DerBlaue Reiter - leiku4lervereinigung »Der Blaue Reiter« zum Leben erweckt. Und er wird der Maler...

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Sybille Engels Cornelia Trischberger Der Blaue Reiter Prestel München . Berlin . London . New York

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Sybille Engels

Cornelia Trischberger

Der BlaueReiter

PrestelMünchen . Berlin . London . New York

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S. 4 Rückblende

Die »Schlawiner von Schwabing«

S. 18 Ruhm und Ehre

Die unheimlichen Kräfte des Herrn K.

S. 30 Die Kunst

Die Wirklichkeit ist überflüssig!

S. 40 Die Künstler

Von Freunden und Feinden

S. 96 Die Liebe

»Der Marc hat nur mit mirgetanzt ...«

S. 118 Heute

Alle unter einem Dach

Inhalt

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»Ich möchte etwas, aber was?

Ich habe Sehnsucht, aber wonach?«

Auf der Suche nach einem neuen Weg in der Malerei:

der russische Künstler und leidenschaftliche

Radfahrer Wassily Kandinsky

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München um die Jahrhundertwende …

… hier herrscht ein kreatives und inspirierendes Neben-einander von verschiedenen Kunstrichtungen, Altherge-

brachtem wie Neuem. Deshalb ist die bayerische Metropoleneben Paris Anziehungspunkt für viele junge Künstler – unter

ihnen auch die Protagonisten der späteren Künstlergruppe »Blauer Reiter«.

»Sklavische Übungen«Die Münchner Künstlerausbildung ist all-

seits respektiert. Sie basiert auf traditio-

nellen Grundsätzen wie der akademi-

schen Wahrheitstreue und der Atelier-

arbeit. So mussten die Schüler gedul-

dig handwerkliche Fähigkeiten üben,

»sklavisch« mit Modellen arbeiten,

um »durch Überschneidung der

Linien den Zusammenhang der

Muskeln zu markieren, durch eine

besondere Flächen- und Strich-

behandlung die Modellierung

eines Nasenflügels, der Lippen

zu zeigen. [Sie dachten], wie es

mir schien, keinen Augenblick

an die Kunst.«

(Wassily Kandinsky)

damals ...1900

>> Zum ersten Mal im

deutschen Kaiserreich:

Seit 1900 dürfen Frauen

ein Studium an der Uni-

versität aufnehmen.

>> An den Kunstakade-

mien werden aber nach

wie vor nur Männer unter-

richtet!

spots

Zeitgenössisches Aktmodell für eine Bildnis-

studie zu »Sisyphus«

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»Exzentrisch, selbst-bewusst – und etwaskomisch«1900: Schwabing wird zum Künstler-Viertel

Kandinsky erinnert sich später an »das

etwas komische, ziemlich exzentrische

und selbstbewusste Schwabing, in des-

sen Straßen ein Mensch – sei es ein

Mann oder eine Frau – ohne Palette

oder ohne Leinwand oder mindestens

ohne eine Mappe sofort auffiel … Alles

malte … oder dichtete oder musizierte

oder fing zu tanzen an«.

GANZ NEU UNDEN VOGUEMalen in der Natur: Im reizvollen

Umland werden detailgetreue Stu-

dien im Freien angefertigt, in

den Ateliers folgt dann die

naturalistische Aus-

arbeitung. Auch die

Künstler der

Münchner Gruppe »Die Scholle« verlegen ihre Ate-

liers nach draußen. Sie bevorzugen Aktdarstellungen

im Grünen, wollen die Ideale der Impressionisten

weiterentwickeln: Körper, Raum und Stofflichkeit

haben immer noch Bedeutung – aber man spürt

schon den Weg zur Abstraktion, den die Künstler

des »Blauen Reiters« später noch viel weiter gehen

werden.

