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Die Klienten der

Jugendgerichtshilfe des Landkreises Kassel

Analyse von Längsschnittdaten der Jahre 1998 bis 2008 und exemplarische Fallbeschreibungen

Verantwortliche Autoren: Jens Bukowski

(Fachbereich Sozialwesen, Uni Kassel),

Peter Henke (Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Landkreis Kassel)

Beiträge von: Janin Schreiber Julia Hellwig Dominique Lingemann Rita Haller Mitwirkende: Michael Kohlenberger Thomas Hofmann Angela Graichen Hans-Joachim Ullrich

(Jugendamt, Jugendgerichtshilfe, Landkreis Kassel)

Herausgeber: Jugendamt des Landkreises Kassel Druck: Hausdruckerei des Landkreises Kassel Im September 2010

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Inhalt Vorwort Käthe Heinrich, Leiterin des Jugendamtes des Landkreises Kassel S. 3 Genau hingeschaut: Die aufbereitete Statistik der letzten elf Jahre S. 4 Kernsätze S. 8 Tabelle 1, Niveau der Schulbildung S. 13 Tabelle 2, Alter in Jahren S. 14 Diagramme 1-13 S. 15

Die Jugendgerichtshilfe des Landkreises Kassel und ihre Klienten.

Hinter den Zahlen: Die jungen Menschen und ihre Situation S. 34 „Der Drahtseiltänzer“ Falldokumentation über Jan, 16 Jahre S. 35

Ein „folgenloser“ Diebstahl ? Fallschilderung zu einem „richterlichen Diversionsverfahren“ S. 40 „Gewalt im Wald“ Bericht über einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA). Wiedergutmachungsleistung unter Einsatz der Ambulanten Maßnahmen S. 42 „Die bezaubernde Jeannie“ Fallschilderung einer ungewöhnlichen jungen Frau in der JGH S. 45 „Siegfried auf der Suche“ Biographie und Suchtverlauf zur Aufnahme einer stationären Drogentherapie im Rahmen eines Jugendstrafverfahrens (Wörtliche Abschrift handschriftlich verfasster Dokumente)

Biographie S. 50 Suchtverlauf S. 53

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Vorwort Käthe Heinrich, Leiterin des Jugendamtes des Landkreises Kassel

„Wir tragen dazu bei, die Chancen für die Zukunft junger Menschen zu gestalten“ Dieser Satz aus dem Leitbild unseres Jugendamtes drückt sich auch in der täglichen Arbeit der Jugendgerichtshilfe aus. Straftaten junger Menschen geben glücklicherweise in den weitaus meisten Fällen wenig Anlass zur ernsthaften Sorge, und es lässt sich Ihnen Rahmen der normalen Entwicklung mit Norm- und Regelverdeutlichenden Maßnahmen durch Eltern, Umfeld und Institutionen gut begegnen. Wo mehr Anlass zur Intervention gegeben ist, hält das Jugendamt ein möglichst passgenaues und auch vielfältiges Angebot an ambulanten Maßnahmen bereit. Für den Fall weitergehenden Hilfebedarfs oder notwendigen Kriseninterventionen können wir junge Menschen und Ihre Eltern mit der breiten Palette der ambulanten oder stationären Jugendhilfemaßnahmen bei Bedarf unterstützen. Mit der vorliegenden Analyse werfen wir einen Blick auf 11 Jahre unserer Arbeit mit straffälligen jungen Menschen. Dieser Blick soll uns dabei helfen Erkenntnisse über Entwicklungsprozesse und eventuell notwendige Veränderungen zu gewinnen und damit auch die Qualität unserer Arbeit sicherstellen. Und wenn wir, wie vorliegend, erkennen können, dass die Situation im Landkreis Kassel uns ermöglicht relativ unaufgeregt unsere Arbeit im durchaus fruchtbaren Zusammenwirken mit der Justiz tun zu können, sind wir froh darüber. Vielleicht ist dies sogar ein Hinweis auf gute Aufgabenerfüllung in den letzten Jahren. Froh sind wir auch über die gute und fruchtbare Zusammenarbeit mit der Uni Kassel über solch einen langen Zeitraum. Wir danken Jens Bukowski vom Fachbereich Sozialwesen für seine unermüdliche und anregende Unterstützung.

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Genau hingeschaut: Die aufbereitete Statistik der letzten elf Jahre

Mit den nun folgenden Diagrammen und Tabellen wird versucht, das Klientel der Jugendgerichtshilfe (JGH) der vergangenen elf Jahre zu beschreiben, genauer gesagt,

es wird der Zeitverlauf von 1998 bis 2008 verfolgt und ausgewertet. Die Daten

aus der Zeit nach 2008 sind noch zu unvollständig zur Darstellung und Analyse. Die Diagramme enthalten alle zurzeit auswertbaren Dimensionen, vielfach sprechen sie für sich, deshalb sind die Interpretationen ("Kernsätze") sehr sparsam hinzugefügt und auf das Notwendigste begrenzt. Die zeitliche Einteilung wird durch die "Tatjahre" hergestellt. Das liegt daran, dass so eine gewissermaßen sachliche/natürliche Einteilung gewählt werden konnte, während die auch denkbare Gliederung nach dem "Hauptverhandlungsjahr" Gefahr liefe, durch justizinterne Geschäfts- und Ablaufgründe verzerrt zu werden.

Das Hauptziel der Analyse liegt im Längsschnitt der beobachteten elf Jahre.

Einen so langen Zeitraum mit einem einheitlichen Instrument beobachtet zu haben, ist in der Kriminologie sehr selten und hat somit einen hohen Wert. Das Stichwort "Kriminologie" erfordert einen weiteren Hinweis: Diese Auswertung beruht auf Hellfelddaten! Darum kann genau genommen über die tatsächliche Delinquenz (= Gesamtsumme aus Dunkelfeld und Hellfeld) keine Aussage gemacht werden.

In der kriminologischen Diskussion1 wird sehr darauf geachtet, das Hellfeld und das

Dunkelfeld zu unterscheiden. Der zugrunde liegende Gedanke findet sich darin,

dass man sich die Gesamtmenge an strafbaren / strafbewehrten Verhaltensweisen (in einer Region und einem Zeitraum) vorstellt. Davon gelangt eine Teilmenge zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden, diese Teilmenge wird "Hellfeld" genannt. Der Rest, der nicht bekannt wurde, bleibt somit „dunkel“, das ist das oben erwähnte Dunkelfeld. Somit wird deutlich, dass sich mehrere wichtige Folgegedanken dem Modell des Hellfeldes/Dunkelfeldes anschließen: (1.) Wir postulieren eine nicht direkt erfassbare Gesamtmenge an realen Verhaltensweisen/Geschehnissen, die kriminalisierbar sind. Ein Teil derselben wird bekannt bzw. registriert, d.h. er tritt ins Hellfeld ein. (2.) Genaugenommen stellt also erst der Eintritt ins Hellfeld die Kriminalität im polizeilichen Sinne her. Und es gibt recht viele Faktoren, die diesen Eintritt steuern oder mindestens beeinflussen: die zeitlich/örtlich verstandene Kontrolldichte, die Anzeigebereitschaft, die Sensibilisierung für ein bestimmtes Verhalten, die öffentliche Sichtbarkeit eines bestimmten Verhaltens usw. usf. Dies läuft auf Folgendes hinaus: viele nicht steuerbare, auf jeden Fall nicht politisch steuerbare Faktoren beeinflussen den Übergang in das Hellfeld und beeinflussen die Grenze zwischen Hell- und Dunkelfeld.

1 Ein Beispiel muss für viele stehen: Heinz, Wolfgang (2007): Jugendkriminalität, in: Deutscher

Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Fachlexikon der sozialen Arbeit, Baden-Baden:

Nomos, S. 523

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(3.) Hellfeld und Dunkelfeld müssen separat erforscht und untersucht werden. Jedes Feld verlangt jeweils spezielle Methoden und Instrumente. Eine Schlussfolgerung von Hellfeldwissen auf das Dunkelfeld ist prinzipiell nicht möglich und damit ist eine Schlussfolgerung von Hellfeldwissen auf die Gesamtmenge der strafbaren Verhaltensweisen prinzipiell auch nicht möglich. Alle drei Mengen sind unabhängig voneinander; z.B. kann der Anstieg eines Wertes im Hellfeld sowohl

einen Anstieg im Dunkelfeld und einen Anstieg in der Gesamtmenge der strafbaren Verhaltensweisen bzw. kriminalisierbaren Geschehnissen

ein Sinken im Dunkelfeld und einen Anstieg in der Gesamtmenge

ein Sinken im Dunkelfeld und ein Konstanthalten in der Gesamtmenge (dies wäre eine sogenannte Verschiebung der Hell-/ Dunkel-grenze) oder

ein Sinken im Dunkelfeld und ein Sinken in der Gesamtmenge bedeuten, ohne dass diese vier Fälle irgendwie unterscheidbar wären.

Natürlich gibt es Teilbereiche, in denen man von einem sehr, sehr kleinen Dunkelfeld ausgehen muss, z.B. werden nahezu alle Kfz-Diebstähle angezeigt, weil die Versicherungen dies zur Schadensregulierung verlangen. Auf der anderen Seite ist bei der häuslichen Gewalt, wenn Kinder die Opfer sind, das Hellfeld nahe Null, diese Straftat gibt es fast ausschließlich im Dunkelfeld. Jeder Teilbereich der Kriminalität bringt in dieser Hinsicht seine eigenen, spezifischen Besonderheiten mit. Die in den Diagrammen enthaltenen Delikte, die zur Anklage führten, wurden der besseren Übersicht halber zu sogenannten Delikttypen zusammengefasst. Dabei handelt es sich um:

Gewaltdelikte,

die sich aus Tötung, Körperverletzung, Raub, Erpressung, Nötigung, Bedrohung, Widerstandshandlungen, Sexualdelikten mit Gewalt und sonstigen Gewaltdelikten zusammensetzen;

Eigentumsdelikte,

die sich aus Ladendiebstahl, einfachem und schwerem Diebstahl, Einbruch, Sachbeschädigung, Betrug, Hehlerei, Urkundenfälschung, Hausfriedensbruch, Unterschlagung, Fundunterschlagung, Diebstahl aus und Diebstahl von Kraftfahrzeugen und Leistungserschleichung zusammensetzen (Achtung: die Sachbeschädigung steht auch in dieser Deliktgruppe!);

Straßenverkehrsdelikte,

die sich aus Unfallflucht, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Trunkenheitsfahrt, fahrlässige Körperverletzung und sonstigen Verkehrsdelikten zusammensetzen (Achtung: in der Polizeilichen Kriminalstatistik werden z. T. alle Verkehrsdelikte ausgeblendet!);

Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz,

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die entweder der Betäubungsmittelbesitz oder der Betäubungsmittelhandel sein

können;

und alle sonstigen Delikte,

die sich den o.g. Kategorien entziehen, wie z.B. die Vortäuschung einer Straftat. Unter der Rubrik "Delikttyp" wird separat jeweils die Zuordnung zu einem Typ ausgezählt und erst danach im nächsten Schritt die Zuordnung zum zweiten Typ usw. So kommt es dazu, dass sich hin und wieder zwei (oder noch mehr) Delikttypen in einer Anklage finden, die unserer Zählweise gemäß dann auch in zwei (drei . . .) Teilsummen eingehen. Allerdings ist und bleibt das Grundelement unserer Darstellung die Anklage bzw. die ausermittelte Straftat, eine Grundlage, welche die etwaige Addition der Delikttypen(-teilsummen) nicht mittragen würde. Mit anderen Worten: eine solche Addition würde einen nicht interpretierbaren, unsinnigen Wert ergeben. Auch die in den Diagrammen enthaltenen Reaktionen, die vom Gericht (oder zumindest vom Staatsanwalt) ausgesprochen wurden, wurden der besseren Übersicht halber teilweise zusammengefasst. Im Verfahren, das den Verfehlungen, die mit Strafe bedroht sind, folgt, hat das Jugendgericht eine ganze Reihe an Reaktionsmöglichkeiten2, die sich in ihrer

Differenziertheit lohnen, detailliert betrachtet zu werden. Hier soll allerdings ein vergröbernder Blick genügen, es soll der Dualismus 'Jugendhilfereaktion versus Justizmittelreaktion' vorgestellt werden. Dieses Denkangebot verspricht durch seinen zusammenfassenden Blick nämlich einen Klarheits- und Deutlichkeitsgewinn. Zu diesem Zweck werden die justiziellen Reaktionen aufgeteilt in Reaktionen, die sich der justizeigenen Mittel bedienen; es handelt sich im Einzelnen um alle Arten von Haft und

alle Arten von Geldstrafen und –bußen (diese Reaktionen nennen wir Reaktionen mit Justizmitteln); und Reaktionen, die sich der professionellen Jugendhilfe

bedienen; es sind dies offenbar alle restlichen Reaktionen, von der Arbeitsauflage, deren Erfüllung kontrolliert werden muss, über Betreuung, Aufsicht, soziale Trainingskurse bis zum Anti-Aggressivitäts-Training, um nur einige Beispiele

herauszugreifen (diese Reaktionen nennen wir Reaktionen mit Jugendhilfeaktivitäten). Unsere Untersuchungsfrage lautete nun: Haben sich

im Laufe des Untersuchungszeitraumes die Gewichte zwischen der Justizmittel-Sanktion auf der einen Seite und der Jugendhilfe-Sanktion auf der anderen Seite verschoben? Eine vorläufige Antwort findet sich mit Hilfe des Diagramms 12 im Kernsatz 9. Durch das Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist festgelegt, dass die Strafmündigkeit mit dem 14. Geburtstag beginnt; eine Regelung, die mit dafür verantwortlich ist, dass die

Jugendgerichtshilfe nur für die tatverdächtigen Personen im Alter von über 14 Jahren, aber unter 21 Jahren zuständig ist, um im Strafverfahren die

erzieherischen und sozialen Gesichtspunkte zur Geltung zu bringen, um die Formulierung des JGG zu zitieren. Innerhalb der Altersgruppe der 14 bis unter 21-

2 Wir haben uns absichtlich für die wertfreie Begrifflichkeit “Reaktion“ entschieden, weil wir an

dieser Stelle nicht die Sinnhaftigkeit von Strafe und Justiz thematisieren können

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Jährigen wird gewöhnlich zwischen Jugendlichen (14 bis unter 18-jährig) und jungen Erwachsenen (18 bis unter 21-jährig) unterschieden. Obwohl also die Grenzen des Altersbereichs langfristig feststehen, kann das empirisch vorfindliche Durchschnittsalter sehr wohl variieren.

