Reich ± auch dank vieler Migranten...2009/02/02  · dem Finanzplatz Luxemburg allerdings einen...

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12 Nummer 203 • Samstag/Sonntag, 2./3. September 2017 Wirtschaft LUXEMBURG. Im Sommer rockt es immer richtig in Luxemburg. Doch Alain Heynen (42) war in diesem Jahr nicht dabei beim gro- ßen Rockfestival in Luxemburg-Stadt auf dem „Knuedler“, dem zentralen Platz in Lu- xemburg-Stadt. Er zog einen Camping- urlaub sowie ein großes Pfadfindertreffen der Musik vor, genießt die Natur zusammen mit seiner Frau Danielle (40) und seinen drei Kindern Julie (5), Clara (3) und Mathis (1). Heynen war in diesem Jahr einer der Mit- organisatoren des internationalen Pfadfin- der-Treffens „Camp go Urban“ auf dem Kirchberg, wo er einer der Leiter der Luxemburger Sektion „Letze- burger Guiden en Scouten“ war. Rund 4000 Pfadfinder aus 24 Ländern trafen sich dort in diesem Sommer. Wenn er nicht unter den Scouts weilt, ist der Inge- nieur Heynen, der an der RWTH in Aachen Entsor- gungs-Ingenieurwesen stu- dierte, in einer leitenden Funktion für die Abfallbesei- tigung für ganz Luxemburg zu- ständig. „Wir halten Luxemburg sauber“, sagt er stolz. Er ist überzeugter Europäer. Auf die Frage, was Europa für ihn bedeutet und welche Rolle der Staatenbund für ihn und seine Familie im Alltag spielt, hat er schnell eine Antwort parat: „Ich bin in einer Zeit aufge- wachsen, in der sich die EU schnell er- weiterte. Ich habe miterlebt, wie das Schen- gen-Abkommen, das den freien Güter- und Personenverkehr in der EU ohne Grenzkont- rollen möglich macht, in den einzelnen Län- dern umgesetzt wurde. Das war faszinie- rend.“ Und er ergänzt: „Ich fühle mich als Europäer, aber die EU ist in manchen Ange- legenheiten auch eine Zweckgemeinschaft.“ Er sagt das voller Überzeugung, obwohl das Luxemburger Motto lautet: „Mir wëlle bleiwe, wat mir sin“ – zu Deutsch: Wir wol- len bleiben, was wir sind. Das geht gut zu- sammen, denn Luxemburger sind wohl die Europäer, die der EU am positivsten gegen- überstehen und die am meisten von der EU profitieren. Sie sind Lokalpatrioten in einem international orientierten Land. „In meinem Alltag habe ich viel mit Ausländern zu tun, die von dem offenen Arbeitsmarkt in- nerhalb der EU profitieren. Ein Land wie Luxemburg profitiert besonders viel von der EU, weil wir ein kleines, aber eben sehr offe- nes Land sind“, sagt Heynen. Luxemburg stand auch mit den Nieder- landen und Belgien an der Wiege der EU. Die drei Länder gründeten 1944 in London die Benelux-Zollunion, die 1948 in Kraft trat und bis heute als Benelux-Union innerhalb der EU fortbesteht. Die Benelux-Union war sozusagen eine Art Mini-EU avant la lettre. Die Wirtschafts- und Finanzkrise in den zurückliegenden zehn Jahren, die mit dem Platzen der Immobilienblase 2007 in den USA begann, dann in die Finanzkrise in Europa, die Griechenland- und die Krise des Euro mündete, ist an der Familie Heynen weitgehend spurlos vorübergegangen. „Die Finanzkrise hat Luxemburg nicht so hart getroffen wie andere Länder. Oder es wurden hierzulande vielleicht die richtigen Entscheidungen getroffen, um der Krise Pa- roli bieten zu können. Persönlich spüre ich die Nachwirkungen der Finanzkrise kaum“, sagt Alain Heynen. Luxemburg hat in den vergangenen Jahr- zehnten einen enormen Strukturwandel durchlaufen, konnte die Krise gut abfedern. Vom Industriestandort, wo vor allem Stahl produziert wurde, was auch heute noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, mauserte sich das Ende 2016 knapp 583 000 Einwoh- ner zählende Großherzogtum zu einem der