aslzburger hachrchten

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6 Samstag, 4. August 2007 WELTPOLITIK Neue Ideen für die CSU Gabriele Pauli gewinnt an Unterstützung in Bayern – Seehofer verliert Anhänger MÜNCHEN (SN). Zuerst brachte die Fürther Landrätin Gabriele Pauli den bayerischen Ministerpräsiden- ten Edmund Stoiber Anfang 2007 zu Fall. Danach posierte sie lasziv in Latexhandschuhen für ein Magazin. Aus der „Zerstoiberin“ wurde die „Domina vom Landratsamt“. Nun möchte sie CSU-Vorsitzen- de werden. Vor rund drei Wochen gab Pauli bekannt, Ende September für den CSU-Vorsitz kandidieren zu wollen. Laut einer kurz darauf durchgeführten Forsa-Umfrage hielt eine Mehrheit der Bayern ih- ren Schritt für richtig. Rund ein fünftel gab damals an, Pauli unter- stützen zu wollen. Nach den Ergebnissen der neues- ten Forsa-Umfrage von Ende Juli ziehen 24 Prozent der Bayern Pauli ihren beiden männlichen Mitbe- werbern Erwin Huber und Horst Seehofer vor. Seehofer, der deut- scher Agrarminister ist, machte in den vergangenen Wochen mit Be- richten über eine Geliebte und sei- ne uneheliche Tochter Schlagzei- len, was ihn vor allem die Zustim- mung weiblicher Anhänger kostete. Pauli hingegen gewinnt an Sympa- thie, vor allem unter den bayeri- schen Frauen. 27 Prozent wollen sie als CSU-Chefin. Brisant ist, dass Pauli sich offen für die Lebensführung Seehofers ausspricht. Sein Weg sei mutig, und er lebe, was er für richtig halte, sagte Pauli vor einigen Tagen. Die Kommunalpolitikerin sieht sich als Kämpferin für eine Öff- nung der CSU. Das bedeutet etwa eine stärkere Einbeziehung der Par- teibasis, aber auch neue Ideen. Da- bei stellt sie traditionell-konservati- ve Werte in Frage. Bei den CSU- Frauen kommt das bisher nicht be- sonders gut an. Pauli ist sich aber sicher, dass auch diese bald erken- nen, was ihre Kandidatur für die bayerischen Frauen bedeutet. Gabriele Pauli: Ambitioniert. Bild: SN/EPA Russland bekommt weiteren Geheimdienst MOSKAU (SN, AFP). Der russische Prä- sident Wladimir Putin unterzeichnete am Freitag in Moskau eine Verordnung zur Gründung eines weiteren Geheim- diensts. Dieser ist der Generalstaatsan- waltschaft unterstellt und erhält einen Leiter, zwölf Stellvertreter sowie mehr als 16.000 Mitarbeiter. Atomabkommen Indiens und der USA veröffentlicht DELHI (SN, AFP). Die USA und Indien gaben am Freitag den Inhalt ihres Atomabkommens bekannt. Es berech- tigt Indien zur Nutzung von Nuklear- technologie. US-Präsident Bush und der indische Ministerpräsident Singh hatten sich bereits vor zwei Jahren da- rauf geeinigt. 1974 hatten die USA ein Embargo wegen eines Atombomben- tests gegen Indien verhängt. Abhöraktionen der USA teilweise illegal WASHINGTON (SN, Reuters). Laut jüngsten Angaben der „Washington Post“ hat ein US-Gericht einen Teil des Spionageprogramms der US-Regierung verboten. Mit dem Abhören von Kom- munikationsverbindungen, die aus dem Ausland über die USA laufen, habe die Regierung von Präsident Bush ihre Kompetenzen überschritten, hieß es. Taliban stellen Südkorea Geisel-Bedingungen KABUL, SEOUL (SN, dpa). Die radikalen Taliban haben der Regierung in Seoul Bedingungen für ein bilaterales Treffen gestellt. Verhandlungen über die Frei- lassung der 21 südkoreanischen Gei- seln seien nur auf Talibangebiet mög- lich, hieß es am Freitag. Seoul setzt auf ein Treffen von US-Präsident Bush und seinem afghanischen Kollegen Karzai. WELT kompakt KLAUS EHRINGFELD BOGOTÁ (SN). Wenn Gonzalo Guillén seine Wohnung im Norden von Bogotá verlässt, zieht er immer die gleiche Jacke an. Egal, ob es wie aus Kübeln schüttet in der kolumbiani- schen Hauptstadt oder gerade die Sonne scheint, der 52-Jährige streift seine dunkelbraune Wildlederjacke über. Guillén ist Korrespondent der US-Tageszeitung „Miami Herald“ und das modische Kleidungsstück so etwas wie seine Lebensversiche- rung. Seit der Reporter über die Ver- bindungen der Regierung von Staatschef Álvaro Uribe zu den ult- rarechten Paramilitärs schreibt, er- hält er anonyme Morddrohungen. „Aber in der Jacke fühle ich mich si- cher.