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  • David Harvey

    Die urbanen Wurzelnder FinanzkriseDie Stadt fr den antikapitalistischen Kampf zurckgewinnen

    Aus dem Amerikanischen von Christian Frings

    Robert Schiller, den viele fr den groen Wohnungsbauexperten halten, weiler an der Entwicklung des Case-Shiller-Index fr die Hauspreise in den USAbeteiligt war, versicherte in seinem Artikel >Immobilienblasen kann man mitder Lupe suchen< in derNeu.r YorkTimesvom 5. Februar 2011, dass es sichbei derjngsten Blase um ein hchst ,seltenes Ereignis< handele, wie es sich>in den nchsten Jahrzehnten nicht wiederholen wirdenorme Im-

    zu Beginn der zoooer Jahre >findet nicht ihresgleichen inImmobilienzyklus auf nationaler oder internatio-

    naler Ebene. Blasen waren kleiner und regional begrenzter.< Ver-gleichbar sei sie mit den Blasen der Grundstckspreise, zu denenes vor langer Zeit, Ende der r83oer und in den r85oer Jahren, in den USA

    war.'Wie ich zeigen werde, ist dies eine bemerkenswert irrtm-der kapitalistischen Geschichte. Dass sie so widerspruchslos ak-

    zeptiert wurde, verweist auf einen gravierenden blinden Fleck im modernenkonomischen Denken - und leider auch in der marxistischen politischenkonomie.

    Von der Schulkonomie werden Investitionen in die Bebauung im Zugeder Verstdterung in der Regel als nebenschliche Aspekte der wichtigerenVorgnge behandelt, die sich in einem fiktiven Gebilde namens >Volkswirt-schaft,. abspielen. Die Teildisziplin der >Stadtkonomik< ist daher ein Ge-biet, in dem sich kleinere Geister tummeln, whrend die Groen des Fachsmit ihren makro-konomischen Fertigkeiten in anderen Bereichen hantieren.Sofern sie sich doch einmal mit den urbanen Prozessen beschftigen, stellen

    'Robert Shiller, >Housing Bubbles are Few and Far Between

  • sie rumliche Reorganisationen, regionale Entwicklungen und den Stdte-bau so dar, als handele es sich lediglich um bodenbezogene Resultate umfas-senderer Prozesse, die ihrerseits von diesen Resultaten nicht beeinflusst wer-den. Im World Bank Development Report von 2oo9, der sich zum allererstenMal ernsthaft mit Wirtschaftsgeografie beschftigte, kommt den Autoren da-her nicht im entferntesten in den Sinn, die Mglichkeit von stdtischen undregionalen Fehlentwicklungen in Betracht zu ziehen, die durch ihr katastro-phales Ausma eine Krise in der Gesamtwirtschaft auslsen knnten. DerZweckdes Reports, der ausschlielich von konomen verfasst'ururde, ohneGeografen, Historiker oder Stadtsoziologen hinzuzuziehen, war es angeblich,den >Einfluss der Geografie aufdie konomischen Chancen< zu untersuchenund den Fragen >des Raums und der Orte eine wichtige politische Bedeu-tung( zu geben, statt sie nur als Nebenschlichkeiten zu behandeln.

    Eigentlich wollten die Autoren nur zeigen, dass sich das Wirtschaftswachs-tum (d.h. die Kapitalakkumulation) am besten durch die Anwendung derblichen neoliberalen Patentlsungen aufdie Stadtentwicklung steigern lie-e (also durch das Heraushalten des Staats aus jeglicher Form einer ernst-haften Regulierung der Grundstcks- und Immobilienmrkte und durch dieMinimierung von Eingriffen durch stdtische, regionale oder rumliche Pla-nung). Obwohl sie anstandshalber >>bedauern.,, aus Zeit- und Platzgrn-den nicht nher auf die soziaen und kologischen Konsequenzen ihrer Vor-schlge eingehen zu knnen, glauben sie umstandslos daran, dass diejenigenStdte, die >flexible Grundstcks- und Immobilienmrkte und andere ftir-derliche Institutionen wie den Schutz von Eigentumsrechten, Vertragssicher-heit und Wohnungsbaufinanzierung bereitstellen, sich langfristig im Ztgeverndernder Marktbedrfnisse besser entwickeln drften. Erfolgreich sinddiejenigen Stdte, deren unbrokratischeren Baugesetze den hheren Ein-kommensschichten den Zugang zu hochwertigem Land ermglichen und de-ren Flchennutzungsplne den vernderlichen Bedrfnissen angepasst wer-den.Assessment: Reshaping Eco-nomic Geography: The World Development Repoft