führenden Finanzplätze in Europa. Vor al- lem das Derivatengeschäft ist eine Speziali- tät der vielen Luxemburger Banken, die dem Großherzogtum in den vergangenen Jahren neue Arbeitsplätze und großen Wohlstand brachten, die aber auch lange Schatten war- fen, weil Luxemburg als Steuerparadies durch eben diese Banken und deren manch- mal undurchsichtigen und dubiosen Ge- schäfte in die negativen Schlagzeilen kam. Der Wandel vom Industrie- zum Dienst- leistungs- und Finanzzentrum hat die Lu- xemburger wohlhabend gemacht. Luxem- burg ist heute das reichste Land in der EU. Luxemburger verdienen jährlich im Schnitt mehr als 65 000 Euro und liegen damit nur knapp hinter der Schweiz. Hier lässt es sich also gut leben, wenn man einen guten Job hat, denn ähnlich wie in der Schweiz sind aufgrund des hohen Einkommens der Bevöl- kerung die Preise im Großherzogtum ent- sprechend hoch. Wer sich eine gute Flasche luxemburgischen Wein, etwa einen Riesling oder Auxerrois, der an den steilen Mosel- hängen wächst, gönnen will, muss tief in die Tasche greifen. Der in Kürze bevorstehende Brexit dürfte dem Finanzplatz Luxemburg allerdings einen weiteren Boom bescheren, denn neben Frankfurt, Amsterdam, Dublin und Paris ist Luxemburg einer der attraktiven und alter- nativen Finanzplätze, in die viele Banken aus der Londoner City ihre künftigen Euro- pa-Aktivitäten nach dem Austritt der Brit- ten aus der Europäischen Union verlagern wollen. Der Brexit, von dem heute niemand weiß, wie er enden wird, bereitet auch dem über- zeugten Europäer und Luxemburger Hey- nen schlaflose Nächte. Er sagt: „Für die EU ist der Brexit eine echte Bewährungsprobe. Wenn wir diese Krise überstehen, dann sieht die Zukunft Europas wieder rosiger aus.“ Aber noch ist der Brexit nicht überstan- den. Meistern müssen ihn vor allem die ver- bleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten – aber auch EU-Kommissionspräsident Jean- Claude Juncker, auf den Heynen mächtig stolz ist. Mit Juncker stellt das Großherzog- tum bereits den dritten EU-Kommissions- präsidenten. Luxemburg ist damit das einzi- ge EU-Land, das mit Gaston Thorn, Jacques Santer und nun mit Jean-Claude Juncker drei Präsidenten an die Spitze der EU hieven konnte. Das nach Malta kleinste EU-Land beweist damit wirklich politische und per- sonelle Größe und vor allem großes diploma- tisches Geschick. „Jean-Claude Juncker ist einer der wenigen Politiker auf der europäi- schen Bühne, der die Kompetenz hat, die EU in die richtige Richtung zu führen und die richtigen Entscheidungen zu treffen“, ist Heynen überzeugt. Aber nicht nur die EU, auch die USA und die Kapriolen von US- Präsident Donald Trump beschäftigen den Luxemburger. Trump dürfe aber nicht über- schätzt werden. Er habe in seiner Heimat im Repräsentantenhaus und im Senat zwar mit seiner Partei eine Mehrheit, „bekommt aber viele Gesetze nicht durch. Donald Trump hat sich aber mehrfach für die Nato ausgespro- chen. Es ist aber an der Zeit, sich mit dem Gedanken einer europäischen Armee ausei- nanderzusetzen“, so Heynen. Viel vom heutigen Wohlstand hat das Großherzogtum Luxemburg den Migranten und den vielen Grenzarbeitern zu verdan- ken, die täglich zur Arbeit aus Frankreich, Belgien oder aus Deutschland nach Luxem- burg kommen. „Verschiedene Migranten ha- ben sich sehr gut integriert, andere leben eher zurückgezogen und suchen nur wenig Kontakt zu anderen Bevölkerungsgrup- pen“, sagt Heynen und ergänzt: „In Luxem- burg ist die Ausländerfeindlichkeit im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern relativ gering. Fast die Hälfte der Bevölkerung besteht aus ausländischen Mit- bürgern. Das Wirtschaftswachstum in Lu- xemburg wäre ohne die Migranten in der jet- zigen Form nicht möglich gewesen.