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Gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen des
bundesdeutschen Finanzföderalismus
von
Reinhold Bocklet, MdL
1. Vizepräsident des Bayerischen Landtags
Staatsminister a.D.
25. März 2014
Vortrag auf dem Forum of Federations
Ist eine Reform des deutschen Finanzausgleichs möglich?
Die Ordnung der Beziehungen zwischen Bund und Ländern ist
kein abgeschlossenes System, vielmehr ist der deutsche
Föderalismus ständigen Veränderungen unterworfen. Mehr als
drei Viertel der über 70 Änderungen des Grundgesetzes
betrafen das Bund-Länder-Verhältnis. Dabei ging es neben der
Verteilung der Kompetenzen vor allem um die Regelung der
Finanzbeziehungen, insbesondere um die gerechte Verteilung
des Steueraufkommens. Seit Jahren steht in diesem
Zusammenhang der Länderfinanzausgleich im Zentrum der
öffentlichen Auseinandersetzung. Nachdem nur noch drei
zahlende Länder (Bayern, Baden-Württemberg und Hessen)
dem großen Kreis von dreizehn Nehmerländern
gegenüberstanden, haben im letzten Jahr der Freistaat Bayern
und das Land Hessen gegen das seit 2005 geltende
Ausgleichssystem mit der Begründung geklagt, es sei
ungerecht, leistungsfeindlich und verfassungswidrig. Außerdem
fordern sie eine grundlegende Reform hin zu einem
steuerlichen Zu- und Abschlagsrecht der Länder und zu mehr
Wettbewerb zwischen den Ländern.
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Permanentes Problem
Dass es sich beim Länderfinanzausgleich um ein permanentes
Problem handelt, zeigen die einschlägigen Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1986, 1992 und
1999, die zwar zu einer Reihe von Änderungen im Detail der
konkreten Regelungen geführt haben, die eigentlichen
Probleme des Ausgleichssystems aber nicht lösen konnten.
Das gilt auch für die Umsetzung einer Forderung des
Bundesverfassungsgerichtes im Urteil vom 11. November 1999:
Danach sollte der Gesetzgeber zunächst in einem
Maßstäbegesetz allgemeine und abstrakte Maßstäbe und
Indikatoren für den bundesstaatlichen Finanzausgleich
festlegen, ohne dass die späteren finanziellen Wirkungen
bekannt waren. In einem zweiten Schritt sollten die konkreten
Zahlungen in einem Finanzausgleichsgesetz bestimmt werden.
Die Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes sind jedoch
von der Politik unterlaufen worden, weil schon bei den
Verhandlungen über das Maßstäbegesetz stets dessen
finanzielle Folgen im Finanzausgleichsgesetz im Vordergrund
standen.
Die deutschen Länder stehen aber nun unter erheblichen
Konsolidierungszwängen, weil sie bis 2020 die Kreditaufnahme
reduzieren müssen, um die dann vom Grundgesetz
vorgeschriebenen Schuldengrenzen einzuhalten und weil die
geltenden Regeln des Länderfinanzausgleichs 2019
automatisch auslaufen. Die sog. Schuldenbremse ist nur über
Ausgabekürzungen oder Einnahmenverbesserungen
umzusetzen. Da Ersteres politisch meist nicht gewollt ist,
müssen die Einnahmen, insbesondere die Steuereinnahmen,
erhöht werden. Weil die Länder jedoch keine eigene
Steuerautonomie haben, bleibt eigentlich nur der Weg über den
Länderfinanzausgleich: Empfängerländer werden versuchen,
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höhere Zuweisungen zu erreichen; Geberländer werden sich
bemühen, ihre Beiträge zu reduzieren. Beides schließt sich
allerdings gegenseitig aus, es sei denn, man einigt sich zu
Lasten des Bundes.
