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The Knowledge Bank at The Ohio State University
Article Title: Polnische Reformation als geistige Bewegung
Article Author: Tazbir, Janusz
Journal Title: Polata Knigopisnaia
Issue Date: August 1987
Publisher: William R. Veder, Vakgroep Slavistiek, Katholieke Universiteit, Postbus
9103, 6500 HD Nijmegen (Holland)
Citation: Polata Knigopisnaia: an Information Bulletin Devoted to the Study of Early
Slavic Books, Texts and Literatures 16 (August 1987): 34-47.
Appears in:
Community: Hilandar Research Library
Sub-Community: Polata Knigopisnaia
Collection: Polata Knigopisnaia: Volume 16 (August 1987)
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POLNISCHE REFORMATION ALS GEISTIGE BEWEGUNG
JANUSZ TAZB IR
Die Reformationsbewegung hatte eine sehr viel stärkere Einflußnahme
auf die Entwicklung des polnischen sozial-p~litischen Gedankenguts als
auf dem Gebiet der Theologie und zeichnete sich mehr im Vorantreiben
kultureller Wandlungen ab, als daß sie zur Entwicklung des religiösen
Lebens beitrug. Man kann sagen, daß sie eher ein großes intellektuelles
Abenteuer war denn eine Suche nach dem "aufrichten Wort Gottes", jener
Wahrheit von letzten Dingen, die durch menschliches Beiwerk nicht infizi
ert wurde.
Der Zusammenhang zwischen dem Protestantismus und dem politischen
Leben der Adelskreise unterliegt heute keinem Zweifel. Beträchtlich
frÜher, bevor ein Teil des Adels mit dem Aufbau einerneuen Kirche be
gann, beteiligte sich der gesamte Stand am Kampf um die Herausbildung
neuer Staatsformen. ln beiden Gemeinschaften wünschte die Adelsschicht
auch die fÜhrende Rolle zu Übernehmen, und das ist ihr, zumindest im 16.
Jahrhundert, auch weitgehend gelungen. Bei der Schaffung neuer Formen
des religiÖsen Lebens schÖpfte sie mit vollen Händen aus den Erfahrungen,
die sie auf Lands-undReichs tagen gewann, aus den während des gegen das
weltliche Magnatenturn gefÜhrten scharfen polemischen Kampfes erarbeiteten
Formen. Der Angriff auf BischÖfe bildete in beträchtlichem Grad
schlichtweg die Erweiterung dieses Kampfes auf die geistliche Obrigkeit.
Der Adel nahm naturgemäß an den Synoden der Katholischen Kirche nicht
teil; deshalb nutzte er auch bei Veranstaltung der calvinistischen Syno
den oder den Versammlungen Polnischer BrÜder (Antitrinitarier) vielmehr
die Erfahrungen aus der ihm gut bekannten Praxis der LandstagsfÜhrung.
Die Glaubensdispute wurden oft während der Reichstagsberatungen organi
siert, um den im Parlament teilnehmenden Abgeordneten und Senatoren die
Teilnahme daran zu ermÖglichen.
Bei der erfolgreichen KampffÜhrung um die Freiheit des Wortes,
die Öffentlichen Versammlungen sowie die Druckgenehmigung,galt dabei als
etwas ohne grÖßere Bedeutung, welchen Zielen sie diente: denen des
Glaubens oder denen der Politik. Dem zur Wahl der Landboten und seit
1573 auch des Monarchen berechtigten Stand konnte niemand das Recht auf
34 freie Wahl des Glaubens verwehren, ganz zu schweigen von der Wahl der
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Hochschule, die der Adel selbst zu besuchen oder in die er auch seinen
Nachwuchs zu schicken beabsichtigte. Somit laßt sich in der damaligen
Bekenntnispropaganda manchmal keine Zäsur bilden zwischen den mit dem
politischen Leben zusammenhängenden Postulaten und den durch Anhänger
der "konfess i one 11 en Neuigkeiten" ges te 11 ten Forderungen. Der Kampf um
Glaubensfreiheit stellte zugleich ein Ringen um die Erweiterung von Rech
ten dar, die den adligen Untertanen zustanden.
Die Politik durchdrang alles: sogar jene religiösen Streitigkeiten
waren damit verbrämt, die scheinbar nur dogmatische Anliegen betrafen.
Mit den zunehmenden Religionskonflikten erfolgte eine Verweltlichung sui
generis der dabei verwendeten Argumente. Die Verdammung des Großen
Bauernkrieges (1525) und des Wiedertäuferreiches in MÜnster (1534) mün
deten in eine Debatte, ob der Protestantismus tatsächlich dazu führe,
die bestehenden staatlichen und sozial-politischen Strukturen zu erschüt
tern, an deren Aufrechterhaltung der gesamte Adel interessiert ward. Das
kleine Werk "Gospodarstwo'' (Die Wirtschaft, 1588) von ANZELM GOSTOMSKI,
einem wohlhabenden Besitzer und eifrigen Schutzherr des Calvinismus,
lasen Anhänger verschiedener Konfessionen, dagegen wurde es in den
katholischen Kirchenindexaus dem einfachen Grund nicht eingetragen, weil
es weder Glaubensdeklarationen noch irgendwelche Akzente der Reforma
tionspropaganda enthielt.