Nun folgen die zentralen Erkenntnisse der Auswertung, auf knappe Kernsätze komprimiert:

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1. Jugenddelinquenz ist männlich, der Anteil der Mädchen/jungen Frauen bleibt langfristig gesehen recht stabil und bewegt sich (außer in 1998) zwischen 20 und 25 Prozent (Diagramm 1).

2. Jugenddelinquenz im Landkreis Kassel ist deutsch. Der Anteil der Klienten mit Migrations-Hintergrund macht deutlich, dass diese Bevölkerungs-gruppe nicht überrepräsentiert ist (Diagramm 2).

3. In der Klientel ist die geringe Schulbildung auffällig stark vertreten. Durch Umstellungen in der Dokumentation sind nur die Jahre ab 2006 nach dem selben Maßstab erfasst - und selbst hier beschränkt sich die Erfassung auf die Fälle, in denen eine Hauptverhandlung stattfand. Hauptschüler (zur Tatzeit) und ehemalige Hauptschüler bilden das Schwergewicht. Ein noch niedrigeres Schulniveau (Förderschule) und Personen ohne jeden Schulabschluss können im Geist addiert werden und lassen den Anteil der Personen mit „geringer Schulbildung“ auf über 50 % ansteigen (Diagramm 3 und Tabelle 1). Innerhalb der beobachteten drei Jahre nehmen allerdings die Hauptschulabsolventen unter den JGH-Klienten beständig ab und der Anteil der Schüler „höherer“ Schultypen nimmt deutlich zu.

4. Im Diagramm 4 fällt der hohe Anteil der Schüler ins Auge, der zudem auch noch sichtbar im Steigen begriffen ist und bald die 50-%-Marke überschritten haben wird. Durch Umstellungen in der Dokumentation sind nur die Jahre ab 2006 nach dem selben Maßstab erfasst - und selbst hier beschränkt sich die Erfassung auf die Fälle, in denen eine Hauptverhandlung stattfand. Auszubildende und Erwerbstätige zusammengenommen ergeben nur ein Fünftel der JGH-Klienten, ein Anteil der kleiner ist, als die Arbeits- und Ausbildungssuchenden, weil im weiteren Sinne hierzu auch alle Maßnahmeteilnehmer und Vollzeit-Berufsschüler dazugehören. Diese letztgenannte Kategorie ist sozialpolitisch kritisch zu sehen und machte in 2008 noch ein Viertel der Fälle aus. Erfreulicherweise ist aber dieser Anteil im Sinken begriffen (Diagramm 4).

5. Das Durchschnittsalter hat sich weniger verändert als gedacht. Es ist für Jungen/junge Männer geringfügig gesunken (um dreieinhalb Monate);

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etwas weniger - nämlich um zweieinhalb Monate - sank das mittlere Alter der Mädchen/jungen Frauen im Beobachtungszeitraum. Durchgängig ist das Alter der weiblichen Delinquenten ca. ein halbes Jahr geringer als das "männliche Alter" (Diagramm 5). Die Verringerung des Durchschnitts-alters ist offenbar hauptsächlich auf einen Rückgang der (männlichen !) 20-jährigen Delinquenten zurückzuführen. Alle anderen Altersjahrgänge bilden stabile Anteile des Klientels, insbesondere ist eine auffällige Zunahme von 14- und 15-jährigen nicht zu erkennen. (Diagramm 6 und Tabelle 2) . Der Rückgang der 20-jährigen ab etwa 2003 zeigt sich auch in der Grobeinteilung zwischen "Jugendlichen" und "jungen Erwachsenen" (Diagramm 7). D. h. dass die journalistisch verkürzte Behauptung: "Die Täter werden immer jünger." am Kern der Sache vorbeigeht und dass (wenn es denn unbedingt eine markante Formulierung sein soll) es besser heißer müsste: "Die jungen Erwachsenen werden ‚braver’."

6. Im Diagramm 8 zeigt sich deutlich, dass die journalistisch geprägte Meinung, Jugendcliquen und Jugendbanden seien die typische Tätergruppe, nicht der Wirklichkeit entspricht. Delikte, die aus einer Gruppe heraus begangen wurden, machen nur ein gutes Drittel aller Fälle aus. Richtiger Teilaspekt am o.g. Vorurteil ist allerdings, dass der Anteil der Gruppendelikte im Beobachtungszeitraum angestiegen ist.

7. Alle vier Ausprägungen der Freiheitsstrafen (Kurzarrest, Dauerarrest, Jugendstrafe mit und ohne Bewährung) nahmen beständig und über den ganzen Beobachtungszeitraum hinweg ab. Die einzelnen Kurven ähneln sich sehr. Die Kurve des Anteils der Kurzarreste (dieser dauert unter einer Woche, oft nur Samstag/Sonntag, um mit Bildung/Ausbildung nicht in Konflikt zu treten) beschreibt ein doppeltes U, der erste weniger ausgeprägte Tiefpunkt liegt im Jahre 2002 (0,6 % der Fälle) und der zweite ausgeprägtere Tiefpunkt liegt im Jahr 2006 (0,3 % der Fälle). Auch die Anteile der Dauerarreste (dieser dauert zwischen einer und vier Wochen; beide Arrestvarianten werden in den Arrestanstalten Gelnhausen und Friedberg verbüßt) und der Jugendstrafen (die zwischen mindestens 6 Monaten und höchstens 10 Jahren variiert und in Justizvollzugsanstalten verbüßt wird) beschreiben eine u-förmige Kurve, deren Tiefpunkt im Jahre 2006 (keine Jugendstrafen ohne Bewährung) bzw. im Jahr 2007 (nur 1,4 % Dauerarreste und 0,7 % Jugendstrafen mit Bewährung) liegt. Wird Bewährung gewährt, so braucht die Freiheitsstrafe nicht tatsächlich angetreten zu werden - ein gewisses "Wohlverhalten" vorausgesetzt (Diagramm 9).

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8. Gewaltdelikte schienen in konjunkturähnlichen Wellen aufzutreten: bei der Diagrammanalyse zeigt sich eine höhere Gewaltbelastung in den Jahren von 2000 bis 2002 und von 2005 bis 2008. Langfristig ist der Anteil der Gewaltdelikte von deutlich unter 20 % auf deutlich über 20 % ange-stiegen (Diagramm 10 a). Eigentumsdelikte bilden stabil den größten Anteil an allen Delikten, ihr Anteil bewegt sich in der Nähe der 50-%-Marke (Diagramm 10 b). Die Straßenverkehrsdelikte bilden einen stabilen Anteil von rund 18 % (Diagramm 10 c). BtmG-Verstöße spielen eine viel kleinere (und dabei tendenziell sinkende) Rolle als gedacht. Der diesbezügliche Anteil bewegt sich um den Wert von 6 % der Fälle herum (Diagramm 10 d). Die sonstigen Delikte (sechs bis neun Prozent der Fälle) werden hier nicht analysiert, sie sind nur der Vollständigkeit halber aufgeführt (Diagramm 10 e).

9. Bis hin zum Jahr 2005 - ganz deutlich in den Jahren von 2001 bis 2005 - gab es die Entwicklung weg von den Hauptverhandlungen und hin zur Diversion. In der justiziellen Aufarbeitung der Fälle aus 2005 lässt sich eine Richtungswende ausmachen: bis einschließlich zum Tatjahr 2005 stieg der Anteil der Diversionen und Einstellungen ohne Weisungen und Auflagen, während die Diversionen mit Weisungen beständig über den ganzen Beobachtungszeitraum schrumpfen (Diagramm 11). Ähnlich wie die Diversionen mit Weisungen nahm auch bis 2005 der Anteil der Hauptverhandlungen (in denen allesamt mindestens eine Weisung oder Auflage auferlegt worden ist) beständig ab. Strafbefehle sind eng mit Straßenverkehrsdelikten assoziiert, spielen aber von der Menge her nur eine marginale Rolle, randständig ist auch der Anteil der Freisprüche. Ab dem Tatjahr 2005/06 wendet sich aber das Bild deutlich: die Diversionen ohne Weisungen nehmen ab und der Anteil der Hauptverhandlungen (die mit einer Weisung/Auflage oder mehr sanktionieren) steigt an. Wie oben schon gesagt, nimmt der Anteil der Diversionen mit Weisungen weiterhin ab. Zusammen erreichen die beiden Varianten von Diversionen und Einstellungen in 2008 einen Anteil von unter 60 % an allen Fällen, der kleinste Wert, den es seit 1997 (= im Beobachtungszeitraum) bisher gab.

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10. Auch bei der Betrachtung der justiziellen Sanktion im engeren Sinne (Diagramm 12) zeigt sich wiederum der o.g. Wendepunkt. Bis zum Tatjahr 2004 steigt der Anteil der Verfahren ohne direkte Sanktion und parallel sinkt der Anteil der Sanktionen mit Justizmitteln (Geldbußen und Freiheitsstrafen) bis zum niedrigsten Wert im Tatjahr 2005. Seit 2004 sinkt der Anteil der sanktionslosen Verfahren und seit 2005 steigt der Anteil der Verfahren wieder an, die mit Justizmitteln sanktioniert werden. Das Tatjahr 2008 hat in etwa die Größenordnung der Justizmittel-Sanktion von 1998 wieder erreicht. In ihrer U-Förmigkeit mit dem Tiefpunkt im Jahr 2005 ähnelt diese Kurve sowohl in Form als auch in ihrer Bedeutung der im Kernsatz 7 beschriebenen Entwicklung im Zeitverlauf der Freiheitsstrafen. Allerdings erreichen die Anteile der Freiheitsstrafen im Jahr 2008 nur etwa den halben Wert des Jahres 1998, während die justizielle Reaktion insgesamt den vollen Wert von 1998 wieder erreicht. Offenbar haben die Geldbußen an Bedeutung gewonnen. Die Anteile der Sanktionen mit Jugendhilfeaktivitäten (im weitesten Sinne pädagogisch intervenierend, einschließlich der Arbeitsauflagen) durchlaufen im Beobachtungszeitraum dieselbe U-förmige Kurve, allerdings hat sie ihren tiefsten Punkt (Wendepunkt) im Tatjahr 2003: vorher sinken die Anteile der Sanktionen mit Jugendhilfeaktivitäten (im damaligen Zeitraum stiegen die Anteile der Fälle ohne Sanktionen) und nach 2003 stiegen die Anteile der Sanktionen mit Jugendhilfe-Aktivitäten parallel mit den Anteilen der Fälle mit Justizmittelsanktionen (in dieser näheren Vergangenheit sinken jetzt die Anteile der Fälle ohne Sanktion). Inzwischen (in der Aufarbeitung des Tatjahres 2008) gibt es mehr Jugendhilfe-Reaktionen denn je; ihr Anteil von fast 39 % war (im Beobachtungszeitraum) noch nie so hoch.

11. Die Auswertung der Delinquenzbelastung der einzelnen Gemeinden (Diagramme 13 a, b und c) ist mit relativ viel Tabellenmaterial verbunden; hier werden jetzt nur drei Jahre (nämlich von 2005 bis 2007) dargestellt. Im Vergleich zur polizeilichen Kriminalstatistik ist diese Auswertungsrichtung allerdings besonders wertvoll. Denn bekanntlich registriert die Polizei in ihrer Statistik nicht den Wohnort des Tatverdächtigen, sondern ausschließlich den Tatort. Ganz links im Diagramm sehen Sie als geeignete Bezugsgrößen jeweils die Mittelwerte des gesamten Landkreises. Einige Gemeinden sind insgesamt hoch belastet; hierzu gehören Ahnatal, Kaufungen und Lohfelden (Diagramme 14 a bis c). Einige Gemeinden haben nur hin und wieder ein hochbelastetes Jahr; hierzu gehören Espenau, Immenhausen, Wolfhagen (2005), Fuldatal, Liebenau (2006), Hofgeismar (2007)

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Jugenddelinquenz ist auch in kleinen, großstadtfernen Gemeinden zu verzeichnen. Dies wird sichtbar z. B. in den überdurchschnittlichen Werten von Nieste (2007), Bad Karlshafen und Liebenau (im Jahr 2006). Zusammenfassend bleibt also festzuhalten, dass nur wenige Gemeinden einen längeren Zeitraum über belastet sind und dass auch andersherum nur wenige Gemeinden dauerhaft unbelastet (dazu zählen eigentlich nur Habichtswald und Schauenburg) sind. Schon allein diese Erkenntnis verpflichtet zu nüchternen Reaktionen und unaufgeregten politischen Konsequenzen.

