Post on 18-Oct-2020
Essstörungen
Klassifikation von EssstörungenICD-10 (F50) DSM-IV DSM 5
Anorexia nervosa (F50.0)
- Ohne aktive Maßnahmen (F50.00)
- Mit aktiven Maßnahmen (F50.01)
Anorexia nervosa- Restriktiver Typus
- Binge-Eating/Purging Typus bzw.
bulimischer Typus
Anorexia nervosa- Restriktiver Typus
- Binge-Eating/Purging Typus bzw.
bulimisher Typus
Bulimia nervosa (F50.2) Bulimia nervosa- Purging-Typus
- Nicht-Purging-Typus
Bulimia nervosa- Purging-Typus
- Nicht-Purging-Typus
Binge-Eating-Störung
Atypische Essstörungen- Anorexie (F50.1)
- Bulimie (F50.3)
Essattacken (F50.4) / Erbrechen (F50.5)
bei anderen psychischen Störungen
Sonstige Essstörungen (F50.8)
- z.B. Pica bei Erwachsenen
Anorexia nervosa (ICD-10: F50.0)
�Subtyp: - restriktiv- bulimisch
• (A) selbst herbeigeführter Gewichtsverlust,
Gewicht < 85% bzw. BMI < 17,5 kg/m2
• (B) Extreme Angst vor einer Gewichtszunahme
selbst bei schon ausgeprägtem Untergewicht
• (C) Körperschemastörung
• (D) Amenorrhoe (bzw. Verzögerung od. Hemmung
der Entwicklungsschritte - bei Erkrankungsbeginn
vor der Pubertät)
Diagnostische Merkmale
Neuerungen DSM 5
Nicht mehr gefordert (D)
Körpergewicht [kg]
BMI = -----------------------
(Körpergröße [m])2
Bulimia nervosa (ICD-10: F50.2)
• (A) Essattacken u. Kontrollverlust
• (B) Wiederholte Durchführung
gegenregulatorischer Maßnahmen
� Suptyp:− Purging
− Nicht-Purging
• (C) Mind. 2 x Woche > 3 Mon.
• (D) übermäßige Beschäftigung/Einfluss auf
den Selbstwert: Essen, Figur, Gewicht /
Körperschemastörung
•(E) die Störung darf nicht ausschließlich i.R.
einer schon bestehenden Anorexia nervosa
auftreten
Diagnostische Merkmale
Neuerungen DSM 5
Keine Subtypen mehr
Mind. 1 x Woche > 3 Mon. (C)
Binge-Eating-Störung (ICD-10: F50.9)
• (A) Heißhungerattacken u. Kontrollverlust
• (B) mind. 3 Symptome:
− schnelleres Essen
− größere Mengen
− bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
− alleine essen aus Scham
− Ekel, Depression oder Schuldgefühle
• (C) Leidensdruck wegen der Essanfälle
• (D) Essattacken > 2 x Woche > 6 Mon
• (E) keine gegenregulatorischen Maßnahmen
und nicht ausschließlich im Verlauf einer
Bulimia nervosa oder Anorexia nervosa
Diagnostische Merkmale
Neu: eigenständig im DSM 5
mind. 1 x Woche > 3 Mon. (D)
Klinische Symptomatik
AN BN
Depressivität + +++
Ängstlichkeit + ++
Zwanghaftigkeit ++ +
Verminderte Konzentration +++ +++
Sozialer Rückzug +++ +
Substanzmissbrauch - +
Allgemeine Psychopathologie
Persönlichkeitsmerkmale
AN BN
Negative Selbstbewertung ++ ++
Perfektionismus ++ ++
Impulsivität - +
Klinische Symptomatik
Spezifische Psychopathologie
AN BN
Diätverhalten +++ +++
Selbstinduziertes Erbrechen + ++
Laxantienabusus + ++
Vermehrte körperliche Betätigung ++ +
Essattacken (‘Binges”) + +++
Ritualisierte Essgewohnheiten ++ -
Angst, mit anderen zu essen +++ +++
Extreme Beschäftigung mit Figur u. Gewicht +++ +++
Organische Komplikationen
Diverse organische Komplikationen durch chronische
Mangelernährung und Erbrechen/Laxanzien- u. Diuretikamissbrauch:
• Hypertrophie der Speicheldrüsen
• Schmelzdefekte an Zähnen
• Störung des Elektrolyt- u. Säure/Base-Haushalts:
Hypokaliämie � Herzrhythmusstörungen, Nierenschäden
• Starvationssyndrom (bei AN)
− Hypothermie, Ödeme, Lanugo-Behaarung…
• Hypoleptinämie (bei AN)
• Verlust der Knochendichte (jährlich bis zu 10%, Zipfel et al., 2001)
• …
Epidemiologie
AN BN
Prävalenz bei
Erwachsenen
0,9% Frauen
0,3% Männer
0,9-1,5% Frauen
0,1-0,5% Männer
Inzidenz
(2009, England)
37,2 pro 100.000; nur Frauen: 62,6 Frauen pro 100.000
Höchste Inzidenz: Mädchen zw. 15.-19. � 2 von 1000
Komorbiditäten am häufigsten: affektive Störungen, Angst- und Zwangsstörungen,
Substanzstörungen, Persönlichkeitsstörungen (PKS)
Zwangsstörungen, Zwanghafte
und anderer C-Cluster PKS,
Depressive Symptomatik,
Substanzstörung, impulsive
Epidemiologie