ln einem noch hÖheren Grad als eine politische Bewegung war die
Reformation eine GeistesstrÖmung, die ohne Zweifel die polnische Kultur
im 16.Jahrhundert belebte. Abgesehen von der gestiegenen Zahl der
Schulen, Druckereien, Buchauflagen oder Auslandsreisen sei hier die neue
Theorie der Obersetzungen erwähnt. Im Gegensatz zu der freien Ubertrag
ung der schÖngeistigen Literatur mußten die theologischen Texte allem
voran die Bibel exakt Übersetzt sein, insbesondere deshalb, weil jede
neue Ubertragung GrÜnde fÜr neue dogmatische Dispute lieferte. Die Re
formation trug auch zur Verbreitung der Katechismen, GebetbÜcher, Glaub
ensbekenntnisse, Agenden bei, und der zuvor in einem so umfassenden Ber
eich unbekannten Dialoge, religiÖsen Dramen wie auch schließlich von
Werken mit pamphletischem und satirischem Charakter. Freilich darf man
nicht vergessen, daß viele dieser Literaturgattungen in Polen schon
lange vor der Entwicklung der Reformationsbewegung massenhaft im Umlauf
waren. ln die bereits erprobten und ihre getreue Leserschar besitzenden
schriftstellerischen Formen wurden schlichtweg neue Bekenntnisinhalte 35
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eingetragen; doch das Interesse an ihnen war quasi sekundär im Vergleich
zur Leidenschaft, die in den Adelskreisen der politische Kampf um die
Staatsmacht auslöste.
Die Reformationsbewegung begünstigte die Entwicklung der nationalen
Kulturen, insbesondere der Literatur in der Heimatsprache, der Musik oder
der Volksbildung; doch eine gleiche Entwicklung wurde ja ebenfalls in
solchen Ländern verzeichnet, wo die Reformation keine festeren Wurzeln
geschlagen hatte. ln der Tat begegnen wir vielen ihrer Vertreter unter
namhaften SchÖpfern der polnischen Kultur im 16.-l].Jahrhundert, ähnlich
wie im Zeitalter der Aufklärung zahlreichen Geistlichen Verdienste um die
Entwicklung der polnischen Literatur und Bildung zuzuschreiben sind. Es
scheint jedoch, daß in beiden Fällen .die Glaubensmotivationen weder die
einzigen noch die wichtigsten waren. FÜr die Aufklärung spielten sie
eine ausgesprochen zweitrangige Rolle, in der Renaissance bildete der
Reformationshebel lediglich einen der Impulse, die die damalige Entwick
lung der polnischen Kultur und des Schrifttums bedingten.
Mindest auf dieselbe Ebene wie der Protestantismus sollte der Ein
fluß des Humanismus und der Renaissance gestellt werden, von den ein
heimischen Faktoren dagegen die Großmachtstellung der Adelsrepublik sowie
der soziale und politische Aufstiegdes Adels. Eine seiner Determinanten
war eben die besonders aktive Teilnahme dieses Standes·an der Schaffung
und Konsumption kultureller GÜter. Die Kultur hätte auch ohne den durch
Polen brausenden Reformationssturm ihre Blütezeit erlebt, obgleich die
Form gewiß eine andere gewesen wäre. Wer würde jedoch wagen zu behaupt
en, daß wenn die Adelsrepublic im 16.Jahrhundert ein rein katholisches
Land geblieben wäre, sich dort das Netz der Typographie nicht entwickelt
hätte, zahlreiche BÜchersammlungen nicht entstanden und Studentenscharen
nicht in deutsche, italienische, französische, schweizerische oder nie
derländische Universitäten geeilt wären, um dort ihr Wissen zu erwerben
oder zu vertiefen?
Das 16.Jahrhundert ist ein Jahrhundert der großen kulturellen Kon
frontation. Westeuropa entdeckte den polnischlitauischen Staat als eine
bemerkenswerte Macht, wenngleich er irgendwo im Grenzgebiet des Konti
nents lag. Die Bewohner der Adelsrepublik lernten dagegen antike Kultur
schätze würdigen sowie den Reichtum ihrer Heimatsprache und die Erschein
ungen dessen zu registrieren, was heute mit dem Terminus "Folklore" be-
36 zeichnet wird. Deshalb erscheint gerade im Jahre 1564 das erste pol•
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nisch-lateinische WÖrterbuch, das JAN ~CZY~SKI zu verdanken ist; in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden die Arbeiten von JAN tASICKI
verlegt, die Sitten und Brauchtum des alten Litauens beschreiben; kurz
darauf legte SALOHON RYSINSKI die Fundamente unter die polnische Parömie
graphie. Daß H~CZY~SKI Anhänger des Antitrinitarismus war und RYSINSKI
und tASICKI zu GenferBekennern gehörten, ist hier nicht das Wesentli
chste, ähnlich wie das Bekenntnis von PIOTR STATORIUS, dem Ankömmling
aus der französischen stadt Thionville, der die erste polnische Grammatik
herausgab. Er schrieb sie ja nicht deshalb, weil er Calvinist war: in
den meisten Ländern stammten die ersten Grammatiken von Ausländern, denn
diese mußten die ihnen nicht geläufige Sprache aus einem Buch deshalb
lernen, weil sie sie nicht aus dem Hunde ihrer Mutter gehört haben. Ein
Mitbekenner Statorius' (dieser legte sich später den NACHNAMEN STOINSKI
zu), ANDRZEJ TRZECIESKI, schuf die erste Nationalhymne in Polen, das
Gebet fÜr die polnische Republic und den KÖnig. Dies ist jedoch nicht so
merkwÜrdig und frappierend, wenn wir daran erinnern, daß sich gerade in
dieser Zeit das gesamtstaatliche Bewußtsein entwickelte und das Zusammen
gehörigkeitsgefÜhl des gesamten Adelsstandes festigte; TRZECIESKI gehörte
dagegen der politischen Elite des Landes an, die in beträchtlichen Grad
aus Andersgläubigen bestand. Sie formulierten jedoch keine eigene Konz
eption des Adelsstaates, sondern waren, zusammen mit den katholischen
Politikern, lediglich ihre Mitautoren.
