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entwickeln lernen entfalten Newsletter Sozial- und Erziehungsdienst Juli 2015 ver.di fragt die Mitglieder Schlichtungskommission legt Empfehlung vor Inhalt SozialarbeiterInnen sichern den sozialen Frieden Seiten 2 und 3 Kifög: Schwarz-Grün lässt sich Zeit Seite 4 ErzieherInnen: Mehr Stress als in anderen Berufen Seite 4 Impressum Herausgeber und V.i.S.d.P.: ver.di-Landesbezirk Hessen Fachbereich Gemeinden Kristin Ideler Postfach 200 255 60606 Frankfurt am Main Tel.: 069 2569-1242 Fax: 069 2569-2662 E-Mail: [email protected] Redaktion: Michaela Böhm, Frankfurt a. M. Fotos: Buhle, Schmidt Layout: winterstein . grafik . design, Oberwesel Druck: Druckerei Imprenta, Obertshausen Die gute Nachricht: Für alle Be- schäftigtengruppen wurden Ver- besserungen erreicht. Auch für die, die nach dem Willen der Arbeit- geber hätten leer ausgehen sollen, wie Behindertenhilfe oder Sozial- arbeit. Die schlechte Nachricht: Eine generelle Aufwertung ist nicht erreicht worden. In einigen Städten und Kommunen haben die pädagogischen Fachkräfte bereits kontrovers über die Schlichtungs- empfehlung diskutiert, ebenso wie die 300 KollegInnen auf der Streik- delegiertenkonferenz in Frankfurt. Bei den darauffolgenden Tarifver- handlungen wollte ver.di weitere Verbesserungen erreichen, etwa Höhergruppierungen für Sozial- arbeiterInnen sowie eine kürzere Laufzeit des Tarifvertrags. Dies lehnten die Arbeitgeber rundweg ab. Sie wollen die Schlichtungs- empfehlung so annehmen, wie sie vorliegt. Nun wird ver.di die Mitglieder befragen. „Wer sollte besser über die Schlichtungsempfehlung ent- scheiden können, als die betroffe- nen ver.di-Mitglieder im Sozial- und Erziehungsdienst?“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. In den nächsten Wochen wird das Thema die Aktiven weiter be- schäftigen: Schlichtungsempfeh- lung annehmen? Oder ablehnen und möglicherweise weiter strei- ken? Nach der Mitgliederbefragung findet eine weitere Streikdele- giertenkonferenz statt; am 13. August verhandelt ver.di wieder mit den Arbeitgebern. Vier Wochen Streik, fantasievolle Aktionen, lautstarke Kundgebungen – selbst die Optimisten in ver.di waren über die große Bewegung der pädagogischen Fachkräfte überrascht. Umso heftiger ist die Ernüchterung bei ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen, dass sich die Arbeitgeber einer generellen Aufwertung der Berufe verweigern. „Zu mehr waren die Arbeitgeber nicht bereit“ Wie war die Stimmung bei den Schlichtungsverhandlungen? Karakas-Blutte: Kaum anders als während der Tarifverhandlungen. Die Arbeitgeber blieben bei ihrer Abwehrhaltung. Sie weigerten sich, die Sozial- und Erziehungsberufe generell aufzuwerten. Es war für die Schlichter harte Arbeit, sie dennoch zu Zugeständnissen zu bewegen. Letztlich ist es den Schlichtern ge- lungen, kleine Verbesserungen zu erreichen. Wie bewertest du die Schlichtungsempfehlung? Karakas-Blutte: Ich kann die Enttäuschung der Kollegen und Kolleginnen, die sich vier Wochen lang mit viel Engagement für eine Aufwertung eingesetzt haben, gut nachvollziehen. Die Schlichtungs- empfehlung ist weit entfernt von ihren Erwartungen. Doch mehr war nicht rauszuholen. Man muss es so deutlich sagen: Die Arbeitgeber waren zu mehr nicht bereit. Ist es eine Niederlage? Karakas-Blutte: Sieg oder Nieder- lage sind hier die falschen Voka- beln. Die Kollegen und Kollegin- nen haben im Streik enorm Druck gemacht und eine tolle Bewegung in Gang gesetzt. Das war die Vor- aussetzung für die Verhandlungen, das sollte man nicht vergessen. Es ist uns auch gelungen, unser An- liegen in die Öffentlichkeit zu brin- gen. Das werden wir auch weiter vorantreiben müssen. Wir werden künftig noch viel deutlicher machen, was Sozial- und Erziehungsberufe für die Gesellschaft leisten. Wie geht es weiter? Karakas-Blutte: Wir werden die Kolleginnen und Kollegen zunächst informieren, was genau in der Schlichtungsempfehlung steckt, die ist kompliziert. Sie müssen in der Mitgliederbefragung bewerten, ob sie die Empfehlung annehmen oder ablehnen. Aydan Karakas-Blutte, eine von zehn gewerkschaftlichen Mit- gliedern in der Schlichtungskommission, bewertet die Schlich- tungsempfehlung. Aydan Karakas- Blutte ist Perso- nalratsvorsitzende der Stadt Kassel und Mitglied der Schlich- tungs- und Bundestarifkom- mission Erst die Schlichtungskommis- sion hat dafür gesorgt, dass die SozialarbeiterInnen nicht leer ausgehen. Für sie hatten die Arbeitgeber nichts übrig. Warum eine Aufwertung not- wendig ist, zeigt der News- letter. In eigener Sache 16.000 Beschäftigte gingen Ende Mai in Frankfurt auf die Straße

