1 Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 9: Straßenverkehrsdelikte Übersicht -Systematik und...

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1 Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 9: Straßenverkehrsdelikte Übersicht - Systematik und Rechtsgut der Straßenverkehrsdelikte - Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) - Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) - Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) - Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

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Grundkurs Strafrecht II BT 1

Vorlesung 9: Straßenverkehrsdelikte

Übersicht

- Systematik und Rechtsgut der Straßenverkehrsdelikte

- Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) - Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB)- Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (§ 315b

StGB)- Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)

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Überblick – Straßenverkehrsdelikte I

Verkehrsstraftaten

Öffentlicher und privater Bahn-, Schiffs- und

Luftverkehr gem. §§ 315, 315a, 316

Öffentlicher Straßenverkehr gem. §§ 315b, 315c, 316

Eingriffe von außen § 315

Gefährdung des Verkehrs von innen heraus gem. § 315a,

316

Gefährdung des Straßenvk. von innen

gem. § 315c, 316verkehrswidriger

Inneneingriff

Eingriffe von außen § 315b verkehrsfremder

Außeneingriff

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Überblick Straßenverkehrsdelikte II

1. Straßenverkehrsdelikte:

- § 316: Trunkenheit im Verkehr- § 315 c: Gefährdung des Straßenverkehrs- § 315 b: Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr- § 142: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort

2. Typische zusammenhängende Delikte:

- Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, insb. §§ 222, 229- § 221: Aussetzung- § 323 c: Unterlassene Hilfeleistung- § 323 a: Vollrausch - § 316 a: Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer- Weitere Kombinationen: § 113; Rechtspflegedelikte (z.B.

§§ 145d, 164, 153 ff.)

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Straßenverkehrsdelikte

Geschütztes Rechtsgut

Streitig:

1. Allgemeininteresse an der Sicherheit des Verkehrs (h.M.)

2. Individualrechtsgüter: Leben, Gesundheit, Eigentum

3. Doppelte Schutzrichtung: Sicherheit des Verkehrs und

Schutz von Individualrechtsgütern

Relevanz:

1. Einbeziehung von Tatbeteiligten als taugliche Tatobjekte

2. Einwilligung

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Trunkenheit im Verkehr gem. § 316 I

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Führen eines Fahrzeugs

b) im Verkehr (§§ 315 – 315d)

c) Fahruntüchtigkeit

2. Subjektiver Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

Fahrlässigkeitstatbestand: § 316 II

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Führen eines Fahrzeugs

- Fahrzeug

= alle Vehikel, die der Beförderung von Personen oder Sachen dienen und die am öffentlichen Verkehr teilnehmen. Antriebsart ist unerheblich.

Beispiele: Kraftfahrzeuge (Auto, Krafträder, Bus etc.), Fahrräder, Fuhrwerke, Schienenfahrzeuge

Nicht dagegen motorlose Roller, Kinderwagen, Rollschuhe; vgl. § 24 I StVO (dem Fußgängerverkehr gleichgestellt);

bejaht aber für Rollstühle, vgl. § 24 II StVO

Str.: Inline-Skates

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- Führen:

= unmittelbares in Bewegung setzen bzw. halten unter Ingangsetzung bzw. Handhabung seiner technischen Voraussetzungen; allein Bewegungsvorgänge erfasst unabhängig von Motorkraft

nur eigenhändig möglich

Grenzfälle:

- Abrollen-Lassen auf Gefälle (+)

- Lenken bei Abschleppen (+)

- Anschieben? (-)

- Versuch, festsitzendes Auto loszubekommen? (-)

- Fahrlehrer?

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Führen eines Fahrzeugs im (Straßen)Verkehr

- (Straßen-)Verkehr

= alle Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum

= Verkehrsraum ist öffentlich, wenn er entweder

ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des

Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber

zumindest für eine allgemein bestimmte größere

Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist oder so

benutzt wird (z.B. Stadt- und Landstraßen; Autobahnen)

Beispiele:

- Parkplätze bei Einkaufsmarkt oder Gaststätte

- Parkhaus

- Privates Betriebsgelände?

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Fahruntüchtigkeit

Absolute Fahruntüchtigkeit

Gegenbeweis ist nicht zulässig

- Auto: 1,1‰ = Grundwert von 1,0‰ + Sicherheitszuschlag

von 0,1‰

- Fahrrad: 1,6‰ = Grundwert von 1,5‰ + Sicherheitszu-

schlag von 0,1‰

Relative Fahruntüchtigkeit

Zwischen 0,3‰ und 1,1‰ + weitere Beweisanzeichen in Form

von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen

Unterscheide: Fahruntüchtigkeit und Schuld(un)fähigkeit

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Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c I

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tathandlung

aa) Führen eines Fahrzeugs

bb) im fahruntüchtigen Zustand (Nr. 1a

oder 1b)

ODER grob verkehrswidrige Verfehlung nach Nr. 2a – g

b) dadurch konkrete Gefahr für Leib oder

Leben

eines anderen Menschen oder fremde

Sache

von bedeutendem Wert

2. Subjektiver Tatbestand

Vorsatz + bei Nr. 2a-g rücksichtslose

Verfehlung

II./ III. Rechtswidrigkeit und Schuld

Bea.: Vorsatz-Fahrl.komb. (III Nr. 1) + Fahrlässigkeit (III Nr. 2)

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Konkrete Gefahr

Eine Gefahr liegt vor, wenn nach den konkreten Umständen die

Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts derart gesteigert ist,

dass sein Eintritt „nahe liegt“.

