Kniekehlen kalter Marmor waren.

Galathea war von jeher kalter Stein gewesen, grausamer, fühlloser Marmor eines blöden Grabdenkmals, ihre Vorfah- ren sind grobe, balkanische, slawische Bauern, Barbaren, alles ist dort bei ihnen nackt, stumm, von Stein, unmensch-lich –

»Aber im Laufe der Nacht vom 4. zum 5. Juli schlug Bo-naparte während heftigster Sturmböen Brücken über den Donauarm, und indem er so seine Linie auf der Basis Oudi-not-Bernadotte erweiterte, hatte er 170 000 Gewehre zur Verfügung. So begann die blutige Ouvertüre zur Schlacht von Wagram sich zu entwickeln, zu einer der fatalsten und furchtbarsten Katastrophen der gesamten Kriegsgeschich-te.«

Diese halblaute Aufzählung strategischer Fakten dauerte etwas über 35 Minuten. Dann leuchtete im Saal der Lüster auf, und es ergoß sich im Raum das Gemurmel der Gäste. Ramong wurde vom Grafen Fudji-Hasegawa sehr herzlich beglückwünscht, und der General von Port Arthur, Pei Lin Tsi, erzählte ihm etwas auf englisch und mischte in seine englische Sprache japanische Ausdrücke, so daß Ramong kein Wort verstand. Nach dem Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner, der Ramong sehr kühl die Hand gab, ohne ein einziges Wort, kam Oberst Warronigg.

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» Ich bin mit Ihnen sehr unzufrieden, Ramong! Sie ha-ben den Schwerpunkt Ihres Referats auf die Ereignisse zwi-schen Regensburg und Wagram verlegt, und nach Ihren Ausführungen sieht es so aus, als habe sich bei Aspern und Eßling geradezu gar nichts ereignet. Heute abend feiern wir nicht Wagram, die größte strategische Katastrophe der Weltgeschichte, sondern Aspern und Eßling, mein Lieber. Das ist direkt unbegreiflich! Und dann: die Rolle der Bri-gade Schoustek und unser Siebzehntes Regiment, all das ist Pfuscherei und taugt nichts! Ferner: Der geringste Takt gegenüber unseren Gästen hätte eine Parallele erfordert; wenn sonst nichts, dann hätte Ihnen die Anzahl der Ge-schütze als Anhaltspunkt dienen können. Bei Wagram und Liao Jang, dort und hier etwa genau die gleichen Kräftever-hältnisse. Im übrigen – hierüber werden wir im einzelnen morgen beim Rapport noch reden.«

Ohne dem Oberlieutenant die Hand zu geben, dreh-te Oberst Warronigg ihm mit einem leichten Kopfnicken den Rücken und ging zur Gruppe, die sich um den Grafen Fudji gebildet hatte, dem gerade die Gräfin Margit Hollós, geborene Gräfin Hussarek-Walderode, vorgestellt wurde. Warronigg war wütend und beleidigt. Er hatte erwartet, Ramong werde den General Albert Warronigg, seinen Ur- großvater, erwähnen, der als Oberstlieutenant der Che-vaux-Légers in der Brigade des Generals Schoustek in der Schlacht bei Aspern namentlich im allerhöchsten Befehl zitiert worden war und in der Schlacht bei Aspern und Eßling sein Baronat gewonnen hatte. Diese Sache war al-len Offizieren des Regiments bekannt, und beim Fackelzug

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des Regiments gestern abend hatte Oberstlieutenant Redl als Kommandant des Fackelzugs sie ganz besonders nach-drücklich betont. Nach Auffassung des Obersten Warro-nigg war es ganz außerordentlich unachtsam von Ramong, diesen Umstand unerwähnt zu lassen, und seiner Meinung nach hätten ein Gefühl für Regimentskameradschaft und Sinn für Solidarität eine Erwähnung vor den japanischen Gästen verlangt.

Ramong stand neben dem Tisch, hoch, schlank, nervös, verschwitzt, sammelte seine Manuskripte und Karten und blickte auf die Gäste im Saal wie im Traum. Der Lüster schien mit gelblichem Licht, draußen auf der Straße blaute in den vier Ecken des Fensters ein warmer Maispätnach-mittag. Dort bewegen sich die Herren, die Damen, die Sy-philitiker und die Erbtöchter der Apotheker – das Theresi-enburger high life. Da lächelt Oberlieutenant Baron Rimay und trägt hoch über den Damen einen geflochtenen Stuhl, und Galathea ist mysteriöserweise verschwunden. Gala-thea ist nicht mehr da, sie ist weg! Nein. Olga ist hier. Sie lächelt so charmant dem Admiral Watanaba zu, sie spricht mit ihm englisch, natürlich, Olga spricht gut englisch!

»Was hast du heute abend, Geza? « Bandi Kállay kam auf Ramong zu. » Du hast heute abend derartig miserabel etwas dahergemahlen, daß ich meinte, du würdest ohn-mächtig. Was ist dir? Bist du krank? Du bist gelb wie eine Zitrone! «

Im großen Saal der Offiziersmenage des Siebzehnten Re-giments ( der alten Jesuitenbibliothek ) war ein Hufeisen

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für 62 Personen gedeckt. Der Maître d’ hôtel des Magyari-schen Palatin, Hochnjetz, ein alter, routinierter Bordellmei-ster großen Stils, in allen Etablissements des Kaiserreichs berühmt und bekannt, ein Mann, der in erstklassigen Schweizer Etablissements gearbeitet hatte und dabei ein bekannter Fachmann für Fisch, Wein und Eis aller Sorten geworden war, verwandelte dieses schablonenhafte Hufei-sen für 62 Personen in ein Ereignis, von dem man in The-resienburg noch lange sprach.

Statt eines Tischtuchs hatte Hochnjetz einen grünen Teppich aus weichem Moos mitten auf den Tisch gelegt und mit Tulpen und Maiglöckchen geschmückt, und vor jedem Service stand im Moos eine à la mode anglaise ge-bundene Kokarde in den rot-weißen japanischen und den schwarz-gelben kaiserlichen Farben.

Silberne Kerzenleuchter in drei Metern Abstand, Kri-stallvasen mit Rosen, Tannengirlanden und die dekorati-ven Kokarden – all das wirkte schon nachgerade als grands trucs austro-hongrois à la Hochnjetz. Aber beim schwarzen Bikavér aus Somogy und einem bernsteingelben dicken Tokajer, den man bereits im 16. Jahrhundert den grauen Bruder nannte, einem Wein, der im ganzen ungarischen Reichsteil durch sein Honigbouquet berühmt war, einer Gabe Gottes, mit der der Heilige Vater Papst Leo XIII. sämtliche feierlichen Gottesdienste in der Basilika zu Sankt Peter zelebrierte, beim kaiserlich-ärarischen Törley-Champagner, Plattenseefisch und Theresienburger Wach-teln, beim schweren dunklen Wein aus Somogy jenseits der Donau, der sich des homerischen Epithets des schwarzen

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venösen dicken Stierbluts rühmt ( und nach dem Rauch bäuerlicher Herdstellen riecht ) – bei all dem wandelte sich das crescendo lento dieses Dragonersymposions von Augen-blick zu Augenblick mehr in ein wildes Zigeunerallegretto, so daß nach den ersten Trinksprüchen und Hochs auf den Mikado und den Kaiser-Imperator F. J. I. schon alle Köpfe rot waren.

Generallieutenant Graf Fudji-Hasegawa saß auf dem Ehrenplatz zwischen den zwei Generalinnen, der

Frau von Schwartner, Gemahlin des Divisionärs und Feld-marschall-Lieutenants, und der Frau Draveczka Dravecz-ky, Brigadiersgattin, geborene Baroneß Lendvaj. Von der Dame aus Wien, Mizzi Schwartner, sagte man, sie sei Stu-benmädchen gewesen, und bei ihr im Salon ( Louis XV ) ging die Konversation über Dienstmädchen, Wäschewa-schen und Kompotts, während die Brigadiersgattin Dra-veczka Draveczky eine bekannte Reiterin der Spanischen Schule und jeden Morgen zu Pferd in der Pappelallee an der östlichen Stadtperipherie zu sehen war.

Der Sieger von Liao Jang, Graf Fudji-Hasegawa, ein voll- endeter Meisterpsychologe und Kenner der weiblichen Seele, dem es nicht schwer gewesen war, alle Geheimnis-se der Wiener Naiven zu entdecken, erläuterte denn also der gnädigen Frau Mizzi Schwartner, daß die Frage eines guten und treuen Personals in Japan nicht von so großer Bedeutung ist wie in Theresienburg, wo nach Aussage der Frau Generalin Mizzika » ein Mensch nicht imstande ist,

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um irgendeinen Preis an ein solides magyarisches Stuben-mädchen zu kommen «.

» Exzellenz, Sie müssen wissen, daß wir, das glückliche Volk unseres allerhöchsten Mikado, wir Japaner, zu unse-rem großen Glück noch immer im vollen 18. Jahrhundert leben. Unseren Göttern sei Dank, unserem Ten-no, unse-rer Tradition, bei uns ist der Begriff der westeuropäischen Demokratie völlig unbekannt. Bei uns hat niemand eine Vorstellung, was dieses odiöse und dumme Wort bedeutet. Wir Japaner, wir sind, Gott sei’ s Dank, ein feudales Volk, Exzellenz. Bei uns ist der Begriff der Revolution völlig un-bekannt. Bei uns schweigt das Personal, als wäre es taub-stumm! «

»Ja, gewiß, Revolutionen gibt es nicht, selbstverständlich nicht, um Gottes willen, Exzellenz, aber bei euch Japanern gibt’ s keine Ungarn, bei euch spricht man nicht ungarisch, dort bei euch spricht ja die ganze Welt japanisch, ihr seid’ s ja alle Japaner. Aber bei uns! Und wenn das Zimmermäd-chen aus Wien ist, dann hat sie keine Ahnung von der ma-gyarischen Sprache, und man kann sie nicht mal um ein Viertel Kaffee in den Laden schicken, denn jetzt hat der magyarische Chauvinismus sein Haupt wieder in solchem Maß erhoben, daß man niemanden irgendwo bedient, wenn er nicht magyarisch kann. Die Japaner haben’ s leicht, wo alle japanisch sprechen und keinerlei Sorge haben mit ihren Zimmermädchen, wenigstens in sprachlicher Hin-sicht! «

Links und rechts von den Generalinnen saßen die zwei japanischen Helden, der General von Port Arthur, Pei Lin

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Tsi und der Admiral Watanaba. Neben dem Admiral Wata-naba hatte Frau Olga Warronigg ihren Platz, neben Pei Lin Tsi die Gräfin Hollós, die Gemahlin vom Großgespan Graf Hollós, Vater des jungen Hollós, des Rittmeisters beim Siebzehnten. Die Generale Schwartner und Draveczky, die Obersten, der Kommandeur des Siebzehnten, Warronigg, und des 107. Infanterieregiments, Fuchs, saßen vis-à-vis der Japaner mit den Gräfinnen und Baroninnen und den The-resienburger Damen, entsprechend einem bizarren, eine Nuance asiatischen Protokoll, über das sich Olga volle 24 Stunden lang den Kopf zerbrochen hatte.

Alles entwickelte sich plangemäß ohne jeden Zwischen-fall. Der Törley-Wein war gut, der Champagner ließ sich ohne Explosionen öffnen, die Ordonnanzen, Dragoner in weißen Handschuhen ( Kellner im Zivilberuf ) servierten sehr höflich und diskret, die Kapelle des Hundertsiebenten unter der persönlichen Leitung des Kapellmeisters Czibul-ka spielte sanft und einschmeichelnd, mit einem Wort, das Siebzehnte Dragonerregiment brauchte sich seines Sieges über Bonaparte am 22. Mai 1809 nicht zu schämen.

Bereits beim englischen Roastbeef zeigte sich, daß Graf Fudji-Hasegawa ganz gut deutsch sprach. Er erklärte den Generalen auf der anderen Seite des Tischs das Geheimnis seines Erfolgs über den Generalleutnant Blagovješčenskij. Damit nun den Herren auch die Distanzen seiner operati-ven Basis völlig klar wurden, verglich Graf Fudji die Ent-fernungen des fernen mandschurischen Kriegsschauplatzes mit österreichischen Distanzen, und es zeigte sich dabei auch, daß Graf Fudji die österreichisch-ungarische Karte

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ganz genau kannte. Die Distanz von Pula bis nach Bruck an der Mur entspricht ungefähr der Distanz Port Arthur–Liao Jang und die von Pula nach Wiener Neustadt ungefähr der von Port Arthur nach Mukden. Wafangu ist Ljubljana, Fönhuantschön ist Zala-Egerszeg ( er sprach Zala allerdings falsch aus wie Tsala und Windschu ist Kiskomár.

Dieses allmählich doch ein bißchen rätselhafte Feuer-werk von völlig sicher, geradezu meisterhaft beherrschter Materie lokaler österreicherischer topographischer Details und Entfernungen ( von Pula nach Bruck an der Mur! ), diese bravouröse Mnemotechnik, dank derer der japani-sche Admiral die Begriffe und Details vor den Herren Ge-neralen einfach sackweise ausschüttete, das kam den be-scheidenen Provinzstrategen einigermaßen überraschend, und diese Überraschung grenzte an Verwunderung, ja ei-gentlich noch mehr: an Staunen. Das Ansehen der japani-schen Generale wuchs nachgerade, aus der Theresienburger Garnisonsperspektive gesehen, gespenstisch-steil, so daß es allmählich fast übermenschliche Ausmaße annahm. Diese kleinen gelben Katzen herrschten in dieser Nacht über die Theresienburger Generalität wie Giganten. Bei jedem zwei-ten Wort dieser Helden zwinkerte man sich in den Reihen der Offiziere bloß noch hingerissen zu.