AN BN
Beginn Pubertät Etwas späterer Beginn als AN
25% anorektische Phase vorher
Verlauf 10-20% Chronifizierung
(~ Restsymptomatik)
50% Remission (bei KVT)
Prognosefaktoren
(ungünstig)
- Beginn in Kindheit
- Lange Dauer
- BMI < 13
- Bulimischer Subtyp
- Übergewicht in Kindheit
- Geringer Selbstwert
- Persönlichkeitsstörungen
Diagnostik und Fragebögen
• Diagnostisches Interview für Psychische Störungen:
− Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV Achse I (SKID-I) (Wittchen, Zaudig & Fydrich,1997)
− Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS) (Schneider & Margraf, 2006) // Kurz-
Form (MINI-DIPS) (Margraf, 1994)
• Eating Disorder Examination (EDE) (Cooper & Fairburn, 1993; dt. Ohms, 2000)
• Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen (SIAB)
(Fichter & Quadflieg, 1999)
Körperbild-Problematik:
• Body Checking Questionnaire (BCQ) (Reas et al., 2002; dt. Vocks et al., 2008)
� Erfassung kontrollierender Verhaltensweisen (u.a. in Bauch kneifen, Durchmesser kontrollieren)
• Body Image Avoidance Questionnaire (BIAQ) (Rosen et al, 1991; dt. Legenbauer et al., 2007)
� körperbezogenes Vermeidungsverhalten (u.a. weite Kleidung, dünnere Leute meiden)
Differenzialdiagnostik
• Organische Ursachen eines massiven Gewichtsverlustes
(chronische Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, pneumologische
Erkrankungen wie CF, Tumore etc.)
� in Einzelfällen Essstörung als komorbide Störung
• Psychische Erkrankungen, die mit einem erheblichen Gewichtsverlust
einhergehen
(Major Depression, Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis)
Ätiologie
Genetische Faktoren:
• eindeutiger bei AN (z.B. Trace et al., 2013)
• Konkordanzraten bei monozygorten vs. dizygoten Zwillingen:
− AN: 55% vs. 5%
− BN: 35% vs. 30%
• keine ausreichende Hinweise auf Kandidatengene, bislang kleine Fallzahlen
Neurobiologische Befunde:
• Dysfunktionen von Neurotransmittern (u.a. Serotonin), Sexualhormonen,
Neuropeptiden � Ätiologisch relevant oder Folge? (u.a. Kaye et al., 2013)
• strukturelle zerebrale Veränderungen (u.a. King et al., 2015)
• funktionell: Veränderung der Belohnungsverarbeitung? (u.a. O´Hara et al., 2015)
Ätiologie
Psychosoziale Risikofaktoren:
• allgemein:
− weibliches Geschlecht
− Adoleszenz
− Westliche Gesellschaft
− soziale Schichten mit höherer Bildung
− Negative Lebensereignisse
− problematische Interaktionen innerhalb der Familie
− …
• spezifisch:
− Übergewicht in Kindheit
− Kritische Kommentare über Gewicht/Figur
− …
Störungsmodell
„Teufelskreis-Modell“ Bulimie und abgeleitete Interventionen
„Teufelskreis Bulimie“
SelbstwertproblematikSelbst-Abwertung
Depression
Leiden unter DiskrepanzReal- vs. Idealgewicht
Unerwünschte Gewichtszunahme
EssanfälleNahrungsbedürfnis
Sek. somatische VeränderungenSek. psychische Veränderungen
Körperlicher
Mangelzustand
Psychische Störungen
Schlankheitsideal
Lösungsversuch: Kontrolle über Gewicht:-Fasten, Diät
-Erbrechen-Medikamente(Lax, Diu, Appetitzügler))
Angst vor Dickwerden
Exposition gegenüber Figur u. Gewicht
Exposition gegenüber
„binge food“
Exposition gegenüber
Belastungen
Ernährungstraining
Zentrale Kognitionen und Schemata
Störungsmodell: Entstehung u. Aufrechterhaltung
Behandlungsprinzipien
Vermitteln
Ableiten
plausibel
Therapeut
nachvollziehbar
PatientIn
verständlich
Veränderungsmodell
Formulieren klar
realistisch
Kognitive Vorbereitung & Commitment
Allgemeine Richtlinien
• Frühzeitige Therapie � Chronifizierung vorbeugen
• Psychoedukative Maßnahmen
• Ambivalenz des Patient anerkennen � Motivationsstrategien
Behandlung
Behandlung
Anorexia nervosa
• Verschiedene Psychotherapieansätze empfohlen
• Bei Adoleszenten: familienfokussierter Ansatz
• Motivationsstrategien
• Gesundes Essverhalten, Gewichtszunahme
• Stationäre Therapie größere Rolle als bei BN (ambulante Nachbehandlung wichtig!)