“ Guilléns Leben schützt eine leichte und biegsame Einlage aus Nylon, Aramid und Polyethylen, die unsichtbar in das Futter eingearbei- tet ist. In der Lederjacke würde er ein Attentat mit einer Maschinen- pistole überleben. Ein Schuss aus wenigen Zentimetern Entfernung Ein paar Kilometer weiter südlich im Geschäftsviertel Chapinero schiebt Miguel Caballero in seiner Schneiderwerkstatt grinsend eine Patrone in einen Revolver Kaliber 38. Vor ihm steht ein Mitarbeiter aus der Finanzabteilung seines Un- ternehmens und trägt ein schwar- zes Exemplar der Lederjacke, die Reporter Guillén besitzt. Der Buch- halter ist etwas bleich um die Nase. Caballero und der Mitarbeiter set- zen sich dicke Ohrenschützer auf. Dann richtet der Chef den Revolver in rund fünf Zentimeter Entfer- nung auf den Bauch des Mitarbei- ters und zählt laut bis drei: „Uno, dos, tres . . .“ Ein gewaltiger Knall, dann steigt Rauch aus dem Ein- schussloch der versengten Jacke, doch dem Buchhalter geht es bes- tens: „Ich habe kaum einen Schlag verspürt“, sagt er und schon reißt ihm sein Chef die Jacke auf, zerrt das T-Shirt hoch und entblößt den unversehrten Bauch des Mitarbei- ters. Caballero greift zur Pinzette und wühlt in den Untiefen von Pan- zerung und Stoff. Nach einer hal- ben Minute fischt er ein heißes zu- Schussfestes Dirndl aus Kolumbien Kolumbien ist vom Bürgerkrieg geplagt. Mord und Terror waren der Anlass für eine brillante Geschäfts- idee: Schusssichere Haute Couture. sammengedrücktes Stück Blei he- raus, etwa einen Zentimeter groß. Caballero, klein und kräftig, liebt die Selbstinszenierung. Seine Schussproben sind in seinem Un- ternehmen Einstellungsvorausset- zung. „Jeder, der neu bei mir an- fängt, muss da durch“, sagt der 39- Jährige. Sein Geschäft mit der schusssicheren Couture boomt. „Ich komme kaum nach mit der Produktion, und schauen Sie sich um, alles viel zu eng hier“, klagt er mit einem Lächeln, dreht sich im Kreis und zeigt auf mehrere Dut- zend Näher und Näherinnen in blauen Kitteln, die unter Neonröh- ren und dicht gedrängt an Klei- dungsstücken schneidern: Von der schussfesten Polizeiweste bis zum gepanzerten Designeranzug, von der kugelresistenten Krawatte bis zur schusssicheren Soutane. Der Schneider von Kolumbien verbindet unauffällige Sicherheit mit modischem Chic und ist mit der genialen Geschäftsidee auf dem Weg nach oben. Mit vier Angestell- ten und zehn von seiner Mutter ge- pumpten Dollar fing er vor 15 Jah- ren an. Im ersten Jahr setzte er 17.000 Dollar um. Heute arbeiten in seinem Unternehmen 130 Näher, Designer, Verkäufer, Waffenexper- ten, und der Umsatz liegt bei fünf Millionen Dollar. „Dieses Jahr pei- len wir sieben Millionen an.“ Schwere Schutzwesten langsam abgespeckt Der Einfall kam ihm an der Univer- sität. Die Leibwächter einer Kommi- litonin trugen keine kugelsicheren Westen, weil sie zu schwer und zu unbequem waren. Caballero nahm sich eine Weste vor, tüftelte, schich- tete die Stoffe um und rüstete die schützenden Kleidungsstücke im- mer weiter ab. Über die Jahre schaffte er es, herkömmliche Schutzwesten von fünf Kilo auf rund ein Kilo abzuspecken. Und die Formel für die Panze- rung? „Glauben Sie, Coca-Cola ver- rät sein genaues Rezept“, sagt er wie aus der Pistole geschossen. Nur so viel gibt Caballero preis: Alle sechs Monate muss er aufs Neue über die genaue Anordnung von Nylon, Ara- mid und Polyethylen nachdenken. „Es werden so schnell so viele Waf- fen entwickelt.