Einen der Grundsteine des Verfassungsprogramms des Adels bildete das
Recht, dem Monarchen, der die mit der Adelsgemeinschaft getroffenen Ar
rangements hinterging, den Gehorsam zu verweigern. Der sogenannte Arti-
kel "de non praestanda oboedientiae'' fand in den die Macht der Wahlkönige
einschränkenden Gesetzen seinen Niederschlag. Er erinnerte an die Theor-
ie der französischen Monarchomachen, die den Untertanen das Recht zuer
kannten, gegen den "Tyrannen" aufzubegehren, der ihnen gewalttätig ihren
Glauben aufzwingen wollte, auch dadurch, daß die nachfolgenden Herrscher
dem Adel das Privileg der freien Bekenntniswahl zubilligten (Akt der War
schauer KonfÖderation von 1573). Irren würde sich jedoch derjenige, der den
diesbezÜglichen Standpunkt des Adels mit den Einflüssen der Reformations
bewegung oder auch mit der Kenntnis der Doktrinen der französischen
Monarchomaehen in Verbindung bringen wollte. Im Gegenteil: Es war gerade
die politische Praxis des Adelsstaates, die den französischen Calvinisten den
Hut eingefloßt hatte, derartige Forderungen zu formulieren. 37
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Mit dem Sieg der Reformation beganne~ in vielen nord- und west
europäischen Ländern die Unterschiede zwischen der katholischen und pro
testantischen BevÖlkerung im Bereich der Kultur, Mentalität, Kunst oder
schließlich des Lebensstils, die sich mit den Jahren vertieften; einige
haben sogarziemlich lange Überdauert. ln Polen blieb eineähnliche Er
scheinung gänzlich unbekannt; 01an kann zwar von einem Beitrag des Pro
testantismus zur polnischen Kultur sprechen, doch von der Teilnahme an
der Zivilisation zur Herausbildung besonderer Formen des gesellschaftli
chen oder literarischen Lebens fÜhrt noch ein sehr weiter Weg. Polnische
Andersgläubige haben ihn nicht betreten, ja mehr noch, sie haben an der
Schaffung der allgemeinchristlichen Kultur teilgenommen, die in der
Adel>republik im 16.Jahrhundert entstand. Unter ihren SchÖpfern oder
Konsumenten begegnen wir Vertretern aller Sekten und Kirchen.
Aus dem schÖnen Essay Über JAN KOCHANOWSKI von WIKTOR WEINTRAUB re
sultiert, daß sich der grÖßte polnische Dichter des alten Polens in jenem
Modell der Überkonfessionellen gesamtchristlichen Kultur ausgezeichnet
beinhaltete, andererseits jedoch wohl ihr namhaftester Repräsentant ge
wesen war. JAN VON CZARNOLAS' Haltung war heterodox, "sie beinhaltete
sich nicht in den dogmatischen Grenzen irgendeiner christlichen Konfes
sion" KOCHANOWSKIS religiÖse Dichtung ist ein Dialog des Menschen mit
Gott und nur mit Gott. Erfolglos wÜrden wir dort nach Stellen Über die
Mutter Gottes suchen, auch He i I i ge kommen led i gl ,i eh. i ~Scherzgedichten
vor und werden immer mit Ironie und verhÖhende~- Akzenten erwähnt So-
gar die Verspottung der "Spezialisierung" auf dem Olymp, dessen jeder
Bewohner etwas anderes beschÜtzt, war eine verschleierte Form der SpÖt
telei Über den Heiligenkult und gegen diesen ausgerichtet. Man wird
Weintraub deshalb beipflichten mÜssen, der schreibt: "Ein fester Faktor
in KOCHANOWSKIS gesamter religiÖsen Dichtung ist die Überkonfessionelle,
stark rationalisierte Konzeption von Gott und die Abwesenheit der religi
Bsen, spezifisch ehrist I ichen Konzeptionen." Es ist daher kein Wun~
der, da? Katholiken wie Andersgläubige in ähnlichen Superlativen Über den
Dichter sprachen, und der calvinistische Geschichtsschreiber ANDRZEJ
WtGIERSKI ihn als einen Mitbekenner würdigte.