“ Er glaubt, das Herzogtum könne ein Modell für Migration sein. Schwierig sei die Frage zu beantworten, ob er durch den europäischen Einigungspro- zess glücklicher und zufriedener geworden ist, sagt Heynen. „Ich bin jedenfalls nicht unglücklicher geworden. Für meine Kinder sehe ich die Europäische Union als eine gro- ße Chance.“ Reich – auch dank vieler Migranten Serie: Leben in Europa Der Strukturwandel des Großherzogtums vom Industriestandort zum Finanzplatz ist gut gelungen Banken vor der Pleite, Staaten vor dem Bankrott: Die Krise, die 2007 begann, hat die EU und das Leben der Menschen verändert. Die Folgen sind noch immer zu spüren. Unsere Serie beleuchtet den Alltag. Heute: Familie Heynen in Luxemburg. Von Helmut Hetzel „Jean-Claude Juncker ist einer der wenigen Politiker auf der europäischen Bühne, der die Kompetenz hat, die EU in die richtige Richtung zu führen.“ Alain Heynen zur Rolle des Präsidenten der EU-Kommission Helmut Hetzel nahm den kürzesten Weg von Deutschland in die Niederlande. Der führte über China, wo Helmut Hetzel (1955) nach seinem Studium (Journalistik, Philosophie, Geschichte, Ökonomie) 1983 in Peking als Auslandskorres- pondent begann. Davor sammelte er schon TV-Erfahrung beim WDR-Fernsehen und arbeite- te in mehreren deutschen Zeitungsredaktionen. 1985 wechselte Helmut Hetzel von Peking nach Den Haag. Seither ist er Benelux-Korrespondent aber mit einem ständigen guten Draht nach Asien und in die USA. Er ist Benelux- und Asien- Kenner und -Fan und liebt insbesondere China, Taiwan, Thailand, Indonesien. Luxemburg Fotos: Helmut Hetzel; StN; Illustration: Lange Einwohner 576 000 Fläche 2586 Quadratkilometer Bruttoinlandsprodukt 50,5 Milliarden Euro Jahreseinkommen im Schnitt 65 725 Euro Durchschnittsalter 39,3 Jahre Arbeitslosenquote 6 Prozent * Jugendarbeitslosenquote 17,3 Prozent (15 – 24Jahre) * Wichtigstes Exportgut Eisen und Stahl Wichtigstes Exportland Deutschland Butterpreis 2,56 Euro für 250 Gramm * Daten aus 2016 / * Stand Juni 2017 Haben von der Finanzkrise im Großherzogtum Luxemburg nichts gespürt: Alain Heynen mit seiner Frau Danielle und den drei Kindern Clara, Mathis und Julie. Die Serie im Überblick Wie geht es den Menschen zehn Jahre nach Aus- bruch der Krise? In einer Serie ziehen wir Bilanz. Europa Eine Bestandsaufnahme – die Zustimmung zur EU wächst Italien Der Überlebenskünstler – in der Krise, trotz aller Bemühungen Bulgarien Das Armenhaus – trotz Fortschritten hinkt das Land hinterher Irland Das Auswandererland – der mühsa- me Weg zurück in die Heimat Schweiz Der starke Nachbar – das Nicht-EU- Mitglied spürt die EU-Turbulenzen Spanien Der angeschlagene Staat – trotz Wachstum nimmt Ungleichheit zu Polen Der eigenwillige Nachbar – das Land will mehr Mitbestimmung Kroatien Der jüngste EU-Spross – die Begeis- terung für die EU ist verhalten Luxemburg Der Finanzjongleur – das Land lockt Anleger aus aller Welt an Griechen- land Der Dauerpatient – Hellas verliert in der Krise nicht den Mut Island Der Traditionalist– die Insel besinnt sich auf alte Tugenden und Werte Persönlich Eine Umfrage – wie nahe geht Prominenten Europa? Deutsch- land Der Musterschüler – die Rolle Deutschlands in der EU Die Serie finden Sie im Internet unter http://stn.de/lebenineuropa StN-Grafik: Biwer 10 km Trier Bonnevoie Arlon Bitburg Wiltz Reisdorf Diekirch Merzig Luxemburg Mosel Our Saar Sauer RHEINLAND-PFALZ LUXEMBURG FRANKREICH BELGIEN Die Heimat der Heynens