Admiral Watanaba, den die Obristin Warronigg mit ih- rem perfekt englischen Air absolut charmierte, sog am Tör-ley und erzählte, wie er in einem Graben den Kopf des russischen Generals Graf Rutkovskij gefunden hatte. Das war bloß eine unbedeutende Episode im Zuge der Arrière-gardegefechte Kuropatkins bei Wafangu: die Generale von

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Raaben, Fürst Nitko und Graf Rutkovskij sitzen siebenein-halb Kilometer hinter der Artillerielinie in einer Pagode und spielen Poker. Explosion einer japanischen Granate, und drei Generale mit ihrem Poker bei Cognac und Ziga-retten verwandeln sich in drei Stücke Fleisch ohne Kopf, wobei der Kopf des Generals Rutkovskij noch acht Stun-den später in seinen Lippen eine Zigarette in einer golde-nen Spitze hielt. An Hand dieser goldenen Spitze hat man ihn später denn auch identifiziert! Die goldgerandete Ziga-rettenspitze war dem Admiral Watanaba das liebste Anden-ken aus diesem ritterlichen Krieg. Strahlende Blicke fun-kelten schlangenhaft, alle zugleich wie hypnotisiert zu dem strahlenden goldenen Gegenstand hin, der in den dünnen, durchsichtigen, spinnenhaften Fingern dieses Panthers wie das unheilvolle Zeichen eines legendären Siegs funkelte.

Admiral Watanaba plauderte all diese blutigen Ge-schichten mit einer Art von überlegenem Lächeln daher, als blicke er viel weiter als alle hier anwesenden komplet-ten Ignoranten der Kriegskunst, und bei der Beschreibung des Elends der mandschurischen Bevölkerung sparte er nicht mit den düsteren Farben. Er sprach über einzelne Fälle von Kannibalismus in der Mandschurei, wo Mütter ihre eigenen Kinder braten, denn der Krieg hat diese elen-de Provinz überrannt und hat sie dann als » internationale neutrale Zone « den Elementen auf Gnade und Ungnade überlassen. Die Mandschurei gehört heute weder zur rus-sischen noch in die japanische Sphäre; dort gibt es keinen einzigen Vogel, denn die Leute haben alle aufgegessen. Die Vögel und die Hunde, und die Katzen, und die Pferde, und

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die Kühe, und die Kinder, und das Zugvieh! Immerhin seien die Japaner, geleitet von der Idee der Menschenliebe, darangegangen, internationale Hilfsausschüsse für die Pro-vinzen, die von der Katastrophe niedergewalzt wurden, zu gründen, und so organisieren sie jetzt zusammen mit den amerikanischen Quäkern und der Heilsarmee in einzel-nen Ländern Wohltätigkeitskomitees in internationalem Rahmen. Die amerikanisch-japanische Aktion habe bisher ganz schöne Ergebnisse erbracht.

Frau Warronigg interessierte sich sogleich für die elende Lage der mandschurischen Witwen und Kriegswaisen, aber da in ein, zwei Tagen ihre Abreise nach Sizilien bevorstand, versprach die Generalin Mizzi Schwartner, sie werde mit der Generalin Draveczka und der Gräfin Hollós sogleich so ein transdanubisches Komitee im Rahmen der amerika-nisch-japanischen Aktion gründen und damit die Initiati-ve für das ganze Königreich des Hl. Stephan ergreifen.

Diese philanthropische Initiative von derartig charmant-großherzigen Damen fand ein sentimentales Echo in der ganzen betrunkenen Gesellschaft, und die Frau Obristin Fuchs ( geb. Sachs-Lohner, israelitischen Bekenntnisses, Mit- besitzerin der kaiserlichen Mineralwasserquelle » Franz-Jo-seph-Bitterwasser « ) zog als erste ihr Brillantarmband ab, um auf diese Weise allen Millionärsfrauen im Reiche des Hl. Stephan ein Beispiel zu geben.

Oberlieutenant Ramong saß bei den subalternen Her-ren und den unverheirateten Offizieren am linken

Flügel des Hufeisens so unglücklich, daß ihm der Ausblick

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zum Zentrum um die Generalität, Admiral Watanaba und Frau Olga, von den brennenden Kandelabern und dem Grün der Dekoration versperrt wurde. Durch den rußi-gen und warmen Glanz der Wachskerzen, durch das grüne Laub von Immergrün, Lorbeer und Rosen konnte Ramong den weißen Fleck von Olgas Dékolleté ahnen, und von Zeit zu Zeit hörte er durch das Klirren von Glas und Gei-gen Olga lachen, lustig, nervös, sonderbar, fern.

Galathea zitiert Shelley: Here o here tbe song of wind … Galathea zitiert Shel-

ley – und das ist gefährlich. Auch ihm hatte sie Shelley zi-tiert, und alles war gelogen! Wie unverschämt sie bloß log, diese antipathische, unbeständige Nymphomanin, was hat-te sie vom ersten Tag an schamlos gelogen, wie nach einem höheren Plan, und nichts war wahr! Alles war bei dieser Frau Schauspiel und Pose. Warum hatte sie ihn belogen? Warum hatte sie ihm unter Tränen vom ersten Morgen ih-rer Ehe mit diesem Kavallerie-Bramarbas erzählt? Warum hatte sie diese ganze romantische Geschichte von ihrem Selbstmord erfunden?

Sie war raffiniert halb nackt unter dem seidenen Crè-pe-de-Chine-Schleier, weich wie ein Schmetterling unter seinen Fingern, und ihr üppiges, aromatisches, fettes Haar duftete wie Weihrauch in dem kleinen Zimmer damals in Wien. Sie erzählte ihm von jenem verfluchten gelben, nebligen Morgen im Hotel Admiral Tegetthoff, an dem für dieses siebzehnjährige kleine Mädchen der Kreuzweg mit einem aristokratischen Gorilla begonnen hatte. Die-ses bleiche, unglückliche kleine Mädchen in den Armen

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des betrunkenen, groben Syphilitikers, des Kavalleristen, in diesem idiotischen Wien, wo die Sonnenuntergänge so trostlos sind und wo das arme, verlassene Kind niemanden hatte, zu dem sie nur ein einziges menschliches Wort hätte sprechen können!

Galathea war allein, o Herrgott, ganz allein, und als sie sich in das graue, schlammige Wasser stürzte, da war das ihre menschlich-tiefe, edle, poetische Geste, mit der sie um Erlösung flehte. Kalt wie eine Guillotine fühlte Ramong den scharfen Stahl des Messers, das sich in sein Zwerchfell drückte, und sie hatte ihm dieses Messer in die Weichen ge-stoßen, diese lachende Lügnerin, die da auf konventionelle Manier mit den betrunkenen japanischen Affen Grimassen schnitt. Von ihr hatte er gelernt, Géricault zu sehen, sein Floß der Medusa, Olgas Bildsymbol für ihren Schiffbruch mit Warronigg, diese geniale Apologie aller Schiffbrüche der ganzen Geschichte, und da! Alles, ihr Selbstmordver-such, ihre Briefe, ihr Shelley, ihr Géricault, das alles war eine ordinäre Lüge und ein durchsichtiger Trick, minder-jährige Schwachsinnige zu verführen, solche Kretins von Kavalleristen aus ihrem Regiment, wie er einer ist!

Rechts neben ihm sprach Rittmeister Döbrentey mit Begeisterung von den Japanern:

»Ja, diese gelben Mordskerle, mein Lieber, jawohl, das sind Offiziere! In Pulver und Staub, in Dampf und Blut, da ist der Offizier der rechte Mann an seinem Platze! Aber nicht auf dem Corso Maria-Valeria! Hast du den Fudji gehört, den Armeebefehl: ›Jeder bekleide sich mit einem frischen Hemd als Leichenkleid! ‹ Also herrlich, kolossal! «

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Und auf der entgegengesetzten Seite des Hufeisens er-läuterte Oberstlieutenant Redl der Gemahlin des Regi-mentsstabsarztes Schwedl ( geb. Szamuelli, israelitischen Bekenntnisses ), wie dumm es ist, Hausbesitzer in der Pro-vinz zu sein:

» In der Provinz bringt ein Haus einem im jährlichen Maximum viereinhalb Prozent und in Pest sehr oft acht bis elf Prozent. In der Provinz verliert man ganz anständig an den Mieten, und all das aus eigener persönlicher Unfä-higkeit.«

Diesen ganzen Lärm von Stimmen ringsum, die dum-men Alltagsgespräche über Mieter und Dienstmägde, vom Pulver und vom Dampf, von Karten und Pferden, all diese brennenden Kandelaber und die Kapelle, die Generale und die dekolletierten Damen, das alles sah Ramong vor sich wie bunte Flecken von Tönen und Farben ohne jegliche innere Ordnung und logische Tiefe. Ramong konnte sich dem einen und immer gleichen Motiv einfach nicht ent-ziehen, das ihn in Gedanken den ganzen Abend verfolgte: Olgas Selbstmordversuch an diesem nebligen Morgen in Wien!

Zum Teufel, aber diese Frau hatte sich immerhin ins Was- ser gestürzt! Sie hatte Charakter! Warum hätte sie ihn be-lügen sollen? Sie hatte gar keinen Grund, ihm etwas vorzu-lügen! Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt in der reinen, be-geisterten Inspiration der ehrlichen körperlichen Hingabe. In diesem kleinen Hotel war sie ganz feucht von warmen Tränen, ganz weich wie ein sterbender kleiner Schmetter-ling, als sie ihm die Details dieses verfluchten Selbstmords

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erzählte, und sich so in Tränen ihm ganz hingab, und wa- rum hätte sie das tun sollen, wenn sie nicht wahrhaftig so empfunden hätte ? Sie war ins Wasser gesprungen in einem einzigen Augenblick, der lange in ihr geschwelt hatte, und danach war er aufgelodert wie eine Fackel, und so hatte sie sich ihm hingegeben, als sie in ihm ihren Partner entdeck-te, dem sie sich fürs ganze Leben anvertrauen wollte. Sie war gesprungen, als sie erkannt hatte, daß es so nicht wei-ter ging, und jetzt, wo sie mit ihm gebrochen hatte – auch so in einem einzigen Augenblick –, was war das für eine Labilität, was will sie, wie wagt sie es, so mit Leuten um-zugehen?

Ramong schwamm, als wäre er selbst eine eindimensio-nale Erscheinung, die zwischen den Dingen hier und den Ereignissen schwebt, in seinen Gedanken ohne rechte Be-stimmung, aus dem ganzen Komplex der Gedanken über Olga zum Glas Törley, vom Glas Törley zum schwarzen Kaffee, und zurück zum Törley. Ramong trank Cognac, ein Glas nach dem andern, und von Minute zu Minute wurde ihm zunehmend deutlich, daß er heute abend auf jeden Fall mit Olga sprechen werde. Hier im Saal wird das nicht gehen! Aber unten im Garten, beim Ball wird er sie um einen Walzer bitten, und beim Walzer wird er ihr alles klarmachen! Einmal, wer er ist, dann, was Formen sind, und wie man sich in zivilisierter Gesellschaft benimmt! Beim Walzer, das wird das beste sein!

Die venezianische Nacht im Regimentspark verlief vor-schriftsmäßig. Alles war mit gelben und roten Lam-

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pions geschmückt, es wurde ärarischer Littke serviert, der nach Dienstmädchenpomade sonntagsnachmittags riecht, und Bier; die Offiziere vom Hundertundsiebener tanzten Csardas auf dem Tennisplatz, der Mond schien, und es war eine warme Mainacht. Und als der ehemalige, ausge-diente Artilleriefeuerwerker Janaček, Rechnungsfeldwebel beim Hundertsiebener, sein pyrotechnisches Meisterwerk anzündete ( riesige orangefarbige Feuerwerksbuchstaben in flammender Kursive: 22. 5. 1809–22. 5. 1906, alles einge-rahmt von einem brennenden Dragonerhelm, der die rote Nummer Siebzehn trug ), da entbrannte die Begeisterung der Gäste zum Enthusiasmus, in den man gewöhnlich bei kostenlosem ärarischem Champagner und Mondschein verfällt, wenn die Menschheit, vom Enthusiasmus stumm geworden, den ersten Buchstaben des Alphabets skandiert.

Beim Springbrunnen war für die höchsten Gäste zwi-schen Anlagen und Fontänen serviert. Dort war ein dich-tes Gewirr von Rohrsesseln, roten Lampen, Damast und Silber, und beim Tennisplatz standen die langen Tische der Dragoner, mit einfachen weißen Tischtüchern bedeckt, für die zivilen Gäste, die Herren Komitatsbeamten, die Richter des Gerichtshofs, ferner für die Infanterie und die Damen der subalternen Infanterieoffiziere. Das Orchester der Hundertundsiebener unter der Leitung von Kapell-meister Czibulka spielte beim Springbrunnen Straußens Auf der schönen blauen … , und bei der Gloriette an der Promenade ließen die Zigeuner das Cimbal traurig wie bei einer Wallfahrt weinen. Gegen Mitternacht traf Bandi Kállay Ramong bei den Platanen am Springbrunnen. Der

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Mensch irrte zwischen den Paaren umher, als habe er den Kopf verloren.

