Prof. Dr. D r. Mumie · 2019. 3. 25. · Anatomy» und das Donald-Duck-Taschenbuch «Duck Ent...

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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 49 Wer bist du? Frank Rühli, 47, und Assistent Patrick Eppenberger, 43 (r.). Sie werden die ägyptische Kindermumie aus Schleitheim SH im Computer- tomografen (hinten) untersuchen. Der Zürcher FRANK RÜHLI ist einer der besten Mumien- forscher der Welt. Er hat Pharao Tutanchamun untersucht und Ötzis Todesursache gefunden. Jetzt rätselt er über das Schicksal einer Kindermumie. Prof. Dr. D r. Mumie

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Wer bist du? Frank Rühli, 47, und Assistent Patrick Eppenberger, 43 (r.). Sie werden die ägyptische Kindermumie aus Schleitheim SH im Computer­tomografen (hinten) untersuchen.

Der Zürcher FRANK RÜHLI ist einer der besten Mumien­

forscher der Welt. Er hat Pharao Tutanchamun untersucht und

Ötzis Todesursache gefunden. Jetzt rätselt er über das

Schicksal einer Kindermumie.

Prof. Dr. D r. Mumie

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Kurios gelagert Im Dorfarchiv von Schleitheim SH holen Rühli und Eppen­berger die Kindermumie aus dem Regal.

Umzug einer Mumie Die Zürcher Wissen­schaftler tragen den Kindersarg aus der Gemeindeverwaltung Schleitheim.

Zerbrechlich Für den Transport wird der mumifizierte Kinderkörper im Sarg mit zerknüllter Folie sorgsam gepolstert.

Sondertransport Die über 2100­jährige Mumie wird samt Sarg in den Koffer­raum des Uni­Dienstwagens verladen.

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Woran ist das

Kleinkind vor 2100 Jahren gestorben?

Siegel und Gold Das rote Siegel

wurde um 1900 in Ägypten angebracht

und bescheinigt, dass diese Mumie le­gal erworben wurde.

Über die Stirn ver­läuft ein goldenes Band, Gold ist das

Symbol der Götter.

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Labyrinth Auf einem Wägeli wird die Mumie durch lange Gänge des Uni­Kellers ins Institut für Rechtsmedizin gekarrt. Die Röhre Rühli und Eppenberger berei­

ten die Mumie vor, bevor sie diese in den Computertomografen (CT) schieben.

Moment der Wahrheit Radiologietech­nologe Domenico Gascho (r.) steuert den CT, in dem der gesamte Sarg liegt.

Durchleuchtet Im Tomografen wird die Mumie virtuell in 2372 Foto­Scheiben à 0,6 Millimeter «geschnitten».

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS KURT REICHENBACH

Es gibt Momente, da bekommt er diesen verschleierten Blick. Dann reisst er die Augen weit auf, als

müsse er selber staunen über das, was er hier gerade tut. Über diese, wie er es nennt, «Prise Ewigkeit», die er erforschen darf.

«Würde mich wundernehmen, was passierte, wenn wir jetzt in ei-ne Polizeikontrolle kämen», sagt Prof. Dr. Dr. Frank Rühli, 47, sicht-lich vergnügt. Es ist halb sechs an diesem trüb-frostigen Freitag, als der Feierabendverkehr auf der A4 in Richtung Zürich kurz nach Schaffhausen ins Stocken gerät – worauf Rühlis Assistent, Dr. med. Patrick Eppenberger, 43, mit äusserstem Feingefühl die Bremse anstupst.

Damit der Sarg mit der Mumie nicht verrutscht.

«So ein Transport mit dem Au-to wirft spannende Fragen auf», sagt Rühli. Wohlverstanden, die-se Fahrt hier verlaufe ethisch wie rechtlich korrekt, doch ihn reize die Grundsatzdebatte: «Ist das, was wir hier tun, Störung der To-tenruhe? Wie wägen wir morali-sche Prinzipien gegen wissen-schaftliche Neugier ab? Ist das, was wir im Kofferraum haben, ei-ne Leiche, ein archäologischer Fund, ein Kunstgegenstand oder einfach nur eine Sache?» Rühli schmunzelt, doziert amüsiert, das sei doch herrlich streitbarer Diskussionsstoff für Ethiker, Ju-risten, Historiker und Mediziner.

Auf dem grauen Auto steht «Universität Zürich». Im Koffer-raum, gut gepolstert und einge-keilt zwischen Eppenbergers Le-derjacke und Rühlis Aktentasche, ruht der Sarg. Ein Holzkistchen nur, kaum einen Meter lang, mit einem Glasdeckel, der sich bei ge-

Weltberühmte Eisleiche Frank Rühli mit seinem «Patienten», der 5300 Jahre alten Gletscher­mumie Ötzi.

nauerem Hinsehen als simpler alter Fensterflügel entpuppt. Im Sarg liegt eine Mumie. Ein Klein-kind, einbalsamiert, einbanda-giert und verziert im alten Ägyp-ten vor über 2100 Jahren.

