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Leseprobe Münch, Richard Akademischer Kapitalismus Über die politische Ökonomie der Hochschulreform © Suhrkamp Verlag edition suhrkamp 2633 978-3-518-12633-2 Suhrkamp Verlag

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Leseprobe

Münch, Richard

Akademischer Kapitalismus

Über die politische Ökonomie der Hochschulreform

© Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp 2633

978-3-518-12633-2

Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp 2633

Der Bildungsstreik und die Hçrsaalbesetzungen im Jahr 2009 haben ge-zeigt, dass der Widerstand gegen Studiengeb�hren und die Bologna-Re-form sich immer weiter aufheizt. Die Studierenden klagen �ber zuneh-menden Stress, maßgebliche Ziele der Reform wurden verfehlt. RichardM�nch, einer der renommiertesten Kritiker dieser Entwicklung, unter-sucht in dieser brisanten Studie die Kr�fte hinter demneuen akademischenKapitalismus. Er legt dar, wie sich die Hochschulen unter dem Einflussvon Beratungsfirmen in Unternehmen verwandeln und wie kurzfristigeNutzenerwartungen das Innovationspotenzial der Forschung untergra-ben.

Richard M�nch, geboren 1945, lehrt Soziologie an der Universit�t Bam-berg. Zuletzt erschienen in der edition suhrkamp seine vieldiskutiertenB�cher Die akademische Elite (es 2510) und Globale Eliten, lokale Auto-rit�ten (es 2560).

Richard M�nchAkademischer Kapitalismus

Zur Politischen �konomieder Hochschulreform

Suhrkamp

edition suhrkamp 2633Erste Auflage 2011

� Suhrkamp Verlag Berlin 2011Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Satz: H�mmer GmbH, Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Umschlag gestaltet nach einem Konzeptvon Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

Printed in GermanyISBN 978-3-518-12633-2

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einleitung: Auf der Suche nach wissenschaftlicherExzellenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Akademisches Monopoly: Vom Gabentauschzur Shanghai-Weltliga der Wissenschaft . . . . . . . 37

1. Forschung und Lehre als Gabentausch . . . . . . . . 372. Die Treuh�nderschaft der wissenschaftlichen

und der akademischen Gemeinschaft . . . . . . . . . 443. Das neue Spiel: Die Shanghai-Weltliga der

Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

II. Die unternehmerische Universit�t:Wie strategisches Management die akademischeWelt ver�ndert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

1. Die Universit�t als unternehmerischer Akteur . . 682. Die Akkumulation von Kapital . . . . . . . . . . . . . . 75

III. Die Audit-Universit�t: Vom Homo academicuszum Homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

1. Von der akademischen Qualit�tssicherung zummanagerialen Controlling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

2. Der neue Homo oeconomicus des akademischenBetriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

IV. Das Panoptikum des akademischen Qualit�ts-managements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

1. Normalisierung der Forschung durchPeer Review . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

2. Verarmung des Wissens durch Evaluation?Effekte des Qualit�tsmanagements in derSoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

V. Stratifikation durch Evaluation: Zur sozialenKonstruktion wissenschaftlicher Exzellenz . . . . 181

1. Vergleichende Evaluation von Fachbereichen:Eine Fallanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

2. Die soziale Konstruktion und Reproduktionvon Statushierarchien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

VI. Der Monopolmechanismus in der Wissenschaft 2361. Die materielle Produktion von Marktmacht

und die symbolische Konstruktion vonExklusivit�t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

2. Der Monopolmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2503. Gegenkr�fte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

VII. Die Konstruktion von Eliteuniversit�ten durchsoziale Schließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

1. Die illusio des Feldes: Verteilung vonForschungsmitteln nach dem Leistungsprinzip . . 276

2. Mitgliedschaften und Forschung: Verteilungs-und Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . 287

VIII. Mit dem Bologna-Express in die europ�ischeWissensgesellschaft: Vom Berufsmonopol zumglobalen Kampf um Bildungsprestige . . . . . . . . . 328

1. Markt vs. Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3292. Bildung als çffentliches Gut vs. Bildung

als Statusgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346

Schlussbetrachtung: Die Universit�t im Spannungsfeldzwischen innerer Freiheit und �ußerer Zweck-bestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Anhang: Statistische Analysen zum akademischenLeistungswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430

Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459

Vorwort

Forschung und Lehre an den Universit�ten haben im globalenWettbewerb um Anteile an der Wissensproduktion in der Wis-sensgesellschaft erstrangige strategische Bedeutung f�r diePolitik erlangt. Ihre Ausrichtung auf den globalen Wettbe-werb ist das Ziel der engen Zusammenarbeit von Forschungs-,Technologie- und Wirtschaftspolitik. Dabei sind weltweit diegleichen Muster der Reform zubeobachten. Sie folgen dem Pa-radigma des Neoliberalismus, das, ausgehend von den USAund Großbritannien, in den achtziger Jahren einen weltweitscheinbar unaufhaltsamen Siegeszug angetreten und l�ngstauch die koordinierten Marktwirtschaften des konservativenund des sozialdemokratischen Typs erfasst hat. Die hier vor-gelegte Studie ist den Ursachen,ErscheinungsformenundKon-sequenzen dieser Transformation von Forschung und Lehrezu strategischen Ressourcen der Innovation und des Wachs-tums in der Wissensgesellschaft gewidmet. Im Vordergrundsteht dabei der Wandel von Universit�ten zu strategisch ope-rierenden Unternehmen. Damit geht einher die Ablçsung derakademischen Qualit�tssicherung durch manageriales Con-trolling. Das besondere Augenmerk gilt der �berlagerung desWettbewerbs von Forscherinnen und Forschern um Anerken-nung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft f�r ihre Bei-tr�ge zum Erkenntnisfortschritt als Kollektivgut durch einenneuen Verdr�ngungswettbewerb zwischen unternehmerischagierenden Universit�ten. Letztere stehen im Wettbewerb umForschende, Lehrende und Lernende, um Forschungsgelderund Wissen als Rendite abwerfendes Privatgut unter den Ge-setzm�ßigkeiten eines akademischen Kapitalismus.

Die einzelnen Kapitel dieser Studie sind teilweise aufgrundexterner Nachfragen entstanden und bereits in Aufsatzform

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erschienen. Bei der Arbeit an diesen Aufs�tzen bin ich jedochschon fr�hzeitig dem Plan gefolgt, sie als Teilst�cke eines Gan-zen zu einem Buch zusammenzuf�gen, das hier nun vorliegt.F�r die Buchverçffentlichung wurden die Aufs�tze nochmals�berarbeitet, teilweise ver�ndert und erg�nzt. Die statistischenAnalysen im Anhang erscheinen zum grçßten Teil in diesemBuch zum ersten Mal. Bei der Texterfassung hat mich BrigitteM�nzel unterst�tzt. Alexander Dobeson hat das Literatur-verzeichnis bearbeitet. Vincent Gengnagel hat die Daten zumBerufungsnetzwerk im Fach Geschichte zusammengetragen.Christian Baier hat die deskriptive Statistik, die Regressions-analyse zu den Publikationen pro Wissenschaftler in Chemie,Physik und Biologie sowie die Analyse zum Berufungsnetz-werk im Fach Geschichte erstellt, Christian Dressel die Re-gressionsanalysen zur einfachen und quadrierten Summe derInvestitionen, zur Reputation und zur Gesamtsumme derForschungsgelder in Chemie, Physik und Biologie, Len-OleSch�fer die zu den Universit�ten und zum Fach Geschichte.Ihnen allen mçchte ich daf�r herzlich danken.

Bamberg, im Januar 2011Richard M�nch

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Einleitung:Auf der Suche nach wissenschaftlicher Exzellenz