Fürstliche MalereiSein Stil prägt den Kunstgeschmack der Zeit: In München residiert der

»Malerfürst« Franz von Lenbach. Er porträtiert alle Größen des deutschen

Kaiserreichs, darunter auch den »Eisernen Kanzler« Bismarck. Er lässt

sich – damals noch vor den Toren der Stadt – eine luxuriöse Villa im italie-

nischen Stil errichten: das heutige Lenbach-Haus (Abb. unten). Architektur,

Mobiliar, alte und

neue Kunst hat er hier

nach seinem Willen

zu einem Gesamt-

kunstwerk arrangiert.

Regelmäßig wird die

»höhere Gesell-

schaft« in Villa und

Atelier eingeladen.

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»Art Nouveau«Noch vor Berlin und Wien wird

1892 in München der Jugend-

stil geboren. Durch die alle

Lebensbereiche einbezie-

hende, revolutionäre

künstlerische Jugend- und

Reformbewegung entsteht

bereits früh ein Gegengewicht

zur historisierenden

Altmalerei Lenbach’scher

Prägung. Das ist auch für

Kandinsky und seine Maler-

freunde ein entscheidender

Impuls.

Kennzeichnend für den impressionistischen

Stil: eine die Kontur auflösende Tupftechnik

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Wassily Kandinsky (vorne rechts) im Frühjahr 1902 mit Schülern seiner »Phalanx«-Malklasse, unter ihnen auch seine spätere Geliebte und

Lebensgefährtin Gabriele Münter (Mitte)

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Auf ins Künstler-Mekka!

Der Münchner Stadtteil Schwabing hat sich um die Jahrhundert-

wende fast unbemerkt zum progressiven Künstlerviertel

schlechthin entwickelt. Hier, inmitten der brodelnden Gesell-

schaft der »Schwabinger Bohème«, mit Atelierfesten, erotischer

Freizügigkeit, Anarchistenzirkeln, esoterischen Geheimlehren

und kabarettistischen Höhenflügen, bietet sich avantgardisti-

schen Künstlern der ideale Nährboden, um neue Wege zu gehen. Kein Wunder also, dass

es viele junge, ambitionierte Maler, Dichter, Denker und Tänzer aus ganz Europa nach

München zieht, unter ihnen auch viele Russen. Sie haben der rigiden politischen Macht

ihrer zaristischen Heimat den Rücken gekehrt – und wünschen sich nichts mehr als eine

freie, weltoffene Kunstausbildung.

So werden die jungen Russen, die zum Malen nach Münchenkommen, spöttisch genannt. Egal, ob Maler, Musiker oderDichter: Wer modern sein will, schlägt hier sein Quartier auf,um zur »Schwabinger Bohème« zu gehören.

Die »Schlawiner von Schwabing«

»Bedenkt man, dass manvon niemandem ein einzigesfrisches Wort hört, wirdeinem das Herz schwer.«

Wassily Kandinsky

Noch ganz in Anlehnung an Jugendstil und Symbolismus

gestaltet Kandinsky 1901 den Plakatentwurf zu seiner

ersten »Phalanx«-Ausstellung

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So kommen 1896 auch Marianne Werefkin, Alexej Jaw-

lensky und – vor allem – Wassily Kandinsky von Moskau

nach München. Er ist der Visionär, der nur wenige Jahre

später als geistiger Vater und treibende Kraft die Künst-

lervereinigung »Der Blaue Reiter« zum Leben erweckt.

Und er wird der Maler des ersten abstrakten Gemäldes

der Welt werden.

Aber der Weg dorthin führt erst einmal zurück in das

Jahr 1901: Kandinsky lebt jetzt schon seit fünf Jahren in

München. Hat – nach anfänglichen Schwierigkeiten –

die Malklasse von Franz von Stuck durchlaufen, hat die

damals angesehene private Malschule des sloweni-

schen Künstlers Azbé besucht, Werefkin und Jawlensky

dort kennen gelernt. Bis jetzt ahnt niemand, dass dieser

»Schlawiner« (so werden Schwabings Russen spöttisch

genannt) dabei ist, die Welt der Malerei zu revolutionie-

ren. Der wenig gesprächige, introvertierte Außenseiter

erscheint seinen Mitstudenten als »kein brillantes

Talent«.