  • se auf die soziale Ungleichheit zwischen den Klassen und das Wohlergehenunterprivilegierter Bevlkerungsschichten ausgewirkt hat. Eben diese Pro-fitmaximierung bt einen extremen Druck auf die hochwertigen Flchen vonDharavi in Mumbai aus (ein so genannter Slum, den der Report zutreffendals produktives menschliches kosystem bezeichnet). Kurz gesagt empfiehtder World Bank Report eben jenen Fundamentalismus der freien Mrkte, derzu makrokonomischen Erschtterungen wie der Krise 2oo7-og gefhrt hatund stdtische soziale Bewegungen auslste, die sich gegen Gentrifizierung,die Zerstrung von Wohnvierteln und die Vertreibung der rmeren Leutezum Zweck der profitableren Vermarktung des Bodens richten.

    Seit Mitte der rg8oer Jahre kam die neoliberale Stadtpolitik (wie sie z.B.in der ganzen Europischen Union praktiziert wurde) zu dem Schluss, dasses vergeblich sei, eine Einkommensumverteilung zugunsten benachteiligterStadtteile zu betreiben. Vielmehr sollten die Ressourcen zu den dynamischen>unternehmerischen< Wachstumspolen geleitet werden. Eine rumlicheVa-riante des >trickle-down

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    ge zu schaffen. Sobald das System eines Landes weiterentwickelt und aus-gereift ist, kann der ffentliche Sektor einen sekundren H.pothekenmarktfrdern, Finanzinnovationen entwickeln und die Verbriefung von Hpothe-ken ausweiten. Eigener Hausbesitz, der in der Regel die mit Abstand grteKapitalanlage eines Haushalts bildet, spielt eine wichtige Rolle fr die Schaf-fung von Wohlstand, die soziale Sicherheit und die politische Ordnung. Men-schen, die ein eigenes Haus oder einen gesicherten Pachtvertrag haben, be-teiligen sich strker an ihrem Stadtteil und sind daher eher geneigt, sich frdie Verringerung der Kriminalitt, eine strkere staatliche Kontrolle und bes-sere Umweltbedingungen einzusetzen. gut reguliert< haben sie sich vor mglicher Kritik abgesichert.

    Aber wieso entgeht ihnen trotz der von ihnen angefhrten unzhligen undnsorgfltig ausgewhlten< historischen Beispiele, mit denen sie ihre neolibe-ralen Patentlsungen bekrftigen wollen, dass die Krise von 1973 ihren Ur-sprung in einem globalen Zusammenbruch der Immobilienmrkte hatte, dermehrere B'anken mit sich riss? Ist ihnen entgangen, dass das Ende des japa-nischen Booms in den r99oer Jahren mit einem (immer noch andauernden)Einbruch der Bodenpreise verbunden war; dass das schwedische Banken-system r99z aufgrund von Exzessen am Immobiienmarkt verstaatlicht wer-den musste; dass der Kollaps in Ost- und Sdostasien in den Jahren 1997und 1998 unter anderem auch durch extreme Formen der Stadtentwicklungin Thailand ausgelst wurde; dass whrend der groen durch Baufinanzie-rungen verursachten Sparkassenkrise in den USAvon 1987 bis r99o, der Sa-vings-and-Loan-Krise, mehrere hundert Finanzhuser Schiffbruch erlitten,

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    3Word Banl< Development Report, S. zo6.

