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The Knowledge Bank at The Ohio State University Article Title: Polnische Reformation als geistige Bewegung Article Author: Tazbir, Janusz Journal Title: Polata Knigopisnaia Issue Date: August 1987 Publisher: William R. Veder, Vakgroep Slavistiek, Katholieke Universiteit, Postbus 9103, 6500 HD Nijmegen (Holland) Citation: Polata Knigopisnaia: an Information Bulletin Devoted to the Study of Early Slavic Books, Texts and Literatures 16 (August 1987): 34-47. Appears in: Community: Hilandar Research Library Sub-Community: Polata Knigopisnaia Collection: Polata Knigopisnaia: Volume 16 (August 1987)

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The Knowledge Bank at The Ohio State University

Article Title: Polnische Reformation als geistige Bewegung

Article Author: Tazbir, Janusz

Journal Title: Polata Knigopisnaia

Issue Date: August 1987

Publisher: William R. Veder, Vakgroep Slavistiek, Katholieke Universiteit, Postbus

9103, 6500 HD Nijmegen (Holland)

Citation: Polata Knigopisnaia: an Information Bulletin Devoted to the Study of Early

Slavic Books, Texts and Literatures 16 (August 1987): 34-47.

Appears in:

Community: Hilandar Research Library

Sub-Community: Polata Knigopisnaia

Collection: Polata Knigopisnaia: Volume 16 (August 1987)

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POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG

JANUSZ TAZB IR

Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere Einflußnahme

auf die Entwicklung des polnischen sozial-p~litischen Gedankenguts als

auf dem Gebiet der Theologie und zeichnete sich mehr im Vorantreiben

kultureller Wandlungen ab, als daß sie zur Entwicklung des religiösen

Lebens beitrug. Man kann sagen, daß sie eher ein großes intellektuelles

Abenteuer war denn eine Suche nach dem "aufrichten Wort Gottes", jener

Wahrheit von letzten Dingen, die durch menschliches Beiwerk nicht infizi­

ert wurde.

Der Zusammenhang zwischen dem Protestantismus und dem politischen

Leben der Adelskreise unterliegt heute keinem Zweifel. Beträchtlich

frÜher, bevor ein Teil des Adels mit dem Aufbau einerneuen Kirche be­

gann, beteiligte sich der gesamte Stand am Kampf um die Herausbildung

neuer Staatsformen. ln beiden Gemeinschaften wünschte die Adelsschicht

auch die fÜhrende Rolle zu Übernehmen, und das ist ihr, zumindest im 16.

Jahrhundert, auch weitgehend gelungen. Bei der Schaffung neuer Formen

des religiÖsen Lebens schÖpfte sie mit vollen Händen aus den Erfahrungen,

die sie auf Lands-undReichs tagen gewann, aus den während des gegen das

weltliche Magnatenturn gefÜhrten scharfen polemischen Kampfes erarbeiteten

Formen. Der Angriff auf BischÖfe bildete in beträchtlichem Grad

schlichtweg die Erweiterung dieses Kampfes auf die geistliche Obrigkeit.

Der Adel nahm naturgemäß an den Synoden der Katholischen Kirche nicht

teil; deshalb nutzte er auch bei Veranstaltung der calvinistischen Syno­

den oder den Versammlungen Polnischer BrÜder (Antitrinitarier) vielmehr

die Erfahrungen aus der ihm gut bekannten Praxis der LandstagsfÜhrung.

Die Glaubensdispute wurden oft während der Reichstagsberatungen organi­

siert, um den im Parlament teilnehmenden Abgeordneten und Senatoren die

Teilnahme daran zu ermÖglichen.

Bei der erfolgreichen KampffÜhrung um die Freiheit des Wortes,

die Öffentlichen Versammlungen sowie die Druckgenehmigung,galt dabei als

etwas ohne grÖßere Bedeutung, welchen Zielen sie diente: denen des

Glaubens oder denen der Politik. Dem zur Wahl der Landboten und seit

1573 auch des Monarchen berechtigten Stand konnte niemand das Recht auf

34 freie Wahl des Glaubens verwehren, ganz zu schweigen von der Wahl der

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Hochschule, die der Adel selbst zu besuchen oder in die er auch seinen

Nachwuchs zu schicken beabsichtigte. Somit laßt sich in der damaligen

Bekenntnispropaganda manchmal keine Zäsur bilden zwischen den mit dem

politischen Leben zusammenhängenden Postulaten und den durch Anhänger

der "konfess i one 11 en Neuigkeiten" ges te 11 ten Forderungen. Der Kampf um

Glaubensfreiheit stellte zugleich ein Ringen um die Erweiterung von Rech­

ten dar, die den adligen Untertanen zustanden.

Die Politik durchdrang alles: sogar jene religiösen Streitigkeiten

waren damit verbrämt, die scheinbar nur dogmatische Anliegen betrafen.

