Magazin «umwelt» 2/2010 - Biodiversität belebt

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Natürliche Ressourcen in der Schweiz Biodiversität belebt Wert der Vielfalt > Nahrung, Gesundheit, Sicherheit > Biodiversität und Wirtschaft > Zustand und Verluste > Ethik > Gemeinsame Verantwortung > Konsum > Biodiversität und Klima 2/2010 umwelt Schweizerische Eidgenossenschaft Confédération suisse Confederazione Svizzera Confederaziun svizra Bundesamt für Umwelt BAFU

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Wert der Vielfalt > Nahrung, Gesundheit, Sicherheit > Biodiversität und Wirtschaft > Zustand und Verluste > Ethik > Gemeinsame Verantwortung > Konsum > Biodiversität und Klima

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Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Biodiversität belebtWert der Vielfalt > Nahrung, Gesundheit, Sicherheit > Biodiversität und Wirtschaft > Zustand und Verluste > Ethik > Gemeinsame Verantwortung > Konsum > Biodiversität und Klima

2/2010

umwelt

Schweizer ische EidgenossenschaftConfédérat ion suisseConfederazione SvizzeraConfederaziun svizra

Bundesamt für Umwelt BAFU

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Inhalt

> Dossier Biodiversität

03 Editorial von Umweltminister Moritz Leuenberger

04 Hüter der BiodiversitätDie Vielfalt erhalten und nutzen

08 Das Netz aller LebensformenLeitartikel von Willy Geiger, Vizedirektor BAFU

12 Biodiversität ist Wirtschaft

13 Nahrung Biodiversität auf dem Teller

17 Gesundheit Biodiversität zeigt Wirkung.

18 Mikroorganismen Eine biologische Bibliothek

22 Zustand und MassnahmenDie Verluste gehen weiter.

26 EthikEin Interview über moralische Werte

29 Acht BundesämterVerantwortung der Sektoren

33 Konsum Biodiversitätsfreundliche Labels

37 KlimaÖkosysteme als Puffer

> Weitere Themen

43 Effiziente RessourcennutzungDer freie Markt richtet es nicht alleine.

46 Klimaschutz hinter der HaustürDas Gebäudeprogramm senkt den CO2-Ausstoss.

49 Jagddruck durch KatzenDer Schmusekater bleibt ein Raubtier.

52 Abgasreinigung von SchiffsmotorenRussfreie Atemluft auf Deck

54 Schutz vor ElektrosmogDie Schweiz gehört zu den Vorreitern.

> Rubriken

40 Vor Ort Nachrichten aus den Kantonen

42 International57 Bildung58 Recht / Publikationen60 Tipps61 Impressum62 Intern63 Porträt

> Gut zu wissen

Alle Artikel dieses Hefts – ausser den Rubriken – sind auch im Internet verfügbar:www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2Die meisten Beiträge enthalten weiterführende Links und Literaturangaben.Das BAFU im Internet: www.umwelt-schweiz.ch

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> Vorschau Das nächste Heft erscheint Anfang September 2010 zum Thema «Chancen und Risiken der Nanotech-nologie». Es zeigt auf, wie man in der Schweiz die vielfältigen Möglichkeiten der neuen Materialien im Grössenbereich von einigen millionstel Millimetern nutzen will, ohne ihre potenziellen Gefahren zu ver-kennen.

> Zum Titelbild

Fotos und Montage: Christian Koch

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3umwelt 2/2010

Unserer Lebensgrundlage einen Wert geben

Biodiversität bedeutet Leben. Erst die Vielfalt des

Lebens hat die Erde zu einem einzigartigen, bewohn­

baren Ort für uns Menschen gemacht. Diese Mannig­

faltigkeit mit all ihren Genen, Arten und Ökosystemen

wird als Biodiversität bezeichnet.

Wir sind von der Biodiversität abhängig; sie ist

unsere Lebensgrundlage. Wir ernähren uns von

Pflanzen und Tieren. Organismen bilden Böden und

sorgen dafür, dass sie fruchtbar bleiben. Auch hält

uns die Biodiversität gesund: So wird etwa Aspirin

aus einer Weide und Tamiflu aus einer asiatischen

Anisart gewonnen.

Doch anstatt die Biodiversität zu erhalten und

zu fördern, beuten wir sie aus. Die Folgen sind mas­

sive Verluste an biologischer Vielfalt – auch in der

Schweiz. Um diese Verluste zu stoppen, haben sich

Fachleute aus Ökologie und Ökonomie verbündet.

Der Wert der Ökosystemleistungen wird heute in

Milliarden Franken errechnet. Es zeigt sich, dass das

Fortbestehen der Biodiversität für das Überleben der

Menschheit nicht weniger wichtig ist als der Kampf

gegen die Klimaänderungen. Deshalb müssen wir

die biologische Vielfalt in die Gewinn­ und Verlust­

rechnung unseres Wirtschaftens einbeziehen.

Es gibt aber auch Werte, die wir nicht mit Geld

aufwiegen können. Wir wollen nicht vergessen, dass

der Mensch ebenfalls Teil der Natur ist. Wenn die

Natur allein nach Geldwerten definiert wird, muss in

letzter Konsequenz auch der Mensch seine Daseins­

berechtigung ökonomisch ausweisen.

Die Schweiz ist daran, im Einklang mit der

UNO­Biodiversitätskonvention eine nationale Bio­

diversitätsstrategie zu erarbeiten. In einer ersten

Aussprache hat der Bundesrat 2009 die Eckpfeiler

festgelegt. Das Ziel ist, die Ökosystemleistungen zu

erhalten und in Wert zu setzen sowie die Ressour­

cennutzung biodiversitätsfreundlich zu gestalten.

Zudem sollen genügend Schutz­ und Förderflächen

für die Biodiversität ausgewiesen, verbindlich gesi­

chert und vernetzt werden. Und schliesslich gilt es,

die Verantwortung für die globale biologische Vielfalt

wahrzunehmen.

Moritz Leuenberger, Bundesrat

www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-01

Besuch auf dem Berner Wochenmarkt. Bei der Eröffnung zum Internationa-len Jahr der Biodiversität am 12. Januar 2010 wies Bundesrat Moritz Leuen-berger auf die Bedeutung der Biodiversität hin, unter anderem für die Ernährung. Bild: Peter Klaunzer, Keystone

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umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität4

«Seit Oktober 2009 ist die Region Thal im Solothur­ner Jura ein Regionaler Naturpark von nationaler Be­deutung. Das ganze Thal hat sich über das Parklabel gefreut. Für unsere Projekte im Bereich Biodiversität und Landschaft haben wir vom Bundesamt für Um­welt sehr gute Noten erhalten. Darauf sind wir stolz.

Das Ziel des Parks ist es, die faszinierende Jura­landschaft zu erhalten und zu fördern. Gleichzeitig soll die Region wirtschaftlich gestärkt werden. Im Vordergrund steht eine Inwertsetzung der natürli­chen Ressourcen. Wir streben eine nachhaltige Regi­onalentwicklung an, bei der Mensch, Biodiversität, Landschaft und Wirtschaft im Gleichgewicht sind.