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entwickelnlernenentfalten

Newsletter

Sozial- undErziehungsdienst

Juli 2015

ver.di fragt die MitgliederSchlichtungskommission legt Empfehlung vor

Inhalt

SozialarbeiterInnen sichernden sozialen Frieden

Seiten 2 und 3

Kifög: Schwarz-Grün lässt sichZeit Seite 4

ErzieherInnen: Mehr Stress alsin anderen Berufen

Seite 4

ImpressumHerausgeber und V.i.S.d.P.: ver.di-Landesbezirk HessenFachbereich GemeindenKristin IdelerPostfach 200 25560606 Frankfurt am MainTel.: 069 2569-1242Fax: 069 2569-2662E-Mail: [email protected]: Michaela Böhm, Frankfurt a. M.Fotos: Buhle, SchmidtLayout: winterstein . grafik . design, OberweselDruck: Druckerei Imprenta, Obertshausen

Die gute Nachricht: Für alle Be-schäftigtengruppen wurden Ver-besserungen erreicht. Auch für die,die nach dem Willen der Arbeit-geber hätten leer ausgehen sollen,wie Behindertenhilfe oder Sozial-arbeit. Die schlechte Nachricht:Eine generelle Aufwertung ist

nicht erreicht worden. In einigenStädten und Kommunen haben diepädagogischen Fachkräfte bereitskontrovers über die Schlichtungs-empfehlung diskutiert, ebenso wiedie 300 KollegInnen auf der Streik-delegiertenkonferenz in Frankfurt.Bei den darauffolgenden Tarifver-

handlungen wollte ver.di weitereVerbesserungen erreichen, etwaHöhergruppierungen für Sozial-arbeiterInnen sowie eine kürzereLaufzeit des Tarifvertrags. Dieslehnten die Arbeitgeber rundwegab. Sie wollen die Schlichtungs-empfehlung so annehmen, wie sievorliegt.

Nun wird ver.di die Mitgliederbefragen. „Wer sollte besser überdie Schlichtungsempfehlung ent-scheiden können, als die betroffe-nen ver.di-Mitglieder im Sozial-und Erziehungsdienst?“, sagte derver.di-Vorsitzende Frank Bsirske.In den nächsten Wochen wird dasThema die Aktiven weiter be-schäftigen: Schlichtungsempfeh-lung annehmen? Oder ablehnenund möglicherweise weiter strei-ken? Nach der Mitgliederbefragungfindet eine weitere Streikdele-giertenkonferenz statt; am 13.August verhandelt ver.di wiedermit den Arbeitgebern.