Mit den zunehmenden Religionskonflikten erfolgte eine Verweltlichung sui

generis der dabei verwendeten Argumente. Die Verdammung des Großen

Bauernkrieges (1525) und des Wiedertäuferreiches in MÜnster (1534) mün­

deten in eine Debatte, ob der Protestantismus tatsächlich dazu führe,

die bestehenden staatlichen und sozial-politischen Strukturen zu erschüt­

tern, an deren Aufrechterhaltung der gesamte Adel interessiert ward. Das

kleine Werk "Gospodarstwo'' (Die Wirtschaft, 1588) von ANZELM GOSTOMSKI,

einem wohlhabenden Besitzer und eifrigen Schutzherr des Calvinismus,

lasen Anhänger verschiedener Konfessionen, dagegen wurde es in den

katholischen Kirchenindexaus dem einfachen Grund nicht eingetragen, weil

es weder Glaubensdeklarationen noch irgendwelche Akzente der Reforma­

tionspropaganda enthielt.

ln einem noch hÖheren Grad als eine politische Bewegung war die

Reformation eine GeistesstrÖmung, die ohne Zweifel die polnische Kultur

im 16.Jahrhundert belebte. Abgesehen von der gestiegenen Zahl der

Schulen, Druckereien, Buchauflagen oder Auslandsreisen sei hier die neue

Theorie der Obersetzungen erwähnt. Im Gegensatz zu der freien Ubertrag­

ung der schÖngeistigen Literatur mußten die theologischen Texte allem

voran die Bibel exakt Übersetzt sein, insbesondere deshalb, weil jede

neue Ubertragung GrÜnde fÜr neue dogmatische Dispute lieferte. Die Re­

formation trug auch zur Verbreitung der Katechismen, GebetbÜcher, Glaub­

ensbekenntnisse, Agenden bei, und der zuvor in einem so umfassenden Ber­

eich unbekannten Dialoge, religiÖsen Dramen wie auch schließlich von

Werken mit pamphletischem und satirischem Charakter. Freilich darf man

nicht vergessen, daß viele dieser Literaturgattungen in Polen schon

lange vor der Entwicklung der Reformationsbewegung massenhaft im Umlauf

waren. ln die bereits erprobten und ihre getreue Leserschar besitzenden

schriftstellerischen Formen wurden schlichtweg neue Bekenntnisinhalte 35

Page 4: The Knowledge Bank at The Ohio State University Article ...€¦ · POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG JANUSZ TAZB IR Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere

eingetragen; doch das Interesse an ihnen war quasi sekundär im Vergleich

zur Leidenschaft, die in den Adelskreisen der politische Kampf um die

Staatsmacht auslöste.

Die Reformationsbewegung begünstigte die Entwicklung der nationalen

Kulturen, insbesondere der Literatur in der Heimatsprache, der Musik oder

der Volksbildung; doch eine gleiche Entwicklung wurde ja ebenfalls in

solchen Ländern verzeichnet, wo die Reformation keine festeren Wurzeln

geschlagen hatte. ln der Tat begegnen wir vielen ihrer Vertreter unter

namhaften SchÖpfern der polnischen Kultur im 16.-l].Jahrhundert, ähnlich

wie im Zeitalter der Aufklärung zahlreichen Geistlichen Verdienste um die

Entwicklung der polnischen Literatur und Bildung zuzuschreiben sind. Es

scheint jedoch, daß in beiden Fällen .die Glaubensmotivationen weder die

einzigen noch die wichtigsten waren. FÜr die Aufklärung spielten sie

eine ausgesprochen zweitrangige Rolle, in der Renaissance bildete der

Reformationshebel lediglich einen der Impulse, die die damalige Entwick­

lung der polnischen Kultur und des Schrifttums bedingten.

Mindest auf dieselbe Ebene wie der Protestantismus sollte der Ein­

fluß des Humanismus und der Renaissance gestellt werden, von den ein­

heimischen Faktoren dagegen die Großmachtstellung der Adelsrepublik sowie

der soziale und politische Aufstiegdes Adels. Eine seiner Determinanten

war eben die besonders aktive Teilnahme dieses Standes·an der Schaffung

und Konsumption kultureller GÜter. Die Kultur hätte auch ohne den durch

Polen brausenden Reformationssturm ihre Blütezeit erlebt, obgleich die

Form gewiß eine andere gewesen wäre. Wer würde jedoch wagen zu behaupt­

en, daß wenn die Adelsrepublic im 16.Jahrhundert ein rein katholisches

Land geblieben wäre, sich dort das Netz der Typographie nicht entwickelt

hätte, zahlreiche BÜchersammlungen nicht entstanden und Studentenscharen

nicht in deutsche, italienische, französische, schweizerische oder nie­

derländische Universitäten geeilt wären, um dort ihr Wissen zu erwerben

oder zu vertiefen?

Das 16.Jahrhundert ist ein Jahrhundert der großen kulturellen Kon­

frontation. Westeuropa entdeckte den polnischlitauischen Staat als eine

bemerkenswerte Macht, wenngleich er irgendwo im Grenzgebiet des Konti­

nents lag. Die Bewohner der Adelsrepublik lernten dagegen antike Kultur­

schätze würdigen sowie den Reichtum ihrer Heimatsprache und die Erschein­

ungen dessen zu registrieren, was heute mit dem Terminus "Folklore" be-

36 zeichnet wird. Deshalb erscheint gerade im Jahre 1564 das erste pol•

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nisch-lateinische WÖrterbuch, das JAN ~CZY~SKI zu verdanken ist; in der

zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden die Arbeiten von JAN tASICKI