» Du bist besoffen, Géza! Was hast du? «» Hast du sie gesehen ? Wo ist sie? «»Wer? «» Sie! Sie ist weg. Ich habe sie schon mehr als fünfzig

Minuten lang nicht mehr gesehen! Sie waren bei ihr in der Wohnung! «

»Wer? «»Wer? Diese japanischen Kreaturen! Sie ist jetzt beim

Fischteich mit diesem japanischen Admiral, diesem japani-schen Frosch! Ich gehe jetzt und suche sie! Ich muß heute abend mit ihr sprechen! «

» Du bist verrückt! Hör zu, Géza, ich warne dich, dem alten Warronigg ist deine Nervosität aufgefallen. Er paßt auf dich auf! Du bist nicht normal! Du spielst mit dem Feuer! Du bist besoffen! Du schwankst ja, so betrunken bist du! «

» Sie ist betrunken! Ich habe gesehen, wie sie mit diesen japanischen Kreaturen eine Flasche Whisky leergetrunken hat! Ich muß mit ihr sprechen, Bandi, ich erschieß mich, wenn ich nicht mit ihr sprechen kann. Sie hat diese japani-schen Affen auf einen schwarzen Kaffee zu sich eingeladen! Sie rezitiert Shelley! Aber das ist doch unfaßbar! Aber das ist doch unmöglich! «

» Du bist verrückt geworden! Das sind doch Gäste des Regiments! Sie ist gewissermaßen die Dame des Hauses! Das ist eine Frage der Form! «

» Ich werde diesem japanischen Frosch ein paar Wat-

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schen versetzen, verstehst du, ich werde diesen Affen mit dem Fuß – das wird eine Frage der Form sein.«

» Du bist betrunken. Du weißt nicht, was du redest! «» Klar bin ich betrunken! Jetzt soll ich nicht einmal mehr

betrunken sein dürfen! Ich laß mich nicht abwerfen! Ich bin kein Postpaket! Ich laß mich nicht expedieren! Ich wer-de mit ihr heute abend sprechen, um jeden Preis! «

Bandi Kállay, der in den Künsten der Liebe sehr erfah-ren war und der sich schon jahrelang an das Prinzip hielt, wonach es auf keinen Fall gut ist, eine Geliebte im eigenen Regiment zu haben, sah ganz klar, daß all das höchst un-weise war und daß es das beste wäre, Ramong zum Tisch zu schleppen, dort mit ihm noch die eine oder andere Fla-sche zu trinken und dann zusammen nach Hause zu gehen. Da hatte man die Blödheit! Da hatte man die imbezile, schreckliche, skandalöse Blödheit! Das ist das: eine Gelieb-te im eigenen Regiment! Voilà!

Er nahm seinen Freund unter den Arm und gab sich in guter Absicht daran, ihn fortzuzerren, um ihn zu besänf-tigen und abzulenken, aber der riß sich unverhofft heftig los und rannte auf die Tänzer, bei dem Springbrunnen zu. Ihm nachzulaufen und ihn aufzuhalten war es schon zu spät. Vom Spielplatz her kam, den blühenden Flieder ent-lang, ganz in Weiß, würdevoll und schlank, Frau Olga, um einen ganzen Kopf größer als Admiral Watanaba. Sie spra-chen in diesem Augenblick gerade davon, wie glücklich es sich traf, daß sie nach Sizilien fuhr und der Admiral Wa-tanaba nach Rom unterwegs war. Ein wundersames und ungewöhnliches Zusammentreffen von Umständen: ihre

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Reise nach Sizilien und seine Ankunft in Theresienburg! Er wird in Venedig auf sie warten, denn nach seinem Termin-plan muß er sich dort eine Woche lang aufhalten.

Czibulkas Orchester intonierte Rosen aus dem Süden, und Ramong, mitgerissen von dieser Straußschen Limo-nade und hundert Prozent betrunken, meinte, es wäre am besten, Olga um einen Tanz zu bitten ( das hatte er sich schon während seines Vortrags im Kasino vorgenommen ). Er nahm also einen Anlauf, hinter Olga her, am Fliederbos-quet entlang, und erreichte Olga von rechts hinten, gerade am Rand des Rondells, wo die Fliederbüsche sich im Kreis rings um den Springbrunnen weiteten und wo um sie her-um der bunte Kreis tanzender Paare sich drehte. » Pardon, gnädige Frau, darf ich um einen Walzer bitten? «

»Ah, das sind Sie, von Ramong? Merci, ich möchte nicht mehr tanzen! Schönen Dank! «

»Aber gnädige Frau, ich bitte Sie, nur einen Walzer! «»Was ist mit Ihnen heute abend, Ramong? Ich danke

Ihnen, ich möchte nicht tanzen! «» Gnädige Frau, ich bitte Sie nur um einen einzigen Wal-

zer, ich habe Ihnen ein paar Worte zu sagen! «» Sie sehen, daß ich in Gesellschaft des Admirals bin! Ich

bin doch nicht frei! Verzeihen Sie, aber – «Frau Olga wandte sich Admiral Watanaba zu, der auf

eine Distanz von drei Schritten von ihr wegtrat, Ramong aufmerksam betrachtete und ruhig, unbeweglich, ohne ein einziges Wort dastand. Olga lächelte nervös zum Admiral hinüber und bat ihn auf englisch, sich eine Sekunde zu gedulden. Admiral Watanaba verneigte sich vor der Dame,

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dehnte sein Kautschukgesicht und machte noch zwei Schritte! So, den Blick auf die Tänzer gerichtet, hielt er sich diskret von Olga und Ramong abgewandt.

» Galathee, ich bitte Sie! «»Aber lieber von Ramong, was ist mit Ihnen? Was sind

das für bizarre Ideen! «» Galathee! Bitte lassen Sie heute diesen Kretin laufen!

Wir beide sehen uns vielleicht nie mehr wieder! «

Ramong hatte ein weinerliches Zittern in der Stimme, und er schämte sich seiner selbst und seiner weinerli-

chen Erscheinung in diesem Augenblick. Das war sein ein-ziges Gefühl, das sein betrunkenes Bewußtsein beherrsch-te: Schamgefühl. Er schämte sich, daß er hier um einen Walzer bettelte, daß da dieser japanische Frosch stand, daß er betrunken war und daß es ihn in der Kehle würgte, daß er Olgas Visitenkarte mit den drei Buchstaben bekommen hatte und daß sie nach Sizilien fuhr. Er schämte sich seinet-wegen, ihretwegen, wegen aller Dinge, die zwischen ihnen gewesen waren, und all das erschien ihm schändlich und dumm. Aus der Scham steigerte sich Ramong allmählich in Zorn!

Olga spürte in seinem betrunkenen und wilden Blick die Möglichkeit einer unangenehmen und gefährlichen Situation, und mit leiser, nervöser Stimme ( die zugleich warm und unzugänglich war ) ging sie darauf aus, ihn zu bändigen und ihn loszuwerden.

» No, was ist? Was wollen Sie? Vous n’ avez aucun droit d’ être désagréable ce soir! «

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» Ich verbiete Ihnen, heute abend auch nur ein einziges Wort an diese gelbe Maske zu richten. Das ist kein Mensch, das ist ein Affe! «

»Aber was haben Sie, Ramong, um des lieben Gottes willen? Sie sind besoffen! Diese unerzogene Art und Weise bitte ich mir aus, was ist Ihnen, um Gottes willen? Sie sind unerzogen! Was wird sich der Mensch denken? «

» Olga, aber das ist alles entsetzlich – Olga, ich bitte Sie, es geht um Leben und Tod! « Sie wandte sich um und ging auf den japanischen Admiral zu. Es schien, sie werde jetzt wirklich weggehen, und Ramong, völlig resigniert, werde sie gehen lassen und ihr kein Wort mehr sagen. Er gab auf. Es schien alles vorbei; da fuhr er auf, sprang hinter ihr her, zwei Schritte, und faßte sie bei der Hand.

» Galathee! «Das war ein gefährlicher Augenblick, und er dauerte re-

lativ lange. Olga wandte sich um, blickte Ramong an, und niemand kann sagen, was sich in diesem Augenblick hätte ereignen können, wenn nicht hinter den Fliederbüschen Oberst Warronigg erschienen wäre. Er war erregt, blaß, und in der Hand hielt er Olgas venezianischen weißen Schal.

» Olga, Kind, es ist kalt! Ich versuche die ganze Zeit, dich zu finden, damit du dich nicht erkältest! «

Das Auftreten Warroniggs gab dieser unangenehmen Situation eine neue Wendung. Olga faßte sich, und im gleichen Augenblick schon beherrschte sie sich selbst und Ramong. » Danke, Lieber, sofort, ich bitte dich nur, küm-mere dich um Seine Exzellenz. Der Admiral ist allein! Ich

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bin gleich bei euch! Ich muß nur eine Tour mit Herrn Ra-mong tanzen! «

So überließ sie sich vollkommen leger, kalt und scharf-sinnig Ramong und drehte sich mit ihm im süßen Kreis des Walzers Rosen aus dem Süden. Sie tanzten, ohne ein Wort zu sprechen. Beim letzten Takt verneigte sie sich vor Ramong, nahm seinen Arm und ging in seiner Begleitung zu ihrem Gemahl, leicht, sacht, als wäre sie nicht da. Dort lächelte sie ihren Oberlieutenant liebenswürdig mit ihrem Kom-mandeursgemahlinnenlächeln an, reichte ihm die Hand zum Kuß und hüllte sich in ihren venezianischen Schal.

Nach der Abfahrt der japanischen Generale nahmen die Ereignisse eine unerwartete Entwicklung.

Der Divisionsgeneral Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner meldete dem Kriegsministerium telegrafisch ( unter Berufung auf die Depesche des Kriegsministeriums v. 21. Mai d. J. Nr. 2022 ), daß der Befehl des außenpoliti-schen Departements des Kriegsministeriums betr. den Emp- fang der hohen japanischen Gäste im Sinne des obigen Ti-tels befehls- und ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Ge-neral Graf Fudji-Hasegawa habe mit seiner Begleitung die Feier des Siebzehnten Dragonerregiments besucht, habe an einer Geländeübung der Garnison teilgenommen und sei planmäßig pünktlich zur festgesetzten Zeit in Richtung Fiume abgefahren.

Das Kriegsministerium antwortete dem Feldmarschall-Lieutenant, daß es als solches vom Aufenthalt des Gene-rals Fudji-Hasegawa in Theresienburg nichts wisse und um

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detaillierte Berichterstattung ersuche. Die Division gab daraufhin als Expreßtelegramm den Text des depeschier-ten Befehls des Kriegsministeriums, Außenpolitische Ab-teilung, v. 21. Mai Nr. 2022 durch, in dessen Sinne der gan-ze Empfang der japanischen Gäste arrangiert worden war. Zwei Stunden später traf eine Expreßdepesche des Kriegs-ministeriums ein, in der der Befehl v. 21. Mai d. J. Nr. 2022 über einen Empfang japanischer Gäste als Mystifikation bezeichnet wurde.

Eine halbe Stunde später kam eine neue chiffrierte De-pesche vom Außenministerium, Nr. 017, wonach das Mi-nisterium der Division in Theresienburg keinerlei Auftrag betr. Empfang japanischer Gäste erteilt hatte; die Kaiserli-che Botschaft des japanischen Erhabenen Mikado in Wien habe zudem keinerlei Informationen über einen Aufent-halt des Grafen Fudji-Hasegawa in Europa. Soweit der Kaiserlichen Botschaft des japanischen Erhabenen Mikado in Wien nach privaten Informationen bekannt sei, sei Graf Fudji-Hasegawa Kommandant des Armeekorps von Yoko-hama und weile zur Zeit auf seinem Gut in der Nähe von Yokohama.

Auf Grund dieser Depeschen kam es in den Militär-kreisen Theresienburgs zu einer Panik. Und als 24 Stun-den später vom Kriegsministerium mitgeteilt wurde, die privaten Informationen der japanischen Botschaft hätten sich bestätigt und Graf Fudji-Hasegawa habe als Korps-kommandant seine dienstlichen Funktionen in Yokohama tatsächlich nicht unterbrochen, da wurde diese Panik zum Riesenskandal. Eine Schande, grandiose Täuschung hoher

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militärischer Kreise in Theresienburg, Zeitungen, skanda-löse Gerüchte in der gesamten öffentlichen Meinung des Königreichs von Szent-István, Extrablätter der gesamten österreichisch-ungarischen Presse, die die komische Seite dieses Abenteuers kräftig übertrieben herausbrachten – das wuchs insgesamt zu einer Lawine an, die innerhalb der nächsten 24 Stunden den Divisionskommandanten Feld-marschall-Lieutenant von Schwartner als verantwortlichen Faktor für diese unwahrscheinliche Blamage zum Gegen-stand eines Untersuchungsverfahrens machte.

Durch das neue Licht, in dem ihnen der feierliche Emp-fang der Japaner und die Feier des Siegs von Aspern und Eßling jetzt erschien, erhielten viele Details des japani-schen Aufenthalts in Theresienburg ihre dritte Dimension, und viele Einzelheiten klärten sich auf.

Es klärte sich auf das Geheimnis jener großartigen Bac-carat-Partie beim Rittmeister Graf Hollós, bei der der Lieutenant des Siebzehnten Dragonerregiments Kolozs-váry-Mayer 4300 Kronen, Graf Hollós 7200 Kronen und Baron Rimay 17 000 Kronen verloren hatten, alles zugun-sten des japanischen Grafen Fudji-Hasegawa.

Es wurde deutlich, wozu Admiral Watanaba anläßlich des festlichen Abendessens des Siebzehnten Regiments 6300 Kronen zur Unterstützung der Witwen und Kriegswaisen der armen, niedergetrampelten Mandschurei gesammelt und wozu der Divisionär Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner im Namen der Theresienburger Infanteriedi-vision dem Admiral Watanaba 7500 Kronen für denselben wohltätigen Zweck ausgehändigt hatte.