Der Naturpark ist in der Bevölkerung sehr gut ver­ankert. Die neun Gemeindepräsidenten bilden den Vorstand des Trägervereins, wir von der Geschäfts­stelle bearbeiten die über 20 Projekte. Sie reichen von touristischen Angeboten über die Vermarktung regio­naler Produkte bis hin zu Artenförderungs­, Gesund­heits­ und Bildungsprojekten. Meine Aufgabe ist es, die Bevölkerung und die Touristen für den Wert der

Biodiversität zu sensibilisieren. Wir bieten Exkursio­nen und Arbeitseinsätze an. Zusammen mit Partnern aus dem Natur­ und Landschaftsschutz planen wir ei­nen Naturerlebnispfad und die Restaurierung einer kulturlandschaftlich bedeutenden Trockenmauer. Ein erstes, 2009 abgeschlossenes Projekt war die Son­derausstellung ‹Tier&Haar› im Museum ‹Haar und Kamm› in Mümliswil (SO). Kindern und Jugendlichen wurden dort spielerisch und interaktiv faszinierende Geschichten über Tierhaare einheimischer Arten ver­mittelt. Verschiedene Projekte sind ganz der Erhal­tung und Förderung der Biodiversität gewidmet. So werden Wälder aufgelichtet und Weiden entbuscht, um seltene oder gefährdete Arten zu fördern. Im Be­reich Landwirtschaft haben wir ein flächendecken­des Projekt zur Vernetzung und Aufwertung der öko­logischen Ausgleichsflächen initiiert. Zurzeit kommt die Heidelerche in den Genuss von Lebensraumauf­wertungen, an denen sich Schulklassen beteiligen können. Die Begeisterung ist gross!»

Aufgezeichnet von Gregor Klaus

Irene Künzle, Projektleiterin Umweltbildung, Naturpark Thal, Balsthal (SO)

«Biodiversität und Landschaft machen uns stolz»

HÜTER UND NUTZER DER BIODIVERSITÄT

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5Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

«1993, ein Jahr nachdem meine Frau und ich diesen Betrieb übernommen hatten, gab es erstmals Bei­träge für ökologische Ausgleichsflächen. Auch wir meldeten ein paar Aren an, obwohl ich da schon ei­nige Vorbehalte hatte: Mir wäre es lieber gewesen, als Bauer von den Nahrungsmitteln zu leben, die wir produzieren. Doch inzwischen ist Biodiversität für uns ein Betriebszweig geworden, den man pflegt wie andere auch – und Freude daran hat, wenn man sieht, was daraus entsteht. Dank dem Vernetzungs­projekt, das 2003 in Malans gestartet wurde, lohnt sich das Ganze auch finanziell.

Wir haben heute bei uns einen Ökoflächenan­teil von 27 Prozent – neben Hecken und hochstäm­migen Obstbäumen umfassen diese vor allem viele Extensivwiesen, die nicht gedüngt und erst im Juli gemäht werden, damit die Wiesenblumen versa­men können. Es sind steile Flächen, die wir auch zuvor nie gross gedüngt haben, denn alles musste mühsam in den Hang gebracht werden – Dünger, Gülle, Mist. Das bisschen Mehrertrag, das dabei her­ausschaut, lohnt die Arbeit nicht. Da fahren wir mit einer Extensivnutzung viel besser, zumal wir für

alle Ökoflächen auch den Qualitätsbeitrag erhalten, was voraussetzt, dass bestimmte Pflanzen in den Wiesen blühen und eine gewisse Vielfalt herrscht.

Vielfalt bedeutet für mich auch Kulturvielfalt. Das heisst, dass der Betrieb möglichst vielseitig ist. Zurzeit planen wir, den Obstbaumbestand zu vergrössern. Mit den Direktzahlungen und dem Mostobstertrag sollte die Rechnung aufgehen. Das ist im Grunde das, was wir wollen: Etwas machen, das der Biodiversität dient, das aber auch ein Pro­dukt abwirft, das sich verkaufen lässt.

Ich finde, dass die Extensivierung und Vernet­zung der Flächen hier bereits etwas gebracht hat. Man sieht mehr Schmetterlinge, und auch einem Hasen begegne ich wieder öfter als früher. Letzten Sommer waren ein paar Vogelfreunde da. Ich muss sagen, dass ich von den vielen Arten, die sie in der kurzen Zeit hier festgestellt haben, die wenigsten kenne. Aber den Neuntöter in einer unserer Hecken liess ich mir zeigen. Er ist eine Zielart des Vernet­zungsprojekts.»

Aufgezeichnet von Hansjakob Baumgartner

Maja und Johannes Janggen, Landwirte, Malans (GR)

«Biodiversität ist ein Betriebszweig»

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Olivier Antille, Gärtner, Stadtgärtnerei Lausanne (VD)

«Die Stadtgärtnerei Lausanne setzt sich bereits seit 1991 für die Biodiversität ein. Damals wurde der naturnahe Unterhalt unter dem Motto ‹So viel wie nötig, so wenig wie möglich› eingeführt. In bestimmten Bereichen der öffentlichen Grünflä­chen wird auf systematisches Mähen verzichtet; Magerwiesen wechseln sich dort mit gepflegtem Rasen ab.

Dank diesem Vorgehen sind mehrere Orchi­deenarten zurückgekehrt, und auch der Schwal­benschwanz ist wieder da. Im Park ‹Vallée de la Jeunesse›, um den ich mich kümmere, werden gewisse Wiesen nur einmal pro Jahr gemäht, um eine vielfältige natürliche Versamung zu fördern. Ein Biologe verfolgt den Reifegrad der Samenstän­de und gibt grünes Licht fürs Heuen. Seit Kurzem können übrigens sämtliche Stadtgärtner Kurse zum Mähen mit der Sense besuchen.

In den sogenannten Gärtnereizonen wie etwa dem Rosengarten im ‹Vallée de la Jeunesse› arbei­ten wir ebenfalls naturnäher. Bei den Pflanzen­schutzmassnahmen wird überlegter und gezielter vorgegangen, man lässt die natürlichen Fressfein­

de gewähren, und es kommen sanftere Mittel zum Einsatz. Auch wird wieder von Hand gejätet. Wenn es neue Parzellen zu bepflanzen oder einen ein­zelnen Baum zu ersetzen gilt, greifen wir bei den Bäumen auf einheimische Arten wie Feldahorn, Eiche oder Buche zurück und bei den Sträuchern auf Holunder, Kornelkirsche oder Pfaffenhütchen.

Der Waldsaum an den Parkrändern wird nicht mehr wie einst mit der Axt zurückgehauen, son­dern gestuft gestaltet: zuhinterst die Bäume, in der Mitte die Sträucher und vorne ein Krautsaum. Insekten, Vögel und weitere Lebewesen wissen dies zu schätzen. Dem seltenen Hirschkäfer kom­men sogar speziell hergerichtete Strukturen aus vermodernden Buchenstämmen – seinem bevor­zugten Lebensraum – zugute. Bis auf wenige, vor­wiegend ältere Personen, die den sauberen und ordentlichen Rasenflächen nachtrauern, findet das Publikum grundsätzlich Gefallen an dieser Entwicklung, die unseren Grünanlagen ein etwas wilderes Aussehen verleiht.»