  • wodurch den Steuerzahlern in den USA etwa 2oo Mrd. US-Dollar an Kos-ten aufgebrdet wurden (was William Isaac, den damaligen Vorsitzendender Federal Deposit Insurance Corporation dermaen beschftigte, dass erder American Bankers Association r9B7 mit der Verstaatlichung des Bank-wesens drohte, falls sie sich nicht bessern wrden).+

    Wo steckten blo die konomen der Weltbank, als das alles geschah? Seit1973 ist es zu hunderten von Finanzkrisen gekommen (whrend es davor nursehrwenige waren) und eine ganze Reihevon ihnenwurde durch die Immobi-lienmrkte oder die Stadtentwicklung verursacht. Und fast allen, die sich da-mit beschftigten, war ziemlich klar, dass der Husermarkt in den USA etwaab dem Jahr zooo in eine ziemliche Schieflage geriet. Wie sich nun heraus-stellt, sah auch Robert Shiller die Krise kommen, betrachtete sie aber als au-ergewhnlich und nicht als systemisch.s Shiller knnte sich natrlich ganzzu recht daraufberufen, dass es sich bei allen oben erwhnten Beispielen umlediglich regionale Ereignisse handelte. Aber vom Standpunkt der Menschenin Brasilien oder China aus betrachtet gilt das auch fr die Krise zooT-o9. Ihrgeografisches Epizentrum lag im Sdwesten der USA und in Florida (mit ei-nigen Auslufern nach Georgia) sowie einigen weiteren Hotspots - die schonseit zoo5 grollende Krise von Zwangsversteigerungen in den Armenviertelnlterer Stdte wie Baltimore und Cleveland war zu lokal und >unbedeutend

  • gehende Boom lsst sich daran ablesen, dass die Anteile an den Immobilien-Aktiengesellschaften (Real Estate Investment Trusts) in den USAvon z Mrd.US-Dollar im Jahr 1969 auf zo Mrd. im Jahr 1973 anstiegen und die Flypo-thekendarlehen der Geschftsbankenvon 66,7Mrd. auf rr3,6 Mrd. im selbenZeitraum. Der darauffolgende Einbruch des Immobilienmarkts im Frhjahr1973 weitete sich aufgrund der zurckgehenden Staatseinnahmen zu einerFinanzkrise der Bundesstaaten aus, was nicht geschehen wre, wenn alleinder lpreis die Rezession ausgelst htte. Die darauf im Jahr 1975 einset-zende Haushaltskrise der Stadt NewYork war von enormer Bedeutung, weildie Stadt damals einen der grten ffentlichen Haushalte in der Welt kon-trollierte (weshalb der franzsische Prsident und der westdeutsche Bundes-kanzler zu Finanzhilfen fr NewYork aufriefen, um eine globale Implosionder Finanzmrkte zu verhindern). New York wurde darauftrin zum Zentrumder Einfhrung einer neoliberalen Politik, die den Banken ihr Fehlverhaltennachsah und die Menschen fr die Kosten der Krise zahlen lie, indem kom-munale Auftrge und Dienstleistungen umstrukturiert wurden. Der aller-jngste Einbruch des Immobilienmarkts hat ebenfalls Bundesstaaten wieKalifornien in den faktischen Bankrott getrieben und fast berall in den USAdie bundesstaatlichen und kommunalen Staatsfinanzen sowie die Staatsbe-schftigten unter enormen Druck gebracht. Auf bengstigende Weise erin-nert die Geschichte der Haushaltkrise von New York in den tg7oer Jahrenan die des Bundesstaats Kalifornien, der heute ber den achtgrten ffent-lichen Haushalt der Welt verfgt.6

    Das National Bureau of Economic Research (NBER) hat krzlich noch einw