“ Deswegen gibt er auch nur zwei Jahre Garantie auf die Panzerung seiner Kleidungsstü- cke. Insgesamt 300 verschiedene Produkte hat der Schneider im An- gebot. Mode von der Stange gibt es von 300 bis 3000 Dollar, Sonderan- fertigungen kosten extra. Der Markt für Hochsicherheits- mode wächst rasant. Am Anfang waren es vor allem Polizisten und Sicherheitsbeamte, die bei Caballe- ro kauften. Heute rüstet er rund um den Globus Prominenz aus Politik, Adel und Showgeschäft aus. Holly- wood-Schauspieler kaufen bei ihm ebenso ein wie viele Staatsober- häupter aus Lateinamerika. Kolum- biens Präsident schwört für seine öffentlichen Auftritte auf ein weißes Tropenhemd aus Caballeros Fabri- kation. Und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez hat in Bogotá gleich 50 Kleidungsstücke anfertigen las- sen. Darunter auch ein schussfestes leuchtend rotes Hemd, in dem er seine Reden und Fernsehauftritte bestreitet. Auch Spaniens Thronfol- ger Felipe und seine Gattin Letizia schwören auf tragbare Sicherheit made in Colombia. Caballeros Kreativabteilung bas- telt ständig an neuen Ideen oder der Umsetzung der absurdesten Wün- sche: Kugelsichere Kimonos, ge- panzerte Bettdecken, geschütztes Outfit für Rap-Musiker nichts scheint unmöglich. Im Herbst gibt es die erste Modeschau in Deutsch- land. Spätestens dann soll das schussfeste Dirndl fertig sein. Briefe aus dem „Klub der Überlebenden“ Man muss vermutlich Kolumbianer sein, um auf die Idee von gepanzer- ter Alltagskleidung zu kommen. „Wir sind mit Gewalt, Krieg, Tod und Entführung groß geworden“, erzählt der 39-jährige Caballero, der fast so alt ist wie der absurde Bür- gerkrieg in seinem Land zwischen Guerilla, Staat und Todesschwadro- nen, der inzwischen von der Orga- nisierten Kriminalität der Rausch- giftkartelle überlagert wird. Jährlich werden Tausende Menschen ent- führt, ermordet, bedroht und brau- chen Schutz. Doch Lateinamerika ist dem Schneider längst zu klein gewor- den. „Russland, Indien und der Na- he Osten“, sagt er, „da liegen die wahren Wachstumsmärkte.“ Das florierende Geschäft zeigt, wie groß das Bedürfnis nach per- sönlichem Schutz geworden ist in zunehmend gewaltsameren Gesell- schaften, die von sozialen Ungleich- heiten, politischen Krisen und dem Einsickern der Organisierten Kri- minalität geprägt sind. Caballero weiß, dass er mit der Angst Geld verdient: „Wir sind aber nicht das Problem, wir sind die Lösung.“ In einem dicken Ordner bewahrt Miguel Caballero das auf, was er den „Klub der Überlebenden“ nennt. Eine Sammlung zumeist handgeschriebener Danksagungen von Polizisten, Sicherheitskräften oder von Soldaten wie Álvaro Villa- mizal. In bemühter Schrift erzählt er auf anderthalb Seiten von einem Gefecht mit der kolumbianischen Linksguerilla FARC im Urwald und einem Schuss in den Rücken. „Ich kam mit dem Leben davon, dank Gott und Ihrer Weste.“ Miguel Caballero präsentiert seine schusssichere Mode – inklusive einer schützenden Krawatte. Bild: SN/EHRINGFELD Die Jacken schauen leicht und locker aus und doch halten sie Kugeln aus Revolvern und Maschinenpistolen auf. Bild: SN/EHRINGFELD Hugo Chavez, Venezuelas Präsident, liebt seine Schutzwesten rot. Bild: SN/AP