verlegt, die Sitten und Brauchtum des alten Litauens beschreiben; kurz

darauf legte SALOHON RYSINSKI die Fundamente unter die polnische Parömie­

graphie. Daß H~CZY~SKI Anhänger des Antitrinitarismus war und RYSINSKI

und tASICKI zu GenferBekennern gehörten, ist hier nicht das Wesentli­

chste, ähnlich wie das Bekenntnis von PIOTR STATORIUS, dem Ankömmling

aus der französischen stadt Thionville, der die erste polnische Grammatik

herausgab. Er schrieb sie ja nicht deshalb, weil er Calvinist war: in

den meisten Ländern stammten die ersten Grammatiken von Ausländern, denn

diese mußten die ihnen nicht geläufige Sprache aus einem Buch deshalb

lernen, weil sie sie nicht aus dem Hunde ihrer Mutter gehört haben. Ein

Mitbekenner Statorius' (dieser legte sich später den NACHNAMEN STOINSKI

zu), ANDRZEJ TRZECIESKI, schuf die erste Nationalhymne in Polen, das

Gebet fÜr die polnische Republic und den KÖnig. Dies ist jedoch nicht so

merkwÜrdig und frappierend, wenn wir daran erinnern, daß sich gerade in

dieser Zeit das gesamtstaatliche Bewußtsein entwickelte und das Zusammen­

gehörigkeitsgefÜhl des gesamten Adelsstandes festigte; TRZECIESKI gehörte

dagegen der politischen Elite des Landes an, die in beträchtlichen Grad

aus Andersgläubigen bestand. Sie formulierten jedoch keine eigene Konz­

eption des Adelsstaates, sondern waren, zusammen mit den katholischen

Politikern, lediglich ihre Mitautoren.

Einen der Grundsteine des Verfassungsprogramms des Adels bildete das

Recht, dem Monarchen, der die mit der Adelsgemeinschaft getroffenen Ar­

rangements hinterging, den Gehorsam zu verweigern. Der sogenannte Arti-

kel "de non praestanda oboedientiae'' fand in den die Macht der Wahlkönige

einschränkenden Gesetzen seinen Niederschlag. Er erinnerte an die Theor-

ie der französischen Monarchomachen, die den Untertanen das Recht zuer­

kannten, gegen den "Tyrannen" aufzubegehren, der ihnen gewalttätig ihren

Glauben aufzwingen wollte, auch dadurch, daß die nachfolgenden Herrscher

dem Adel das Privileg der freien Bekenntniswahl zubilligten (Akt der War­

schauer KonfÖderation von 1573). Irren würde sich jedoch derjenige, der den

diesbezÜglichen Standpunkt des Adels mit den Einflüssen der Reformations­

bewegung oder auch mit der Kenntnis der Doktrinen der französischen

Monarchomaehen in Verbindung bringen wollte. Im Gegenteil: Es war gerade

die politische Praxis des Adelsstaates, die den französischen Calvinisten den

Hut eingefloßt hatte, derartige Forderungen zu formulieren. 37

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Mit dem Sieg der Reformation beganne~ in vielen nord- und west­

europäischen Ländern die Unterschiede zwischen der katholischen und pro­

testantischen BevÖlkerung im Bereich der Kultur, Mentalität, Kunst oder

schließlich des Lebensstils, die sich mit den Jahren vertieften; einige

haben sogarziemlich lange Überdauert. ln Polen blieb eineähnliche Er­

scheinung gänzlich unbekannt; 01an kann zwar von einem Beitrag des Pro­

testantismus zur polnischen Kultur sprechen, doch von der Teilnahme an

der Zivilisation zur Herausbildung besonderer Formen des gesellschaftli­

chen oder literarischen Lebens fÜhrt noch ein sehr weiter Weg. Polnische

Andersgläubige haben ihn nicht betreten, ja mehr noch, sie haben an der

Schaffung der allgemeinchristlichen Kultur teilgenommen, die in der

Adel>republik im 16.Jahrhundert entstand. Unter ihren SchÖpfern oder

Konsumenten begegnen wir Vertretern aller Sekten und Kirchen.

Aus dem schÖnen Essay Über JAN KOCHANOWSKI von WIKTOR WEINTRAUB re­

sultiert, daß sich der grÖßte polnische Dichter des alten Polens in jenem

Modell der Überkonfessionellen gesamtchristlichen Kultur ausgezeichnet

beinhaltete, andererseits jedoch wohl ihr namhaftester Repräsentant ge­

wesen war. JAN VON CZARNOLAS' Haltung war heterodox, "sie beinhaltete

sich nicht in den dogmatischen Grenzen irgendeiner christlichen Konfes­

sion" KOCHANOWSKIS religiÖse Dichtung ist ein Dialog des Menschen mit

Gott und nur mit Gott. Erfolglos wÜrden wir dort nach Stellen Über die

Mutter Gottes suchen, auch He i I i ge kommen led i gl ,i eh. i ~Scherzgedichten

vor und werden immer mit Ironie und verhÖhende~- Akzenten erwähnt So-

gar die Verspottung der "Spezialisierung" auf dem Olymp, dessen jeder

Bewohner etwas anderes beschÜtzt, war eine verschleierte Form der SpÖt­

telei Über den Heiligenkult und gegen diesen ausgerichtet. Man wird

Weintraub deshalb beipflichten mÜssen, der schreibt: "Ein fester Faktor

in KOCHANOWSKIS gesamter religiÖsen Dichtung ist die Überkonfessionelle,

stark rationalisierte Konzeption von Gott und die Abwesenheit der religi­

Bsen, spezifisch ehrist I ichen Konzeptionen." Es ist daher kein Wun~­

der, da? Katholiken wie Andersgläubige in ähnlichen Superlativen Über den

Dichter sprachen, und der calvinistische Geschichtsschreiber ANDRZEJ

WtGIERSKI ihn als einen Mitbekenner würdigte.