Aufgezeichnet von Cornélia Mühlberger de Preux

«Insekten, Vögel und Menschen schätzen uns»

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7Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

«In den letzten 20 Jahren hat sich im Wald viel verändert. Als ich mit meiner Arbeit im Wald begann, wurden häufig standortfremde oder exo­tische Baumarten wie Fichte, Douglasie und Rot­eiche grossflächig angepflanzt. In Monokulturen gepflanzt, sind diese Arten anfällig für Trocken­heit, Stürme, Hitze und Schädlinge wie zum Bei­spiel den Borkenkäfer.

Im Kanton Baselland wurden in den 1990er­Jahren die natürlichen Waldgesellschaften und Waldstandorte erfasst. Aus diesen Erkenntnis­sen werden seit mehreren Jahren standortfrem­de Wälder in natürliche und standortgerechte Mischwälder umgewandelt. Mit Mischwäldern, welche übrigens viel weniger Pflege erfordern, kann man besser auf den Markt reagieren, denn in einem Jahr ist die Buche begehrt, im anderen Jahr die Esche oder die Weisstanne. Wir holen das aus dem Wald, wofür wir am meisten Nach­frage haben.

Biodiversität und Holzproduktion schliessen sich nicht aus. Mit dem Holzen allein kommen wir auch gar nicht über die Runden, da vor allem

die Nutzholzpreise stark gesunken sind. Die För­derung der Biodiversität ist darum heute ein wichtiges Standbein für uns. Als FSC­zertifizierter Betrieb pflegen und unterhalten wir beispiels­weise wertvolle Naturschutzgebiete, markieren Spechtbäume und werten die Waldränder auf. Vom Kanton gibt es dafür Fördergelder. Wir mä­hen sogar Lichtungen im Wald, um die besonde­ren Lebensräume bedrohter Pflanzen zu erhalten, beispielsweise von Orchideen, welche im intensiv genutzten Kulturland längst verschwunden sind. Mir ist es ein grosses Anliegen, beim Erhalten von seltenen Tier­ und Pflanzenarten mitzuhelfen.

Es freut mich, dass immer weniger Leute ein Problem mit dem Alt­ und Totholz haben, wel­ches wir im Wald stehen und liegen lassen. Das Totholz ist nicht tot, sondern voller Leben; es ist nötig, um den Kreislauf der Natur zu schliessen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass alle Forst­betriebe in der Schweiz die Holzproduktion mit dem Schutz der Biodiversität verbinden.»

Aufgezeichnet von Gregor Klaus

Martin Küng, Forstwart, Gemeinde Rothenfluh (BL)

«Vielfalt und Holznutzung schliessen sich nicht aus»

Alle Bilder: Christian Koch

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Biodiversität – das Netz aller Lebensformen

LEITARTIKEL

Vor 20 Jahren haben Wissenschaftler in den USA versucht, eine künstliche Welt aufzubauen. In der Wüste von Arizona errichteten sie eine luft­ und wasserdichte Glaskapsel mit dem klangvol­len Namen «Biosphere 2». Das Experiment sollte beweisen, dass Leben in einem völlig geschlosse­nen System langfristig möglich ist. In der Blase wurden verschiedene Lebensräume eingerich­tet, in denen insgesamt rund 4000 Arten lebten. Es gab eine Wüste, eine Savanne, einen tropi­schen Regenwald, einen Mini­Ozean und Land­wirtschaftsflächen. Der technische Aufwand für Pumpen, Filtersysteme und Ventilatoren war gewaltig. Doch der Versuch scheiterte: Trotz der Investition von 150 Millionen Dollar gelang es den acht Versuchspersonen nicht, sich un­abhängig von der Aussenwelt zu versorgen und das künstliche System lebensfähig zu machen. Immer wieder musste Sauerstoff zugepumpt

men (Arten von Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakte­rien) und die unterschiedlichen Lebensräume, in denen die Arten vorkommen (Ökosysteme wie Wälder oder Gewässer), sowie die gene­tische Vielfalt innerhalb der Arten (z. B. Un­terarten, Sorten und Rassen). Wir Menschen sind vollständig abhängig von den Gütern und Leistungen, die die Ökosysteme erbrin­gen (siehe Seite 12). Dazu gehören fruchtbare Böden, sauberes Trinkwasser, die Speicherung von CO2, die Versorgung mit Nahrungsmit­teln und Medikamenten. Biodiversität ist von existenzieller Bedeutung für das Leben auf unserem Planeten und für das Wohlergehen von uns Menschen. Besonders praktisch ist die Tatsache, dass sich die Biodiversität selbst wartet und sich kostenlos auf dem neusten «technologischen» Stand hält – man muss sie nur gewähren lassen.

werden, Tiere starben, Schaben und Ameisen vermehrten sich massenhaft, Pflanzen welkten oder überwucherten andere Arten.

Der erbrachte Beweis war schlagend – wenn auch nicht in der von den Forschern beabsich­tigten Richtung: Wir können Biodiversität und die Leistungen der Ökosysteme auch mit gros­sem Aufwand nicht künstlich erzeugen.

Das Leben in allen seinen Erscheinungsformen. Bio­diversität umfasst die verschiedenen Lebensfor­

Die Menschheit hat bereits fast zwei Drittel aller Ökosystemleistungen beschädigt oder nutzt sie nicht nachhaltig. Besorgt schauen wir in die Tropen, wo allein zwischen 2000 und 2005 insgesamt 27 Millionen Hektaren Regen­wald vernichtet wurden – das sind 2,4 Prozent des gesamten Tropenwaldes. Damit ist die jähr­liche Abholzungsrate zu Beginn des 21. Jahr­hunderts noch genauso hoch wie in den 1990er­Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der grösste Teil der zerstörten Fläche wird in

Wo immer der Mensch auf der Erde nach Leben gesucht hat – von der Tiefsee bis zum höchsten Berggipfel –, wurde er fündig. Eine beson-ders vielfältige Artengruppe sind die Wanzen, von denen es in Mitteleuropa über 1000 Arten gibt und die bei uns so gut wie alle Lebens-räume besiedeln: im und auf dem Wasser, auf Pflanzen, am und im Boden.Bilder: Sammlung Natur-Museum Luzern;

Christian Koch

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9Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

«Es ist höchste Zeit, dass die Biodiversität in die wichtigsten volkswirtschaftlichen Indikatoren einfliesst.» Willy Geiger, BAFU

Weideland, Soja­ oder Palmölplantagen umge­wandelt.

