Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
Click here to load reader
-
Upload
liberal-debatten-zur-freiheit -
Category
Documents
-
view
214 -
download
0
Transcript of Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 1/6
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 2/6
Herr Lindner, gibt es die FDP noch?
(lacht) Wir sind ganz lebendig. Mit fast 60.000 Mitgldern und Tausenden Engagierten vor Ort. Über hunliberale Abgeordnete in Landtagen und in Europa sesich für Bürgerrechte und wirtschaftliche Vernunft Unverändert haben siebzig Prozent der Deutschen eunmittelbaren parlamentarischen AnsprechpartnerFDP. Wir sind vorübergehend aus dem Deutschen Bdestag ausgeschieden, aber wir sind weiter im Spiel
Dennoch war die Bundestagswahl eine historis
Zäsur. Zum ersten Mal gibt es keine liberale Par
im Parlament. Wo steht die außerparlamentaris
FDP nach der Bundestagswahl?
Seit der Wahl sind 1.500 Menschen in die FDP eingeten. Die Wählerinnen und Wähler haben einen Neufang der FDP erzwungen. Das ist mit vielen politischund menschlichen Härten verbunden. Aber wir gehdiesen Weg und suchen die Gründe nicht außerhalboder bei anderen. Die Niederlage verpflichtet uns, zuBesinnung zu kommen und die liberale Partei von e
unverändert starken Fundament aus neu aufzubaue
Muss die FDP sich ganz neu erfinden?
Die FDP sollte nicht gänzlich anders werden, aber wimüssen neu über Schwerpunkte und die Art unsere Auftretens nachdenken. Was ist die liberale DNA? Wsind die Partei der Lebenslaufhoheit: Jeder soll Autoreigenen Biografie und Experte für sein eigenes Lebe
Alles neu bei der FDP? Nicht ganz, sagt
Christian Lindner: Die Werte sind unverän-
dert, aber über Schwerpunkte und Auftre-
ten muss man nachdenken und die liberale
Partei von einem nach wie vor starken Fun-
dament neu aufbauen. Gegen mehr Gleich-
heit und Umverteilung und weniger Frei-
heit, Dynamik und Vielfalt hilft nur eine FDP
als Bürgerbewegung, die auf Maß und Mitte
achtet und ihre Werte nachvollziehbar auf
die Probleme der Zeit anwendet. Wie, er-
läutert er in diesem Interview.
DIE KRISEALS CHANCE
„Wir sind
weiterim Spiel“Das Wahlergebnis war bitter. Doch es wie
Weg zum Neuanfang. Für den steht Ch
Lindner. Ein Gespräch über das Umdenk
// INTERVIEW // KIRSTIN HÄRTIG // FOTOS // TINA MERKA
DIE ZUKUNFT DER FDP
6 1.201
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 3/6
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 4/6
... die alle belegen, dass es off ensichtlich doch ein libera-
les Milieu in Deutschland gibt. Und dass die Positionie-
rung der FDP als Partei wirtschaftlicher Vernunft und
gesellschaftspolitischer Liberalität attraktiv ist. Ist es aber glaubwürdig, wenn jene Parteien, die gerade noch das
Leben bürokratisieren wollten, die die Menschen in ihrer
Privatsphäre überwachen oder ihnen die finanziellen
Spielräume nehmen wollten, nun plötzlich von Freiheit
sprechen? Für die ist Liberalsein nur eine Marktlücke, für
uns hingegen eine Haltung.
Man könnte aber auch umgekehrt sagen, es brauche
jetzt keine liberale Partei mehr, denn alle Parteien
seien ja irgendwie liberal.
Das klingt eher nach Beliebigkeit als nach Liberalismus.
Die Debatten der letzten Zeit und die Vorhaben der
Großen Koalition belegen doch genau das Gegente
vom Griff in die Sozialkassen, der Verriegelung des
Arbeitsmarktes über die planwirtschaftliche Ener
tik bis zur Vorratsdatenspeicherung. Die anderen Pen wollen die Beweislast umkehren: Nicht diejenig
sollen sich rechtfertigen, die unsere Freiheit einsch
ken, sondern derjenige, der weiter auf die Mündig
der Menschen vertraut. Alles läuft auf mehr Gleich
und mehr Umverteilung und auf weniger Freiheit
Dynamik und Vielfalt hinaus. Umso mehr braucht
FDP, die auf Maß und Mitte achtet.
Wie werden Sie sich dann zur voraussichtlich
Großen Koalition positionieren?