Vier Wochen Streik, fantasievolle Aktionen, lautstarke Kundgebungen – selbst die Optimisten inver.di waren über die große Bewegung der pädagogischen Fachkräfte überrascht. Umso heftigerist die Ernüchterung bei ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen, dass sich die Arbeitgeber einergenerellen Aufwertung der Berufe verweigern.

„Zu mehr waren die Arbeitgeber nicht bereit“

Wie war die Stimmung bei denSchlichtungsverhandlungen?Karakas-Blutte: Kaum anders alswährend der Tarifverhandlungen.Die Arbeitgeber blieben bei ihrer

Abwehrhaltung. Sie weigerten sich,die Sozial- und Erziehungsberufegenerell aufzuwerten. Es war für dieSchlichter harte Arbeit, sie dennochzu Zugeständnissen zu bewegen.Letztlich ist es den Schlichtern ge-lungen, kleine Verbesserungen zuerreichen.

Wie bewertest du dieSchlichtungsempfehlung?Karakas-Blutte: Ich kann dieEnttäuschung der Kollegen undKolleginnen, die sich vier Wochenlang mit viel Engagement für eineAufwertung eingesetzt haben, gutnachvollziehen. Die Schlichtungs-empfehlung ist weit entfernt vonihren Erwartungen. Doch mehr warnicht rauszuholen. Man muss esso deutlich sagen: Die Arbeitgeberwaren zu mehr nicht bereit.

Ist es eine Niederlage?Karakas-Blutte: Sieg oder Nieder-lage sind hier die falschen Voka-beln. Die Kollegen und Kollegin-nen haben im Streik enorm Druckgemacht und eine tolle Bewegungin Gang gesetzt. Das war die Vor-aussetzung für die Verhandlungen,das sollte man nicht vergessen. Esist uns auch gelungen, unser An-liegen in die Öffentlichkeit zu brin-gen. Das werden wir auch weitervorantreiben müssen. Wir werdenkünftig noch viel deutlicher machen,was Sozial- und Erziehungsberufefür die Gesellschaft leisten.

Wie geht es weiter? Karakas-Blutte: Wir werden dieKolleginnen und Kollegen zunächstinformieren, was genau in derSchlichtungsempfehlung steckt, dieist kompliziert. Sie müssen in derMitgliederbefragung bewerten, obsie die Empfehlung annehmen oderablehnen.

Aydan Karakas-Blutte, eine von zehn gewerkschaftlichen Mit-gliedern in der Schlichtungskommission, bewertet die Schlich-tungsempfehlung.

Aydan Karakas- Blutte ist Perso-nalratsvorsitzende der StadtKassel und Mitglied der Schlich-tungs- und Bundestarifkom-mission

Erst die Schlichtungskommis-sion hat dafür gesorgt, dassdie SozialarbeiterInnen nichtleer ausgehen. Für sie hattendie Arbeitgeber nichts übrig.Warum eine Aufwertung not-wendig ist, zeigt der News-letter.

In eigener Sache

16.000 Beschäftigte gingen Ende Mai in Frankfurt auf die Straße

Jul i /20152

Sie sichern den sozialen Frieden SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen streiken für Aufwertung

„Ziel unserer Arbeit ist es, dafür zusorgen, dass verhaltensauffälligeKinder in der Regelschule bleibenkönnen. Meist wenden sich Grund-schullehrerInnen an uns, weil Kinderaggressiv oder auf andere Weiseauffällig in ihrem Verhalten sind.Unsere Arbeit hat sich sehr verän-dert. Früher wurden pro Fall zweiJahre angesetzt. Heute sollen wirdas in einem Jahr schaffen. Aller-dings sind die Probleme vielfältigergeworden. Ist heute ein Kind auf-fällig, kann es sein, dass sich da-hinter eine traumatische Flucht, einungesicherter Aufenthalt, Trennung,

Gewalt, Armut verbergen, alles ineiner Familie. Wir sind in unsererStation aber nur zwei Sozialarbei-terinnen und drei Förderschullehrer-Innen. Das ist so wenig, dass wir inKrisen oft nur beraten können oder –was ich besonders schlimm finde –Kinder zur psychiatrischen Über-prüfung schicken, damit ihnen we-nigstens ein Integrationshelfer zurSeite gestellt wird. Ihnen wird einStempel aufgedrückt, weil uns Per-sonal fehlt. Wir verwalten einenMangel, das ist frustrierend.

