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24. November 2000
Prof. Dr. Tomas Poledna 1
"Der treue Staatsdiener - ein Auslaufmodell oder Realität?"
Referat anlässlich des Abteilungstages des GymnasiumsProf. Dr. Tomas Poledna, Rechtsanwalt in Zürich
24. November 2000
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Traditionelles Bild des Beamten
Der Beamte als "Soldat" des Königs
Vorherrschaft des Disziplinarrechts
"Sonderstatusverhältnis"
Gesetz
Grundrechte
Amtsdauer (=Lohn)
Treuepflicht (Der Beamte ist mit dem Staat "verheiratet", nicht mit seinem Chef
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Modernes Personalrecht
Annäherung ans ObligationenrechtDienstleistungsorientierungMarktauftritt / UnternehmenskulturKundenbedürfnisseKündbare AnstellungFlexibilitätBetonung der individuellen Rechte
Beidseitig?
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Traditionelles Modell (1)Art. 22 BtG
Der Beamte hat seine dienstlichen Obliegenheiten treu und gewissenhaft zu erfüllen und dabei alles zu tun, was die Interessen des Bundes fördert, und alles zu unterlassen, was sie beeinträchtigt.
24. November 2000
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Traditionelles Modell (2)Art. 24 BtG
1 Der Beamte hat sich durch sein Verhalten der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, die seine amtliche Stellung erfordert.
2 Der Beamte hat sich gegenüber Vorgesetzten und Mitarbeitern sowie im Verkehr mit dem Publikum höflich und taktvoll zu benehmen.
24. November 2000
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Neues Modell: Art. 21 BPG
1 Soweit es für die Staatssicherheit, für die Wahrung
von Interessen in auswärtigen Angelegenheiten oder
für die Sicherstellung der Landesversorgung mit
lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen
erforderlich ist, kann der Bundesrat durch
Verordnung: a. einzelne Grundrechte des Personals
beschränken; b. dem Personal Pflichten auferlegen,
die über den Arbeitsvertrag hinausgehen; c. das
Streikrecht beschränken oder aufheben.
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Treuepflicht und Grundrechte
GrundsatzkonfliktAuflösung?Gesetzliche Grundlage
(traditionelle umstritten)Öffentliches InteresseVerhältnismässigkeit
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Was heisst Verhältnismässigkeit?
Eignung im Hinblick auf das öffentliche Interesse
Erforderlichkeit: gibt es mildere Massnahmen?
Zumutbarkeit: kann ich die Einschränkung der betroffenen Person zumuten
Individuell
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Tangierte Grundrechte
MeinungsäusserungsfreiheitVersammlungsfreiheitVereinsfreiheitPressefreiheitPetitionsrechtGlaubens- und GewissensfreiheitLehrfreiheit
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Was heisst Treuepflicht?
Dienstliches Verhalten
Ausserdienstliches Verhalten
Pflicht zur Wahrung der Interessen des Gemeinwesens
Persönliche Meinung, Ansicht, Überzeugung des Beamten soll zurücktreten
Loyalitätspflicht
INTERESSENSWAHRUNGSPFLICHT = BESTIMMTE VERHALTENSWEISEN, ABER NICHT GESINNUNG ERFASST
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Elemente der Treuepflicht
Allgemeine Treuepflicht
WohnsitzpflichtÜberstundenStreikverbot (z.T.
aufgehoben!)Korrekte
Aufgabenerfüllung
Geschenkannahme-verbot
SchweigepflichtZeugnispflichtNebenbeschäftigu
ng
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Konkretisierungen
Despektierliche Äusserungen über Parlamentarier
Übermässige Kritik an den eigenen Vorgesetzten
Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen
Verbreitung links- oder rechtsextremer Auffassungen
Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen
Finanzielle Probleme, Trunksucht, Spielsucht
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"Individualität" der Treuepflicht
Treuepflicht von Stellung des Beamten abhängig (funktionale Betrachtungsweise)
Besonders kritische Funktionen: Justiz, Schule, höheres Kader, Polizei, Gesundheit, Diplomatie
Kritische Tätigkeiten: Politische Tätigkeit, öffentliche Kritik (Flucht an die Öffentlichkeit), Sexualverhalten, strafrechtlich relevantes Verhalten
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Beispiele heikler Bereiche
Politische Tätigkeit bei Mitwirkung an einer Vorlage / Projekt
Kritik ist vorerst verwaltungsintern anzubringen
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Sonderfall Streikrecht: Art. 28 Abs. 3/4 BV
3 Streik und Aussperrung sind zulässig, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen.
4 Das Gesetz kann bestimmten Kategorien von Personen den Streik verbieten.
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Fallbeispiele (1)
Sexualverhalten / Gemeinschaftsleben: Konkubinat, Homosexualität bis in
70er Jahre als unvereinbar mit Treuepflicht angesehen
Heute: Fall Adrian Ramsauer (Urteil Obergericht vom November 2000)
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Auszug aus Entscheid OGer ZH (Fall Ramsauer)
"Es kann nun aber nicht gutgeheissen werden, dass ohne bestimmte objektive konkrete Anhaltspunkte und aufgrund von reinen Mutmassungen ein wenn von gewissen Kreisen auch als "moralisch und gesellschaftlich eindeutig verpönt" bezeichnetes und "eine charakterliche Veranlagung, die auch zu einem strafbaren Verhalten neigt" indizierendes (Zitat einer Aussage des Ersten Staatsanwaltes in der ’Sonntags-Zeitung vom 18. Juni 2000 sowie im ’Der Landbote vom 22. Juni 2000), so doch nach den geltenden Gesetzesbestim-mungen legales Verhalten pönalisiert und der Rekurrent aufgrund der gegebenen, was Hinweise auf Verdachtsgründe anbelangt, nicht genügenden Aktenlage diskriminierenden Verdächtigungen ausgesetzt wird."
