Credits: Daniel Wisniewski, Fenja Eisenhauer, Freyja Schimkus,Tobias Mittmann / www.jugendfotos.at
Dr. Beate Großegger – [email protected]
Institut für Jugendkulturforschung – Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Jugendliche Gesundheitsstile als Frage des Zeitgeistes?
Körperkapitalisten, Wohlfühltypen und erlebnisorientierte Genießer
Gesundheit, ein wichtiger Wert für Jung & Alt
• Der Generationendialog will in Gesundheitsfragen dennoch nicht so recht klappen
• Erwachsene sagen: „Was ist nur mit unserer Jugend los?“
• Jugendliche sagen: „Erwachsene haben echt einen Tunnelblick.“
Prägende Erfahrungen formieren sich zum Lebensgefühl, Lifestyles weisen Wege in die Zukunft (gewohnheitsmäßiges Einschleifen, bewusste Abwehr oder Verfestigung)
Die Jugend(phase) beginnt immer früher, die Überforderung auch
� „Kinder der Krise“ – die Zeiten werden härter, die gesellschaftliche Verunsicherung wächst
� Multi-Optionalität, Mangel an langfristigen Sicherheiten und Leistungsdruck führen zu Orientierungslosigkeit und bedeuten Stress
Credits: Roman Henn / www.jugendfotos.at; Institut für Jugendkulturforschung
Wichtige Weichen werden im Jugendalter gestellt
Zeitphänomen: „Ein bisschen Angst habe ich schon, aber die Zukunft kann mich mal! “
Credit: Philipp Linstädter/www.jugendfotos.at
Was heute gültig ist, ist morgen vielleicht schon überholt …
• Top-Zukunftsängste: Altersarmut (Kippen des Generationenvertrags, Wirtschaftskrise) + schwere Krankheit
Trotzdem gilt das Motto:
• „Mit dem ‚gesünder Leben‘ fange ich dann an, wenn ich merke, dass ich nicht so weiter machen kann.“ (Bewegung, Ernährung und vor allem Alkohol und Nikotin)
• Denn: „Gesund leben“ (wie Erwachsene es vorschlagen) ist „echt öd“.
words of relevant mouth: „Früher war ich wirklich jeden Tag drauf. Ich habe mir gedacht: Oh, what’s happening there, what’s happening there? Und irgendwann einmal wurde es so viel. Als ich dann auch noch bemerkt habe, was mit meinen Daten passiert, habe ich es ziemlich stark runtergeschraubt.“
words of relevant mouth:„Wenn du in der U-Bahn sitzt und zehn Minuten fahren musst, dann holst du halt das Handy heraus und schaust, was es Neues auf Facebook gibt. Und wenn dir langweilig ist, schaust du auf WhatsApp, anstatt einfach die Zeit zu genießen, die du frei
hast.“
� 85% der 14- bis 29-Jährigen nutzen Facebook; 69% nutzen WhatsApp (63% beides)
� Rund 6 von 10 14- bis 29-Jährigen (57%) stellen auf Facebook, Instagram und Co. Selfies online.
� Dennoch heißt es immer öfter: „Mittlerweile geht mein Trend eher gegen Facebook.“
Institut für Jugendkulturforschung (2014): „Generation Selfie“, rep. für 14- bis 29-Jährige, n=600
Zeitphänomen: „digitaler Stress“
� Stress und Druck nehmen zu: vor allem die bildungsnahe Jugend leidet
� Selbstoptimierungszwänge sind allgegenwärtig – Erwachsene sind schlechte Vorbilder
� Depressionen und Burnout als neue Volkskrankheiten
� Toleranz der Jugend gegenüber „psychisch Kranken“ ist gering – eine Abwehrreaktion?
Zeitphänomen: das erschöpfte Selbst
Credit: Marie Fleur Borger / www.jugendfotos.at
Fragen, die wir uns stellen müssen:
� Wohin gehen Bildungs- und Erwerbsystem? Was bedeutet das für die Menschen?
� Wird das Leitbild der „juvenilen Gesellschaft“ zum Fleischwolf?
� Wie geht die Gesundheitsförderung damit um?