Klar, eine Höhergruppierungwürde an der Situation nichts än-

dern. Aber ich könnte meine Ar-beitszeit reduzieren, denn die Ar-beit ist enorm belastend. Das kannich mir aber finanziell nicht leisten.“

Sie betreuen verhaltensauffällige Kinder. Sie sorgen sich um misshandelte und vernachlässigteJugendliche, um Flüchtlinge und psychisch Kranke. SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnensind für Menschen am Rande der Gesellschaft da und sichern den sozialen Frieden in einer Stadt.Doch wertgeschätzt wird ihre Arbeit kaum.

Die gute Nachricht: Die Hilfsbe-reitschaft von Kirchgemeinden, Ver-einen, Nachbarn, BürgerInnen undFirmen in Wiesbaden ist groß. Siespenden Zeit, Geld und Sachmittel,um Flüchtlingen zu helfen. DerHaken: Die Koordination und Orga-nisation frisst viel Zeit, sagt Mat-thias Gernhardt, Sozialarbeiter imSozialdienst Asyl bei der StadtWiesbaden. „Dafür müssten zusätz-liche Arbeitsstellen geschaffenwerden, damit die Sozialarbeiter-Innen sich ihrer eigentlichen Arbeitwidmen können: Flüchtlinge zu be-treuen.“ Gernhardt und seine Kol-legInnen vermitteln zwischen Flücht-lingen und deutscher Realität,unterstützen bei der Suche nach

Ärzten und erklären, was kaum einerversteht: Warum einem Flüchtlingmehr zusteht als einem anderen,abhängig von seinem Status. Undsie deeskalieren. Weil es zu Konflik-ten kommt, wenn viele Menschenunterschiedlicher Kulturen so engbeieinander wohnen, jegliche Be-schäftigung fehlt und Traumata undFluchtgründe belasten. „Die Arbeitist kräftezehrend“, sagt Gernhardt.Und deckt die ganze Bandbreite vonSozialarbeit ab: vom Schutz gefähr-deter Kinder über Vermittlung vonHebammen für womöglich genital-verstümmelte Frauen bis zu alleinste-henden Männern, die keine Men-schenseele in Deutschland kennen.SozialarbeiterInnen in der Flücht-

lingshilfe sind ExpertInnen aller ein-schlägigen Gesetze und Vermittlerzwischen Kulturen und Religionen.Und immer ist da auch die Furcht,dass Anschläge auf Unterkünftebegangen werden könnten.„Wasich mir wünsche, ist eine Aner-kennung dessen, was wir tun.“

Flüchtlingssozialarbeit

Matthias Gernhardt, 56,Sozialarbeiter, Wiesbaden

„Wir verwalten den Mangel“

Karolin Kritzer, 32,Sozialpädagogin im „Zentrumfür Erziehungshilfe“, Frankfurt

Mit Menschenketten undMahnwachen, Bannern undSpruchbändern haben sichdie vielen ErzieherInnenund SozialarbeiterInnen inder Öffentlichkeit zu Wortgemeldet und fantasievollund lautstark für die Auf-wertung ihrer Berufe ein-gesetzt.

Der zweijährige Kevin, misshandelt,tot, im Kühlschrank verwahrt.Yagmur, 3, totgeschlagen. Chantal,11, mit Methadon vergiftet. SolcheFälle erschrecken die Öffentlichkeit.Oft werden die Behörden dafür ver-antwortlich gemacht. Diese Fällewaren Anlass, um einiges zu ändern.Einrichtungen arbeiten heute bes-

ser zusammen, die Aufmerksamkeitfür gefährdete Kinder und Jugend-liche sei größer, sagt SozialarbeiterUlrich Matthes vom JugendamtOffenbach.