Natürlich bemerkt auch niemand, welche inneren

Kämpfe der tiefe Wunsch nach neuen Ausdrucksmög-

lichkeiten in ihm auslöst: »Ich fühlte … mich im Reiche

der Farben … viel heimischer … als in dem der Zeich-

nung. Und ich wusste nicht, wie ich mir diesem drohen-

den Übel gegenüber helfen sollte.« Kandinsky arbeitet

experimentell, meist unter Missachtung der akademi-

schen Lehren: »Oft beherrschte mich ein klingender,

duftig blauer Fleck so stark, dass ich eine ganze Land-

schaft malte, nur um den Fleck zu fixieren.« Für ihn

haben seine Arbeiten »alle nur einen Zweck – ich muss

sie machen, weil ich auf andere Weise mich vom Gedan-

ken ... nicht freimachen kann«.

Der Malerfürst Franz von Lenbach auf seinem letzten Selbstporträt:

In seiner Villa kann man heute die Bilder des »Blauen Reiters« be-

wundern

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So oft er kann, zieht er mit Malkasten und Studienblock

ins Freie, ist mit seinem Tagwerk aber meist unglück-

lich und unzufrieden: »Nachher, besonders zu Hause,

immer eine tiefe Enttäuschung. Meine Farben scheinen

mir schwach, flach, die ganze Studie – eine erfolglose

Anstrengung, die Kraft der Natur zu fangen.« Und ihm

fehlt der Austausch, die Kommunikation und vor allem

die Anerkennung: »Bedenkt man aber, dass man von

niemandem ein einziges frisches Wort hört, wird einem

das Herz schwer.«

Auf dem Weg zur Neuen Kunst

Wie sieht die »Kunst-Szene« aus, die Kandinsky er-

obern will? Noch herrscht hier ein anderer: Das künst-

lerische München ist fest in der Hand von Malerfürst

Franz von Lenbach (Abb. links oben), dem Liebling von

Kaiser und Reichskanzler. Aber der Siegeszug von Im-

pressionisten und Jugendstil-Künstlern in den Salons

ist nicht mehr aufzuhalten. Trotz starker konservativer

Kräfte gilt die bayerische Residenzstadt neben Paris auf

dem Gebiet der Kunst als Schmelztiegel der Moderne.

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Kunstgeschmack am Ende des 19. Jahrhunderts: Althergebrachte

Porträtmalerei in Lenbachs Atelier

Der impressionistische Aufbruch in die Moderne: Paul Cezannes

Brücke über den Teich, 1890

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Die Impressionisten (Abb. S.11), anfangs ignoriert und

mit abfälligen Kommentaren bedacht, werden inzwi-

schen auch von der offiziellen Kunstkritik anerkannt.

Mit ihrer Abkehr von der konventionellen Ateliermalerei

und den starren Lehren der Akademie sind sie erste

Wegbereiter der modernen Malerei. Ihre Kennzeichen

sind helle, freundliche Farben, eine die Konturen auflö-

sende Tupftechnik, die Arbeit im Freien mit nuancierter

Darstellung von Licht und Schatten. Sie wollen den

flüchtigen Augenblick in gemalten »Schnappschüssen«

erfassen – insgesamt eine Abkehr von den düsteren

Bildmotiven des Symbolismus.

Gleichzeitig entsteht in München, noch vor Wien und

Paris, eine völlig neue Kunstbewegung: der Jugendstil,

nicht umsonst international als »Art Nouveau«, »Neue

Kunst«, bekannt. Hier wird das Handwerk zur Kunst-

form erhoben, Kunst und Leben sollen eins werden.

Neue Zeitschriften wie die 1896 in München erstmals

erscheinende »Jugend« transportieren revolutionäre

Ideen: die unvoreingenommene Begegnung aller künst-

lerischen Disziplinen, das Interesse nach internationa-

lem Austausch in der Kunst und den Wunsch nach einer

anspruchsvollen, intellektuellen Auseinandersetzung

mit künstlerischen Themen. Franz von Stuck, seit 1895

Professor an der Akademie der Bildenden Künste, trägt

maßgeblich dazu bei, den Jugendstil mit seiner floral-

grafischen Linienführung salonfähig zu machen. Bald

schon gilt er als neuer »Malerfürst« in München.