Die Gründe dafür, daß die "religiöse Heteredoxie nicht daran hinder­

lich war, daß KOCHANOWSKI von seinen Zeitgenossen alsbald und allgemein

als ein großer Dichter anerkannt wurde", erblickt Weintraub in der zu

38 Regierungszeiten der zwei letzten Jagiellonen (1506-1572) herrschenden

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Toleranz und in der hohen literarischen Kultur des alten Polens. Der

Stolz, einen so großen Dichter zu besitzen, gebot die Augen zu versch­

ließen vor den heiklen Faktoren seiner religiösen Haltung. Zu diesen

richtigen Konstatationen sollte noch ein Moment hinzugefÜgt werden, auf

den Weintraub im Übrigen ebenfalls marginal hinweist: die in KOCHANOWSKIS

religiÖsen Anschauungen enthaltene Uberzeugung, die christliche Ethik sei

wichtiger als dogmatische Unterschiede, haben viele Vertreter der intel­

lektuellen Elite des 16.Jahrhunderts geteilt.

ln der modernen westeuropäischen Historiographie sind letztens BÜ­

cher Über Angst up to date, die stets Begleiterin der Geschichte gewesen

war und in gewissen Zeiträumen in Paroxysmen kollektiver Angst umschlug.

Gleichermaßen passionierend wäre eine Arbeit Über die großen Hoffnungen

und die noch großeren Enttäuschungen der aufeinanderfolgenden Genera­

tionen der Intellektuellen. Ähnlich wie diese Hoffnungen im 18.Jahrhun­

dert mit dem Fortschritt der Bildung, im 19.Jahrhundert mit der Entwick­

lung der Technik und im 20.Jahrhundert mit der EinfÜhrung einer neuen

Gesellschaftsordnung verbunden wurden, so hatte man sie in der Renais­

sance u.d. mit den Möglichkeiten des menschlichen Geistes in Verbindung

gebracht, der ohne Hilfe der Offenbarung den Schlüssel zur Wahrheit fin­

den würde: zur wissenschaftlichen, politischen oder auch~ wie es die so­

genannte radikale Reformation wollte zur Religionswahrheit. So drückt

gerade KOCHANOWSKIS Schaffen die bitteren Enttäuschungen in dieser Hin­

sicht aus. Obwohl nämlich die Weltlichen begonnen haben, die Glaubens­

wahrheiten zu lehren, führte dies keineswegs zum besseren Verständnis der

Natur Gottes und zur Erkenntnis der letzten Dinge. "So gebieten denn

jetzt alle und niemand hört zu'', schrieb der Dichter in der "Zgoda" (Ein­

tracht, 1564). Dieses Werk war ein Hohelied auf die Teilung der Kompe­

tenzen nicht nur unter der Gesellschaft, sondern auch unter den Intellek­

tuellen selbst, die dogmatische Dispute Fachleuten Überlassen sollten.

"Zgoda'' ist ein Zeugnis für die doppelte Enttäuschung: des Humanis­

ten, der bekennen muß, daß sachliche und fruchttragende Diskussionen über

Literatur, Kunst oder ethische Vorbilder in der Strömung der intellek­

tuell sterilen Dispute um die Theologie untergehen. Die Enttäuschung des

Edelmanns•BÜrgers resultierte dagegen aus der Uberzeugung, daß religiöse

Verbohrtheit zum Zerfall der politischen Gemeinschaft dieses Standes füh­

ren und somit den Interessen der gesamten Adelsrepublik Schaden zufügen

kÖnne. Erwähnt sei, daß KOCHANOWSKIS ideeller Schirmherr Bischof PIOTR 39

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MYSZKOWSKI auf dem Reichstag von 1565 den berÜhmten Appell ausrichtete,

den alle Forscher der polnischen Reformationsgeschichte zitieren: "MÖge

die verschiedenartige Auffassung der Heiligen Schrift nicht die Liebe

zwischen uns zugrunderichten." Die Enttäuschung des Autors der "Odprawa

pos~6w greckich" (Die Abfertigung der griechischen Gesandter., 1578, dt.

1930) mußten viele Vertreter der damaligen Geisteselite geteilt haben,

wenn der calvinistische Polemiker und adliger Politiker JAKUB NIEMOJEWSKI

im Jahre 1580 bitter feststellte, daß "die Leute aller Theologie ( ... )

fast Überdrussig wurden"

Viele intellektuelle erblickten gerade in der Reformation eine

Chance fÜr die geistige Erneuerung. Im 16.Jahrhundert begegnen Männer,

die später zu Stützpfeilern der Gegenreformation wurden, ausgesprochenen

Sympathisanten der neuen Strömungen, die nach eigenen Wegen die Wahrheit

suchten. Dies geschah sowohl in dem berÜhmten "Krakauer Kreis'', wo

STANISLAUS HOSIUS in den vierziger Jahren des 16.Jahrhunderts freund­

schaftliche Gespräche mit ANDRZEJ FRYCZ MODRZEWSKI fÜhrte, als auch an

vielen HÖfen der Großmächtigen (die Bischofssitze nicht ausgeschlossen),

in der unmittelbaren Umgebung des KÖnigs oder schließlich während den

Universitätsstudien. Nach und nach trat jedoch ein deutlicher Abfluß der

Intellektuellen aus den Reihen der Reformationsanhänger ein. Mit einiger

Verspätung, die auf die spätere Entwicklung dieser Bewegung in Polen zu­

rÜckzufÜhren war, wiederholen sie den Lebensweg des ERASMUS VON ROTTERDAM

oder FRAN~OIS RABELAIS, die dennoch der alten Kirche und dem alten Glau­

bentreu geblieben waren.