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Schließlich wurde auch verständlich ( und zwar war das von allem das Fatalste ), wieso der Generaldirektor der The-resienburger Sparkasse ( Alsóvári Magyar Takarék Pénztár ), Kárdossy, auf Grund einer persönlichen Empfehlung des Divisionärs, des Feldmarschall-Lieutenants von Schwart-ner, dem Grafen Fudji-Hasegawa auf einen Scheck der Shanghai Banking Corporation 4700 Dollar ausgezahlt hatte, damit der Graf Fudji nicht etwa noch die Realisie-rung seines Zahlungsauftrags auf dem Weg über eine Pester Bank abwarten mußte, was jedenfalls seinen Aufenthalt in Theresienburg bis zum Nachtschnellzug verlängert hätte.

Da indessen dem Divisionär Feldmarschall-Lieutenant von Schwartner sehr darum zu tun war, den im telegra-fischen Befehl des Kriegsministeriums verfügten Zeitplan genau einzuhalten, hatte er diese finanzielle Transaktion eine halbe Stunde vor Abfahrt des Schnellzugs persönlich über die Linie seiner privaten und dienstlichen Geschäfts-verbindungen bewerkstelligt.

Nach diesen Japanern wurde natürlich steckbrieflich in allen Richtungen gefahndet, aber das blieb, wie so oft bei derartigen lustigen Geschehnissen, erfolglos. So wurde im Laufe der Untersuchung bestätigt, daß sich die Japaner, die bis zur Pester Strecke vom Divisionsadjutanten, Infanterie-hauptmann Bleich, begleitet wurden, dort auf der Station von Kaposvár sehr herzlich von ihrem Begleiter verabschie-det hatten, aber ihre weitere Spur verlor sich, und auf der ganzen Strecke bis Rijeka hatte kein Mensch eine Ahnung von japanischen Generalen.

Beim Siebzehnten Dragonerregiment hatte der Besuch

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des Grafen Fudji-Hasegawa jedoch viel schwerer wiegende Konsequenzen.

Am nächsten Tag, nach dem Einrücken aus dem Ge-lände, befahl der Oberst des Siebzehnten, Ritter von War-ronigg, den Oberlieutenant Ramong zum Offiziersrapport und bestrafte ihn wegen seiner unziemlichen Aufführung anläßlich des Empfangs eines hohen militärischen Funk-tionärs aus Japan mit zwölf Tagen Hausarrest. Diese idioti-sche Disziplinarmaßnahme war in blöd-stereotyper admi-nistrativer Sprache gehalten:

» Oberlieutenant Ramong hat mit seinem Verhalten vor einem Admiral der siegreichen japanischen Armee eines der vornehmsten Kaiserlichen Regimenter kompromittiert. Er hat sich in völlig angetrunkenem Zustand dem hohen Gast des Kaiserlichen Regiments genähert, ihm seine Be-gleitung genommen und damit einen absoluten Mangel an Takt und Erziehung bewiesen. Oberlieutenant Ramong hat mit seinem oberflächlichen und unsoliden Vortrag den Ruhm des Regiments bagatellisiert, er hat vor ausländi-schen Vertretern siegreicher Waffen das völlige Fehlen von Pflichtgefühl und Fleiß bewiesen, und diese milde Strafe von zwölf Tagen Hausarrest soll ihm eine ernste Mahnung sein, daß ein Offizier mit seiner hohen Berufung nicht zu spielen hat. Alle Pflichten, und seien sie noch so unbedeu-tend, sind zu vollziehen in dem hohen Bewußtsein, daß alle Offiziersobliegenheiten im kaiserlichen Rock und un-ter kaiserlicher Fahne ausgeübt werden.«

Als durch die Depesche des Kriegsministeriums erhärtet war, daß diese Hochstapler durchaus keine hohen japani-

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schen Funktionäre waren und somit die Voraussetzungen, die für die Bestrafung des Oberlieutenants Ramong als Grundlage gedient hatten, gegenstandslos geworden wa-ren, meldete sich Ramong zum Regimentsrapport und bat in Form einer Beschwerde an die Division um seine Re-habilitierung. Bei diesem zweiten Regimentsrapport kam es zu einem persönlichen Zusammenstoß zwischen ihm und Warronigg, und das Resultat dieses zweiten Rapports waren weitere zwanzig Tage Hausarrest. Am fünften Tag seines Hausarrests, nach Mitternacht, erschoß sich Ober-lieutenant Ramong, und am anderen Morgen fand ihn die Ordonnanz auf dem Fußboden, das Gesicht zum Teppich. Er war kalt. Das Blut an seiner Wunde war schon völlig geronnen.

Die Beisetzung des Oberlieutenants Géza Örkényi es Magasfalvai Ramong war laut Regimentsbefehl auf

elf Uhr vormittags angesetzt. In diesem Regimentsbefehl, in dem Oberst Warronigg die genaue Einteilung des Lei-chenzugs angeordnet hatte ( im Rahmen dieser Einteilung war ganz genau der Platz für Berenice, die Stute des Ver-storbenen, wie auch der Platz für den trauernden Vater des Selbstmörders, den Husarenoberstlieutenant Ramong, bestimmt ) – in diesem Regimentsbefehl hatte Oberst War-ronigg seinem Offizierskorps des Siebzehnten Regiments befohlen, ihn in Paradegala und vollzählig im Festsaal am gleichen Tag um 9 Uhr 45 zu erwarten.

28 Paar Sporen erklangen genau in dem Augenblick, als haargenau um 9 Uhr 45 Oberst von Warronigg in den Saal

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trat. Als erster erstarrte an der Tür der Ordonnanzdrago-ner Heinrich, der schon länger als 40 Minuten die Klinke hielt und in weißen, ärarischen Handschuhen, den Helm auf dem Kopf, mit Säbel und Waffenrock, den eintreten-den Herren öffnete und die Rolle des feierlichen Türhüters spielte. Nachdem das scharfe Gerassel von Dragoner Hein-richs Sporen trostlos erklungen war, so schneidend wie der Klang der höchsten Taste eines verstimmten Klaviers, er-tönte der vernickelte Stahl von 28 Reitersäbeln so kalt, als würden Metzgermesser gewetzt, und 28 düstere Offiziere standen da in stummer Trauer.

Oberst Ritter Warronigg ging finster und nachdenklich über den vierzehneinhalb Meter langen Teppich zur Estra-de, blieb bei der purpurnen Tischdecke stehen und legte auf den Purpur seinen Helm, seine Handschuhe, das Zwik-kerfutteral und ein Konvolut von Papieren und Briefen. Auf dem purpurnen Tischtuch standen eine geheimnisvol-le Silberschüssel und daneben eine Flasche Spiritus.

Alle Herren, die sich schon mehr als zehn Minuten vor dem Eintreffen ihres Kommandeurs versammelt hatten, schauten sich mit großem Interesse die Silberschüssel und die Flasche an, aber niemandem war klar, wozu diese etwas komischen Gegenstände hätten dienen können.

Oberst Warronigg sonderte aus jenen Briefen und Ma-nuskripten das Konzept seiner Rede aus, hob den Deckel der silbernen Kasserolle und setzte ihn nach einer langen, stillen Pause wieder an seinen Platz. Nachdem er sich über-zeugt hatte, daß die Flasche Spiritus bereitstand, wandte er sich seinem Offizierskorps zu.

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Alle waren sie da: die Grafen Hollós, L’ Ours-Walderode und Buttler, die vier Barone des Regiments und die neun Adligen, Oberstlieutenant Redl und Rittmeister Döbren-tey und Bandi Kállay und Emil Sztatoczny und der Kadett Herzog von Mantua, alle achtundzwanzig, sie alle standen da, betrachteten das Ritual mit der silbernen Kasserolle, aber keine Menschenseele vermochte zu begreifen, was diese geheimnisvolle Vorstellung zu bedeuten hatte. Nur einer war nicht da. Géza Örkenyi es Magasfalvai Ramong, Kaiserlicher und Königlicher Oberlieutenant des Sieb-zehnten Dragonerregiments, Doktor der mathematischen Wissenschaften an der Tübinger Universität, lag auf einem schwarzen Katafalk im Leichenhaus des Regiments.

Oberst Warronigg stand also da in seiner Autorität als Kommandeur des Siebzehnten Regiments, mit seinen neun Orden, mit seinem schweren Kavalleriesäbel, den er straff an der Kette hielt, ohne ein Wort, steif wie ein Pan-zer, mehr als zwei volle Minuten lang. Es war ein langes Schweigen, und aus der Ferne hörte man durch die Mau-ern das Signal einer Kavallerietrompete hallen. Nach die-ser unangenehmen und affektierten Pause öffnete Oberst Warronigg sein Futteral, setzte den Zwicker auf, durchmu-sterte seine Papiere und warf dabei über die Gläser hinweg einen nervösen und unruhigen Blick auf seine Offiziere.

Die Herren standen still und stramm, voller Erwartung, überrascht, wieso der Oberst sie nach vollen zwei Minuten immer noch nicht bequem stehen ließ. Das Novum, daß das ganze Offizierskorps korporativ länger als zwei Minu-ten in » Habt Acht « stand, war ein Vorzeichen, daß diese

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Versammlung im Ehrensaal vor der Beisetzung des toten Kameraden keine gewöhnliche, banale Commemoratio sein werde.

Wahrhaftig! Gleich schon nach den ersten Worten ihres Chefs, nach diesen ersten Staccati, die hart, aggressiv und aus voller Brust gesprochen wurden, wußten alle Herren, daß die Leichenrede des Obersten Warronigg das letzte Duell mit einem Gegner sein mußte; aus dieser furchtba-ren und widerwärtigen Rede strömte Panik in den ganzen Saal; alle standen sie gelb und verkrampft da, wie in einer merkwürdigen, giftigen Hypnose, und ahnten nur so viel, daß es sich bei diesem verworrenen Spiel mit Worten um nichts anderes als die allzu menschliche Rache eines elen-den, blamierten, gehörnten Ehemannes handelte.

» Der Fall, der uns, meine Herren, zu diesem traurigen Epilog versammelt hat, ist betrüblich aus zwei Gründen: Einmal, weil der Selbstmord als solcher überhaupt schon einen Akt darstellt, der eines jeden ernsthaften Menschen unwürdig ist, darüber hinaus aber der Selbstmord eines aktiven Offiziers sich in keiner Weise mit den Pflichten verbinden läßt, wie wir sie laut Dienstreglement Punkt III usw., Absatz 24–46 › Über die Pflichten ‹ auf uns genommen haben – und zweitens, und das ist noch viel betrüblicher, weil wir uns hier nicht versammelt haben zur Beisetzung eines Kameraden, sondern eines Menschen, der in jeder Hinsicht unwürdig war, jenen selben Rock zu tragen, des-sen sich auch unser Oberster Befehlshaber, Seine Majestät unser Kaiser und König rühmt! «

Alle standen regungslos, in » Habt Acht «, nur die Blicke

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wurden entsetzlich unruhig. In Starre versetzt durch dieses Kommando ihres Dompteurs schauten die Offiziere einan-der an wie kleine, dressierte Pinscher. Niemand wußte, was das bedeuten sollte.

»Ja, meine Herren, ich bin mir der Schwere jedes meiner Worte bewußt, und ich bitte Sie, Ihre ganze Aufmerksam-keit zu konzentrieren und mich anzuhören als Ihren älte-ren Kameraden und als Ihren vorgesetzten Kommandeur, der die Ehre hat, vor Ihnen unter der Fahne des Siebzehn-ten Regiments zu stehen und der überzeugt ist, daß die Ehre unserer Fahne jenes Allerheiligste darstellt, für das wir alle, immer, ja immer und ohne jedes Nachdenken, alles zu opfern bereit sind, was wir haben, und zwar auch das Wertvollste in uns: unser eigenes Leben!

Meine Herren, ich kann Ihnen nur so viel zur Einlei-tung sagen: wäre der verstorbene Oberlieutenant von Ra-mong nicht der Sohn eines unserer Kameraden, und stün-de nicht im Leichenhaus in tiefem väterlichem Schmerz über ihn gebeugt ein Kaiserlicher und Königlicher Kaval-lerieoberstlieutenant, dann würde, ich gebe Ihnen, meine Herren, darauf mein Ehrenwort, unser Kaiserliches und Königliches Siebzehntes Regiment auf keinen Fall und un-ter keiner Bedingung hinter dem Leichnam dieses Verstor-benen einherschreiten, der in jeder Hinsicht unwürdig war sowohl unseres kameradschaftlichen Vertrauens als auch unserer Fahne und der Ehre, der er als aktiver Offizier teil-haftig wurde, und zwar besonders als Offizier unseres Sieb-zehnten Regiments. Denn, meine Herren, dieser betrüb-liche Selbstmord ist in den Annalen unseres Regiments

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der dritte seit jenem Tag, an dem unser Regiment seine ruhmreiche Fahne aus den Händen unseres Protektors, des ruhmreichen Franz von Lothringen in seiner Eigenschaft als deutscher Kaiser, entgegennahm. Dieser Selbstmord ist der dritte, aber der schändlichste!

Als erster erschoß sich in der Schlacht bei Malplaquet der Kommandeur der zweiten Abteilung, Rittmeister Harp- ner, bei der Katastrophe, in der das Regiment zusammen-brach. Diese Geste war verzweifelt, aber würdig eines römi-schen Centurionen, der lieber stirbt, als die Schande seiner Fahne zu überleben!