Die Gefahr ist konkret, wenn die Sicherheit einer bestimmten

Person oder Sache durch das Verhalten des Täters so stark

beeinträchtigt wird, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob

das Rechtsgut verletzt wird oder nicht: „Kritische

Verkehrssituation“ bzw. „Beinahe-Unfall“.

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Probleme bei § 315 c

- Problem: Gefährdung von Mitfahrern

Auch hier kritische Verkehrssituation im Einzelfall

erforderlich

- Problem: Gefährdung von Tatbeteiligten

- Problem: Gefährdung des Tatmittels

- Problem: Wertgrenze

- Problem: Pflichtwidrigkeitszusammenhang

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Fall 1

Aufgrund strömenden Regens stiftet A den B an, trotz dessen

erheblichen Alkoholkonsums (1,5 Promille) mit Bs Auto nach

Hause zu fahren. A weiß wie B selbst, dass B zu viel Alkohol

getrunken hat. A nimmt billigend in Kauf, dass B einen Unfall

verursacht. Aufgrund seiner Fahruntüchtigkeit steuert B das

Auto in den Straßengraben. A wird leicht verletzt. Auch das

Fahrzeug – ein Mietwagen – erleidet erheblichen Schaden.

Strafbarkeit von B und A?

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Lösung Fall 1

B: I. § 315c I Nr. 1a

a. Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr

b. absolute Fahruntüchtigkeit (BAK 1,5 Promille)

c. konkrete Gefährdung von Tatobjekten:

aa. A? Tatbeteiligter, da Anstifter gem. § 26Inklusions- vs. Exklusionsthese, nach h.M. (-)

bb. Mietwagen, erheblicher Schaden?

Fremd (+), aber Tatfahrzeug? Nach h.M. (-)

Konsequenz: § 315c I Nr. 1a (-)

II. § 316 I (+)

A. §§ 316 I, 26

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Fall 2 (vgl. BGH NStZ 2011, 215)

A fährt nach einem harten Arbeitstag stark übermüdet mit seinem Auto nach Hause. Während eines sog. Sekundenschlafs kommt er von der Fahrbahn ab und prallt gegen das Garagentor des O. Sein Wagen wird erheblich beschädigt. Der Schaden am Garagentor des O beträgt 1000,- Euro.

Strafbarkeit des A?

Lösung: § 315c I Nr. 1b, III Nr. 1? (i.E. +)

P: Schaden am Garagentor des O ausreichend?

BGH: Angleichung an Wertgrenze des § 69 II Nr. 3 – 1300€ – (-), da unterschiedliche Schutzzwecke (§ 69 II Nr. 3 ist auf § 142 bezogen und erfaßt daher neben Reparatur- auch Bergungs- und Abschleppkosten) und keine grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse

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Fall 3

Quartalstrinker A fährt mit dem Auto zum Einkaufen. Nach dem Lebensmitteleinkauf rangiert er auf dem Kundenparkplatz zurück und stößt aus Unachtsamkeit an den mittlerweile gegenüber parkenden neuen Mercedes des O. Es entsteht ein Sachschaden an dem Mercedes in Höhe von 2000 Euro. A hatte zur Tatzeit 1,5 Promille. Wegen der engen Parkplatzsituation wäre der Unfall jedoch auch für einen nüchternen Fahrer nicht vermeidbar gewesen. Strafbarkeit des A?

Lösung:

1. § 315c I Nr. 1a, III Nr. 1 (-), da Verursachung der konkreten Gefahr für Mercedes des O nicht auf Fahruntüchtigkeit infolge Alkohol beruht (fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang)

2. § 316 I (+)

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Gefährlicher Eingriff in des Straßenverkehr gem. § 315 b I

I . Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) verkehrsfremder Eingriff (Nrn. 1 – 3) P

b) dadurch Beeinträchtigung der Sicherheit

des Straßenverkehrs P

c) dadurch konkrete Gefahr für

Leib oder Leben eines anderen Menschen

oder fremde Sache von bedeutendem Wert

2. Subjektiver Tatbestand

II./ III. Rechtswidrigkeit und Schuld

Beachte: - Vorsatz-/Fahrlässigkeitskombination gem. § 315 b IV

- Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gem. § 315 b V

- Qualifikationen gem. § 315 b III i.V.m. § 315 III

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Verkehrsfremde Außeneingriffe