DafÜr gab es zahlreiche GrÜnde. Die Verfolgung der Anhänger der

radikalen Reformation, mit der außer den Katholiken ebenfalls die Calvin­

isten und Lutheraner begonnen haben, schockierten auch in de Kreisen an­

dersgläubiger Intellektueller, wovon ihre Reaktionen nach der Verbrennung von

Miguel ,Servetos zengten. ·Alsbald erwies es sich jedoch, daß nicht nur·die

alte Kirche, sondern auch die neuen Gotteshäuser, die nach der Rebellion

gegen Roms Tyrannei gegründet wurden, den schöpferischen Wissensdrang des

menschlichen Gedankens durch Scheiterhaufen aufzuhalten versuchten. Die

Achtung vor menschlicher Oberzeugung und die Achtung des Menschen als

einen Wert fÜr sich allein fanden insbesonders in den Äußerungen der

Antitrinitarier ihren Niederschlag. Diese Empfindungen waren eng mit

der Ideologie des Humanismus liiert, die sich sowohl dem Calvinismus als

40 auch dem katholischen Fanatismus entgegenstellte.

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Den Anstoß der Intellektuellen erregte ebenfalls die Einschränkung

der Diskussionsfreiheit in den eigenen Kirchen der einzelnen Reforma­

tionsrichtungen. Der katholischen Zensur und dem von ihr eingeführten

Verzeichnis verbotener BÜcher entsprachen die verschärften Zensuren der

Calvinisten und Lutheraner. Diesem Trend haben sich sogar die Antitrini­

tarier nicht entzogen, die den Verweis für den dogmatischen Radikalismus

einiger Mitglieder dieser Kirche mit BefÜrchtungen provozierter Anschläge

sowohl der römischen als auch der Genfer oder Wittenberger Orthodoxie

verbanden.

Reformationsdiskussionen betrafen nur zum Teil strikt religiÖse

Fragen, denn sie setzten in hohem Grad die seit Jahrhunderten gefÜhrten

Polemiken fort Über die menschliche Natur, die Verantwortung des Menschen

fÜr das eigene und fremde Schicksal, seine Pflichten gegenÜber der Ges­

ellschaft und schließlich der lngerenz der Vorsehung in das Weltgesche­

hen. Auch hier tritt eine intellektuelle Verödung des polnischen Pro­

testantismus ein; sie ist unschwer abzulesen aus den Synodeakten, deren

Edition MARIA SIPAY~tO zu verdanken ist. Sofern nämlich die ersten zwei

Bände dieser Publikation, die sich mit dem Zeitraum bis zum Jahre 1570

befassen, durch reichhaltigen doktrinären Inhalt imponieren, insofern

betrübt der dritte Band (1570-1632) durch die auf den Synoden erörterten

engstirnigen Probleme. Anstelle alter intellektuell-religiöser Dispute

treten Nöte mit den Geistlichen des eigenen Bekenntnisses sowie Klagen

über die tadelnswürdigen Sitten ihrer Gemahlinnen. Es wird immer schwie­

riger, Spuren der Engagierung von Kirchenmitgliedern in politische und

staatliche Anliegen und in große geistige Probleme dieses Zeitalters zu

finden.

Hätte die Reformation doch für die wachsende Intoleranz eine kohär­

ente Vision der Welt und der menschlichen Pflichten in dieser Welt gege­

ben! OLBRACHT tASKI, der seinen ehemaligen Mitbekennern (insbesondere

aber den protestantischen Ministern) ständige Zänkereien, "Verschieden­

heit der Sekten", "'zahlreiche Unterschiede zwischen den Schriftstellern''

vorwarf, drückte seine Enttäuschung auch auf diesem Gebiet aus. JE~ZY

SZOMAN trug seinen SÖhnen im Testament (um 1591) an, sich einer vollkom­

meneren Kirche anzuschließen, falls sie eine solche fänden, und die

Gemeinschaft der Polnischen BrÜder aufzugeben. Was fÜr die Anhänger der

Glaubens-Heterodoxie offensichtlich war, mußte die Intellektuellen beun­

ruhigen, die nach stabilen und letzten Wahrheiten suchten. 41

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Sofern die Reformation fÜr die Geisteselite zu einem bestimmten

Zeitpunkt aufhörte hinreichend attraktiv zu sein, insofern stellte für

die niederen Gesellschaftsschichten eben ihr intellektueller Charakter

eine Schranke dar, die die Verbreitung des neuen Glaubens wirksam ersch­

werte. Die Reformation trug zur dynamischen Entwicklung der Druckerei­

kunst bei, s=hob jedoch die mÜndlichen Propagandaformen auf einen weiter­

en Plan. Vor allem setzte sie auf das Buch, deshalb waren auch nach der

Meinung einiger Forscher Länder mit einem hÖheren Grad der Lese- und

Schreibkundigen aufnahmefähiger fÜr die Losungen des Protestantismus.

Die Geringschätzung der traditionellen, mündlichen Formen der Einfluß­

nahme zeitigte nicht immer die erwünschten Resultate. Oberdies bildeten

die neuen Glaubensinhalte recht oft eine Barriere, die Kleinstadtbewohner

(ganz zu schweigen von den Bauern) nicht imstande waren, zu Überwinden.

