Bemerkungen Zur Transformationsgrammatik Der Italienischen Nominalsuffixe

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 BEMERKUNGEN ZURTRANSFORMATIONSGRAMMATIK DE R  ITALIENISCHEN NOMINALSUFFIXE*  RISTOP SCHWARZE D as  Ziel  unserer  Überlegungen  ist es,  einige  d e r  Aussagen,  die die  tradi- tionelle  und die  deskriptive  Grammatik über  d ie  Suffixbildung  im Italienischen machen, neu zu  durchdenken.  Den  Anlaß dazu  gab die in Amerika  von  Noam Chomsky begründete  und von  Emmon  Bach  in  ihrem jetzigen  Stand umfassend dargestellte Beschreibungsmethode der Trans- formationsgrammatik. 1 Die traditionelle Grammatik, als deren Repräsentanten wir die be- kannte  Grammatica  italiana  von  Battaglia-Pernicone 2  und die kürzlich erschienene  Grammatica  italiana  descrittiva, su  basi  storiche e  psicologiche von  Regula-Jernej 3  heranziehen, unterscheidet zwisch en zwei Klassen von Nominalsuffixen,  nämlich einerseits den Diminutiven,  Augmentativen usw.  und  andererseits allen übrigen  Nominalsuffixen.  Battaglia-Pernicone behandeln erstere  accrescitivo,  diminutive vezzeggiativo undpeggiorativo) unter der Überschrift  Nomi  alterati*  und letztere unter  Formazione  d el nome 5 .  Die erstere Klasse definieren sie als  suffissi  ehe imprimono  nei nomi stessi  i  segni  di un  giudizio  da  parte  di chi  parla:  giudizio ehe  pu o riguardare  la  grandezza  o  la  piccolezza  ...,  oppure  puo  esprimere  un sentimento di  affettuosa  simpatia o ... di  disprezzo . 6  Die  Suffixe  der zweiten  Klasse sind  nur  dadurch definiert,  daß sie  nicht  zur  ersten gehö- ren. 7  Regula-Jernej bilden diese Unterscheidung weiter aus.  Sie  benennen * Di eser Text wurde auf dem Kie ler  Treffen  der Societas Linguistica  Europaea  i m Februar  1966 vorgetragen.  Emmon Bach,  An  Introctuction  to  Transformational  Grammars  (New York,  Chicago, Sa n  Francisco,  1964). Bibliographie  dort  S.  189-193. 2  S.  Battaglia-V.  Pernicone,  La  grammatica  italiana  (Torino,  1957);  abgekürzt Gramm. 3  M.  Regula-J.  Jernej,  Grammatica  italiana  descrittiva,  su basi  storiche  e  psicologiche (Bern-München,  1965);  abgekürzt  GW. 4  Gramm.,  Kap.  H  nome ,  § 5  Gramm.,  Kap. H  nome ,  § 38. 6  Gramm. 135-136. 7  Gramm. 141:  Nuovi  sostantivi  si  s ono formati  e s i  continuano  a  formare  mediante

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Folia Linguistica 1967.1.1-2

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  • BEMERKUNGEN ZURTRANSFORMATIONSGRAMMATIKDER ITALIENISCHEN NOMINALSUFFIXE*

    CHRISTOPH SCHWARZE

    Das Ziel unserer berlegungen ist es, einige der Aussagen, die die tradi-tionelle und die deskriptive Grammatik ber die Suffixbildung imItalienischen machen, neu zu durchdenken. Den Anla dazu gab die inAmerika von Noam Chomsky begrndete und von Emmon Bach in ihremjetzigen Stand umfassend dargestellte Beschreibungsmethode der Trans-formationsgrammatik.1

    Die traditionelle Grammatik, als deren Reprsentanten wir die be-kannte Grammatica italiana von Battaglia-Pernicone2 und die krzlicherschienene Grammatica italiana descrittiva, su basi storiche e psicologichevon Regula-Jernej3 heranziehen, unterscheidet zwischen zwei Klassen vonNominalsuffixen, nmlich einerseits den Diminutiven, Augmentativenusw. und andererseits allen brigen Nominalsuffixen. Battaglia-Perniconebehandeln erstere (accrescitivo, diminutive, vezzeggiativo undpeggiorativo)unter der berschrift Nomi alterati* und letztere unter Formazione delnome