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6 Samstag, 4. August 2007W E L T P O L I T I K

Neue Ideen für die CSUGabriele Pauli gewinnt an Unterstützung in Bayern – Seehofer verliert Anhänger

MÜNCHEN (SN). Zuerst brachte dieFürther Landrätin Gabriele Pauliden bayerischen Ministerpräsiden-ten Edmund Stoiber Anfang 2007zu Fall. Danach posierte sie lasziv inLatexhandschuhen für ein Magazin.Aus der „Zerstoiberin“ wurde die„Domina vom Landratsamt“.

Nun möchte sie CSU-Vorsitzen-de werden. Vor rund drei Wochengab Pauli bekannt, Ende Septemberfür den CSU-Vorsitz kandidierenzu wollen. Laut einer kurz daraufdurchgeführten Forsa-Umfragehielt eine Mehrheit der Bayern ih-ren Schritt für richtig. Rund einfünftel gab damals an, Pauli unter-stützen zu wollen.

Nach den Ergebnissen der neues-ten Forsa-Umfrage von Ende Juliziehen 24 Prozent der Bayern Pauliihren beiden männlichen Mitbe-

werbern Erwin Huber und HorstSeehofer vor. Seehofer, der deut-scher Agrarminister ist, machte inden vergangenen Wochen mit Be-richten über eine Geliebte und sei-ne uneheliche Tochter Schlagzei-len, was ihn vor allem die Zustim-

mung weiblicher Anhänger kostete.Pauli hingegen gewinnt an Sympa-thie, vor allem unter den bayeri-schen Frauen. 27 Prozent wollen sieals CSU-Chefin.

Brisant ist, dass Pauli sich offenfür die Lebensführung Seehofersausspricht. Sein Weg sei mutig, under lebe, was er für richtig halte, sagtePauli vor einigen Tagen.

Die Kommunalpolitikerin siehtsich als Kämpferin für eine Öff-nung der CSU. Das bedeutet etwaeine stärkere Einbeziehung der Par-teibasis, aber auch neue Ideen. Da-bei stellt sie traditionell-konservati-ve Werte in Frage. Bei den CSU-Frauen kommt das bisher nicht be-sonders gut an. Pauli ist sich abersicher, dass auch diese bald erken-nen, was ihre Kandidatur für diebayerischen Frauen bedeutet.

Gabriele Pauli: Ambitioniert. Bild: SN/EPA

Russland bekommtweiteren GeheimdienstMOSKAU (SN, AFP). Der russische Prä-sident Wladimir Putin unterzeichneteam Freitag in Moskau eine Verordnungzur Gründung eines weiteren Geheim-diensts. Dieser ist der Generalstaatsan-waltschaft unterstellt und erhält einenLeiter, zwölf Stellvertreter sowie mehrals 16.000 Mitarbeiter.

Atomabkommen Indiensund der USA veröffentlichtDELHI (SN, AFP). Die USA und Indiengaben am Freitag den Inhalt ihresAtomabkommens bekannt. Es berech-tigt Indien zur Nutzung von Nuklear-technologie. US-Präsident Bush undder indische Ministerpräsident Singhhatten sich bereits vor zwei Jahren da-rauf geeinigt. 1974 hatten die USA einEmbargo wegen eines Atombomben-tests gegen Indien verhängt.

Abhöraktionen der USAteilweise illegalWASHINGTON (SN, Reuters). Lautjüngsten Angaben der „WashingtonPost“ hat ein US-Gericht einen Teil desSpionageprogramms der US-Regierungverboten. Mit dem Abhören von Kom-munikationsverbindungen, die ausdemAusland über die USA laufen, habedie Regierung von Präsident Bush ihreKompetenzen überschritten, hieß es.

Taliban stellen SüdkoreaGeisel-BedingungenKABUL, SEOUL (SN, dpa). Die radikalenTaliban haben der Regierung in SeoulBedingungen für ein bilaterales Treffengestellt. Verhandlungen über die Frei-lassung der 21 südkoreanischen Gei-seln seien nur auf Talibangebiet mög-lich, hieß es am Freitag. Seoul setzt aufein Treffen von US-Präsident Bush undseinem afghanischen Kollegen Karzai.