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Tabelle 1 Niveau der Schulbildung/ neuberechnet am 15.3.2011

(nur Fälle mit Hauptverhandlung) Gesamt

keine Angaben (z.T.

einschl. „ohne

Abschluss“)

Schüler

der Förder- schule

Schüler

der Haupt- schule

Schüler

der Real- schule

Schüler

Fachober-schule / Gymnas.

Förder- schul-

abschluss

Haupt- schul-

abschluss

Realschul-abschluss

Fach-

abitur / Abitur

ohne Schul- abschluss

Tatjahr 1998 Anzahl 14 3 17 5 8 11 65 21 4 46 194

% 7,2% 1,5% 8,8% 2,6% 4,1% 5,7% 33,5% 10,8% 2,1% 23,7% 100,0%

1999 Anzahl 16 6 10 5 4 11 87 20 12 48 219

% 7,3% 2,7% 4,6% 2,3% 1,8% 5,0% 39,7% 9,1% 5,5% 21,9% 100,0%

2000 Anzahl 34 8 10 4 1 15 67 33 14 39 225

% 15,1% 3,6% 4,4% 1,8% ,4% 6,7% 29,8% 14,7% 6,2% 17,3% 100,0%

2001 Anzahl 53 6 13 6 4 10 71 41 11 17 232

% 22,8% 2,6% 5,6% 2,6% 1,7% 4,3% 30,6% 17,7% 4,7% 7,3% 100,0%

2002 Anzahl 65 14 18 3 4 6 76 45 20 0 251

% 25,9% 5,6% 7,2% 1,2% 1,6% 2,4% 30,3% 17,9% 8,0% ,0% 100,0%

2003 Anzahl 63 11 22 6 6 2 67 31 7 1 216

% 29,2% 5,1% 10,2% 2,8% 2,8% ,9% 31,0% 14,4% 3,2% ,5% 100,0%

2004 Anzahl 68 12 25 7 1 5 73 40 9 1 241

% 28,2% 5,0% 10,4% 2,9% ,4% 2,1% 30,3% 16,6% 3,7% ,4% 100,0%

2005 Anzahl 52 14 19 4 8 8 72 37 13 5 232

% 22,4% 6,0% 8,2% 1,7% 3,4% 3,4% 31,0% 15,9% 5,6% 2,2% 100,0%

2006 Anzahl 37 12 40 23 23 8 86 31 10 44 314

% 11,8% 3,8% 12,7% 7,3% 7,3% 2,5% 27,4% 9,9% 3,2% 14,0% 100,0%

2007 Anzahl 16 25 70 49 40 14 95 43 4 48 404

% 4,0% 6,2% 17,3% 12,1% 9,9% 3,5% 23,5% 10,6% 1,0% 11,9% 100,0%

2008 Anzahl 9 33 75 59 36 11 98 40 10 44 415

% 2,2% 8,0% 18,1% 14,2% 8,7% 2,7% 23,6% 9,6% 2,4% 10,6% 100,0%

Gesamt Anzahl 427 144 319 171 135 101 857 382 114 293 2943

% 14,5% 4,9% 10,8% 5,8% 4,6% 3,4% 29,1% 13,0% 3,9% 10,0% 100,0%

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Tabelle 2 Alter in Jahren

Gesamt

14 15 16 17 18 19 20

Tatjahr 1998 Anzahl 98 111 103 113 125 100 108 758

% 12,9% 14,6% 13,6% 14,9% 16,5% 13,2% 14,2% 100,0%

1999 Anzahl 116 122 151 113 133 133 110 878

% 13,2% 13,9% 17,2% 12,9% 15,1% 15,1% 12,5% 100,0%

2000 Anzahl 109 148 149 127 127 115 117 892

% 12,2% 16,6% 16,7% 14,2% 14,2% 12,9% 13,1% 100,0%

2001 Anzahl 132 135 141 128 107 107 99 849

% 15,5% 15,9% 16,6% 15,1% 12,6% 12,6% 11,7% 100,0%

2002 Anzahl 163 152 128 137 138 141 130 989

% 16,5% 15,4% 12,9% 13,9% 14,0% 14,3% 13,1% 100,0%

2003 Anzahl 187 177 191 167 138 158 104 1122

% 16,7% 15,8% 17,0% 14,9% 12,3% 14,1% 9,3% 100,0%

2004 Anzahl 168 226 208 206 176 189 140 1313

% 12,8% 17,2% 15,8% 15,7% 13,4% 14,4% 10,7% 100,0%

2005 Anzahl 198 241 216 214 202 145 140 1356

% 14,6% 17,8% 15,9% 15,8% 14,9% 10,7% 10,3% 100,0%

2006 Anzahl 179 197 214 190 161 135 111 1188

% 15,1% 16,6% 18,0% 16,0% 13,6% 11,4% 9,3% 100,0%

2007 Anzahl 150 218 227 204 180 155 115 1249

% 12,0% 17,5% 18,2% 16,3% 14,4% 12,4% 9,2% 100,0%

2008 Anzahl 184 213 192 150 146 162 122 1169

% 15,7% 18,2% 16,4% 12,8% 12,5% 13,9% 10,4% 100,0%

Gesamt Anzahl 1684 1940 1920 1749 1633 1540 1296 11763

% 14,3% 16,5% 16,3% 14,9% 13,9% 13,1% 11,0% 100,0%

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Die Jugendgerichtshilfe des Landkreises Kassel und ihre Klienten. Hinter den Zahlen: Die jungen Menschen und ihre Situation „Zur Wahrscheinlichkeit gehört auch, dass das Unwahrscheinliche eintreten kann!“ (Aristoteles, griechischer Philosoph, 384-322 v.Chr.) Statistik. Das ist so eine Sache... vor allem: sehr viele Zahlen. Sie sind mehr oder weniger schnell überflogen oder gelesen, aber was sagen sie aus? „Ich denke bei ‚Statistik’ an den Jäger, der an einem Hasen beim ersten Mal knapp links vorbeischoss und beim zweiten Mal knapp rechts vorbei. Im statistischen Durchschnitt ergäbe dies einen toten Hasen.“ (Franz Steinkühler,*1937; Gewerkschafter bis 1993)

Wir, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe im Strafverfahren, (oder auch Jugendgerichtshilfe, wie es früher hieß und wie auch heute noch als Begriff im Arbeitsalltag verwendet wird), möchten gern näheres Wissen erlangen über das was wir tun, mit wem wir wie arbeiten und ob sich hier mittel- oder langfristig Veränderungen zeigen. Wir erfassen daher seit 1996 statistische Daten über unsere Arbeit mit unseren Klienten und werten diese mit freundlicher und kompetenter Unterstützung durch die Uni Kassel (unseren herzlichsten Dank an Jens Bukowski) in Abständen immer wieder aus. Seit 2005 geben wir diese Daten in ein EDV-System (Prosoz) ein. In der täglichen Praxis ist es nicht immer beliebt diese Daten sorgfältig zu pflegen. Es ist uns aber wichtig und wertvoll neben der Einzelfallarbeit auch einen Blick auf die größeren Zusammenhänge werfen zu können und auf Herausforderungen mit notwendigen Veränderungen zeitnah reagieren zu können. Und wenn bei manchen Betrachtungen herauskommt, dass im Landkreis Kassel die Verhältnisse im Zusammenhang mit strafrechtlich in Erscheinung getretenen jungen Menschen nicht wesentlich anders sind als in anderen Teilen der Republik, so haben wir dies aber substanziell dokumentiert und können uns vielleicht unaufgeregter als andernorts der täglichen Praxis stellen.

Wir möchten darüber hinaus die Veröffentlichung der Statistik nutzen um aufzuzeigen, das hinter jeder dieser statistischen Zahlen, ob Bagatelldelikt oder Kapitalverbrechen, ein junger Mensch mit seiner eigenen persönlichen Geschichte und dem ureigenen Erleben seiner Situation zu finden ist. Wer mit Zahlen argumentiert, kann im optimalen Fall das Typische zeigen, kann aber oft nicht „berühren“. Wer ohne Zahlen argumentiert, liest sich interessanter, kann aber seine Ergebnisse oft nicht mit denen anderer Orte oder Zeiten vergleichen. Mit dieser Veröffentlichung soll das Typische verbunden mit dem Einmaligen, das auch berührt, dargestellt werden. Dazu mögen die folgenden anonymisierten realen Fälle dienen, die Kolleginnen und Kollegen aus ihrer Praxis beigesteuert haben.

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Geschlecht, Alter: m, 16J Art des Verfahrens: Hauptverhandlung, Jugendschöffengericht Delikt: Diebstähle, Körperverletzungen, Fahren ohne Fahrerlaubnis,

Unfallflucht Vorbelastungen: Keine Entscheidung der Justiz:

Jugendstrafe 12 Monate, 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt, Weisung an einem Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) beim Jugendamt teilzunehmen und sich zur stationären Entgiftung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu begeben

Bemerkungen: Entgiftung, Inobhutnahme, stationäre Jugendhilfemaßnahme

„Der Drahtseiltänzer“ Falldokumentation über Jan, 16 Jahre In der JGH ging eine Reihe von Strafanzeigen ein, in denen Jan verschiedener Straftaten (Diebstahl, Körperverletzung, usw.) beschuldigt wurde. Da sein Aufenthaltsort damals unbekannt war, wurden die Verfahren vorläufig eingestellt. Zuvor hatte es bereits Kontakt zwischen Jan und dem Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes (ASD) gegeben. Sein Vater war früh verstorben, die Mutter psychisch krank. Der vier Jahre jüngere Bruder lebte bei den Großeltern, die mit Jan aber überfordert waren. So wurde Jan in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht, aus welcher er einige Zeit später weglief und untertauchte. Ca. ein dreiviertel Jahr später stand Jan mit seiner Freundin und deren Mutter im Jugendamt. Er wollte sich Hilfe holen, weil er festgestellt hatte, dass er allein nicht klar kommt. Er hatte auch schon sehr konkrete Vorstellungen, wie die Hilfe auszusehen hatte. Er wollte in eine Einrichtung für mehrfach straffällig gewordene, besonders schwierige junge Männer, die in den Medien sehr präsent war. Aufgrund der vielen vorliegenden Straftaten wechselte die Zuständigkeit vom ASD in die JGH. Es folgte ein ausführliches Gespräch, in dem Jan Raum bekam, seine Situation zu schildern und seine Bedürfnisse zu äußern. Zugleich wurde ihm erklärt, dass er zunächst vorübergehend in einer Inobhutnahmestelle aufgenommen werden kann. Von dort würde dann gemeinsam geschaut, welche Hilfe bzw. Einrichtung für ihn passend ist. Er müsse dann allerdings auch Verantwortung für die Straftaten übernehmen. Dies gefiel Jan nicht, aber er ließ sich überzeugen und wurde so auf eigenen Wunsch in Obhut genommen. Im Folgenden wurden die sorgeberechtigte Mutter, die Großeltern und die Justiz informiert. Es wurde ein Termin für ein Hilfeplangespräch vereinbart. Doch dazu sollte es vorerst nicht kommen. Einige Tage später riefen die Mitarbeiter der Inobhutnahmestelle an und teilten mit, dass an jenem Morgen überraschenderweise die Polizei bei ihnen war und Jan aus