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12 Nummer 203 • Samstag/Sonntag, 2./3. September 2017 Wirtschaft

LUXEMBURG. Im  Sommer  rockt  es  immerrichtig in Luxemburg. Doch Alain Heynen(42) war in diesem Jahr nicht dabei beim gro­ßen  Rockfestival  in  Luxemburg­Stadt  aufdem „Knuedler“, dem zentralen Platz in Lu­xemburg­Stadt.  Er  zog  einen  Camping­urlaub  sowie  ein  großes  Pfadfindertreffender Musik vor, genießt die Natur zusammenmit seiner Frau Danielle (40) und seinen dreiKindern Julie (5), Clara (3) und Mathis (1).

Heynen war in diesem Jahr einer der Mit­organisatoren des internationalen Pfadfin­

der­Treffens „Camp go Urban“ auf demKirchberg, wo er einer der Leiter der

Luxemburger  Sektion  „Letze­burger  Guiden  en  Scouten“

war.  Rund  4000  Pfadfinderaus  24  Ländern  trafen  sichdort  in  diesem  Sommer.Wenn  er  nicht  unter  denScouts weilt,  ist der Inge­nieur  Heynen,  der  an  derRWTH  in  Aachen  Entsor­gungs­Ingenieurwesen stu­

dierte,  in  einer  leitendenFunktion für die Abfallbesei­

tigung für ganz Luxemburg zu­ständig. „Wir halten Luxemburg

sauber“, sagt er stolz.Er ist überzeugter

Europäer.  Auf  dieFrage,  was  Europafür ihn bedeutet undwelche  Rolle  derStaatenbund für ihnund seine Familie imAlltag  spielt,  hat  erschnell eine Antwortparat:  „Ich  bin  ineiner  Zeit  aufge­wachsen, in der sichdie  EU  schnell  er­

weiterte. Ich habe miterlebt, wie das Schen­gen­Abkommen, das den freien Güter­ undPersonenverkehr in der EU ohne Grenzkont­rollen möglich macht, in den einzelnen Län­dern  umgesetzt  wurde.  Das  war  faszinie­rend.“ Und er ergänzt: „Ich fühle mich alsEuropäer, aber die EU ist in manchen Ange­legenheiten auch eine Zweckgemeinschaft.“

Er sagt das voller Überzeugung, obwohldas Luxemburger Motto lautet: „Mir wëllebleiwe, wat mir sin“ – zu Deutsch: Wir wol­len bleiben, was wir sind. Das geht gut zu­sammen, denn Luxemburger sind wohl dieEuropäer, die der EU am positivsten gegen­überstehen und die am meisten von der EUprofitieren.  Sie  sind  Lokalpatrioten  ineinem international orientierten Land. „Inmeinem Alltag habe ich viel mit Ausländern

zu tun, die von dem offenen Arbeitsmarkt in­nerhalb der EU profitieren. Ein Land wieLuxemburg profitiert besonders viel von derEU, weil wir ein kleines, aber eben sehr offe­nes Land sind“, sagt Heynen. 

Luxemburg stand auch mit den Nieder­landen und Belgien an der Wiege der EU. Diedrei Länder gründeten 1944 in London dieBenelux­Zollunion,  die  1948  in  Kraft  trat

und bis heute als Benelux­Union innerhalbder EU fortbesteht. Die Benelux­Union warsozusagen eine Art Mini­EU avant la lettre. 

Die Wirtschafts­ und Finanzkrise in denzurückliegenden zehn Jahren, die mit demPlatzen  der  Immobilienblase  2007  in  denUSA  begann,  dann  in  die  Finanzkrise  inEuropa, die Griechenland­ und die Krise desEuro  mündete,  ist  an  der  Familie  Heynenweitgehend spurlos vorübergegangen.

„Die Finanzkrise hat Luxemburg nicht sohart getroffen wie andere Länder. Oder eswurden hierzulande vielleicht die richtigenEntscheidungen getroffen, um der Krise Pa­roli bieten zu können. Persönlich spüre ichdie Nachwirkungen der Finanzkrise kaum“,sagt Alain Heynen.

Luxemburg hat in den vergangenen Jahr­zehnten  einen  enormen  Strukturwandeldurchlaufen, konnte die Krise gut abfedern.Vom Industriestandort, wo vor allem Stahlproduziert wurde, was auch heute noch einwichtiger  Wirtschaftsfaktor  ist,  mausertesich das Ende 2016 knapp 583 000 Einwoh­ner zählende Großherzogtum zu einem derführenden Finanzplätze in Europa. Vor al­lem das Derivatengeschäft ist eine Speziali­tät der vielen Luxemburger Banken, die demGroßherzogtum in den vergangenen Jahrenneue  Arbeitsplätze  und  großen  Wohlstandbrachten, die aber auch lange Schatten war­fen,  weil  Luxemburg  als  Steuerparadiesdurch eben diese Banken und deren manch­mal  undurchsichtigen  und  dubiosen  Ge­schäfte in die negativen Schlagzeilen kam.