Mehrstufiges Finanzausgleichsystem
Was einem einzelnen Bundesland nach dem geltenden System
an Steuereinnahmen zur Verfügung steht, wird in einem
mehrstufigen Verfahren festgelegt:
Der erste Schritt ist die Zuweisung der Steuerquellen: Die
Bundesländer erhalten das Aufkommen der bundesrechtlich
geregelten Ländersteuern (zum Beispiel Erbschaftsteuer,
Biersteuer), soweit das Aufkommen in ihrem Gebiet anfällt
(Prinzip des örtlichen Aufkommens). Dazu kommen im zweiten
Schritt die Anteile an den Gemeinschaftssteuern
(Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer) und
an der Gewerbesteuerumlage. Auch hierbei gilt das Prinzip des
örtlichen Aufkommens – allerdings mit Ausnahmen: Der den
Ländern zufließende Anteil am Lohnsteueraufkommen wird
nach dem Wohnsitzprinzip, der Anteil an der Körperschaftsteuer
nach Betriebsstätten verteilt.
Das deutsche Ausgleichssystem startet bei der Steuerkraft der
Länder. Diese divergiert vor jeglichem Transfer erheblich.
Gemessen am Durchschnitt der Bundesländer kam etwa das
wirtschaftsstarke Bayern im Jahr 2011 auf einen Wert von 128
%, während das ostdeutsche Thüringen bei 51 % lag. Als erstes
führt ein sogenannter Umsatzsteuerausgleich zu einer bereits
markanten Angleichung dieser Unterschiede. Dabei werden
maximal 25 % des Länderanteils an den
Mehrwertsteuereinnahmen für die Umverteilung verwendet
(Ergänzungsanteile). Im Jahr 2011 wurde so eine Summe von
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7,3 Mrd. Euro transferiert. Der Umsatzsteuerausgleich spielte
damit eine gleich große Rolle wie der Länderfinanzausgleich im
engeren Sinne.
Der dritte Schritt ist sodann der „Finanzausgleich unter den
Ländern“. Hierbei wird für jedes Land das Steueraufkommen
pro Einwohner (Steuerkraft) ermittelt und durch ein System von
Beiträgen der finanzstarken Länder und Zuweisungen an die
finanzschwachen Länder eine Angleichung herbeigeführt. Die
Unterschiede zwischen den Ländern werden dabei weiter
markant verringert. Zur Anwendung kommt ein progressiver
Ausgleichstarif, der bei den „starken“ Ländern viel abschöpft
und bei den „schwachen“ viel auffüllt.
Zudem wird davon ausgegangen, dass die Stadtstaaten Berlin,
Bremen und Hamburg einen höheren Finanzbedarf pro Kopf
aufweisen als die Flächenländer. Diese sog.
„Einwohnerveredelung“ mit dem Faktor 1,35 ist maßgeblich
dafür verantwortlich, dass Berlin und Bremen zu den größten
Transferbeziehern gehören und dass das reiche Hamburg auf
der Kippe zum Empfängerland steht.
Trotz dieser starken Umverteilung unter den Ländern bestehen
noch gewisse Unterschiede in der Finanzkraft fort. Deshalb
zahlt der Bund in einem vierten Schritt an finanzschwache
Länder sog. Bundesergänzungszuweisungen. Bei allen
Ländern, die noch unter 99,5 % der durchschnittlichen
Finanzkraft liegen, wird die verbliebene Lücke um rund drei
Viertel aufgefüllt. Im Jahr 2011 gab der Bund dafür 2,6 Mrd.
Euro aus. Zum anderen erhalten die ostdeutschen
Bundesländer bis 2019 sogenannte Sonderbedarfs-
Ergänzungszuweisungen. Mit ihnen sollen teilungsbedingte
Sonderlasten ausgeglichen werden. Diese im Rahmen des
„Solidarpakts II“ gewährten Leistungen beliefen sich zuletzt auf
7,2 Mrd. Euro; sie werden bis 2019 schrittweise reduziert.
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Insgesamt trägt der Bund rund 10 Mrd. Euro zum
Finanzausgleich bei. Dies stellt indirekt eine zusätzliche
Umverteilung von reicheren in ärmere Regionen dar. Zu
bemerken ist nicht zuletzt, dass gut 85 % der
Transferzahlungen auf allen drei Stufen an die ostdeutschen
Länder fließen. Der Finanzausgleich ist damit faktisch ein
Instrument der Ostförderung.