Seit den achtziger Jahren ist New Public Management (NPM)auf der ganzen Welt zum dominierenden Modell der rationa-len, zielgerichteten Steuerung çffentlicher Einrichtungen ge-worden (Lane 2000; Gruening 2001). Es bildet einen Teil derWeltkultur, die Modelle der rationalen Organisation der Ge-sellschaft f�r Nationalstaaten, Organisationen und individu-elle Akteure bereith�lt und verbindlich macht. Als Teil der un-abl�ssigen Expansion der Wissenschaft – der treibenden Kraftdes gesellschaftlichen Fortschritts – hat NPM einen wachsen-den Einfluss auf den Wandel der çffentlichen Verwaltung aufder ganzen Welt. Dessen Legitimation durch die Autorit�t derWissenschaft �bt normativen Druck auf Politiker und Ad-ministratoren aus (Meyer et al. 1997; Meyer 2005; Drori etal. 2003). Regierungen, die sich diesemnormativen Druck wi-dersetzen, riskieren, f�r unverantwortliches Handeln zur Re-chenschaft gezogen zu werden. Siemachen sich des illegitimenWiderstands gegen die wissenschaftlich begr�ndete Rationa-lisierung der çffentlichen Verwaltung schuldig. Die weltweiteVerbreitung von New Public Management wird dementspre-chend von starken isomorphischen Prozessen vorangetrieben.Das heißt, NPM muss eingef�hrt werden,um vor dem Gerichtder Wissenschaft bestehen und einen legitimen Status inne-haben zu kçnnen, w�hrend sich die realen Effekte seiner Ein-f�hrung oft der Beobachtung und Kontrolle entziehen.

NPM bietet den nationalen politischen Akteuren den Halt,densie durch den Legitimationsverlust nationaler Traditionender gesellschaftlichen Praxis im Kontext der Globalisierungder Politik verloren haben. An diesem Prozess ist NPM in ei-nerDoppelrollebeteiligt. Einerseits tr�gt NPM als globales Ra-

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tionalit�tsmodell zur allgemeinen Verunsicherung �ber Sinn,Zweck und Geltung nationaler Traditionen bei, andererseitsstellt es ein neues Paradigma des Regierens zur Verf�gung,das die allgemeine Verunsicherung zu beseitigen hilft, wennman sich daran h�lt. Als Paradigma (Hall 1993) ordnet NPMdie soziale Welt auf neue, global verbindliche Weise. Durchdie f�r ein Paradigma typische Unterscheidung zwischen ei-nem gegen Kritik undWiderlegung gesch�tzten sakralen Kernvon Grundannahmenund einemum diesen Kern gelegten pro-fanen Randbereich instrumentellen Wissens ist es mçglich,Gegenevidenzen als Anomalien zu verbuchen und in der pe-ripheren Zone des instrumentellen Wissens zu verorten. Zuden h�ufig eingesetzten Strategien, NPM gegen Gegeneviden-zen zu verteidigen, gehçrt zum Beispiel die Behauptung, Fehl-leistungen seien auf den mangelnden Glauben und das man-gelnde Wissen des beauftragten Personals zur�ckzuf�hren.Damit l�sst sich gut die intensivierte Schulung des Personalsbegr�nden. Daran ist zu erkennen, dass die instrumentelleund die symbolische Seite der Praxis des NPM unauflçslichmiteinander verflochten sind. Ein wesentlicher Bestandteildes Gelingens von NPM ist der Glaube der Akteure an dasParadigma, der sie dazu f�hrt, Fehlleistungen nicht dem Para-digma, sondern der eigenen Unzul�nglichkeit zuzurechnen.Diese Bedeutung des Glaubens macht die Geltung eines Pa-radigmas relativ unabh�ngig von seinen instrumentellen Er-folgen. Die Praxis eines Paradigmas hat in diesem Sinn reli-giçse Z�ge. Ein revolution�rer Paradigmenwechsel ist deshalbauch mehr eine Sache des Glaubens als eine Sache seines in-strumentellen Wertes.

Die geschilderte Praxis verleiht einem Paradigma auch dannein hohes Maß an Stabilit�t, wenn sich Gegenevidenzen h�u-fen. Das ist das Kennzeichen der »Normalwissenschaft«. Esbedarfeines Generationenwechsels,um dengesch�tzten Kern