Er ist dafür zuständig, Kinderund Jugendliche in Not außerhalbihrer Familie unterzubringen. Dochdie Fälle werden immer mehr. „Voracht Jahren hatte ich 40, heutehabe ich 60 bis 70 Fälle. Und jederverlangt meine volle Aufmerksam-keit. Selbst wenn die Akten zueinem Sorgerechtsstreit 1000 Seitenbeinhalten, sollte ich die alle durch-arbeiten, um eine faire Stellung-nahme vor dem Familiengericht ab-geben zu können.

Die steigende Zahl von Fällenhat auch mit der großen Armut inOffenbach zu tun. Sie ist oft Grundfür die gewaltigen Probleme in derFamilie. Früher hat ein ungelernterArbeiter noch als Tagelöhner sein

Auskommen gehabt, heute ist er zurDauerarbeitslosigkeit verdammt.Mit der Armut steigen auch dieZahlen der Inobhutnahmen. So heißtes, wenn ein Kind in Not woan-ders untergebracht werden muss.Aber es kann passieren, dass icheinen Tag herumtelefoniere undkeinen Platz finde, weil es nichtgenügend passende Einrichtungenmit freien Kapazitäten gibt.

Für mich bedeutet die Aufwer-tungskampagne von ver.di mehrals nur bessere Gehälter und einSchulterklopfen. Offenbach stehtunterm Rettungsschirm, die Ausga-ben sind gedeckelt, es wird an vie-len Stellen gekürzt oder mit einstkommunalen und jetzt privatenTrägern kooperiert, die betriebs-wirtschaftlich rechnen und Gewinnevorweisen müssen. Die Frage istdoch: Was ist uns der sozialeStandard in einer Stadt wert?“

Sozialarbeit unterm Rettungsschirm

Ulrich Matthes, 62,Sozialarbeiter im JugendamtOffenbach, Abteilung Soziale Dienste

Es sind Menschen mit schwerenDepressionen oder Traumata, mitPersönlichkeitsstörungen oder Psy-chosen, die in die Psychiatrie kom-men. Aufgabe von Birgit Huth-Debus ist es, ihnen auf dem Wegnach draußen zu helfen. Eine Woh-

nung zu finden, wenn die Zwangs-räumung droht, einen Platz in derReha-Klinik, um weiterbehandeltzu werden, in einer Wohngruppeoder bei einem Therapeuten. Undgleichzeitig mit Anträgen, etwa aufGrundsicherung oder Rente, für diefinanzielle Absicherung zu sorgen.Die Sozialpädagogin arbeitet seit27 Jahren in der Klinik und spürtzunehmend den Kostendruck. Ein-weisen, behandeln, entlassen, daspassiert in kürzeren Takten als frü-her. „Weil PatientInnen weniger langauf unserer Station verbleiben, müs-sen wir in kürzerer Zeit sämtlicheHilfe organisieren. Das gelingt aberimmer schlechter. Auch weil Sozial-dienststellen, die wegfallen, nichtimmer neu besetzt werden. Undauch weil etwa ambulante und

andere Einrichtungen fehlen undTherapeutInnen Wartezeiten vonmindestens sechs Monaten haben.Oft können wir nur beraten und diePatientInnen an Stellen vermitteln,die sich weiter darum kümmernsollen, was wir nicht mehr schaffen.“Das macht die Arbeit unbefriedigend.Zudem „müssen wir alles permanentdokumentieren als Nachweis für denKostenträger“. Das kostet Zeit, diewiederum den PatientInnen abgeht.Anerkennung für Arbeit sollte sichauch in einem ordentlichen Gehaltwiderspiegeln, findet Birgit Huth-Debus. „Doch für unsere emotionalsehr belastende Arbeit mit psychischkranken, oftmals traumatisiertenoder suizidalenMenschen, werdenwir nicht adäquat bezahlt.“

