stegmeier Müller-Lauter N-Interpretationen

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REZENSIONEN Werner Stegmaier WOLFGANG MÜLLER-LAUTERS NIETZSCHE-INTERPRETATIONEN Der Name Wolfgang Müller-Lauter steht für einen Neuanfang in der Nietzsche-For- schung. Sein grundlegendes Werk Nietzsche. Seine Philosophie der Gegensätze und die Gegensätze seiner Philosophie erschien 1971 mit den ersten Bänden von Giorgio Collis und Mazzino Montinaris Kritischer Ausgabe der Werke Nietzsches. 1 Müller-Lauter tat, wofür auch sein Freund Mazzino Montinari immer wieder eintrat: er las Nietzsche genauer, genauer als Martin Heidegger, der seit seinem Aufsatz Nietzsches Wort ,Gott ist tot‘ von 1950 2 und mehr noch mit der 1961 erschienenen Sammlung seiner Nietzsche-Vorlesungen aus den Jahren 1936-1940 3 die Nietzsche-Deutung maßgeblich bestimmt hatte. Heidegger hatte bei Nietzsche gelesen: der Wille zur Macht, Wille zur Macht im Singular, und den Willen zur Macht als metaphysisches Prinzip verstanden, das alle früheren metaphysischen Prin- zipien übersteigerte, Müller-Lauter las: die Willen zur Macht, Willen zur Macht im Plural, und erkannte darin einen anti-metaphysischen Gedanken, der gegen alle metaphysischen Prinzipien gerichtet war. Er fand in ihm den Leitgedanken einer Philosophie der Gegen- sätze bei Nietzsche, nach dem es Gegensätze nicht gibt, sondern Gegensätze gegeben werden, also nicht an sich feststehen, sondern gegeneinander ins Spiel gebracht werden, mit vielfältigen und widersprüchlichen Absichten. Müller-Lauter löste die metaphysische Nietzsche-Interpretation durch eine differenztheoretische ab. Er wurde zum Doyen der internationalen Nietzsche-Forschung. Er hat die Nietzsche- Studien, das Internationale Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung, mit auf den Weg ge- bracht und sie 25 Jahre mit herausgegeben, die Monographien und Texte der Nietzsche-For- schung und die Supplementa Nietzscheana mit begründet, zunehmend an der Ausgabe der 1 Es setzte sie also nicht voraus. Der Großteil von Nietzsches spätem Nachlaß folgte in der Ausgabe erst nach. Müller-Lauter stützte sich in seinem Hauptwerk noch auf die alte Großok- tavausgabe der Werke Nietzsches. Gleichwohl kam die KGW mit ihrem chronologischen, be- richtigten und vollständigen Abdruck des Nachlasses seiner Nietzsche-Interpretation sehr entge- gen. Zum Erscheinungsdatum der einzelnen Bände vgl. jetzt Stiftung Weimarer Klassik - Her- zogin Anna Amalia Bibliothek: Weimarer Nietzsche Bibliographie (WNB). Bearbeitet von Su- sanne Jung u. a. Band 1: Primärliteratur 1867-1998. Stuttgart, Weimar 2000. S. 43-47 (vgl. die Rezension von Andreas Urs Sommer in diesem Band). 2 Heidegger, Martin: Nietzsches Wort ,Gott ist tot‘. In: ders.: Holzwege. Frankfurt am Main 1950. S. 193-247. Der Aufsatz faßte Vorlesungen zusammen, die zwischen 1936 und 1940 an der Universität Freiburg i. Br. gehalten wurden. 3 Heidegger, Martin: Nietzsche. 2 Bde. Pfullingen 1961.

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  • REZENSIONEN

    Werner Stegmaier

    WOLFGANG MLLER-LAUTERSNIETZSCHE-INTERPRETATIONEN

    Der Name Wolfgang Mller-Lauter steht fr einen Neuanfang in der Nietzsche-For-schung. Sein grundlegendes Werk Nietzsche. Seine Philosophie der Gegenstze und die Gegenstzeseiner Philosophie erschien 1971 mit den ersten Bnden von Giorgio Collis und MazzinoMontinaris Kritischer Ausgabe der Werke Nietzsches.1 Mller-Lauter tat, wofr auch seinFreund Mazzino Montinari immer wieder eintrat: er las Nietzsche genauer, genauer alsMartin Heidegger, der seit seinem Aufsatz Nietzsches Wort ,Gott ist tot von 19502 undmehr noch mit der 1961 erschienenen Sammlung seiner Nietzsche-Vorlesungen aus denJahren 1936-19403 die Nietzsche-Deutung mageblich bestimmt hatte. Heidegger hattebei Nietzsche gelesen: der Wille zur Macht, Wille zur Macht im Singular, und den Willenzur Macht als metaphysisches Prinzip verstanden, das alle frheren metaphysischen Prin-zipien bersteigerte, Mller-Lauter las: die Willen zur Macht, Willen zur Macht im Plural,und erkannte darin einen anti-metaphysischen Gedanken, der gegen alle metaphysischenPrinzipien gerichtet war. Er fand in ihm den Leitgedanken einer Philosophie der Gegen-stze bei Nietzsche, nach dem es Gegenstze nicht gibt, sondern Gegenstze gegebenwerden, also nicht an sich feststehen, sondern gegeneinander ins Spiel gebracht werden,mit vielfltigen und widersprchlichen Absichten. Mller-Lauter lste die metaphysischeNietzsche-Interpretation durch eine differenztheoretische ab.

    Er wurde zum Doyen der internationalen Nietzsche-Forschung. Er hat die Nietzsche-Studien, das Internationale Jahrbuch fr die Nietzsche-Forschung, mit auf den Weg ge-bracht und sie 25 Jahre mit herausgegeben, die Monographien und Texte der Nietzsche-For-schung und die Supplementa Nietzscheana mit begrndet, zunehmend an der Ausgabe der

    1 Es setzte sie also nicht voraus. Der Groteil von Nietzsches sptem Nachla folgte in derAusgabe erst nach. Mller-Lauter sttzte sich in seinem Hauptwerk noch auf die alte Grook-tavausgabe der Werke Nietzsches. Gleichwohl kam die KGW mit ihrem chronologischen, be-richtigten und vollstndigen Abdruck des Nachlasses seiner Nietzsche-Interpretation sehr entge-gen. Zum Erscheinungsdatum der einzelnen Bnde vgl. jetzt Stiftung Weimarer Klassik - Her-zogin Anna Amalia Bibliothek: Weimarer Nietzsche Bibliographie (WNB). Bearbeitet von Su-sanne Jung u. a. Band 1: Primrliteratur 1867-1998. Stuttgart, Weimar 2000. S. 43-47 (vgl. dieRezension von Andreas Urs Sommer in diesem Band).

    2 Heidegger, Martin: Nietzsches Wort ,Gott ist tot. In: ders.: Holzwege. Frankfurt am Main 1950.S. 193-247. Der Aufsatz fate Vorlesungen zusammen, die zwischen 1936 und 1940 an derUniversitt Freiburg i. Br. gehalten wurden.