Die FDP ist jetzt die eigentliche Opposition. Nur die
Liberalen haben ein grundlegend anderes Politikveständnis als die Große Koalition. Als Partei haben w
Fehler gemacht, unsere Bilanz als Teil der letzten R
rung ist dennoch beachtlich. Die Union hat sich nu
widerstandslos und in einem enormen Tempo von
Prinzipien der christlich-liberalen Regierung verab
det, sodass sich die Wählerinnen und Wähler der C
CSU die Augen reiben müssten. In den Debatten im
Deutschen Bundestag wird die Große Koalition von
links-grünen Opposition künftig dafür angegriff en
den, dass sie zwar mehr Staat, aber immer noch nic
genug Staat, zwar mehr Ausgaben, aber immer noc
nicht genug Ausgaben, zwar mehr Bürokratie, aber
mer noch nicht genug Bürokratie beschlossen hat.
Was ist Ihr Gegenmodell?
Wir setzen auf einen soliden und gegenüber komm
Generationen gerechten Staat, der sich aus den Ket
Verschuldung befreit. Dazu werden wir neue Vorsc
zu erarbeiten haben, wie wir den Staat in seinen Ke
gaben handlungsfähig halten, seine Strukturen ang
des demografischen Wandels aber modernisieren.
setzen auf die Kraft und die Fähigkeit der Marktwir
sichere Arbeitsplätze zu schaff en und Wohlstand zu
erwirtschaften. Auch hier muss mit Blick auf neue T
logien und den sich abzeichnenden Fachkräftemankonzeptionell neu gedacht werden. Wir setzen auf d
Rechtsstaat, der seinen Souverän, die Bürgerinnen
Bürger, nicht ausspioniert, sondern vor kommerzie
Datensammlern und Kriminalität schützt. Wir wolle
Europa, das große Chancen für uns bietet, wenn wi
der jetzigen Krise marktwirtschaftlicher, demokrati
und bürgernäher gestalten.
Es soll wieder aufwärts-
gehen: Christian Lindner im
Gespräch mit Kirstin Härtig,
Leiterin Presse und Kommu-
nikation bei der Friedrich-
Naumann-Stiftung für die
Freiheit. Wegen Lindners
Faible für Automobile trafen
sie sich in der Classic-Remi-
se Berlin, einem Zentrum
für Oldtimer und Liebhaber-
fahrzeuge.
DIE ZUKUNFT DER FDP
8 1.201
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 5/6
Apropos Europa: Ist die AfD ein dauerhafter und
ernsthafter Konkurrent der FDP? Manche dort
sehen sich schon als „Nachfolgerin“ der FDP.
Diese sogenannte Alternative versucht mit Professoren-Titeln politische Bauernfängerei. Liberale sind das nicht, wenn Protagonisten dieser Partei in der Familienpolitik Anleihen bei Putin und in der Außenpolitik bei Bismarcksuchen. Vor allem ihre ökonomischen Konzepte für den
Euro-Raum sind veraltet und wären im Fall einer Umset-zung extrem teuer und politisch hochriskant.
Manche Kritiker denken da anders, sie sehen viel-
mehr die Euro-Politik der vergangenen Jahre als
Ursache für die anhaltende Krise.
Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben stets die stabilitäts-orientierte Strategie verfolgt, Hilfe an überschuldeteLänder nur unter der Bedingung zu geben, dass dieseStaaten unverzüglich Reformen einleiten. Tatsächlichsind erste Erfolge jetzt sichtbar. Es wäre töricht, nun ausideologischen Gründen neue Turbulenzen auszulösen.Fraglich ist allerdings, ob die Große Koalition an dieserStrategie festhält. Insbesondere bei der geplanten Ban-kenunion bin ich in Sorge: Banken erhalten von derZentralbank billiges Geld. Damit decken sie sich risikolosmit Staatsanleihen ein. Das reduziert den Reformdruckauf die Euro-Staaten. Und am Ende zahlt für die Abwick-lung maroder Banken aus Südeuropa der deutscheSparer. Das wäre die völlig unkontrollierbare Transfer-union durch die Hintertür.
Was wäre Ihre Alternative?
Die finanzpolitische Eigenverantwortung der Euro-Staa-ten muss wiederhergestellt werden. Rettungsoperatio-
nen können nur Ausnahmecharakter haben. Handelnund Haften gehören zusammen – in der Privatwirtschaftund bei den Staatsfinanzen. Für den nationalen Banken-sektor muss der jeweilige Staat verantwortlich bleiben– bei gemeinsamen europäischen Regeln. Ganz generellist es die ordnungspolitische Schlüsselaufgabe, denrenditeorientierten privaten Finanzsektor und die kre-ditsüchtigen Staaten voneinander zu trennen. Beide sind
gegenwärtig so verwachsen, dass man kaum mehr vonMarktwirtschaft sprechen kann. Übrigens sehe ich eine vergleichbare Aufgabe im Bereich der bürgerlichenFreiheitsrechte.
Inwiefern?