Weiterhin abnehmende Biodiversität. Auch wenn die Lage in der Schweiz nicht gleich dramatisch ist, haben wir keinen Grund, die Hände in den Schoss zu legen. Erstens sind wir als Konsumen­ten, Exporteure und Investoren indirekt an der Vernichtung von Ökosystemen weltweit betei­ligt. Palmöl beispielsweise steckt in unzähligen Nahrungsmitteln und Kosmetika, die auch bei uns in den Regalen stehen. Zweitens haben auch wir in der Schweiz unsere Biodiversität dezimiert. Allerdings hat man hierzulande be­reits vor 150 Jahren und früher damit begon­nen. Allein seit 1900 wurden beispielsweise 36 Prozent aller Auen, 82 Prozent aller Moore und 95 Prozent aller Trockenwiesen und ­wei­den zerstört.

Der Verlust der biologischen Vielfalt ist ein schleichender Prozess. Er geschieht kleinräu­mig, oft unsichtbar und mit zeitlich verzöger­ten Auswirkungen. Es besteht das Risiko, dass wesentliche Funktionen und Leistungen der Biodiversität verloren gehen, bevor die Gesell­schaft aufmerksam wird und reagieren kann.

Es ist höchste Zeit, dass die Biodiversität in die wichtigsten volkswirtschaftlichen Indika­toren einfliesst. Es muss aber auch immer wie­der daran erinnert werden, dass wir nicht von einem fremden Planeten kommen. Der Mensch als biologische Art ist ein Ergebnis von mehr als 3000 Millionen Jahren Evolution. Ohne die Fülle an Lebensformen und ohne die Leistungs­fähigkeit des Naturhaushaltes hätten wir gar

nie entstehen können. Wir haben auch eine moralische Verpflichtung gegenüber der bio­logischen Vielfalt.

Ziele verfehlt. 1992 wurde am Umweltgipfel in Rio de Janeiro die Biodiversitätskonvention ver­abschiedet, welche die Schweiz zwei Jahre spä­ter ratifiziert hat. Dieses Vertragswerk verfolgt drei Ziele: die Erhaltung der Biodiversität, die nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile sowie die gerechte und ausgewogene Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der gene­tischen Ressourcen ergeben (das sogenannte «Access and Benefit Sharing»). Die damals auf­

kommenden Hoffnungen für eine umfassende Erhaltung und Förderung der Biodiversität ha­ben sich nicht erfüllt.

Vor acht Jahren hat sich die Staatengemein­schaft in Johannesburg das Ziel gesetzt, dem weltweiten Rückgang der biologischen Vielfalt bis 2010 Einhalt zu gebieten. Das 10. Treffen der Vertragsstaaten der Biodiversitätskonven tion, das im Oktober 2010 im japanischen Nagoya stattfindet, wird nicht um das Eingeständnis herumkommen, dass dieses Ziel weltweit ver­fehlt wurde. Im Internationalen Jahr der Biodi­versität 2010 wird auch in der Schweiz Bilanz gezogen: Obwohl in den letzten zwei Jahrzehn­ten viele gute Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Vielfalt ergriffen wurden, schrei­tet der Verlust weiter voran (siehe Seite 22).

Positiv ist hingegen, dass sich mit der Ziel­definition durch die internationale Staaten­gemeinschaft die vereinten Bemühungen zur Erhaltung der Biodiversität verstärkt haben. Es gibt immer mehr Schritte in die richtige Richtung. Das Jahr 2010 ist die Gelegenheit, die Weichen neu zu stellen! Wir entscheiden, wie viel Biodiversität es auf dieser Erde in Zukunft geben wird.

Wir benötigen eine Biodiversitätsstrategie. Den Schutz der biologischen Vielfalt schreiben sowohl die Bundesverfassung als auch inter­nationale Verträge vor. Biotopinventare, Schutz­flächen im Wald, die Roten Listen bedrohter Arten, das Biodiversitäts­Monitoring oder der ökologische Ausgleich in der Landwirtschaft sind einige der Instrumente, die in den ver­

gangenen Jahren in der Schweiz entwickelt wurden. Ihre Wirkung reicht aber nicht aus, um eine Trendwende herbeizuführen. Das Par­lament hat daher im September 2008 die Aus­ arbeitung einer Strategie zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität in das Legislatur­programm 2007–2011 aufgenommen. Gemäss Bundesratsbeschluss vom 1. Juli 2009 soll die Biodiversitätsstrategie Schweiz bis Mitte 2010 dem Bundesrat vorgelegt werden, damit dieser das weitere Vorgehen festlegen kann.

Willy Geiger, Vizedirektor BAFUwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-02

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Auch wenn wir immer nur Ausschnitte erleben: Alles hängt zusammen. Fotos und Montage: Christian Koch

Die Leistungen der Biodiversität

Allgemeine Leistungen– ErzeugungvonAtemluft– Moore,BödenundWälderals natürlicheSpeichervonCO2 (Klimastabilisierung)– BeschleunigungdesWasserkreislaufs

(VerdunstungsleistungderPflanzen)– Recyclingvonabgestorbenem Pflanzenmaterial

Beitrag zur Gesundheit– WirkstoffefürArzeimittel– ErholungineinervielfältigenNatur– AufnahmeundEntgiftungvon Schadstoffen

Beitrag zur Ernährung– ProduktionallerNahrungsmittel– Nahrungsmittelvielfalt– BildungfruchtbarerBöden– NährstoffkreislaufinGanghalten– BiologischeSchädlingsbekämpfung– BestäubungvonKulturpflanzen– EssbareWildpflanzen– Wildtiere(z.B.Fische,Rehe)– WildwachsendesTierfutter– OrganischeDüngemittel

Weitere wirtschaftliche Leistungen– WertvolleNatur-undKulturland-

schaftenfürdenTourismus– SauberesTrinkwasserausnaturnahen

Ökosystemen

Beitrag zur Sicherheit– SchutzvorErosion,Steinschlagund

Lawinen– ÖkosystemealsWasserspeicher (Hochwasserschutz)– NaturnaheÖkosystemealsBollwerke

gegeninvasiveArten

Existenzwert– Wert,denwirdernatürlichenVielfalt

unabhängigvonihrerNutzung zumessen(z.B.WertalsVermächtnis

fürkommendeGenerationen)

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umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität12

Biodiversität ist WirtschaftÖKOLOGIE UND ÖKONOMIE

75 000 000 000 Franken verliert die Menschheit jedes Jahr, weil sie den Verlust an Biodiversität und die zunehmende Belastung der Ökosysteme nicht in den Griff bekommt. Zu diesem Schluss gelangte ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Leistungen der Ökosys­teme und der darin lebenden Arten für uns Men­schen untersucht haben. Besonders wichtig sind die Speicherung von CO2, insbesondere durch Wälder und Moore, sowie die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, von Nahrung und Arznei­mitteln (siehe Übersicht auf Seite 11). Der Motor dieser Leistungen ist die Biodiversität.