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dem Bett holte, um ihn für einen noch ausstehenden Arrest abzuholen. Er sei nun erst mal für 2 Wochen in Haft. Nebenher sei es mit Jan so schwierig (er halte sich nicht an Regeln, konsumiere Cannabis und beeinflusse die anderen Jugendlichen negativ), dass die JGH ihm bitte eine andere Unterkunft suchen soll. Man sei nicht mehr bereit, Jan nach seiner Haft dort aufzunehmen. Die Mitarbeiterin der JGH fand eine Jugendhilfeeinrichtung, die Jan aufnehmen wollte und so wurde er nach seinem Arrest in einer Jugendwohngruppe untergebracht, wo er auch dauerhaft hätte bleiben können. Bereits wenige Tage später (am Freitag) plante die Wohngruppe einen Urlaub an der Ostsee und man sah es als guten Start. Jan würde es so leichter haben, sich in der Gruppe einzufinden. Am Montag erhielt die Mitarbeiterin der JGH einen Anruf des Heimleiters. Jan habe, gemeinsam mit einem anderen Jugendlichen, eine gefährliche Körperverletzung begangen und der Heimleiter habe ihn in einen Zug zurück nach Kassel gesetzt. Jan könne nicht mehr bei ihnen bleiben. Nach einer Beratung mit dem Abteilungsleiter der JGH konnte eine andere Jugendhilfeeinrichtung gefunden werden, die bereit war, es mit Jan zu versuchen. Die Mitarbeiterin der JGH holte Jan vom Bahnhof ab und es fand ein ausführliches Aufnahmegespräch mit dem Leiter der neuen Einrichtung im Jugendamt statt. Jan wurde dort aufgenommen und es kam erst mal zu keinen neuen Zwischenfällen. Es fand ein Hilfeplangespräch statt, in dem auch Jans Wiedereingliederung ins Schulsystem besprochen wurde. Jan konsumierte trotz aller Vereinbarungen weiterhin Cannabis, wodurch seine Unterbringung immer wieder gefährdet war. Dennoch schaffte er es, sich zu stabilisieren und besuchte sogar wieder regelmäßig die Schule. Die Einrichtung schaffte es, seinen Provokationen standzuhalten und wurde für Jan zu einem neuen Zuhause. Es gab auch einen regelmäßigen Kontakt zu seinen Großeltern und seinem Bruder. Die Großeltern wirkten sehr erleichtert und auch Jan fühlte sich von ihnen angenommen. Einzig zur Mutter verweigerte Jan durchgängig den Kontakt. Sie hatte es in der Vergangenheit nicht geschafft, ihn vor gewalttätigen Übergriffen durch neue Partner zu schützen und – was Jan viel härter traf – sie machte Jan für von ihr begangene Fehler verantwortlich. Ihr gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich. Sie lebte schon lange in einer Familie für betreutes Wohnen und kam nun ins Krankenhaus auf die Intensivstation. Es war unklar, ob sie überlebt. Die seelischen Verletzungen bei Jan erlaubtem ihm aber kein Einlenken. Aufgrund seiner äußerst problematischen Beziehung zu seiner Mutter und den frühen Gewalterfahrungen wurde Jan immer wieder nahegelegt, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben, was er jedoch ablehnte. Sehr belastet waren auch seine Beziehungen zu jungen Frauen. Das Mädchen, mit der er befreundet war, als er ins Jugendamt kam, war drogenabhängig und wurde von ihm schwanger. Eine denkbar ungünstige Situation, doch Jan hätte gerne die Aufgabe des Vaters übernommen und so war er tief verletzt, als sie eine Abtreibung vornahm.

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Ca. zwei Jahre später hatte er wieder eine feste Freundin. Sie stammte aus sogenannten geordneten Verhältnissen. Ihr Vater war Polizist, was Jan mit einem schelmischen Grinsen berichtete. Zunächst war er begeistert von der Familie, doch diese „heile Welt“ wurde auch immer unerträglicher für ihn, da sie ihm verdeutlichte, auf was er hatte verzichten müssen. Auch dieses Mädchen wurde schwanger. Auch sie machte eine Abtreibung. Jan stand zu ihr, obwohl er auch hier lieber Vater geworden wäre. Er respektierte ihre Entscheidung. Kurze Zeit später ging die Beziehung in die Brüche. Dann kam der Tag, an dem alle ausstehenden Anklagen verhandelt wurden. Es ging um: Diebstahl in besonders schwerem Fall, Einbruchdiebstahl, 3x gefährliche Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis mit Unfallflucht, Leistungserschleichung und Ladendiebstahl. Jan war sehr aufgeregt, denn es ging für ihn um Jugendstrafe. Aufgrund seiner Stabilisierung und der Tatsache, dass schon mehrere Monate keine neuen Vorfälle mehr verzeichnet worden sind, wurden die 12 Monate Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Jan erhielt zudem die Auflage, an einem Anti-Aggressivitäts-Training teilzunehmen und sich zur Entgiftung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) zu begeben. Jan bekam eine Bewährungshelferin, die sich sehr für ihn engagierte. Es fand auch eine enge Zusammenarbeit zwischen ihr und der Mitarbeiterin der JGH statt. Sicherlich hatte auch Jans Auftreten dazu beigetragen. Anders als die Fakten es erwarten ließen, ist Jan ein sehr freundlicher, charmanter, intelligenter junger Mann, den man auf Anhieb sympathisch findet und für den man sich gerne einsetzt. Trotz aller Probleme, die Jan bereitete, schaffte er es immer, dass sich das Blatt gerade noch so zum Guten wendete. Er glich einem Drahtseiltänzer, der jederzeit abzustürzen drohte und es dennoch nicht tat. Jan schaffte schließlich sogar seinen Hauptschulabschluss, worauf er sehr stolz war. Er lud seine Großeltern und die Mitarbeiterin der JGH in „sein Zuhause“ ein, um es mit ihnen zu feiern. Es gab Kaffee und Erdbeerkuchen, den Jan stolz servierte. Zunächst besuchte er weiter die Schule, denn man traute ihm auch einen höheren Schulabschluss zu. Zum Leiter der Jugendhilfeeinrichtung hatte Jan eine Vater-Sohn-Beziehung aufgebaut, während sein Bezugsbetreuer eher wie ein großer, strenger Bruder auftrat. Über die Beziehungen der Einrichtung fand Jan sogar einen Ausbildungsplatz als Mechaniker für Landmaschinen. Er brach die Schule, in der es zunehmend Probleme gab, ab und machte erst mal ein Praktikum bei der Firma. Es machte ihm Spaß und er begann kurz darauf die Ausbildung. Gemeinsam mit der Einrichtung war sogar geplant, Jan einen Führerschein zu finanzieren. Doch ganz so glatt lief es dann doch nicht: Es kam zu Fehlzeiten und – wie bereits erwähnt – weiterem Cannabiskonsum, der sein Verhalten und seine Leistungsfähigkeit deutlich einschränkten. Es fanden

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regelmäßige Kontrollen statt, deren Ergebnis manchmal so hoch war, dass es einer Dreistigkeit glich. Jan arbeitete an sich im AAT und ging zur Entgiftung in die KJP, doch bereits kurz nach seiner Entlassung wurde er wieder rückfällig. Es gab auch einen tätlichen Übergriff auf eine Jugendliche in seiner Wohngruppe, der allerdings ohne formelles Strafverfahren in der Einrichtung aufgearbeitet wurde. Ein weiteres Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf einem Motorroller führte aufgrund der sonst recht ordentlich laufenden Bewährung nicht zu einem Widerruf, sondern Jan erhielt die Auflage, 20 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Die Stunden erledigte Jan, obgleich er sich Zeit lies und erst fertig wurde, als die Frist bereits verstrichen war. Regelmäßig fanden Krisengespräche statt und Jan stand ständig auf der Kippe, dass die Jugendhilfe beendet oder die Bewährung widerrufen wurde. Es nahte die Volljährigkeit und im Hilfeplangespräch sollte erarbeitet werden, wie es weitergehen soll. Jan, der sich sehr gut eingelebt hatte, wollte gerne weiterhin in der Einrichtung bleiben und auch die Mitarbeiter dort schienen fast traurig in Anbetracht des anstehenden Abschieds. Es wurde vereinbart, dass Jan in eine eigene Wohnung verselbstständigt wird und zunächst eine ambulante Betreuung durch seinen bisherigen Betreuer erhält. Aufgrund der schwierigen geographischen Situation (Ausbildungsstelle auf dem platten Land muss erreichbar sein) und vielleicht auch aus mangelndem Engagement wurde keine Wohnung gefunden. Da der Auszug unweigerlich näher rückte entstand als Notlösung, dass Jan eine von der restlichen Einrichtung abgetrennte Einliegerwohnung bezog. Jan freute sich, spürte, dass er weiterhin angenommen war und unternahm auch keine weitere Anstrengung, einen räumlichen Abstand zu schaffen. Bei der nächsten Erziehungskonferenz trug diese „Notlösung“ dazu bei, dass die Hilfe recht zeitnah innerhalb von wenigen Tagen vollständig beendet wurde. Für Jan war dies eine Katastrophe und er war schwer enttäuscht. Die Einrichtung wollte ihn unterstützen und besorgte ihm ein Zimmer in einer örtlichen Pension. Jan tauchte ab, wurde massiv rückfällig und kam vorübergehend bei einem Bekannten unter, der ebenfalls kein geordnetes Leben führte. Er verlor seine Ausbildungsstelle, weil er nicht mehr hinging. Die Bewährungshilfe und die JGH waren bemüht, Jan aufzufangen und ihm mögliche Perspektiven aufzuzeigen. Es wurde ein erneuter Antrag auf ambulante Hilfe für junge Volljährige gestellt, welcher auch gewährt wurde. Eine Zeitlang lief es recht gut und Jan entschied sich sogar, in eine Therapieeinrichtung zu gehen, um seine Drogenproblematik grundlegend in den Griff zu bekommen.

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Die Therapie brach er nach einigen Wochen ab und wurde erneut massiv straffällig mit Verstößen gegen das BtMG. Die Bewährung wurde kurz vor ihrem Ablauf widerrufen und Jan kam in die Jugendstrafanstalt. Aufgrund guter Führung wurde er vorzeitig wieder entlassen. ...

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Geschlecht, Alter: m, 18J Art des Verfahrens: Hauptverhandlung Jugendrichter (angeklagt) Delikt: Ladendiebstahl Vorbelastungen: Diversion wegen Graffiti in anderem Wohnort Entscheidung der

Justiz: Einstellung des Verfahrens mit schriftlicher Ermahnung ohne Hauptverhandlung, § 47 JGG; (nach Intervention JGH)

Bemerkungen: starke psychische Beeinträchtigung erkannt, später unter gesetzlicher Betreuung

Ein „folgenloser“ Diebstahl ? Fallschilderung zu einem „richterlichen Diversionsverfahren“ Dieser Fall wird unserer Dienststelle mit dem Eingang einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bekannt. Dem 18 jährigen Heranwachsenden wird vorgeworfen in einem Supermarkt eine CD im Wert von 16,99€ gestohlen zu haben. Bisher ist der junge Mann in unserer Dienststelle nicht bekannt, so dass ich mich entschließe ihn standardmäßig mit einem Brief zu einem Jugendgerichtshilfegespräch einzuladen. Zu dem Termin erscheint jedoch niemand. Der junge Mann wird von mir noch weitere zwei Mal eingeladen, kommt jedoch nicht und meldet sich auch telefonisch nicht. Inzwischen wird von Seiten des Gerichtes ein Termin für die Hauptverhandlung festgelegt und schriftlich zugestellt. Wenige Tage vor der Hauptverhandlung steht plötzlich eine Frau im Flur der Jugendgerichtshilfe und spricht meinen Kollegen an. Sie sei die Mutter des besagten Heranwachsenden und habe zu Hause einen Brief vom Amtsgericht gefunden. Sie habe ihren Sohn darauf angesprochen, doch dieser wolle ihr nichts dazu sagen. Bei Gericht habe man ihr gesagt, sie solle sich an die Jugendgerichtshilfe wenden. Sie schildert dem Kollegen, dass sie sich in letzter Zeit große Sorgen um ihren Sohn mache und nicht mehr weiter wisse. Mein Kollege findet heraus, dass ich den Fall bearbeite und verweist die Frau an mich, so dass ich direkt mit ihr sprechen kann. Im Gespräch berichtet sie, dass sie sich große Sorgen um ihren Sohn mache, der anscheinend unter schweren depressiven Schüben leide. Die Frau erklärte, dass ihr Sohn seit etwa acht Wochen nicht mehr die Schule besuche und sich teilweise tagelang im Zimmer einschließe und unter seiner Bettdecke verstecke. Er habe im Alter von sechs Jahren zusehen müssen, wie sein Vater verstarb. Seit dem haben sich immer wieder Auffälligkeiten ergeben. Im Alter von 11 Jahren begab er sich für einen Zeitraum von fünf Monaten stationär in eine Uniklinik. Bis dahin hätten sich die Auffälligkeiten in einer „Reizoffenheit“ geäußert, die sich eher durch aggressives Verhalten gegen die Umwelt richtete. Erst vor kurzem verzog die Familie in unser Zuständigkeitsgebiet. Seit dem habe sich eine drastische Verschlechterung der Situation ergeben. Er leide unter Angstzuständen, verlasse kaum noch das Haus und gehe nicht mehr in die Schule. Mit Unterstützung seiner Mutter sei ein Kontakt mit einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie her-gestellt worden. In nächster Zeit solle er eine Therapie beginnen. Die Mutter könne

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jedoch noch nicht abschätzen, ob eine ambulante Therapie ausreichen werde oder ob er sich in eine stationäre Therapie begeben werde. Ich entschließe mich daraufhin den jungen Mann zu Hause aufzusuchen, um mir dort ein eigenes Bild zu machen. Im persönlichen Gespräch mit dem jungen Mann bestätigten sich die von der Mutter geschilderten Hintergründe. Er schildert mir, dass er sich kaum noch aus dem Haus traue und für sich auch keinerlei Perspektive sehe. Er wisse auch nicht, ob er es schaffe zur Hauptverhandlung ins Gericht zu gehen. Er erklärt mir, dass er in seinem alten Wohnort einmal beim Graffiti sprühen erwischt wurde und daraufhin einige Arbeitsstunden verrichten musste. Er gibt auch sofort zu, dass er dieses Mal in einem Supermarkt eine CD eingesteckt hat. Er wisse noch nicht einmal warum er das gemacht habe, da er das Geld eigentlich dabei hatte. Im Nachhinein ging er noch einmal zum Supermarkt, entschuldigte sich und bezahlte eine „Bearbeitungsgebühr“ in Höhe von 50,00€. Nachdem ich zurück in der Dienststelle bin, rufe ich die zuständige Jugendrichterin an und stelle ihr die Situation dar. Ich erkläre ihr, dass es gut sein kann, dass der junge Mann es auf Grund seiner psychischen Verfassung nicht schafft zur Hauptverhandlung zu kommen. In der Regel ist die Folge, dass der Betroffene von der Polizei zu Hause abgeholt und der Hauptverhandlung zugeführt wird. Nach meiner Einschätzung würde diese Verfahrensweise für den Heranwachsenden eine in höchstem Maße beängstigende Situation darstellen und wäre aufgrund der momentanen Verfassung sicherlich eher schädlich. Aus diesem Grund schlage ich der Jugendrichterin vor, das Verfahren gegen ihn ohne Gerichtsverhandlung einzustellen und ihm stattdessen eine schriftliche Ermahnung zukommen zu lassen. Außerdem ist mein Vorschlag eine Einstellung des Verfahrens ohne weitere sanktionierende Maßnahmen, da meine Einschätzung der momentanen Situation auch die Ableistung von beispielsweise gemeinnütziger, unentgeltlicher Arbeit nicht zulässt. Sie bittet mich, dies mit dem zuständigen Staatsanwalt zu besprechen und eine Rückmeldung an sie zu geben. Auch der Staatsanwalt ist mit dieser Vorgehensweise einverstanden, zumal ich hier über erste Behandlungsschritte berichten kann. Darauf kann der Termin zur Hauptverhandlung abgesagt werden und der junge Mann wird von der Richterin schriftlich ermahnt.