Einebnung der Unterschiede
Im Ergebnis wird die Finanzkraft der Länder praktisch
vollständig eingeebnet. Das entspricht den Intentionen des
Grundgesetzes (Art. 107 Abs. 2 GG). In der deutschen
Verfassung heißt es, dass die „unterschiedliche Finanzkraft der
Länder angemessen ausgeglichen“ werden soll – auch, um
überall „gleichwertige Lebensverhältnisse“ herzustellen.
Ein Blick in die benachbarte Schweiz, das föderalistische
Musterland, zeigt, dass es auch anders geht. Der Neue
Finanzausgleich (NFA) in der Schweiz setzt lediglich das Ziel,
die Finanzkraft der schwächsten Kantone auf 85 % des
nationalen Durchschnitts zu heben. Ebenso scharf ist der
Kontrast mit Blick auf das Staatsverständnis. Laut den
deutschen Gesetzen müssen die Länder mit genügend Mitteln
ausgestattet werden, um „die ihnen zugewiesenen Aufgaben
erfüllen zu können“. Im Schweizer Verständnis gibt es keine
solchen „fixen“ Staatsaufgaben. Diese ergeben sich vielmehr
aus den – lokal unterschiedlichen – Wünschen der Bürger in
den Grenzen der vorhandenen Finanzkraft.
Aus finanzwirtschaftlicher Sicht führt das deutsche
Umverteilungssystem zu zwei grundlegenden Problemen. Zum
einen besagt ein wichtiges Kriterium, dass die Reihenfolge der
Länder durch die Transfers nicht umgekehrt werden sollte. Zwar
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verletzt der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne diese
Vorgabe nicht. Aber das gesamte Ausgleichssystem führt
tatsächlich dazu, dass schwächere Länder am Ende über eine
höhere Finanzkraft verfügen als stärkere Länder. Auch Bayern
und Hessen bemängeln dies in ihrer Klage. Zum anderen bietet
das deutsche System den Politikern in den Bundesländern fast
keine Anreize, eine gute Finanzpolitik zu verfolgen. Die
Geberländer müssen bis zu 75 % jedes zusätzlichen Euro
abgeben, den sie durch eine gute Politik erwirtschaften – etwa,
indem sie die Wirtschaftskraft und Standortqualität pflegen oder
indem sie öffentliche Leistungen effizienter anbieten. In
Modellrechnungen für das Jahr 2000 hat der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nachgewiesen, dass den
Ländern unter 30 % - manchen Empfängerländern sogar unter
10 % - der Mehreinnahmen verbleiben; der Rest wird über den
Finanzausgleich „abgeschöpft“. Auch die Nehmerländer haben
kaum ein Interesse daran, ihre Situation zu verbessern, wie
wissenschaftliche Studien zeigen. Es überrascht deshalb nicht,
dass im Zeitablauf immer mehr Länder in den Status eines
Nehmerlandes abgerutscht sind. Nur Bayern hat es überhaupt
als einziges Land geschafft, vom Nehmer- zum Geberland zu
werden.
Mit jeder „Reform“ ist das System in den technischen Details
schwieriger und unüberschaubarer geworden, was der
Akzeptanz sicher nicht gedient hat. Die entscheidende Frage
lautet nach wie vor: Wie kann ein anreizkompatibler Ausgleich
gefunden werden, der es sowohl für die leistenden als auch für
die empfangenden Bundesländer attraktiv macht, sich selbst
um Steuereinnahmen zu bemühen? Erst wenn das gelingt,
kann die ökonomische Effizienz des Ausgleichs verbessert, sein
Umfang gesenkt und seine politische Akzeptanz erhöht werden.