Die Gründe dafür, daß die "religiöse Heteredoxie nicht daran hinder
lich war, daß KOCHANOWSKI von seinen Zeitgenossen alsbald und allgemein
als ein großer Dichter anerkannt wurde", erblickt Weintraub in der zu
38 Regierungszeiten der zwei letzten Jagiellonen (1506-1572) herrschenden
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Toleranz und in der hohen literarischen Kultur des alten Polens. Der
Stolz, einen so großen Dichter zu besitzen, gebot die Augen zu versch
ließen vor den heiklen Faktoren seiner religiösen Haltung. Zu diesen
richtigen Konstatationen sollte noch ein Moment hinzugefÜgt werden, auf
den Weintraub im Übrigen ebenfalls marginal hinweist: die in KOCHANOWSKIS
religiÖsen Anschauungen enthaltene Uberzeugung, die christliche Ethik sei
wichtiger als dogmatische Unterschiede, haben viele Vertreter der intel
lektuellen Elite des 16.Jahrhunderts geteilt.
ln der modernen westeuropäischen Historiographie sind letztens BÜ
cher Über Angst up to date, die stets Begleiterin der Geschichte gewesen
war und in gewissen Zeiträumen in Paroxysmen kollektiver Angst umschlug.
Gleichermaßen passionierend wäre eine Arbeit Über die großen Hoffnungen
und die noch großeren Enttäuschungen der aufeinanderfolgenden Genera
tionen der Intellektuellen. Ähnlich wie diese Hoffnungen im 18.Jahrhun
dert mit dem Fortschritt der Bildung, im 19.Jahrhundert mit der Entwick
lung der Technik und im 20.Jahrhundert mit der EinfÜhrung einer neuen
Gesellschaftsordnung verbunden wurden, so hatte man sie in der Renais
sance u.d. mit den Möglichkeiten des menschlichen Geistes in Verbindung
gebracht, der ohne Hilfe der Offenbarung den Schlüssel zur Wahrheit fin
den würde: zur wissenschaftlichen, politischen oder auch~ wie es die so
genannte radikale Reformation wollte zur Religionswahrheit. So drückt
gerade KOCHANOWSKIS Schaffen die bitteren Enttäuschungen in dieser Hin
sicht aus. Obwohl nämlich die Weltlichen begonnen haben, die Glaubens
wahrheiten zu lehren, führte dies keineswegs zum besseren Verständnis der
Natur Gottes und zur Erkenntnis der letzten Dinge. "So gebieten denn
jetzt alle und niemand hört zu'', schrieb der Dichter in der "Zgoda" (Ein
tracht, 1564). Dieses Werk war ein Hohelied auf die Teilung der Kompe
tenzen nicht nur unter der Gesellschaft, sondern auch unter den Intellek
tuellen selbst, die dogmatische Dispute Fachleuten Überlassen sollten.
"Zgoda'' ist ein Zeugnis für die doppelte Enttäuschung: des Humanis
ten, der bekennen muß, daß sachliche und fruchttragende Diskussionen über
Literatur, Kunst oder ethische Vorbilder in der Strömung der intellek
tuell sterilen Dispute um die Theologie untergehen. Die Enttäuschung des
Edelmanns•BÜrgers resultierte dagegen aus der Uberzeugung, daß religiöse
Verbohrtheit zum Zerfall der politischen Gemeinschaft dieses Standes füh
ren und somit den Interessen der gesamten Adelsrepublik Schaden zufügen
kÖnne. Erwähnt sei, daß KOCHANOWSKIS ideeller Schirmherr Bischof PIOTR 39
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MYSZKOWSKI auf dem Reichstag von 1565 den berÜhmten Appell ausrichtete,
den alle Forscher der polnischen Reformationsgeschichte zitieren: "MÖge
die verschiedenartige Auffassung der Heiligen Schrift nicht die Liebe
zwischen uns zugrunderichten." Die Enttäuschung des Autors der "Odprawa
pos~6w greckich" (Die Abfertigung der griechischen Gesandter., 1578, dt.
1930) mußten viele Vertreter der damaligen Geisteselite geteilt haben,
wenn der calvinistische Polemiker und adliger Politiker JAKUB NIEMOJEWSKI
im Jahre 1580 bitter feststellte, daß "die Leute aller Theologie ( ... )
fast Überdrussig wurden"
Viele intellektuelle erblickten gerade in der Reformation eine
Chance fÜr die geistige Erneuerung. Im 16.Jahrhundert begegnen Männer,
die später zu Stützpfeilern der Gegenreformation wurden, ausgesprochenen
Sympathisanten der neuen Strömungen, die nach eigenen Wegen die Wahrheit
suchten. Dies geschah sowohl in dem berÜhmten "Krakauer Kreis'', wo
STANISLAUS HOSIUS in den vierziger Jahren des 16.Jahrhunderts freund
schaftliche Gespräche mit ANDRZEJ FRYCZ MODRZEWSKI fÜhrte, als auch an
vielen HÖfen der Großmächtigen (die Bischofssitze nicht ausgeschlossen),
in der unmittelbaren Umgebung des KÖnigs oder schließlich während den
Universitätsstudien. Nach und nach trat jedoch ein deutlicher Abfluß der
Intellektuellen aus den Reihen der Reformationsanhänger ein. Mit einiger
Verspätung, die auf die spätere Entwicklung dieser Bewegung in Polen zu
rÜckzufÜhren war, wiederholen sie den Lebensweg des ERASMUS VON ROTTERDAM
oder FRAN~OIS RABELAIS, die dennoch der alten Kirche und dem alten Glau
bentreu geblieben waren.