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Oben: Musiksalon in der Villa des Münchner

Jugendstil-»Papstes« Franz von Stuck

Rechts: Sein berühmtes Gemälde Der Wäch-

ter des Paradieses, 1889

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Auch Frauen dürfen malen

Die etablierte Münchner Kunstszene bietet progressi-

ven Künstlern allerdings kaum eine Möglichkeit, ihre

Werke einem breiten Publikum zu präsentieren – mit

diesem Problem steht Kandinsky nicht alleine da. Doch

er empfindet diese Abhängigkeit besonders stark, fühlt

sich zeitweise hilflos wie ein »Käfer, den man am Rü-

cken hält«. Aber er findet eine kreative Lösung aus die-

ser Misere: Die Gründung einer eigenen Kunstschule,

der »Phalanx« (Abb. oben), mit angeschlossenen Aus-

stellungsräumen. Nur als selbstständiger Galerist kann

er zeigen, was und wen er will – natürlich auch seine ei-

genen Werke. Und in seiner Malschule – ein Novum –

haben Frauen die Möglichkeit, gleichberechtigt am

Unterricht teilzunehmen. Hier wird auch 1902 seine

spätere Geliebte und Lebensgefährtin Gabriele Münter

Schülerin.

Die Außenwirkungen der »Phalanx«-Ausstellungen

bleiben allerdings gering. Mal nehmen die Kritiker

überhaupt keine Notiz, mal kommen keine Zuschauer.

Bei der zweiten Ausstellung 1902 wird Kandinsky von

der Presse als »origineller russischer Kolorist« einge-

stuft, der »um der Farbe und nur um der Farbe willen

malt«. Entnervt löst Kandinsky die »Phalanx« 1904 wie-

der auf, um sich selbst wieder intensiver der Malerei

widmen zu können: »Es jucken mir die Hände, und das

Herz stolpert.«

Kandinsky (links) mit seiner »Phalanx«-Klasse auf einem Malausflug nach Kochel im Sommer 1902

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Im Park von St.Cloud malt Kandinsky 1906 während eines längeren, gemeinsamen Frankreichaufenthaltes mit seiner Geliebten »Ella«

Münter. Es ist eines seiner letzten Bilder, die er mit der spätimpressionistischen Spachteltechnik gestaltet. Bereits hier wird deutlich, dass es

ihm weniger auf die Gegenständlichkeit der Naturstudien, sondern vielmehr auf die Eigenmächtigkeit der Farbe ankommt. »Das ›Licht- und

Luftproblem‹ interessierte mich sehr wenig ... wichtiger erschien mir die Theorie der Neoimpressionisten, die im letzten Grunde von der Far-

benwirkung sprach und die Luft in Ruhe ließ.«

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Allee im Park von St. Cloud malt Gabriele Münter zur selben Zeit. Die Parkanlage zählt in den Pariser Tagen zu den Lieblingsmotiven

beider Künstler. Münter bleibt in ihrer Darstellung allerdings noch wesentlich mehr dem Gegenstand verpflichtet, während die herbstlich-

bunte Allee bei Kandinsky nur noch an der Grundstruktur der Bäume und des Bodens zu erkennen ist

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»Die kräftige, farbensatte, in den Schatten tief donnernde Skala der Münchner Lichtatmosphäre« fasziniert Kandinsky. So

entstehen verschiedene Stadtansichten, zum Beispiel auch 1908 das Bild Vor der Stadt

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Kandinskys Frühwerk ist bevölkert von märchenhaften Gestalten, die sich in surrealen Szenerien bewegen. Seine Inspirationsquellen sind die

altrussischen Erzählungen, aber auch mittelalterliche Rittersagen, formal lässt er sich außerdem von zeitgenössischen russischen Märchen-

illustrationen und dem Jugendstil anregen. Das wohl bekannteste dieser Werke ist das 1907 entstandene Bild Das Reitende Paar