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Der Länderfinanzausgleich ist heute ein reiner
Einnahmenausgleich, die Höhe und Art der Ausgaben der
Bundesländer spielen keine Rolle. Die Bundesländer sollen
über ein in etwa gleiches Steueraufkommen pro Einwohner
verfügen können, das soll garantieren, dass in allen Ländern
die Pro-Kopf-Ausgaben und damit die Pro-Kopf-Leistungen in
etwa übereinstimmen, also gleichwertige Lebensverhältnisse in
allen Ländern gesichert werden können. Zahlungen im
Länderfinanzausgleich sind also Ersatz für fehlende
Steuereinnahmen in den finanzschwachen Ländern. Was
einzelne Länder zahlen müssen oder erhalten, richtet sich
ausschließlich nach der relativen Höhe der Finanzkraft der
Länder vor dem Länderfinanzausgleich.
Mehr Selbstverantwortung und Wettbewerb wagen
Die Grundübel des Finanzausgleichs sind seit langem bekannt
– und ebenso die Lösungsansätze. Der Sachverständigenrat für
Wirtschaft präsentierte bereits in seinem Jahresgutachten
1992/93 einen Vorschlag für eine tiefgreifende Reform. Seitdem
haben die „Wirtschaftsweisen“ ihre Vorstellungen mehrfach
wiederholt. Im Wesentlichen schlagen sie vor, den
Umsatzsteuerausgleich als sachfremd zu streichen, die
Einwohnergewichtung zugunsten der Stadtstaaten
abzuschaffen und allfällige Hauptstadt- und Zentrumsleistungen
anders zu berücksichtigen sowie die Anreize für eine gute
Finanzpolitik durch einen deutlich weniger progressiven
Ausgleichstarif zu stärken. So ließe sich der Finanzausgleich
innerhalb des bestehenden Systems reformieren. Allerdings
würde damit ein weiteres Grundübel des deutschen
Föderalismus nicht beseitigt. Selbst wenn die Länder bessere
Anreize für eine gute Finanzpolitik erhalten sollten, hätten sie
dafür nur einen sehr begrenzten Spielraum. Die Bundesländer
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besitzen – im Gegensatz zu den Schweizer Kantonen –
praktisch keine Steuerautonomie. Im „kooperativen
Föderalismus“ Deutschlands dominieren
Gemeinschaftssteuern, von denen Bund und Länder je einen
fixen Anteil erhalten.
Das entscheidende Argument für eine Reform des
Länderfinanzausgleichs, die im Jahre 2019 im Zuge einer dann
fälligen grundsätzlichen Neuausrichtung der gesamten
bundesstaatlichen Finanzbeziehungen geleistet werden muss,
bleibt die Forderung nach einem einfachen und
anreizkompatiblen System. Dafür erscheinen folgende
Maßnahmen sinnvoll:
1. Der Finanzausgleich unter den Ländern sollte ein reiner
Steuerausgleich bleiben, bei dem Ausgaben und
Sonderbedarfe einzelner Länder keine Rolle spielen dürfen.
Das Ausgleichsniveau sollte deutlich abgesenkt werden, um
den Ländern Anreize zu erhalten, selbst Steuereinnahmen
zu erzielen.
2. Zudem sollte die Einwohnergewichtung gestrichen werden.
Bei der Ermittlung der Beiträge und Zuweisungen werden
seit jeher die Einwohner der Stadtstaaten mit einem Gewicht
von 135 % angesetzt. Nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes von 1999 werden derzeit auch
für einige dünn besiedelte Bundesländer „veredelte“
Einwohner berücksichtigt: Für Mecklenburg-Vorpommern
105 %, für Brandenburg 103 % und für Sachsen-Anhalt 102
%. Die Einwohnergewichtung wird damit begründet, dass die
Kosten der Leistungserstellung in den dicht besiedelten
Stadtstaaten und in den dünn besiedelten Flächenstaaten
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vergleichsweise hoch liegen. Ein überzeugender empirischer
Beleg liegt dafür aber bis heute nicht vor.