Davon Überzeugten sich vor allem die Antitrinitarier, die nach einer in

Vorkarpaten (1612) durchgefÜhrten Visitation sichtlich resigniert fest­

stellen mußten: "Es fanden sich auch solche, die geradezu nichts davon zu

wissen schienen, wie sich andere Bekenntnisse von dem unsrigen Über Gott

den Einzigen unterscheiden."

Protestantische Kirchen gehörten weder zu den billigeren als die

katholischen, noch waren ihre Doktrinen einfacher als die "papistischen"

zu rezipieren. Billiger waren sie deshalb nicht, weil die Konfiskation

der KirchengÜter die Notwendigkeit nach sich zog, Schulen, Druckereien

und schließlich auch den Klerus von den durch die Gläubigen gebrachten

Opfern zu unterhalten. Und einfacher deshalb nicht, weil man in der

Glaubenspropaganda aus doktrinären GrÜnden ohne reiche Riten auskommen

mußte, in die das von katholischen Geistlichen verkÜndete Gotteswort

eingerahmt wurde. Die neue Form des Christentums, die auf den Heiligen­

kult und auf den Glauben an den Muttergottesschutz verzichtete und sich

programmiert von den Verbindungen mit der Folklore abschnitt, wurde zu

einem trockenen Vortrag mit doktrinärem Inhalt, der vor leeren Gottes­

häuserwänden verkündet wurde. Man versuchte dem abzuhelfen durch weniger

oder weitertehende Kompromisse: Zürucklassen - wenigstens für eine Zeit­

lang der Figuren und Gemälde in den zu Gotteshäusern umfunktionierten

Kirchen, Dulden des Kults der Schutzheiligen, Tolerieren der Ehrung der

allerheiligsten Jungfrau Maria. Am weitestgehenden gingen dabei die

Lutheraner vor, während Calvinisten und Antitrinitarier sich zu Zuge-

42 ständnissen am wenigsten geneigt zeigten. All diese Halbmittel nützten

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allerdings nicht viel, und man verzichtete auf sie nach einer gewissen

Zeit, was im Übrigen unter dem Druck der orthodoxen Kirche geschah. Die

Katholische Kirche verfügte dagegen Über seit Jahrhunderten erarbeitete

Formen des Vordringens an die Massen, mit denen die jungen protestanti­

schen Kirchenorganisationen nicht immer imstande waren, wirksam zu kon­

kurrieren.

Wie anzunehmen ist, waren sich die führenden Kreise der polnischen

Andersgläubigen nicht allzu sehr dessen bewußt, daß jenes Obergewicht der

doktrinären Über die rituellen Inhalte, des Drucks Über das Gemälde, der

Argumentation Über die Appellation an die GefÜhle und Vorstellungskraft

daß all das den Kontakt mit den Massen erschwerte. Obwohl man in den uns

erschlossenen protestantischen Schriften aus dem !].Jahrhundert auf zahl­

reiche GrÜnde hinwies, die ausschlaggebend dafÜr waren, daß die Reforma­

tion keine tieferen Wurzeln in der Gesellschaft (insbesondere unter den

polnischen Bauern) faßte, so fehlt jedoch auf jeden Fall auch dieser

Grund, daß der Protestantismus schlichtweg allzu schwierig war. An den

alten Glauben fesselten die Untergebenen die reichhaltig entwickelten

Formen der Riten, die ihre Vorstellungskraft so stark beflÜgelten. Im

16. und !].Jahrhundert schrieb man hingegen von der Kraft der römischen

"Superstition'' (Aberglauben), die kraft diabolischer Mächte und des in

Rom residierenden "Antichristen" die Seelen vieler Christen beherrschte.

Den Sieg des Katholizismus unter dem Adel schrieb man wiederum der

Rührigkeit der Jesuitenschulen zu, in denen auch der Nachwuchs Anders­

glaÜbiger unterrichtet wurde. Ihr Programm wertete, zumindest in der

ersten Zeit der Tätigkeit, die Leistungen der humanistischen Pädagogik

aus. Die Dessidentenschulen konnten dabei mit den Jesuitenschulen nicht

wirksam konkurrieren, mußten doch die calvinistischen Gymnasien in

Kleinpolen abgesehen von einigen Ausnahmen wie Rakaw oder Lissa sowie

des Raums des Königlichen Preußens gegen den Mangel an Mitteln und

auch an einem Lehrerkader auf angemessenem Niveau änkampfen. Das Bild­

ungsnetz auf niedrigerem Ebene, das den katholischen Pfarrschulen ent­

sprach, war ebenfalls schwach entwickelt. Das !].Jahrhundert brachte da

weitere Änderungen zugunsten der Protestanten.

Obwohl der Lutheranismus in seiner polnischen Fassung einen wesent­

lichen Beitrag zur Entwicklung des polnischen Schrifttums und der Sprache

geleistet hat, beeinträchtigte er gleichzeitig - durch deutsche Predigten

und Druckschriften die Assimilationsprozesse im Königlichen Preußen. 43

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Die Festigung der ethnischen Bande auch durch die Glaubensgemeinschaft