- Nr. 1: Zerstörung, Beschädigung oder Beseitigung von Anlagen oder Fahrzeugen

Beispiele: Durchtrennen von Bremsschläuchen, Zerstören bzw. Beschädigen von Fahrzeugen durch Steinwürfe von Autobahnbrücken, Abbau von Verkehrsschildern

- Nr. 2: Hindernisbereiten (auch durch Unterlassen möglich)

Beispiele: Straßensperren, Spannen eines Drahtes über die Fahrbahn, Schieben eines Fahrzeugs auf die Fahrbahn; Nichtbeseitigung verlorener Ladung; Vollbremsung zwecks Unfallprovokation, um Versicherungsleistungen zu erlangen

- Nr. 3: ähnliche, ebenso gefährliche Eingriffe

Beispiele: Abziehen des Zündschlüssels während der Fahrt; absichtliches Schütten von Altöl auf die Straße

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Zweckentfremdung des Fahrzeugs i.S.d. § 315 b

- Grundsatz: nur verkehrsfremde Außeneingriffe

- Ausnahme: Verkehrsteilnehmer pervertiert den Verkehrsvorgang

zu einem Eingriff in den Straßenverkehr, d.h. er verhält sich nicht

nur verkehrswidrig, sondern sogar verkehrsfeindlich

(verkehrsfremder / -feindlicher Inneneingriff entspricht

verkehrsfremden Außeneingriff)

Voraussetzung:

- Objektive: grobe Einwirkung auf den Verkehr

- Subjektiv muss der Täter verkehrsfeindlich handeln

(zweckwidriger Einsatz z.B. als Waffe) + zumindest bedingter

Schädigungsvorsatz (BGHSt 48, 233)

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Fall 4

T fährt auf der Flucht vor der Polizei mit seinem Auto gezielt auf

den Halt gebietenden Polizeibeamten P zu, um ihn zur Freigabe

des Weges zu erzwingen. T vertraut darauf, dass P im letzten

Moment zur Seite springen und nicht verletzt werden wird. So

geschieht es. Strafbarkeit des T aus § 315b?

Lösung: § 315b I Nr. 3 nach neuer BGH-Rechtsprechung (-), da T

für Zweckentfremdung des Fahrzeugs bedingter

Schädigungsvorsatz fehlt

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Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs

- Tathandlung muss eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des

Straßenverkehrs bewirken, die sich zu einer konkreten Gefahr

für die genannten Schutzobjekte verdichtet („Beinahe-Unfall“).

- Erfordernis einer zeitlichen Differenz zwischen der abstrakten

Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und der

konkreten Gefahr ist nicht mehr erforderlich.

- Es genügt, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einem

bedeutenden Fremdschaden führt und dieser Erfolg sich als

Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten abstrakten

Gefahr für die Sicherheit des Strassenverkehrs darstellt

(verkehrsspezifische Gefahr)

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Fall 5 (vgl. BGHSt 48, 119 = BGH NJW 2003, 836).

A und B werfen schwere Steine von einer Autobahnbrücke

auf die vorbeifahrenden Fahrzeugen. Sie treffen dabei – wie

beabsichtigt – ein auf der BAB fahrendes Fahrzeug und

beschädigen dieses erheblich. Strafbarkeit nach § 315b I?

Lösung: § 315b I Nr. 3 (+), da hinreichender

verkehrsspezifischer Zusammenhang zur konkreten Gefahr

Was gilt, wenn A und B zwei Dosen Lackfarbe auf einen

Hilfsgüterkonvoi gießen, zwei Fahrzeuge an der Frontschei-

be mit erheblichen Lackschäden getroffen werden und die

Fahrer ihre Fahrzeuge nach kurzer Weiterfahrt ohne weitere

Gefahren rechts zum Stehen bringen? Lösung: § 315b I Nr.

3 (-), da kein verkehrsspezifischer Zusammenhang

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Fall 6 (vgl. BGH NStZ 2009, 100)

B verfolgt mit seinem Auto den nach einem Banküberfall im Auto flüchtenden A. Um B abzuschütteln, schießt A bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h dreimal auf das Fahrzeug des B. Zwei Schüsse treffen das Fahrzeug, an dem erheblicher Sachschaden entsteht. Die beiden Einschüsse führen nicht zu einer Fahrzeugerschütterung. B, der die Waffe des A gesehen und die Einschüsse akustisch wahrgenommen hatte, fühlte sich in seiner Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt.

Strafbarkeit des A aus § 315b I Nr. 3?

