Renaissance einer Weltmacht

1
Seite 4 RotFuchs / August 2014 Rußland kann den USA wieder auf Augenhöhe begegnen Renaissance einer Weltmacht S eit dem offenen Ausbruch der Ukraine- Krise plagen sich Analytiker, Polemiker, Globalpolitiker, Militärstrategen, Kom- mentatoren und Kaffeesatzleser – und zwar nicht nur im Paktbereich der NATO – permanent mit der Frage: Was hat Putin militärpolitisch mit Rußland vor? Putin, der Autokrat, Putin, der Erbe Jelzinscher Oligarchenwirtschaft, Putin, der gelernte Geheimdienstagent, Putin, der Scherben- sammler einer abgestürzten Großmacht. Putin, Putin, Putin und kein anderer? Die Denkfehler beginnen schon dort, wo der Brechtsche Lesende Arbeiter die Frage gestellt hätte: Hatte er nicht wenigstens einen Außenminister und einen Vertei- digungsminister bei sich? Putin steht, seit er an der Macht ist und die Interes- sen der neuen russischen Eliten durch- setzt, im Zwielicht. Vielleicht wird man ihm später einmal dies Urteil zuschrei- ben: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ (Schiller, Wallenstein) Was seinen Handlungswillen betrifft, schwankt er nicht. Er hat den Zusammen- bruch der Sowjetunion schon vor mehr als zehn Jahren als „größte geostrategische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts bewer- tet. Er steht, so liest es sich in einem hervorragend recherchierten Buch der Autoren Ralf Rudolph und Uwe Markus, für den Versuch der „Renaissance einer Weltmacht“. Anders gesagt: Er stellt dem US-Präsidenten Barack Obama und des- sen demütigender Einstufung Rußlands als „Regionalmacht“ den entschlossenen Willen der neuen politischen und militä- rischen Elite seines Landes entgegen, der Weltmacht USA bei Konflikten um Ein- flußsphären und Machtbereiche wieder auf Augenhöhe zu begegnen. Zumindest im eigenen geographischen Umfeld. Der Untertitel des Buches verweist auf das Instrumentarium: „Rußlands Mili- tärreform und exterritoriale Militärstütz- punkte“. Die Autoren sind ausgewiesene Kenner der Materie. Ralf Rudolph hatte am Moskauer Institut für Luft- und Raumfahrt studiert und war zuletzt als Abrüstungsexperte im Verteidigungs- ministerium der DDR tätig. Uwe Markus, promovierter Soziologe, schrieb gemein- sam mit ihm die Bücher „Waffenschmiede DDR“ (über die „Spezielle Produktion“) und „Schlachtfeld Deutschland“ (über die jahrzehntelange Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt in Mittel- europa) sowie den Titel „Die verratene Armee“ (über die Abwicklung der NVA). Die These beider in dem neuen Buch lautet: „Nach Jahren der außenpoliti- schen Marginalisierung und der inne- ren Instabilität meldet sich Rußland als machtbewußter Akteur auf der globalen politischen Bühne zurück. In Reaktion auf die Ostausdehnung der NATO und den massiven Einsatz militärischer Mittel durch die USA setzt das Land wieder auf eine Politik der Stärke und Abschreckung. Die Moskauer Führungselite betreibt for- ciert eine Konsolidierung der Machtba- sis des Staates, um die Einflußmöglichen und geopolitischen Handlungsoptionen der NATO begrenzen zu können. Kern die- ser Bemühungen sind eine ambitionierte Militärreform, die Modernisierung der Rüstungsindustrie, die Profilierung als potente Schutz- und Ordnungsmacht im GUS-Raum und die Schaffung neuer wirt- schaftspolitischer und militärpolitischer Allianzen.