    5. Die erstere Klasse definieren sie als "suffissi ehe imprimono nei

    nomi stessi i segni di un giudizio da parte di chi parla: giudizio ehe puoriguardare la grandezza o la piccolezza ..., oppure puo esprimere unsentimento di affettuosa simpatia o ... di disprezzo".6 Die Suffixe derzweiten Klasse sind nur dadurch definiert, da sie nicht zur ersten geh-ren.7 Regula-Jernej bilden diese Unterscheidung weiter aus. Sie benennen* Dieser Text wurde auf dem Kieler Treffen der Societas Linguistica Europaea imFebruar 1966 vorgetragen.1

    Emmon Bach, An Introctuction to Transformational Grammars (New York, Chicago,San Francisco, 1964). Bibliographie dort S. 189-193.2 S. Battaglia-V. Pernicone, La grammatica italiana (Torino, 1957); abgekrzt

    Gramm.3 M. Regula-J. Jernej, Grammatica italiana descrittiva, su basi storiche e psicologiche

    (Bern-Mnchen, 1965); abgekrzt GW.4 Gramm., Kap. "H nome", 31.

    5 Gramm., Kap. "H nome", 38.

    6 Gramm., 135-136.

    7 Gramm., 141: "Nuovi sostantivi si sono formati e si continuano a formare mediante

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    beide Klassen: die Suffixe der ersten (Diminutive usw.) heien suffissialterativi und werden wie folgt definiert: "Sono quelli ehe danno allaparola una sfumatura accessoria pi o meno affettiva, conservandone in-tatto il significato fondamentale."8 Die der zweiten Klasse heien suffissiderivativi und werden so definiert: "Essi modificano la sostanza dellavoce originaria a cui vengono aggiunti."9 Diese Klassifizierung, von derwir brigens sehen werden, da sie nicht unberechtigt ist, hat jedocheinen groen Mangel: Die Definitionen sind so vage, da nicht in jedemFall entschieden werden kann, ob ein Suffix zur einen oder zur anderenKlasse gehrt. Wie soll man z.B. feststellen, ob das Suffix -ino in cappellino'Damenhut' der Bedeutung von cappella Out* nur eine Nuance hin-zufgt, oder ob es die Bedeutung in ihrer 'Substanz' betrifft? Was istberhaupt die 'Substanz' einer Bedeutung?

    Es ist deshalb nicht verwunderlich, da die deskriptive Grammatik,als deren Vertreterin wir die Descriptive Italian Grammar von RobertA. Hall Jr. heranziehen,10 diese Unterscheidung fallen lt, die sie mitihrer Methode der distributionalen Analyse ja auch gar nicht haltenknnte. Die Beschrnkung auf diese Methode hat brigens zur Folge,da die Wortbildungslehre (derivation, also genauer: Ableitungslehre)mehr als die Hlfte der ganzen Grammatik einnimmt. Das liegt daran,da die distributionale Analyse innerhalb des synchronisch gegebenenWortmaterials einer Kultursprache nicht die verschiedenen historischenSchichten der Wortbildung zu unterscheiden vermag und so den Begriffder Ableitung ungewollt diachronisch erweitert. Fr Halls italienischeGrammatik bedeutet das, da dort unter derivation vieles behandelt wird,was der 'gesunde Menschenverstand' in die lateinische Wortbildungs-lehre verweisen wrde. So analysiert Hall z.B. das Wort vocabolo ineinen Stamm vok- *calF und ein Suffix -hol-, dessen Bedeutung er mit*-ble' angibt;11 noch seltsamer mutet die Analyse von esordio in einenStamm es- und ein Suffix -ordi- an.12 Natrlich ist es legitim, den Begriff'Ableitung' so weit zu definieren, da derartige Analyse-Ergebnisse ent-stehen;13 ob es jedoch im Rahmen einer rein synchronisch intendiertenGrammatik sinnvoll ist, ist eine andere Frage.Taggiunta di caratteristici suffissi al tema di parole gi in uso. ... non consideriamoquelli ehe alterano il nome per la formazione delP accrescitivo, del diminutive ecc."8 G1D, 63.

