verbot der befürwortung von, - Social History Portal

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.\. das verbot der befürwortung von, und sein politischer zusammenhan beitrag von klaus ,croissant, hamburg I ,25.2.1976 Wer Grundgesetz, Strafgesetzbuch, Gerichts'verfassungsgesetz, Strafprozeßordnungund Bundesrechtsanwaltsordnung des Jahres 1949 mit dem gegenwärtigen R~ehtszustand und dem Rechtszustand nach dem geplanten weiteren Anderungsg;esetzen vergleicht" wird .s:i,.ch_ fragen .m~ssen, zu.welcherArt, we.leherQua}.ität von ~taat sich die BRD entw'ickelthat, wird sieh fragen mÜ$~en, welche Fun};c"tion diese_rnStaat.und .seiner Geset~gebung inne~PQlitisGh . und im internationalen Maßstab zukommt. Die internationaleJuristenkommission in ßenf hat in ihrem, im Dezember letzten Jahres erschienenen Bericht die BRD neben offen faschistische Staateriwie Chile, Indien, Indonesien, Rhodesien und Spanien wegen ihrer Gesetzgebung gestellt, die bei der Einschränkun.~ der Verteidigerrechte ohne Beispiel im Rechtssystem sei. Gemeintjist damit, das~kurz vor Beginn des Stammheimer Prozesses durchgezogene Sondergesetz, die Lex RAF, durch das seit dem 1. Januar letzten Jahres eine politische und kollektive Verteidigung unmöglich gemacht wurde. Ein Rechts- anwalt darf seitdem nur noch einen Angeklagten verteidigen: dies bei einer Anklage, die aus der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv - zum Kollektiv RAF als einer Stadtguerillagruppe - ihre Beweiskonstruktionen aufbauen will. Das Recht, jederzeit Erklärungen auch politischen Inhalts abgeben zu können, ist durch dieses Sondergesetz beseitigt worden. Die Hauptverhand.,.. lung kann auch gegen verhandlungsunfähige Angeklagte durchge- zogen werden. Ein Verteidiger kann bereits bei sogenanntem dringendem Teilnahmeverdacht von der Verteidigung ausgeschlos- sen werden. In Stammheim soll die Unterdrückung einer politischen Vertei- digung zur Folge haben, daß sich die Öffentlichkeit an die Vernichtung des Instituts der Wahlverteidigung und die Etab- lierung des Instituts der Zwangsverteidigung in politischen Prozessen gewöhnt. Am 16. Januar hat der Bundestag das 14. Strafrechtsänderungs':' gesetz verabschiedet, das die Befürwortung von Gewalt iM § 88a als Staatsgefährdungsdelikt unter Strafe stellt. Der frÜher ge- plante § 130a umfaßt nur noch die konkreten Fälle der Anleitung zu Straftaten. Revolutionäre Entwicklungen, soziale Gegengewalt ,~ievon Bürgerinitiativen getragene Widerstandsaktionen, z.B. auch die Besetzung des Baugeländes eines Kernkraftwerkes, dUr- fen zwar im Ausland, nicht aber in der BRD gutgeheißen werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers - ich zitiere die ErkVirungen des Abgeordneten Dr. Mtiller-Emmert in der Bundestagsdebatte vom 16. Januar - mÜssen die Meinungs- und Pressefreiheit grund- sätzlich ihre Grenze da finden, "'vo es sich um öffentliche oder in Versammlungen ~bg,gebeneode~ ~b Schrifte~. enthaltene' Außerungen

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das verbot der befürwortung von,

und sein politischer zusammenhan

beitrag von klaus ,croissant, hamburg

I

,25.2.1976

Wer Grundgesetz, Strafgesetzbuch, Gerichts'verfassungsgesetz,Strafprozeßordnungund Bundesrechtsanwaltsordnung des Jahres1949 mit dem gegenwärtigen R~ehtszustand und dem Rechtszustandnach dem geplanten weiteren Anderungsg;esetzen vergleicht" wird.s:i,.ch_fragen .m~ssen, zu.welcherArt, we.leher Qua}.ität von ~taatsich die BRD entw'ickelthat, wird sieh fragen mÜ$~en, welcheFun};c"tiondiese_rnStaat.und .seiner Geset~gebung inne~PQli tisGh .und im internationalen Maßstab zukommt.

Die internationaleJuristenkommission in ßenf hat in ihrem,im Dezember letzten Jahres erschienenen Bericht die BRD nebenoffen faschistische Staateriwie Chile, Indien, Indonesien,Rhodesien und Spanien wegen ihrer Gesetzgebung gestellt, diebei der Einschränkun.~ der Verteidigerrechte ohne Beispiel imRechtssystem sei. Gemeintjist damit, das~kurz vor Beginn desStammheimer Prozesses durchgezogene Sondergesetz, die Lex RAF,durch das seit dem 1. Januar letzten Jahres eine politischeund kollektive Verteidigung unmöglich gemacht wurde. Ein Rechts­anwalt darf seitdem nur noch einen Angeklagten verteidigen:dies bei einer Anklage, die aus der Zugehörigkeit zu einemKollektiv - zum Kollektiv RAF als einer Stadtguerillagruppe ­ihre Beweiskonstruktionen aufbauen will. Das Recht, jederzeitErklärungen auch politischen Inhalts abgeben zu können, istdurch dieses Sondergesetz beseitigt worden. Die Hauptverhand.,..lung kann auch gegen verhandlungsunfähige Angeklagte durchge­zogen werden. Ein Verteidiger kann bereits bei sogenanntemdringendem Teilnahmeverdacht von der Verteidigung ausgeschlos­sen werden.

In Stammheim soll die Unterdrückung einer politischen Vertei­digung zur Folge haben, daß sich die Öffentlichkeit an dieVernichtung des Instituts der Wahlverteidigung und die Etab­lierung des Instituts der Zwangsverteidigung in politischenProzessen gewöhnt.

Am 16. Januar hat der Bundestag das 14. Strafrechtsänderungs':'gesetz verabschiedet, das die Befürwortung von Gewalt iM § 88aals Staatsgefährdungsdelikt unter Strafe stellt. Der frÜher ge­plante § 130a umfaßt nur noch die konkreten Fälle der Anleitungzu Straftaten. Revolutionäre Entwicklungen, soziale Gegengewalt,~ievon Bürgerinitiativen getragene Widerstandsaktionen, z.B.auch die Besetzung des Baugeländes eines Kernkraftwerkes, dUr­fen zwar im Ausland, nicht aber in der BRD gutgeheißen werden.

Nach dem Wi llen des Gesetzgebers - ich zitiere die ErkVirungendes Abgeordneten Dr. Mtiller-Emmert in der Bundestagsdebattevom 16. Januar - mÜssen die Meinungs- und Pressefreiheit grund­sätzlich ihre Grenze da finden, "'vo es sich um öffentlicheoder in Versammlungen ~bg,gebeneode~ ~b Schrifte~. enthaltene'

Außerungen

handelt, die die Befürwortung erheblicher Stra.ftaten enthaltenund diebestim~tundgeeignet sind, die Bereitschaft ande~erzu fördern, sich durch die Begehung solcher Taten für Bestre­bungen gegen den Be.stand oder: die. Sicp.erhei t der Bl1ndes;republiki'.·"

oder gegen Verfassungs grundsätze einZtfSet~efi."