DafÜr gab es zahlreiche GrÜnde. Die Verfolgung der Anhänger der
radikalen Reformation, mit der außer den Katholiken ebenfalls die Calvin
isten und Lutheraner begonnen haben, schockierten auch in de Kreisen an
dersgläubiger Intellektueller, wovon ihre Reaktionen nach der Verbrennung von
Miguel ,Servetos zengten. ·Alsbald erwies es sich jedoch, daß nicht nur·die
alte Kirche, sondern auch die neuen Gotteshäuser, die nach der Rebellion
gegen Roms Tyrannei gegründet wurden, den schöpferischen Wissensdrang des
menschlichen Gedankens durch Scheiterhaufen aufzuhalten versuchten. Die
Achtung vor menschlicher Oberzeugung und die Achtung des Menschen als
einen Wert fÜr sich allein fanden insbesonders in den Äußerungen der
Antitrinitarier ihren Niederschlag. Diese Empfindungen waren eng mit
der Ideologie des Humanismus liiert, die sich sowohl dem Calvinismus als
40 auch dem katholischen Fanatismus entgegenstellte.
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Den Anstoß der Intellektuellen erregte ebenfalls die Einschränkung
der Diskussionsfreiheit in den eigenen Kirchen der einzelnen Reforma
tionsrichtungen. Der katholischen Zensur und dem von ihr eingeführten
Verzeichnis verbotener BÜcher entsprachen die verschärften Zensuren der
Calvinisten und Lutheraner. Diesem Trend haben sich sogar die Antitrini
tarier nicht entzogen, die den Verweis für den dogmatischen Radikalismus
einiger Mitglieder dieser Kirche mit BefÜrchtungen provozierter Anschläge
sowohl der römischen als auch der Genfer oder Wittenberger Orthodoxie
verbanden.
Reformationsdiskussionen betrafen nur zum Teil strikt religiÖse
Fragen, denn sie setzten in hohem Grad die seit Jahrhunderten gefÜhrten
Polemiken fort Über die menschliche Natur, die Verantwortung des Menschen
fÜr das eigene und fremde Schicksal, seine Pflichten gegenÜber der Ges
ellschaft und schließlich der lngerenz der Vorsehung in das Weltgesche
hen. Auch hier tritt eine intellektuelle Verödung des polnischen Pro
testantismus ein; sie ist unschwer abzulesen aus den Synodeakten, deren
Edition MARIA SIPAY~tO zu verdanken ist. Sofern nämlich die ersten zwei
Bände dieser Publikation, die sich mit dem Zeitraum bis zum Jahre 1570
befassen, durch reichhaltigen doktrinären Inhalt imponieren, insofern
betrübt der dritte Band (1570-1632) durch die auf den Synoden erörterten
engstirnigen Probleme. Anstelle alter intellektuell-religiöser Dispute
treten Nöte mit den Geistlichen des eigenen Bekenntnisses sowie Klagen
über die tadelnswürdigen Sitten ihrer Gemahlinnen. Es wird immer schwie
riger, Spuren der Engagierung von Kirchenmitgliedern in politische und
staatliche Anliegen und in große geistige Probleme dieses Zeitalters zu
finden.
Hätte die Reformation doch für die wachsende Intoleranz eine kohär
ente Vision der Welt und der menschlichen Pflichten in dieser Welt gege
ben! OLBRACHT tASKI, der seinen ehemaligen Mitbekennern (insbesondere
aber den protestantischen Ministern) ständige Zänkereien, "Verschieden
heit der Sekten", "'zahlreiche Unterschiede zwischen den Schriftstellern''
vorwarf, drückte seine Enttäuschung auch auf diesem Gebiet aus. JE~ZY
SZOMAN trug seinen SÖhnen im Testament (um 1591) an, sich einer vollkom
meneren Kirche anzuschließen, falls sie eine solche fänden, und die
Gemeinschaft der Polnischen BrÜder aufzugeben. Was fÜr die Anhänger der
Glaubens-Heterodoxie offensichtlich war, mußte die Intellektuellen beun
ruhigen, die nach stabilen und letzten Wahrheiten suchten. 41
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Sofern die Reformation fÜr die Geisteselite zu einem bestimmten
Zeitpunkt aufhörte hinreichend attraktiv zu sein, insofern stellte für
die niederen Gesellschaftsschichten eben ihr intellektueller Charakter
eine Schranke dar, die die Verbreitung des neuen Glaubens wirksam ersch
werte. Die Reformation trug zur dynamischen Entwicklung der Druckerei
kunst bei, s=hob jedoch die mÜndlichen Propagandaformen auf einen weiter
en Plan. Vor allem setzte sie auf das Buch, deshalb waren auch nach der
Meinung einiger Forscher Länder mit einem hÖheren Grad der Lese- und
Schreibkundigen aufnahmefähiger fÜr die Losungen des Protestantismus.
Die Geringschätzung der traditionellen, mündlichen Formen der Einfluß
nahme zeitigte nicht immer die erwünschten Resultate. Oberdies bildeten
die neuen Glaubensinhalte recht oft eine Barriere, die Kleinstadtbewohner
(ganz zu schweigen von den Bauern) nicht imstande waren, zu Überwinden.