Der zweite war vor zwei Jahren der Fall des Lieutenants Parniczay-Parneczki, ein Fall, der uns allen wohlbekannt ist. Das waren, wir wissen es alle, die Karten. Ehre oder Tod! Ein ritterliches Dilemma, und ein ritterlicher Ent-schluß! Aber diese Tat des Oberlieutenants Ramong, mei-ne Herren, diese Tat läßt sich nur als das deuten, was sie ist: weibische Handlung eines Feiglings und tückische, heuch-lerische Geste eines unaufrichtigen Schuftes.«

Unruhe der Blicke im Saal. Panik. Pause.»Ja, meine Herren, eines tückischen Schuftes, das ist,

meine Herren, das rechte Wort am rechten Platz! Und ich kann Ihnen eines sagen: wäre es nicht dazu gekommen, daß sich dieser Offizier eine Kugel in den Kopf gejagt hat, dann hätten wir uns ebenso eines Morgens getroffen, um die Trompete des Kriegsgerichts zu hören und uns vom Kriegsgericht das Allerhöchste Dekret verlesen zu lassen mit der Verfügung, dem Oberlieutenant Ramong seien die Orden abzunehmen, Sterne und Kartusche loszutrennen,

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das kaiserliche Portepee abzuknüpfen, und der Kerkermei-ster solle ihn in das einzige Gewand kleiden, das ihm auch zustehe: den Sack der Zuchthäusler und Schufte!

Meine Herren, ich sage Ihnen das in dem vollen Bewußt- sein, daß jedes einzelne meiner Worte schwerer ist als der schwerste Reitersäbel, aber meine Erbitterung ist so tief und meine Enttäuschung so schwer, daß ich in meinem ganzen Vokabular keinen anderen Ausdruck finde. Oberlieutenant Ramong hat sich als Angehöriger unseres Regiments er-schossen, und wir werden ihn in einer halben Stunde mit allen Ehren pro foro externo begraben, und ich bitte Sie, meine Herren, als Kameraden, und bitte Sie als meine jün-geren Freunde, jedes Wort von mir nach der Beisetzung ebenso in Ihrem Herzen zu vergraben, und nach dieser meiner Rede das Andenken an diesen Mann mit einem schwarzen Schleier zu verhüllen, als habe es ihn niemals in unserer Mitte gegeben! Ich wiederhole: empfände ich nicht Respekt und kameradschaftliche Solidarität gegenüber dem Vater des Selbstmörders, unserem Kameraden, dem alten Herrn Oberstlieutenant, und hätte ich allein nach meinem Pflichtgefühl handeln können – ich hätte die Erinnerung an Oberlieutenant Ramong dem Kriegsgericht zur zustän-digen weiteren Veranlassung übergeben, um ihn von dort aus vorschriftsmäßig degradieren und von seinem Grab-kreuz jedes Zeichen tilgen zu lassen, das ihn mit unserem Regiment, unseren Fahnen und Säbeln, mit unserem un-befleckten Pflichtgefühl und mit allem verband, was uns über die gewöhnliche bürgerliche Gesellschaft hinaushebt und uns damit auszeichnet, daß wir der allerhöchsten Stu-

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fen des allerhöchsten Thrones würdig sind. Und wenn ich befohlen habe, daß wir uns hier versammeln, und wenn ich entschieden habe, daß wir geschlossen zu dieser Beiset-zung gehen, so geschah das aus dem Bedürfnis, mit Ihnen gemeinsam mein Verantwortungsgefühl zu entlasten! Nur so, meine Herren, in Gemeinschaft mit Ihnen, Schulter an Schulter mit Ihrer kameradschaftlichen Solidarität, werde ich in der Lage sein, hinter der Leiche dieses Menschen zu gehen, dieses Offiziers, der nicht einmal soviel Moral in sich hatte, wie sie der allerletzte Niemand haben müßte!

Ich bitte Sie, meine Herren, mich anzuhören und zu ur-teilen, ob ich richtig entschieden habe, und ob einer von Ihnen, meine Herren, stünde er an meiner Stelle, anders hätte verfügen können.

Meine Herren, ich muß Ihnen gestehen, wie sehr auch Sie alle – gemäß Prinzip und Pflicht – mir gleich lieb sind, als Untergebene und als Kameraden – ich muß Ihnen in diesem Augenblick gestehen, daß ich gegenüber diesem unserem ehemaligen Kameraden stets ein gewisses heim-liches Gefühl kalten Mißtrauens empfunden habe. Seine ewige, geradezu besessene Mathematik, seine Erfolge an der Tübinger Universität, sein unglückseliges Doktorat da und diese Habilitationsarbeiten von ihm, seine ganze Welt-anschauung, Sprechweise, die ständige und unverhohlene Reserviertheit gegenüber uns allen, angefangen bei mir, dem Kommandeur, bis hin zum unbedeutenden letzten Dragoner im Stall, all das, meine Herren, war für mich, ich muß es zugeben, oft kaum faßbar und sonderbar! Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich deutlich, daß das trübe,

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unbestimmte Ahnungen waren, die sich leider in solchen Dimensionen verwirklicht haben, daß einem da wortwört-lich der Verstand stehenbleibt! Ich bin, meine Herren, ein moderner Offizier, ich bin ein Mensch von heute, ich darf ohne Übertreibung sagen, daß ich genug Bücher durch-geblättert habe, auch ich selbst habe heute und hatte von Anfang an höhere Ambitionen, und ich begreife, daß es gut ist, wenn die Offiziere von heute diese höheren Ambitio-nen hegen, aber, meine Herren, ich bin ein alter, erfahrener Empiriker, und ich kann Ihnen sagen, daß ich aus Erfah-rung spreche, wenn ich Ihnen sage, daß für die Offiziere an erster Stelle der Säbel steht, an erster Stelle die Reitbahn, für Offiziere ist das Studium von Strategie und Taktik, aber nicht die Universität in Tübingen, und auch nicht Descar-tes! Wer Erfolg an der Tübinger Universität will, der mag an die Tübinger Universität unter die Mathematiker gehen, der soll Professor in Tübingen werden, aber er soll nicht bei den Siebzehner Dragonern in Theresienburg dienen!

Und sehen Sie, meine Herren, das sind die tiefen und grundsätzlichen Widersprüche, das sind die fundamenta-len Ursachen, aus denen Mißverständnisse entstehen und, sehen Sie, auch derartige betrübliche Folgen wie dieser schändliche Selbstmord! Wir, meine Herren, wir brauchen keinerlei Talente! Wir brauchen keine Infinitesimalrech-nung, keine Hyperboloide, keine Doktorate, wir, meine Herren, brauchen ein eisernes Pflichtgefühl, und sonst nichts! Mit der Palette in der Hand zum Abmalen blöder und banaler Rosen auf Seide « – hier blickte Oberst War-ronigg bedeutungsvoll den Oberlieutenant Sztatoczny an,

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den Amateurmaler und Absolventen der Kunstakademie, der alle Boudoirs von Theresienburg mit Rosen auf Sei-denkissen füllte – » damit werden wir nicht die allerhöch-ste Anstrengung vollbringen können, die nur der auszuhal-ten vermag, der sich seines hohen Pflichtgefühls bewußt ist, wenn es heißt, dem Feinde gegenüber zu stehen Auge in Auge, Brust an Brust, wenn es heißt, unerschütterlich zu sein wie ein Harnisch, und nicht wie irgendein Fräulein vom Maria-Valeria-Korso: kontemplativ und hyperintelli-gent! Rosen auf Seide, Palette in der Hand und Infinitesi-male nützen Niemandem. Meine Herren, Rosen auf Seide sollen die Bürgerfräulein malen, über Mathematik sollen die Professoren verhandeln – aber wir sind Offiziere, wir sind Dragoner, und als solche brauchen wir ein ganz an-deres Pflichtgefühl, eine ganz andere Weltanschauung und ein ganz anderes moralisches und hohes Bewußtsein unse-rer Offizierspflichten als all die verschiedenen Journalisten, Zivilisten, Professoren und Federfuchser, und wie sich schon dieses Lumpenproletariat in den Kanzleien, Cafes und Universitäten nennt.

Ich habe immer gesagt und sage auch heute: Meine Her-ren, der Offizier ist nicht dann Offizier, wenn er im Waf-fenrock oder Salonmantel auf dem Maria-Valeria-Korso spaziert, der Offizier ist nicht dann Offizier, wenn er über Mathematik plappert und Walzer tanzt, sondern, meine Herren, blutig, schlammbedeckt, im Feuer und im Dampf, rußig vom Pulverqualm, von hoher Moral, hundertpro-zentig ergeben unserem allerhöchsten Ideal, den Säbel in der Hand, vor dem Angesicht des Feindes, dann sind wir,

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meine Herren, Offiziere, und das ist die letzte und voll-kommenste Erfüllung unserer hohen Pflicht.«

» Sehr richtig, so ist es, jawohl! « legte laut der Paralytiker Rittmeister Döbrentey los, dem es schien, als höre er ein Echo seines eigenen Zitats. Dieser Zwischenruf wirkte sehr peinlich, und es entstand danach eine lange und unange-nehme Stille. Diese langdauernde, tückische Stille demora-lisierte Warronigg. Als alter Routinier, der schon jahrelang vor der Truppe daherbellte, hatte er seinen Monolog über den Tod eines Oberlieutenants begonnen, wie er seit Jah-ren über die verschiedenen Dinge in der Kaserne und deren Umgebung sprach: über Stellungen im Gelände, über Hö-henkoten, über Karabiner, über Pferde oder über Frauen. Aber jetzt hatte mit seinem paralytischen und verrückten Zwischenruf dieses versoffene Schwein Döbrentey ihn aus dem Sattel geworfen, und er verlor sich auf den Brettern der Estrade wie ein Provinzschauspieler im Lampenfieber. Er merkte, daß er schlecht spielte und den Kontakt zu den Hörern verlor.

Als er spürte, wie ihn die Elemente forttrugen und daß das nicht so ein harmloses Abenteuer war, wie er es sich zu Beginn vorgestellt hatte, da schlug eine Welle unangeneh-mer Assoziationen an die spröde Schale seines Verstands. Er schwimmt, und bis zum anderen Ufer ist es noch unsagbar weit! Schon volle fünfzehn Minuten donnert er hier autori-tativ sein Requisitoire herunter, und er hat noch nicht eine einzige wesentliche Sache gesagt!

Als sie ihn vor zwei Tagen aus dem Bett geholt hatten, in diesem düsteren und antipathischen Morgengrauen,

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und als er in Ramongs Zimmer getreten war, da hatte ihn viel mehr als der Tote auf dem Fußboden jene polychro-me Heliogravüre von Géricaults Komposition Le Radeau de la Méduse erschüttert, die da mit vier Heftzwecken an der Wand über dem einfachen Schreibtisch befestigt war, genauso irgendwie naiv, wie Schüler an der Wand ihren Stundenplan zu befestigen pflegen.

In diesem Schiffbruch von Géricault dort an der Wand, in diesem Bild, das mit vier Heftzwecken an der Wand be-festigt war, lag etwas, das war schülerhaft, jungenhaft, pu-bertär! Warronigg spürte den gewaltigen Altersunterschied, der zwischen ihm und dem Toten da auf dem Fußboden bestand, und dieser Gedanke machte sich bei ihm irgend-wie im Blutkreislauf bemerkbar, von innen her, mit einer düsteren, venösen Schwere des Bluts tief aus dem Leib, und er atmete tief, um nicht vom Schlag getroffen zu wer-den. Warronigg wußte zwar, wußte ein ganzes Jahr schon, daß Ramongs Liaison mit Olga sentimental war, aber daß die Tiefe dieser Verbindung so blutig ernst war, daß Olga ihm ihr Geheimnis des Géricault-Gemäldes anvertraut hatte – das überraschte ihn. Das hieß: Olga hatte diesem schwachsinnigen Jungen alles erzählt.

Olga hatte ihm gebeichtet, hatte mit ihm von ihrem Selbstmordversuch gesprochen, sie mußte ihm auch die Motive dieses Selbstmords berichtet haben, und wie man sie naß vom Donauwasser in die Halle des Hotels gebracht hatte. Naß, wie einen krepierten Vogel im Regen. So naß. Aber eben dieser vereitelte Selbstmord Olgas in Wien bil-dete das geheimnisvolle Band zwischen Warronigg und

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seiner jungen Frau. Seit jenem lange vergangenen Morgen in Wien, als er hilflos auf den Knien geschluchzt und ih-ren weichen Kinderleib in den Armen gehalten hatte ( aus dem das schlammige Wasser troff wie von einem krepier-ten, nassen Vogel ), von diesem Morgen an hatte sich War-ronigg Olga gegenüber zu seinem bekannten hündischen Verhältnis degradiert, das ihn zum lächerlichsten Hornvieh der gesamten österreichischen Kavallerie machte.

Im Verhältnis zu seiner leichtsinnigen und nicht über-trieben intelligenten Frau war Warronigg nicht der arglose Hornochse ( wie man in den Garnisonen meinte ), sondern ein hartnäckiger, man könnte sagen fanatischer Büßer im härenen Gewand, ein Mensch, der ehrlich und erge-ben Gott auf den Knien dankte, daß dieser Tod, zu dem es durch seine persönliche Schuld hätte kommen können, nicht Wirklichkeit geworden war.

Olga betrachtete Géricaults Le Radeau de la Méduse als Symbol ihres eigenen ehelichen Schiffbruchs, aber daß sie, die von Natur stolz und nicht zu zähmen war, dieses ihr blutiges, intimes Geheimnis Ramong verraten hatte, konn-te nur eines bedeuten: Daß diese, wie er meinte, neueste frivole Caprice Olgas nicht in die Reihe jener charmanten Schändlichkeiten fiel, die jahrelang passiv zu erdulden ihm vom Geschick verordnet war: all das war, wie es schien, viel tiefer, viel blutiger. Aber das enthielt denn doch die Ele-mente eines finsteren, öffentlichen Skandals, einer Gefahr, die jeden Augenblick aufflammen konnte.