Ohne Vielfalt kein Leben. Werden Ökosysteme ge­schädigt oder zerstört, können sie ihre Leistun­gen nicht mehr erbringen. Der Mensch muss

dann entweder massive Einbussen an Lebensqua­lität hinnehmen oder die Leistungen mit techni­schen Mitteln aufwendig und kostspielig erset­zen. «Wir müssen lernen, dass die Ökosysteme ein wichtiges Kapital sind, das Güter produziert und Dienstleistungen erbringt», sagt Andreas Hauser von der Sektion Ökonomie beim BAFU. Der Wert der Biodiversität als Ganzes lässt sich allerdings ökonomisch nicht in Franken bezif­fern. «Da wir ohne Biodiversität nicht überleben können, ist ihr Wert unendlich hoch», erklärt Andreas Hauser. Ökonomische Bewertungen beziehen sich daher auf den Verlust oder den Mehrwert an Leistungen, wobei zwei verschie­dene Zustände verglichen werden.

Allerdings werden zahlreiche Ökosystemleis­tungen nicht auf dem freien Markt gehandelt. Während alle wissen, dass ein Kilo Kartoffeln im Laden etwas kostet, wird beispielsweise die Bildung fruchtbarer Böden oder die Bestäubung von Kulturpflanzen ganz selbstverständlich als gratis vorausgesetzt. «Es ist höchste Zeit, dass wir uns den Nutzen, den wir aus der Biodiver­

sität ziehen, deutlicher vor Augen führen und die Märkte mit den gehandelten Gütern und Dienstleistungen als Unterabteilung einer weit übergeordneteren Ökonomie – des Haushalts der Biosphäre – begreifen», sagt Andreas Hauser.

Preisschilder für die Biodiversität. Das TEEB­Projekt TheEconomicsofEcosystemsandBiodiversityverfolgt dieses Ziel auf globaler Ebene. Das unter der Schirmherrschaft des UNO­Umweltprogramms UNEP laufende Forschungsprogramm will die Biodiversitätsleistungen mit Preisschildern ver­sehen und die wirtschaftlichen Folgen des Bio­diversitätsschwundes abschätzen. Erste Resultate zeigen, dass die Menschheit im Jahr 2050 Wohl­fahrtseinbussen im Wert von rund 7 Prozent des weltweiten Bruttoinlandprodukts erleiden wür­

de, falls die Verluste an Bio diversität in gleichem Umfang weitergingen und die Biodiversität im­mer weniger Güter und Ökosystemleistungen be­reitstellen könnte. «Die Schadensbilanzen wer­den sich akkumulieren und schliesslich bis in Billionenhöhe auftürmen», sagt Andreas Hauser.

Auch Untersuchungen aus der Schweiz lassen darauf schliessen, dass naturnahe Ökosysteme bedeutende ökonomische Mehrwerte gegenüber beeinträchtigten Ökosystemen aufweisen. Doch was sich für die Gesellschaft als Ganzes lohnt, zahlt sich in vielen Fällen für den einzelnen Landbesitzer nicht aus. Viele Leistungen werden darum nicht bewertet und geschätzt, sondern stillschweigend vernichtet.

Die drei folgenden Beiträge zeigen die Bedeu­tung der Biodiversität für unseren Alltag auf (Er­nährung, Gesundheit und Sicherheit). Die Kern­aussage ist überall die gleiche: Die Erhaltung der Biodiversität ist kein Luxus, sondern überlebens­notwendig.

Gregor Klauswww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-03

Die Biodiversität ist die Grundlage unseres Lebens und erbringt zahlreiche Leistungen. Viele davon sind durch den Bio-diversitätsverlust inzwischen gefährdet. Investitionen in die Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt würden sich ökonomisch auszahlen.

KONTAKTAndreas HauserSektion ÖkonomieBAFU031 322 79 [email protected]

«Wir müssen lernen, dass die Ökosysteme ein wichtiges Kapital sind, das Güter produziert und Dienstleistungen erbringt.» Andreas Hauser, BAFU

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13Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

Von der Bank auf den TellerERNÄHRUNG

Eine grosse Vielfalt an Kulturpflanzen und Nutztierrassen ist eine wesentliche Voraussetzung für unser Überleben. Die Genbank der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil birgt Schätze, die eines Tages eine bedeutende Rolle bei der Lösung heutiger und künftiger Ernährungskrisen spielen könnten.

«Insgesamt konnte der Biodiversitätsverlust bei den Kultur-pflanzen in der Schweiz gestoppt werden.» Geert Kleijer, nationale Genbank

Genetische Ressourcen sind genauso wie Boden und Wasser eine Grundlage der Ernährungs­sicherheit. «Sie sind lebenswichtig und müssen langfristig gesichert werden», betont Sarah Pear­son von der Sektion Arten und Biotope beim BAFU. «Wird die genetische Vielfalt bei den Nutz­pflanzen und Nutztieren nicht erhalten, laufen wir Gefahr, auf künftige Herausforderungen wie neue Krankheiten oder Klimaveränderungen nicht reagieren zu können», bekräftigt Christian Eigenmann, Koordinator des Nationalen Aktions­plans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernäh­rung und Landwirtschaft (NAP­PGREL) beim Bun­desamt für Landwirtschaft (BLW).

Grosse Vielfalt. Die genetische Vielfalt bei Pilzen, Pflanzen und Tieren ist ein gewaltiges Ressour­cenreservoir. Weltweit gelten fast 60 000 Pilz­ und Pflanzenarten als essbar, rund 7000 davon werden angebaut. Die Kulturpflanzen wurden über Jahrhunderte hinweg auf lokaler Ebene so selektioniert, dass sie optimal an ihre Umgebung angepasst sind und Dürreperioden, Krankheiten und Schädlingsbefall überstehen. Dadurch ha­ben sie unzählige interessante Eigenschaften ent­wickelt. Dieses Erbe lässt sich jedoch nur durch Nutzung und Schutz erhalten.

In der Schweiz gibt es drei landwirtschaftli­che Forschungsanstalten, welche zum Bundes­amt für Landwirtschaft gehören. Eine davon ist Agroscope Changins­Wädenswil (ACW), die unter anderem die nationale Genbank unterhält.

Mühsame Kleinarbeit. Bereits vor über hundert Jahren wurde an der Forschungsanstalt mit dem Sammeln von Getreidesorten begonnen. Im Laufe

der Zeit kamen Gemüse und Reben dazu. Derzeit sind nahezu 12 000 Sorten konserviert. Jährlich werden im Durchschnitt 300 Proben an Orga­nisationen und Institute in der Schweiz und im Ausland für Forschungs­ und Selektionszwecke oder einfach als Anschauungsmaterial verteilt. Das in Changins (VD) gesammelte Material wird sorgfältig beschrieben. In der Datenbank sind nicht nur das Eingangsdatum, der Name der Sorte und der Elterngeneration gespeichert, son­dern auch Informationen über Eigenschaften wie Wuchshöhe, Proteingehalt, Krankheitsresis­tenzen und bei Getreidesorten die Backqualität. Das Saatgut wird getrocknet, in Aluminiumbeu­tel abgefüllt, im Tiefkühler aufbewahrt und re­gelmässig kontrolliert. Zur Erhöhung der Sicher­heit wird ein Teil des Materials zusätzlich noch an einem anderen Ort gelagert, zum Beispiel in Deutschland oder in den USA. Die globale Saat­gutbank in Spitzbergen (Norwegen) wird eben­falls mit Material beliefert.