Der Wandel vom Industrie­ zum Dienst­leistungs­ und Finanzzentrum hat die Lu­xemburger  wohlhabend  gemacht.  Luxem­burg ist heute das reichste Land in der EU.Luxemburger verdienen jährlich im Schnittmehr als 65 000 Euro und liegen damit nurknapp hinter der Schweiz. Hier lässt es sichalso gut  leben, wenn man einen guten Jobhat, denn ähnlich wie in der Schweiz sindaufgrund des hohen Einkommens der Bevöl­kerung  die  Preise  im  Großherzogtum  ent­sprechend hoch. Wer sich eine gute Flascheluxemburgischen Wein, etwa einen Rieslingoder  Auxerrois,  der  an  den  steilen  Mosel­hängen wächst, gönnen will, muss tief in dieTasche greifen.

Der in Kürze bevorstehende Brexit dürftedem  Finanzplatz  Luxemburg  allerdingseinen weiteren Boom bescheren, denn nebenFrankfurt, Amsterdam, Dublin und Paris istLuxemburg einer der attraktiven und alter­nativen  Finanzplätze,  in  die  viele  Bankenaus der Londoner City ihre künftigen Euro­pa­Aktivitäten nach dem Austritt der Brit­ten aus der Europäischen Union verlagernwollen.

Der Brexit, von dem heute niemand weiß,wie er enden wird, bereitet auch dem über­zeugten  Europäer  und  Luxemburger  Hey­nen schlaflose Nächte. Er sagt: „Für die EUist der Brexit eine echte Bewährungsprobe.Wenn wir diese Krise überstehen, dann siehtdie Zukunft Europas wieder rosiger aus.“

Aber noch ist der Brexit nicht überstan­den. Meistern müssen ihn vor allem die ver­bleibenden  27  EU­Mitgliedstaaten  –  aberauch  EU­Kommissionspräsident  Jean­Claude  Juncker,  auf  den  Heynen  mächtig

stolz ist. Mit Juncker stellt das Großherzog­tum bereits den dritten EU­Kommissions­präsidenten. Luxemburg ist damit das einzi­ge EU­Land, das mit Gaston Thorn, JacquesSanter  und  nun  mit  Jean­Claude  Junckerdrei Präsidenten an die Spitze der EU hievenkonnte. Das nach Malta kleinste EU­Landbeweist damit wirklich politische und per­sonelle Größe und vor allem großes diploma­tisches Geschick. „Jean­Claude Juncker isteiner der wenigen Politiker auf der europäi­schen Bühne, der die Kompetenz hat, die EUin die richtige Richtung zu führen und dierichtigen  Entscheidungen  zu  treffen“,  istHeynen überzeugt. Aber nicht nur die EU,auch die USA und die Kapriolen von US­Präsident Donald Trump beschäftigen denLuxemburger. Trump dürfe aber nicht über­schätzt werden. Er habe in seiner Heimat imRepräsentantenhaus und im Senat zwar mitseiner Partei eine Mehrheit, „bekommt aberviele Gesetze nicht durch. Donald Trump hatsich aber mehrfach für die Nato ausgespro­chen. Es ist aber an der Zeit, sich mit demGedanken einer europäischen Armee ausei­nanderzusetzen“, so Heynen.

Viel  vom  heutigen  Wohlstand  hat  dasGroßherzogtum Luxemburg den Migrantenund den vielen Grenzarbeitern zu verdan­ken, die täglich zur Arbeit aus Frankreich,Belgien oder aus Deutschland nach Luxem­burg kommen. „Verschiedene Migranten ha­ben  sich  sehr  gut  integriert,  andere  lebeneher zurückgezogen und suchen nur wenigKontakt  zu  anderen  Bevölkerungsgrup­pen“, sagt Heynen und ergänzt: „In Luxem­burg  ist  die  Ausländerfeindlichkeit  imGegensatz zu vielen anderen europäischenLändern relativ gering. Fast die Hälfte derBevölkerung besteht aus ausländischen Mit­bürgern. Das Wirtschaftswachstum  in Lu­xemburg wäre ohne die Migranten in der jet­zigen  Form  nicht  möglich  gewesen.“  Erglaubt, das Herzogtum könne ein Modell fürMigration sein.