3. Nach Artikel 107 Absatz 2 Grundgesetz ist bei der Ermittlung
der Finanzkraft der Länder auch die Finanzkraft der
Gemeinden zu berücksichtigen. Das geschieht in der Weise,
dass die Gemeindesteuerkraft zu 64 Prozent angerechnet
wird. Dieser Satz ist genauso willkürlich und nicht zu
begründen wie der bis 2005 angewendete Satz von 50
Prozent.
4. Die Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen sollten
gestrichen werden: das damit beim Bund frei werdende
Finanzvolumen sollte über eine Erhöhung des Länderanteils
an der Umsatzsteuer an die Länder gegeben werden. Der
gesamte Länderanteil an der Umsatzsteuer sollte nach der
Einwohnerzahl verteilt, die Ergänzungsanteile also
gestrichen werden. Sie stellen ein systemfremdes Element in
der Steuerverteilung dar, die ansonsten Bedarfe einzelner
Länder nicht berücksichtigt.
5. Größter Einzelposten unter den Sonderbedarfs-
Bundesergänzungszuweisungen sind Zahlungen an die
neuen Bundesländer wegen teilungsbedingter Kosten. Diese
sollten sich im Jahre 2019, also rund 30 Jahre nach der
Wiedervereinigung, erledigt haben.
Eine grundlegende Reform der innerdeutschen
Finanzbeziehungen muss aber auch den Schritt hin zu einem
wettbewerblichen Föderalismus umfassen. Größere
Anreizwirkungen wird man nur über mehr Steuerwettbewerb
zwischen den Ländern erreichen können. Ein Weg dazu könnte
sein, den Ländern, die heute – abgesehen von der
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Grunderwerbsteuer – keinerlei steuerpolitische Autonomie
besitzen, Zuschlagsrechte bei der Einkommen- und
Körperschaftsteuer oder die Entscheidungshoheit über die
Erbschaft- und Schenkungsteuer zu geben. Damit würde man
auch die Landesparlamente aufwerten, wenn sie stärker über
die Einnahmen des Landes entscheiden könnten. Ohne einen
solchen Wettbewerb stehen die Chancen für eine wirklich
gelungene Reform des Länderfinanzausgleichs auch nach 2019
ausgesprochen schlecht. Das Beispiel der Schweizer Kantone
zeigt, dass sich gerade aus dieser Eigenverantwortlichkeit ein
dynamischer Wettbewerb um eine bessere Finanz- und
Standortpolitik entwickelt.
Die entscheidende Frage für die Zukunft bleibt, wie der
Finanzausgleich unter den Ländern gestaltet sein müsste,
damit sowohl den Empfängern als auch den Gebern Anreize
erhalten bleiben, selbst für Steuereinnahmen zu sorgen.
Die Position der Bayerischen Staatsregierung
Es ist verständlich, dass sich der Freistaat Bayern, der als
wirtschaftlich erfolgreichstes Land am stärksten von der
Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs betroffen ist, über
die Neuordnung der Finanzbeziehungen besonders Gedanken
macht. Der Länderfinanzausgleich stellt nämlich für den
bayerischen Staatshaushalt eine erhebliche Belastung dar. Im
Jahr 2013 zahlte Bayern rd. 4,3 Mrd. Euro und damit mehr als
die Hälfte des Gesamtvolumens. Wenn sich die Entwicklung so
fortsetzt, könnten die Zahlungen Bayerns innerhalb von fünf
Jahren bereits bei rd. 5 Mrd. Euro liegen. Nach Ansicht der
Bayer. Staatsregierung (Staatsminister Dr. Markus Söder, MdL)
kann und darf es so nicht weiter gehen. Sie fordert daher eine
grundlegende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen
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u.a. mit folgenden (zentralen) Punkten, die weitgehend mit den
Vorschlägen der Wissenschaft übereinstimmen.
1. Bayern verfährt nach einer Zwei-Säulen-Strategie. Die erste
Säule ist die gemeinsam mit Hessen vor dem
Bundesverfassungsgericht eingereichte Klage für einen
gerechteren Länderfinanzausgleich. Mit einer Entscheidung
ist spätestens 2015 zu rechnen. Die zweite Säule sind die
Verhandlungen im Rahmen der anstehenden Neuordnung
der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Die im
Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission, von der noch die
Rede sein wird, muss schnellstmöglich ihre Arbeit
aufnehmen.