    9 GW, 57.

    10 Robert A. Hall jrM Descriptive Italian Grammar (= Cornell Romance Studies, 2)

    (Ithaca, N.Y., 1948); abgekrzt DIG.11

    DIG, 107.12

    DIG, 118.13

    DIG, 226 definiert Hall folgendermaen: "Derivation [is] the process whereby

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    Wir knnen nun unsere Aufgabe genauer formulieren: Wir suchen nach:(a) einer engeren und daher fr die synchronische Beschreibung sinn-voller verwendbaren Definition von 'Ableitung'; (b) nach einem be-friedigenden Verfahren zur Klassifizierung der Ableitungsmorpheme.

    Zunchst also zum Begriff der Ableitung: Die Transformationsgram-matik beruht bekanntlich auf dem Gedanken, da Stze einer Sprachedurch die Anwendung einer Anzahl sogenannter Umschreiberegeln('rewriting rules') erzeugt werden knnen. Einer der letzten Schritte diesesGenerationsprozesses besteht normalerweise darin, da die einzelnenWrter des zu erzeugenden Satzes aus dem Wrterbuch geholt und andie Stelle allgemeinerer Symbole der bis dahin erzeugten Symbolkette("underlying string') eingesetzt werden. Diese Wrter knnen aber auchihrerseits durch Anwendung von Transformationsregeln erzeugt werden,wenn es berhaupt Regelmigkeiten in ihrer Bildung gibt. So brauchenz.B. nicht alle Flexionsformen eines Paradigmas im Wrterbuch ver-zeichnet zu werden; es gengt, wenn dieses eine Grundform enthlt unddie Grammatik angibt, wie die anderen Formen gebildet werden. Dasgilt nicht nur fr Flexionsformen. Auch die sogenannten Diminutivformencasina, casetta und casuccia z.B. knnen durch die Anwendung bestimm-ter Regeln aus casa erzeugt werden.14

    Hiermit ist eine Mglichkeit gegeben, den Begriff der Ableitung neuund zweckmiger zu definieren: Ableitungsformen nennen wir solcheFormen, die durch die Anwendung einer Transformationsregel erzeugtwerden knnen, bei der: (a) Transformand und Transformat ('under-lying stririg' und Terminal string') synonym sind; (b) einer Mehrzahl vonWrtern ('free fonns') des Transformanden ein morphematisch kom-plexes Wort des Transformats entspricht; (c) der 'Stamm' dieses Trans-formatwortes auch im Transformanden auftritt. (Diesen Stamm be-zeichnen wir als Transformationsstamm.)

    Mit Bedingung (a) bringen wir ein semantisches Kriterium in die De-finition. Seine Anwendung auf Transformationen wird kaum Schwierig-keiten bieten, denn die Auskunft ber semantische Gleichheit oder Ver-forms of a given class are made on the basis of other forms of the same or a differentforn>class."14

    Fr praktische Zwecke (maschinelle bersetzung) wird diese Mglichkeit nichtsonderlich interessant sein, denn was an Wrterbuchraum durch die geringere Anzahlder aufzunehmenden Wrter eingespart wird, wird durch die Notwendigkeit zustz-licher Indizierung z.T. wieder aufgehoben: Da nicht alle Wrter einer Formklasse ingleicher Weise ableitungsfhig sind, mu beim Wortstamm im Lexikon jeweils an-gegeben werden, mit welchen Suffixen er kombiniert werden kann. Vor allem abermte die Vereinfachung des Wrterbuchs durch eine Komplizierung der Grammatikerkauft werden.

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    schiedenheit zweier Ausdrcke ist die einfachste semantische Information,die man von einem Sprachbenutzer erfragen kann.