-DeF .B.egri~ff der Be-:fürwortung von Gewalt .reic.ht s-ehr weiL .lJ.Jn

die Stra.fv~r-schrift gegen de-n Widerstandeinerbre·i tenSchichtk't'itische~ Staa·t:Sb~rge.rrei~buI!.gslosc·.durchziehe~. z.~ können, hatman sich eines be'währten" Verfahrensmusters und :goßt.äuscher:tricks

, bedient. :~näc+t.ßt:-so~l te-.;. zum Schein'- die Bef.ijrwortun~·v-eR .;.G.ßwalt.in§ 130a allgemein unter St~afe·gestellt werden.N.achden lebhaften Protestreaktionen, die von. den Initiatoren des

'G"esetz~s . Ednkalkulie~t "_und erwartet worden' lraren,insbesond~reder Verl~ger, des Buchha~dels"d"er Sch1;iftstel1..erund der 1i-

.•,.bera1e.n O.ffent..l.~chke-tt ,'. ßO"Y'i~"~n~~h: d.eri1).ri, t,..i.-!S·che~St-i~mmen~ eii.e.sich im Äl,lsland ~rboben-beschlo.ßder Gesetzgeber, dLe S,traf­vQrschri.ft 'leinzuengen'·1 .Einzueng~n auf.das, J\iOrauf,der r.epre~s;­sive Staatsapparat von An:fang:an mit-d~m.Gesetzentwurf abzielte:"nämlich nur solche, Befünwr"'tung von Gewa-lt unter Strafe. zu stel­len·, die sich durch sogenannte "Verfassungsfeindlichkei t" aus­zeichnet, also einen Bezug auf die gesellschaftlichen Verhält­nisse in der :eRDhat • Damit wurde dem breiten Protests.turmgegen die früher vorgesehene allgemeine Strafbarkeit der soge­nannten Befürwortung von Gewalt die Spitze genommen und derBoden für eine einstimmige Annahme der neuen Stra:fvorschriftim Bundestag vorbereitet.

In Zukunft kann zwar jeder noch seine Solidarität mit den~evoluti6nären Kämpfen in Lateitiamerika, in Süd6stasien~ inAfrika, mit den. anti~mperialistischen Befreiungsbewegungenund Gue:r:LJ.laaktionenauße:r'haLb der Bundesrepublik bekunden;sobald er aber seine Solidarität mit den Befreiungsbewegungenim ~l.tsl"and"in B~ziehung zu der: Rolle der BRDbei derrbltltigen-Unterdrückung dieser Kämpf-edurch-den Gewaltapparat" des. US-" .Imper-iäLismusH se.tien soli te, Liefe .er Gef·ahr , "Gewalt' in der .unter Strafe gestellten, "verfassungs.fei-ndlichenWeise"_ zu be­fiirl,,"orten.

Soll es z.B. nach § 88a erlaubt oder verboten seinl sich ZumBeweis der Komlizenschaft der BRDmit den Vernichtungskriegen.der USA gegen revolutionäre Befreiungsbewegungen auf Bundes­ernährungsminister Ertl zu berufen? Ertl wurde in einem Inter­viel., mit der Stuttgarter Zeitung vom 7. Februar gefragt, ob dieBRD in Angola ebenso ,vie in. Portuga.l, das für die' vom .US-Impe:..rialism.us·beschlossene Liquidierung der Revolution 6,5 Nio. DMerhielt, finanziell eingreifen könne. Ertl:

"\vir können natürlich nicht ,,,eltlo;-eit die RolleAmerikas übernehmen ••• "

und weiter

"In Angola l,,"ären ,,,ir Üherf.ordert. Und ich glaubeauch nicht, daß es unsere Aufgabe ist, ein soweltweites Engagement einzugehen. Aber unsere

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Aufgabe liegt sicher in Europa, im näheren Mittel­meey, im Nahen Osten, eben in den Bereichen, indenen unsere Lebensverhältnisse selbst tangiertwerden. Und ich glaube, niemand hat ein,Interessedaran, ··daßz.B. der Süden Europas eines Tages vonden Kommunisten beherrscht wird."

Die Praxis in der Anwendung und Auslegung der neuen Strafvor­schrift wir1 Ta~ch zeige~~ daß §8Ba als Kernstück des 14. -''Strafrechtsänderun-gsgesetze.s politisch folgendes Ziel hat:.. - .

Informationen über die Rolle der BRD a~s stellvertretendeimperialistische F-iih-rungsmachtder USA in Europa, -Über' ihreldrtschaftlichen, _außenpolitisc.hen 1.!n~militäriscpen Akttvi­täten bei der.Unterdrncktin-g ..sozialrvvo lut ionärer -Befreiungs­bew'egungen und Kämpfe - etwa in Lcfteinamerika ~ ·A~rika, demNahen Osten und Südostasien - dürfen nicht mehr veröffentlicht

werden, wenn sie von den Staatsschutzbehörden'''als bestimmt undgeeignet" anges ehen lv-erden,di e Berei tschaft zu sozialer Gegen­gewalt, zu antiimperialistischem Widerstand innerhalb der BRDzu fördern. Mit anderen Worten: die B~ldung von antiimperiali­stischem Bewußtsein durch die Verbreitung von Informationenüber Aktivitäten und Funktion der BRD im imperialistischenStaatensystem wird unter Strafe gestellt, weil allein diesesBewußtsein, das nur durch Informationen und Erfahrungen entste­hen kann, Widerstand und Widerstands formen gegen imperialisti­sche Gewalt entwickeln kann.

Auf der anderen Seite werden alle Informationen über die innen­politische Entwicklung in der BRD, über das unerträglicheund allgemein spUrbare Auseinanderklaffen zwischen der angeb­}.ich freiheitlich-demokratischen Grundord~ung einerseits undder Verfassungswirklichkei t'in diesem Staat andererseits, unterdie Strafvorschrift fallen, wenn sie "bestimmt und geeignet"erscheinen, antiimperialistisches Bewußtsein als Voraussetzungfür Widerstandsformen zu bilden, die vom Volk getr-ag-enoderzumind~st ve~standen werden~

11.

Wenn ich im Folgenden versuche, eine politische Einschätzungüber die Entwicklung in der BRD zu geben, so bin ich sicher,daß auch diese Einschätzung - wenn es für die Staatsschutzbe­hörden opportun erscheint - nach §88a StGB kriminalisiert wird.

, .