Einige Wochen später meldet sich die Mutter telefonisch bei mir im Büro und erklärt,

dass die Psychologen bei ihrem Sohn eine schwere Depression festgestellt haben und

er sich in eine stationäre Therapie begeben muss, welche er auch antritt.

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Geschlecht, Alter: m, 12 Jugendliche 13-14 Jahre alt Art des Verfahrens: Täter-Opfer-Ausgleich im Diversionsverfahren der

Staatsanwaltschaft Delikt: Sachbeschädigungen Vorbelastungen: Lediglich ein Jugendlicher hatte bereits ein Diversionsverfahren

bis dahin Entscheidung der

Justiz: Einstellung des Verfahrens gem. § 45 JGG im Diversionsbereich, im Hinblick auf den erfolgreich durchgeführten TOA

Bemerkungen: Ungewöhnliche und aufwändige Wiedergutmachung mit einer relativ großen Gruppe Jugendlicher

„Gewalt im Wald“ Bericht über einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA). Wiedergutmachungsleistung unter Einsatz der Ambulanten Maßnahmen Die Staatsanwaltschaft schickt der Jugendgerichtshilfe eine Akte mit der Bitte zu, einen Täter-Opfer-Ausgleich durchzuführen. Als Täter waren 12 Jugendliche und ein strafunmündiger Junge (ein dreizehnjähriger) angegeben. Der Tatvorwurf lautete Diebstahl und Sachbeschädigung. Die Jugendlichen hatten Sachbeschädigungen im Wald begangen, Äste abgesägt, Schützengräben und Unterstände gebaut und mehrere schwache Bäume gefällt. Von Unterständen in unmittelbarer Nähe hatten sie zwei Tarnnetze entwendet, um ihre Unterstände damit zu tarnen. Es handelte sich um ausschließlich männliche Jugendliche. Die unterschwellige Vermutung war zunächst auch, ob die Jugendlichen hier nicht eine Art „Wehrsportübung“ durchgeführt hatten und eventuell extremistisches Gedankengut aus der „rechten Szene“ eine Rolle spielt. Geschädigt waren in dieser Angelegenheit eine Hessische Revierförsterei sowie die Bundesforst Hauptstelle. Die Tatzeit war nicht genau zu bestimmen, ca. August bis November waren vermutet. Die Akten gingen, nachdem die polizeilichen Vernehmungen durchgeführt waren und zur Staatsanwaltschaft weitergeleitet waren Ende März bei der Jugendgerichtshilfe ein, mit der Bitte hier die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu versuchen. Nach Durchsicht der Akten wurde von Seiten der Jugendgerichtshilfe telefonisch Kontakt zu den Geschädigten aufgenommen und es fanden in diesem Rahmen mehrere Telefonate statt (mit dem Leiter des Forstamtes und dem Forstwirt). In diesen Telefonaten erklärten sich die Geschädigten bereit, an einem Täter-Opfer-Ausgleich mitzuwirken. Im Anschluss fand ein Vorgespräch mit den beiden Kollegen, die bei unserem Jugendamt die Ambulanten Maßnahmen für straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende durchführen statt. Diese erklärten sich dazu bereit, den Täter-Opfer-Ausgleich und die Wiedergutmachung des Schadens mit den Jugendlichen praktisch durchzuführen. Dann wurden alle Jugendlichen und ihre Eltern angeschrieben und zu einem Vorbereitungsgespräch eingeladen. Zu dem Vorgespräch wurden ebenfalls die beiden Kollegen, welche die Ambulanten Maßnahmen durchführen sowie der geschädigte Forstwirt eingeladen, die alle ihr Kommen zusagten.

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Ein paar Tage, nachdem die Einladungen rausgegangen waren, rief der Vater eines Jugendlichen an und teilte mit, dass sein Sohn nur einmal im Wald übernachtet habe, aber mit den Sachbeschädigungen nichts zu tun gehabt habe. Das wurde telefonisch mit dem Jugendstaatsanwalt geklärt, der aber meinte, dass dieser Jugendliche zumindest an dem gemeinsamen Vorgespräch teilnehmen sollte und die Angelegenheit für ihn dann erledigt sei. Das Ausgleichsgespräch fand dann bereits am 20. April statt. Bis auf einen Jugendlichen, der sich von den anderen entschuldigen ließ, da er sich auf einer Klassenfahrt befand, waren alle Jugendlichen mit ihren Eltern erschienen. Zunächst wurde besprochen, ob auch der strafunmündige Junge und seine Eltern dazu bereit waren, ebenfalls freiwillig an dem Täter-Opfer-Ausgleich teilzunehmen. Das war der Fall. Der Forstwirt hatte bereits mit seinem Kollegen im Vorfeld überlegt, was für Arbeiten von der Gruppe Jugendlicher im Wald durchgeführt werden könnten. In dem gemeinsamen Gespräch konnten anstehende Fragen geklärt werden, Informationen gegeben werden über den Ablauf usw.. Die genauen Modalitäten sowie der Zeitpunkt wurde mit allen Beteiligten festgelegt. Es wurde ein umfassender Arbeitseinsatz an einem Wochenende vereinbart. Die Eltern erklärten sich damit einverstanden, dass die Jugendlichen mit Betreuung eine Nacht im Wald übernachteten. Das wurde dann mit dem Forstwirt geklärt, der ebenfalls damit einverstanden war und eine Ausnahmegenehmigung für die Übernachtung ausstellen wollte. Es war dann eine umfangreiche Vorbereitung und Vorarbeit notwendig, die von den Kollegen der Ambulanten Maßnahmen erledigt wurde. Ein Toilettenhäuschen musste installiert werden, diverse Arbeitsgeräte mussten in den Wald geschafft werden bzw. auch noch angeschafft werden. Dann fand noch ein Vor-Ort-Besichtigungstermin mit dem Forstwirt statt, wo die genaue Situation im Wald geprüft wurde. Der Arbeitseinsatz fand dann an einem Wochenende Mitte Mai statt. Alle Jugendlichen (bis auf den einen, der sich an den Sachbeschädigungen nicht beteiligt hatte, wie mit dem Staatsanwalt abgesprochen) waren zuverlässig zum Arbeitseinsatz erschienen (mit entsprechender Kleidung, Zeltausrüstung usw.). Am ersten Tag wurden die Schäden, welche die Jugendlichen verursacht hatten, behoben. Die Schützengräben wurden zugeschüttet, die Unterstände abgebaut. Der ganze Müll wurde aufgesammelt, es wurde Ordnung gemacht. Am Folgetag wurden auf einem anderen Gelände Bewässerungsgräben freigelegt, welche zukünftig die Kaskaden des Herkules bewässern sollen (im Rahmen der Anerkennung als Weltkulturerbe). Dies hatte nichts mit direkter Schadensregulierung zu tun, war jedoch Bestandteil im Rahmen der Wiedergutmachung. Hierbei wurden Gräben freigelegt, was mit einem großen Aufwand verbunden war. Dies sollte geschehen, weil die alte Wasserversorgung wieder in Gang gesetzt werden sollte. Die Jugendlichen haben die ersten drei Wassergräben freigelegt, was eine harte Knochenarbeit war. Alle Jugendlichen haben nach Angaben der Betreuer gut und engagiert mitgearbeitet. Es fanden auch immer wieder Gespräche während der Arbeit statt und die Betreuer haben den klaren Eindruck gewonnen, dass keiner der Jugendlichen über rechtes Gedankengut verfügt oder diesbezüglich gefährdet ist, was zunächst befürchtet bzw. angenommen worden ist.

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Der Forstwirt und auch der Leiter des Forstamtes waren sehr angetan von der Arbeit der Jugendlichen und ihren Betreuern, so dass er den Jugendlichen angeboten hat, wenn sie noch mal im Wald helfen wollten, ihnen eine Ausnahmegenehmigung zum zelten im Wald zu erteilen. Der Täter-Opfer-Ausgleich konnte somit erfolgreich abgeschlossen werden und das Verfahren gegen die Jugendlichen wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der Einstellungsbeschluss war von der Staatsanwaltschaft datiert auf Mitte Mai.

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Geschlecht, Alter: w, 18 Jahre, 2 Monate Art des Verfahrens: Jugendrichter Delikt: Wiederstand gegen die Staatsgewalt Vorbelastungen: Im Jahr zuvor eine HV wegen Leistungserschleichung, 3 Jahre

davor 1 HV wegen Ladendiebstahl, davor eine DV wegen Ladendiebstahl

Entscheidung der

Justiz: Urteil, 40 Stunden gemeinnützige, unentgeltliche Arbeit im Altenheim und die Weisung Gespräche bei der Drogenhilfe dem Gericht nachzuweisen

Bemerkungen: Die Begehung von Straftaten scheint angesichts der Situation eine erstaunlich kleine Rolle zu spielen

„Die bezaubernde Jeannie“ Fallschilderung einer ungewöhnlichen jungen Frau in der JGH

Es ist Mai 2009. Die Tür zu meiner Bürotür geht auf, eine Punkerfrisur schaut mir vorsichtig entgegen. Herein kommt Jeannie. Zerfetzte Hosen, löchriger Kapuzenpulli, Sicherheitsnadel im Ohr. Auf dem Rücken trägt sie einen riesigen Rucksack, im Schlepptau hat sie einen riesigen Hund. Nachdem sie den Rucksack schnaubend abgestellt und sich hingesetzt hat, klettert eine Ratte aus der Kapuze ihres Pullis. Anlass der Einladung in das Büro der Jugendgerichtshilfe ist ein anstehendes Gerichtsverfahren. Nachdem Jeannie anfangs recht misstrauisch ist, taut sie in den Gesprächen in der Jugendgerichtshilfe zunehmend auf. Jeannie erzählt offen über ihre konflikthafte Lebenssituation und ihr Leben auf der Straße. Verschmitzt schaut sie immer wieder in meine Richtung, ob ich von ihren Erzählungen geschockt bin. Scheinbar ist ihr meine Reaktion nicht erschrocken genug, denn sie setzt immer noch einen oben drauf. So bekomme ich einen ersten Einblick in ein Leben „auf Trebe“ und die Anforderungen, die mit dem Bestehen verbunden sind. Jeannie beobachtet hierbei ihre Umwelt genau und nimmt Dinge differenziert wahr. Jeannie lebt seit ihrem 13. Lebensjahr auf der Straße. Jeannies Mutter wohnte nie mit dem leiblichen Vater von Jeannie zusammen. Seitdem Jeannie vier Jahre alt ist, lebt der Stiefvater mit in der Familie. Mit diesem kommt es zu massiven Konflikten, die sich zunehmend verschärfen. Anfangs hält sie sich noch häufiger bei der Mutter und deren Lebensgefährten auf. In dem Maße, in dem die häuslichen Konflikte eskalieren, verbringt sie immer mehr Zeit im Freien („wenn ich nach Hause will geht der mit’m Baseballschläger auf mich los“). Anfangs findet sie noch häufig einen Schlafplatz bei Freunden. Umso mehr sie sich in der Obdachlosenszene aufhält, umso schwerer wird es für sie, regelmäßig einen Schlafplatz zu organisieren. Staatliche Transferleistungen bezieht Jeannie nicht („Ämter sind mir nicht geheuer“), das Kindergeld behält die Mutter ein. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie durch „schnorren“ in der Innenstadt. Aus ihrer Lebenssituation heraus organisiert Jeannie weiterhin ihren Schulbesuch. Im Sommer 2007 erreicht sie den qualifizierten Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,0. Irgendwann verbringt sie die erste Nacht unter freiem Himmel. Gleichzeitig macht sie die ersten Unsicherheits- und Gewalterfahrungen in diesem Umfeld.