Davon Überzeugten sich vor allem die Antitrinitarier, die nach einer in
Vorkarpaten (1612) durchgefÜhrten Visitation sichtlich resigniert fest
stellen mußten: "Es fanden sich auch solche, die geradezu nichts davon zu
wissen schienen, wie sich andere Bekenntnisse von dem unsrigen Über Gott
den Einzigen unterscheiden."
Protestantische Kirchen gehörten weder zu den billigeren als die
katholischen, noch waren ihre Doktrinen einfacher als die "papistischen"
zu rezipieren. Billiger waren sie deshalb nicht, weil die Konfiskation
der KirchengÜter die Notwendigkeit nach sich zog, Schulen, Druckereien
und schließlich auch den Klerus von den durch die Gläubigen gebrachten
Opfern zu unterhalten. Und einfacher deshalb nicht, weil man in der
Glaubenspropaganda aus doktrinären GrÜnden ohne reiche Riten auskommen
mußte, in die das von katholischen Geistlichen verkÜndete Gotteswort
eingerahmt wurde. Die neue Form des Christentums, die auf den Heiligen
kult und auf den Glauben an den Muttergottesschutz verzichtete und sich
programmiert von den Verbindungen mit der Folklore abschnitt, wurde zu
einem trockenen Vortrag mit doktrinärem Inhalt, der vor leeren Gottes
häuserwänden verkündet wurde. Man versuchte dem abzuhelfen durch weniger
oder weitertehende Kompromisse: Zürucklassen - wenigstens für eine Zeit
lang der Figuren und Gemälde in den zu Gotteshäusern umfunktionierten
Kirchen, Dulden des Kults der Schutzheiligen, Tolerieren der Ehrung der
allerheiligsten Jungfrau Maria. Am weitestgehenden gingen dabei die
Lutheraner vor, während Calvinisten und Antitrinitarier sich zu Zuge-
42 ständnissen am wenigsten geneigt zeigten. All diese Halbmittel nützten
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allerdings nicht viel, und man verzichtete auf sie nach einer gewissen
Zeit, was im Übrigen unter dem Druck der orthodoxen Kirche geschah. Die
Katholische Kirche verfügte dagegen Über seit Jahrhunderten erarbeitete
Formen des Vordringens an die Massen, mit denen die jungen protestanti
schen Kirchenorganisationen nicht immer imstande waren, wirksam zu kon
kurrieren.
Wie anzunehmen ist, waren sich die führenden Kreise der polnischen
Andersgläubigen nicht allzu sehr dessen bewußt, daß jenes Obergewicht der
doktrinären Über die rituellen Inhalte, des Drucks Über das Gemälde, der
Argumentation Über die Appellation an die GefÜhle und Vorstellungskraft
daß all das den Kontakt mit den Massen erschwerte. Obwohl man in den uns
erschlossenen protestantischen Schriften aus dem !].Jahrhundert auf zahl
reiche GrÜnde hinwies, die ausschlaggebend dafÜr waren, daß die Reforma
tion keine tieferen Wurzeln in der Gesellschaft (insbesondere unter den
polnischen Bauern) faßte, so fehlt jedoch auf jeden Fall auch dieser
Grund, daß der Protestantismus schlichtweg allzu schwierig war. An den
alten Glauben fesselten die Untergebenen die reichhaltig entwickelten
Formen der Riten, die ihre Vorstellungskraft so stark beflÜgelten. Im
16. und !].Jahrhundert schrieb man hingegen von der Kraft der römischen
"Superstition'' (Aberglauben), die kraft diabolischer Mächte und des in
Rom residierenden "Antichristen" die Seelen vieler Christen beherrschte.
Den Sieg des Katholizismus unter dem Adel schrieb man wiederum der
Rührigkeit der Jesuitenschulen zu, in denen auch der Nachwuchs Anders
glaÜbiger unterrichtet wurde. Ihr Programm wertete, zumindest in der
ersten Zeit der Tätigkeit, die Leistungen der humanistischen Pädagogik
aus. Die Dessidentenschulen konnten dabei mit den Jesuitenschulen nicht
wirksam konkurrieren, mußten doch die calvinistischen Gymnasien in
Kleinpolen abgesehen von einigen Ausnahmen wie Rakaw oder Lissa sowie
des Raums des Königlichen Preußens gegen den Mangel an Mitteln und
auch an einem Lehrerkader auf angemessenem Niveau änkampfen. Das Bild
ungsnetz auf niedrigerem Ebene, das den katholischen Pfarrschulen ent
sprach, war ebenfalls schwach entwickelt. Das !].Jahrhundert brachte da
weitere Änderungen zugunsten der Protestanten.