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Ruhm und Ehre

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Charismatisch führt Wassily Kandinsky

seine Malerfreunde in die Abstraktion

»Ohne zu übertreiben, kann ich behaupten, dass ich, falls ich die Aufgabe löse,

einen neuen, schönen, zur unendlichen Entwicklung geeigneten Weg der

Malerei zeige.«

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Der Verein der »Bluffer«

Der Vorläufer des »Blauen Reiters«: Die »Neue Künstler-vereinigung München« oder kurz »NKVM«. Mit ihrer

Hilfe wollen Kandinsky und seine progressiven Maler-kollegen endlich auch in München radikal moderne Kunst

zeigen, stoßen damit allerdings bei Publikum und Presse auf wenig Gegenliebe – man hält sie für »schamlose Bluffer«.

Dezember:

> Die erste Ausstellung der »NKVM« in

der Galerie Thannhauser. Die Kritik der

Münchner Neuesten Nachrichten: »Wie

eine wilde Parodie, wie ein grotesker

Karnevalsscherz mutet das Ganze an ...

Für die, die nichts können, aber etwas

vorstellen wollen, gibt’s hier wundervolle

Rezepte.«

...........................

1910 September:

> Die zweite Ausstellung der »NKVM«

– diesmal auch mit Werken von Picasso

und Braque. Die öffentliche Reaktion:

»Diese absurde Ausstellung zu erklären,

gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder

man nimmt an, dass die Mehrzahl der

Mitglieder und Gäste der Vereinigung un-

heilbar irrsinnig ist oder aber, dass man

es mit schamlosen Bluffern zu tun hat.«

1909> Die Ausstellung der angesehenen

»Münchner Secession« findet wieder

ohne die Bilder von Kandinsky, Jawlen-

sky und ihren Malerfreunden statt. »Zu

revolutionär«, lautet das Urteil. Kandin-

sky: »Ich gebe gern zu, dass unsere

Bilder im Gegensatz zur offiziellen

›Secession‹ … wie eine Bombe wirken

mussten und dass die Erregung eine na-

türliche war.«

> Gegenmaßnahme: Die Gründung der

»Neuen Künstlervereinigung München«

– kurz »NKVM«.

> Gründungsmitglieder: Münter, We-

refkin, Kandinsky, Jawlensky, Kubin

und die Jawlensky-Schüler Kanoldt und

Erbslöh.

> Ziele des Vereins: Organisation von

Kunstausstellungen im In- und Ausland,

Öffentlichkeitsarbeit, Kunstverkauf.

> Vorsitz: Wassily Kandinsky. Dazu

Gabriele Münter: »Kandinsky entschloss

sich, den Vorsitz zu übernehmen, da es

sonst niemand konnte.«

> Kandinsky bringt die Bestimmung in

die Satzung ein, dass jedes ordentliche

Mitglied das Recht habe, zwei juryfreie

Werke auszustellen, die zusammen eine

Fläche von vier Quadratmetern (Achtung,

folgenreiches Detail!) nicht überschrei-

ten dürfen.

Jawlenskys Malschüler

Kanoldt und Erbslöh

spots

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Komposition V, Kandinsky 1910

> Dazu Kandinsky: »Der Galeriebesit-

zer beklagte sich, dass er nach jeder täg-

lichen Schließung die Bilder abtrocknen

müsste, weil das Publikum sie ange-

spuckt hätte.«

> Der Münchner Maler Franz Marc

sieht die Ausstellung, ist beeindruckt,

schreibt eine Gegendarstellung zu den

hämischen Kritiken, ohne auch nur einen

der Künstler persönlich zu kennen. Kurz

danach wird er Mitglied der »NKVM«.

> Für ein russisches Lexikon verfasst

Kandinsky später eine Selbstdarstellung.

Er schreibt über seine eigene Person:

»Die Jahre 1908 bis 1911 steht er bei-

nahe ganz einsam und wird von Spott

und Hass umgeben … Der Erste, der ihm

die Hand reicht, ist Franz Marc.«

...........................

1911> Interne Streitigkeiten in der

»NKVM«: Kandinskys Austritt soll er-

zwungen werden. Rädelsführer des Auf-

standes: die ehemaligen Jawlensky-

Schüler Erbslöh und Kanoldt.