Schwierig sei die Frage zu beantworten,ob er durch den europäischen Einigungspro­zess glücklicher und zufriedener gewordenist,  sagt  Heynen.  „Ich  bin  jedenfalls  nichtunglücklicher geworden. Für meine Kindersehe ich die Europäische Union als eine gro­ße Chance.“

Reich – auch dank vieler MigrantenSerie: Leben in Europa Der Strukturwandel des Großherzogtums vom Industriestandort zum Finanzplatz ist gut gelungen

Banken vor der Pleite, Staaten vor dem Bankrott: Die Krise, die 2007 begann, hat die EU und das Leben der Menschen verändert. Die Folgen sind noch immer zu spüren. Unsere Serie beleuchtet den Alltag. Heute: Familie Heynen in Luxemburg.

Von Helmut Hetzel

„Jean-Claude Juncker ist einer der wenigen Politiker auf der europäischen Bühne, der die Kompetenz hat, die EU in die richtige Richtung zu führen.“

Alain Heynen zur Rolle des Präsidenten der EU-Kommission

Helmut Hetzelnahm den kürzesten Weg von Deutschland in die Niederlande. Der führte über China, wo Helmut Hetzel (1955) nach seinem Studium (Journalistik, Philosophie, Geschichte, Ökonomie) 1983 in Peking als Auslandskorres-pondent begann. Davor sammelte er schon TV-Erfahrung beim WDR-Fernsehen und arbeite-te in mehreren deutschen Zeitungsredaktionen.1985 wechselte Helmut Hetzel von Peking nach Den Haag. Seither ist er Benelux-Korrespondent aber mit einem ständigen guten Draht nach Asien und in die USA. Er ist Benelux- und Asien-Kenner und -Fan und liebt insbesondere China, Taiwan, Thailand, Indonesien.

Luxemburg

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Einwohner 576 000

Fläche 2586 Quadratkilometer

Bruttoinlandsprodukt50,5 Milliarden Euro

Jahreseinkommen im Schnitt65 725 Euro

Durchschnittsalter39,3 Jahre

Arbeitslosenquote6 Prozent *

Jugendarbeitslosenquote17,3 Prozent (15 – 24Jahre) *

Wichtigstes Exportgut Eisen und Stahl

Wichtigstes ExportlandDeutschland

Butterpreis 2,56 Euro für 250 Gramm *

Daten aus 2016 / * Stand Juni 2017Haben von der Finanzkrise im Großherzogtum Luxemburg nichts gespürt:

Alain Heynen mit seiner Frau Danielle und den drei Kindern Clara, Mathis und Julie.

Die Serie im Überblick

Wie geht es den Menschen zehn Jahre nach Aus-bruch der Krise? In einer Serie ziehen wir Bilanz.

Europa Eine Bestandsaufnahme – die Zustimmung zur EU wächst

Italien Der Überlebenskünstler – in der Krise, trotz aller Bemühungen

Bulgarien Das Armenhaus – trotz Fortschritten hinkt das Land hinterher

Irland Das Auswandererland – der mühsa-me Weg zurück in die Heimat

Schweiz Der starke Nachbar – das Nicht-EU-Mitglied spürt die EU-Turbulenzen

Spanien Der angeschlagene Staat – trotz Wachstum nimmt Ungleichheit zu

Polen Der eigenwillige Nachbar – das Land will mehr Mitbestimmung

Kroatien Der jüngste EU-Spross – die Begeis-terung für die EU ist verhalten

Luxemburg Der Finanzjongleur – das Land lockt Anleger aus aller Welt an

Griechen-land

Der Dauerpatient – Hellas verliert in der Krise nicht den Mut

Island Der Traditionalist– die Insel besinnt sich auf alte Tugenden und Werte

Persönlich Eine Umfrage – wie nahe geht Prominenten Europa?

Deutsch-land

Der Musterschüler – die Rolle Deutschlands in der EU

Die Serie finden Sie im Internet unterhttp://stn.de/lebenineuropa

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L U X E M B U R G

FRANKREICH

BELGIEN

Die Heimat der Heynens