Im internationalen Kräfteverhältnis zwischen Revolution und

Faschismus , zlv-ischenden Befreiungskämpfen in den Ländern, derDritten ~.Jeltund den weltweiten Interventionen des US-Imperialismus hat sich die BRD zur ökonomischen, politischen undmilitärischen FÜhrungsmacht in Ellropa entwickelt, zum stärkstenSubzentrum der Vereinigten Staaten. Die BRD wird - im Unterschiedzu Italien und Franl{reich - von US-Außenminister Kissingerneben Spanien als derjenige Staat in Europa bezeichnet, auf denaußen- urid innenpolitisch Verlaß ist. Der BRD

ist von den Vereinigten Staaten ~ieselbe Stadthalterfunktionzugedacht, die zum Beispiel Brasilien in Lateinamerika, derIran im Nahen Osten und Zaire, der frühere Kongo, in Zentral­afrik~ inne haben. Die Sozialdemokrati~ in der Bundesrepu-_bl:ik ha t..dLeAufga.be~ ,übßrn,ommen.•..Posi.:t:ione:t;l,u:q.dStrategie desUS-Kap"itals gegenüber\iesteuropa'" dEm St~aten der Dr:LttenWelt und Osteuropa zu vertreten und durchzusetzten. Die Innen­poli tik der deutschen Sozialdemokratie' ist -zu einer Funkt~on _de-tUS-Außenpolitik .gewörderi. ' c- ,- ,,",.

Auf dem Trerf"en}'de'reuropäisc'hen' Sozialisten -i-m dä-n:i,schenHelsingör erklärte der deutsche Bundeskanzler zu Äußerungendes -franzÖsischen ,Sozia'li,stenführes"M'itterand'über ,~in'eVolks-: --. '. - '. - ,- . '- ", --. - , .. -, .. '-' ---. ,. '., -- . - . --,., ... ' ... ,-' /'•.fr'Ql'l..t:-j.edesLa.nd"müss·e ~ i.ch·zftiefe. nach der""FAZ_vom 21. 1•.197,"~"im Auge behalten, daß es innenpolitisch fähig bleibt, seineb.ußenpolitischen Verpflichtungen ·zu erfüllen. " Hit außen- \politischen Verpflichtungen m~inte er die NATO. I

Klarer kann die IRolln der Sozialdemokratie der BRD nicht umrissenwerden: die ökonom.iseh-politisch-militärische Führungsmacht.der Vereinigten Staaten in Eur6pa hat sich zum Ziel gesetzt,daß nicht nur die eigene Innenpolitik, sondern auch die Innen­politik der anderen westeuropäisc hen Länder, in denen wirk­liche sozialistische Gegenkräfte vorhanden sind, nicht inWiderspruch zur Außenpolitik der Vereinigten Staaten tritt.

Das Ziel der Sozialdemokratie ist es, dieses Projekt der In­tegration der Innen- und Außenpolitik der westeuropäischenStaaten über das ökonomische Potential _desw:estdeu.tschen ,Imperialismu~ auf Regieru~gsebene durchzusetz en. Operativs611 dÜ~se- Aufgabe über die -sozialdemokratisohen Parteien ­vermittels der Sozialistischen Internationale - gelöst .werden.

'Im.Ausland. wird di~~~.stratE;gi:sc:heF)l:t!-kt:i..onde:r_So~i~l;dem9-.kratlE! trotzd~r- Ver-schlei-erung;smanöver-',-dersich --immernoc'hals sozialreformerisch gerierend'en Parteien in zunehmende·m·HaBe durchschaut. So schreibt die linksliberale ~eitschriftEUROPEO:

"Amerika herrscht:j.m ~"esten und Germaniaherrscht in Westeuropa, wo das Mittelmeerzum gemeinsamen Kolonialgebiet wird."

und weiter:

"Von ihr (der SPD) wird n.ur einunterworfertes

aber ~einsozialistisch~s Europa kommen~n

Die Sozialdemokratie setzt den militanten Antikommunismus derBRD fort, der seinen ersten Höhepunkt unter der RegierungAdenauer tn den 50er Jahren erreicht hatte. 1956 wurde dieKommunistische Partei verboten. Tausende ihrer Anhänger wurdenvon den westdeutschen StaAtsschutzbeh5rden strafrechtlich ver­folgt 'und in. die Gefängnisse geworfen, ,,,"eilsie 'nicht -b"erEfitlvaren, nach dem Partei verbot ihrer pol i tis ehen Überzeugung inWort und Tat abzuschvören. Verhaftet und kriminalisiert wurdenunter der. sogenannten fr.eiheitlich-de..mokratischen Grundordnunggerade diejenigen, die als die einzigen politisch relevantenKräfte gegen den NS-Faschismus ernsthaft Widerstand geleistethatten.

Die reaktionäre Entwicklung in der BRD ist durch eine rapideAusdehnung des Apparates der Staatsschutzpolizei gekennzeichnet:das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz, dieStaatsschutzabteilungen des Bundeskriminalamtes und der Landes­kriminalämter, der Bundesnachrichtendienst und der MilitärischeAbschirmdienst haben ihre personellen und finanziellen Mittelinnerhalb von sechs Jahren nach der Revolte des Jahres 1968 undder Schaffung der Notstandsgesetze um ein Vielfaches aufgerüstet •.Allet:t:lde:rEtat des Bu~deskriminalamtes ist 'innerhalb dieserZei t auf das achtfac.he, von 17,8 auf 123,09 Mio. J 1?;estiegen. Auf"':'grun~_des hochentwickelten technischen Standes, insbesondere der'elektronischen Datenverarbeitung,ist das'Bundeskriminalamt zumMekka aller Polizeiorganisationen - auch aus faschistischenLändern oder Militärdiktaturen - geworden. Niemand wundert sichmehr, warum ein Team des spanischen Fernsehens vor der Exekut'ionder fünf Revolutionäre die BRD bereiste, um Material für dieEffektivierung der spanischen "Anti-Terror-Gesetze" zu sammeln.

Man'sollte sich darüber im Klaren sein: ein Problem für dieinnere Sicherheit ist jeder Staatsbürger, der es wagt, die ka­pitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse in derBRD in Frage zu stellen, der sich gegenüber einer korrumpiertenVerfassungswirklichkeit zum Sozialismus bekennt und seine po­litisch-gesellschaftliche Tätigkeit nach diesem Ziel bestimmt.Die ständig fortschreitende Repression des Staatsapparates aufden Ebenen d~r Gesetzgebung, der Verwaltung und der Justizkann in der Offentlichkeit nur mit einem zunehmend umfangreich­eren Aufwand an Massenmanipulation, mit Hilfe einer verwissen­schaftlichten psychologischen Kriegsfiihrung noch als rechts­staatlich verkauft werden •

. . - .Das Projekt der Sozialdemokratie gegen jede Form sozialer Gegen-gewalt hat Brandt,in einem Brief vom 9.12.1974 an den,Parteivor­sitzenden van d~n Heuvel der sozialdemokratischen Partei Hollands•auf den Begriff .gebracht : es gehe darum;· das Volk gegen "poli-tische Kriminalität" - 50' sein Ausdruck -"zu immunisieren, inder ruhigen und entschlossenen Behauptung des Normalzustandes".