    3 Heidegger, Martin: Nietzsche. 2 Bde. Pfullingen 1961.

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    Werke und Briefe Nietzsches mitgewirkt und nach Mazzino Montinaris Tod 1986 auchhier leitende Aufgaben bernommen. Die Bemhungen um die Schriften Nietzsches undihre Deutung fanden in seiner Person ein lebendiges Zentrum, mit stetig und raschwachsender Wirkung auch im Ausland; Mller-Lauters Arbeiten wurden in viele Sprachenbersetzt. Am 9. August 2001 ist er gestorben. Schon von schwerer Krankheit gezeichnet,hat er noch seine Abhandlungen zur Nietzsche-Interpretation in drei Bnden gesammeltherausgeben knnen:

    Wolfgang Mller-Lauter:ber Werden und Willen zur Macht. Nietzsche-Interpretationen I.

    Berlin, New York (Walter de Gruyter) 1999. 398 Seiten.ISBN 3-11-013451-9.

    ber Freiheit und Chaos. Nietzsche-Interpretationen II.Berlin, New York (Walter de Gruyter) 1999. 435 Seiten.ISBN 3-11-013452-7.

    Heidegger und Nietzsche. Nietzsche-Interpretationen III.Berlin, New York (Walter de Gruyter) 2000. 386 Seiten.ISBN 3-11-016791-3.4

    Die Studien stammen aus mehr als 30 Jahren, die letzte aus dem Frhjahr 2000. Siewurden fr den Neudruck groenteils berarbeitet und ergnzt, mit zahlreichen Bemer-kungen zur neueren Forschung versehen, zu einem Teil auch neu verfat und vorzglichediert. Sie haben zuweilen den Umfang von Monographien. Ihr gemeinsames Ziel istweiterhin, Nietzsche genau zu lesen, aus intimer Kennerschaft seines Werkes und seinerQuellen, ist systematische Interpretation in philologischer Grndlichkeit und historischerAnknpfung. Mller-Lauter bricht mit Global-Deutungen, wie sie Ernst Bertram, AlfredBaeumler, Karl Lwith, Martin Heidegger, Walter Kaufmann oder Gilles Deleuze entwik-kelten; es geht ihm nicht um eigene spektakulre Thesen und Theoreme zur Nietzsche-Interpretation, sondern darum, was Nietzsche selbst sagen wollte und wie das zusam-mengehrt, was er - scheinbar so widersprchlich - gesagt hatte. Mller-Lauter gibtdabei auch dem Oszillieren von Nietzsches Begriffen einen systematischen Sinn.

    Die gesammelten Studien erstrecken sich nicht nur auf die Nietzsche-Interpretation.Sie machen im Gegenteil deutlich, da Nietzsche gar nicht der Gegenstand von Mller-Lauters ursprnglichem Interesse war. Die ideologische Inanspruchnahme Nietzschesdurch die Nationalsozialisten, dann seine Verwerfung durch die sozialistischen Anti-Fa-schisten hielten ihn zu Nietzsche zunchst auf Distanz. Gleichwohl beschftigte ihn, alser nach dem II. Weltkrieg mit seiner philosophischen Arbeit begann, das Problem desNihilismus, der fr keine Generation - er wurde 1924 in Weimar geboren - gegenwrti-ger war. Mller-Lauter setzte alles daran, ihn in seinen Ursprngen und Traditionen zuerschlieen.5 ber Sartre, der nun die philosophische Szene beherrschte, kam er zu

    4 Die drei Bnde werden im folgenden nach Band (I, II, III) und Seitenzahl zitiert.5 Nicht in den Studien enthalten: Mller-Lauter, Wolfgang: Zarathustras Schatten hat lange

    Beine In: Evangelische Theologie 23 (1963). S. 113-131; ders.: Dostoevskijs Ideendialektik.Berlin, New York 1974; ders.: Nihilismus als Konsequenz des Idealismus. F. H. Jacobis Kritikan der Transzendentalphilosophie und ihre philosophiegeschichtlichen Folgen. In: Schwan,Alexander (Hg.): Denken im Schatten des Nihilismus. Festschrift fr Wilhelm Weischedel.Darmstadt 1975. S. 113-165; ders.: Der Idealismus als Nihilismus der Erkenntnis. In: Theologia

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    Heidegger, der das Problem des Nihilismus philosophisch am entschiedensten verfolgte.6Er hatte es wiederum von Nietzsche aufgenommen, dessen Fassung des Problems ihmjedoch vorlufig und vordergrndig schien. Mller-Lauter wiederum berzeugte Heideg-gers Deutung der Nihilismus-Problematik nicht. So kam er zu Nietzsche. Zu Nietzscheaber mute er nun einen gegenber Heidegger methodisch neuen Zugang finden. Ersuchte sein Denken nicht mehr allein aus seinen (schwankenden) Begriffen, sondern ausderen (prgnanten) Kontexten zu erschlieen. Auf diesem Weg entdeckte er die Willenzur Macht.

    Mller-Lauters Hauptwerk war im Kern ein Werk ber Nietzsches Verstndnis desNihilismus. Sein Werk im ganzen wurde zur Auseinandersetzung mit Nietzsche und Hei-degger im Blick auf die Zukunft des Nihilismus. Wir beginnen mit dem Problemkreisdes Nihilismus, der sich fr Heidegger ganz anders darstellt als fr Nietzsche, gehendann zu Mller-Lauters Auseinandersetzung mit Heideggers Nietzsche-Interpretationenber und schlieen mit seinen eigenen, in vielem neuen Nietzsche-Studien. Hauptthemaist hier, wie Nietzsche das Ganze der Welt auf nicht-metaphysische Weise zu denkenvermochte.

    Nihilismus nach Nietzsche und Heidegger

    Nihilismus war der Kern von Nietzsches Zeitdiagnose. Er nahm ihn zunchst -und noch nicht unter diesem Namen - als Niedergang der Kultur im neuen DeutschenReich, zuletzt als decadence in ganz Europa wahr. Dazwischen, in den 80er Jahren, spracher ihn als Erfahrung der Entwertung der Werte an, die in Europa zweitausend Jahre langals die obersten gegolten, tatschlich aber das Leben entwertet und Europa darum krankgemacht htten. Der Nihilismus seiner Zeit war so lediglich die Dmmerung eines sehralten Nihilismus, das erwachende Bewutsein, da es mit jenen Werten nie etwas gewesenwar; die skulare Enttuschung, wenn sie sich erst verbreitete, mute auf Jahrhundertehinaus dstere Folgen fr Europa nach sich ziehen. Aber noch sah sich Nietzsche mitder Noth dieser Einsicht allein, und so suchte er auf sie mit immer aggressiverenGenealogien aufmerksam zu machen. Zuletzt zielte er unmittelbar auf die Erfinder dernih i l i s t i schen Werthe,7 Sokrates auf der einen Seite, der im Namen eines jenseitigenGuten zur unablssigen Anstrengung um eine unbedingte, lebensferne, theoretischeWahrheit aufgefordert hatte und damit zum Mastab in Europa geworden war, undPaulus auf der andern Seite, der, aus priesterlichem Ressentiment, in einem Sklavenauf-stand in der Moral8 mit dem Christentum die Werte der Schwachen, Schlechtwegge-kommenen, Lebensuntchtigen zur Herrschaft gebracht hatte.9 Beides, so Nietzsche, ver-

    viatorum XIII. Berlin 1977. S. 133-153; ders.: Art. Nihilismus I. In: Historisches Wrterbuchder Philosophie. Bd. 6. Darmstadt, Basel 1984. Sp. 846-853.

    6 Martin Heidegger war Mller-Lauters Dissertation gewidmet: Mller-Lauter, Wolfgang: Mg-lichkeit und Wirklichkeit bei Martin Heidegger. Berlin 1960.