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Jeannie bekommt einen Welpen namens Cora geschenkt, den sie groß zieht. Die Hündin ist Verbündete, Gesellin und auch Schutz für sie. Ihr Äußeres versucht sie jungenhaft-maskulin zu gestalten, um sich nicht noch mehr Risiken auszusetzen. Einrichtungen der Obdachlosenhilfe meidet sie weitgehend („da wird man auch nur beklaut“). In diesen Lebensumständen hat Jeannie eine Alkoholproblematik entwickelt. Im Sommer ist sie wochenlang deutschland- und europaweit „auf Trebe“. Besonders gerne hält sie sich in Frankreich auf. Ihre Hündin Cora hört auch schon auf französische Kommandos („Arrête“). Den Winter verbringt sie in Nordhessen. Hier kann sie immer noch am Besten immer mal wieder Übernachtungsmöglichkeiten organisieren, wenn es richtig kalt wird. Ist es überall gefroren und es findet sich keine Möglichkeit zum übernachten, lebt Jeannie im Wald. Hier fühlt sie sich vor anderen Menschen geschützt. Ihr Schlafplatz liegt im „Souterrain“. Sie gräbt sich in die Erde ein, um dem schlimmsten Frost zu entgehen. Auch einen mehrwöchigen grippalen Infekt hat sie im vergangenen Winter so überlebt. Das Leben auf der Straße bewertet sie für sich realistisch. Sie sieht zum einen die enormen Anforderungen, die zum Teil in Überforderungen münden. Zum anderen betont sie die Freiheiten, die sie hierin sieht. Mögliche Alternativen lehnt sie für sich ab. Jeannie ist bereits mehrfach strafrechtlich vorbelastet. Als Delikte tauchen immer wieder die Leistungserschleichung und der Hausfriedensbruch auf, Ladendiebstähle sind ebenfalls im Alter von 13 bis 15 Jahren vorgekommen. Die Frage, die ich mir stelle ist, was ist eine sinnvolle Weisung, die ich in der Gerichtsverhandlung vorschlagen kann? Nicht zu übersehen ist der massive Alkoholmissbrauch von Jeannie. Vielleicht kann man hierüber anlassbezogen einen weiteren Zugang zu ihr bekommen? Aber Jeannie in die „normale“ Drogenberatung schicken, wo sie einen Termin ausmachen und dann verbindlich an diesem Ort erscheinen muss? Jeannie ist hier für mich nur schwer vorstellbar. Gut vorstellen kann ich mir hingegen, dass Jeannie Termine bei dem mobilen Drogenfrühhilfeprojekt „Just in time“ wahrnimmt. Jeannie hat Angst vor der Gerichtsverhandlung, da ihr ein möglicher Arrest und die damit verbundene Erfahrung von Geschlossenheit Panik verursacht. Verhandelt werden mehrere Anklagen wegen Hausfriedensbruch, Leistungserschleichung (Schwarzfahren) und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Anzeige, die zu einer Anklage wegen Hausfriedensbruch führte, wurde von einem großen Einkaufszentrum gestellt. In der Hausordnung ist festgelegt, dass Besucher des Einkaufszentrums ordentlicher Kleidung zu erscheinen haben. Dies weiß Jeannie auch („in ihrer Kleidung ist das kein Problem“) und sie hält sich an das Verbot. Jeannies „Arbeitsplatz“, um zu schnorren, liegt direkt vor dem Einkaufszentrum. In einem neben dem Zentrum liegenden Geschäft wollte sie sich von dem geschnorrten Geld etwas zu essen kaufen. Hierbei begab sie sich auf das Gelände des Einkaufszentrums mit der feststehenden Kleiderordnung. Bei dem Delikt „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ hatte Jeannie 2,5 Promille intus („eigentlich ein ganz normaler Zustand, da kann ich noch laufen“). Die Leistungserschleichungen hat sie während ihrer Touren durch Deutschland begangen, wenn das geschnorrte Geld nicht für ein Wochenendticket reichte, bzw. sie

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keine Fahrkarte für den Hund lösen konnte (der im Übrigen nicht auf ein Wochenendticket mitfahren darf- notwendig ist hier das Lösen einer Kinderfahrkarte). Sie ist sichtlich erleichtert, dass dem Vorschlag der Jugendgerichtshilfe seitens des Gerichtes gefolgt wird und sie im Rahmen eines Urteils die Weisung bekommt, 40 gemeinnützige Arbeitsstunden abzuleisten und Termine bei der Drogenberatung wahrzunehmen. Die 40 Stunden leistet sie innerhalb von zwei Wochen ab. Die Einsatzstelle, eine Küche eines Seniorenzentrums, steckt sie morgens zunächst einmal unter die Dusche. Danach spült Jeannie dreckiges Geschirr. Ein Frühstück ist inklusive. Ab und an bekommt sie ein „Care-Paket“. Zudem nimmt sie zwei Beratungsgespräche bei dem mobilen Frühhilfeprojekt „Just in time“ der Drogenhilfe wahr. Der zuständige Mitarbeiter beschreibt sie als sehr kooperativ. Eine Telefonnummer von ihm hat Jeannie sicher in ihrem Rucksack verstaut. Hier bricht der Kontakt zu Jeannie zunächst ab. Jeannie verbringt den Sommer im Ausland. Die Lebenssituation von Jeannie spitzt sich immer mehr zu. Ihr gelingt es zunehmend weniger, den Anforderungen des Lebens auf der Straße gerecht zu werden und auch die Alkoholproblematik wird für sie immer weniger kontrollierbar. Im Herbst taucht sie wieder in Kassel auf, es stehen wieder Anklageschriften wegen Leistungserschleichungen aus (anhand dieser ist es fast möglich, Jeannies Aufenthalt den Sommer über zu rekonstruieren). Bei Terminen in der Jugendgerichtshilfe, die vormittags liegen, kann Jeannie nicht ruhig sitzen, zittert, kann keine Nahrung mehr bei sich behalten. Auch in ihrem sprachlichen Ausdrucksvermögen und ihrer Art, Dinge zu beschreiben wird deutlich, dass Jeannie immer mehr verelendet („morgens geht gar nich’, da kotz ich mir erstma’ die Seele aus‘m Leib“). Hier heißt es jetzt auch immer, dreimal tief durchatmen, wenn Jeannie den Raum betritt, damit gewisse Düfte nicht mehr wahrgenommen werden. In den Gesprächen kann nun langsam ihre Lebenssituation kritisch hinterfragt werden, insbesondere ihren Alkoholmissbrauch reflektiert sie in diesem Zusammenhang. Allmählich entsteht bei ihr eine Bereitschaft, etwas an ihrer Lebenssituation zu ändern. In der Gerichtsverhandlung beweist die Jugendrichterin einen langen Atem, indem sie abermals dem Vorschlag der Jugendgerichtshilfe folgt und Jeannie per Urteil die Weisung auferlegt, für den Zeitraum von drei Monaten mindestens alle zwei Wochen ein Beratungsgespräch bei der Drogenhilfe wahrzunehmen. Auf die Verhängung von gemeinnützigen Arbeitsstunden wird verzichtet, da Jeannie sich in so einem desolaten allgemeinen Gesundheitszustand befindet, dass eine Arbeitsunfähigkeit angenommen wird. Die Beratungsgespräche nimmt Jeannie zuverlässig wahr. Jeannie bemerkt immer mehr, dass ihr das Leben auf der Straße zusetzt. Sie hat auch bereits einige für diese Lebensweise typische Krankheiten, wie die Hautkrankheit „Schleppe“. Obwohl sie über ihre Mutter krankenversichert ist und auch eine entsprechende Karte hat, meidet sie eine medizinische Versorgung („zu Ärzten geh ich nich’, da hab ich nur schlechte Erfahrungen gemacht“). Mit Unterstützung der Drogenfrühhilfe kann ihr Veränderungswunsch verstärkt werden. Erste konkrete Schritte werden geplant und

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umgesetzt. Inzwischen ist es November 2009. Nachts wird es zum Teil schon ungemütlich kalt, was Jeannies Bestrebungen verstärkt. Sie entschließt sich eine stationäre Entgiftung zu beginnen. Gemeinsam mit dem Kollegen der Drogenhilfe bringen wir Jeannie in die Entgiftung. Treffpunkt ist der Hauptfriedhof , morgens um halb neun. Ob Jeannie das hinbekommt? Sie steht pünktlich dort, eine Bierflasche in der Hand, Kapuze über dem Kopf sichtlich zerknittert, eine dunkle Sonnenbrille auf („ich hab das Gefühl, dann sehen mich die Leute nich’ so“). Jeannie hat die Nacht draußen verbracht, hatte Ärger mit einer Gruppe männlicher Heranwachsender („die wollten mich auf Koka einladen haben die gesagt, aber das mach ich nicht, die wollen hinterher nur ficken und das mach ich nicht da gab’s dann auch auf die Fresse“) und ist sehr aufgeregt, was sie in der Entgiftung erwartet. Cora hat sie bei einer Bekannten untergebracht, die sich ein paar Tage um sie kümmern wird. Jeannie kann sich nicht vorstellen, mehrere Tage in geschlossenen Räumen zu verbringen und zwischenmenschliche Kontakte verbindlich und ohne die Möglichkeit, diesen auszuweichen, zu gestalten. Dennoch schließt Jeannie die Entgiftung erfolgreich ab. Nach der Entgiftung kehrt sie in ihr Leben auf der Straße zurück. Hier schafft sie es, ihren Alkoholkonsum weitestgehend einzuschränken. Anstatt Schnaps trinkt sie nur noch „in Maßen“ Bier. Ihre Selbsteinschätzung ist aber hierbei, dass sie diese Reduzierung nur zeitlich befristet aufrecht erhalten kann. Jeannie sucht nun nach einer Alternative zu dem Leben auf der Straße. Sie kann sich eine stationäre Drogentherapie vorstellen. Grundvoraussetzung für Jeannie ist, dass sie Cora mit in die Therapie nehmen kann. Hier stehen die Drogenhilfe und die Jugendgerichtshilfe vor einer schwierigen Fragestellung. Hunde sind in stationären Einrichtungen nicht vorgesehen. Nach endlosen Recherchen werden deutschlandweit 2 Einrichtungen gefunden, in denen dies möglich ist. Jeannie und Cora werden in ein Auto gepackt und los geht die Reise in Richtung Mecklenburg-Vorpommern. Die Einrichtung wird von den Beiden kritisch in Augenschein genommen. Bestehende Regeln für den Menschen werden ebenso aufgezeigt wie eine Maulkorbpflicht für den Hund. Es findet ein Informationsgespräch mit einer Therapeutin statt. Jeannie wird während des Aufenthaltes immer stiller. Auf dem Weg Richtung Nordhessen sortiert sie ihre Eindrücke und organisiert über Handy noch einen Schlafplatz bei einer Bekannten für die bevorstehende Nacht. Sie erbittet sich einige Tage Bedenkzeit. In einem Gespräch nach wenigen Tagen berichtet sie, dass sie sich nicht vorstellen kann, mit Cora in diese Einrichtung zu gehen. Zum einen kann sie sich nach ihrem jahrelangen Verweilen auf der Straße nicht vorstellen in dieser für sie durch Regeln und Fremdvorgaben bestimmte Einrichtung zu leben, zum anderen fühlt sie sich den Therapeuten ausgeliefert („die wühlen so in dir rum“). Die Möglichkeit einer stationären Therapie scheint damit für sie zunächst abgeschlossen. Weitere mögliche Schritte werden von der Drogenhilfe und von mir mit ihr gemeinsam gesucht und durchgesprochen. Diese wägt sie für sich immer kritisch ab. Gibt sie eine Zusage, so hält sie diese und die damit verbundenen weiteren Schritte

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zuverlässig ein. Jeannie kann sich vorstellen, eine Wohnung zu beziehen und von dort aus ihr Leben neu in Angriff zu nehmen. Sie bezieht nach einem Besichtigungstermin eine kleine 1-Zimmer Wohnung, eröffnet ein Konto und beantragt mit Unterstützung staatliche Transferleistungen, um ihren Lebensunterhalt zu unterhalten. Zudem wird sie mit einem niederschwelligen Zugang von der Drogenhilfe betreut. Es wird ihre bestehende Schuldenproblematik in Angriff genommen und auch ihre Alkoholabhängigkeit kritisch reflektiert. Des Weiteren leistet sie gemeinnützige unentgeltliche Arbeitsstunden in dem schon erwähnten Seniorenzentrum ab. Sie geht hierbei sozusagen in Vorleistung für die anstehende Gerichtsverhandlung wegen diversen Leistungserschleichungen, die noch aus dem vergangenen Sommer stammen. Eine Monatskarte hat sie sich von ihren ersten staatlichen Transferleistungen gekauft, um in diesem Bereich nicht mehr straffrechtlich in Erscheinung zu treten. Inwieweit sich Jeannies Lebenssituation stabilisieren wird, bleibt abzuwarten. An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass es auch der Flexibilität des Jugendgerichtsgesetzes und dem nachhaltig-langem Atem des entscheidenden Jugendgerichtes anzurechnen ist, dass wir Jeannie in dieser Form und vor allem in Freiheit begleiten und somit in Richtung Stabilität in einigen Lebensbereichen unterstützen konnten. In einem weniger an dem Erziehungsgedanken ausgerichteten System wäre hier bei der Hartnäckigkeit, die in der Wiederholung einiger Delikte liegt, sicherlich Maßnahmen mit freiheitsentziehendem Charakter angezeigt gewesen.