    Der Regeltyp, nach dem Ableitungsformen erzeugt werden knnen,lt sich so darstellen :

    1. A+Bx^Bx n(Dabei sind A und B 'free forms'; der Index 'x' bezeichnet Identitt; *n' ist ein Affix['bound form']; *+' bezeichnet die Grenze zwischen 'free forms'; ' ' die Grenzezwischen Morphemen innerhalb einer 'free form'; *->* bedeutet 'rewrite s'; '='bedeutet, da Transformand und Transformat synonym sind. Die Anordnung derElemente gilt fr die Suffixbildung; bei entsprechender Umstellung ist die Regelformauch fr die Prfixbildung gltig.)Nach dieser Definition sind z.B. fumatore und casina Ableitungsformen(chi+fum-a^ fum~ator-e\ piccol-a+cas-a^cas-in-d); hingegen lt sichdas Wort vittaggio nicht durch eine diesem Regeltyp entsprechende Trans-formation erzeugen. Die Transformation grupp-o+ di-vill-e -* vitt-aggi-oentspricht nicht der Bedingung (a) (Synonymitt) ; die Transformationfrazion-e + di-comun-e -> vill-aggi-o entspricht nicht der Bedingung (c)(Auftreten des Transformationsstammes auf beiden Seiten). Wir erreichenalso mit dieser Definition, da die in Halls Grammatik unter 'Derivation*zusammengestellten Formen klar in zwei Gruppen geschieden werdenknnen: einerseits die unserer Definition entsprechenden Ableitungsfor-men, die auf dem derzeit gltigen grammatischen System der Spracheberuhen; und anderseits solche Formen, die zwar auch als Morphem-kombinationen analysierbar sind, die aber aufgrund eines heute nicht mehrgltigen Sprachsystems gebildet wurden und somit als Ableitungen inunserem Sinne nur in diachronischer Betrachtungsweise erfat werdenknnen.15

    Nachdem wir den Begriff der Ableitung neu definiert haben, kommenwir zur Frage der Klassifizierung der Ableitungsformen. Da unser Zielnicht diese Klassifizierung selbst, sondern die Ermittlung eines Ver-fahrens zur Klassifizierung ist, ist es zulssig, wenn wir uns im Folgendenhauptschlich auf durch Suffixbildung entstandene Substantive beziehen.

    Die traditionelle Grammatik klassifiziert die Ableitungssuifixe einer-seits, wie wir gesehen haben, nach sehr approximativen semantischenKriterien (Alternative zwischen nderung der 'Bedeutungssubstanz' und15

    Anstze zu einer solchen Unterscheidung gibt es brigens auch in der traditionellenGrammatik: Battaglia-Pernicone weisen auf die 'Gefahr' der false alterozioni hin,und warnen davor, z.B. burrone, limone, montone als 'Alterationsformen' von burro,limo und monte aufzufassen (Gramm., 137); Regula-Jernej erklren, da man z.B. dasAdjektiv virile nur auf der Basis des Lateinischen als Ableitung erkennen knnef GID>57). Die Mglichkeit, diese Unterscheidung zu formalisieren, erweist eindeutig ihreBerechtigung.

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    bloer 'Nuancierung' der Bedeutung) und andererseits nach grammati-schen Kategorien (Wortarten bzw. Formklassen). Hall klassifiziert nurnach letzterem Gesichtspunkt: "suffixes ... are listed here according tothe form-classes to which they belong, and subdivided according to theform-classes to which they are added."16 Aber auch dieses scheinbar soformale Klassifizierungsverfahren hat seine Schwchen: Vor allem fr die'Stmme' ('bases'), an die die Suffixe angefgt werden, gilt, da sie oftmehreren Formklassen gleichzeitig angehren. So kann z.B. der Stammcant- sowohl mit nominalen als auch mit verbalen Flexionsmorphemenkombiniert werden, so da die Einordnung von canfatore, cantabile usw.in eine der Unterabteilungen der Haiischen Liste nur aufgrund einer will-krlichen Entscheidung vorgenommen werden kann. Eindeutig kann dieWortartzugehrigkeit nur dann bestimmt werden, wenn das betreffendeWort (also nicht nur der Stamm!) in einem Syntagma auftritt. Da nunaber in dem eben dargestellten Transfonnationsverfahren auf der linkenSeite immer ein Syntagma steht und auf der rechten Flexionsformen ent-stehen sollen, knnen in der Transformation die Wortarten (Formklas-sen) immer eindeutig bestimmt werden. Es ist deshalb naheliegend, dieKlassifizierung nach Wortarten mit einer Klassifizierung nach Typen vonTransformationsregeln zu verbinden.