Obwohl der Lutheranismus in seiner polnischen Fassung einen wesent
lichen Beitrag zur Entwicklung des polnischen Schrifttums und der Sprache
geleistet hat, beeinträchtigte er gleichzeitig - durch deutsche Predigten
und Druckschriften die Assimilationsprozesse im Königlichen Preußen. 43
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Die Festigung der ethnischen Bande auch durch die Glaubensgemeinschaft
bewirkte, daß die Bewohner von THORN, DANZIG oder ELBING nunmehr began
nen, scharenweise die Universitäten in KÖnigsberg, Leipzig, TÜbingen,
vor allem aber in Wittenberg zu besuchen. Vor kurzem haben einige For
scher die in der polnischen Historiographie schon eingebÜrgerte These
Über den ausschließlich positiven Einfluß der Reformation auf die Ent
wicklung der litauischen Nationalkultur beanstandet. l~rer Meinung
nach begünstigte der Protestantismus gerade im 17.Jahrhundert eher die
Polonisierung des GroßfÜrstentums; u.d. erschien in dieser Sprache ein
großer Teil andersgläubiger Publikationen. Fügen wir hinzu, daß es ähn
lich in Kronpeußen war: Obwohl die Reformationspropaganda schon zur
Neige des 16.Jahrhunderts Druckschriften in der Sprache ihrer Einwohner
verÖffentlichte, bedeutete die Konvertion des griechisch-orthodoxen
Adels zum Calvinismus oder zur Doktrin der Sozinianer meist die Assimi
lation dieser Schicht. Dafür liefert die Geschichte des Antitrinitaris
mus in Wolhynien in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts ein beredtes
Zeugnis. Aus dieser Sicht war das Problem des Reformationseinflusses
auf die Entwicklung der nationalen Kulturen in der Adelsrepublik nicht
eindeutig.
Ähnlich wie der Humanismus das Interesse an der Antike weckte, er
hÖhte sich im 16.-17.Jahrhundert in Polen der Einfluß des Alten Testa
ments auf verschiedene Kulturgebiete. Selbstverständlich kÖnnen hier
keine Parallelen zwischen Polen und dem puritanischen England, Schott
land oder den Niederlanden gezogen werden, wo man nach Hinweisen und
Eingebung zum ersten Teil der Heiligen Schrift griff. Aber auch das
Adelsvolk nahm zahlreiche Analogien zwischen den Geschicken seines
Staates und der Geschichte des Judenvolks wahr, die das Alte Testament
erzählte, eine Analogie, die man in der im Neuen Testament enthaltenen
Relation Über die Anfänge des Christentums schwerlich entdecken kÖnnte.
Es ist charakteristisch: die oftmalige Berufung auf die Äußerungen
der Propheten, Davids Leben oder Salomons Weisheit riefen kein tieferes
Interesse an der jÜdischen Gegenwartskultur hervor. Obwohl Anhänger der
radikalen Reformation mit einigen Vertretern des Judaismus polemisierten
(als Beispiel sei hier der berühmte Disput zwischen MARCIN CZECHOWIC mit
JAKUB VON BE~ZYCE angefÜhrt), verhielten sich ebenfalls Protestanten den
jüdischen Kreisen gegenüber gleichgÜltig oder nahezu feindlich. Auch
44 wenn ihr Verhalten zu Anklagen der Hostienprofanation, der man einige
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Juden bezichtigte, skeptisch war, dann geschah es deshalb, weil Anders
gläubige einerseits die Lehre von der Transsubstantiation negierten, an
dererseits dagegen mit gleichen Vorwürfen wie Bekenner des Judaismus be
lastet waren. Man darf zugleich nicht vergessen, daß der polnische Pro
testantismus in bürgerlichen Kreisen des Königlichen Preußens stark unter
stützt wurde; diese Kreise blickten seit Jahrhunderten unwillig auf Juden,
in denen sie scharfe Konkurrenten auf dem Wirtschaftsgebiet sahen.
Seit der Aufklärung erblickte man im Beitrag der Reformation zur
Nationalkultur ein unbestreibares Verdienst. Diesen Beitrag sollte auch
die Gegenwart dieser Bewegung in der polnischen Geschichtstradition be
grÜnden. Ebenfalls heute wird man diesem Standpunkt beipflichten müssen,
da vieles fÜr die These spricht, daß die Reformation auf polnischem Boden
ein mehr kulturelles denn religiÖses Phänomen gewesen war, "eher eine in
tellektuelle Strömung, die Menschen auf einem gewissen Kulturniveau in
teressierte, ohne Emotionen zu schüren und das Alltagsleben zu revolu
tionieren( .•• ). Das Verhältnis zur Religion bildete einen Teil der
Renaissancehaltung zum Leben, und zwar einer Haltung, die man als offen
bezeichnen kÖnnte".
Den folgerichtigen Konstatationen ANDRZEJ WYCZANSKIS sollten einige
weitere Fragen hinzügefugt werden, nämlich, obdie auf polnischem Boden
schwache Rezeption der Reformation in ihrer immerhin slawischen Abart,
wie sie der Hussitismus war, nicht auch daraus resultierte, daß er in
Zeiten auflebte, in denen weder das geistige noch das politische Leben so
stark pulsierte, wie das im 16.Jahrhundert der Fall war? Ferner, in wel
chem Grad das eher gleichgültige Verhältnis zu dogmatischen Disputen der
in diesem Jahrhundert lebenden Polen jene Umgestaltung der Reformations
bewegung vor allem in die intellektuelle Bewegung beeinflußt hatte? Hat
die Reformation in ihrer theologischen Strömung die Perzeptionskapazi
täten der ehemaligen Bevölkerung Überfordert oder entsprach sie schlicht
weg nicht ihren Interessensrichtungen und Bedürfnissen? Was sollte von
ihren kulturellen Leistungen der allgemeinen Rechn~ng des Zivilisations
aufschwungs in der Renaissance zugeschrieben und was als ausschließliches
Verdienst dieser Bewegung gewertet werden?