Bulimia nervosa
• 1. Wahl: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
• Eher ambulant
• Erstes Therapieziel: Essanfälle und gegenregulatorische Maßnahmen bearbeiten
• Dauerhafter Erfolg nur bei Modifikation von:
− Abhängigkeit des Selbstwerts von Gewicht und Figur
− Wichtigkeit der Kontrolle über Nahrungsaufnahme
− Pathologischer Perfektionismus
− Schwierigkeiten mit emotionalen Zuständen umzugehen (� Essen = Affektregulation)
Behandlung – Störungsbereiche und Therapieziele
InformationsdefiziteInformationsvermittlung:-Essstörung-Folgen-Behandlungskonzepte
Störungen der körperlichen u.emotionalen
Wahrnehmung
Wahrnehmungstraining:-Figur u. Gewicht-Bewegungs-, Tanz-, Gestalttherapie-Videokonfrontation eig. Körper
Störungen des emotionalen Ausdrucks
Kompetenztraining:-Soziale Kompetenzen-Emotionaler Ausdruck-Problemlösestrategien-> Rollenspiele
EssverhaltenErnährungsumstellung:-Ausgewogene Ernährung-Verhaltensanalyse:
pathologisches Essverhalten
Abweichung vom persönlichenSetpoint-Gewicht
bei Übergewicht:-Änderung relevanter Lebensstile-Langfristige Gewichtszielplanung-Keine Crash-Diäten
Dysfunktionale irrationaleGedanken, Haltungen
Kognitive Umstrukturierung:-Infragestellen negativer Gedanken(„sokratischer Dialog“)
-Aufbau positiver Gedanken
bei Untergewicht:-Operantes, verhaltenstherapeutisches Gewichtsprogramm� Gewichtsvertrag
Belastungen imsozialen Umfeld
Aufbau sozialer Fertigkeiten:-eigenständige Problemklärung-ggf. Familien- od. Paartherapie
Behandlung – Störungsbereiche und Therapieziele
Behandlung
Tagesprotokolle:
• Marburger Essanfall-Tagebuch (Tuschen-Caffier u. Florin, 1998; 2002)
− Gedanken u. Gefühlen, die Essanfall vorausgehen oder folgen;
Protokollieren von Auslösern
• Marburger Ernährungsprotokoll (Tuschen-Caffier u. Florin, 1998; 2002)
− Essensmengen, Kontrollverlust, Essanfälle u. gegenregulatorische Maßnahmen
Ernährungsbroschüre:
• Informationsbroschüren zu psychogenen Essstörungen (Tuschen-Caffier u. Florin, 1998;
2002; Remmel, 2004)
− Informationen über Folgen von Mangelernährung
Behandlung
Beispiele für
Essprotokolle
Behandlung
Behandlung
Medikamentöse Behandlung:
• Prinzipiell: Mono-Therapie Medikamente < Psychotherapie !!
Anorexia nervosa
• Keine medikamentöse Empfehlung
Bulimia nervosa
• Wenn, dann SSRIs (v.a. Fluoxetin – in Dtl. zugelassen), Langzeiteffekte unklar
Weitere Möglichkeiten bei Bulimia nervosa:
• Angeleitete Selbsthilfegruppe auf KVT-Basis
• Internet basierte interaktive KVT
Behandlung – weitere Optionen?
Betroffene erreichen, die sonst keine Therapie in Anspruch nehmen würden
Behandlung – Multimodales Behandlungskonzept