    Wir whlen willkrlich einige Ableitungsformen aus und vergleichendie Regeln, nach denen sie erzeugt werden knnen:

    (a) Die Pormfumatore kann durch die Transformationf ^il-fum-ator-ei-fum-ator-i2.

    erzeugt werden. Ebenso lt sich vincitore erzeugen:

    3. il-vinc-itor-e/- vinc-itor-iDiesen Transformationen liegen folgende Regeln zugrunde:

    4.

    5.

    (Dabei bedeutet V 'ein Morphem, das im Transformanden Stamm eines Verbs ist'.A bedeutet: ein Morphem, das im Transformanden Stamm eines Adjektivs ist.)Es ist offensichtlich, da beide Regeln zum gleichen Typ gehren. Wir1G

    D/G, .55

    ill

    *

    l

    -Vx-a/or-

    .

    V llOf

    e^f*

    l

    e*l

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    betrachten daher die Suffixe -atore und -itore als zu einer Klasse gehrig.Zu dieser Klasse gehren auch noch andere Suffixe, wie z.B. -ante inla bagnante.(b) Ein Wort wie credibilit hingegen kann nicht nach einer Regel gleichenTyps abgeleitet werden. Den Transformationen

    6. la-qualit + di-credibil-e ^ la-credibil-it. la-qualit + di-luminos-o I la-luminos-it

    liegt folgende Regel zugrunde :

    8. la-qualit + di-AK : la-Ax-it

    Diese Regel unterscheidet sich von denen des vorausgehenden Typs vorallem dadurch, da der Transformationsstamm nicht von einem Verb,sondern von einem Adjektiv in ein Substantiv berfhrt wird. Gemeinsamist jedoch beiden, da der Transformationsstamm eine Vernderung derWortart erfhrt. Somit bilden diese beiden Regeltypen zusammen einenObertyp, der jenem gegenbersteht, bei dem der Transformationsstammseine Wortart nicht ndert (z.B. giornale giornalaio, Genova geno-vese,piede pedata^ usw.).

    Man kann also die italienischen Ableitungssuffixe in folgender Weiseklassifizieren : Eine erste Unterscheidung wird getroffen, je nachdem, obder Transformationsstamm die Wortart wechselt oder nicht. Innerhalbder Gruppe mit Wortartwechsel kann dann nach Ausgangs- und Ergeb-niswortart unterklassifiziert werden ; innerhalb der Gruppe ohne Wortart-wechsel nach der Wortart, in der der Transformationsstamm auftritt.Innerhalb dieser Unterklassen kann wiederum unterschieden werdennach Regelformen, und schlielich nach Regeln.

    Wir wollen ein Beispiel praktischer Anwendung unserer berlegungenvorfhren : Innerhalb der Gruppe substantivischer Suffixe ohne Wortart-wechsel ist eine Unterklasse im Italienischen besonders produktiv, nm-lich die, die folgendem Regeltyp zugeordnet werden kann:

    9" [Sx+Aj

    Zu diesem Typ gehren nmlich jene Suffixe, die die traditionelle Gram-matik als 'suffissi alterativi' bezeichnet, also Diminutive, Augmentativeusw. Die wichtigsten zu diesem Typ gehrigen Regeln sind:

    10. SX+AJ. ^ Sx-in- a

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    .

    o

    a

    12. SX+A3 gt SX-MCC/-

    13. SX+A4 ^ Sx-accz-

    w i

    S + A vorangestellt werden, damit auch die StellungAdjektiv-Substantiv bercksichtigt ist.)Man sieht also, da die traditionell semantisch begrndete Klasse der'aiterativen5 Suffixe durchaus einer formal erfabaren grammatischenUnterklasse entspricht. Allerdings wrden diese Suffixe in einer nachunserem Vorschlag durchgefhrten Klassifizierung nicht einem undif-ferenzierten Block von 'derivativen' Suffixen gegenberstehen, sondernletztere wrden in der oben skizzierten Weise ebenfalls deutlich in ver-schiedene Klassen gegliedert sein, wobei der wesentlichste Unterschiednicht der zwischen alterativi und derivativi, sondern der zwischen SuffixenMIT und solchen OHNE nderung der Wortart des Transformationsstam-mes ist.