“ Noch besteht Nachholbedarf. Der hatte in den 90er Jahren ein solches Ausmaß angenommen, daß man in Washington und Brüssel zeitweise kaum noch mit einem militärischen Machtfaktor Ruß- land glaubte rechnen zu müssen. Militär- technisch fiel das Land, Expertenurteilen zufolge, zeitweise um bis zu 15 Jahre hinter die USA zurück. Viele Logistik- einrichtungen und Kampftechnik in beträchtlichen Größenordnungen waren im Besitz anderer GUS-Staaten verblieben. Selbst nach der Ablösung des korrupten Jelzin-Clans flossen die finanziellen Mit- tel für eine Modernisierung nur spärlich. Jedoch das Agieren des Westens im zer- fallenden Jugoslawien, der zweite Irak- krieg und das schrittweise Vordringen der NATO an die Grenzen Rußlands bewirk- ten ein erstes Umdenken. Es dauerte noch bis zum Wiedereintritt Putins ins Präsi- dentenamt im Jahr 2012, ehe die politi- sche Führung entschlossener daranging, neue verteidigungspolitische Fakten zu schaffen und Kurs auf eine Renaissance früherer militärischer Schlagkraft zu nehmen. Das betrifft nicht nur die Pflege der verbliebenen Militärbeziehungen und Militärstützpunkte – von Kirgisien über Armenien, Syrien, Transnistrien und Bela- rus bis zum im jetzt unabhängigen Kasach- stan gepachteten Stützpunkt Baikonur – Rußlands Tor zum Weltraum. Die Willensbildung durchzieht inzwischen den gesamten militärisch-industriellen Komplex – Personalwechsel im Verteidi- gungsministerium inbegriffen. Waffentechnisch befindet sich die russi- sche Armee in einem Umrüstungsprozeß, den die Staatskasse bis zum Jahr 2020 mit umgerechnet 471 Milliarden Euro finan- zieren soll. Auf dem Rüstungsprogramm stehen neue Präzisionswaffen, Tarnkap- penbomber, superleichte Abfangjäger, Marine-Hubschrauberträger, Drohnen und vieles andere, eingeschlossen die Moder- nisierung des Atomwaffenarsenals. Ein neues System der Luft- und Raumverteidi- gung und die Fähigkeit zum Gegenschlag degradiere „mittlerweile den geplanten US- Raketenabwehrschild in Europa zu einer Fehlinvestition“, schreiben Rudolph und Markus. Auch neue militärische Koopera- tionen rückten ins Blickfeld, so mit China und einigen zentralasiatischen Republiken. Die Frage, ob sich durch die russische Mili- tärreform das Risiko neuer internationaler militärischer Konfrontationen erhöht, wird von ihnen verneint: Rußland sei „wieder eine ernstzunehmende Macht auf der inter- nationalen Bühne. Daraus ein neues Bedro- hungsszenario abzuleiten, wäre sicherlich falsch. Der Westen muß akzeptieren, daß Rußland nach einer Phase der Schwäche jetzt wieder in der ersten Liga weltpoli- tisch mitspielt und seine Interessen durch- zusetzen versucht. Auf jeden Fall ist diese interessengeleitete Politik rational und damit berechenbar. Darin liegen auch für den Westen Chancen.“ Im Mai wurde die Gründung einer Eura- sischen Union Rußlands mit Belarus und Kasachstan, für die es bereits weitere Anwärter gibt, gemeldet. Peter Jacobs, Berlin Ralf Rudolph/Uwe Markus: Renaissance einer Weltmacht. Rußlands Militärreform und exterritoriale Militärstützpunkte. Phalanx, Berlin 2013, 338 Seiten, 19,20 € Haltet euch raus aus der Ukraine! Kein Krieg mit Rußland! Das ist nicht unser Kampf, nicht unsere Sache! Ich werde dafür nicht töten! Ich werde dafür nicht sterben!, versichert dieser GI der U.S. Army. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der RF-Regionalgruppe Rostock und des Rostocker Friedensbündnisses spricht Monty Schädel, Geschäftsfüh- rer der Deutschen Friedensgesellschaft, am 4. September um 16 Uhr im Mehr- generationenhaus Evershagen, Maxim- Gorki-Straße 52, über das Thema Die Rolle der Bundeswehr bei der Militarisierung der BRD-Gesellschaft