Das ist Counterinsurgency I in einem Satz: das strategische Kon­zept, um jede Form revolutionärer Gegengewalt zu ersticken. DasMittel zur Durchführung dieser Strategie in der Praxis heißt:psychologische Kriegsführung unter Einsatz der Massenmedien.Counterinsurgency; und ihr Ni ttel - psychologische Kriegsfüh­rung·- gehen darauf aus, durch die Erzeugung von Angst und Ver­wirrung die Identifikation der Bev~~ker~ng mit dem Staat zu er­zwingen. WieWiloly vley..eres ausdrückte: "Das Volk muß sich anden Poiizisten mit der Maschinenpistole an der. Ecke gewöhnenwie ans Steuerzahlen.1:

Die Frankfurter Rundschau bestätigte schon in ihrer Ausgabe vom20. September letzten Jahres, daß die Projekte der Counterin­surgency in der BHD nach dem Konzept der CIA-Zentrale entwicke.lt 'sind - ich erwähne nur die fingierte Bombendrohung gegen Stutt­gart, die fingierte Drohung mit Trinkwasserverseuchung, denfingierten Gelbkreuz-Diebstahl aus einem Bundeswehr-De,?ot, diefingierte Raketendrohung auf das Hamburger Fußballstadion vorden letzten WeltmeisterschaftsspieJen, die Bomben und Bomben­explosionen-in den Sc.hließfächern·der Hallf)tbahnhö-f'ein Bremen,Hamburg und NÜrnberg.

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Es handelt sich um typische Gegentaktiken der "special war:fare",der "psychologischen Aktion" imperialistischer Nachrichten­dienste und Anti-Guerilla-Einheiten. Die Gefangenen aus derRAF haben zu der Explosion im Hamburger Hauptbahnhof erklärt ­ich zitiere die Frankfurter Rundschau vom 10.10.1975:" Die Sprache dieser Explosion ist ,die Sprache der Reaktion.Sie ist rational ~ als Reaktion per psychologischen Kriegs­führung des Staatsschutzes ~egen die Stadtguerilla. DieMethode und das Ziel- dieses Verbrechens-gegen das -Volk w·eisenes als faschistische Provokation aus •••DerVersucheiher reakti:onären Massenmobilisierung durch!denStaat, der mit nachrichtendienstlieh projektierten Provo­kationen operiert, reagiert nicht auf die Stadtguerilla,sondern auf die Bedingungen ihrer Strategie: die ökonomischettnd politische Krise des US-Staatensystems. Er meint dieMögl~chkeit und Aktualität revolutionärer Politik, und erist als Falle und Funktion der psychologischen Kriegsführunggegenljede demokratische Opposition ger!chtet, um .sie zuspalten, ZU isolJe,ren, einzukrej,sen und.schließlich! zu ver-nichten." .

Im Gegensatz zum alten Faschismus, der sich auf einen erhebli­chen Teil des Volkes stützen konnte, haben die repressivenStaatsapparate - Verfassungsschutz, Geheindienste und Staats­schutzpolizei - für ihre Durchdringung aller Gesellschaftsbe­reiche mit politischen Spi tzeln!, für die Faschisierung vonStaat und Gesellschaft,} nicht di~ Zustimmung des Volkes :der Imperialismus hat kein Projekt, für das er noch Massenmobilisieren könnte. Die repressiven Staatsaparate versuchendeshalb durch die Gleichschaltung der Hassenmedien, das Einverstän"dnis der Bevöll<erung, ihre Verankerung und die Ausübungihrer Mi:!chtim Volk vo·rzutäu,s,chen.J)ieseMachtübernahrrie wirdvorbereitet von oben, von den Funktionsträgern öffentlicherGewalt,ders-€lben imperialistischen Staatsmacht, die sich auf

den Kla-sse.nkampf durch Ausbau des Unt erdrückungsapparat es ,/durch Konzentration und Zentralisation der Staatsgewält vor­bereitet. Der Präsident des Bundeskriminalarrrtes, Horst Hero.ld,hat erklärt, es sei notwendig, die Bevölkerung zu aktivieren:die Staatsschutzpolizei werde gezielt Leute ansprechen, dieverdächtige Staatsbürger besser als andere observieren könnten.Generalbundesam.~al t Buback erklärte am J. Januar gegenüber derBildzeitung:

fI Die Sicherheitsbehörden sind wie bisher aufdi"EiHilfe- der gesamten Bevölk~rung angewiesen.Einer o/achsamen Bevölkerungb~eibt viel wenigerverbo~ien als eine' noehso ·engagi~rte P61izeijemals .festst-ellen könnte. ~Iier .liegt auch· einebedeutende Auf.~abe der Massenmedien als Mi ttlerzwischen den Sicherheitsbehörden und denBÜrgern unseres Landes."

Im· Klartext heißt dies', daß jeder des anderen Polizist seinsoll. Zur öffentlichen Forderung, wie in der Nazizeit eine ArtBloc1n~arts~rstem einzufÜhren, ist es nichttnehr weit.·

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Bundesinnenminister Maihofer ~ieß im Mai 1975 2,5 Mi~~ionenF~ugb~ätter an einen repräsentativen Querschnitt der Bevöl­kerung verteilen, in denen er dazu aufforderte, Ideen und An­regungen zum Thema "Inn,ereSicherheit" zu entwicke~n. DieReaktion von nur 500 Zuschriften --das sind 0,2 pro Mi~le ­wurde von den Initiatoren a~s "mäßig" kritisiert ••Inzw-ischenwird vom: Bundesinnenministerium in Mil~ionenauf~age einePo~izeizei tung mit dem-Tite~ J'BIN"- unter die Beyö~kerung ge­streut: In Vorortzügen, Wartesä~en und durch Postwurfsendun­gen, um dem Zie~ näher zu kommen, aus jedem Staatsbürgereinen Po~izeispitze~ zu machen.

Die Ana~yse des Transformationsprozesses in den Staatsappa­raten - die Entwick~ung eines Neuen Faschismusa~s institu­tikone~~e Strategief- wider~egt die verbreitete Ansicht, daßdie Ausnahmemaßnahmen des Gestzgebers, der Exekutive und derJustiz ~edig~ich Rechtsstaatsexesse, A~swüchse der norma~enstrukture~~en Gewa~t oder gar nur die Reaktion auf eine alsverfrüht betrachteten Gegengewalt seien.

Die Bevölkerung soll sich zur Aufrechterhaltung der außen-und innenpolitischen Ziele dieses Staates, der zu einer Funk­tion des US-Kapitals verkommen ist, mit allen Maßnahmen desstaatlichen Machtapparates gegen sogenannte Linksextremistenidentifizieren. Wichtig hierbei ist weniger die Tatsache,daß bei dieser Vorbereitung der totalen Machtübernahme ille­gale Handlungen der Staatsorgane vorkommen, daß Gewalt aus­geübt wird, daß der Staat seine eigenen Gestzte bricht. Dasgibt es in der Tat in jedem Recht_sstaat mit.kapitalistischerGesellschaftsordnung, einfach deshalb, wei~ diese Gesellschaftein Gewa~tverhältnis ist, bei dem recht~iche Schranken durch­brochen werden, wenn sie in Widerspruch zu den imperialistischenMachtstrukturen treten, die hinter einem solchen Staat stehen."Kermzei'chriendfür"den Neuen-Fa.schismus ist au-chnicht, daßRechtsver~etzungen-und Gewa~tanwendungen quantitativ gesteigertwerden. Auch das ist jeder Art bürger~icher Herrschaft eigen.