Und schließlich eine Frage, die nach meinem Dafürhalten kaum jemand
imstande sein könnte zu beantworten. Schon im 19.Jahrhundert stellten
einige Historiker Uberlegungen an, wie die Geschicke des polnischen
Staates verlaufen würden, wenn die letzten Herrscher von der Jagiellonen- 45
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Dynastie, unterstÜtzt von einem Teil der Magnaten und des Adels, eines
der reformierten Bekenntnisse einführen würden. Es gab darauf unter
schiedliche Antworten, oft je nach den politischen Anschauungen oder Be
kenntnissympathien des Autors. Man kÖnnte aber auch fragen, wie die Bil
anz der polnischen Kultur im 16.Jahrhundert ausfallen würde, wäre die
Adelsrepublik nach dem Vorbild der beiden Halbinseln Pyrynäen und Apen-
ninen der Reformationsbewegung gegenüber gleichgültig geblieben?
Im Gegenteil: die Relikte der mittelalterlichen Weltanschauung, die
beispielsweise in "Krötka rozprawa" (Kurzes Gespräch zwischen dem Herrn,
dem Vogt und dem Pfarrer, 1543) von MIKotAJ REJ erwähnt werden, rührten
in hohem Grad eben aus seinem Interesse für religiöse Dispute her. ln
dieser Hinsicht setzte die Reformation in gerader Linie den Streit um
Dogmen fort, der im Mittelalter geführt wurde. Wenn wir die These akzep
tieren, daß sich der Hussitismus in einer bestimmten Weise auf die Ent
wicklung der bÖhmischen Kultur des 15.-16.Jahrhunderts ungünstig aus
wirkte, dann läßt sich von der polnischen Reformation gewiß nicht das
selbe sagen. Dank dessen, daß sie eine geistige und sozial-politische
Bewegung und erst in weiterer Reihenfolge eine religiöse Bewegung gewe
sen war, kam es in Polen nicht zu einem so scharfen Konflikt, wie wir es
auf den Schauplätzen anderer Länder des alten Europas beobachten.
Die geistigen VorzÜge der Reformation haben sich auf weitere Sicht
in den Augen der polnischen intellektuellen Elite nicht verifiziert, wur
den dagegen zu einer Schranke, die die Rezeption des Protestantismus bei
den niedrigeren BevÖlkerungsschichten erschwerten. Da er zugleich auch
keine Unterstützung bei der an der Weichsel herrschenden Dynastie fand,
konnte er nicht auf die EinfÜhrung des neuen Glaubens von oben rechnen,
was gerade auf den Britischen Inseln, in den skandinavischen Ländern
oder schließlich in vielen deutschen Staaten der Fall war. Es blieb die
Wirkung von unten; doch hier erklärten sich fÜr Luther in hohem Grad
auf dem Prinzip der ethnischen Solidarität~ vor allem seine Landsleute,
die vordergründig im Königlichen Preußen lebten. Sie waren es auch, die
nicht nur konfessionelle, sondern auch wissenschaftliche Verbindungen
mit dem protestantischen Westen unterhielten, was u.a. in Form der früh
zeitigeren Entwicklung der Aufklärung Früchte trug, als dies in anderen
Landesteilen des polnischen Staates geschah.
Andererseits ist der Sieg der Gegenreformation nicht den geistigen
46 Vorzügen dieser Bewegung zuzuschreiben, da er keine Theologen, Polemiker
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oder Prediger hervorbrachte, die in die europäische FÜhrung des Katholiz
ismus eingegangen wären. Mehr noch, nach dem endgültigen Sieg der katho
lischen Reaktion hÖrte die polnische Kirche auf, im Leben der Weltkirche
eine Rolle zu spielen. Den Erfolg der Gegenreformation verbürgte die
Fähigkeit der Anpassung an die Erfordernisse und Bedürfnisse des Adels
volks, die elastische Senkung des Niveaus mit dem verstärkten Niedergang
der Kultur, die Bezugnahme nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse des
!].Jahrhunderts, sondern auf Leistungen der in der Folklore und im Brauch
tum enthaltenen Traditionen. ln der BlÜtezeit des geistigen Lebens in
Polen, die auf das 16.Jahrhundert entfiel, gewannen der Antitrinitarismus
oder Calvinismus Anhänger u.a. auf der Woge des Interesses fÜr jegliche
Art der intellektuellen Novitäten. Das Abebben dieser Woge schützte den
polnischen Katholizismus wirksam vor den EinflÜssen des Jansenismus oder
Libertinismus, jener Richtungen also, die die französische Kirche so emp
findlich erschütterten. Im 16.Jahrhundert Übersiedelten an die Weichsel
Intellektuelle verschiedener Nationalitäten in der Uberzeugung, hier ihre
Anschauungen frei verkÜnden und verÖffentlichen zu kÖnnen. Mitte des
nachfolgenden Jahrhunderts mußten Mitglieder einer Sekte, die geistig auf
dem hÖchsten Niveau aller Bekenntnisgruppen stand, aus Polen emigrieren.
Die Landesverweisung der Polnischen Brüder (1658), die in Westeuropa
Sozinianer genannt wurden, bildet zugleich ein wichtiges Grenzdatum in
der polnischen Reformationsgeschichte als eine geistige Bewegung.
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