„„„„Die Leute wollen abschalten, sich gehen lassen und die Sau rauslDie Leute wollen abschalten, sich gehen lassen und die Sau rauslDie Leute wollen abschalten, sich gehen lassen und die Sau rauslDie Leute wollen abschalten, sich gehen lassen und die Sau rauslassen. Die kassen. Die kassen. Die kassen. Die köööönnen nnen nnen nnen nicht die ganze Zeit in ihren Depressionen versinken.nicht die ganze Zeit in ihren Depressionen versinken.nicht die ganze Zeit in ihren Depressionen versinken.nicht die ganze Zeit in ihren Depressionen versinken.““““
Trend zu kompensatorischem Umgang mit Überforderung: kurze Auszeiten von Stress/Druck/psychischem Ballast
Wie gehen Jugendliche damit um?
• Rückzug in die kleinen privaten „Wohlfühl-Oasen“ und/oder exzessives Freizeitverhalten (inkl. Komasaufen + „bunte Pillen“/Lifestyledrogen)
Bundesweiter Trend:
• 57% der 14- bis 19-Jährigen sagen: „In der Arbeit/der Schule/im Studium stehe ich stark unter Druck.“
• Jede/r Dritte gibt an, dass die Eltern Druck ausüben, damit ihre Kinder in der Ausbildung erfolgreich sind; ebenfalls jede/r Dritte hat das Gefühl, dass nur die Leistung zählt, nicht der Mensch.
Jessy Seywald / www.jugendfotos.atInstitut für Jugendkulturforschung (2011): Jugend-Wertestudie 2011, rep. für 14- bis 29-jährige ÖsterreicherInnen, n=1.500, Ang. in Prozent
Entfremdeter Alltag erhöht Bedarf an Wohlfühlfaktor
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Credit: Cindy Ngo / www.jugendfotos.at
Achtung: Wohlfühlen kann man sich auch dann, wenn man nicht gesund lebt:O-Ton männlich �„Man fühlt sich auch wohl, wenn man irgendwelche Drogen konsumiert.
Ich meine, wenn ich Zigaretten rauche, denke ich mir auch: Ah, angenehm ...“
Wohlbefinden ist ein Gefühl: eng verbunden mit Ausgeglichen-heit, Zwanglosigkeit und Vermeidung von Extremen.
Extreme Gesundheitsstrategien erzeugen Stress; viele denken bei „gesundem Leben“ an zwanghaftes Verhalten.
Das Event als aus dem Alltag herausragendes Erlebnis:
� Grenzüberschreitungen, Alkohol und ungesunde Ernährung gehören einfach dazu
� Man lässt die Sau raus und damit den (teils als überfordernd, teils als monoton empfundenen) Alltag zumindest auf Zeit hinter sich
Credit: Julia Zetzsche / Julius T....; www.jugendfotos.at
Entfremdeter Alltag führt zu Sehnsucht nach Ausnahmezustand
O-Ton – weiblich: „Da kann man um 12 Uhr mittags relativ betrunken sein (…) und gilt halt einfach als ziemlich lustig. Als Jugendlicher vorm Eissalon sitzen, um 12 Uhr mittags, und zwei Bier getrunken haben, das schaut a bissl komisch aus. Also hier kannst du des einfach machen. (…) Es ist alles viel lockerer (…).“
Gesundheit – ein für Jugendliche wichtiger Wert, aber …
� Was (Jugendlichen) für „gesund leben“ häufig fehlt: Zeit, Geld und passende Rahmenbedingungen im Alltagsvollzug
� Die wichtigsten Gesundheitsthemen der Jugendlichen: Sport – „das macht auch Spaß“, Ernährung und „geistige Gesundheit“ – psychische Balance wird in der Burnout-Gesellschaft zunehmend wichtiger (bildungsnah und weiblich)
� Für Jugendliche gilt: Den durchgängig gesunden Alltag gibt es nicht: Rhythmisierung von (eher) „gesund“ und (eher) „ungesund“
Credit: Deborah Bischofberger / www.jugendfotos.at
Alles geht mit allem zusammen und alles wird ständig auf seine Brauchbarkeit überprüft – auch beim Gesundheitsthema
Was Werte für diese Generation bedeuten:
• „was Individuelles: jeder hat andere Werte …“
• „ein Geländer, an dem man sich festhält, und dann entfernt man sich auch wieder“
• „man muss sie einfach auf ihre Alltagstauglichkeit testen können und dann kann man aus Erfahrung lernen, ob Werte einen guten Zweck erfüllen oder ob sie überholt sind“
Credits: Sanja Aleckovic / Johannes Langwieder /Michele Ballhausen, Fenja Eisenhauer / Liv Stephan www.jugendfotos.at
große Chance und zugleich große Herausforderung …
Bildquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Mannheim
Nicht nur der jugendliche, auch der erwachsene Blick auf die Welt ist durch generationen-spezifische Erfahrungen geprägt.