Ernährungssicherheit dank Vielfalt. «Insgesamt konnte der Biodiversitätsverlust bei den Kultur­pflanzen in der Schweiz gestoppt werden», freut sich Geert Kleijer, der für die nationale Genbank zuständig ist. Das Angebot auf dem Markt wächst sogar wieder, denn die Forschungsanstalt gibt

jedes Jahr eine oder zwei neue Sorten für den Anbau in der Landwirtschaft heraus.

Die Entwicklung bei den Getreidesorten ver­deutlicht dies: Um 1900 wurden in der Schweiz noch etwa 200 lokale Sorten angebaut. In den 1950er­Jahren waren es nur noch eine Handvoll. Inzwischen hat die Anzahl Getreidesorten auf den Feldern wieder zugenommen und liegt zur­zeit bei 20 bis 30. Und das ist gut so: «Beschrän­

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ken wir uns auf eine einzige Sorte und wird diese stark von einer Krankheit befallen, ist das eine Katastrophe. Setzen wir auf mehrere Sorten, ist die Chance gross, dass resistente Sorten darunter sind und wenigstens ein Teil der Ernte gesichert ist», erklärt Geert Kleijer.

Dank Tradition gerettet. Normalerweise werden nur wenige lokale Getreidesorten als solche rekul­tiviert, da die meisten nicht mehr mit den heuti­gen Anbau­ und Ernteverfahren kompatibel sind. Die Vielfalt ist daher vor allem ein Reservoir für die Züchtungsarbeit. Ab und zu wird Agroscope Changins aber gebeten, altes Saatgut hervorzu­holen. Dies war beispielsweise beim «Rouge de Gruyère» der Fall, einer Weizensorte, die sich für das Strohflechten eignet und die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Aufnahme in der Sammlung fand. Seit der Wiederbelebung der Tradition wird der «Rouge de Gruyère» im Kanton Freiburg er­neut ausgesät. «Hier handelt es sich um Nischen­produkte mit hohem Mehrwert, die für lokale Märkte oder für Privatgärten bestimmt sind. Für einen Anbau in grösserem Rahmen muss die Sor­te allerdings wirtschaftlich bedeutender sein», sagt Geert Kleijer.

Ein vermehrtes Interesse für alte Sorten ist beim Obst und Gemüse festzustellen. Das gilt bei­spielsweise für den Genfer Kardy (Gemüse) oder die Freiburger «Poire à Botzi» (Büschelibirne), die in das Verzeichnis der geschützten Ursprungs­bezeichnung (GUB oder AOC) aufgenommen wor­den sind, wie übrigens die Maissorte Rheintaler Ribel auch. Die Förderung derartiger Produkte erlaubt es, vergessene Sorten wieder populär zu machen und die Ernährung abwechslungsrei­cher zu gestalten. Die rehabilitierten regional­spezifischen Gerichte bereichern zudem die kul­turelle Vielfalt.

Beachtliches Potenzial. Die Erhaltungsarbeit ist aber vor allem im Hinblick auf ein erweitertes Genreservoir und erhöhte Kreuzungsmöglichkei­ten wichtig. Da lokale Sorten positive Merkmale wie Widerstandsfähigkeit, gute Anpassung an lokale Bedingungen, stabile Erträge, eine gewisse Krankheitstoleranz oder einfache Saatgutpro­duktion aufweisen können, sind sie ein interes­santes Reservoir für die Genforschung. «Wir müs­sen uns immer öfter die Frage stellen, welche Eigenschaften die Sorten in Zukunft haben sol­len. Im Kampf gegen sommerliche Dürre müssen beispielsweise Sorten gefunden werden, die früh reifen», erklärt Geert Kleijer.

«Besonders erfreulich ist, dass dank den Selektionsprogrammen resistentere, mit einer nachhaltigen Landwirtschaft zu vereinbarende

Fotos und Montage: Christian Koch

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(gk) Als die Engländer Australien kolonisierten,wollten sie auf eine Tradition nicht verzichten:denWeihnachtsbaum.Dochausdenmitgebrach-ten Fichtensamen wuchsen in der australischenErde–wennüberhaupt–nurkränklicheBäum-chen.ErstalsauchBodenausEnglandimportiertwurde, gelang der Versuch. Verantwortlich fürdenErfolgwarendiedamiteingeführtenMykor-rhiza-Pilze. «Boden ist weit mehr als ein nähr-stoffhaltiges Substrat», erklärt Elena Havlicekvon der Abteilung Bodenschutz beim BAFU. IneinerHandvollErdekönnenrundfünfMilliardenOrganismen leben–unddamit fast so vielewieesMenschenaufderganzenWeltgibt.ErstdieseOrganismen und ihr Zusammenspiel sorgen da-für,dassderBodenwichtigeÖkosystemleistungenerbringenkann.

Lebewesen–vondenBakterienüberPilzeundwinzigeGeisseltierchenbishinzumrelativgrossenRegenwurm– sind entscheidend ander Bildungvon Böden beteiligt. Ohne funktionierenden Bo-denkönntendiemeistenPflanzennichtgedeihen;esgäbepraktischkeineoberirdischeBiodiversitätundfürdenMenschenkeineNahrung.«OhneLebenkeinBoden–ohneBodenkeinLeben»,erklärtElenaHavlicek.

Die Bodenorganismen beteiligen sich an vie-len Stoffkreisläufen. So gehört der Abbau vonabgestorbenem Pflanzenmaterial zu ihren Leis-

tungen.«OhneBodenlebewesenwürdedieWeltintoter Biomasse versinken», sagt Elena Havlicek.Humus isteinwichtigesNährstoffdepot,dasvonihnen auf- und abgebaut und dabei den Pflan-zenzugänglichgemachtwird.Vorallemfürdenbiologischen Landbau, der auf Kunstdünger ver-zichtet,istdieseLeistungvongrosserBedeutung.ImHumus ist zudemKohlenstoffgebunden,wasBöden zu einem riesigen Kohlenstoffspeichermacht–Kohlenstoff,der inderAtmosphäredenKlimawandelanheizenwürde.BodenorganismensorgenzudemfüreinegrobporigeBodenstrukturmit einer erhöhten Durchlässigkeit und Wasser-aufnahmefähigkeit. Intakte Böden sind somitwichtige Rückhaltebecken für Niederschläge.Bodenschutz istalsoauchHochwasserschutzunddient damit der Gefahrenprävention. Lebewesenim Boden stabilisieren diesen und verhindern,dass er weggeschwemmt wird. Grundsätzlichgilt, dass ihre Leistungen dann besonders grosssind,wenndieBiodiversitätmöglichst intaktist.«LebenbenötigtVielfalt»,sagtElenaHavlicek.