    7 AC 6.8 JGB 195, GM I 7, I 10.9 Vgl. Nachla Oktober 1888, KSA 13, 23[3]3: Wie? Wre die Menschheit selber in decadence?

    Wre sie es immer gewesen? Was feststeht, ist da ihr nur decadence-Werthe als oberste Werthege lehr t worden sind. Die Entselbstungs-Moral ist die typische Niedergangs-Moral par excel-lence. - Hier bliebe eine Mglichkeit offen, da nicht die Menschheit selber in decadence sei,sondern jene ihre Lehrer! - Und in der That, das ist mein Satz: die Lehrer, die Fhrer derMenschheit waren decadents: daher die Umwerthung aller Werthe ins Nihilistische (Jenseiti-ge).

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    band sich unheilvoll in der europischen Metaphysik eines jenseitigen, der Macht desEinzelnen entzogenen, allgemeinen Wahren und Guten, das ihn, den Einzelnen, berseine Kleinheit und Zuflligkeit im Strom des Werdens und Vergehens erhob, der Welttrotz Leid und bel den Charakter der Vol lkommenhei t lie und fr beides, denabsoluten Wer th des Menschen und den Sinn der Welt, adquate Erkenntnigarantierte.10

    Die Frage war dann, wie in Zukunft ohne den Glauben an dieses unbedingte Allge-meine zu leben sei. Die Individuen htten nun ganz Individuen zu sein, heillos ihrereigenen Kleinheit und Zuflligkeit, dem Leid und bel der Welt, der Unbersichtlichkeitund Undurchdringlichkeit ihrer Erkenntnis ausgesetzt, ohne etwas, das sie a priori ver-bnde, in nichts gleich, sondern in allem konkurrierend - als Willen zur Macht. Manhatte sich nun als Individuum auszuzeichnen; die Entwertung des berindividuellenmute die Aufwertung des Individuellen mit sich bringen. Aber die Individuen konntennun auch selbst nicht mehr unbedingte Einheiten sein; sie wren nun Individuen nur imVerhltnis zueinander, Machtquanta oder Kraft-Quanta, deren Wesen darin besteht,auf alle anderen Kraft-Quanta Macht auszuben.11 Der Nihilismus, wie ihn Nietzscheverstand, erzwang so ein Anders-Denken des Einzelnen im Verhltnis zum Einzelnen, in aktuel-len Begriffen eine Umstellung von Reprsentation auf Kommunikation, der Reprsenta-tion von gemeinsam Gegebenem auf Kommunikation von individuell Erfahrenem. DieWelt der ,Phnomene, notierte sich Nietzsche, ist die zur Mittheilung zurechtge-machte Welt: Hypothese, da es nur Subjekte g iebt - da Objekt nur eineArt Wirkung von Subjekt auf Subjekt ist ein modus des Subjekts.12

    Heidegger, als er begann, sich dem Problem des Nihilismus zu stellen, sah sich voreiner anderen Notwendigkeit: nicht dem Anders-Denken des Einzelnen im Verhltnis zumEinzelnen, sondern dem Anders-Denken des Seins im Verhltnis zum Seienden. Es fhrte zwarebenfalls weg vom Gedanken der Reprsentation: Sein als Gegenstand des Denkens wrewiederum nur Seiendes, und so hatte es die Metaphysik gedacht. Es fhrte aber nichtzum Gedanken der Kommunikation: Sein konnte auch nichts individuell Erfahr- undMitteilbares, sondern mute das sein, was vor allem Denken von Gegenstnden und voraller individueller Erfahrung berhaupt zu denken und zu erfahren gibt, was Seiendes erstsein lt. Solange der Blick auf Seiendes gerichtet ist, wird dies vergessen; vergessen istdann, da es ohne das Sein, das es sein lt, auch mit dem Seienden nichts ist. In derVergessenheit des Seins nur das Seiende betreiben - das ist Nihilismus, heit es nunbei Heidegger. Und in diesen Nihilismus bezieht er auch Nietzsche ausdrcklich ein:Der so verstandene Nihilismus ist erst der Grund fr jenen Nihilismus, den Nietzscheim ersten Buch des Willens zur Macht herausgestellt hat.13 Die Willen zur Macht inihrem inter-individuellen Gegeneinander bleiben fr Heidegger gegenstndliche Seiende,solange sie nicht von jenem Sein her gedacht werden, das sie erst sein lt.

    Mller-Lauter sucht beiden Begriffen des Nihilismus gerecht zu werden und zu zei-gen, wie sie zusammengehren. Beide, Nietzsche und Heidegger, verstehen den Nihilis-mus gemeinsam als, mit Heidegger zu sprechen, Grundbewegung der Geschichte desAbendlandes.14 Heidegger beansprucht jedoch, sofern auch Nietzsche die Frage nach

    10 Nachla Sommer 1886 - Herbst 1887, KSA 12, 5[71], Nr. 1 (Lenzer Heide-Entwurf).11 Nachla Frhjahr 1888, KSA 13, 14[79] und [81].12 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 9[106], zit. Mller-Lauter II 151.13 Heidegger, Martin: Einfhrung in die Metaphysik (1935). Tbingen 1966. S. 155 (jetzt: HGA

    [Martin Heidegger Gesamtausgabe] 40, S. 212, zit. Mller-Lauter III 208).14 Heidegger: Nietzsches Wort ,Gott ist tot, a. a. O., S. 201, zit. Mller-Lauter III 233.

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    dem Sein nicht stellt, diese Bewegung noch ursprnglicher zu denken (III 233). Nietz-sches Verstndnis des Nihilismus ist fr ihn insofern selbst nihilistisch (III 234), seinDenken im ganzen noch Metaphysik. Doch mit seiner Metaphysik habe er erst auf denNihilismus als philosophisches Problem aufmerksam gemacht.

    Man kann natrlich von Nietzsche aus zurckfragen, ob es denn mit HeideggersFrage nach dem Sein ,etwas ist und wenn ja, was sie bedeutet. So haben dann vor allemEmmanuel Levinas und Jacques Derrida gefragt und Nietzsches Anders-Denken desEinzelnen im Verhltnis zum Einzelnen aus Heideggers Anders-Denken des Seins imVerhltnis zum Seienden neu zu denken versucht. Mller-Lauter hlt die Frage offen undgrenzt sich insbesondere von Gianni Vattimos Versuchen ab, Nietzsche mit Heideggerim Namen der Hermeneutik zu harmonisieren.15 Denn gerade das Gegeneinander derbeiden Anstze knnte fr die weitere Erschlieung des Nihilismus von Bedeutung sein:Indem Heidegger das von Nietzsche Ungesagte im Hinblick auf die Seinsfrage zurSprache zu bringen sucht, wird das von Nietzsche Gesagte in ein diesem selber fremdesLicht gerckt. Ausdrcklich sucht Heidegger Nietzsche anders zu verstehen, als diesersich selber verstand: anders, keineswegs ,besser. (III 267)