• Zeitgebundene Lebensumstände und in der Jugend gemachte Erfahrungen und zeitgebundene Lebensumstände, mit denen wir aufwachsen, prägen unsere Generationenperspektive und formen damit unser Denken und Handeln: Perspektivität in der und durch die „Zeitheimat“
Jugendliche sind ProtagonistInnen eines Zeitgeistes, der Erwachsenen oft fremd bleibt:
• Im Zeitgeist formieren sich die konkreten Ausdrucksformen des sozialen und kulturellen Wandels, die jeder Epoche ein unverwechselbares Gesicht geben.
Wo Zeitgeist mehr als ein Trendvokabel ist
Experimentieren
8 auf der Suche nach dem eigenen Stil
8 haarscharf am Tabu-Bruch
8 auf der Suche nach dem eigenen Weltbild
8 auf der Suche nach sich selbst
und alles nicht so tragisch
alles nur auf Zeit
Ausstieg möglich – immer, wenn man möchte
alles nur ein Spiel
und cool auch noch dazu
besser mit Freunden als ohne sie
bevor der Ernst des grauen Alltags zuschlägt
Jugendkultur als PROBEbühne
Neuer Clubszene-Trend (London): drogenfrei und gesund in den Morgen „raven“
• „Morning Glory“ – mittwochs ab 6:30: DJ-Sound, Tanz-AnimateurInnen, Bio-Smoothies, Massagen und Yogastunden; die tanzbare gesunde Fitnessparty
• Kernzielgruppe: junge Frauen (20+)
„Morning Glory“: Gesünder raven!
Junge Diät-Männer
Bildzitat aus: Biber 10/2013
� Fitness im Trend – die Fitness-Szene als eine der bedeutendsten Jugendszenen der Gegenwart
� Neuer Nischen-Trend im „Mucki-Bude-Segment“: mit Training plus ausgeprägtem Ernährungs-bewusstsein (viel Obst und Gemüse, kalorienbewusste Ernährung, frisch gepresster Fruchtsaft statt Kaffee etc.) am Six-Pack arbeiten
� Zielgruppe: Junge Männer (Migrationshintergrund); Diät-Plan als Element eines an körperlicher Fitness orientierten Lifestyles
Juveniler Körperkapitalismus: der „Body“ als ein Material, das bearbeitet werden muss
Paulina Biczyc / Nina Balser / Lorenz Wünsch, www.jugendfotos.at
� Jugend im Zeitalter von „Nur wer fesch und fit ist, hat Chancen auf Erfolg“
� words of relevant mouth: „Wenn du gesund lebst, siehst du einfach besser aus – das ist schon wichtig.“
Sonstiges6%
Kreative Freizeitaktivitäten 3%
Wandern/Klettern4%
Fitnesssportarten4%
Kampfsport5%
Tanzen8%
Ballsport8%
Fun-/Trendsportarten
39%
Wintersport9%
Wassersport14%
� 6 von 10 jungen ÖsterreicherInnen nennen Freizeitaktivitäten, die sie gerne ausprobieren würden, wo sie aber noch keine Möglichkeit dazu hatten – allem voran: Sport und erlebnisorientierte Bewegungsangebote
� Haupthinderungsgrund: Zeit (Inkompatibilität des Angebots mit den eigenen Möglichkeiten)
Welches Freizeitangebot/welche Freizeitaktivität wolltest du ausprobieren?
Offene Frage vercodet; Basis: Jugendliche, die ein bestimmtes Freizeitangebot gerne ausprobieren möchten, aber bislang keine Möglichkeit hatten
Institut für Jugendkulturforschung (2014): Jugend und Freizeit, rep. für 14- bis 29-jährige in Österreich, n=600, Ang. in Prozent
Blick in den Mainstream: Sind Jugendliche „Bewegungsmuffel“?
Pia Döhler, Pia-Sophie Weber / www.jugendfotos.at
Wenn es in meiner Heimatgemeinde attraktive Sportangebote gäbe, würde ich mehr Sport betreiben.
0% 25% 50% 75% 100%
Großstadt
Klein-/Mittelstadt
Ländlicher Raum
Stimme voll & ganz zuStimme eher zuStimme eher nicht zuStimme gar nicht zukeine Angabe
Ländlicher Raum
Klein-/Mittelstadt
Großstadt
Institut für Jugendkulturforschung (2009): Gesundheitsförderung im Zielgruppensegment Jugend, 14- bis 25-jährige EventbesucherInnen, n=850; Ang. in Prozent
Fitness + Gemeinwesenarbeit
• Kernzielgruppe in Deutschland: bislang „Mid-Agers“ & „Best-Agers“
• Aber auch gezielte Ansprache jüngeren Publikums: Erlebniswert, Bonusfaktor „unkonventionell“, niederschwellig (urban)
• Offen für generationen- wie auch milieuübergreifende Umsetzung
Trend aus Großbritannien, der auf Kontinentaleuropa überschwappt.