Drei Tage später dann, wenn die Mumie im Computertomo-grafen der Uni Zürich durch-leuchtet und virtuell ausgewi-ckelt wird, bekommt sie die Pati-enten-ID 20190701. «Ich behand-le jede Mumie so respektvoll wie einen Patienten», sagt Rühli. Und er hatte schon viele Patienten, einige weltberühmt: Pharao Tut-anchamun, Kaiser Karl der Gros-se und Gletschermumie Ötzi.

Der Schweizer Mediziner Frank Rühli gehört zu den besten Mu-mienforschern der Welt.

Er sagt: «Als Kind beschäftig-ten mich zwei brennende Fragen. Gibt es das Christkind? Und wie entsteht eine Mumie?»

Schleitheim an jenem trüben Freitag, als Rühli und Eppenber-ger bei Dorfarchivar Willi Bäch-told, 75, vorsprechen. Dieser führt sie in den Luftschutzkeller der Gemeindeverwaltung. In riesigen metallenen Schieberegalen lagert die Ortsgeschichte. Tausende eingelederte Bücher, Katasterplä-ne, Geburtsregister, Steuerlisten. Im hintersten Regal, Fach 20/21, liegen Schleitheims kurioseste Schätze: ein Nil-Krokodil. Und die Kindermumie.

Aber: Wie kommt eine ägypti-sche Mumie ins Schaffhausische?

1869 reist der Schleitheimer Gärtnerbursche Christian Stamm nach Kairo, wo er es bis zum Hof-gärtner des ägyptischen Königs bringt. Als er 1908 in sein Heimat-dorf zurückkehrt, ist er 62, hoch dekoriert und steinreich. Der Pensionär verteilt Geschenke: Der Jugendsportverein Schleit-heim erhält 65 Rucksäcke, die Schule ein ausgestopftes Nil-Kro-kodil. Und diese Kindermumie.

Er erinnere sich gut, sagt Dorf-archivar Bächtold, wie der Sarg im Schulzimmer auf einem Schrank stand und sie als Kinder in der grossen Pause das Teil ab und zu herunterholten: «Es bitze-li gruselig war das ja schon.»

Die beiden Wissenschaftler ziehen Schutzkleidung an. «Nicht, weil wir uns vor der Mumie schüt-zen müssen», erklärt Eppenber-ger, «sondern weil wir sie nicht mit unseren Speicheltröpfchen, Hautschuppen oder Fettfingern kontaminieren wollen.» Sie tra-gen den zierlichen Sarkophag aus dem Haus – Automobilisten stut-zen und stoppen, die Vorhänge an den Fenstern der Nachbarhäuser bewegen sich – hin zum «Uni Zürich»-Auto. Rühli streift sich den Mundschutz ab und sagt: «Manchmal fragen mich Leute, ob ich als Mumienforscher ähnlich spektakulär arbeite wie die Aben-teuer-Archäologen in den Kino-filmen. Ich frage Sie: Sah das hier eben nach ‹Indiana Jones› aus?»

Frank Rühli wächst in Zürich auf, ist fasziniert von der altägyp-tischen Kultur und studiert trotz-dem Medizin. Für seine Doktor-arbeit untersucht er eine Mumie, die für ihn ideale Schnittmenge zwischen Medizin und Historie. So kommt er zur Mumienfor-schung. Später wird er Direktor des Instituts für Evolutionäre Medizin an der Uni Zürich – ei-nem neuen Forschungsgebiet. Er untersucht, was man aus Skelet-ten und Mumien für die heutige Medizin lernen kann. «Ich erfor-sche Krankheiten aus der Vergan-genheit, um potenziell deren Be-handlung in Zukunft zu verbes-sern», fasst Rühli zusammen. Und am besten könne man das meist mit Mumien. Seine Erfolge haben Rühli weltweit bekannt gemacht. Und gefragt.

Er erforscht Inka-Mumien aus Peru, Leichen in Botswana und

Weltweit tätig Rühli im Tal der Könige, Ägypten (oben links), im Lift mit der Kindermumie und im Büro an der Uni.

Einblick Das CT zeigt, wie es in der Mumie drin aussieht. In den 2100 Jahren wurde das Skelett arg verlagert.

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Salz-Mumien im Iran. Ägyp-tens berühmtesten Pharao, Tut-anchamun, durfte er untersuchen und feststellen, dass dieser vor 3300 Jahren an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs starb. Rühli ist es auch, der mithilfe des linken Schienbeins von Karl dem Grossen (8. Jahrhundert) errech-net, dass der Kaiser mit der zu je-ner Zeit extremen Grösse von 1,84 Metern seinen Namen zu Recht hatte. Und Rühli hatte Glet-scherleiche Ötzi auf dem Edel-stahltisch, die vor 5300 Jahren durch eine Pfeilspitze in der Schul-ter an inneren Blutungen starb.

Montagmorgen, 8 Uhr, Uni Zürich-Irchel. Rühli und Eppen-berger bereiten die Schleitheimer Kindermumie zur Untersuchung vor. Überall medizinisches Gerät, Fotoapparate, Röntgenutensilien in Reisekisten. Auf einem Tisch, aufgereiht wie beim Inventar ei-ner Besteckschublade, liegen die 206 Knochen eines 300-jährigen Skeletts mit Verdacht auf rheu-matoide Arthritis. In einer Ecke der aus Wachs nachmodellierte Kopf eines 500 Jahre alten Toten.