    Gang und Sinn von Heideggers Nietzsche-Interpretation

    Die verschlungenen Wege von Heideggers Nietzsche-Deutung sind inzwischen guterforscht;16 Mller-Lauter hat daran mageblichen Anteil. Heideggers Nietzsche-Inter-pretation ist, wie er zeigt, in ihren Grundzgen aus seiner Gegenstellung zu Nietzschein der Frage des Nihilismus zu verstehen. Heidegger hat ihre Gewaltsamkeit selbstmehrfach zugestanden. Dennoch schwankte sie stark. Ihr Schwanken war, wie Mller-Lauter deutlich macht, dreifach bedingt: zum einen durch das zeitgenssische Umfeldder Philosophie, in deren Hauptstrmungen Nietzsche rasch einbezogen wurde, vondenen Heidegger sich aber abgrenzte (Biologismus, Psychologismus, Lebensphilosophieund Wertphilosophie), zum andern durch Heideggers Verwicklung in den Nationalsozia-lismus und zum dritten durch seine schrittweise Vertiefung der Seinsfrage. Am Anfangstand die von Elisabeth Frster-Nietzsche zusammen mit Peter Gast herausgegebeneNachla-Kompilation Der Wille zur Macht, deren zweite, erweiterte Auflage Heideggerin den erregenden Jahren zwischen 1910 und 1914 studiert hatte17 und all seinenweiteren Deutungen zugrunde legte. So berchtigt die Ausgabe inzwischen ist - Heideg-ger nannte sie selbst, nachdem er 1935 in den Wissenschaftlichen Ausschu fr dieHistorisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke Nietzsches aufgenommen und mit derNeuausgabe des spten Nachlasses betraut worden war, ein verhngnisvolles Buch18 -,so sehr kam sie doch dem philosophischen Bedrfnis nach einer systematischen Interpre-tation von Nietzsches Denken entgegen und damit dem, woran Heidegger alleine lag.

    15 Vgl. die - die drei Bnde abschlieende - Studie: Nietzsche und Heidegger als nihilistischeDenker. Zu Gianni Vattimos ,Postmodernistischer Deutung von 1998 (III 301-348).

    16 Vgl. zuletzt Seubert, Harald: Zwischen erstem und anderem Anfang. Heideggers Auseinander-setzung mit Nietzsche und die Sache seines Denkens (Colloquium Hermeneuticum 4). Kln,Weimar, Wien 2000, und die Rezension in diesem Band.

    17 Vgl. Heidegger, Martin: Frhe Schriften. Frankfurt am Main 1972. Vorwort, S. X.18 Vgl. die Studie: Der Wille zur Macht als Buch der ,Krisis philosophischer Nietzsche-Interpretationen

    (1994/95), I 329-374, bes. 339-348 (Heidegger und die Kompilation).

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    Einerseits gegen Karl Jaspers, dem an der Sichtbarmachung der Vielgestaltigkeit vonNietzsches Denken gelegen war (I 354), andererseits gegen Alfred Baeumler, der denSystemdenker Nietzsche herausstellte, dessen Gedanken der ewigen Wiederkehr desGleichen aber ratlos als subjektiv und ohne Belang verwarf, und schlielich gegenseinen eigenen Schler Karl Lwith, der dem Wiederkunftsgedanken eine eigene Mono-graphie gewidmet hatte,19 suchte Heidegger Nietzsches groe Lehren so zusammenzu-denken, da zugleich deutlich wurde, wie sie vor der Seinsfrage versagten. Sein Engage-ment fr den Nationalsozialismus lenkte ihn dabei zunchst auf die Begriffe Wille undMacht, von denen er in seiner Antrittsrede als Rektor der Universitt Freiburg, der nunihr Fhrer sein sollte, starken Gebrauch machte. In seiner Schelling-Vorlesung vom Som-mer 1935 schrieb er Mussolini und Hitler in der politischen Gestaltung der Nation bzw.des Volkes Gegenbewegungen zum Nihilismus zu, allerdings ohne da dabei dereigentliche metaphysische Bereich des Nietzscheschen Denkens unmittelbar zur Geltungkme.20 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wollte er seine Nietzsche-Vorlesungen und -Vortrge seit 1936 als geistigen Widerstand gegen den Nationalso-zialismus verstanden wissen und stellte diesen nun als Nihilismus dar: Zwar drfe Nietz-sche niemals mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt werden, das verbietet - vomGrundstzlichen abgesehen - schon Nietzsches Stellung gegen den Antisemitismus undsein positives Verhltnis zu Ruland. Aber auf einem hheren Niveau ist die Auseinan-dersetzung mit Nietzsches Metaphysik die Auseinandersetzung mit dem Nihilismus, alsdessen politische Erscheinungsform sich der Faschismus immer deutlicher herausstell-te.21

    Im Blick auf die Seinsfrage sollte Heideggers Eingehen auf Nietzsche, so Mller-Lauter, ein Zurckgehen hinter Nietzsche sein, das schlielich zum ZurcklassenNietzsches fhren sollte (III 161). Dazu deutete er Nietzsches Philosophie als Metaphy-sik des Willens zur Macht, der das Sein als Seiendes und Wert galt. Als Schlsselstelledafr zog er die Nachlanotiz heran, die im Dritten Buch: Prinzip einer neuen Wertset-zung von Der Wille zur Macht als Nr. 617 unter dem Titel Rekapitulation abgedrucktwar: Dem Werden des Charakter des Seins aufzuprgen - das ist der hchsteWi l le zur Macht. [] Da al les wiederkehr t, ist die extremste Annher ungeiner Welt des Werdens an die des Se ins : - Gipfe l der Betrachtung.22 Erlas die Stelle so, als ob Nietzsche einen Willen zur Macht, der dem Werden den Charakterdes Seins aufprgte, als hchsten Wert empfohlen htte und darum ein Metaphysiker parexcellence gewesen wre. Das Gegenteil war der Fall. Um dieselbe Zeit stellte Nietzschein einem von ihm verffentlichten Text, FW 370, dem Verlangen nach Starrmachen,Verewigen, nach Sein das Verlangen nach Zerstrung, nach Wechsel, nach Neuem,nach Zukunft, nach Werden gegenber und sah beide als Heil- und Hlfsmittel imDienste des wachsenden, kmpfenden Lebens an, die immer Leiden und Leidendevoraussetzen. Bei der Denk- und Werthungsweise komme es darum auf das jeweils

    19 Lwith, Karl: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen (1935), jetzt in:ders.: Smtliche Schriften. Band 6. Stuttgart 1987. S. 100-385.

    20 Heidegger, Martin: Schelling. Das Wesen der menschlichen Freiheit (1809). In: HGA 42, S. 40 f.(zit. Mller-Lauter III 12).

    21 Heidegger, Martin: Brief an das Rektorat der Universitt Freiburg, zitiert nach Pggeler, Otto:Nietzsche, Hlderlin und Heidegger. In: Kemper, Peter (Hg.): Martin Heidegger - Faszinationund Erschrecken. Frankfurt am Main, New York 1990. S. 178-195, hier: S. 180 (zit. Mller-Lauter III 22).