    Die Regeln zur Erzeugung von Substantiven mit 'aiterativen' Suffixenunterscheiden sich voneinander nur darin, da, abgesehen vom jeweiligenSuffix, die mit einem Index versehenen Symbole *A5 jeweils verschiedeneKlassen von Adjektiven bezeichnen. Diese Klassen sind semantisch be-dingt, und es ist grundstzlich sachgerecht, da die traditionelle Gram-matik die 'aiterativen* Suffixe nach semantischen Gesichtspunkten inDiminutive, Augtnentative usw. klassifiziert. Wir formalisieren diesesemantischen Unterscheidungen (z.B.: "I diminutivi indicano ehe unessere o una cosa sono pi piccoli del comune"17), indem wir statt solcherBedeutungsangaben jeweils eine Liste von Adjektiven geben.(Diese Listen beruhen hauptschlich auf den Bedeutungsangaben, die das Wrterbuchvon Zingarelli18 zu Substantiven mit 'aiterativen' Suffixen gibt. Bei der Erstellung der17

    Regula-Jernej, GID, 63.18

    Nicola Zingarelli, Vocabolario della lingita italiana (Bologna, 1965).

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    Listen haben wir auch Ausdrcke aufgenommen, die im morphologischen Sinne keineAdjektive sind, aber syntaktisch wie Adjektive verwendet werden knnen. Das istdeshalb zulssig, weil die in den Regeln auftretenden Symbole A durch die jeweilszugehrigen Listen vollstndig definiert sind. Eine Beschrnkung auf Adjektive immorphologischen Sinne wre nicht zweckmig, weil die Zugehrigkeit der einzelnenAusdrcke zu einer bestimmten Liste nur syntaktisch und semantisch bedingt ist.)

    So bedeutet A (Regel fr -ino): ein Ausdruck aus folgender Liste:breve piccolo e bello a modocarino piccolo e simpatico di bambinocaro in tenera etdolcefinogiovanegraziosoinsinuantepiccolostretto

    Auf diese Weise sind die mglichen Bedeutungen von -ino so angegeben,da sie in den Transformationen immer in objektsprachlicher Form auf-treten (nur die Symbole *-*', *=*, *+* und '' sind metasprachlich) undso durch Befragung eines Sprachbenutzers unschwer nachgeprft werdenknnen. Damit ist der Grammatiker von der Aufgabe befreit, Semanti-sches metasprachlich zu verarbeiten, ohne jedoch auf die Bercksichtigungsemantischer Gesichtspunkte verzichten zu mssen.

    Freilich hat die Bedeutungsangabe durch eine Wortliste, die sich aufeine Transformationsregel bezieht, auch ihre Schwierigkeiten. So kannnach unserer Regel fr -ino das Syntagma acqua dolce 'Swasser' in*acquina transformiert werden. Diese Ableitungsform ist jedoch mor-phologisch falsch (die -mo-Ableitung von acqua erfordert Stammerwei-terung: acqu-ol-in-a) und nicht mit dem Transformanden synonym (ac-quolina 'leichter Regen"); es handelt sich also gar nicht um eine Ableitungim oben definierten Sinne. Damit derartige Transformationen nicht vor-kommen, mssen alle Substantive des Lexikons daraufhin geprft werden,ob eine der Regel entsprechende Ableitung mglich ist; und wo dies nichtder Fall ist, mu das Substantiv durch einen Index gekennzeichnet werden,der die Anwendung der Regel verbietet.

    Ferner kann es geschehen, da in zwei verschiedenen Wortlisten diegleichen Ausdrcke auftreten, wodurch die betreffenden Listen in ihrerGesamtheit 'synonym* werden. Dieser Fall liegt bei den Listen fr -ino