Das Särgli wird auf ein Wägel-chen gehievt, mit dem Lift gehts in den Uni-Untergrund, dann gefühlte zig Kilometer durch mit Abluft- und Heizungsrohren behängte Kellergänge. Düsternis. Stille. Fast wie in einer Grabkam-mer von … Plötzlich ein Seufzen. Oder stöhnt da jemand? Flüstert gar eine Zauberformel? Irgend-wie scheint es plötzlich sehr kalt hier unten. Ist das der Moment, wo man Rühli nach dem berühm-ten Fluch der Mumien fragen sollte? Als habe er die Frage ge-ahnt, deutet er nach unten.

Die Wägelirädchen quietschen. Ankunft im Institut für

Rechtsmedizin, Forensik. Rühli darf deren Tomografen benutzen. Eine schwere Chromstahltür schwingt schwerelos auf. Der Ge-

stank kommt unvermittelt besti-alisch und umschleiert uns wie der Warmluftvorhang eines Wa-renhauses: süssfaulig, tränentrei-bend, ätzend, krallt sich in Haut, Kleidung und an Nasenhärchen. Auf dem Tisch der Forensiker lag eben noch eine Leiche, die sehr lange daheim unentdeckt blieb.

Patient 20190701 kommt samt Sarg in die Röhre. «Hätte es im alten Ägypten moderne Technik wie das CT schon gegeben, hätte dieses Kind womöglich nicht so früh sterben müssen», gibt Rühli zu bedenken. In 0,6-Millimeter-dicke Scheiben wird die Mumie «geschnitten», insgesamt 2372 Bil-der entstehen. Rühli ist leicht an-gespannt, erwartet Ergebnisse, bekommt wieder diesen Blick.

Der Sarg besteht aus vielen geplätteten Holzbrettchen, mit Holzdübeln zusammengehalten, die Ritzen mit Nilschlamm ver-strichen. Rühli hievt das mumifi-zierte Kind aus dem Sarg, bettet es in die CT-Röhre, tut dies still und andächtig wie ein Priester wäh-rend einer Taufe. «Es handelt sich schliesslich auch nach Tausenden von Jahren immer noch um einen verstorbenen Menschen.»

Der kleine Körper ist in Leinen-binden gewickelt, die mit Flüssig-keit getränkt waren, Bienenwachs, Koniferenharz und Bitumen. Auf der Stirn ein goldenes Band – das Götter-Symbol.

Wieder fasst Rühli das Mumi-enkind vorsichtig an, zärtlich bei-nahe, so wie ein Vater sein kran-kes Kind. Er sei Wissenschaftler, aber in manchen Momenten, so nah an der Mumie, von Angesicht zu Angesicht, «kann das schon

sehr persönlich werden», sagt er. «Bei der Kindermumie sowieso.»

Er ist Vater eines Kleinkindes.Ein paar Tage später wird der

Professor die Ergebnisse erhalten: Die Mumie ist 2100 bis 2400 Jah-re alt, aus ptolemäischer Zeit. Ein Kind, kein Name, drei bis vierein-halb Jahre alt, die Geschlechts-bestimmung nicht mehr möglich. Keine Zeichen krankhafter Ver-änderungen oder Spuren trauma-tischer Ereignisse am Skelett, kei-ne Wachstumsstörungen.

Todesursache also unbekannt. Auf dem Wägelchen mit den

jammernden Rädchen rollt die Mumie ins Institut zurück. In seinem Büro trinkt Rühli Kaffee, checkt E-Mails, telefoniert auf Englisch. Ein Plastikskelett steht da, die Grusskarte des ägypti-schen Botschafters, die Regale voller Fachliteratur: «Der Mann im Eis», «The Pharaohs», «Gray’s Anatomy» und das Donald-Duck-Taschenbuch «Duck Ent Amun».

Nächste Woche werden die Schleitheimer ihren historischen Schatz zurückbekommen, und Rühli plant eine Reise an einen Kongress nach Ägypten. Er hält inne, überdenkt den Tag, kehrt in Gedanken zum Mumienkind zu-rück. Und wieder die verschleier-ten Augen. «Der Geschichte so ins Gesicht schauen zu können, ist schon sehr faszinierend.» Nein, Schaudern sei bei seiner Arbeit nie dabei – «aber auch ich habe meine Emotionen».

Gibt es das Christkind? Und wie entsteht eine Mumie?

Die eine Frage, sagt Frank Rüh-li, habe er mittlerweile zu seiner Zufriedenheit lösen können.

Der Geschichte ins Gesicht schauen

Souvenir Rühli mit einer Plastikkopie von Ötzis Oberschenkel­knochen im Massstab 1:2.

Rühlis Arbeitsraum Links die Kinder­mumie im Sarg, rechts das 300­jährige Skelett eines Mannes aus Zürich.

Das Archiv Sehr alte Skelette mit anatomischen Besonderheiten werden in Bananenschachteln aufbewahrt.

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