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selbst infrage zu stellenundeinen revolution�ren Paradigmen-wechsel herbeizuf�hren (Kuhn 1967). In der Wirtschaftspoli-tik kann die Ablçsung des Keynesianismus durch den Neo-liberalismus indensiebziger bisachtziger Jahrenals ein solcherParadigmenwechsel verstanden werden. Wie wir heute wissen,hat er im weiteren Verlauf alle Bereiche der politischen Steue-rung der Gesellschaft erfasst. NPM ist ein wesentlicher Be-standteil des neuen Paradigmas des Regierens. Im Anschlussan Michel Foucault (2006) kann man in dem darin enthalte-nen Setzen auf die Selbstregulation von M�rkten eine neueStufe des Regierens in entgrenzten R�umen erkennen, die sichals liberale Gouvernementalit�t bezeichnen l�sst. Im Verh�lt-nis zu den �lteren, aber nicht obsolet gewordenen Formen desRegierens mittels Gesetzen innerhalb eines abgegrenzten Ter-ritoriums und mittels Disziplinartechniken in Schule, Hoch-schule und Arbeitsorganisation hat die liberale Gouvernemen-talit�t des Regierens mithilfe von M�rkten in den vergangenen30 Jahren immer grçßere Bedeutung erhalten. Es handelt sichdabei um eine Regierung, die in zunehmendem Maße auf wis-senschaftliches Wissen�ber die Bevçlkerung und das einzelneIndividuumsowie aufdieSelbstf�hrungdesIndividuumssetzt,wof�r Foucault den Begriff der Biopolitik gepr�gt hat.

Ein wesentlicher Teil der neuen Regierungstechnik ist dieimmer weiterausdifferenzierte Statistik, aus dereine Art Herr-schaft der Zahlen, eine Numerokratie, entsteht (Porter 1995),die sich zunehmend auch in der Steuerung der Wissenschaftbreitmacht, wie wir sehen werden (Angerm�ller 2009, 2010).Dabei ist gerade in dieser Hinsicht eine �berlagerung der na-tionalstaatlichen Statistik durch die transnationale Statistikzu beobachten. Die Statistiken der EU, der OECD und derWeltbank sind zumachtvollen Instanzen der neuen Herrschaftder Zahlen geworden, gerade auch in der weltweiten Verbrei-tungvonNPM.Nebendiesen intergouvernemental legitimier-

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ten Statistiken �ben aber auch Statistiken privater Akteureeinenwachsenden Einfluss auf die gesellschaftliche Praxis aus.InunseremZusammenhang giltdaszumBeispiel f�rdasShang-hai-Rankingder 500 sichtbarsten Universit�ten der Welt (SJTU2010).

Die Mitte der neunziger Jahre ins Leben gerufene OECD-Agenda zu Besch�ftigung und Wachstum in der wissensba-sierten �konomie hat der transnationalen Herrschaft der Zah-len einen kr�ftigen Schub gegeben. In diesem Kontext sind dieUniversit�ten in die Position der entscheidenden Quellen derInnovation und des wirtschaftlichen Wachstums berufen wor-den. Daraus folgt ihre Erhebung zu unternehmerischen Ak-teuren im Innovationsprozess. Wie wir sehen werden, hat dastief greifende Folgen f�r das Verst�ndnis von Forschung undLehre an den Universit�ten.

Die Beurteilung der Effekte von NPM erfordert eine ge-nauere Untersuchung des damit einhergehenden Wandels, alsdies bei dessen Einf�hrung gemeinhin geschieht. Das ist dieZielsetzung der in diesem Buch vorgelegten Analyse der ak-tuellen Hochschulreformen. Es geht in dem Sinne um ihre Po-litische �konomie, als sie Forschung und Lehre einer çkono-misch inspirierten Steuerung (Governance) unterwerfen, beider die Grenzen zwischen der akademischen und der çkono-mischen Welt eingeebnet werden. Dieser Wandel im Verh�lt-nis zwischen �konomie und Wissenschaft ist wiederum ein-gebettet in einen Wandel im Feld der Macht, der sich darin�ußert, dass das nationale Feld der Wissenschaftspolitik voneinem transnationalen Feld �berlagert wird. Die nationalenAkteure der Parteien, Universit�ten, außeruniversit�ren For-schungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen ver-lieren an materieller Macht der Allokation von Forschungsgel-dern, Forschenden, Lehrenden und Studierenden an Universi-t�tenundan symbolischer Macht der Definition der Situation,

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der Bestimmung der Spielregeln und der Zuweisung von Re-putation. Dagegen gewinnen transnationale Akteure wie dieEurop�ische Kommission mit ihren Forschungsrahmenpro-grammen und ihrer wirtschaftspolitischen Agenda (Lissabon-Strategie, Europa 2020), die Akteure des Bologna-Prozesses,derEurop�ischeForschungsrat unddie OECD mit ihrer Agen-da der Fçrderung von Wachstum und Besch�ftigung in derwissensbasierten �konomie an materieller und symbolischerMacht.