> Kandinsky ist ihnen zu fortschrittlich

– sie glauben, dass es seine Gemälde

sind, die den Verkaufserfolg der Ausstel-

lungen behindern.

> Mobbing-Anlass: Das Bild Kompositi-

on V. Weil es etwas größer als vier Qua-

dratmeter ist, soll es in der für Dezember

geplanten Ausstellung keinen Platz fin-

den. Das Argument: Schließlich habe

Kandinsky dieses Statut bei der Grün-

dung ja selbst aufgestellt …

Dezember:

> Am 2. Dezember treten Münter, Marc

und Kandinsky aus der »NKVM« aus.

> Jawlensky und Werefkin bleiben –

trotz plagender Zweifel. Werefkin: »So,

meine Herren, jetzt verlieren wir die bei-

den würdigsten Mitglieder, dazu ein wun-

dervolles Bild, und wir selbst werden

bald Schlafmützen auf dem Kopf haben!«

> Bereits am 18. Dezember findet di-

rekt neben den »NKVM«-Räumen die

»Erste Ausstellung der Redaktion ›Der

Blaue Reiter‹« statt.

Kandinsky malt das erste in der Kunst-

geschichte bekannte abstrakte Gemälde:

Komposition II – ein abstraktes Aquarell

(in der Abb. unten eine Vorstudie).

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Einer von insgesamt elf Aquarell-Entwürfen, die Kandinsky 1911 für den Umschlag des Almanachs »Der Blaue Reiter«

anfertigte

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Ruhm und Ehre

Schon 1903 malt Kandinsky das Bild Der Blaue Reiter

»Blauer Reiter« auf schwarzer Wand

Nach »wirklich schauderhaften und aufregenden Szenen« haben Kandinsky, Marc und

Münter die »NKVM« Anfang Dezember 1911 verlassen. Jetzt wollen sie ihre eigene Aus-

stellung! Natürlich nicht unabsichtlich mieten sie in der Galerie Thannhauser Ausstel-

lungsräume, die direkt neben denen der »NKVM« liegen. Und schaffen es, noch vor Weih-

nachten mit über 40 schnell zusammengestellten Kunstwerken die so genannte »Erste

Ausstellung der Redaktion ›Der Blaue Reiter‹« zu eröffnen. Auf tiefschwarz bespannten

Wänden werden neben Bildern von Kandinsky, Münter und Marc auch Werke von Delau-

nay, Campendonk, Macke und den Brüdern Burljuk gezeigt – leider mit nur minimaler

Resonanz bei Publikum und Kunstkritik.

Dezember 1911: »Der Blaue Reiter« ist geboren! Leider wird in München von der Geburt dieser neuen Künstlervereinigungund ihrer avantgardistischen Ausstellung kaum Notiz genom-men: Nicht eine Rezension in der Presse … Und nur mündlichüberliefert sind die Reaktionen einzelner Besucher: »Plunder!«, »Schwindel!«

Die unheimlichen Kräfte des Herrn K.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Cornelia Trischberger

living_art: Der Blaue Reiter

Paperback, Klappenbroschur, 128 Seiten, 19,6x23,380 farbige Abbildungen, 20 s/w AbbildungenISBN: 978-3-7913-3190-4

Prestel

Erscheinungstermin: August 2005

Als Wassily Kandinsky, Fanz Marc, Gabriele Münter, Alexej Jawlensky und Marianne vonWerefkin sich 1911 zur Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" formierten, haben sie Großes imSinn: Sie wollen die Grenzen des künstlerischen Ausdrucksvermögens sprengen, Formenauflösen, die Malerei neu definieren! Genauso spannend wie die ästhetischen Neuerungensind die legendären Liebesgeschichten, die sich hinter den Kulissen abspielen. Der vorliegendeBand wirft ein neues Licht auf die Künstervereinigung: Es wird erklärt, warum die Bilder fürFurore sorgten, wer welche Rolle innerhalb der Gruppe hatte und wer wem das Herz brach. Einlustvoll-informatives Kunsterlebnis!