bewirkte, daß die Bewohner von THORN, DANZIG oder ELBING nunmehr began­

nen, scharenweise die Universitäten in KÖnigsberg, Leipzig, TÜbingen,

vor allem aber in Wittenberg zu besuchen. Vor kurzem haben einige For­

scher die in der polnischen Historiographie schon eingebÜrgerte These

Über den ausschließlich positiven Einfluß der Reformation auf die Ent­

wicklung der litauischen Nationalkultur beanstandet. l~rer Meinung

nach begünstigte der Protestantismus gerade im 17.Jahrhundert eher die

Polonisierung des GroßfÜrstentums; u.d. erschien in dieser Sprache ein

großer Teil andersgläubiger Publikationen. Fügen wir hinzu, daß es ähn­

lich in Kronpeußen war: Obwohl die Reformationspropaganda schon zur

Neige des 16.Jahrhunderts Druckschriften in der Sprache ihrer Einwohner

verÖffentlichte, bedeutete die Konvertion des griechisch-orthodoxen

Adels zum Calvinismus oder zur Doktrin der Sozinianer meist die Assimi­

lation dieser Schicht. Dafür liefert die Geschichte des Antitrinitaris­

mus in Wolhynien in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts ein beredtes

Zeugnis. Aus dieser Sicht war das Problem des Reformationseinflusses

auf die Entwicklung der nationalen Kulturen in der Adelsrepublik nicht

eindeutig.

Ähnlich wie der Humanismus das Interesse an der Antike weckte, er­

hÖhte sich im 16.-17.Jahrhundert in Polen der Einfluß des Alten Testa­

ments auf verschiedene Kulturgebiete. Selbstverständlich kÖnnen hier

keine Parallelen zwischen Polen und dem puritanischen England, Schott­

land oder den Niederlanden gezogen werden, wo man nach Hinweisen und

Eingebung zum ersten Teil der Heiligen Schrift griff. Aber auch das

Adelsvolk nahm zahlreiche Analogien zwischen den Geschicken seines

Staates und der Geschichte des Judenvolks wahr, die das Alte Testament

erzählte, eine Analogie, die man in der im Neuen Testament enthaltenen

Relation Über die Anfänge des Christentums schwerlich entdecken kÖnnte.

Es ist charakteristisch: die oftmalige Berufung auf die Äußerungen

der Propheten, Davids Leben oder Salomons Weisheit riefen kein tieferes

Interesse an der jÜdischen Gegenwartskultur hervor. Obwohl Anhänger der

radikalen Reformation mit einigen Vertretern des Judaismus polemisierten

(als Beispiel sei hier der berühmte Disput zwischen MARCIN CZECHOWIC mit

JAKUB VON BE~ZYCE angefÜhrt), verhielten sich ebenfalls Protestanten den

jüdischen Kreisen gegenüber gleichgÜltig oder nahezu feindlich. Auch

44 wenn ihr Verhalten zu Anklagen der Hostienprofanation, der man einige

Page 13: The Knowledge Bank at The Ohio State University Article ...€¦ · POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG JANUSZ TAZB IR Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere

Juden bezichtigte, skeptisch war, dann geschah es deshalb, weil Anders­

gläubige einerseits die Lehre von der Transsubstantiation negierten, an­

dererseits dagegen mit gleichen Vorwürfen wie Bekenner des Judaismus be­

lastet waren. Man darf zugleich nicht vergessen, daß der polnische Pro­

testantismus in bürgerlichen Kreisen des Königlichen Preußens stark unter­

stützt wurde; diese Kreise blickten seit Jahrhunderten unwillig auf Juden,

in denen sie scharfe Konkurrenten auf dem Wirtschaftsgebiet sahen.

Seit der Aufklärung erblickte man im Beitrag der Reformation zur

Nationalkultur ein unbestreibares Verdienst. Diesen Beitrag sollte auch

die Gegenwart dieser Bewegung in der polnischen Geschichtstradition be­

grÜnden. Ebenfalls heute wird man diesem Standpunkt beipflichten müssen,

da vieles fÜr die These spricht, daß die Reformation auf polnischem Boden

ein mehr kulturelles denn religiÖses Phänomen gewesen war, "eher eine in­

tellektuelle Strömung, die Menschen auf einem gewissen Kulturniveau in­

teressierte, ohne Emotionen zu schüren und das Alltagsleben zu revolu­

tionieren( .•• ). Das Verhältnis zur Religion bildete einen Teil der

Renaissancehaltung zum Leben, und zwar einer Haltung, die man als offen

bezeichnen kÖnnte".

Den folgerichtigen Konstatationen ANDRZEJ WYCZANSKIS sollten einige

weitere Fragen hinzügefugt werden, nämlich, obdie auf polnischem Boden

schwache Rezeption der Reformation in ihrer immerhin slawischen Abart,

wie sie der Hussitismus war, nicht auch daraus resultierte, daß er in

Zeiten auflebte, in denen weder das geistige noch das politische Leben so

stark pulsierte, wie das im 16.Jahrhundert der Fall war? Ferner, in wel­

chem Grad das eher gleichgültige Verhältnis zu dogmatischen Disputen der

in diesem Jahrhundert lebenden Polen jene Umgestaltung der Reformations­

bewegung vor allem in die intellektuelle Bewegung beeinflußt hatte? Hat

die Reformation in ihrer theologischen Strömung die Perzeptionskapazi­

täten der ehemaligen Bevölkerung Überfordert oder entsprach sie schlicht­

weg nicht ihren Interessensrichtungen und Bedürfnissen? Was sollte von

ihren kulturellen Leistungen der allgemeinen Rechn~ng des Zivilisations­

aufschwungs in der Renaissance zugeschrieben und was als ausschließliches

Verdienst dieser Bewegung gewertet werden?