Die Enthüllungen zur Tätigkeit der NSA in Deutschlandzeigen, dass auch im 21. Jahrhundert und auch in Demo-kratien die Privatsphäre nicht unantastbar ist. Im Gegen-teil, das potenzielle Zusammenwirken von Nachrichten-diensten und den kommerziellen Datensammlern imInternet erlaubt eine lückenlose Überwachung und die
Anlage detaillierter Persönlichkeitsprofile. Mich irritiertmitunter die Sorglosigkeit gegenüber dieser Gefahr.Privatheit ist eines der grundlegenden Bürgerrechte.Nur in totalitären Gesellschaften fallen das Private unddas Öff entliche zusammen. Liberale Aufgabe ist es,einerseits Big Brother, also den Staat, auf das rechtsstaat-lich Vertretbare zu beschränken. Andererseits Big Data,also die private Datensammlung, rechtsstaatlich zu
„Wenn wir unsere Werte nach-
vollziehbar auf die Probleme
der Zeit anwenden, dann wird
die FDP besser als zuvor.“
liberal 1.2014
8/13/2019 Krise als Chance. Interview mit dem neuen Bundesvorsitzenden der FDP Christian Lindner
http://slidepdf.com/reader/full/krise-als-chance-interview-mit-dem-neuen-bundesvorsitzenden-der-fdp-christian 6/6
DIE ZUKUNFT DER FDP
regeln. So wie systemrelevante Banken eine Aufsichtbenötigen, so halte ich auch eine Aufsicht über system-relevante Datenbanken für erforderlich. Dieser Frage
muss die FDP sich detaillierter und fundierter widmen. Weil wir eben über Europa gesprochen haben: Hier wäre eine europäische Initiative angezeigt.
Eine andere Sorge der Menschen ist die Energie-
wende. Sie wurde in der Regierung von der FDP
mitgetragen. Die Kritik an der konkreten Ums
zung wächst aber weiter. Wird die FDP nun, oh
die Bürde der Regierungspartei, diese Kritik a
nehmen? Wir haben auch als Regierungspartei einen marktschaftlichen Neustart in der Energiepolitik gefordentsprechende Konzepte entwickelt. Die BlockadeBundestag und Bundesrat – also jener, die heute gsam regieren – hat eine grundlegende Neuorientiezum Schaden der Bürger und der Umwelt verhind
Wie sehen die Konzepte der FDP denn aus?
Die Subvention der Erneuerbaren dient zunehmemehr ihren Investoren als der Ökologie, der Vorraihrer Einspeisung macht die stabilen Energieträge
unrentabel und destabilisiert die Netze. Ein neuesmodell für die Energiepolitik muss die Energieträgden Wettbewerb stellen. Der Einspeisevorrang mumindestens regional ausgesetzt werden können. DTempo des Ausbaus muss an das physikalisch Möund wirtschaftlich Tragfähige angepasst werden. U vor allem empfehle ich, die Energiepolitik europädenken. Es ist verantwortungslos, dass die Große Kon dagegen nur an Symptomen herumdoktern wi
Und wie sieht es mit der innerparteilichen
Demokratie aus? Wird die FDP in der neuen L
zur „Graswurzelbewegung“?
Zu einer Bürgerbewegung, ja. Wir glauben an die Mdigkeit der Bürgerinnen und Bürger, also sollten win unserer Demokratie mehr entscheiden lassen. A gen will ich bei den Mitwirkungs- und Mitentschemöglichkeiten innerhalb der FDP. Bei unserem kleParteitag in Nordrhein-Westfalen hatten zuletzt be weise nicht nur die Delegierten Rederecht, sonderanwesenden Mitglieder. Das ist sicherlich nur ein Ada ist noch mehr möglich.
Vor Ihnen liegen vier Jahre in der außerparlam
rischen Opposition. Wie optimistisch sind Sie,
die FDP danach wieder ins Parlament zurückkDie kommenden Jahre werden nicht einfach sein. wird Widerstände, Rückschläge und kontroverse Dten geben. Wenn wir uns aber gemeinsam erneue wenn wir einen neuen Mannschaftsgeist entwicke wenn wir unsere Werte nachvollziehbar auf die Prme der Zeit anwenden, dann wird die FDP in den schen Bundestag zurückkehren.
Z U R P E R S O N
Christian Lindner, geboren
1979, studierte Politikwis-
senschaft, Öffentliches
Recht und Philosophie in
Bonn. Selbstständiger Un-
ternehmer von 1997 bis
2004. Landtagsabgeordne-
ter in NRW von 2000 bis
2009 sowie seit 2012. Bun-
destagsabgeordneter von
2009 bis 2012. Generalse-
kretär des Landesverbandes
von 2004 bis 2010 sowie
des Bundesverbandes von
2009 bis 2011. Seit 2012
Vorsitzender von Landtags-
fraktion und Landesverband
der FDP in NRW.
10 1.201