2. Zentrales Thema ist die grundlegende Reform des
Länderfinanzausgleichs. Das langfristige zentrale Reformziel
ist, dass sich die Zahllast Bayerns im Länderfinanzausgleich
auf 1 Mrd. Euro reduziert.
3. Insbesondere wird ein Ende der Stadtstaatenregelung, d.h.
der erhöhten Gewichtung der Einwohner von Hamburg,
Berlin und Bremen gefordert. Für die
Stadtstaatenproblematik bedarf es einer regionalen Lösung,
die für einen fairen Ausgleich zwischen den Stadtstaaten
und den umliegenden Flächenländern sorgt.
4. Für Berlin, das 2013 mit 3,3 Mrd. Euro erneut größter
Empfänger im Länderfinanzausgleich war, sollte es künftig
eine Sonderfinanzierung des Bundes geben. Die
Finanzierung der Hauptstadt ist nicht Sache der Länder.
5. Im Länderfinanzausgleich muss auf mehr Leistung gesetzt
werden, z.B. durch eine Reform der Leistungsprämie, nach
dem Motto: „Aktivieren statt alimentieren.“ Wer gut
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wirtschaftet und überdurchschnittliche Steuerzuwächse
erzielt, soll künftig einen wesentlich größeren Anteil seiner
Steuermehreinnahmen behalten dürfen. Bisher bleiben
Bayern nur jeweils zwölf Prozent von den Mehreinnahmen.
6. Bayern stellt den Länderfinanzausgleich nicht grundsätzlich
in Frage. Es steht weiterhin zu seiner Verantwortung für
ganz Deutschland. Es sollen aber die Reformen des
Länderfinanzausgleichs und des Solidaritätszuschlags
miteinander verbunden werden. Ab 2020 soll der
Solidaritätszuschlag, der bis dahin ein Aufkommen von rd.
18 Mrd. Euro haben dürfte, halbiert werden: Bürger und
Unternehmen in Deutschland entlastet das um rd. 9 Mrd.
Euro pro Jahr. Mit dieser Steuersenkung würde auch der
sog. Kalten Progression entgegengewirkt. Mit der
verbleibenden Hälfte, also ebenfalls 9 Mrd. Euro, könnten
strukturschwache Regionen unterstützt werden, z.B. durch
einen „Soli-Fonds“ zur Verbesserung der Infrastruktur in Ost
und West. Dieser Vorschlag bringt einen doppelten Vorteil:
Die Steuerzahler werden entlastet und strukturschwache
Regionen unabhängig von der Himmelsrichtung zusätzlich
gefördert. Letzteres bedeutet auch eine Entlastung der
Geberländer.
7. Verstöße gegen Haushaltsziele sollten ab 2020 ähnlich wie
auf europäischer Ebene beim Stabilitäts- und
Wachstumspakt bestraft werden. Eine zentrale Rolle könnte
dabei der Stabilitätsrat spielen, der bisher lediglich „blaue
Briefe“ schreiben kann. Für Länder, die ihre Haushaltsziele
nicht einhalten, sollte zudem gelten: Erst sollten die eigenen
Einnahmen in Ordnung gebracht werden, z.B. durch
regionale Zuschläge auf die Einkommensteuer, bevor man
von anderen nimmt.
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8. Die Übernahme fremder Schulden durch
Entschuldungsfonds und Deutschlandbonds ist strikt
abzulehnen. Was schlecht in Europa ist (Eurobonds), kann
auch für Deutschland nicht gut sein.
9. Die Eigenständigkeit der Länder sollte durch mehr
Steuerautonomie gestärkt werden, insbesondere bei der
Grundsteuer und bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer.