Und schließlich eine Frage, die nach meinem Dafürhalten kaum jemand

imstande sein könnte zu beantworten. Schon im 19.Jahrhundert stellten

einige Historiker Uberlegungen an, wie die Geschicke des polnischen

Staates verlaufen würden, wenn die letzten Herrscher von der Jagiellonen- 45

Page 14: The Knowledge Bank at The Ohio State University Article ...€¦ · POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG JANUSZ TAZB IR Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere

Dynastie, unterstÜtzt von einem Teil der Magnaten und des Adels, eines

der reformierten Bekenntnisse einführen würden. Es gab darauf unter­

schiedliche Antworten, oft je nach den politischen Anschauungen oder Be­

kenntnissympathien des Autors. Man kÖnnte aber auch fragen, wie die Bil­

anz der polnischen Kultur im 16.Jahrhundert ausfallen würde, wäre die

Adelsrepublik nach dem Vorbild der beiden Halbinseln Pyrynäen und Apen-

ninen der Reformationsbewegung gegenüber gleichgültig geblieben?

Im Gegenteil: die Relikte der mittelalterlichen Weltanschauung, die

beispielsweise in "Krötka rozprawa" (Kurzes Gespräch zwischen dem Herrn,

dem Vogt und dem Pfarrer, 1543) von MIKotAJ REJ erwähnt werden, rührten

in hohem Grad eben aus seinem Interesse für religiöse Dispute her. ln

dieser Hinsicht setzte die Reformation in gerader Linie den Streit um

Dogmen fort, der im Mittelalter geführt wurde. Wenn wir die These akzep­

tieren, daß sich der Hussitismus in einer bestimmten Weise auf die Ent­

wicklung der bÖhmischen Kultur des 15.-16.Jahrhunderts ungünstig aus­

wirkte, dann läßt sich von der polnischen Reformation gewiß nicht das­

selbe sagen. Dank dessen, daß sie eine geistige und sozial-politische

Bewegung und erst in weiterer Reihenfolge eine religiöse Bewegung gewe­

sen war, kam es in Polen nicht zu einem so scharfen Konflikt, wie wir es

auf den Schauplätzen anderer Länder des alten Europas beobachten.

Die geistigen VorzÜge der Reformation haben sich auf weitere Sicht

in den Augen der polnischen intellektuellen Elite nicht verifiziert, wur­

den dagegen zu einer Schranke, die die Rezeption des Protestantismus bei

den niedrigeren BevÖlkerungsschichten erschwerten. Da er zugleich auch

keine Unterstützung bei der an der Weichsel herrschenden Dynastie fand,

konnte er nicht auf die EinfÜhrung des neuen Glaubens von oben rechnen,

was gerade auf den Britischen Inseln, in den skandinavischen Ländern

oder schließlich in vielen deutschen Staaten der Fall war. Es blieb die

Wirkung von unten; doch hier erklärten sich fÜr Luther in hohem Grad

auf dem Prinzip der ethnischen Solidarität~ vor allem seine Landsleute,

die vordergründig im Königlichen Preußen lebten. Sie waren es auch, die

nicht nur konfessionelle, sondern auch wissenschaftliche Verbindungen

mit dem protestantischen Westen unterhielten, was u.a. in Form der früh­

zeitigeren Entwicklung der Aufklärung Früchte trug, als dies in anderen

Landesteilen des polnischen Staates geschah.

Andererseits ist der Sieg der Gegenreformation nicht den geistigen

46 Vorzügen dieser Bewegung zuzuschreiben, da er keine Theologen, Polemiker

Page 15: The Knowledge Bank at The Ohio State University Article ...€¦ · POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG JANUSZ TAZB IR Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere

oder Prediger hervorbrachte, die in die europäische FÜhrung des Katholiz­

ismus eingegangen wären. Mehr noch, nach dem endgültigen Sieg der katho­

lischen Reaktion hÖrte die polnische Kirche auf, im Leben der Weltkirche

eine Rolle zu spielen. Den Erfolg der Gegenreformation verbürgte die

Fähigkeit der Anpassung an die Erfordernisse und Bedürfnisse des Adels­

volks, die elastische Senkung des Niveaus mit dem verstärkten Niedergang

der Kultur, die Bezugnahme nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse des

!].Jahrhunderts, sondern auf Leistungen der in der Folklore und im Brauch­

tum enthaltenen Traditionen. ln der BlÜtezeit des geistigen Lebens in

Polen, die auf das 16.Jahrhundert entfiel, gewannen der Antitrinitarismus

oder Calvinismus Anhänger u.a. auf der Woge des Interesses fÜr jegliche

Art der intellektuellen Novitäten. Das Abebben dieser Woge schützte den

polnischen Katholizismus wirksam vor den EinflÜssen des Jansenismus oder

Libertinismus, jener Richtungen also, die die französische Kirche so emp­

findlich erschütterten. Im 16.Jahrhundert Übersiedelten an die Weichsel

Intellektuelle verschiedener Nationalitäten in der Uberzeugung, hier ihre

Anschauungen frei verkÜnden und verÖffentlichen zu kÖnnen. Mitte des

nachfolgenden Jahrhunderts mußten Mitglieder einer Sekte, die geistig auf

dem hÖchsten Niveau aller Bekenntnisgruppen stand, aus Polen emigrieren.

Die Landesverweisung der Polnischen Brüder (1658), die in Westeuropa

Sozinianer genannt wurden, bildet zugleich ein wichtiges Grenzdatum in

der polnischen Reformationsgeschichte als eine geistige Bewegung.

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