Kennzeichnend für den Neuen Faschismus ist vielmehr, daß dieGe'~altanwendun,g, die Durchbrechung bisheriger rechtlicherSchranken, die Preisgabe der rechtsstaatlichen Grundlagenzentral vorbereitet und gesteuert wird. Kennzeichnend ist,daß der staatliche Unterdrückungsapparat gerade nicht mehrnur ~u einfachen Rechtsbrüchen, wen~ auch quant~tativ verstärkt,Zuflucht -nimmt,seine Gewaltanwendung-nichtal-lein in konkretenAuseinanclf!rsetzungen·eskaliert, sondern daß die po~izeilich­nachrichtendienstliche Erfassung und Kontrolle jedes einzel-nen StaatsbÜrgers, seine_Ei~ordnung.in das ~apitalistischeSystem '-vissenschaftlichgeplant, vorbereitet und erzwungenwird. Kennzeichnend ist, daß d~e vorhandene Staatsgewa~t kon­z.cutriertnnd in allen Bereichen auf die UnterdrÜckung derRebellion gegen die d~m Staat zug~undeliegenden Produktions-

"-und Eoigentumsverhältnisseangelegt ist. Die Eirtrichtung einerzentralen Datenbank beim Bundeskriminala.mt, die alle Datenverdächtiger Personen, ihrer Familien, ihrer Freunde, ihrerBekannten erfasst, vermittelt eine Vorste~lung, von dem Aus­maß derstaa-tlichen Steuerung, die Vorst-ellung-dessen, wasFaschismus von oben bedeutet.

Generalbundesanwalt Buback hat - ich zitiere die SüddeutscheZeitung vom 28.1.1976 - erklärt, es sei wünschenswert, wenn dieFingerabdrücke sämtlicher Staatsbürger der Bundesrepublik auf­genommen würden. Dies sei z.Z~.aus politischen Gründen leidernoch nicht erreichbar.

Was diesen Faschismus vom alten - national bornierten Faschis­mus - unterscheidet, ist die Tatsache, daß er nicht als reaktio­näre Strategie des nationa~en Kapitals - vermittelt über einenationalistische Massenmobilisierung - den Staat übernimmt unddie Gesellschaft durchsetzt, sondern daß er entsprechend der Ten­denz desl internationalen Konzentrations- und Monopolisierungs­prozesses als Strategie des führenden US-Kapitals sich den Natio­nalstaat als Funktion seiner Weltinnenpolitik verfügbar machtund die Gesellschaften in seinem Einflußbereich über die National-­staaten durchdringt.Das heißt: der Nationalstaat. wird zur Trans­mission des international organisierten Kapitals gegen die Nation,gegen das Volk. Der bür~erliche Verfassungsstaat muß in der ge­gensätzlichen Enb"icklung zwischen Vergesellschaftung der Produk­tion und internationaler Kapitalkonzentration durch den starkenStaat oder die "wehrhafte Demokratie" - also faschistisch - auf­gelöst werden. Je weniger sich das Kapital noch ausbreiten kann,je mehr sich seine geographischen Grenzen durch die Siege derBefreiungsbewegungen verengen, desto mehr müssen die bisherigenGrenzen der Ausbeutung in den Metropolen erweitert werden. Jemehr das Kapital an die Grenzen seiner Entwicklung stößt, destoschrankenloser wird der Einsatz des staatlichen Gewaltpotentials,desto mehr'beschleunigt I sich seine Tendenz zum offenen Terrorgegen das V61k: zum Faschismus. Im Prozeß seiner Entwicklung

wird die Polizei in einen nachrichtendienstlichen Apparat trans-.tormiert, d{e J~stiz zu eine~ Anhängsel der Poliz~i deg~adiert~

Die Transformation der repressiven Staatsapparate in ein zentra­lisiertes Kontrollorgan des Kapitals läßt sich an den Praktikendes Verfassungsschutzes ablesen: ·danach erhalten die Landesämterfür Verfassungsschutz von allen Behörden undöffentlich-recht­lichen Medien im Rahmen der sO,l?;enannten"Berichterstattungspflicht"unaufgefordert die Informationen, die der geheimdienstliche Appa­rat benötigt, um alle sozialistischen und antiimperialistischenGegenl<räfte innerhalb der Bevölkerung in den Griff zu bekommen.

III.

"Auf'der Ebene der Staatsschutzjustiz hat der dr~tte,der pol±~tis~he. Strafsenat des Bun.desgerichtshofs ein Beispiel dafür ge.•..geben, was ~euer Faschismus heißt: trotz der Forderung unabhän­giger Ärzte hat der Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 22.10.I"etiteriJahres die Langzeitisolationder ..Gefangenen aus sozial­revolutionären Bewegungen -hier der Gefangenen aus der RAF -in Kenntnis der Tatsache für Recht erklärt, daß dieses Haftstatutzu der langs'amen, abers 1cneren"Zers törll.I1.g·ihrer Gesundbei t undihrer Identität,d.h. zn ihrer Liquidier:ung als politisch den­kende und handelnde Subjekte fÜhren muss. Diese Liquidierung wirdfÜr Recht erklärt, ,,,eildie Gefangenen zu einer "zahlen.mäßigversch,,,indendgeringen Gruppe der BevölkerungTl gehören, die esim Gegensatz zu dieserftir unerläßlich halte, den Zustand derGesellschaft in der BRD gewaltsam zu verändern. Der Beschlußdes Bundesgerichtsho~ besagt nichts anderes, als daß die po-

litischen Gefangenen in der BRD, die gegen die Gewalt desimperialistischen Staates revolutionäre Gegengewalt angewendethaben, durch Isolations~olter als politische Subjekte ver­nichtet werden dürfen.Der Bundesgerichtshof begründet die Vernichtungshaft mit den"augenscheinlich durch nichts zu beeinflussenden", realitäts­fernen gesellschaftspolitischen Vorste11ungen der Gefangenen.Darin liegt das Eingeständnis, daß die zerstörerischen Haft­bedingungen, die Umerziehung der Gefangenen, ihre Gesinnungs­änderung erpressen soll.In allen anderen Staaten: Chile, Brasilien, Persien, Span~en,der Türkei, auf den Philippinen, selbst in Israel s~nd esMil~tät und Polizei, die foltern. In den faschist~schen Regimesder Dritten Welt wollen die Regierungen, will der Staat, willdie Justiz nichts davon wissen, daß gefoltert wird. Auf dieserLinie lagen jahrelang auch die Repräsentanten dieses Staatesund seiner Justiz; Prinzing, M~rtin, Buback, Posser, Vogelund Maihofer behaupteten hartnäckig~ es gibt keine Isolation,also gibt es auch keine Folter •.Es blieb der Bundesrepublik vorbehalten, die Folter über denJustizapparat einzuführen und für rechtens zu erklären, wasjeder Staatsschutzpolizist gefolterten Gefangenen erzählt:Du brauchst bloß aein Verhalten zu ändern, deine Gesinnung ­Du mußt bloß aufhören, dich zum bewaffneten antiimperialis­tischen Kampf zu bekennen -Du mußt bloß aussagen, abschwören, bekannt geben, daß du um­erzogen bist,daß die Gehirnwäsche gelaufen ist-Du mußt dich nur f1Ir dinE;LHegierungspropaganda gegen die Guerilla