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Geschlecht, Alter: m, 19 Jahre Art des Verfahrens: Jugendschöffengericht, auswärts Delikt: Gemeinschaftlicher Raub und Körperverletzung Vorbelastungen: An früherem Wohnort anscheinend Anklage wegen Besitzes und

Handel mit Drogen (Haschisch) in geringer Menge Entscheidung der

Justiz: Schuldspruch gem. § 27 JGG, mit der Weisung eine stationäre Entgiftung und Therapie durchzuführen. S. war daraufhin freiwillig einige Jahre in Therapie, Nachsorge und Adaption. Er wurde schließlich mit Unterstützung des Jugendamtes erfolgreich in einer eigenen Wohnung verselbständigt. Mittlerweile wurden alle seine Geschwister gemeinsam versorgt mit einer passgenauen Jugendhilfemaßnahme. Der Schuldspruch konnte wegen erfolgreichen Verlaufs nach 1,5 Jahren getilgt werden.

Bemerkungen: Der JGH-Mitarbeiter hat selten einen jungen Menschen kennengelernt, der seine (dramatische) Straftat selbst so sehr im Nachhinein bedauert hat.

„Siegfried auf der Suche“ Biographie und Suchtverlauf zur Aufnahme einer stationären Drogentherapie im Rahmen eines Jugendstrafverfahrens (Wörtliche Abschrift handschriftlich verfasster Dokumente)

Biographie Mein Name ist Siegfried, geboren in X., Mitte der 80er. Ich möchte an ihrer Therapie teilnehmen, damit ich nicht in den Knast muss oder besser gesagt eine größere Aussicht auf Bewährung habe und ich möchte vor allem mit dem täglichen Alltag ohne Drogen klarkommen. Aber komme ich erst mal zu meinem Lebenslauf. Meine Eltern stammen beide hier aus Deutschland, meine Mutter aus W. und mein Vater? Ich glaube auch aus X.. Meine Mutter ist alleinerziehend und mein Vater war gelernter Schreibmaschinenmechaniker, musste mittlerweile Umschulen soweit ich weiß. Na ja, ansonsten war er ein dreckiger Zuhälter, Drogendealer, Bankräuber und was weiß ich was noch für‘n Scheiß. Auf jeden Fall war er in meiner Kindheit weder für mich noch für meine Mutter da, auch nicht, wenn er zwei Häuser weiter wohnte. Vor knapp einen Jahr habe ich ihn etwas besser kennen gelernt, aber außer dass er ein paar Mal gesagt hat, wie leid es ihm tut und mich gefragt hat, ob ich jetzt schon arbeiten würde, hat er schon mehr nur über sich geredet, was für Probleme er doch hatte. Tja, halt ein knapp 50-jähriger der seit 30 Jahren Heroinjunkie ist, soviel zu meinem Vater. Und die Frage, zu wem ich mich innerlich näher gefühlt habe hat sich dadurch ja erübrigt. Meine Mutter hatte noch nie gearbeitet, hatte mit 19 ihr erstes Kind, meine große Schwester, ich bin das zweite Kind und außerdem habe ich noch vier kleine Geschwister. Mein Verhältnis zu meiner Mutter hatte verschiedene Seiten, sie war in der Hinsicht auf Drogen negativ geneigt, außerdem bei besonderes schlechten Zeiten hat sie ein oder zwei Wochen Zigarren geraucht oder mal ein paar Bier getrunken, aber es dann wieder sein gelassen hat. Wobei das mit den Zigarren

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gerade mal zwei- oder dreimal vorkam. Meine große Schwester wohnte schon ab dem 5. Lebensjahr in einem Internat für Gehbehinderte, da meine Mutter überfordert war in den jungen Jahren. So wuchs ich also erst alleine, später mit meinen Geschwistern bei meiner Mutter auf. Am Anfang wo ich noch ganz klein war eigentlich alles noch fast normal meine Mutter hatte zwar immer schon etwas viel zu meckern, aber ich hatte mein eignes Zimmer, konnte nachmittags zum Spielen nach draußen oder zu Spielkameraden gehen und es gab noch halbwegs regelmäßig was Warmes zum Mittagessen, obwohl sich das Warme ziemlich schnell in Luft auflöste, später war ich froh, wenn es zwei- bis dreimal im Monat was Warmes gab, manchmal auch gar nichts und von den dreimal Mittagessen waren zwei Essen Pizzaservice oder der Gang ins Restaurant. Bei meiner ersten kleinen Schwester ging es noch, doch bei jedem Kind was meine Mutter zur Welt brachte, ging die Freizeit von mir dahin bis ich schließlich zum gar nicht mehr raus durfte, höchstens einmal im Monat, manchmal gar nicht. Gut mir ist schon klar, dass ein großer Bruder bei so viel Geschwistern oft helfen muss, aber ich musste nach der Zeit fast alles machen von wickeln, ins Bett bringen, aufpassen, manchmal Tage einmal war ich mit meinen Geschwistern zwei Wochen alleine zu Hause, weil meine Mutter in Hamburg bei dem Vater meiner kleinsten Schwester, heute macht sie das schon lange nicht mehr. Sie schlägt meine Geschwister auch nicht wie mich früher, dass hatte komischer Weise sie sich abgewöhnt zwar nicht von heute auf Morgen aber abgewöhnt, dafür schreit sie heute mehr. Immerhin besser als mit einem Bambusstock wahllos also „ohne zu zielen einfach drauf egal was getroffen wird“. geschlagen zu werden oder mit den Füßen zusammengetreten oder einfach mit der flachen Hand, wobei mir letzteres am liebsten war, meine Mutter brauchte nur an mir vorbeizugehen schon zuckte ich zusammen, besonders wenn sie die Hand hebte, das passierte mir Jahre danach noch, auch bei andern Menschen, wo ich überhaupt keinen Grund dafür hatte. Mittlerweile habe ich mir das abgewöhnt, das heißt, das passiert mir nur noch ganz, ganz selten. Aber meine Mutter hat mich nie aus Boshaftigkeit geschlagen, sondern mehr aus Verzweiflung und Überforderung. Mit Zwölf hab ich sie einfach festgehalten, wenn sie mich schlagen wollte, da hatte sie mich aufgehört zu schlagen und auch meine Geschwister, obwohl das war aber auch die Zeit, wo sie kaum noch handgreiflich wurde. Wahrscheinlich hat sie wohl doch irgendwann gemerkt, was sie ohne mich machen würde. Dafür hatte sie jetzt hin und wieder mal alle Sachen die greifbar waren durch die Gegend geschmissen und danach einfach abgehauen, ich hab dann alles wieder aufgeräumt. Auch wenn meine Mutter nicht oft gekocht, sie schon dafür gesorgt, dass wir immer was zu Essen im Haus hatten, mal mehr und halt mal weniger. Dadurch, dass ich viel auf meine Geschwister aufgepasst habe, war ich quasi mitverantwortlich für ihre Erziehung. Ich hatte darauf geachtet, dass sie ihre Hausaufgaben immer machen und ihnen dabei geholfen, sie gebadet und neue Anziehsachen gegeben usw. Manchmal war ich, wenn ich allein mit meinen Geschwistern war, ziemlich gemein zu ihnen, wenn sie nicht auf mich gehört haben oder sich gestritten haben und mir das dann alles über den Kopf gewachsen ist. Ich habe sie dann auch geschlagen gehabt, was mir dann jedes Mal absolut leid tat und ich in Tränen ausbrach und mich dann wieder bei ihnen entschuldigte. Trotzdem haben meine Geschwister mich gern gehabt. Ich glaube, ich habe immer alles versucht ihnen ihre Kindheit besser zu machen und etwas mehr Struktur ihnen zu bieten, auch wenn’s nicht immer geklappt hat. Da mir meine Kindheit so ziemlich vor den Augen vorbeihuschte. Damit meine ich, dass meine einfach anders war wie ich

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mir so eine Kindheit vorstellte, so wie man sie im Fernsehen bei irgendwelchen Filmen sieht oder wenn ich doch mal bei einen Freund zu Besuch war und ich gesehen hab, wie der gelebt hat, war es schon mehr oder weniger das genaue Gegenstück zu meiner Welt. In meiner frühen Kindheit habe ich mich sehr viel alleine beschäftigt, z. B. habe ich nicht wie andere Kinder mit meinem Spielzeug nicht so grob wie andere Kinder gespielt, also ist meine zwei Spielfiguren in die Handnehmen und gegen - sinnlos gegeneinander stoßen oder der ähnliches. Ich habe mir viele ganze Geschichten ausgedacht mit Fortsetzung usw. ausgedacht die ich dann nachgespielt habe, manchmal Tage oder Wochen. Ich habe sehr viel gezeichnet und gelesen, zwar überwiegend Comics aber hin und wieder war auch ein Buch dabei, heute lese ich gerne auch gute Romane. Auch wenn ich draußen war und einer meiner paar wenigen Freunde keine Zeit oder wenn sie nicht da waren, bin ich einfach alleine durch die Gegend gezogen, wo ich noch ganz klein war und ich auch erst 1-3 Jahre in der Schule gewesen war, habe ich noch auf einem Dorf gewohnt, da bin ich halt auch alleine durch Wälder gegangen und dort gespielt oder Waldwege die ich gefunden habe bin ich immer zu langgelaufen, einmal bin ich sogar an ein anderes Dorf gekommen, da wusste ich, dass ich doch lieber nicht ganz so weit gelaufen sollte und bin wieder umgekehrt. Manchmal bin ich auch erst nach Hause gekommen, wo es schon längst dunkel war ca. 18.00 bis 20.00 Uhr, ein paar Mal, auch bis 23.00 Uhr und das als 8-Jähriger, obwohl ich wusste, dass ich, wenn ich nach Hause kam Ärger und es meistens auch Schläge gab auf den Po ich glaube das mit der Kindheit lass ich jetzt mal sonst wird ich nie fertig. Meine Geschwister haben wahrscheinlich am meisten daran gelitten, als ich mit 13 von zu Hause mit meiner ersten Freundin weggelaufen war und dann erst in den Schutzhof und dann in die Jugendhilfe kam. Immer wenn ich zu Hause war und wieder in Heim gefahren bin haben meine Geschwister fürchterlich geweint, besonders mein Bruder und meine kleinste Schwester. Zu meiner Schulzeit könnte ich genauso viel schreiben, aber ich bin mir jetzt schon nicht sicher, ob das alles in den Briefumschlag passt. Also ich habe den Hauptschulabschluss 2001 gemacht. War an 15 verschiedenen Schulen und eine Berufsschule, aber ich bin nicht von den Schulen runtergeflogen, sondern immer wegen Umziehen. Später nach der Schule hatte ich eine Lehre angefangen als Einzelhandelskaufmann bei einem Bildungszentrum. Da wurde ich aber ausgeschmissen, nachdem ich dort die erste Woche da war, habe ich die zweite komplett geschwänzt, die dritte war ich wieder da und die vierte wieder nicht und dann war’s das. Die haben das aber so hingestellt, dass ich gekündigt habe, damit ich später nicht Probleme habe, wenn ich mich woanders bewerbe. Dann habe ich noch ein paar Praktikums gemacht, aber durch Nichterscheinen wieder ausgeflogen bei den einem wenigstens der anderen Praktikumstelle und meine letzte musste ich mehr oder weniger schon auch dem ersten Tag verschwinden, weil da derjenige arbeitete den ich ein paar Tage vorher das Nasenbein gebrochen hatte und wo ich noch die Gerichtsverhandlung offen habe, nun ja, ich habe die Arbeiter am ersten Tag schon gleich gehört, dass zwei ihren Kollegen verprügelt hatten und ihm die Wohnung ausgeräumt haben und dass der im Krankenhaus liege. Tja, ich habe das Praktikum in einer Recyclingfirma gemacht und die sind nicht gerade zimperlich, also habe ich das Weite gesucht. Und dadurch, dass ich das Praktikum verloren habe, wurde was vorher auch bewusst war, meine Maßnahme in B. beendet. Am nächsten Tag wurde ich mit meinen Sachen nach Hause gebracht. Seit dem wohne ich hier bei meiner Mum und meinen Geschwistern. Als ich dann wieder hier zu Hause war, hatte ich die

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erste Gerichtsverhandlung wegen dem Verkauf von Hasch und habe als Urteil zwanzig Arbeitsstunden, drei Wochen Dauerarrest in G. und sechs Monate Drogenberatung. Die Beratung habe ich bei der Frau von der Drogenhilfe. Sie hatte mich auch auf ihre Einrichtung aufmerksam gemacht. Also im Moment bin ich arbeitslos und beziehe Sozialhilfe. Ich glaube, dass war’s besser erst mal zum Thema Lebenslauf. Ich glaube, ich muss den Suchtverlauf wesentlich kürzer halten. Ich würde mich auf den Fall auf ein Vorstellungsgespräch bei ihnen freuen, auch wenn ich beim Reden wesentlich mehr Probleme habe aus mich heraus zukommen. Siegfried