Gesellschaftlich beschränkt, von seiner Erziehung her mit einer Reihe konventioneller, blaublütiger Baronsvor-

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urteile belastet, zitterte Warronigg vor nichts auf der Welt so sehr wie vor Skandalen, und zu den banalsten Skanda-len gehörte seiner Meinung nach eine Ehescheidung. Alles auf der Welt, aber bloß nicht, daß die Vorhänge im Schlaf-zimmer hochgezogen werden!

Im Halbdunkel des Alkovens fremde Leute wie bei einer Beisetzung – entsetzlich!

Alles, bloß nicht den Skandal einer öffentlichen Ge-richtsverhandlung! Bloß kein Gutachten von Dermatolo-gen und Haufen blöder Papiere von jüdischen Advokaten! Schnüffelnasen im Bett! Aber was sich an jenem Morgen vor ihm in gespenstischen Relationen abzeichnete, be-deutete zweifellos eine logische und völlig unvermeidli-che Ehescheidung. Dieser junge Offizier vor ihm auf dem Fußboden, blutig, beleuchtet von der rußigen Petroleum-lampe in der unruhigen Hand einer animalisch entsetzten Ordonnanz, dieser junge Mann wollte ihm die Frau, die Mutter seines einzigen Kindes Laura, wegnehmen und mit ihr nach Bolivien fliehen !

Daß er in Ramongs Schreibtisch eine ganze Serie von Briefen Olgas an Ramong in violetter Schrift gefunden hat- te, daß sie an diesen prächtigen, bronzenen Hippolyt und Pygmalion als Galathea unterschrieb, daß Olga ihrem Marmorgott, dem Sohn einer Göttin, beim Morgentee in bolivianischem Kimono und silbernen Pantöffelchen mel-det, sie lebe und sterbe für seine bolivianische Idee, denn das sei ihre einzige Rettung aus dem Syphilitiker-Schiff-bruch der Medusa, daß sich dort einige hellenische Akt-fotografien der göttlichen Galathea ( vom Marmortorso

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ihrer noch immer mädchenhaften Büste ) vorfanden, all diese Fakten waren zweifellos die Elemente einer skandalö-sen, unumgänglichen Ehescheidung, eines Prozesses, eines unvermeidlichen Duells, einer moralischen Blamage par excellence. Mit einem Wort: » Gott sei’ s Dank, jetzt bat sich das alles sebön geregelt « – und damit stopfte sich der Oberst Warronigg das ganze kriminelle Material in die Tasche und entzog es damit dem neugierigen Auge der Staatsanwalt-schaft und der israelitischen Advokaten, und somit verlor das alles jegliche konkrete juristische Bedeutung.

Ja! Da gibt’ s keinen Zweifel! Dieser Selbstmörder war der Geliebte seiner Frau! Sie hatte ihm alles gesagt, hatte ihm

alles gestanden. Nach jenem Drama an dem Morgen in Wien war Warronigg mit Olga nach Paris gefahren, und an einem Spätnachmittag im August, als sie beide — en passant – im Louvre umhergingen, waren sie vor der Kom-position Géricaults stehengeblieben; da plötzlich fing Olga beim Anblick dieser dramatischen Szene krampfhaft zu schluchzen an und drehte sich, weich wie Baumwolle, zu einem Knäuel zusammen. Sie hatten zusammen geweint, und ihre heißen Tränen waren über seine Hände gelaufen; Skandal im Louvre, Sensation für die Besucher, irgendwel-che Spanier, und jetzt war also dieser junge Mann Teilha-ber ihres intimsten Ehegeheimnisses …

Warronigg konnte sich den Eindruck von Géricaults Schiffbruch in Ramongs Zimmer einfach nicht aus dem Kopf schlagen. Von diesen drohenden Wellen des grünen, ungeheuren Wassers vermochte er den Blick nicht abzu-

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wenden: da der Tote, und dort an der Wand mit vier Heft-zwecken dieser verfluchte Schiffbruch!

Wie er jetzt in einer Nische des Festsaals steht, hat er das Gefühl, daß rings um ihn das riesige, düstere, stür-mische Meer wogt, und er hat das Gefühl, daß ihn die Flut fortträgt, daß das grüne Wasser ihn überspült, daß der ganze Saal da mit dem alten Jesuitenkloster schlingert wie ein Schiff, daß alles knarrt wie ein Schiff aus Holz, daß alles versinkt im häßlichen Pfeifen der Bö, daß sich etwas über dieses Bild hinzieht wie der Flügel eines schwarzen, ungeheuren Riesenvogels. An Deck stehen seine Offiziere, sie alle treiben zusammen dahin, er spricht zu seinen Offi-zieren von der Estrade der Kommandobrücke herab, er ist der Kommandant des Schiffs, das noch nicht untergegan-gen ist, einer seiner Seconde-Offiziere liegt tot da, ist er-trunken, im weißen Leinentuch liegt er da vor ihnen allen, grün, ohne sich zu rühren, wahrhaftig tot: der Doktor der Mathematik in Tübingen, Doktor der Mathematik, der ihm Olga hatte wegnehmen wollen, mit ihr davonlaufen, aber er hat eine silberne Kasserolle herholen lassen und sie auf den Purpur gestellt wie einen Helm, und hat sich somit entschlossen, das alles mit Worten zu verbrennen, vor Gott und der Geschichte zu beweisen, daß all das nicht gesche-hen ist, daß all das nur Staub und Asche ist, und jetzt hat er den Faden in diesem Labyrinth verloren, und der besof-fene Döbrentey hat ihm etwas zugerufen, alles ist still wie im Leichenhaus, in der Stadt läuten die Glocken,

Olga ist weggefahren, sie schaukelt jetzt irgendwo in ei-ner Gondel auf dem Canale Grande, sie wartet auf Admiral

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Watanaba, und die Arme, das naive Kind, sie hat keine Ah-nung, daß es den Admiral Watanaba nicht gibt, daß Wa-tanaba ein Phantom ist, daß Ramong sich erschossen hat, daß ihr Geheimnis von Galathea und Bolivien entdeckt ist, daß die Glocken läuten …

Warronigg nahm mit einer nervösen Geste, als verjage er unangenehme lästige Fliegen, wie sie in Halluzi-

nationsvisionen vorkommen, den Zwicker ab, wischte mit seinem Wildlederhandschuh über das Glas, setzte ihn wie-der auf die Nase und setzte seine Rede fort mit der klaren und metallischen Stimme des echten Kommandeurs, der seine Kompanie geradewegs in den Tod schickt.

» Es handelt sich, meine Herren, um unsere Haltung vor dem Feind im Gewehrfeuer, und nicht um amoureu-se, blöde, schmutzige Abenteuer. In Ägypten, in Athen, in London und in Theresienburg stehen zunächst einmal wir mit unseren Eskadronen, und ohne uns, ohne unsere Dis-ziplin, ohne unsere Eskadrons gäbe es keine Mathematik, keine Universitäten, keinen Descartes, keine Bilder von Géricault, keine Rosen auf Seide, keine kolorierten Foto-grafien, und gar nichts von alldem, was im allgemeinen den Gesprächsgegenstand beim schwarzen Kaffee abgibt.

Ohne uns und unsere Moral gäbe es überhaupt keine Zivilisation, und deshalb war mein Standpunkt, meine Herren, und ist es geblieben: möglichst wenig Talent und möglichst viel Pflichtgefühl!

Mit einem Wort: gerade deswegen, weil ich die Dinge immer und konsequent von diesem Standpunkt aus be-

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trachtet habe, ist mir, wie ich gestehen muß, diese ganze ständige Betonung irgendeines außerordentlichen Talents beim verstorbenen Oberlieutenant Ramong von jeher recht verdächtig und unsympathisch gewesen. Es hieß von ihm, die Tübinger Universität habe seine Habilitationsschrift über die Parabel und die Hyperboloide angenommen, und er werde eine Dozentur in Tübingen bekommen; das er-schien uns allen wie etwas Übernatürliches, geradezu über-menschlich.

Aber es erwies sich, daß nach dieser Habilitationsschrift ein volles Jahr verging und daß aus der ganzen vielbere-deten Dzentur nichts wurde und daß Hyperboloide eine Sache sind und die Pflichterfüllung eines Dragoneroffiziers eine Andere! Meine Herren, der Verstorbene hat zwar nicht gesoffen und nicht gespielt, aber trotzdem hat er von mir im Laufe dieses Jahres vier schriftliche Verweise bekommen, dazu sieben mündliche und dreimal je sieben Tage Hausar-rest, und zwar alles wegen unglaublicher Nachlässigkeit im Dienst! Als Offizier vom Dienst hat er gelesen und seine Arbeiten geschrieben, nachts hat er kein einziges Mal auch nur eine Wache kontrolliert, zum Dienst kam er täglich und regelmäßig zu spät, und es ist eine bekannte Tatsache, daß Ramongs Zug in der zweiten Eskadron unordentlich war wie irgendein Wanderzirkus.

Ich, meine Herren, will nicht abschweifen! Ich meine, daß ich als Ihr Kommandeur das Recht habe, Ihnen objek-tiv das Bild eines ehemaligen Kameraden aus unserer Mitte zu zeichnen, dem ich vorgesetzt war, und ich meine, daß es nicht übertrieben ist, wenn ich sage, daß Oberlieute-

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nant Ramong das lebende Bild eines nachlässigen Offiziers war, zerstreut bei der Ausübung seiner Pflichten, weich im Dienst, ein nervöser und launenhafter Mensch, der seine Fähigkeiten nachgerade ein wenig überschätzte, wie ein Nachtwandler. An seinem Beispiel können wir leicht die alte Wahrheit lernen: auf zwei Stühle kann man sich nicht, setzen! Entweder man voltigiert in der Manege oder man hält die Kreide in der Hand als Professor für Mathema-tik! Tertium non datur! Aber das wäre alles nicht so wichtig, und ich, der ich heute vor den Fahnen unseres Regiments stehe und über einen toten Kameraden aus unserer Mitte spreche, brauchte den Oberlieutenant Ramong nicht zu meinen schlechtesten Offizieren zu rechnen, gäbe es nicht noch einige viel schwerer wiegende und noch viel dunklere Umstände!

Oberlieutenant Ramong war laut Dekret des Kriegs-ministeriums als Professor der Technologie zur Kadetten-schule Mährisch-Weißkirchen abgeordnet, und als guter Mathematiker hätte er gewiß das Renommee unseres Sieb-zehnten auch auf diesem Gebiet erhöht; ich hätte mithin unter dem Gewicht dieser Fakten keinen Grund gehabt, heute derartig streng und negativ über ihn zu sprechen, und ich hätte nicht das Recht gehabt, gegen ihn vor Ihnen eine so schwere Anklage zu erheben, hätte ich nicht Doku-mente in der Hand, die diesen ganzen Selbstmord in ein neues und völlig anderes Licht rücken.

Wie Ihnen, meine Herren, bekannt ist, hat sich Ober-lieutenant Ramong in seinem Zimmer, auf der Ottomane liegend, erschossen. Als man mich sofort frühmorgens aus

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dem Bett holte, bin ich zur Wohnung des Verstorbenen ge-gangen, und da ich nirgendwo einen Abschiedsbrief fand, habe ich die Pflicht auf mich genommen, den Nachlaß des Verstorbenen einigermaßen zu ordnen und – nach Mög-lichkeit – irgendeine Erklärung für diesen unverhofften Akt zu finden. Ich war der Meinung, das sei meine Pflicht als Vorgesetzter, als ältester Kamerad und als Vertreter sei-nes Vaters, eines Oberstlieutenants der Kavallerie.

Und sehen Sie hier, meine Herren, was ich gefunden habe: Gefunden habe ich auf dem Tisch eine Num-

mer der Zeitung Alsóvári Napló vom gleichen Tag, und un-ter den Lokalnachrichten war folgende Notiz mit Rotstift unterstrichen.«

Oberst Warronigg breitete auf dem Tisch Konvolute von Manuskripten und Briefen und die Abendausgabe einer Nummer des Alsóvári Napló aus und mit der monotonen, langweiligen Stimme eines Gerichtsreferendars, ohne Ak-zent und ohne Artikulation, begann er eine Lokalnachricht aus der Abendausgabe des Alsóvári Napló vorzulesen, sehr schnell und beiläufig:

» › Selbstmord eines Mannes, der neun Sprachen sprach. Gestern abend stürzte sich aus dem zweiten Stock der Post-verwaltung ein unbekannter Mann und war auf der Stelle tot. Zuvor war er beim Direktor des Postamtes vorstellig geworden und hatte sich bei ihm um Einstellung als einst-weiliger Briefträger auf Probe beworben. Als Qualifikation führte er an, er spreche neun Sprachen. Da alle Stellen für Briefträger auf Probe besetzt sind, erklärte der Direktor dem

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Unbekannten, er könne ihn momentan nicht beschäftigen. Beim Verlassen des Direktorzimmers stürzte er sich in den gepflasterten Hof und war auf der Stelle tot. Die Identität läßt sich nicht ermitteln.‹

Der Verstorbene hat die ganze Notiz hier mit Rotstift sehr markant und energisch unterstrichen, ohne ein einzi-ges Wort Kommentar, und hier, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen vorlese, was er an den Rand geschrieben hat: › Po-lyglotte sind für Menschenfresser völlig überflüssig.‹ Au-ßerdem lag auf dem Tisch ein eingeschriebener Brief des Rektorats der Tübinger Universität, in dem der Rektor der Universität Tübingen ihm die Habilitationsschrift zurück-schickt mit dem Bemerken, die Frage seiner Dozentur sei einstweilen aus technischen Gründen gegenstandslos. Die-ser Brief lag offen auf dem Tisch, ebenfalls mit Rotstift un-terstrichen, und über das Ganze hin eine kräftige und ener-gische Null. Außer diesem Brief und dieser Zeitungsnotiz habe ich, meine Herren, nichts gefunden, was sich auch nur irgendwie als ein sei es noch so ausgeblichener konkre-ter Wegweiser zu diesem Selbstmord hätte entziffern lassen. Zu diesem Selbstmord ist es nach meiner tiefsten Überzeu-gung nicht aus dem Augenblick heraus gekommen.