, h~rgebe~, dann komm~t D~ aus dem Foltersystem rau~, und wennnicht, hast du selbst schuld ••Mit diesem höchst richterlichen Beschluß dürfte die Bundes­republik der erste staat sein, der auf dem Terrain der Just~zfoltern läßt, der die Folter durch eine Gerichtsentscheidungverrechtlicht hat •.Daß Langzeitisolation Folter ist, kann nachder Antifolter-Deklaration des 5. Kongresses der Vereinten

Nationen über Verbrechensvorbeugung, der Anfang September 1975in Genf stattfand, nicht bezweifelt werden: danach ist Folter"jeder Akt, durch den einer Person von einem Agenten desöffentlichen Dienstes physische oder mentale Schmerzen in derAbsicht zugefiigtwerden, AuskÜnfte oder Geständnisse zu er­halten."Mit der V~rrechtlichung desl Isolationsfolter- und Gehirnwäsche­programms der Staatsschutzbehörden steht der Bundesgerichtshofin der Tradition des -Dritt~n Reiches, daß sich durch die be-­wußte Vernichtung von Minderheiten und politischen Gegnern ineinem bis dahin unvorstellbaren Ausmaß hervorgetan hat. Damitstimmt überein, daß der Bundesgerichtshof für die Freisprüche- um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen '-des KZ-ArztesBorm und des Richters Reehse am Freissler'schenVolksger~chts­hof die Veranb\Tortung trägt.Dieser Verrechtlichung "Von·tatsä"chTichefiVort:;ängen,die riachihrer Substanz und ihrer Intention gegen die allgemeinenMenschenrechte verstoßen, diese formale Legalisierung vonmateriellem Unrecht, ist aus zahlreichen Gesetzen und Gerichts­entscheidun?;en des Dritten Reiches und offen faschistischerStaaten der Gegenwart bekannt.

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Kritische Beobachter der Entwicklung in der BRD sagen, daßein Staat sich nur so lange und in dem Maße als demokratischim Sinne eines bürgerlichen Rechtsstaats mit dem System derGewaltenteilung bezeichnen kann, in dem er eine rechtsstaat­liche Verteidigung, die in politischen Prozessen nur eine po­litische Verteidigung sein kann, zuläßt. Diese Kriterien er­füllt die Bundesrepublik nicht mehr: mit der Strafprozess­ordnung ist in Stammheim der Rechtsstaat abgeschafft worden.Auf diesem Hintergrund ist die zynische Erklärung von General­bundesanwalt Buback im SPIEGEL vom 16~ Februar zu sehen:"Nanchem waren schon 5 Angeklagte in Stuttgart ! zuviel." INachdem die Verteidiger Mitte Juni letzten Jahres im Prozessdie Hinrichtun~,von Holger MEINS und in einer Pressekonferenzdie Exe~u_tion:von Siegfried Hausned·. durch die Staatsschutz­behörden öffentlich dargelegt hatten, wurden wenige Tage danachvier Anwaltskanzleien in Hamburg, Berlin, Heidelberg und Stutt­gart von Beamten der Staatschutzpolizei besetzt. Die Büro- undPrivaträume, teilweii'seauch die Wohnun$en von Angestellten,wurden durchsucht und zahlreiche Akten von Mandanten durch­stöbert und beschlagnahmt. Allein aus meinem Büro wurden nach)-tägiger Durchsuchung 180 Akten und Aktenordner beschlag-nahmt und mit Lastwagen zur Staatsanwaltschaft abtransportiert.Zwei Amväl te - Stroebele und ich - wurden verhaftet. Der Haft­befehl gegen mich wurde in erster Linie darauf gestiJt.zt,daß ichin zahlreichen Pressekonferenzen im In- und Ausland sowie auföffentlichen Informationsveranstaltungen für die RAF geworbenhätte. Die Herstellung von öffentlicher Kritik an den menschen­vernichtenden Haftbedingungen - eine der Hauptaufgaben der Ver­teidigung zum Schutze des Lebens der Gefangenen - wurde in die

• -aberwitzige Konstruktion ~er Werbung für e"inesogenannteKr~minelle Vereinigung umgemUnzt.

Nach dieser Auffassung ist mein Auftreten heute in dieser Ver­anstaltung die Fortsetzung einer kriminellen Tätigkeit.

Nach meiner Entlassung aus der Untersuchungshaft hat es dieStaatsanwaltschaft sogar abgelehnt, eine beschlagnahmte Listemit Anschriften und Telefonnummern von Pressevertretern wiederan mich herauszugeben - auch nicht in Form einer Fotokopie.Diese Weigerung wurde wie folgt begründet:

"Ihrer fernmÜndlich geäusserten Bitte um Aus­händigung der bei Ihnen beschlagnahmten Presse­liste ( Lfd. Nummei--141, Seite-8 - 18 des Be­schlagnahmeverzeichnisses ) wird nicht ent­sprochen, da davon ausgegangen werden muß, daßSie die Liste bei dem Ihnen vorgeworfenen straf­baren Verhalten gebraucht haben und die Gefahrbesteht, daß Sie mit ihrer Hilfe dieses Verhal­ten fortsetzen."

Die Rechtanwälte, die im Stammheimer Prozess in Wahrnehmung derberechtigten Interessen der Gefangenen Vorwürfe gegen Staats-schutzbehörden und politische.Justiz erheben, werden wegen ihrerÄußerungen roit Ehre'ngerichtsverfal1.renüberzogen, so die Rechts­anwälte Golzem, Spangenberg und Dr. Heldmann.Professor Azzola;

wurde mit der Einleitung von Straf- und Disziplinarverfahrenbedroht, weil er für die Angeklagten den Kriegsgefangenen­status gefordert hatte. Rechtsanwalt von Plottnitz:wurde alsbestellter Verteidiger mit der Begründung abberufen, daß es ihm

auf eine propagandistisch-agitatorische Rolle im Verfahren ankomme.Die Abberufung von Dr. Heldmann 'vurdevom Generalbundesanwalt be­antragt, weil er sich der Verhandlungs führung des Vorsitzendennicht gebeugt habe. Drei Rechtsanwälte wurden von einem Tagzum anderen nicht mehr als Verteidiger im Prozess zugelassen,weil sie in einem anderen Verfahren andere Gefangene aus derRAF verteidigten.

Die politische Justiz in der BRD wendet die Sondergesetze immerextensiver an: Das führt dazu, daß etwa bei militanten Demon­strationen mit Hunderten verschiedener Strafverfahren ein Ver­teidiger immer nur einen Angeklagten verteidigen darf.So wurde ich am 8. Januar nach dreijähriger Prozessdauer, vom'Landgericht München als Verteidiger eines Teilnehmers an derDemonstration zum Roten Antikriegstag ~972 zurückgewiesen, weilich/früher und in getrennten Prozessen andere Demonstranten ver­teidigt hatte.