description

Rußland kann den USA wieder auf Augenhöhe begegnen

Transcript of Renaissance einer Weltmacht

Page 1: Renaissance einer Weltmacht

Seite 4 RotFuchs / August 2014

Rußland kann den USA wieder auf Augenhöhe begegnen

Renaissance einer Weltmacht

Seit dem offenen Ausbruch der Ukraine-Krise plagen sich Analytiker, Polemiker,

Globalpolitiker, Militärstrategen, Kom-mentatoren und Kaffeesatzleser – und zwar nicht nur im Paktbereich der NATO – permanent mit der Frage: Was hat Putin militärpolitisch mit Rußland vor? Putin, der Autokrat, Putin, der Erbe Jelzinscher Oligarchenwirtschaft, Putin, der gelernte Geheimdienstagent, Putin, der Scherben-sammler einer abgestürzten Großmacht. Putin, Putin, Putin und kein anderer? Die Denkfehler beginnen schon dort, wo der Brechtsche Lesende Arbeiter die Frage gestellt hätte: Hatte er nicht wenigstens einen Außenminister und einen Vertei-digungsminister bei sich? Putin steht, seit er an der Macht ist und die Interes-sen der neuen russischen Eliten durch-setzt, im Zwielicht. Vielleicht wird man ihm später einmal dies Urteil zuschrei-ben: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ (Schiller, Wallenstein) Was seinen Handlungswillen betrifft, schwankt er nicht. Er hat den Zusammen-bruch der Sowjetunion schon vor mehr als zehn Jahren als „größte geostrategische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts bewer-tet. Er steht, so liest es sich in einem hervorragend recherchierten Buch der Autoren Ralf Rudolph und Uwe Markus, für den Versuch der „Renaissance einer Weltmacht“. Anders gesagt: Er stellt dem US-Präsidenten Barack Obama und des-sen demütigender Einstufung Rußlands als „Regionalmacht“ den entschlossenen Willen der neuen politischen und militä-rischen Elite seines Landes entgegen, der Weltmacht USA bei Konflikten um Ein-flußsphären und Machtbereiche wieder auf Augenhöhe zu begegnen. Zumindest im eigenen geographischen Umfeld. Der Untertitel des Buches verweist auf das Instrumentarium: „Rußlands Mili-tärreform und exterritoriale Militärstütz-punkte“. Die Autoren sind ausgewiesene Kenner der Materie. Ralf Rudolph hatte am Moskauer Institut für Luft- und Raumfahrt studiert und war zuletzt als Abrüstungsexperte im Verteidigungs-ministerium der DDR tätig. Uwe Markus, promovierter Soziologe, schrieb gemein-sam mit ihm die Bücher „Waffenschmiede DDR“ (über die „Spezielle Produktion“) und „Schlachtfeld Deutschland“ (über die jahrzehntelange Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt in Mittel-europa) sowie den Titel „Die verratene Armee“ (über die Abwicklung der NVA). Die These beider in dem neuen Buch lautet: „Nach Jahren der außenpoliti-schen Marginalisierung und der inne-ren Instabilität meldet sich Rußland als machtbewußter Akteur auf der globalen politischen Bühne zurück. In Reaktion auf die Ostausdehnung der NATO und den massiven Einsatz militärischer Mittel

durch die USA setzt das Land wieder auf eine Politik der Stärke und Abschreckung. Die Moskauer Führungselite betreibt for-ciert eine Konsolidierung der Machtba-sis des Staates, um die Einflußmöglichen und geopolitischen Handlungsoptionen