Dieser Selbstmord hat in dem verstorbenen Oberlieute-nant das ganze letzte Jahr lang geschwärt, und wir müssen, wenn möglich, den Vorhang vor seinem intimen Innen-leben lüften, wir müssen uns in sein unsichtbares morali-sches Profil hineindenken, damit uns klar wird, daß man ohne Ideal, ohne Pflichtgefühl, ohne Offiziersmoral nicht existieren kann. Denn, meine Herren, außer seinen mathe-

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matischen Arbeiten und Manuskripten habe ich dieses No-tizbuch hier gefunden, das in der Handschrift des Verstor-benen geführt ist und in dem er seine nervösen Eindrücke und Gedanken der letzten sieben, acht Monate notiert hat, das heißt, genau von dem Zeitpunkt ab, an dem die Frage seiner Dozentur in Tübingen akut wurde. Aus diesen sei-nen Aufzeichnungen hier, die man auch als Tagebuch des verstorbenen Oberlieutenants bezeichnen könnte, habe ich das düstere Bild inneren moralischen Verfalls gewonnen, auf Grund dessen ich das Recht zu haben glaube, ihn vor Ihren Augen als Kameraden wie auch als Menschen zu dis-qualifizieren. Meine Herren, in diesem blauen Notizheft zeichnete dieser Mensch Eindrücke und eigene Gedanken auf, und während er mit uns in unserem Kasino verkehrte, in unserer Menage, in unserer Reitbahn, während er mit uns zu unseren Übungen auszog, unter unseren Fahnen, im gleichen Rock wie wir, da dachte der Oberlieutenant so häßlich und so abscheulich von uns, als sei er uns der fernste und schrecklichste Feind! Mir fehlen das Wort und der Ausdruck, meine Empörung und meine Erbitterung zu beschreiben, und ich denke, am besten werde ich Ihnen so ein paar Zeilen aus dem Tagebuch eines Kameraden von uns zitieren, eines Kameraden, den wir aufrichtig geliebt und geschätzt haben, ohne im geringsten auch nur daran zu denken, daß unter uns ein maskiertes Gesicht, ein Typ mit geschlossenem Visier wandelte.

So zum Beispiel taufte er an einem bestimmten Tag ei-nen älteren Kameraden aus unseren Reihen einen Kretin, weil der in der Menage geäußert hatte, an der ganzen Fran-

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zösischen Revolution imponiere ihm am meisten der Tod von Lafayettes Schweizergarde. Bitte, meine Herren, seien Sie so liebenswürdig, einen Augenblick Ihre Aufmerksam-keit folgender These zu widmen, die unser libre penseur im Zusammenhang mit der Äußerung unseres Kameraden aufgezeichnet hat:

› Sokrates sagt voraus, die Menschheit werde genau so lan-ge Krieg führen, bis die Leute anfingen, die Generale als Esels- treiber anzusehen. Nachdem ich diese Sentenz des Sokra-tes gelesen hatte, habe ich mich niemals mehr als Eselsvieh gefühlt. Wenn so eine Kavalleristenkreatur, ein derartiger Apologet der Schweizergarde, einen seiner Dragoner beim Voltigieren beleidigen will, dann nennt er ihn einen Feu-erwehrmann! Aber ein einziger Feuerwehrmann ist mehr wert, als eine ganze Armee von Brandstiftern in corpore …‹ Der Eindruck, den er von uns als Menschen hatte, lief dar-auf hinaus, daß wir Dragoner Strohpuppen sind und uns von den Strohpuppen in der Reitbahn nur insofern unter-scheiden, als wir an jedem Ersten Gehalt beziehen. Wie ein Spion hat er heimlich unsere intimsten Gespräche belau-ert, und dazu, meine Herren, daß einer unserer Kamera-den, Graf Buttler, in der Menage die übrigens zutreffende und wahrheitsgemäße Bemerkung äußerte, unsere junge Generation verstehe es nicht mehr, sich am herrschaftli-chen Tisch mit Spargeln und Krebsen zu bedienen, dazu bemerkt er:

› Es gibt kriminelle Typen, die sehr viel Wert auf die Form legen, wie man Spargel ißt! ‹

Und dann knüpft er voller Bosheit an: › Buttler hat er-

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klärt, unsere Bürgerlichen hätten mehr Angst vor den ro-ten Fühlern einer gekochten Languste auf dem Tisch als vor russischen Bajonetten. Buttler hatte recht damit: vor Messern fürchten sich die Metzger nicht, weil ein scharfes Messer das Symbol der Metzgerehre ist. Und dieser Buttler, dieser Ritter ohne Furcht und Tadel, fürchtet sich nicht einmal vor der Languste. Es gibt kriminelle Typen, die widmen eine ungeheure Aufmerksamkeit der Frage, wie man Austern, wie man Schnecken und wie man Langu-sten ißt. Buttler, der allerdurchschnittlichste Abkömmling eines ordinären Mörders, wird hier also aus einer Perspek-tive von zwei Jahrhunderten zum Garnisons-Cicerone des aristokratischen bon ton.‹

Das, meine Herren, ist, wie Sie sehen, die analytische Methode dieser erhabenen mathematischen Tübinger Welt- anschauung. Eines schöner als das andere! Wir alle waren für ihn Mörder, Falschspieler bei den Karten, Syphilitiker mit einem Gehirn voller Löcher wie ein Sieb, die eine nicht zu parierende Säbelquinte nur deshalb schlagen können, weil wir nicht wissen, was der Cosinus und was Recht-schreibung ist, und dieser Herr Doktor der Mathematik hat einen Kameraden aus unserer Mitte, der mit elf Aus-zeichnungen dekoriert ist, als einen ordinären Wucherer betrachtet, der die Armen mit hohem Mietzins betrügt, und zwar nur deshalb, weil dieser Kamerad Hauseigentü-mer ist. Dieser Mensch hat nicht an Gott geglaubt, nicht an die Heiligkeit der Pflicht und des Dienstreglements; all unsere Grundlagen unseres Systems waren für ihn › kanni-balische Vorurteile ‹, und in diesem seinem megalomanen

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Rausch hielt er uns für provinzielle Dummköpfe, intellek-tuelle Jammergestalten, Säufer, Paralytiker, Erpresser, To-tengräber der Vernunft, Falschspieler, Urkundenfälscher, Zuhälter, die von der Mitgift der Apothekerfräulein aus der Provinz leben – nein, meine Herren, ich kann hier-mit nicht fortfahren, denn all das ekelt mich an, all das ist krankhaft und schändlich! «

Oberst Warronigg warf voller Ekel Ramongs blaues No-tizbuch von sich, trat von der Estrade und schritt zu dem schweren Brokatvorhang an der altertümlichen Fensterni-sche; dort hielt er gedankenverloren inne und verblieb so eine ganze Minute lang. Nach seinem langem Schweigen war sein Kopf leer, so absolut leer, wie riesengroße, lee-re Fässer leer sind, so verzweifelt leer, daß kein einziger Gedanke darin auftauchte, und vorhin bei der Verlesung der Lokalnachricht aus der Alsóvárer Zeitung hatte er das Gefühl gehabt, es drücke ihn um die Schläfen ein heißer Reifen aus Stahl. Die Angst hatte ihn gepackt über den Sätzen Ramongs. Da ist an vielen Stellen auch von ihm die Rede, und er hat es in der Eile unterlassen, mit Rotstift zu kennzeichnen, was er vorlesen soll. Vor den Kameraden des toten Offiziers, der die vollen Sympathien der ganzen Garnison genossen hatte, zeichnete er das Profil dieses Jun-gen in zu warmen, menschlichen Farben: er gab das Porträt dieses Betrügers und Diebs fremder Ehre so sympathisch, er hatte noch nicht begonnen, die Materie anzuschneiden, er war noch nicht in sie eingedrungen. Er liest da aus Ra-mongs intimem Tagebuch geistreiche Details vor, die den völlig entgegengesetzten Effekt hervorrufen werden! Da

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muß man die ganze Art und Weise dieser dummen Rede ändern. Das ist hier nicht die Apologie eines bel esprit an seiner Totenbahre, sondern die Anklage eines Komman-deurs über dem Bild eines Hochverräters und Deserteurs!

Wie er so ideenlos in seinem Nebel kreuzte, war sich Oberst Warronigg einer einzigen Sache bewußt: es ist in diesem Augenblick alles möglich, und nur eine einzige Sa-che kann fatal werden – er darf sich nicht in die Attitüde eines Schwächlings manövrieren, der sich dort vor allen als der Schuldige an diesem Tod reinzuwaschen versucht. Er muß zur offenen, frontalen Konterattacke übergehen, und zwar jetzt sofort! Die Minute dieses letzten Kampfes dauerte endlos lang.

» › Es gibt Barone, die würdevolle Zuhälter sind. Sie leben von der Mitgift ihrer bürgerlichen Gemahlinnen, aber sie bewilligen ihnen nicht die Scheidung, weil sie Abenteurer und Glücksspieler sind und auf diese Art ihren Poker finan-zieren. In der Behandlung der Freiheit ihrer Damen sind diese Herren ungewöhnlich liberal: sie lassen ihre Frauen in den blauen Stunden Ausflüge in fremde Betten machen, aber sie erwarten sie ebenso kaltblütig im eigenen Bett, wo sie die eheliche Pflicht ausschließlich für Geld erfüllen.‹

Oder: ›Wenn ein alter Syphilitiker ein siebzehnjähriges Mädchen defloriert und ihm dabei in der ersten Ehenacht ein Andenken fürs ganze Leben verehrt, dann nennt man das eine Mésalliance: ein blaublütiger Baron hat sich zur bürgerlichen Tochter eines Provinzadvokaten herabge-lassen, und sie so erhöht, daß sie zur Beischläferin eines Syphilitikers wird! ‹ Oder: › Hamlet ist ein Kretin, weil er

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Claudio nicht schon bei der Hochzeit seiner Mutter umge-bracht hat.‹ « Niemand rührte sich im Saal. Alle standen sie kalt wie Stein: diese steife, zeremonielle Haltung ging jetzt schon über in eine quälende und anstrengende Erstarrung des Leibes.

Unter Kartusche und Säbel, eingeschnürt von Ketten und Leibriemen, mit dem schweren Helm und dem Säbel in der Hand, unbeweglich, begannen die Offiziere, gegen die Schwerkraft mit schwerem und tiefem Atmen anzukämp-fen. Immer noch in Gedanken, als spreche er mit sich sel-ber, wandte sich Warronigg wieder zur Estrade, und indem er so vor der Front der Offiziere herschritt, sprach er düster und grob:

» Das alles hätte man noch verzeihen können, man hätte das alles noch verstehen können! So ein junger und un-erfahrener Offizier überschätzt seine Fähigkeiten, und be-rauscht von seinem verfluchten Doktorat da träumt er, wie er die Welt erobern wird! All das hätte man auch noch eine jugendliche Blutstauung im Kopf nennen können, eine moralische Aberration, aus der alle ihre Folgen sich hätten erklären lassen. Er war nachlässig im Dienst, nicht gewissenhaft, oberflächlich, er hat uns, mit allem Chaos, das er in sich trug, auf seine megalomane Art verachtet, er trug in seinem Herzen eine Teufelsfratze, und in der Un-ruhe und Unordnung seines eigenen seelischen Durchein-anders hat er zum Revolver gegriffen und das alles von sich abgespült! Und, meine Herren, stünden wir jetzt da über seinem Leichnam, und wäre das nun alles, was ich Ihnen über seinen Nachlaß zu sagen gehabt hätte, glauben Sie

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mir, meine Herren, auf mein Offiziersehrenwort, ich hätte über ihn kein einziges negatives Wort gesprochen. Sie kön-nen sich, meine Herren, seine unglaubliche Dreistigkeit anläßlich des letzten Rapports nicht vorstellen, als er von mir verlangte, ich solle seinen ersten Hausarrest annullie-ren, da er wegen Ehrenbeleidigung eines Hochstaplers und nicht eines ausländischen Admirals bestraft worden sei. Er verlangte gegen mich einen Divisionsrapport, beim Rap-port grinste er mich mit unerhörter Arroganz in Ton und Geste herausfordernd und höhnisch an, und dabei betonte er mit besonderem Nachdruck, er persönlich könne nicht zur Verantwortung gezogen werden für den schwachsin-nigen Intelligenzmangel beim gesamten Theresienburger Offizierskorps inklusive der Generalität. – No also, gut, ein brennendes Gehirn, gut, das alles war nicht so tragisch, dieser Zimmerarrest!