Es findet eine Transnationalisierung des akademischen Fel-des statt, in dem ein Kampf um die bestmçgliche Positionie-rung von Universit�ten und außeruniversit�ren Forschungs-einrichtungen entbrannt ist, der eine st�rkere vertikale undhorizontale Differenzierung der Universit�ten und außeruni-versit�ren Forschungseinrichtungen nach Rang bzw. Profilmit sich bringt. Die transnationale Integration des akademi-schen Feldes impliziert zugleich die Desintegrationund wach-sende Ungleichheit in den nationalen Feldern. Die �konomi-sierung der Governance von Wissenschaft im Rahmen vonNew Public Management impliziert demgem�ß eine Intensi-vierung des Kampfes um Positionen im akademischen Feld.Damit tritt die Politik der Wissenschaft in den Vordergrund.Die �konomisierung der Governance von Wissenschaft unddie Entfesselung der politischen K�mpfe um Positionen imFeld gehen Hand in Hand. Diese Ver�nderungen desakademi-schen Feldes stehen in einem engen Zusammenhang mit derFokussierung von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft aufden globalen Innovationswettbewerb. Dabei treiben sich realeVer�nderungen durch die Aufholjagd der Schwellenl�nder undvirtuelle Ver�nderungen der neuençkonomischen Wachstums-theorie wechselseitig voran. Sei es real unausweichlich odervon maßgeblichen Akteuren als real definiert (Thomas 1972),auf jeden Fall wird die Wissenschaft zum B�ndnispartner im

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neuen Innovationswettbewerbgemacht. Diebeschleunigte Ge-nerierung von Innovationen aus der Forschung wird zur �ber-lebensstrategie der hochentwickelten Industrie- im Wettbe-werb mit den Schwellenl�ndern erkoren. So lehrt es die neueçkonomische Wachstumstheorie, die Schumpeters Lehre vonder schçpferischen Zerstçrung aufgreift und in die enge Kopp-lung von wissenschaftlicher Entdeckung, technologischer In-novation und wirtschaftlichem Wachstum �berf�hrt (Schum-peter 2006 [1912], 1980 [1942]; Aghion und Howitt 1998). ImZuge der zunehmenden Verflechtung der Innovationspolitikdes neuen Wettbewerbsstaates und des Innovationswettbe-werbs zwischen Unternehmen in der wissensbasierten �ko-nomie mit der innovationsgeleiteten Forschung im Zuge derKonkurrenz zwischen unternehmerisch operierenden Uni-versit�ten entsteht eine neue Politische �konomie der Wis-senschaft, in der die Wahrheitssuche ein enges B�ndnis mitder wirtschaftlichen Profitmaximierung und der staatlichenMachtsicherung eingeht (Gibbons et al. 1994). Die aktuellenHochschulreformen zielen auf die engere Verflechtung von Po-litik,Wirtschaft undWissenschaft imInteresse der Fçrderungvon Innovationen. Sie sind aktivierender Teil im Innovations-b�ndnis von Politik,Wirtschaft und Wissenschaft, einwesent-liches Agens der neuen Politischen �konomie der wissensba-sierten Innovation. Sie in ihrem Sinn und Zweck, ihren Ursa-chen, Erscheinungsformen und Folgen zu untersuchen, heißtdeshalb, ihre Politische �konomie unter die Lupe zu nehmen.Das ist das Ziel der hier unternommenen Untersuchung. Esgilt dabei, die Transformation von Universit�ten in strategischoperierende Unternehmenund das Entstehen eines spezifischakademischen Kapitalismus in den Blick zu nehmen. Dabei sol-lendie schonpubliziertenStudienzumgegenw�rtigen Wandelvon Bildung und Wissenschaft fortgef�hrt und vertieft wer-den (M�nch 2007, 2009a).