    22 Nachla Ende 1886 - Frhjahr 1887, KSA 12, 7[54].

  • Rezensionen480

    dahinter kommandirende Bedrfniss an. Die einen litten an einer Enge der Hori-zonte, einer Verar mung des Lebens, andere an einer berf l le des Lebens,einem Zuviel an Horizonten. Beide knnten ebenso das Se in wie das Werdenschtzen, und aus beidem knne ebenso das Verlangen nach Zerstr ung wie derWille zum Verewigen entspringen. Beides knne Ausdruck der bervollen, zu-kunftsschwangeren Kraft sein (mein terminus ist dafr, wie man weiss, das Wort diony-sisch), knne aus Dankbarkeit und Liebe kommen, aber auch der Hass des Missra-thenen, Entbehrenden, Schlechtweggekommenen sein, der zerstrt, zerstren muss, weilihn das Bestehende, ja alles Bestehn, alles Sein selbst emprt und aufreizt, jener tyran-nische Wille eines Schwerleidenden, Kmpfenden, Torturirten [], welcher das Persn-lichste, Einzelnste, Engste, die eigentliche Idiosynkrasie seines Leidens noch zum ver-bindlichen Gesetz und Zwang stempeln mchte und der an allen Dingen gleichsamRache nimmt, dadurch, dass er ihnen se in Bild, das Bild se iner Tortur, aufdrckt,einzwngt, einbrennt. Da die Motive zweideutig bleiben, bleiben auch die Werte Seinund Werden zweideutig - ein hchster Wert, sei es des Werdens oder Seins, wird sogerade ausgeschlossen. Das besttigt auch die Nachlanotiz. Heidegger berging dort,worauf Mller-Lauter aufmerksam macht, regelmig den Passus: Zwiefache Fl -schung, von den Sinnen her und vom Geiste her, um eine Welt des Seienden zu erhal-ten, des Verharrenden, Gleichwerthigen usw. Der hchste Wi l le zur Macht, vondem Nietzsche in der Nachlanotiz spricht, ist also ein hchster Wille zur Flschung

    Um Nietzsches Denken in die europische Metaphysik zurckzuversetzen, von derer sich selbst so entschieden distanziert hatte, interpretierte Heidegger seinen Gedankenvom Willen zur Macht aus Gegenstzen, die er als nur zurechtgelegte schon zurckgelas-sen hatte: Quantitt und Qualitt, Existenz und Essenz, Dynamis und Energeia u. .Damit verbarg er sich - Mller-Lauter zeigt es Punkt fr Punkt - die Radikalitt vonNietzsches Denken: Indem er als seinsvergessener Denker domestiziert wird, kommtNietzsches eigene Metaphysikkritik nicht zureichend ins Spiel. (III 27) Nietzsches Her-ausforderung wird von Heidegger nicht angenommen. (III 151)

    Dennoch sah er ihn, insbesondere in den Beitrgen zur Philosophie, die ebenfalls ausden Jahren 1936-1938 stammen, aber erst 1989 verffentlicht wurden, als bergangzu einem anderen Anfang, der dem Sein als Sein gerecht werden sollte. Damit muteteer Nietzsche nun ein Doppeltes zu: Er mu sich einmal als Vollender der Metaphysikeinem Denken zuordnen lassen, das er schon selbst berwunden zu haben beansprucht.Zum zweiten mu er als Vollender der Metaphysik zugleich als der Vorbereiter einesbergangs auftreten, der in eine neue, ihm selbst gnzlich fremde Sphre hineinfhrt.(III 24 u. 202 f.)

    In seiner Heraklit-Vorlesung von 1943/44 warf Heidegger Nietzsche dann den tief-sten Verfall in die Metaphysik und die frchterlichste Mideutung Heraklits (HGA 55,S. 68) vor. Nietzsche hatte in der Gtzen-Dmmerung geschrieben, Heraklit werde damitewig Recht behalten, dass das Sein eine leere Fiktion ist.23

    In den 50er Jahren wurde seine Sicht Nietzsches positiver, aber auch bizarr. Er stelltenun Also sprach Zarathustra, das Thema des bermenschen und die knftige Verwstungder Erde in den Vordergrund.24 Er verband dabei den bermenschen zunchst mit dergroangelegten technischen Vernutzung der Erde, um ihn dann in die Nhe des letz-ten Menschen zu rcken, gegen den ihn Nietzsche ursprnglich konzipiert hatte. Nietz-

    23 GD, Die Vernunft in der Philosophie 2.24 Was heit Denken?, Wer ist Nietzsches Zarathustra?, beide 1954.

  • Rezensionen 481

    sche selbst sah er zuletzt vom Geist der Rache ereilt, den dessen Zarathustra hatteberwinden sollen. Der Geist der Rache vollende sich im Gedanken der ewigen Wieder-kehr des Gleichen: die ewige Wiederkehr zu wollen, heie sich vom Widerwillen gegendie Zeit erlsen zu wollen. Aber die ewige Wiederkehr sei auch das Wesen der modernenTechnik, symbolisiert in der unaufhrlichen Rotation der Motoren Heideggers Inter-esse an Nietzsche trat schlielich hinter seinem Interesse an Hlderlin zurck.

    Wille zur Macht nach Heidegger und Nietzsche

    Die angemessene Interpretation des Philosophierens Nietzsches verlangt, da diemetaphysischen Schemata durchbrochen werden, in die Heidegger es hineinzwngt. (III285) Mller-Lauter begann damit 1967 in einem Vortrag vor der Kant-Gesellschaft inBerlin ber Das Problem des Gegensatzes in der Philosophie Nietzsches, den er nun am Anfangdes ersten der drei Bnde seiner Studien zum ersten Mal verffentlicht. Danach ist nichtdie Einheit und Seiendheit eines Selben, sondern der Gegensatz der Sinn von NietzschesWille-zur-Macht-Gedanken: Der Wille zur Macht ist des Gegensatzes bedrftig, derfreilich selber nur Wille zur Macht sein kann. Der Gegensatz macht ihn allererst zum Willenzur Macht. (I 24) Einheit ist danach Einheit immer nur in Abgrenzung von und imGegensatz zu anderer Einheit, und Einheiten von Gegenstzen entstehen wieder alsGegenstze zu anderen Einheiten von Gegenstzen. Einziges Gesetz der Bildung solcherEinheiten ist ein Anti-Gesetz, das Gesetz, da jede Macht in Auseinandersetzung mitjeder andern Macht in jedem Augenblick ihre letzte Consequenz zieht.25 Um hierinnicht wieder die alte Logik einzutragen, nennt Nietzsche die im Gegeneinander entste-henden und in Spannung mitander stehenden Einheiten Affekte, Triebe, dynami-sche Quanta oder eben Willen zur Macht. Aber Wille ist dabei etwas Compl iz i r tes,Etwas, das nur a ls Wor t eine Einheit ist (JGB 8). es giebt keinen Willen, notierter im spten Nachla, und folglich weder einen starken, noch schwachen Willen. Aberwir knnen, um in unserer Betrachtung ein bloes Starrmachen des Werdens zu ver-meiden, darin schwache Willen und starke Willen unterscheiden. Damit unterscheidenwir dann jedoch nicht Seiende, nicht Wesen mit einem schwachen oder starken Willen,sondern lediglich Disgregation und Coordination im Werden:

    Die Vielheit und Disgregation der Antriebe, der Mangel an System unter ihnen resul-tiert als schwacher Wille; die Coordination derselben unter der Vorherrschaft eineseinzelnen resultiert als starker Wille; - im ersteren Falle ist es das Oscilliren undder Mangel an Schwergewicht; im letzteren die Prcision und Klarheit der Richtung.26

    In Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht (1973/74), dem meistbersetzten und nachge-druckten Beitrag Mller-Lauters und einem der wirkungsvollsten Beitrge zur Nietzsche-Forschung berhaupt, hat er abschlieend geklrt, da Wille zur Macht kein letzterGrund der Ordnung des Seienden, sondern nur ein Begriff zur Vermeidung der Redevon einem solchem Grund sein kann: Nietzsches Philosophieren schliet die Frage nachdem Grund des Seienden im Sinne berlieferter Metaphysik als eine fr das wirklicheGeschehen relevante Frage aus. (I 88)