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Sorten verfügbar sind», betont Sarah Pearson. In Changins wird nach Sorten gesucht, die den Einsatz von Fungiziden überflüssig machen. «Wir haben unter anderem festgestellt, dass gewisse lokale Weizen­ und Gerstensorten sehr resistent sind gegen eine als Schwarzrost bezeichnete Pilzkrankheit. Sie stehen nun den Züchtern zur Verfügung, die diese Qualität auf andere Sorten übertragen», erläutert Geert Kleijer. Ein weiteres Beispiel ist die Entdeckung des Münstertalers, einer Weizensorte aus dem Bündnerland, die besonders robust ist gegen den durch Pilze ver­ursachten Schneeschimmel. Japan, das ebenfalls unter der Seuche leidet, zeigt grosses Interesse an dieser Forschungsarbeit.

Eine verlässliche Basis. Auch zahlreiche private Organisationen setzen sich in der Schweiz für die Erhaltung der Vielfalt bei den Kulturpflan­

zen ein. Verschiedene Vereinigungen wie etwa Fructus, das Arboretum in Aubonne, ProSpecie­Rara oder Rétropomme sammeln und erhalten beispielsweise alte Obstbaumsorten.

Die Schweizerische Kommission zur Erhal­tung der Kulturpflanzen (SKEK) vereint sämtliche Akteure in diesem Bereich und koordiniert die Tätigkeiten im Rahmen der NAP­Projekte. «Der Bund seinerseits bietet diesen Organisationen und der SKEK Unterstützung über den Nationa­len Aktionsplan», erklärt Christian Eigenmann. Der letzte Bericht über die pflanzengenetischen Ressourcen der Schweiz zeigt, dass in den ver­gangenen Jahren bedeutende Fortschritte bei der Erhaltung und Verwendung genetischer Ressour­cen erzielt worden sind.

Cornélia Mühlberger de Preuxwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-04

KONTAKTESarah Pearson PerretSektionschefin Arten und Biotope, [email protected]

Christian EigenmannNAP-KoordinatorBundesamt für Landwirtschaft (BLW)[email protected]

Ohne Boden kein Leben

KONTAKTElena HavlicekSektion BodenschutzBAFU031 325 14 [email protected]

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Die Heilkraft der BiodiversitätGESUNDHEIT

Die Biodiversität liefert uns Arzneimittel, und in einer vielfältigen Landschaft kommen wir zur Ruhe und bauen Stress ab. Investitionen in die Biodiversität sind deshalb Investitionen in unsere Gesundheit.

Dem englischen Bakteriologen und Nobelpreis­träger Alexander Fleming gelang einer der spek­takulärsten Arzneimittelfunde: 1928 entdeckte er in einem Schimmelpilz das Penicillin, den Prototyp aller Antibiotika. Der Marktwert dieser Ent deckung lässt sich kaum beziffern. Biodi­versität ist aber nicht nur eine unerschöpfliche Quelle für Arzneimittel (siehe Kasten Seite 18). Durch ihre regenerierende Wirkung auf Körper und Psyche dient sie der Gesundheit in einem noch viel grös seren Umfang. Laut einer Definition der Welt gesundheitsorganisation (WHO) ist Ge­sundheit denn auch viel mehr als das Fehlen von Krankheit. Zur menschlichen Gesundheit gehört körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden. Zahlreiche Studien belegen, dass beispielsweise naturnahe Landschaften und die darin enthaltene Biodiversität dazu einen wesentlichen Beitrag leis­ten. Angesichts steigender Kosten im Gesundheits­wesen ist die Förderung qualitativ hochstehender Landschaften mit einer intakten Biodiversität eine gute Investition.

Biodiversität tut gut. Die medizinische Forschung diskutiert seit Längerem die Vorzüge einer von Pflanzen und Tieren geprägten Umgebung, bei­spielsweise bei der Genesung von Kranken. In ei­ner Studie konnte belegt werden, dass Patientin­nen und Patienten mit Blick auf Bäume und Wiesen schneller gesund werden als solche mit Blick auf eine braune Backsteinwand.

Um die Schnittstelle zwischen Landschaft und Gesundheit auszuloten, lancierte die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz zusammen mit den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz das Pro­jekt «Paysage à votre santé», das unter anderem vom BAFU unterstützt wird. Eine erste Studie des Projekts am Institut für Sozial­ und Präventivmedi­zin der Universität Bern konnte belegen, dass sich Landschaft umfassender auf die Gesundheit aus­

wirkt als bislang angenommen. Da die Biodiver­sität in Form von Lebewesen und Lebensräumen eine wichtige Qualität der Landschaft ist, kommt ihrer Erhaltung eine besondere Bedeutung zu. «Naturnahe und vielfältige Umgebungen, die von der Bevölkerung als attraktiv wahrgenommen wer­den und gut erreichbar sind, fördern körperliche Aktivitäten, wirken sich positiv auf die psychische Gesundheit der Menschen aus, steigern die Kon­zentrationsfähigkeit und reduzieren Frustration, Ärger und Stress», erklärt Pia Kläy von der Sektion Landschaft und Landnutzung beim BAFU.

Biodiversität bewegt. Naturerlebnisräume im Sied­lungsgebiet sind vor allem für Kinder attraktiv. Sie erfüllen die elementaren Bedürfnisse nach Bewe­gung, Erkundung und autonomer Spielgestaltung. So haben die Kinder in der Grossüberbauung Telli in Aarau von einem Bach, der ökologisch aufge­wertet wurde, in spontaner Begeisterung Besitz ergriffen. Natur als Bewegungsressource bietet wichtige Impulse zur Steigerung der körperlichen

Aktivitäten und leistet damit einen wichtigen Bei­trag zur Gesundheit. Grünräume in Städten erfül­len zudem eine Vielzahl von Ökosystemleistungen. Beispielsweise wirken sie sich positiv auf das Mik­roklima aus und reduzieren die Immissionsbelas­tungen in städtischen Ballungsräumen.

Biodiversität lehrt. Studien zeigen, dass selbst kurz­zeitige Naturerlebnisse in der Mittagspause den Geist erfrischen, die Kreativität steigern und die Konzentration fördern. Die vom BAFU unterstützte Stiftung Natur & Wirtschaft will angesichts dieser Leistungen die Firmenareale zu Erholungsgebie­ten für die Angestellten und zu Lebensräumen für Tiere und Pflanzen machen. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Leben, Vielfalt und Farbe in den Alltag zu bringen. Sie zertifiziert vielfälti­

«Naturnahe und vielfältige Umgebungen steigern die Konzentrationsfähigkeit und reduzieren Frustration, Ärger und Stress.» Pia Kläy, BAFU

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ge und naturnahe Flächen, die mittlerweile so gross wie der Sempachersee sind.

Für Reto Locher, Geschäftsführer der Stiftung, hat der Zusammenhang zwischen Biodi versität und Wohlbefinden aber noch eine andere, tie­fere Ebene. Wer der schöpferischen Natur – mit der uns mehrere Milliarden Jahre Evolution ver­binden – Raum gibt, nimmt sich selbst zurück und übt sich in Bescheidenheit. «Die Vielfalt aller Arten zu erleben und sie und uns als Lebe­wesen zu begreifen – dies ist eine Erfahrung, die uns Demut, Respekt und Verantwortung lehrt», sagt Reto Locher. Unser Wohlbefinden lässt sich dadurch entscheidend erhöhen.