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Zumneuen Paradigma der Hochschulreformen gehçrt maß-geblich das Setzen auf Quasi-M�rkte und Wettbewerb alsSteuerungsinstrumente (Le Grand und Bartlett 1994; Schi-mank 2005). War die Wissenschaft bislang in erster Linie inder Hand der wissenschaftlichen Gemeinschaft (Merton 1973[1942]) und ihrer einzelnen Fachgesellschaften sowie in derHand der akademischen Gemeinschaft von Lehrenden undLernenden in denUniversit�ten (Parsons undPlatt 1990),wer-den jetzt Universit�ten als Unternehmen begriffen, die aufeinem Markt um Marktanteile konkurrieren und auf die Ak-kumulation von materiellem Kapital (staatliche Grundfinan-zierung, Drittmittel, Sponsorengelder) und symbolischem Ka-pital (Reputation, Definitionsmacht) zielen (Clark 1998). Umdabeierfolgreich zu sein, m�ssen sie einen spiralfçrmigen Pro-zess der wechselseitigen Unterst�tzung von materiellem undsymbolischem Kapital in Gang setzen. Es entsteht ein ganzeigener Realit�tsbereich, der Forschung und Lehre in der Handder wissenschaftlichen und akademischen Gemeinschaft undder Fachgesellschaften �berlagert, die akademische Freiheitbedroht und die Wissenschaft externen Interessen unterwirft(Readings 1996; Bok 2003; Slaughter und Leslie 1997; Slaugh-ter und Rhoades 2004; Washburn 2005; Altbach 2007). Mankann hier im Anschluss an Michael Power (1997) von einemProzess sprechen, der zun�chst zu einer Entkopplung einerneuen virtuellen Realit�t mit einem Eigenleben von der realenPraxis in Forschung und Lehre f�hrt. Dadurch erfolgt eineBeruhigung (comforting) der interessierten �ffentlichkeit indem Sinne, als offensichtlich strategische und operative Maß-nahmen ergriffenwerden,um Forschung und Lehre zu verbes-sern. Komplement�r dazu kçnnen es sich Administratoren,Forscher und Lehrer bequem machen, weil ein modus vivendigefundenwurde, der die an sich offene und stets mit Unsicher-heit verbundene Praxis einer berechenbaren Ordnung unter-

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wirft, an der man sich festhalten kann. In der weiteren Folgeergibt sich eine Kolonisierung von Forschung und Lehre durchdie neuen Praktiken derart, dass sich ihr Sinn und Zweck ver-�ndert. Am Ende dieser Transformation von Forschung undLehre steht eine Zielverschiebung, bei der die Anpassung andie neuen externen Kontrollen Vorrang vor den internen Zie-len von Forschung und Lehre erh�lt. Das kann einleitend an-hand der Governance von Forschung durch Exzellenzwett-bewerbe gezeigt werden.

Exzellenzwettbewerbe sollen daf�r sorgen, dass Forschungs-mittel dorthin fließen, wo mit ihnen der grçßtmçgliche wis-senschaftliche Fortschritt erzielt werden kann. Ob diese Er-wartung erf�llt wird, ist angesichts der Unvorhersagbarkeitwissenschaftlicher Durchbr�che hçchst ungewiss. Ob eineInvestition wissenschaftliche Ertr�ge erbracht hat, l�sst sichoft auch nach langer Zeit nicht genau sagen. Allein diese Un-sicherheit macht es wahrscheinlich, dass Erfolge in einem Ex-zellenzwettbewerb sich selbst gen�gen und vom realen For-schungsgeschehen entkoppelt werden. Solche Wettbewerbehaben deshalb den Nebeneffekt, dass sie eine Realit�t sui ge-neris bilden, die in erheblichem Umfang Ressourcen bean-sprucht, die der realen Forschung entzogen werden. Außer-dem erzeugen sie ein vereinfachtes Bild der Verteilung vonwissenschaftlicher Exzellenz auf Universit�ten, das weit vonder viel differenzierteren Realit�t im realen Geschehen vonForschung und Lehre abweicht. In der Tendenz bewirken sieaber in materieller und symbolischer Hinsicht eine Anglei-chung der Realit�t an das vereinfachte Bild. Exzellenten For-schern an Universit�ten, die im Wettbewerb verlieren, werdenmaterielle und symbolische Ressourcen (Geld und Reputa-tion) entzogen, durchschnittlichen Forschern an den Gewin-neruniversit�ten fließen dagegen Geld und Reputation zu.