Der Prozeß in Stammheim hat Richtlinienfunktion fiirallelpolitisc-hen··Strafverfahren. DaslVorgehen der Staats-anwaltschaften,der Gerichte des Haftvollzugs und der politischenPolizei wird sich in Zukunft danach richten,in welchem Ausmaßsich die staatsschutzmaschine und ihre Machtzentren,dieBundesanwaltschaft und das Bundeskriminalam~, in dem bis insDetail vorprogrammierten paramilitärischen Bürgerkriegsmannöverin Stammheim durchsetzten. Das Ziel des Prozesses ist: dasIn'stitut der Wahlverte':i..digungund damit dOieMöglichkeit'zupolitischer Verteidigung überhaupt zu zerstören, die Zellen ­'vie der Chef des Bundeskriminalamtes Herold es ausdrückte ­dichtzumachen und die Gefangenen zu vernichten. Die Methodendazu sind: Verteidigerausschluß, das Verbot der Mehrtachvertei­digung durch die gesetzliche Vorschrift: ein Angeklagter/einVerteidiger, dierextensive Auslegung dieses restriktiven Ge­setzes durch die politische Justiz, dieiDiffamierunkg,Diszi­plinierung und Kriminalisie~ng der Verteidiger bis zur Ver­haftung und zum Berufsverbot sowie die ~konomische Vernichtungder Anwaltskanzleien.

IV

Die Dimension der innerstaatlichen Repression, der Faschismusals institutionelle Strategie, wird auch an den weiteren Geset~es­vorhaben Überdeut lich: neben der "h:riminellenVereinigung"soll es im deutschen ~trafrechtin Zukunft auch die"terroristische Vereinigung" , neben dem alten Paragraphen 129einen neuen Paragraphen 129a geben. Die HBchststrafe für dieUnterstützung dieser qualifizierten kriminellen Vereinigungnach §129 a soll nicht 5 sondern 10 Jahre betragen. Unterstützungund Werbung nach dem geplanten §129a unterliegen derselbenStafandrohung wie die Gründung oder die Mitgliedschaft in einer- lV"ieder neue Begriff heißt - "terroristische Vereinigung".Andererseits soll der Ermittlungsnotstand der politischenPolizei durch die MBglichkeit beseitigt werden, dem sogenanntenKronzeugen oder Verräter Straflosi~keit zu ~ew5hren.

Nach dem Gesetzentwurf sollen in Zukunft die Personen, dieverdächtig sind, einer sogenannten terroristischen Vereinigunganzugehören, sie zu unterstützen oder für sie zu werben, ohneVorlie$en/eines Haftgrundes - also ohne Flucht- oder Verdunke­lungsgefahr - durch eine Ergänzung des §112 Abs.) der Straf­prozessordnung - in Untersuchungshaft genommen werden können:die Unterstützung einer "terrorist'i.schenVereinigung" wird fürdas Haftrecht den Tötungsdelikten gleichgestellt. Sollte dieserGesetzesentwurf den Bundestag passieren, könnten zum Beispiel derUnterstützung einer sogenannten terroristischen_Vereinigungverdächtige Verteidiger kurzerhand inhaftiert ,.,erden,ebensowie jeder, der den unendlich weiten Begriff der Unterstützungoder \verbung erfüllt. Es könnte dann auch rechtlich dasdurchexerziert werden, was die politische Justiz ohne gesetzlicheGrundlage durch die laufende Unterstellung der Flucht - undVerdunkelungsgefahr bereits weitgehend praktiziert: das Systemder Beugehaft gegen Personen, denen nur die Unterstützungantiimperialistischen Gruppen vorgeworfen wird.

Der Schriftverkehr zwischen Verteidiger und Gefangenen aus derStadtguerilla soll in Zukunft durch Richter überwacht werderikönnen. Bei dem Verdacht des Mißbrauchs des mlindlichen Verkehrskann angeordnet werden, daß auch Verteidigergespräche durchRichter liberwacht werden.

Durch die Anderung der Bundesrechtsanwaltsordnung soll esmöglich werden, befristete und zugleich gegenständlich be­grenzte Vertretungsverbote gegen Rechtsanwälte zu verhängen,so etwa auf dem Gebiet der Strafverteidigung. ,-

Nach einem im Novemhe~ 1975 im Bundesrat eingebrachten Geietz­enh'TUrf des Landes Baden-Württembergsoll die Strafprozess­ordnung " zur Beschleunigung strafrechtliche Großverfahren"durch die Einfügung von Vorschriften gegen Prozessverschleppungund Prozessverzögerung ergänzt werden. Zu diesem Zweck soll eineHauptverhandlung auch dann fortgesetzt werden können, wenn einAntrag auf Befangenheit des Gerichts gestellt ist. Nach demGesetzentwurf soll in Zukunft über das Ablehnungsgesuch erst;zum Beginn des übernächsten Verhandlungs tages - spätestens biszum Ende der Beweisaufnahme - entschieden werden. Der Militär­gerichtscharakter politischer Prozesse wäre damit perfekt.

In diesem Zusammenhang ist zu erw'ähnen,daß das BKA in demStuttgarte'r'Prozess 90-%der Akten zurückhält:- Angeblich, um zuverhindern, daß der Polizeiapparat "ausgespielt'" wird. DieserPolizeiapparat ist mit dem Staatsschutz identisch. Worum es sichhandelt, sind deshalb wenigerOperationsmethoden der politischenPolizei. Die Akten werden vielmehr zurÜckgehalten, weil in ihnendie ganze.Dime.nsion ~.erstaatsschutzpolizeilichen Durchdringungder Gesellschaft sichtbar wiirde. An der Vorlage von rund 1600zurückgehaltenen Aktenordnern würde sich zeigen, wie Weit dieStaatsschutzaparate, BKA und Bundesverfassungsschutz, die Hachttatsächlich schon usurpiert haben, müßte sich ein Konfliktzwischen den Parteien und den repressiven Staatsschutzaparatenentwickeln, d.h. an der tatsächlichen Kontrolle und Macht desStaatsschutzes über die Regierungspartei, anstatt umgekehrt derRegierungspartei über den Staatsschutzapparat.

Poulantzas sagt in "Faschismus und Diktatur":

"•••• während die demokratisch-parlamentarischeForm des Staates zunächst noch intakt scheint,laufen die Beziehung zwischen den herrschendenKlassen und Klassenfraktionen einerseits und demStaatsapparat andereseits mit den Anfängen desFaschisierungsprozesses prinzipiell nicht über diesepolitischen Parteien, sondern erhalten immer mehrdirekten Charakter ••••"

Nach Poulantzas hat dies eine Verhärtung der Ro~le der eigentli­chen Staatsapparate zur Folge: von Polizei, Verwaltung, Justizund Armee.'Diese Staatsapparate verselbständigen sich. Diebürgerliche Rechts- und Verfassungsordnung wird umgedreht.Die Macht wird vom Parlament, an dem sich noch die politischenParteien ausdrücken auf die Staatsapparate selbst verlagert.Diese Verschiebung zwischen formeller und tatsächlicherHerrschaft kennzeichnet die politische Krise.