der NATO begrenzen zu können. Kern die-ser Bemühungen sind eine ambitionierte Militärreform, die Modernisierung der Rüstungsindustrie, die Profilierung als potente Schutz- und Ordnungsmacht im GUS-Raum und die Schaffung neuer wirt-schaftspolitischer und militärpolitischer Allianzen.“Noch besteht Nachholbedarf. Der hatte in den 90er Jahren ein solches Ausmaß angenommen, daß man in Washington und Brüssel zeitweise kaum noch mit einem militärischen Machtfaktor Ruß-land glaubte rechnen zu müssen. Militär-technisch fiel das Land, Expertenurteilen zufolge, zeitweise um bis zu 15 Jahre hinter die USA zurück. Viele Logistik-einrichtungen und Kampftechnik in beträchtlichen Größenordnungen waren im Besitz anderer GUS-Staaten verblieben. Selbst nach der Ablösung des korrupten Jelzin-Clans flossen die finanziellen Mit-tel für eine Modernisierung nur spärlich. Jedoch das Agieren des Westens im zer-fallenden Jugoslawien, der zweite Irak-krieg und das schrittweise Vordringen der NATO an die Grenzen Rußlands bewirk-ten ein erstes Umdenken. Es dauerte noch bis zum Wiedereintritt Putins ins Präsi-dentenamt im Jahr 2012, ehe die politi-sche Führung entschlossener daranging, neue verteidigungspolitische Fakten zu schaffen und Kurs auf eine Renaissance früherer militärischer Schlagkraft zu nehmen. Das betrifft nicht nur die Pflege

der verbliebenen Militärbeziehungen und Militärstützpunkte – von Kirgisien über Armenien, Syrien, Transnistrien und Bela-rus bis zum im jetzt unabhängigen Kasach-stan gepachteten Stützpunkt Baikonur – Rußlands Tor zum Weltraum. Die Willensbildung durchzieht inzwischen den gesamten militärisch-industriellen Komplex – Personalwechsel im Verteidi-gungsministerium inbegriffen. Waffentechnisch befindet sich die russi-sche Armee in einem Umrüstungsprozeß, den die Staatskasse bis zum Jahr 2020 mit umgerechnet 471 Milliarden Euro finan-zieren soll. Auf dem Rüstungsprogramm stehen neue Präzisionswaffen, Tarnkap-penbomber, superleichte Abfangjäger, Marine-Hubschrauberträger, Drohnen und vieles andere, eingeschlossen die Moder-nisierung des Atomwaffenarsenals. Ein neues System der Luft- und Raumverteidi-gung und die Fähigkeit zum Gegenschlag degradiere „mittlerweile den geplanten US-Raketenabwehrschild in Europa zu einer Fehlinvestition“, schreiben Rudolph und Markus. Auch neue militärische Koopera-tionen rückten ins Blickfeld, so mit China und einigen zentralasiatischen Republiken. Die Frage, ob sich durch die russische Mili-tärreform das Risiko neuer internationaler militärischer Konfrontationen erhöht, wird von ihnen verneint: Rußland sei „wieder eine ernstzunehmende Macht auf der inter-nationalen Bühne. Daraus ein neues Bedro-hungsszenario abzuleiten, wäre sicherlich falsch. Der Westen muß akzeptieren, daß Rußland nach einer Phase der Schwäche jetzt wieder in der ersten Liga weltpoli-tisch mitspielt und seine Interessen durch-zusetzen versucht. Auf jeden Fall ist diese interessengeleitete Politik rational und damit berechenbar. Darin liegen auch für den Westen Chancen.“Im Mai wurde die Gründung einer Eura-sischen Union Rußlands mit Belarus und Kasachstan, für die es bereits weitere Anwärter gibt, gemeldet.

Peter Jacobs, Berlin

Ralf Rudolph/Uwe Markus: Renaissance einer Weltmacht. Rußlands Militärreform und exterritoriale Militärstützpunkte. Phalanx, Berlin 2013, 338 Seiten, 19,20 €

Haltet euch raus aus der Ukraine! Kein Krieg mit Rußland! Das ist nicht unser Kampf, nicht unsere Sache! Ich werde dafür nicht töten! Ich werde dafür nicht sterben!, versichert dieser GI der U.S. Army.

Auf einer gemeinsamen Veranstaltung der RF-Regionalgruppe Rostock und des Rostocker Friedensbündnisses spricht Monty Schädel, Geschäftsfüh-rer der Deutschen Friedensgesellschaft, am 4. September um 16 Uhr im Mehr-generationenhaus Evershagen, Maxim-Gorki-Straße 52, über das Thema

Die Rolle der Bundeswehr bei der Militarisierung der BRD-Gesellschaft