Lösung: 1. § 315b I Nr. 3 (-), da kein Beinahe-Unfall und Schaden durch Schüsse nicht in relevantem Zusammenhang mit Eigendynamik der Fahrzeuge steht und also keine verkehrsspezifische Gefahr darstellt

2. §§ 315b I Nr. 3, II, 22 (+)

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Fall 6a (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 123)

A fährt mit seinem Pkw zunächst mit Vollgas an, um B zum ausweichen zu veranlassen, hält jedoch in einer Entfernung von eineinhalb bis zwei Metern vor B an. Anschließend gibt A erneut Vollgas, läßt aber die Kupplung schleifen und bewegt sich ruckelnd auf B zu, um ihn erneut zu bewegen, aus dem Weg zu gehen. Als das Fahrzeug sich bis auf einen bis eineinhalb Meter dem B genähert hat, macht B einen Ausfallschritt zur Seite und läßt das Fahrzeug passieren.

Strafbarkeit des A aus § 315b I Nr. 3?

Lösung: § 315b I Nr. 3 (-), da weder Beinahe-Unfall noch Schädigungsvorsatz des A

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Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Unfall im Straßenverkehr

Problem: vorsätzliche Herbeiführung des

Unfalls

b) Unfallbeteiligter i.S.d. § 142 V

c) Sich Entfernen vom Unfallort

d) Pflichtverletzung

aa) Feststellungs- und

Vorstellungspflicht i.S.d. § 142 I Nr. 1

Problem: Anwesenheit

feststellungsbereiter

Personen

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bb) Wartepflicht i.S.d. § 142 I Nr. 2

Problem: Dauer und Umfang der

Wartepflicht/ Visitenkarte

cc) Nachholpflicht i.S.d. § 142 II Nr. 1 nach

Ablauf der Wartezeit i.S.d. Abs. 1 Nr. 2

dd) Nachholpflicht i.S.d. § 142 II Nr. 2 bei

berechtigtem oder entschuldigtem

Entfernen

Problem: unvorsätzliches Entfernen

2. Subjektiver Tatbestand

II. Rechtswidrigkeit

III./ IV. Schuld/ Tätige Reue, § 142 IV

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Ausgewählte Probleme bei § 142 (1)

1. Unfallbegriff: Verkehrstypisches Unfallrisiko?

Unfall = plötzlich eintretendes Ereignis im öffentlichen

Straßenverkehr, dass mit dessen typischer Gefahrensituation

im ursächlichen Zusammenhang steht und einen nicht

unerheblichen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat.

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Ausgewählte Probleme bei § 142 (1)

Fall 7 (vgl. BGH NStZ 2002, 252):

A und B beschlossen zum Zeitvertreib und Spaß

auszuprobieren, ob es möglich sei, Mülltonnen aus dem

fahrenden Auto heraus zu greifen und nach einer gewissen

Strecke loszulassen. Diesen Entschluss setzten sie um, indem A

den Pkw führte und B vom Beifahrersitz aus die Mülltonnen

ergriff und wieder losließ. Dabei prallte eine Mülltonne gegen

einen Pkw, der erheblich (2000€) beschädigt wurde.

Lösung: 1. § 142 I (-), da Schadensereignis im

Straßenverkehr schon nach äußerem Erscheinungsbild nicht

Folge des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern deliktischer

Planung

2. § 303 I (+)

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Ausgewählte Probleme bei § 142 (2)

2. Problem: Unvorsätzliches Entfernen vom Unfallort?

Fall 8 (vgl. OLG Hamburg NJW 2009, 2974; BVerfG NJW

2007, 1666)

A streift beim Überholen mit dem Außenspiegel seines Lkw

den Außenspiegel des überholten Lkw, der erheblich

beschädigt wird. A bekommt davon nichts mit. Nachdem A

ca. 1,5 km entfernt von der Stelle, an der er den geparkten

Lkw beschädigt hat, zum Stehen kommt, macht ihn der

geschädigte und ihn verfolgende Lkw-Fahrer auf den Unfall

aufmerksam. A setzt seine Fahrt fort. § 142?

Lösung: § 142 I (-) mangels Vorsatzes; § 142 II Nr. 2 (-), da

unvorsätzlich nicht gleichbedeutend mit „entschuldigt“

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Ausgewählte Probleme bei § 142 (3)

3. Problem: Schuldloses Entfernen wegen § 20

Fall 9

A hat sinnlos betrunken einen Unfall verursacht und entfernt

sich vom Unfallort. Als er wieder nüchtern ist, meldet er den

Unfall nicht gem. § 142 II, III StGB der Polizei.

Lösung: § 142 II, III nach zutreffender Ansicht (-), da A sich

wegen §§ 323a iVm § 142 I nicht insgesamt straflos vom

Unfallort entfernt hat und daher Funktion von § 142 II nicht

greift.