    25 JGB 22 und Nachla Frhjahr 1888, KSA 13, 14[79].26 Nachla Frhjahr 1888, KSA 13, 14[219].

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    Nietzsches Denken des Ganzen

    In das Wille-zur-Macht-Geschehen als Unterscheidungs-Geschehen ist nach Nietz-sche alles Unterscheiden, auch das Denken, einbezogen. Das Denken ist danach so zudenken, da es Unterscheidungen hervorbringt, die es, wo es ihm notwendig scheint,nachtrglich ,logisch verknpfen kann. Wie es seine Unterscheidungen hervorbringt,bleibt ihm jedoch verborgen; sie ,fallen ihm ,ein, es erfhrt sie als kontingent. Dadurcherlebt es sich selbst als ,lebendig, als eingebunden in ein Ganzes, das es ein Stck weiterschlieen, aber niemals als Ganzes bersehen kann. Damit ist das Problem der Orien-tierung gestellt (I 219). Nach Nietzsche ist sie aus dem Widerspiel von Willen zur Machtverstndlich zu machen. In drei umfangreichen Abhandlungen, ber das Werden, das Urtei-len, das Ja-Sagen bei Nietzsche (1996-1999), Freiheit und Wille bei Nietzsche (1968-1995) undber ,das Ganze und ber ,Ganzheiten in Nietzsches Philosophie (1998-1999), zeigt Mller-Lauter, wie aus Nietzsches Philosophie des Werdens als Philosophie der Machtprozesse(II v) Orientierung ohne Metaphysik verstndlich wird. Die Frage ist in der Nietzsche-Forschung bisher weitgehend vernachlssigt worden. Mller-Lauter fhrt hier entschei-dende Schritte weiter.

    Die Anfangs- und Schlsselfrage ist dabei, wie Werden im Werden festgestellt werdenkann. Die Antwort der Metaphysik (des Aristoteles) war: durch eine Unterscheidungvon Seiendem oder Bleibendem (Substanzen) und daran Wechselndem (Eigenschaften).Tatschlich unterschied man damit das Werden, das Zeitliche, in ein Zeitloses und einZeitliches, schied aus dem Zeitlichen ein Zeitloses aus mit der Folge, da dieses Zeitlosenur vom Zeitlichen her, also wiederum nur auf Zeit fabar und dabei die Zeit selbstzugleich ein Zeitloses und Zeitliches war, ihr Begriff also aporetisch wurde. Mller-Lauterhat bei Nietzsche einen andern Anfang freigelegt, der ohne ein Zeitloses auskommt,einen Anfang, den inzwischen auch die Systemtheorie benutzt: die Selbstreferenz oderVerdoppelung. Er ermglicht, da Nietzsche die Behauptung vom uneingeschrnktenund radikalen Werden durchhalten kann, die ein anfngliches Sein ausschliet (I 211):

    Bewusstes Empfinden ist Empfindung der Empfindung, ebenso bewusstes Urtheilenenthlt das Urtheil dass geurtheilt wird. Der Intellect ohne diese Verdoppelung istuns unbekannt, natrlich. Aber wir knnen seine Thtigkeit, als die viel reichere auf-zeigen. (Es ergiebt sich, dass Empfindung in dem ersten Stadium empfindungslosist. Erst der Verdoppelung kommt der Name zu. Bei der Verdoppelung ist das Ge-dchtnis wirksam.) Fhlen ohne dass es durch das Gehirn gegangen ist: was ist das?Lust und Schmerz reichen nur so weit als es Gehirn giebt.27

    Empfinden wird erst bewut, wenn empfunden wird, da empfunden wird, Urtei-len erst, wenn geurteilt wird, da geurteilt wird, Denken, wenn gedacht wird, dagedacht wird, usw. ,Bewut heit: es wird als solches unterschieden. Dabei wird wohl,etwas empfunden, geurteilt, gedacht, aber dieses ,etwas wird erst bewut, wenn dasUnterscheiden selbst bewut wird. So ist der Anfang das Unterscheiden des Unter-scheidens (Empfinden des Empfindens usw.) selbst, seine Verdoppelung, seineSelbstreferenz. Die Selbstreferenz kommt zwar nur durch die Fremdreferenz zustande,das Unterscheiden wird nur unterschieden, wenn es ,etwas unterscheidet; aber dieses,etwas, das ,Gegebene, das ,Sein bleibt dabei unbekannt. Man kann nicht bei ihmanfangen.

    27 Nachla Frhling - Sommer 1877, KSA 8, 22[113].

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    Das Unterscheiden nun ist immer - nach Nietzsche wie nach modernen Differenz-theorien - ein Entscheiden: ,etwas wird anfnglich als dieses oder als jenes unterschie-den, ohne seinerseits bezeichenbaren Grund. Der Anfang, so Nietzsche, ist ein Glau-ben, ein Fr-wahr-halten, eine Art Ja-Sagen.28 Und dieses Ja-Sagen ist auch schonein Gut-Sagen: alles Sehen, notierte er sich, (da berhaupt etwas wahrgenommenwird, dies Auswhlen) ist schon ein Werthschtzen, ein Acceptiren, im Gegensatze zueinem Zurckweisen und Nicht-sehen-wollen.29 Man kann ,Nein sagen, aber erst aufein Ja-Sagen hin; auf dem Ja-Sagen baut nach Nietzsche - das zieht sich durch seinganzes Denken - alles weitere auf. Mller-Lauter rekonstruiert es Schritt fr Schritt,zeigt, wie nach Nietzsche durch Auswhlen, Hervorheben, Unterstreichen im dauerndenFlu der Orientierung Bestnde auf Zeit, complexe Gebilde von relativer Dauer desLebens innerhalb des Werdens (anstelle von dauerhaften letzten Einheiten, Ato-men, Monaden)30 denkbar werden, stellt die Funktionen dar, die Nietzsche dabeidem Gedchtnis, den Gefhlen, Instinkten und Trieben, dem Schaffen und Dichten,der Abkrzung in Zeichen, den Schemata, dem Verstand (als Hemmungsapparatgegen das Sofort-Reagieren auf das Instinkt-Urtheil31), der Logik, den Idealen gibt. Diehchste Mglichkeit des Ja- und Nein-Sagen-Knnens, der selektiven Kraft, konzipiertNietzsche im Begriff des Dionysischen, als Ideal einer Orientierung, die so, wie sie eszum Handeln unter immer neuen Umstnden braucht, Horizonte schlieen und ffnenkann. Der Begriff des Dionysischen erschpft sich darin freilich nicht und bleibt darberhinaus zwiespltig (I 178); in der ungeduldigen Tatphilosophie (I 275) seiner letztenSchriften lt Nietzsche zuvor sorgfltig gezogene Grenzen wieder auer Acht.