Einweisen, behandeln, entlassen

Birgit Huth-Debus, 54,Sozialpädagogin, VitosPhilippshospital, Riedstadt

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4 Jul i /2015

Schwarz-Grün lässt sich ZeitKifög auf dem Prüfstand

Wie sich das Kifög auf die Einrich-tungen auswirkt, das wird nunwissenschaftlich ausgewertet. BisEnde Mai sollten die hessischenTräger von Kindertageseinrichtun-gen den 14-seitigen Fragebogenausfüllen. Darin wird auch explizitnach einer Einschätzung zum Kiföggefragt. Kurzum: Ob das Gesetzmehr Vor- als Nachteile bringt, obman mit dem Kifög auf dem richti-gen Weg ist oder angemessene

Kinderförderung anders aussieht.Hubert Lorenz-Medick von derIntegrativen Kindertagesstätte derLebenshilfe in Idstein äußert sicheindeutig: Mehr Qualität in der Kin-derbetreuung bringt das Gesetznicht.

Ergebnisse der wissenschaftli-chen Auswertung erwartet das hes-sische Sozialministerium jedoch erstbis Ende 2016. So lange möchte dieSPD im Landtag nicht warten. Sie

will schon jetzt „offensichtlicheMängel“ beheben. Nach Ansichtder SPD betreffe das die Betreu-ung behinderter Kinder, kleinereEinrichtungen und die Förderungvon langen Betreuungszeiten.

Noch können sich die Trägermit der Umsetzung des Kifög Zeitlassen. Erst ab September müssenalle auf das neue Fördersystem um-gestellt haben, wonach die Zuschüs-se nicht mehr pro Gruppe, sondernpro Kind berechnet werden. Offen-sichtlich versuchen die Kommunenselbst, die gröbsten negativenFolgen auszugleichen. Vor allemstöhnen die Träger jedoch überdie Zunahme von Bürokratie.

Gegen das hessische Kinderförderungsgesetz (Kifög) hatte esvon allen Seiten Kritik gehagelt. Dennoch hat die schwarz-grüneLandesregierung das Gesetz bis auf kleine Änderungen am 1.Januar 2014 fast unverändert in Kraft gesetzt. Am 14. Septembertrifft sich der Runde Tisch Kinderbetreuung erneut.

Sinnvolle Arbeit,wenig GeldSie tun ihre Arbeit gern und wissen,dass sie einen wichtigen Beitragfür die Gesellschaft leisten. Dochihr Beruf geht einher mit großenkörperlichen und psychischen Be-lastungen. Zudem empfinden zweiDrittel aller ErzieherInnen ihrenLohn als nicht leistungsgerecht. Nurjede und jeder Dritte geht davonaus, bis zur Rente durchhalten zukönnen. Das sind Ergebnisse desaktuellen DGB-Index Gute Arbeitfür die Erziehungsberufe. Mehrdazu unter http://index-gute-arbeit.dgb.de/

Vorerst genugNachwuchskräfteDie Nachfrage ist ungebrochen, dieAnziehung des ErzieherInnen-Berufshoch: Zwischen den Schuljahren2007/08 und 2012/13 hat sich dieZahl der AbsolventInnen von Fach-schulen für Sozialpädagogik umdas 15fache auf rund 23.600 er-höht. Das zeigt der „Fachkräfteba-rometer Frühe Bildung“. Modell-rechnungen zeigen, dass genugNachwuchskräfte ausgebildet wer-den, um bis 2025 die in Rentegehenden ErzieherInnen zu erset-zen und einen weiteren U3-Aus-bau zu schultern. Ein besserer Perso-nalschlüssel sei damit aber nichtzu erreichen. Dafür müssten weite-re Fachkräfte gewonnen werden.Eine höhere Bezahlung biete einenAnreiz, nicht nur eine Ausbildungzu beginnen, sondern auch lang-fristig in dem Beruf zu bleiben.Das „Fachkräftebarometer FrüheBildung“ ist ein Projekt der Weiter-bildungsinitiative FrühpädagogischeFachkräfte, die vom Bundesminis-terium für Bildung und Forschung,der Robert Bosch Stiftung und demDeutschen Jugendinstitut getragenwird. www.fachkraeftebarometer.de

UngerechtDie Löhne werden laut einer Studieder Bertelsmann-Stiftung in dennächsten fünf Jahren in Deutsch-land steigen. Allerdings werdenSozialberufe und Dienstleister we-niger profitieren als Beschäftigteim produzierenden Gewerbe.