Aber, meine Herren, das ist nicht das Allerentsetzlichste! Sowohl die Verletzung der kameradschaftlichen Solidari- tät als auch die mangelnde Solidität im persönlichen Cha-rakter, als auch die durchschnittliche Gleichgültigkeit im Dienst – all das hätte man aus Pietät angesichts eines frühen und regelrecht traurigen Todes verzeihen können! Aber eine Sache, die man an diesem Fall durchaus nicht verstehen kann: Oberlieutenant Ramong war ein Hochverräter! «

Zucken mit den Köpfen, Unruhe. Pause. Sie hatten die-sen moralischen Fenstersturz schon länger als 40 Minuten lang erwartet, und nun hörten sich die Herren Offiziere des Siebzehnten an, wie der Leichnam Ramongs schließ-lich durchs Fenster geschoben wurde, aber das Aufschla-

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gen des Leichnams auf dem Pflaster vor dem Kloster verur-sachte Unruhe in der stummen Berührung der Blicke. Die Nervosität nahm offensichtlich auf allen Seiten zu.

» Consummatum est «, dachte bei sich der Regiments-kaplan, Doctor Theologiæ et Philosophiæ Mándoky, der Übersetzer von Balzacs Contes drôlatiques, schöne Seele und Moralist sui generis. » Parce nobis domine, quia dragoni sumus! « Und Oberst Warronigg sprang über das Finale sei-ner Rede mit der ungewöhnlichen Geschwindigkeit eines erfahrenen steeple-chase-Jockeys: nachdem er dem Huhn den Hals abgeschnitten hatte, warf er das Aas von sich mit einem Ekel, der größte Beachtung verdiente.

»Ja, meine Herren, dieser Selbstmord ist eine Schande für unser Regiment darum, weil es der Selbstmord eines ordinären Hochverräters ist. Wenn er sich nicht selbst er-schossen hätte, dann hätte das Kriegsgericht ihn erschießen lassen müssen. Oberlieutenant Ramong stand als aktiver Offizier unseres Siebzehnten Regiments in Korrespondenz mit einer ausländischen souveränen Macht und führte Vor-besprechungen über ein Engagement wie irgendein reisen-der Schauspieler. Der Geist der Regimentsehre, die Treue gegenüber dem Allerhöchsten Hause, die Loyalität als Bür-ger und als Offizier, Pflichtgefühl und fachliches Geschick in unserem Beruf – das waren im Hirn dieses Unglücks-menschen lauter Begriffe, mit denen man handeln kann wie mit jeder anderen Ware. Hier, bitte, ich habe in seiner Korrespondenz vier Briefe von der Technischen Abteilung des Kriegsministeriums der Republik Bolivien gefunden, in denen besagte Technische Abteilung unserem Kamera-

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den antwortet, seine Forderungen seien zu hoch.«Als auf der purpurnen Tischdecke vor der geheimnisvol-

len Silberkasserolle Ramongs Briefe, die er aus Bolivien be-kommen hatte, auftauchten, als eine Art Ehren-Todesstoß in diesem perversen Florettgefecht, da wäre Bandi Kállay um ein Haar der Helm aus dem Arm gerollt, so heftig fuhr er auf in seiner Indignation.

Die Sache mit Bolivien, daß Ramong in diesem fernen und phantastischen Land als Festungsbauer Dienst tun wollte, diese Sache war Bandi Kállay bis in die Einzelheiten bekannt. Er persönlich hatte diese Pläne für blöd und naiv gehalten, ihm war das alles komisch vorgekommen, daß ein so romantisch verliebter Dilettant, wie Géza Ramong in der Liebe es war, sich in gefährliche Abenteuer einließ, daß ihn diese routinierte Hure eingewickelt hatte wie ein Biskuit in Wein, daß sie ihn sozusagen geschmolzen und aufgeschlürft hatte, daß sie ihn jagte wie eine Fliege, daß er verrückt geworden war und meinte, er müsse bis hin nach Bolivien fahren, um dort diese zahnlückige, antipathische, eingebildete Matrone zu heiraten.

Als Bandi Kállay den senilen, boshaften Alten da an-hörte, wie er sich vor allen Leuten schamlos erregte

und schon mehr als eine halbe Stunde lang seinen Freund anspuckte, hatte er das Gefühl, als ob ein kleiner Spatz um sein Haupt flatterte und dauernd vor seinem Ohr schwirr-te und ihm ein und dasselbe immer wieder vorzwitscherte: Man müßte diesen Schuft da auf dem Katheder erschießen wie einen Hund! Man müßte dieser Kanaille eine Kugel in

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seinen idiotischen Schädel jagen! Man müßte seinen Helm so aufs Parkett schmettern, daß es wie eine Art Protest klingt, und damit würde über dieser idiotischen Schmach der Vorhang fallen! Man müßte mit dem Fuß stampfen, mit dem Säbel, mit der Faust losschlagen, man müßte diesem alten Aasgeier eine Ohrfeige herunterhauen, man müßte den Alten zum Duell fordern, sofort, auf dieses unmorali-sche Schwein losgehen, ihm mit dem Handschuh über die Fresse hauen, den Zwicker auf seiner riesigen thrombösen, fleischigen Nase zerschlagen, zwei, drei männliche Wörter aussprechen.

» Und was deklamieren Sie uns da vor von irgendwelchen spanischen und bolivianischen Romanen? Als ob wir nicht alle wüßten, daß Ihre Frau Obristin das Liebchen dieses Mannes war? Und nicht nur sein Liebchen, sondern auch meins, verstehen Sie, auch meins, unsers ganz allgemein, mon cher colonel, je vous annonce respectueusement, verste-hen Sie, von Sztatoczni bis zu mir, sie hat überhaupt ganz allgemein die Jockeys gemocht, und dieser naive Mathema-tiker war für sie das curiosum mundi! Und was Sie uns da von Bolivien erzählen, das ist ein ganz gewöhnliches tech- nologisches Engagement im Ausland, das ist eine nachträg-liche Diffamierung unseres toten Kameraden, das ist mora-lischer Mord niedrigster Kategorie! «

Bandi Kállay meinte, man müsse jetzt demonstrativ auf diesem roten Samtteppich zur Estrade gehen, den Weg der ritterlichen Wahrheit beschreiten oder diese Höhle verlas-sen und die Tür dabei so zuschlagen, daß die ganzen al-tertümlichen Fenster aus den Bleirahmen fielen wie faule

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Zähne aus einem Totenschädel, man müsse den Komman-deur zum Zweikampf fordern, eine unerhörte Insubordi-nation provozieren, aber zugleich haspelte sich in seinem Kopf etwas ab, all das wäre nicht korrekt nach dem Barba-setti-Codex, es bestünden gewisse Regeln des Duells und des Ehrengerichts, das könne man viel korrekter in schrift-licher Prozedur regeln, mit einer Meldung an die Division, mit einer Kommission, mit Sekundanten, das Ganze wäre ein Skandal ohne Kopf und ohne Schwanz, und schließ-lich – diffamiert würde bei der ganzen Sache ausschließlich und einzig Frau Olga.

Die charmante Gemahlin des Kommandeurs traf schließ-lich nicht die geringste Schuld an dieser exaltierten Geste Géza Ramongs. Ramong war von jeher exaltiert gewesen, und wozu letztlich auch eine Dame in dem Augenblick kompromittieren, in dem ohnehin die Komödie aus war, und am meisten opportun ist und bleibt ohnehin, was uns die alte Wahrheit lehrt: Kuschen und weiterdienen …

» Ich, meine Herren, kann hierüber nicht weiter spre-chen, denn ich fürchte mich, jene Linie zu überschreiten, die um jeden Preis einzuhalten ich mich entschlossen habe! Meine Herren, ich habe mich entschlossen, mit Rücksicht auf unseren Kameraden, den Vater des Selbstmörders, den Kavallerieoberstlieutenant Ramong, aus dieser ganzen An-gelegenheit kein Problem zu machen. Dieser Tote hat ein Visier getragen, und er war der Ehre unseres Regiments nicht würdig. Er war kein Gentleman, sondern ein Narr, und ich bitte Sie, meine Herren, mir bei der Erfüllung mei-ner Pflicht zu helfen und weiterhin mit mir solidarisch zu

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bleiben. Ich habe beschlossen, daß wir aus formalen Grün-den geschlossen an der Beisetzung teilnehmen, nicht aus Pietät, sondern aus Mitleid mit einem invaliden kaiserli-chen Oberstlieutenant, für den die Kenntnis der Wahrheit in diesem Falle den sicheren Tod bedeuten würde. Und ich habe ferner auch beschlossen, hier mit Ihnen zusammen alle die Dokumente zu verbrennen, die die Ehre unserer Fahne beschmutzt und uns allen eine schwere Verantwor-tung auferlegt haben! «

Daraufhin legte Oberst Warronigg das blaue Notizbuch und die vier Briefe aus Bolivien in die Silberschüssel, über-goß alles mit Spiritus und steckte es an. In diesem Augen-blick sah er aus wie der Großmeister eines mystischen Or-dens, der der unsichtbaren Gottheit ein Opfer verbrennt.

Die Halbeskadron, die die Beisetzung eskortierte, kom- mandierte Bandi Kállay. Er ritt am rechten Flügel

des ersten Zugs als Kommandant des gesamten Trau-erzugs. Hinter den Dragonern des ersten Zugs, die sich ganz langsam mit gezogenen Säbeln vorwärtsbewegten, ritten acht Regimentstrompeter, Trompeten an der Hüfte, finster, einer dem anderen ähnlich, auf dicken transdanu-bischen Stuten. Hinter den Trompetern und der Kapelle des 107. Regiments führte die Ordonnanz Heinrich War-roniggs Stute Dolores, die nach flämischer Weise verhüllt und mit schwarzer Ritterschabracke bedeckt war. Im Au-genblick, als man Ramongs Berenice mit dem schwarzen flämischen Überzug hatte bedecken und ihr die schwarze Trauermaske über den Kopf ziehen wollen, da hatte sie mit

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einem einzigen Tritt dem Dragoner, der als Pferdebursche da vor ihr mit dem schwarzen Kostüm in der Hand wie ein Gespenst erschienen war, den Schädel gespalten. Berenice war angesichts des schwarzen Fetzens wild geworden, und der tragische Tod des Stallburschen, eines neunzehnjähri-gen Jungen, wurde in der Kaserne und draußen als düsteres und rätselhaftes Omen dieser Beisetzung herumerzählt. In diesem Augenblick blieb nichts anderes übrig, als Dolores, die Stute des Kommandeurs, zu kostümieren, diese höchst fromme Stute des Obersten Warronigg, die sanft war wie eine Kuh beim Salzlecken, da Oberst Warronigg ja ohne-hin mit den übrigen Offizieren zu Fuß hinter dem Sarg gehen würde, und so wurde Warroniggs Stute Dolores die seltene Ehre zuteil, in großer flämischer Trauergala Géza Ramong auf seinem letzten Weg zu geleiten.

Hinter der Stute Dolores kamen Dragoner, die Kränze trugen: sechs Stück im Abstand von drei und drei Metern. Danach ging der Totengräber mit dem Kreuz, der Prior von St. Theresia mit zwei Assistenten, das Viergespann mit dem eisernen Ritter und dem Sarg, den ein schwarz-gelbes Tuch bedeckte. Auf dem Sarg lagen über dem schwarz-gel-ben Tuch der schwere Reitersäbel mit dem Dragonerhelm und ein einziger Kranz: vom Vater, dem Oberstlieutenant Ramong. Hinter der gläsernen Karosse schritt Oberstlieu-tenant Ramong mit dem Holzbein, in Husarengala, in blauer Attila und roter Hose, barhaupt und winzig wie ein Spielzeug. Hinter diesem ausgedörrten Greis ging, Schritt um Schritt im langsamen Takt der schwarz verhängten Trommeln an der Spitze der 28 Offiziere der Theresienbur-

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ger Abteilung des Siebzehnten Dragonerregiments Oberst Warronigg, gebeugt und in Gedanken.

Kapellmeister Czibulka spielte vorne vor dem Vierer-gespann Chopin, und Warronigg konnte und konnte von seinen trüben Gedanken nicht loskommen. Er hatte zu den Herren von dem Tagebuch des Selbstmörders, von dem bolivianischen Abenteuer und dem Brief aus Tübin-gen gesprochen. Davon, daß unter Ramongs Briefen auch einige intime Briefe seiner Gemahlin Frau Olga sich befan-den, davon hatte er niemandem ein Wort gesagt. Das lag ihm nun auf der Seele, und er dachte darüber nach, daß Olga jetzt in Venedig war, auf der Piazzetta ( wo sie sicher Tauben füttert in ihrem neuen Brüsseler Spitzenkleid, ganz eingehüllt vom flatternden Schwarm weißer Tauben ), und daß er sie erst im September wiedersehen würde.

Am Schluß des Trauerzugs ritt wieder ein Zug Dragoner unter dem Kommando von Lieutenant Kolozsváry-Mayer, dem Sohn des Fabrikanten des » doppelten süßen Kolozs-váry-Bieres «.

Am Rande des Gehsteigs erschrak ein kleiner Junge, der den feierlichen Leichenzug anschaute, vor Warroniggs Dolores in der schwarzen flämischen Mamille, vor ihrem schwarzen Teufelskopf aus Tuch, der die Ohren spitzte und wieherte, und in seinem panischen Schrecken breitete er beide Hände aus und ließ seinen roten Luftballon aus den feuchten Fingerchen fahren und senkrecht in die Höhe steigen.

In einer steilen Parabel, mitgerissen vom Wind der Rei-terphalanx, flog der Ballon zur Eskadron von Bandi Kállay,

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und dann hob er sich wieder, in einer kühnen Senkrech-ten, von der Erde ab und verschwand senkrecht über der gläsernen Leichenkarosse hoch über Dächern, Kastanien-bäumen und Kirchtürmen in der Heiterkeit des sonnigen Maimittags.

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