Suchtverlauf Mit 12 Jahren habe ich zum ersten Mal Hasch konsumiert und mit 14 Jahren dann regelmäßig. Gesehen habe ich Drogen schon mein ganzes Leben lang, mein Vater und die ganzen Verwandtschaft von meinem Vater hatten mit Drogen zu tun oder haben immer noch besser gesagt. Meine große Schwester kifft auch und auch andere Sachen Pillen, Koks und die ganze Scheiße. Als kleiner Junge habe ich meine Schwester Pfeife rauchen gesehen, habe mich aber nie sonderlich gefragt, was das ist, weil ich gewöhnt war, dass das manche Großen das machten. Mit 15 Jahren habe ich selber mit meiner Schwester geraucht, wo es mal wieder eine Ewigkeit her war, das ich sie gesehen habe und sie erfahren hatte, dass ich jetzt auch kiffen würde. Mit 12 hatte sie gesagt, wenn sie mich vor dem 16. Lebensjahr erwischt würde sie mir eine reinhauen, aber stattdessen tut sie mich eingeladen. Tja irgendwie witzig. So richtig angefangen zu kiffen habe ich halt im Heim in B., das fing so an, als ich da war in der Wohngruppe und ich die ersten Jugendlichen kennen gelernt habe, war die erste Frage von denen, ob ich auch kiffen würde und obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht richtig gekifft habe, sagte ich, „Ja ich kiffe auch“, weil ich mich anschließen wollte und nicht wieder als ein Einzelgänger enden wollte sowie es mir auf vielen Schulen und Ortschaften, wo ich gewesen war, ergangen ist. Am Anfang kannte ich B. und Umgebung nicht ein Stückchen, doch nach einiger Zeit kannte ich alles und jeden und jeder kannte mich, viele jedenfalls, manchmal kannten irgendwelche Typen mich aber ich sie nicht. Ich kiffte überall an jedem Ort, mit jeden auch wenn ich den gerade erst kennen gelernt habe und in der Situation, ob in der Schule, (vor der Schule, in den Pausen, nach der Schule oder wenn die Pause nicht gereicht hatte auch während der Unterrichtsstunde also geschwänzt natürlich). In der Zeit, wo ich am meisten gekifft habe ich es kein Tag ohne was zu kiffen ausgehalten, das war zu Anfangszeiten anders, da konnte schon 1-2 Tage dazwischen liegen, aber in den letzten zwei Jahren war das fast unmöglich, wenn ich morgens nicht gleich nach dem Aufstehen mein „guten Morgen Köpfchen“ geraucht habe, hat der Tag für mich einfach noch nicht angefangen und dementsprechend war ich auch gelaunt, hatte an nichts Interesse egal was es war, ob Kino, Skateboard fahren, Schwimmbad, sich normal unterhalten, etc. Ich hatte dann immer nur den Gedanken, wo kriege ich Geld her für Hasch, auch wenn ich eingeladen wurde, habe ich das nur als Überbrücken bis ich was eigenes gefunden oder eher gesagt gekauft hatte, wenn das nicht gelang oder ich nicht die Aussicht auf was zu rauchen hatte an den Tag , wurde

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ich aggressiv und auch depressiv. Was sich erst im Verhalten gegenüber irgendwelchen Aufgaben oder den Betreuern zeigte. Ich war zu ihnen unfreundlich und hörte nicht was sie sagten, obwohl sie mich immer als netten und hilfsbereiten Menschen kannten sowie mich eigentlich die meisten kannten, aber die Aggressivität zeigte sich mehr in meinem Zimmer, wenn ich allein war, vor ca. ein halben Jahr, wo ich noch in der Wohngruppe war, da diese Zeit am schlimmsten einmal schlug ich nur die Tür meines Schrankes ab, das andere Mal war’s fast der ganze Schrank, Meine Ablage hatte ich aus dem Fenster geschmissen und die Poster wo Kiffscheiße drauf war riss ich teilweise ab, und am Ende lag ich auf meinem Bett und heulte oder manchmal wenn die Betreuer mir wieder einmal kein Geld auszahlten, sagte ich ganz lieb, „Danke dann eben nicht“ ging in mein Zimmer machte Musik laut und schimpfte vor mich her oder schrie in mein Kopfkissen. Ich habe meine Wut aber auch anders freien Lauf gelassen was den Betreuern gar nicht gefallen hat, ich riss das Fenster auf, machte meine Rage-Musik an, schrie meine Texte auf die Straße raus, so dass es jeder hören konnte und auch jeder guckte der ganze Lidl und Tegut Parkplatz, die beiden Döner Buden bis hin zum Bahnhof, das machte ich aber manchmal auch mit einem Kumpel zusammen, die Betreuer kamen meist zwischen 5 – 30 Minuten, hämmerte gegen die Tür. Die Betreuer bekamen sogar Anrufe vom Nachbarn, von der Bäckerei und keine Ahnung von wem noch alles, manchen gefiel es, machen nicht. Egal wie, ich bekam den Ärger. Aber Themawechsel, klar leider habe ich auch schon andere Drogen ausprobiert, Ecstasy und LSD, Pepe und Kokain, aber das waren wenige Male und es lagen sehr große Zeitabstände dazwischen, aber nichts von alldem gefiel mir besser als THC, das lag vor allem daran, weil zum einen ich schon immer eine Abneigung gegen chemischen Drogen hatte wegen meiner verflochten Vaters und einige Todesfällen im Bekanntenkreis und zum anderen mochte ich nicht die aufgedrehte künstliche harmonisches und möchte gern alles wissen Verhalten von solchen Chemos überhaupt nicht. Ich sag nicht, dass alle die ich kenne und Chemie nehmen so sind aber im Großen und Ganzen die meisten. Denken nur, weil sie ein paar Chemiefachbegriffe von der Packungsbeilage abgelesen die sie dann bei anderen Chemo aufzählen könne, um dann so zu tun als wären sie absolute Schlauköpfe, das war mir dann schon etwa zu primitiv. Es ist klar, dass beim Hasch auch ein künstliche Harmonie dargestellt wird, aber ich dachte mir war auf pflanzlicher Basis konsumiert wird kann auch wieder nicht ganz so verkehrt sein, obwohl da vielleicht auch wieder Widersprüche gibt z. B. Nachtschattengewächse und so weiter. Auf jeden Fall fand ich es beim Kiffen immer so gut, dass anstatt aufgedreht mehr ruhig wurde und meine Gedanken ordnen konnte oder einfach alle meine Probleme verdrängen konnte auch nicht über mein Leben nachdenken musste, besonders nicht an die Vergangenheit und aber auch nicht an die Zukunft den auf der einen Seite wollte ich immer ein anderes Leben führen als mein Vater, als all die ganzen anderen Junkies in dieser Welt, aber auf der anderen Seite machte ich genau das Gegenteil, war nur am kiffen, am klauen, am saufen und sonst noch jeden möglichen Scheiß. Ich weiß auch nicht wie ich anfangs mit 1-2 Gramm manchmal fast 1 Woche ausgekommen bin, heute hat mir das nicht mal 1 Tag gereicht. 1 Gramm- 1 Kippe ist mehr Mischverhältnis, wenn mehr Kippe dran wär, würde ich das Kotzen kriegen, weil es einfach nichts bringt früher habe ich ein halbes Gramm auf 1 Kippe gemacht, das kann ich mir irgendwie gar nicht mehr vorstellen, wie leicht im Notfall, aber immer. Na gut, es blieb ja nicht immer so, um so länger ich am Kiffen war, lernte ich immer mehr Leute kennen, die auch mehr kifften (Mischverhältnis und Menge) und

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irgendwann kaufte ich nicht mehr bei anderen Heimkinder oder Jugendlichen, sondern ich verkaufte an den Leuten, jeder kam zu mir, jeder gab mir sein Geld und so hatte ich auch immer was zu rauchen, weil ich natürlich die meisten auch abzockte, so wie es die Leute mit mir am Anfang gemacht hatten, ein Teufelskreis. Aber ich war um so dreister, ich sah jedes Haschisch als meines an, wenn bei uns im Heim einer was zu rauchen hatte, musste er mich auf jeden Fall einladen, wenn er oder sie nicht wollte, nahm ich mir das was ich wollte, ob es auf dem Tisch, auf der Mischpappe oder schon in der Pfeife war, mit etwas Geschick oder Schnelligkeit war es schon weggemacht, wobei ich mit einem anderen Heimkollegen immer oder eher oft zusammen den anderen das Hasch einfach vor der Nase weggeraucht haben. Frei nach dem Motto „Wiederstand ist zwecklos“. Ich kann mich dran erinnern, da gab’s eine der hatte mir immer Geld mitgegeben für Hasch, von dem habe ich mir unverschämt dicken Tampen immer abgebrochen und dann bei ihm sein Hasch noch mitgeraucht bis er nur noch ganz wenig hatte, dann habe ich das Hasch aus meiner Tasche geholt, was ich mir von ihm zuvor abgebrochen hatte, was größer war und obwohl er wusste dass ich keine Geld hatte, er konnte sich also auf den Fall sicher sein, dass das auch eigentlich seins war. War mir aber egal, ich dachte mir immer in solchen Fällen „ehrlich abgerippt“, weil ich ja auch gesagt habe, das wäre deins gewesen, so hatte er wenigstens immer die Gewissheit kommt er zu mir finanziert er meinen Konsum, aber er, das schien er in Kauf zu nehmen, weil er kam ja wieder, wie die meisten. Ich habe, glaube ich, alles wie es mir am Anfang als Anfangskiffer erging, doppelt und dreifach wieder zurückgegeben gegen jeden, auch die schon viel länger als ich kifften. Außer ausgesuchter V.I.P Kreis von richtigen Freunden die mich nicht nur mögen, weil ich kiffe, sondern wo ich sitzen kann und mich erst unterhalten konnte und später erst zusammen rauchten und beim Rauchen und danach andere Themen hatten als immer nur Drogen, Drogen, Drogen, das hat mich irgendwie immer am meisten genervt, da bin ich schon so ein Trottel der sein Leben nur dem ganzen Scheiß hinterher ist. Jeden Tag die gleiche Leier, jeder Tag wie der Tag zuvor immer auf der Suche und dann habe ich auch noch nichts besseres zu tun als immer davon zu reden, klar dass das Kiffen auch bei mir jeden Tag Gesprächsthema, aber nicht wenn ich genügend „Energie getankt“ hatte, so nannten ich und ein Freund diese ganze Kiffprozedur, wenn wir mit mieser Stimmung unsere „Energie aufladeten“ und danach alles andere als ruhig und stumpf in der Ecke saßen, sondern die Gegend unsicher machten oder anderen auf die Nerven gehen. Probleme hatte ich am Arbeitsplatz nie mit Drogen, nur an Schulen wegen den Pausen zu spät kommen usw. bei Arbeit war das so, dass ich immer zufrieden hingegangen bin, wenn ich wusste, wenn ich Feierabend habe, dass ich dann sofort einen rauchen kann, war das nicht der Fall, bin ich meistens gar nicht erst hingegangen. Außer anfangs bei meiner Lehre, da wollte ich immer hingehen, auch wenn ich zum Feierabend nicht zu rauchen hätte. Doch ich musste ja gleich nach 1 Woche total Stress mit meiner damaligen Freundin haben, aber das ist eine andere Geschichte. Meine Betreuer im Heim hatten mich oft angesprochen wegen meinem Drogenkonsum, aber nicht warum ich das mache, sondern eigentlich immer nur im negativer Weise „ du sollst nicht kiffen, kiffen ist nicht gut, was hast du denn davon, wenn du immer nur dicht durch dein Leben läufst. Guck dich doch mal an du kriegst doch gar nichts mehr auf die Reihe“. So was ging ja noch, doch der Heimleiter der hat die Leute die nicht kiffen und brav immer nur vorm Computer saßen und jeden

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Tag das gemacht haben, was sie sollten bevorzugt behandelt und die Leute die Probleme mit Drogen hatten und sich nicht immer an die Regeln gehalten hatten meist wie Dreck behandelt. So Sachen wie Geld kürzen, nur mit Betreuer einkaufen gehen, konnte ich ja verstehen, aber Beschimpfungen und Beleidigungen im ziemlichen Außenmasse fand ich dann doch nicht ganz so der korrekt pädagogische Weg. Nur weil der mal in der Mal in einer Klapse gearbeitet hat und es mit total „Durchen“ zu tun hatte, muss er uns nicht genauso behandeln wie er es da vielleicht manchmal musste. Zu mir kam er manchmal auch ohne Grund und ließ seine Wut an mir aus, einmal hat er mich sogar getreten, hat mir zwar nur knapp getroffen, aber hey: „Pädagogik“!! Ich und die anderen Jugendlichen hatten uns später lustig gemacht, dass er einen Tag zuvor beim Kartenspiel verloren hatte oder schlechten Sex mit seiner Frau hatte und jetzt seine Wut an uns auslassen muss. Na ja, auf jeden Fall habe ich kein Bock mehr auf den ganzen Scheiß und will das alles nur noch aus meinem Kopf kriegen. Und ein normales Leben führen. Siegfried