Dann könnte ein Land, das in Bedrängnis kommt, durch
eigene steuerpolitische Entscheidungen seine Lage
verbessern. Umgekehrt gilt: Wenn ein Land finanziell gut
aufgestellt ist, sollen seine Steuerbürger von niedrigeren
Steuersätzen im Vergleich zu anderen Ländern profitieren.
Soweit die Position der Bayerischen Staatsregierung.
Der Auftrag der Koalitionsvereinbarung
Für die neue Bundesregierung stellt die Neuregelung des
bundesdeutschen Finanzföderalismus eine zentrale
Herausforderung dar. Die drei Koalitionsparteien CDU, CSU
und SPD haben sich am 27. November 2013 in ihrem
Koalitionsvertrag über einen Fahrplan für die Neuordnung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen verständigt. Wörtlich heißt es
darin: „Spätestens Ende 2019 müssen die Bund-Länder-
Finanzbeziehungen neu geordnet sein. Der
Länderfinanzausgleich ist zu diesem Zeitpunkt neu zu regeln.
Die Länder werden ab diesem Zeitpunkt keine strukturellen
Defizite mehr haben. In dieser Legislaturperiode müssen dafür
die Weichen gestellt werden. Dazu finden zwischen Bund und
Ländern Gespräche statt.
Die Koalition wird parallel eine Kommission einrichten, in der
Bund und Länder vertreten sind. Dazu werden Vertreter der
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Kommunen einbezogen. Die Kommission wird sich mit Fragen
der föderalen Finanzbeziehungen befassen und dazu
Vorschläge erarbeiten. Die Kommission soll bis Mitte der
Legislaturperiode Ergebnisse zu den nachfolgenden
Themenbereichen vorlegen:
- Europäischer Fiskalvertrag
- Schaffung von Voraussetzungen für die Konsolidierung und
die dauerhafte Einhaltung der neuen Schuldenregel in den
Länderhaushalten
- Einnahmen- und Aufgabenverteilung und Eigenver-
antwortung der föderalen Ebenen
- Reform des Länderfinanzausgleichs
- Altschulden, Finanzierungsmodalitäten und Zinslasten
- Zukunft des Solidaritätszuschlags“
Mit diesem Aufgabenkatalog haben die Koalitionsparteien der
Bund-Länder-Kommission einen umfassenden Arbeitsauftrag
zur Reform der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und
den Ländern erteilt. Damit haben es die Koalitionsparteien in
der Hand, den Föderalismus in Deutschland auf eine neue,
langfristig tragfähige Grundlage zu stellen. Dies dürfte zu den
schwierigsten Aufgaben der laufenden Legislaturperiode
gehören. Zu bedenken ist, dass die Bundesländer zusätzlich
zum Auslaufen von Solidarpakt und Länderfinanzausgleich im
Jahr 2019 die scharfen Regeln der Schuldenbremse ab 2020
einhalten müssen. Angesichts der extremen Komplexität der
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gesamten Umverteilungsmaschinerie ist ein politisches Hauen
und Stechen zu erwarten. Mit Blick auf die bisherigen
Erfahrungen mit entsprechenden Reformbemühungen besteht
daher kein Anlass zu übertriebenem Optimismus. Gerade
deshalb muss alles getan werden, um die Verhandlungen zu
einem Erfolg zu führen. Es braucht Zeit und Abstand zum
Stichtag, um eine Lösung zu finden, mit der alle leben können.
Weil keiner weiß, wie die Finanzströme in ihrer Gesamtheit
aussehen, sind die Länderfinanzminister von ihren
Regierungschefs beauftragt worden, dies vorab bis Ende Juni
diesen Jahres zu klären. Im zweiten Halbjahr sollen die Minister
ein Meinungsbild erstellen. Dass sie sich auf eine gemeinsame
Position einigen werden, ist nicht zu erwarten. Handelt es sich
dabei doch um die Kernfrage der bundesstaatlichen Ordnung
Deutschlands, die im Grundgesetz sogar mit einer
Ewigkeitsgarantie geschützt ist. Am ehesten kann vermutlich
eine große Koalition die große Blockade überwinden.
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