Exzellenzwettbewerbe verschlingen umfangreiche perso-

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nelle und s�chliche Ressourcen der lokalen Koordinierung,der Antragstellung, der Begutachtung und Umsetzung, so-dass gerade die besten Forscher in Koordination und Manage-ment versinken und Gefahr laufen, aus diesen Tiefen nichtmehr aufzutauchen – es sei denn, es wird ihnen anschließendeine mindestens dreij�hrige Auszeit gew�hrt. Dementspre-chend w�chst die Zahl der Wissenschaftskoordinatoren. Einvon der Exzellenzinitiative gefçrdertes geisteswissenschaft-liches Exzellenzcluster weist auf seiner Homepage nicht we-niger als 16 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer sol-chen Funktion aus. F�r die Universit�t ist das Cluster jedochauf jeden Fall ein Erfolg, ganz gleich was am Ende f�r dieWissenschaft dabei herauskommt und wie viele Mitarbeiterdabei in Projekten eingesetzt werden, die mangels Professo-renstellen zukeiner planbaren akademischen Karriere f�hren.Auch die am selben Ort durchgef�hrte Podiumsdiskussionzu den tr�ben Aussichten des akademischen Nachwuchseskann daran nichts �ndern. Das Karriereproblem des wissen-schaftlichen Nachwuchses beeintr�chtigt auch nicht wirklichden erworbenen Exzellenzstatus, weil dieser in einem Wett-bewerb als ein Preis verliehen wird, den man nicht mehr ver-lieren kann, ganz gleich was an diesem und an anderen Ortentats�chlich in der Forschung geleistet wird.

Der Exzellenzwettbewerb ist eine Welt f�r sich, begleitetvon Jubelstimmung und entkoppelt von der wesentlich diffe-renzierteren Realit�t der Forschung selbst. In der Außendar-stellung erzeugen solche Wettbewerbe Beruhigung. Es wirdder Eindruck vermittelt, es geschehe etwas, die Politik tueetwas f�r die Wissenschaft. Allein die von der Exzellenzinitia-tive zur Fçrderung von Wissenschaft und Forschung an dendeutschen Hochschulen 2006/2007 f�r f�nf Jahre zur Verf�-gung gestellten zwei Milliarden Euro, die dadurch erzeugtemediale Aufmerksamkeit und die Titulierung von Universi-

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t�ten, Forschungsverb�nden und Doktorandenprogrammenmit dem Begriff der Exzellenz sind ein Beweis f�r die Erfolgeverantwortlicher Regierungen in Bund und L�ndern. Ob dasGeld richtig investiert wurde, spielt keine Rolle. Man kanndas nicht wirklich wissen und beweisen. Von der Kritik ge-nervte mitverantwortliche Politiker ziehen sich deshalb aufdie Feststellung zur�ck, es sei dadurch ja Bewegung in einma-rodes System gekommen. Allein die von einem ins ruhige Ge-w�sser geworfenen Stein ausgelçste Wellenbewegung ist schonBeweis genug f�r die Richtigkeit der Maßnahme. Man mussdabei klar sehen, dass die Forschungspolitik als Politik ande-ren Gesetzm�ßigkeiten gehorcht als die Wissenschaft. Der Er-folg eines forschungspolitischen Programms zeigt sich unmit-telbar in W�hlerstimmen, nicht in letztlich nicht direkt daraufzur�ckf�hrbaremwissenschaftlichem Fortschritt. Ein erfolg-reiches forschungspolitisches Programm im Sinne der Siche-rung von politischer Macht ist nicht schon dadurch auch fçr-derlich f�r die Wissenschaft. Wasaus diesem Programm f�r dieWissenschaft folgt, ergibt sich aus den institutionellen Struk-turen und Machtverh�ltnissen im akademischen Feld, die denidealen Bedingungen f�r die Wissensevolution mehr oder we-niger nahekommen kçnnen. Die gegebenen institutionellenStrukturen und Machtverh�ltnisse kçnnen neue forschungs-politische Maßnahmen – etwa die Mittelverteilung in Exzel-lenzwettbewerben – dergestalt absorbieren, dass die idealenBedingungen der Wissensevolution (Vielfalt und offener Wett-bewerb) nochtiefer gehend alszuvor untergrabenwerden. Diepolitisch erfolgreichen Maßnahmen haben dann in der Wis-senschaft einen kontraproduktiven, die Wissensevolution be-hindernden Effekt.

Die Erzeugung einer virtuellen Realit�t der Forschung inExzellenzwettbewerben hat viel mit der Kolonisierung derPolitik durch die Medien zu tun. Die Medien m�ssen mit un-

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