    Vom bloen Ja-Sagen-Knnen her lst sich fr Nietzsche auch das Problem derWillensfreiheit auf. Wird es nicht mehr metaphysisch in Begriffe wie Substanz und Kau-salitt gefat, sondern in die offene Konkurrenz von Willen zur Macht entlassen, dannwird der resultierende Wille als mehr oder weniger frei verstndlich, je nach dem Gradder Organisation der Willen zur Macht, die in einem Handlungsentschlu mitwirken (mitden Extremen der Disgregation und der Coordination). Im Bewutsein jedoch wird,so Nietzsches Lsung, das complizirte Wollen als ein Wille interpretiert, zu einem Willenvereinfacht - um des Ja-Sagen-Knnens zu einem Handeln willen. Die metaphysischeLehre von der Willensfreiheit kann das Ja-Sagen und Handeln-Knnen erleichtern, aberes ist schon ein Zeichen von Schwche, sie ntig zu haben. Dem, der sie durchschauthat, reicht das Gefhl oder der Instinkt der Freiheit aus; das Wissen, da es beimGefhl bleiben mu, schwcht nicht, sondern strkt, wie Mller-Lauter mit Nietzschezeigt, das Bewutsein der Verantwortlichkeit.

    Zuletzt tritt fr Nietzsche dann die grosse Politik in den Vordergrund, die unver-meidlich bevorstehende Wirthschafts-Gesammtverwaltung der Erde.32 Er hatte die be-wusste Gesammtregierung der Erde schon frh als knftige Aufgabe gesehen; sie stelltesich ebenfalls vom Nihilismus her.33 Und er war auch schon davon ausgegangen, da

    28 Nachla Frhjahr 1884, KSA 11, 25[168], zit. Mller-Lauter I 203.29 Nachla Sommer-Herbst 1884, KSA 11, 26[71].30 Nachla November 1887 - Mrz 1888, KSA 13, 11[73], zit. Mller-Lauter I 213.31 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[167].32 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[17].33 Vgl. MA I 25: Seitdem der Glaube aufgehrt hat, dass ein Gott die Schicksale der Welt im

    Grossen leite und, trotz aller anscheinenden Krmmungen im Pfade der Menschheit, sie dochherrlich hinausfhre, mssen die Menschen selber sich kumenische, die ganze Erde umspan-nende Ziele stellen.

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    das Ganze der Welt in seiner eigenen Ordnung nicht zu fassen, da es fr uns Chaosist34 und da auch wir selbst Teil dieses Chaos sind.35 Chaos schlo fr ihn Organisationjedoch nicht aus, im Gegenteil, es forderte sie heraus, forderte geborene Organisatoren,die auf einmal ein Herrschafts-Gebilde hinstellen knnen, das lebt, in dem Theileund Funktionen abgegrenzt und bezglich gemacht sind, in dem Nichts berhaupt Platzfindet, dem nicht erst ein Sinn in Hinsicht auf das Ganze eingelegt ist.36

    Nietzsche sprach hier von den Gewaltakten staatlicher Vergemeinschaftung und derKnstler-Gewaltsamkeit, die dabei am Werk sei. Fr die bevorstehende Wirthschafts-Gesammtverwaltung der Erde reichte der Gesichtspunkt nicht aus. Hier half ihm eineNeuerscheinung weiter, die statt der Gewalt die konomie stark machte: Cultur undNatur. Studien im Gebiete der Wirthschaft von Emanuel Herrmann, Professor fr National-konomie und Finanzwissenschaft in Wien, erschienen Berlin 1887.37 Nietzsche erwarbdas Buch, versah es mit zahlreichen Unterstreichungen und Randbemerkungen undmachte Exzerpte. Von Montinari nur z. T. als Quelle Nietzsches registriert, hat es nunMller-Lauter unter Mitwirkung von Hubert Treiber umfassend erschlossen.

    Herrmann stellte das Ganze des Lebens von der Entwicklung der Lebewesen bis zurOrganisation der Weltwirtschaft konsequent unter den Gesichtspunkt der konomie.Er deutete auch Darwins Evolutionstheorie konomisch: die Evolution arbeite nach demPrincip der grten Gewinne und kleinsten Verluste.38 Nietzsche notierte im Herbst1887: das, was das Wachsthum im Leben ausmacht, ist die immer sparsamer und weiterrechnende konomie, welche mit immer weniger Kraft immer mehr erreicht. Als Idealdas Princip des kleinsten Aufwandes 39 Nicht mechanisch, aber konomisch sei, soHerrmann, durch Austausch, Aufspeicherung und Umsetzung von Krften eineVer mehr ung der Kraft mglich; kompliziertere Organismen organisierten die Kraftkonomischer.40 Auch Kulturphnomene lieen sich konomisch verstehen: So sei diereligise Schwrmerei [] wirthschaftlich als eine Anleihe zu betrachten, welche an dasJenseits gemacht wird und die Schmerzen und Kmmernisse des Diesseits leichter ertra-gen hilft. Eine solche Flucht der Phantasie zum Himmel sei wohl eine Fehlinvesti-tion; doch der Gedanke Gottes habe als Centra l i s i r ungs-Gedanke zugleichdie Oekonomie des menschlichen Geistes zur Stufe intens iver Wir thschafterhoben und sich so auch konomisch bewhrt.41 Staaten seien nur Zwischenstufenin der Organisation der Weltwirthschaft, die den Typus der einheitlichen Maschine-rie erhalten msse, die wie eine Lokomotive dem Hebeldrucke ihres Fhrersgehorche.42 Herrmann geht dabei jedoch davon aus, da sich die menschlichenSpecialbestrebungen wie Wirtschaft, Moral, Religion (heute: soziale Funktionssysteme)

    34 Vgl. FW 109: Der Gesammt-Charakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos, nichtim Sinne der fehlenden Nothwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form,Schnheit, Weisheit, und wie alle unsere sthetischen Menschlichkeiten heissen.

    35 Vgl. GD, Die vier groen Irrthmer, 8: Man ist nothwendig, man ist ein Stck Verhngniss,man gehrt zum Ganzen, man is t im Ganzen, - es giebt Nichts, was unser Sein richten,messen, vergleichen, verurtheilen knnte, denn das hiesse das Ganze richten, messen, verglei-chen, verurtheilen Aber es g iebt Nichts ausser dem Ganzen!

    36 GM II 17.37 Im folgenden CN. - Die 2. Aufl. folgte noch in demselben Jahr.38 CN 265, zit. Mller-Lauter II 182.39 KSA 12, 10[138].40 CN 78 ff., Exzerpt Nietzsche Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[16], zit. Mller-Lauter II 353 f.41 CN 218 ff., zit. Mller-Lauter II 354 ff.42 CN 23, 300, 319 f.

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    eigentmlich organisieren und entwickeln, und macht es den Sozialisten und Kommu-nisten darum zum Vorwurf, da sie das g anze menschliche Dasein einheitlichorganisiren wollten.43

    Nietzsche kamen diese Gedanken sichtlich entgegen - bis auf die Schlsse, die Herr-mann fr die Zukunft daraus zog. Denn Herrmann erwartete, da die konomischeKonkurrenz schlielich zu allgemeiner Wohlfahrt und Harmonie fhren und die Mensch-heit am Ende zur vollen Wechse lse i t igke i t der Liebe erlst werde.44 HerrmannsVertrauen in die instrumentelle Vernunft, so Mller-Lauter, ist am Vorabend des kata-strophenreichen 20. Jahrhunderts nahezu grenzenlos. Er sieht die Phase der Entwicklungdes Menschen als berwunden an, in der dieser ,die Blutgier eines re ienden Raubthiersmit der Schlauheit, Behendigkeit und Findigkeit eines Nagers vereinigt hat und ,dieBestie in geradezu teuflischer Gestalt darstellte. Er findet den Menschen auf dem Wegezu ,einer bessern, frieden- und freudenreichen Zukunft, in der die Leidenschaft des Indi-viduums fast gnzlich ausgemerzt, dagegen die Arbeits- und Leistungskraft desselben insUnendliche gesteigert sein wird, ,und zwar in stet iger Verwendung als Bestandtheil vonMassenvorgngen technisch-konomischer Art zum Wohle und Glcke der Gesammt-heit.45