• Man trifft sich in (vernachlässigten) Parkanlagen und bringt sie gemeinsam auf Vordermann; im Anschluss: Gymnastik.
„Green Gym“: eine lizenzierte Idee aus GB
https://www.facebook.com/GreenGymHamburg
Johannes Ammon/www.jugendfotos.at, Tobias Mittmann/www.jugendfotos.at,
• 3 von 4 Jugendlichen meinen, Alkohol gehöre zu einem Fest/einer Veranstaltung einfach dazu
• Rd. jede/r Zweite wünscht sich bei Festen/Veranstaltungen aber auch ausreichend anti-alkoholische Getränke
• Ebenfalls rd. jede/r Zweite sagt: „Wenn Sportangebote billiger wären, würden Jugendliche mehr Sport machen.“
Bewegungsförderung mit Wohlfühl- und/oder Lifestyle-Faktor
Institut für Jugendkulturforschung (2009): Gesundheitsförderung im Zielgruppensegment Jugend, 14- bis 25-jährige EventbesucherInnen, n=850; Ang. in Prozent
Gesundheitsphilosophien Jugendlicher
www.gesundheit.gv.at
Credit: Cindy Ngo / www.jugendfotos.at; Bildtitel: Gesundmacher; Julia Zetzsche / www.jugendfotos.at
� Typus 1 – selbsternannte Genussmenschen: „Do the right thing, but hang loose“(gesundes Leben muss Spaß machen)
� Typus 2 – Körperkapitalisten: instrumenteller Zugang zum Körper, wenig Sensibilität für mentale Gesundheit
� Typus 3 – selbsternannte Wohlfühltypen: jede/r entscheidet für sich selbst, was ihr/ihm in einer bestimmten Situation gut tut
� words of relevant mouth: „Solange es der Körper aushält, kann man ruhig richtig abfeiern.“ (80% Zustimmung in der eventbegeisterten Jugend)
Nein D
anke!
Nein D
anke!
Nein D
anke!
Nein D
anke!
Institut für Jugendkulturforschung (2009): Gesundheitsförderung im Zielgruppensegment Jugend – qualitative Interviews
Credits: Tobias Mittmann, Lemoine Emmanuel / www.jugendfotos.at
Die heute Jungen sind die Alten von übermorgen; nachhaltige Gesundheitsförderung muss also schon heute hinschauen und mit-/weiterdenken
Achtung: die „formative Jugendphase“ prägt
� „Best-Agers“ versus „Betagte“: Analog zur „langanhaltenden Jugend“(die wir heute beobachten) wird es ein „langanhaltendes Alter“ geben: Best-Agers = 70 bis Anfang 80; Betagte = Anfang 80 bis Mitte/Ende 90
� „Schicke Alte“ versus „triste Alte“: Pluralisierung der Lebensstile der Alten; soziale Differenzierung – Alter zwischen juvenilem Lifestyle und Altersarmut
� Das Gesundheitswesen wird verstärkt auf Zielgruppensegmentierung setzen müssen: Chancen und Risiken des Alters werden sich in den verschiedenen Zielgruppensegmenten vermutlich stark unterscheiden; Gesundheitstypen werden sich weiter ausdifferenzieren
DIE Jugend gibt es nicht – das Alter differenziert sich aus
Kindheit/JugendMid-Agers
Erwerbsfähiges AlterBest-Agers/Betagte
Verhältnis: 3 : 4 : 3
0 bis Ende 20 Ende 20 bis Ende 60Alter: Ende 60 bis Mitte/Ende 90
„Ich fühle mich. Ich lebe.“ (Herder) –kompensatorisches Motto in einer vielfach
überfordernden Welt
„Let me entertain you!“ (Pro7)
Gesundheitsförderung mit dem Zeitgeist
Credits: Daniel Wisniewski, Fenja Eisenhauer, Freyja Schimkus,Tobias Mittmann / www.jugendfotos.at
Dr. Beate Großegger – [email protected]
Institut für Jugendkulturforschung – Alserbachstraße 18/7. OG, 1090 Wien
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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