Auch bei den psychischen Anfor-derungen zeigt sich bei Erzieher-Innen ein besonderes Profil. Siemüssen seltener als andere Beschäf-tigte Routinearbeiten erledigenund stattdessen häufig mehrereVorgänge gleichzeitig im Augebehalten. Und sie berichten häufi-ger von Stress und Arbeitsdruck.Das geht aus der Erwerbstätigen-

befragung vor, die das Bundesinsti-tut für Berufliche Bildung (BIBB)und die Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin (BAuA)2012 durchgeführt hat. Unter den20.000 Erwerbstätigen, die befragtwurden, waren knapp 400 Erzie-herInnen.

Zu ähnlichen Ergebnissenkommt eine Studie des Tübinger

Forschungsinstituts für Arbeit, Tech-nik und Kultur. Dafür wurden 3.200kommunale Beschäftigte in 34Städten und Gemeinden befragt,darunter 680 aus dem Sozial- undErziehungsdienst. Immer mehr Auf-gaben haben sie zu bewältigen,sagten 93 Prozent der Erzieher-Innen und SozialarbeiterInnen ausJugendeinrichtungen, Ganztags-schulen, Heimen oder Behinderten-einrichtungen. Mehr Infos unter

http://boeckler.de/54260_54273.htm

Mehr Stress als in anderen BerufenBefragung von ErzieherInnen

Was jede Erzieherin täglich bei ihrer Arbeit erlebt, bestätigenBefragungen: Die fachlichen Anforderungen haben sich erhöht,sagen 60 Prozent der ErzieherInnen. In anderen Berufen gebendas nur 46 Prozent der Befragten an.

Sie reißen aus, weil es zu Hause un-erträglich ist. Flüchten vor Schlägen,Armut oder sexuellem Missbrauchund landen in einer Szene, die„stressig und gewalttätig“ ist. ImBahnhofsviertel treffen die Ju-gendlichen und jungen Erwach-senen Martin Dörrlamm. DerStreetworker ist zwischen Nidda-,Elbe-, Mosel- und Taunusstraßeunterwegs und will eins: DenGestrandeten eine Perspektive„jenseits des Drecks“ geben.Doch das wird immer schwieriger.Seit die fünf Streetworker-Stellenim Bahnhofsviertel auf 1,5 ge-schrumpft sind, geht vieles nicht

mehr, was vorher möglich war.Etwa einen Jugendlichen in einerWohnung unterzubringen. WeilSozialarbeiterInnen fehlen, die ihnintensiv betreuen. Und Einrichtun-gen wie das „Sleep in“ dichtge-macht wurden. Dort war für Ju-gendliche ein Bett frei, wenn sienicht mehr wussten wohin odervon der Polizei aufgegriffen wur-den. Seine Arbeit zehrt an ihm.„Sie ist aber auszuhalten, wennich etwas bewegen kann.“ Doches wird schwer, „wenn ich zusehenmuss, wie die Kids auf der Straßekrepieren.“ Weil das Hilfesystemnicht funktioniert, der Jugendhilfe-

etat nicht aufgestockt wird undweil es an Personal und an Ein-richtungen fehlt. Deshalb hatDörrlamm mitgestreikt. „Ich willmeine Arbeit so machen können,dass sie den Kids hilft.“

Streetwork in der Szene

Martin Dörrlamm, 51,Streetworker, KommunaleKinder-, Jugend- undFamilienhilfe, Frankfurt