Neben der zentralen Steuerung und Planung in der Unterdrückungjeder Art von Widerstand gegen imperialistische Herrschaft istein weiteres Kennzeichen des neuen Faschismusl,!der Versuch,die Identifizierung des Volkes auch noch mit den ~~pressivstenMaßnahmen zu erreichen. Diesem Ziel dient einerseits diemassive Einschüchterung aller Kritiker an den Praktiken derStaatsschutzbehörden. Razzien, Durchsuchungen, Verhaftungen,die Aktion "Winterreise" sind die prägnantesten Beispiele.Hetzkampagnen gegen die liberale Opposition von Böll bis zuMerseburger werden unterstützt von der gesamten deutschen Presse.Bespitzelungen und Überwachungen gehBren längst zum Bundes­deutschen Alltag. Dem sog~nanntenl "einfachen Volk wird über dieMassenmedien in einem raffiniertem und permanentem Feldzugpsychologischer Kriegsführung, man denke nur an die auffallendeHäufung von Bomben in den Schließfächern der Bahnhöfevorgetäuscht, die in den Metropolen bewaffnet kämpfendenantiimperialistischen Gruppen seien Feinde des Volkes, zu derenBekämpfung und Vernichtung sozusagen jedes Mittel recht sei.Demselben Ziel, die Identifizierung der Bevölkerung mit demStaat durch Einschüchterung zu erreichen, dienen Berufsverbotegegen Beamte, Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst,so daß selbst zaghafte Versuche, institutionelle Veränderungendurchzuführen, illusorisch geworden sind. Auf Betriebsebenebestehen schon nahezu vollkommene Repressionsmaßnahmen. DerAusbau <1esWerks.chutzes, die Z~ammenarbei;t mit der·polit.ischen­Polizei, die Bespitzelung und Uberwachung, Fernsehkamaras,Abhöranlagen im Betrieb, kriminalpolizeiliehe Ermittlungenge~en streikende Arbeiter haben einen zentralen Bereich erreicht,in dem der neue Faschismus täglich seinen Ausdruck findet.

Im internationalen Maßstab betätigen sich die repressivenStaatsapparate der BRD als Handlanger offen faschistischerRegierungen, die sich - im Unterschied zur ERD - keiner Ver­schleierungsmanöver zur Verdeckung ihres wahren Charaktersbedienen müssen. Zu Silvesterl letzten Jahres hatte das'

Schah-Regime die Todesurtei~e gegen zehn Oppositione~~e bekannt­gegeben. Am 13. Januar überfielen bewaffnete Polizeieinheiten ­auf Anweisung der Bundesanwaltschaft- in der 1vlorgendämmerungStudentenhäuser und Wohnungen in denen persische Antifaschistenund CISNU-Mitglieder wohnten. Sie durchwühlten die Räume,beschlagnahmten Bücher und Briefe, nahmen einige Personen fest.und verhörten sie stundenlang im BKA Wiesbaden und bei derBundesanwaltschaft in Karlsruhe , ohne daß die Festgenommenenden Grund hierfür erfahren hätten. An den folgenden Tagen gingen,die Hausdurchsuchungen und Verhaftungen l••eiter. Schlechi: getarnte;Polizeispitzel verfolgten die Mitglieder der CISNU auf Schrittund Tritt.

Die Staatsschutzpolizei der BRd stand bei diesen Nacht- undNebeiaktionen mit dem persischen Geheimdienst SAVAK in Ver­bindung, der für seine grausamen Foltermethoden an persischenSozialisten bekannt ist. Inder zweiten Januarhälfte hatte dasSchah-Regime 19 antifaschistische persische Freiheitskämpfer,darunter 3 Frauen, hinrichten lassen. Die meisten/sind bereitsan den barbarischen Folterungen gestor~en.

Wozu imperialistische Politik in der Lage ist, hat sich an derVölkermordstrategie der Vereinigten Staaten gegen Vietnam ge­zeigt: dort ist klar geworden, daß imperialistische Militär­politik vor der Ausrottung ganzer Völker nicht halt macht.Die Formulierung General Westmorelands in Vietnam war:" Entweder Nordvietnam stellt seine Aggression ein, oder wirwerden sie in die Steinzeit zurückbomben. "

Wenn Bundesverteidigungsminister Leber vor ein paar Monatenent~prechend dem.Nato-Manöver Wintex 75 der Doktrin des Pentagonvom atomaren Präventivschlag und damit der nuklearen Vernichtungdes Territoriums der BRD zugestimmt hat, so charakterisiert dieshistorisch beispiellos die Funktion der Sozialdemokratie fürdas amerikanische Kapital. Das ist die Militärpolitik einerRegierung, die der totalen Verwüstung ihres Landes zugestimmthat. Deutlicher kann der Kolonialstatus der BRD im Verhältniszu den USA nicht vermittelt werden. Es gibt sonst keine Regie­rungin der Welt, die die totale Vernichtung des gesamten ihrunterworfenen Volkes im Interesse einer ausländischen Machtöffentlich in Erwägung gezogen hätte.

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Viel'e'unter' euch werden fragen; welche Konsequenzerl'sich aus derTransformation der Bundesrepublik in einen Staat ergeben,der zunehmend im Begriff ist, als Stadthalter des US-Imperialis­mus in Europa begriffen zu werden: ökonomisch, politisch,mili~ärisch, und dessen Faschisierung als Verkörperung~erReaktion die Hauptgefahr für eine sozialistische Entwicklungin Europa darstellt.

Für diese Frage gibt es keine Patentlösung. Jeder wird so handelnmüssen, wie es seinem Informations- und Bewußtseins zustandentspricht. Die sozialistischen Grunpierungen links von der SPD

einschließlich der Sozialdemokraten, die es nicht mehr verant­worten können, dieser Partei anzugehören, sollten ihre Kräftenicht in den bis zum Überdruß bekannten Querelen über dierichtige Linie verzetteln, sondern sich in der Kenntnis derdrohenden Gefahren durch die auße.-n-und innenpolit{schejEntwicklung der BRD, die rapide Faschisierung des gesamtenStaatsapparates und aller gesells~haftlichen Bereiche, zuantiimperialistischen und antifaschistischen Arbeitsgruppen undAktionsbÜndnissen, die auf der untersten Ebene beginnen können,zusammenschließen. Eine Aufgabe für jeden, der die mit Händengreifbare Entwicklung in einen neuen Faschismus spürt und erkennt.Wichtig wird es dabei sein, sich von der Furcht vor Repressionund politischer Kriminalisierung, der Angst vor Berufsverbotund dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu lösen, zulösen durch neue Erfahrungs- und Bewußtseinsprozesse und durchdie Entwicklung von kollektiven Widerstands formen gegen den NeueniFaschismus in dem imperialistischem Zentrum BRD.

Hamburg, den 25. Februar 1976

Klaus Croissant