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    und -etto vor (Ax und A2). Liste A219 hat mit Ax fnf Ausdrcke gemein-sam; und ein Versuch v/rde wahrscheinlich zeigen, da beide Listenohne weiteres vereinigt werden knnen, d.h. da die Suffixe -ino und -ettosynonym sind, wie sie ja auch in der traditionellen Grammatik unterdiminutiv! e vezzeggiativi zusammen aufgefhrt werden.20 Die Situationist hier offenbar hnlich wie im Deutschen, wo die Suffixe -chen und-lein synonym sind. Es wre zu untersuchen, on -ino und -etto nicht auchwie die beiden deutschen Diminutivsuffixe innerhalb der Hochsprachegeographish differenziert sind, bzw. eine geographische Konnolationhaben.21Auch fr A3 (-uccio) ergab sich eine mit At "synonyme'* Liste. Sie lautet:

    carino piccolo e antipatico da pocomeschino piccolo e brutto di poco pregiopatito piccolo e magropiccolo piccolo e meschinoumile stretto e brutto

    Hier stimmen jedoch nur zwei Ausdrcke mit Liste A^ berein (carinound piccolo); und eine Vereinigung der Listen A^ wrde zu Transfor-mationen fhren, die der Synonymittsbedingung nicht entsprechen: dieTransformation piccola scarpa = scarpuccia wrde der Sprachbenutzerals falsch bezeichnen. Solche falschen Ableitungen knnen dadurch ver-mieden werden, da man die Liste A3 als selbstndige Klasse beibehlt,indem man die auch in A^ auftretenden Ausdrcke aus ihr tilgt. Diesbedeutet keineswegs, da die Existenz von Formen auf -uccio , bei denendas Suffix mit -ino/-etio synonym ist, geleugnet werden soll. Solche For-men werden lediglich aus der Grammatik ins Lexikon verwiesen unddamit als Wrter gekennzeichnet, die nach dem gltigen Sprachsystemnicht mehr durch Regeln erzeugt werden knnen. Offenbar war -uccioin einem frheren Zustand der Sprache eine freie Variante von -ino, sowie es -etto heute noch ist. (So erklrt es sich, da man -uccio in modernen

    19 Fr Liste A2 hat sich ergeben: acconcio> amoroso, arguto, dolce, grazioso, gentile,

    piccolo, pulito^ ridente, piccolo e angusto, vispo e rubizzo, a modo, di garbo, di giudizio.20

    Z.B. Regula-Jernej, GID9 63-64.21

    Eine vorlufige Untersuchung deutet darauf hin: Der Toskaner Malaparte ge-braucht in seinem Buch Maledetti Toscani (Firenze, 1959) fast nur Ableitungen auf-ino: 61 verschiedenen Ableitungsformen auf -ino (eingeschlossen die Varianten auf-Hno9 -cino, -iccino und die Suffixkombinationen, die -ino als letztes Element haben)stehen nur 16 auf -etto gegenber. Bei dem Sizilianer Tommasi di Lampedusa (Racconti>Milano, 1961) hingegen ist das Verhltnis fast eins zu eins: 38 Formen auf -etto gegen31 auf -ino.

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    Grammatiken flschlich noch unter diminutivi bzw. vezzeggiativi findet.22)Bei den Listen, die wir fr -accio und -one erstellt haben, treten solcheSchwierigkeiten nicht auf23.

    l iv 1966 (44) MnsterLnsstrasse 3Bundesrepublik Deutschland

    22 Battagiia-Pernicone, Gramm., 136; Regula-Jernej, G/D, 64; Hall, DIG, 79 hin-

    gegen gibt die Bedeutung von -uccio richtig mit "disparaging or diminutive" an.23

    Fr Liste A4 {-accio) hat sich ergeben: brutto, cattivo, empio, impudente, ingiurioso,malvagio, pericoloso, scapato, sconcio, tristo, turpe, molto sguaiato, violento e rozzo,di anima abbietta, di animo cattivo, di brutto sapore, di gentaglia; fr Liste A6 (~one):ampolloso, enfatico, gonfio, grosso, bello e grande, frondoso e vuoto, grande e ben fatto,grande e ornato, grande largo e adorno, grande non bello ne adorno, grande di statura. Diese Listen mten natrlich vervollstndigt und berprft werden. Ferner mtenzur Abrundung des Bildes auch die weniger produktiven Suffixe der gleichen Klasse(-elh, -uolo, -otio usw.) in die Behandlung einbezogen werden, ebenso wie die kom-binierten Suffixe wie z.B. nasettucciaccio, donnuccina.