    Nietzsche erwartete ganz andere Folgen der konomie im Gesetz des Lebens46fr die knftige Organisation der Menschen. Sie muten in seinem Sinn zugleich Folgendes Nihilismus sein. Danach werde es, so notierte er im Anschlu an seine Herrmann-Lektre, zu einem immer konomischeren Verbrauch von Mensch und Menschheitkommen. In der immer fester in einander verschlungenen Maschinerie der Interessenund Leistungen werde sich einerseits ein Durchschnitts-Mensch herausbilden, der sichals ein ungeheures Rderwerk von immer kleineren, immer feiner angepaten R-dern in die Maschinerie einpasse, und in einer Gegenbewegung dazu ein hhererTypus, der Typus des synthet i schen, des summirenden, des rechtfer t igendenMenschen, fr den jene Machinalisirung der Menschheit eine Daseins-Vorausbedingungist, als ein Untergestell, auf dem er seine hhere For m zu se in sich erfinden kannund fr den er, Nietzsche, den ,Begriff, das ,Gle ichni, das Wort ,bermenschhabe: Moralisch geredet, stellt jene Gesammt-Maschinerie, die Solidaritt aller Rder,ein maximum in der Ausbeutung des Menschen dar: aber sie setzt solche voraus,derentwegen diese Ausbeutung Sinn hat. Sie knnten das neue Wozu? sein, dasdie Menschheit nthig hat 47 Auch Staat und Gesellschaft bekommen fr Nietz-sche dadurch wieder Sinn: als Unterbau: weltwirtschaftlicher Gesichtspunkt, Erziehungals Zchtung.48

    Die Weltwirthschaft ermglichte Nietzsche so eine ber mora l i sche Denk-weise im Blick auf das Ganze.49 Ihr Mastab wre dann nicht mehr Dauer, sonderneine werthre ichere Existenz der Gattung.50 Und in dieser bermoralischen konomi-schen Denkweise, reflektiert er weiter, wre dann auch Gott neu denkbar, nicht als

    43 CN 294 ff., zit. Mller-Lauter II 191.44 Vgl. CN 115 f.45 II 367, Zitate aus Emanuel Herrmanns spterem Werk Das Geheimni der Macht (Berlin 1896.

    S. 10 f.).46 GD, Moral als Widernatur 6.47 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[17].48 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 9[1].49 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[134].50 Nachla Frhjahr 1888, KSA 13, 14[182].

  • Rezensionen486

    treibende Kraft, sondern Gott als Maximal-zustand, als eine Epoche Ein Punktin der Entwicklung des Wi l lens zur Macht , aus dem sich ebenso sehr die Weiterent-wicklung als das Vorher, das Bis-zu-ihm erklrte 51 Doch Nietzsche verwehrt sichden Gedanken wieder: Gott ist nutzlos, wenn er nicht etwas will, und andrerseitsist eine Summir ung von Unlust und Unlogik damit gesetzt, welche den Ge-sammtwerth des Werdens erniedrigen wrde: glcklicherweise fehlt gerade einesolche summirende Macht.52

    Die Rolle des Wiederkunftsgedankens

    Der Gesichtspunkt der konomie knnte, so Mller-Lauter, auch fr das Verstndnisdes Wiederkunftsgedankens von Bedeutung sein. Er hlt daran fest, da der Wieder-kunftsgedanke als kosmologische These weder sinnvoll noch tragfhig ist; wenn Nietz-sche versucht habe, ihn theoretisch zu ,beweisen oder wenigstens ,plausibel zu ma-chen, so nur, um durch seine Lehre seine knftige Einverleibung vorzubereiten (II250). Die kosmologische Plausibilisierung knne, selbst wenn sie gelnge, nicht Voraus-setzung, sondern nur Konsequenz des Glaubens an die Wiederkehr sein: Die Fragenach der Beweisbarkeit des unendlichen Kreislaufs spielt keine Rolle, wenn NietzschesZarathustra sich dem Gedanken der ewigen Wiederkunft ausgesetzt sieht, ihn durchleidetund ihn schlielich verkndet. (II 263) Nietzsche htte ihn nicht gut den schwerstenGedanken nennen knnen, wenn er sich wissenschaftlich beweisen liee, denn dann wreer ja leicht fr jedermann nachzuvollziehen: aus einem ,Beweis der ewigen Wiederkunftdes Gleichen [kann] zunchst lediglich das Fr-wahr-halten einer Theorie hervorgehen,nicht aber der lebendige und geschichtswirksame Glaube, um den es Nietzsche geht.(II 265) Mller-Lauter weist in einem ausfhrlichen Exkurs (II 269-309) damit auchGnter Abels Beweisversuche zurck, die bei der Logik eines in sich absolut notwen-digen Interpretations-Geschehens ansetzten.53 Jede Art von Logik, die dem Ganzenunterstellt wrde, nhmen ihm seinen beunruhigenden und nigmatischen Charakter,den ihm Nietzsche gerade bewahren wollte (II 295), und jede Interpretations-Logikknne nach Nietzsche auch wieder von andern abgelst werden (II 292 f.).

    Nietzsches Gedanke gibt nach Mller-Lauter statt dessen eine Interpretation desAlls, die das Chaos immer schon voraussetzt (II 345), in diesem Chaos jedoch eineOrientierung bietet und vor einer letzten Verlorenheit bewahrt (II 348). Er bewahrevor der Verlorenheit als Gipfel des Ja-Sagens, des Ja-Sagen-Knnens dazu, da alles inder kontingenten Unterscheidung, in der es sich jetzt zeigt, in gleicher Weise ewig wieder-kehrt, als Lebensbejahung, fr die damit jedes besondere Ja-sagen ein ewiges Ja bedeu-tete. (I 180; vgl. I 286-301) Und er biete Orientierung, wenn er aus der konomiedes Lebens verstanden werde: als Kreislauf des Aufsteigens zu und des Absteigens vonkonomischen Maximal-zustnden (II 238-241). Darber hinaus ist seine Wirkungnur bedingt eine Sache des Willens. Nietzsche beschreibt ihn als Schwergewicht, dasdas Denken zentriert und bindet und so das Handeln leitet, und er beschreibt den Ein-

    51 Nachla Herbst 1887, KSA 12, 10[138].52 Nachla November 1887 - Mrz 1888, KSA 13, 11[72].53 Abel, Gnter: Nietzsche. Die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr. Berlin,

    New York 1984 (Monographien und Texte der Nietzsche-Forschung, Bd. 15). 2. Auflage. Berlin,New York 1998 (Studienbuch).

  • Rezensionen 487

    gang des Gedankens in das Denken als Gewalt, die nur die Wahl lt, sie zu verfluchenoder zu vergttlichen (FW 341). Wir sind mit dem Gedanken der ewigen Wiederkehrdes Gleichen wohl noch nicht fertig geworden und darum auch nicht mit der Frage desNihilismus, auf den er eine Antwort sein sollte. Ihre weitere Ausarbeitung, schlietWolfgang Mller-Lauter sein Werk, bleibt Aufgabe der gegenwrtigen Philosophie (III348).