WELT kompakt

KLAUS EHRINGFELD

BOGOTÁ (SN). Wenn Gonzalo Guillénseine Wohnung im Norden vonBogotá verlässt, zieht er immer diegleiche Jacke an. Egal, ob es wie ausKübeln schüttet in der kolumbiani-schen Hauptstadt oder gerade dieSonne scheint, der 52-Jährige streiftseine dunkelbraune Wildlederjackeüber. Guillén ist Korrespondent derUS-Tageszeitung „Miami Herald“und das modische Kleidungsstückso etwas wie seine Lebensversiche-rung. Seit der Reporter über die Ver-bindungen der Regierung vonStaatschef Álvaro Uribe zu den ult-rarechten Paramilitärs schreibt, er-hält er anonyme Morddrohungen.„Aber in der Jacke fühle ich mich si-cher.“ Guilléns Leben schützt eineleichte und biegsame Einlage ausNylon, Aramid und Polyethylen, dieunsichtbar in das Futter eingearbei-tet ist. In der Lederjacke würde erein Attentat mit einer Maschinen-pistole überleben.

Ein Schuss aus wenigenZentimetern Entfernung

Ein paar Kilometer weiter südlichim Geschäftsviertel Chapineroschiebt Miguel Caballero in seinerSchneiderwerkstatt grinsend einePatrone in einen Revolver Kaliber38. Vor ihm steht ein Mitarbeiteraus der Finanzabteilung seines Un-ternehmens und trägt ein schwar-zes Exemplar der Lederjacke, dieReporter Guillén besitzt. Der Buch-halter ist etwas bleich um die Nase.

Caballero und der Mitarbeiter set-zen sich dicke Ohrenschützer auf.Dann richtet der Chef den Revolverin rund fünf Zentimeter Entfer-nung auf den Bauch des Mitarbei-ters und zählt laut bis drei: „Uno,dos, tres . . .“ Ein gewaltiger Knall,dann steigt Rauch aus dem Ein-schussloch der versengten Jacke,doch dem Buchhalter geht es bes-tens: „Ich habe kaum einen Schlagverspürt“, sagt er und schon reißtihm sein Chef die Jacke auf, zerrtdas T-Shirt hoch und entblößt denunversehrten Bauch des Mitarbei-ters. Caballero greift zur Pinzetteund wühlt in den Untiefen von Pan-zerung und Stoff. Nach einer hal-ben Minute fischt er ein heißes zu-

Schussfestes Dirndl aus KolumbienKolumbien ist vomBürgerkrieg geplagt. Mordund Terror waren der Anlassfür eine brillante Geschäfts-idee: Schusssichere HauteCouture.

sammengedrücktes Stück Blei he-raus, etwa einen Zentimeter groß.

Caballero, klein und kräftig, liebtdie Selbstinszenierung. SeineSchussproben sind in seinem Un-ternehmen Einstellungsvorausset-zung. „Jeder, der neu bei mir an-fängt, muss da durch“, sagt der 39-Jährige. Sein Geschäft mit derschusssicheren Couture boomt.„Ich komme kaum nach mit derProduktion, und schauen Sie sichum, alles viel zu eng hier“, klagt ermit einem Lächeln, dreht sich imKreis und zeigt auf mehrere Dut-zend Näher und Näherinnen inblauen Kitteln, die unter Neonröh-ren und dicht gedrängt an Klei-dungsstücken schneidern: Von derschussfesten Polizeiweste bis zumgepanzerten Designeranzug, vonder kugelresistenten Krawatte biszur schusssicheren Soutane.

Der Schneider von Kolumbienverbindet unauffällige Sicherheitmit modischem Chic und ist mitder genialen Geschäftsidee auf dem

Weg nach oben. Mit vier Angestell-ten und zehn von seiner Mutter ge-pumpten Dollar fing er vor 15 Jah-ren an. Im ersten Jahr setzte er17.000 Dollar um. Heute arbeiten inseinem Unternehmen 130 Näher,Designer, Verkäufer, Waffenexper-ten, und der Umsatz liegt bei fünfMillionen Dollar. „Dieses Jahr pei-len wir sieben Millionen an.“

Schwere Schutzwestenlangsam abgespeckt

Der Einfall kam ihm an der Univer-sität. Die Leibwächter einer Kommi-litonin trugen keine kugelsicherenWesten, weil sie zu schwer und zuunbequem waren. Caballero nahmsich eine Weste vor, tüftelte, schich-tete die Stoffe um und rüstete dieschützenden Kleidungsstücke im-mer weiter ab. Über die Jahreschaffte er es, herkömmlicheSchutzwesten von fünf Kilo aufrund ein Kilo abzuspecken.