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Fallbeispiele (2)
Vorbildfunktion: keine Benützung PW? BGE 120 Ia 207: In einem demokratischen Staats-
wesen darf der Beamte nicht ohne dienstliche Not-wendigkeit auf die Meinung der Mehrheit verpflichtet werden Er ist nicht gehalten, die vom Staat ver-folgte Politik öffentlich zu verteidigen; es besteht insofern keine positive Treuepflicht Das gilt nicht nur für die politische Betätigung im eigentlichen Sinn, wie etwa die Mitwirkung in Parteien oder die Teilnahme an politischen Veranstaltungen, sondern für das ausser-dienstliche Verhalten schlechthin; dem Beamten kommt keine Vorbildfunktion zu.
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Fallbeispiele (3)
Zugehörigkeit zu einer extremen Vereinigung/politischen Gruppierung: VPB 61 Nr. 80 (Eidg. Personalrekurs-
kommission) EGMR Fall Vogt (2.9.1995)
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VPB 61 Nr. 80 (1)Welche Beschränkungen sich für das ausserdienstliche Verhalten ergeben, hängt in erheblichem Masse von den Anforderungen des einzelnen Amtes ab. Je höher die entsprechenden Anforderungen sind und je näher ein entsprechendes Amt zum Bereich der Leitungsaufgaben gehört und die öffentliche Verwaltung repräsentiert, desto höher sind die Anforderungen, die sich für das Verhalten ausserhalb des Dienstes ergeben, damit Glaubwürdigkeit und Funktionstüchtigkeit der Verwaltung nicht beeinträchtigt werden. Umgekehrt verhält es sich, wenn ein Amt lediglich untergeordnete und ausführende Aufgaben umfasst. Im Sinne dieser Grundsätze ist auch die Zugehörigkeit zu extremen politischen oder anderen Vereinigungen zu beurteilen. Auszugehen ist davon, dass das Gesetz mit Bezug auf die Zugehörigkeit zu Vereinigungen eine liberale Regelung enthält (Art. 13 Abs. 2 BtG).
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Die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, deren Zwecke oder Mittel nicht aufgrund eines Beschlusses des Bundesrates als rechtswidrig oder staatsge-fährlich gelten, ist für das Beamtenverhältnis nur soweit von Belang, als sie Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit des Amtes oder die Vertrauenswür-digkeit der öffentlichen Verwaltung hat. Die Beurtei-lung hängt wiederum in erheblichem Masse von den Aufgaben des entsprechenden Amtes ab. Daraus ist aber nicht zu schliessen, dass beim Entscheid über die Wiederwahl eines Beamten, der lediglich unter-geordnete Aufgaben erfüllt und dem bei der Erfüllung dieser Aufgaben nichts vorzuwerfen ist, das ausser-dienstliche Verhalten zum vorneherein unbeachtlich sei. So sind Betätigungen, die zu den in der Verfas-sung verankerten Grundwerten schlechterdings im Gegensatz stehen, mit der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung in keinem Falle vereinbar.
24. November 2000
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Zu diesen Verhaltensweisen sind, selbst wenn sie nicht öffentlich vorgenommen werden, insbesondere jene zu zählen, die - abgesehen vom Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Vornahme - zum Kern der durch Art. 261bis StGB (Rassendiskriminierung) erfassten Tathandlungen gehören. Betätigt sich ein Beamter klar und unzweideutig in solcher Weise, so stellt dies einen triftigen Grund für eine Nichtwiederwahl selbst dann dar, wenn dem Beamten lediglich untergeordnete Aufgaben obliegen und er diese Aufgaben an sich korrekt erfüllt.
24. November 2000
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Fall Vogt / EGMR• Ausschluss vom Schuldienst einer
Lehrerin wegen Zugehörigkeit zur Deutschen Kommunistischen Partei
• Frage der Notwendigkeit des Ausschlusses
• Beamte sollen mit den Grundwerten eines Staates solidarisch sein
• Im konkreten Fall war eine Differenzierung nicht möglich (schulische Tätigkeit / Privatleben). Konsequenz: Aufhebung der Entlassung
24. November 2000
Prof. Dr. Tomas Poledna 24
Folgerungen: Recht auf "Untreue"?
Folgerung: den "treuen" Staatsdiener gibt es immer noch. Die Treue ist heute jedoch anders zu definieren als früher.
Erstarktes Gewicht der individuellen Position / keine Schematismen
Postulat der Anpassung an das Obligationen-recht (Tendenzbetriebe). Besondere Begrün-dung für Bedarf an Treue