Und die Formel für die Panze-

rung? „Glauben Sie, Coca-Cola ver-rät sein genaues Rezept“, sagt er wieaus der Pistole geschossen. Nur soviel gibt Caballero preis: Alle sechsMonate muss er aufs Neue über diegenaue Anordnung von Nylon, Ara-mid und Polyethylen nachdenken.„Es werden so schnell so viele Waf-fen entwickelt.“ Deswegen gibt erauch nur zwei Jahre Garantie aufdie Panzerung seiner Kleidungsstü-cke. Insgesamt 300 verschiedeneProdukte hat der Schneider im An-gebot. Mode von der Stange gibt esvon 300 bis 3000 Dollar, Sonderan-fertigungen kosten extra.

Der Markt für Hochsicherheits-mode wächst rasant. Am Anfangwaren es vor allem Polizisten undSicherheitsbeamte, die bei Caballe-ro kauften. Heute rüstet er rund umden Globus Prominenz aus Politik,Adel und Showgeschäft aus. Holly-wood-Schauspieler kaufen bei ihmebenso ein wie viele Staatsober-häupter aus Lateinamerika. Kolum-biens Präsident schwört für seine

öffentlichen Auftritte auf ein weißesTropenhemd aus Caballeros Fabri-kation. Und Venezuelas StaatschefHugo Chávez hat in Bogotá gleich50 Kleidungsstücke anfertigen las-sen. Darunter auch ein schussfestesleuchtend rotes Hemd, in dem erseine Reden und Fernsehauftrittebestreitet. Auch Spaniens Thronfol-ger Felipe und seine Gattin Letiziaschwören auf tragbare Sicherheitmade in Colombia.

Caballeros Kreativabteilung bas-telt ständig an neuen Ideen oder derUmsetzung der absurdesten Wün-sche: Kugelsichere Kimonos, ge-panzerte Bettdecken, geschütztesOutfit für Rap-Musiker – nichtsscheint unmöglich. Im Herbst gibtes die erste Modeschau in Deutsch-land. Spätestens dann soll dasschussfeste Dirndl fertig sein.

Briefe aus dem„Klub der Überlebenden“

Man muss vermutlich Kolumbianersein, um auf die Idee von gepanzer-ter Alltagskleidung zu kommen.„Wir sind mit Gewalt, Krieg, Todund Entführung groß geworden“,erzählt der 39-jährige Caballero, derfast so alt ist wie der absurde Bür-gerkrieg in seinem Land zwischenGuerilla, Staat und Todesschwadro-nen, der inzwischen von der Orga-nisierten Kriminalität der Rausch-giftkartelle überlagert wird. Jährlichwerden Tausende Menschen ent-führt, ermordet, bedroht und brau-chen Schutz.

Doch Lateinamerika ist demSchneider längst zu klein gewor-den. „Russland, Indien und der Na-he Osten“, sagt er, „da liegen diewahren Wachstumsmärkte.“

Das florierende Geschäft zeigt,wie groß das Bedürfnis nach per-sönlichem Schutz geworden ist inzunehmend gewaltsameren Gesell-schaften, die von sozialen Ungleich-heiten, politischen Krisen und demEinsickern der Organisierten Kri-minalität geprägt sind. Caballeroweiß, dass er mit der Angst Geldverdient: „Wir sind aber nicht dasProblem, wir sind die Lösung.“

In einem dicken Ordner bewahrtMiguel Caballero das auf, was erden „Klub der Überlebenden“nennt. Eine Sammlung zumeisthandgeschriebener Danksagungenvon Polizisten, Sicherheitskräftenoder von Soldaten wie Álvaro Villa-mizal. In bemühter Schrift erzählter auf anderthalb Seiten von einemGefecht mit der kolumbianischenLinksguerilla FARC im Urwald undeinem Schuss in den Rücken. „Ichkam mit dem Leben davon, dankGott und Ihrer Weste.“

Miguel Caballero präsentiert seine schusssichere Mode – inklusive einer schützenden Krawatte. Bild: SN/EHRINGFELD

Die Jacken schauen leicht und locker aus und doch halten sie Kugeln aus Revolvernund Maschinenpistolen auf. Bild: SN/EHRINGFELD

Hugo Chavez, Venezuelas Präsident,liebt seine Schutzwesten rot. Bild: SN/AP