Gregor Klauswww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-05 Der Stamm CHA0 von Pseudomonas fluorescens

trägt die Nummer 2. Diese Variante des stäb­chenförmigen Bakteriums gehört damit zu den allerersten Mikroorganismen, die Eingang fan­den in die «Culture Collection of Switzerland» (CCOS), wo sie nochmals akribisch untersucht und charakterisiert wurden und seither bei Temperaturen um minus 196 oC darauf warten, dass sich irgendjemand für sie und ihre Eigen­schaften näher interessiert.

Die Labors der CCOS an der Zürcher Hoch­schule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil wurden im Mai 2009 eingerich­tet. Der Anstrich ist noch frisch, die Apparate glänzen blitzsauber. Kontrolllichter blinken, die Ventilation summt, Zahlen und Grafiken huschen über Bildschirme. Man hat nicht das Gefühl, hier gehe es um natürliche Vielfalt. Doch in der künstlichen Umwelt wird ein nicht unbedeutender Teil der Biodiversität un­seres Landes konserviert.

Die unsichtbare Mehrheit. Die Pilz­, Pflanzen­ und Tierarten, welche die Erde bevölkern, sind nur ein Teil der biologischen Vielfalt – und nicht unbedingt der wesentlichste. Mehr als die Hälfte der Biomasse weltweit stellen die Mikroorganismen – Bakterien, mikroskopisch kleine Pilze und Algen, Protozoen. Sie halten die Ökosysteme am Laufen, machen den Stick­stoff aus der Luft zu einem Pflanzennährstoff, reinigen das Wasser, zersetzen alle Lebewe­sen nach deren Tod. Die Hälfte der globalen Sauerstoffproduktion entstammt ihrer Tätig­keit. Und die Zahl ihrer Arten geht vermutlich in die Mil liarden.

Mikroorganismen sind Alleskönner. Die Breite ihrer Fähigkeiten widerspiegelt sich in der Vielfalt der ökologischen Nischen, die sie be­setzen. Einige gedeihen bei extremer Hitze, andere in Gletscherseen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Es gibt Spezialisten für stark

Unsichtbare HelferMIKROORGANISMEN

Ein Labor in Wädenswil am Zürichsee kümmert sich um eine wenig bekannte biologische Ressource der Schweiz: die Vielfalt der hiesi-gen Mikroorganismen.

KONTAKTPia Kläy Sektion Landschaft und Landnutzung, BAFU031 322 80 [email protected]

Biodiversität wirkt

(gk) Früher wurden fast alle Heilmittel ausPflanzenundTierenhergestellt.AuchheutenochistdieNaturunsereApotheke.Mangehtdavonaus,dassweltweitindertraditionellenMedizin50000bis70000Pflanzenartengenutztwerden.DieMenschenindenEntwicklungsländernsindauf wild wachsende Heilpflanzen angewiesen.DieErhaltungundnachhaltigeNutzungderBio-diversität ist für diese Menschen deshalb über-lebenswichtig.InAmazonienhatdieZerstörungdesRegenwaldesinvielenRegionenbereitsdazugeführt, dass wichtige Heilpflanzen selten oderteuergewordensind–mitfatalenFolgenfürdieGesundheitderdortlebendenMenschen.

AuchwennwirinderSchweizdieWirkstoffeinTablettenformzuunsnehmen,sindwirnichtviel weniger von der globalen Biodiversität ab-hängig: Rund die Hälfte der heute gebräuch-lichen Arzneimittel basiert auf Wirkstoffen,dievonTierenundPflanzenstammenodernachdem Vorbild natürlicher Wirkstoffe entwor-fen wurden. Der jährliche Umsatz mit solchenMedikamenten beläuft sich weltweit auf rund200MilliardenUS-Dollar.

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saure oder basische, schwefelreiche oder sauer­stofffreie Milieus, und viele Arten nutzen andere Organismen als Habitate. «Fast die Gesamtheit der biologischen ‹Innovationen›, die im Verlaufe der Evolution ausprobiert wurden, sind bei den Mikroorganismen noch zu finden», sagt Kurt Hanselmann, mikrobieller Ökologe an der ETH Zürich, der sich mit Vorliebe mit den Lebensge­meinschaften an extremen Standorten befasst. Denn gerade die Extremisten weisen zuweilen Ei­genschaften auf, die für den Menschen nützlich sein können.

Dazu zählt zum Beispiel das Bakterium Ther-mus aquaticus, das aus dem 70 oC heissen Wasser eines Geysirs im Yellowstone­Nationalpark in den USA isoliert wurde. Es verhalf uns zur Technik der Polymerase­Kettenreaktion (PCR), der Kopier­methode für die Erbsubstanz DNA. Die PCR ist eines der wichtigsten Verfahren der Molekular­biologie. Mit ihr können Erbkrankheiten oder Virusinfektionen bestimmt, genetische Finger­abdrücke erstellt und Täter überführt werden, die winzigste Mengen von Hautpartikeln am Tat­ort hinterlassen haben. Um die doppelsträngige DNA zu vervielfältigen, muss sie zunächst in zwei Einzelstränge getrennt werden, was Temperatu­ren um 96 oC erfordert. Thermus aquaticus liefert dafür das Enzym, das auch bei dieser Hitze noch funktioniert.

Bier, Brot und biologische Schädlingsbekämpfung. Mik­roorganismen sind seit Urzeiten eine biologische Ressource des Menschen. Die erste bildliche Dar­stellung ihrer Nutzung ist 5000 Jahre alt: Ägyp­tische Fresken zeigen Männer beim Bierbrauen. Dass sie dabei die Dienste des mikroskopisch klei­nen Hefepilzes Saccharomycescerevisiaein Anspruch nahmen, bewies Louis Pasteur erst 1857. Auch beim Käsen und beim Backen halfen schon vor Jahrtausenden Mikroorganismen mit.

Die Molekularbiologie erschliesst den Winz­lingen neue Tätigkeitsfelder in der Medizin, der Forschung, der Industrie, aber auch in der grü­nen Technologie: Der eingangs erwähnte CHA0­Stamm von Pseudomonasfluorescens könnte sich bei der biologischen Schädlingsbekämpfung nütz­lich machen. Diese Bakterienart lebt an Wurzeln von Pflanzen. Sie schützt ihren Wirt durch Pro­duktion antibiotisch wirkender Substanzen vor krankmachenden Keimen. Im Fall des Stamms CHA0, der Getreide, Zuckerrübe und andere Nahrungspflanzen besiedelt, hemmt dieser Stoff schädliche Pilze.

In hiesigen Obstgärten wütete in den letzten Jahren das Bakterium Erwiniaamylovopra, der Er­reger des Feuerbrandes. Wegen dieser sehr anste­ckenden Baumkrankheit mussten 2007 eine Vier­telmillion Bäume gefällt werden. Um befallene Kulturen zu behandeln, wird heute das Antibio­tikum Streptomycin versprüht, was wegen der Gefahr der Resistenzbildung nicht unproblema­tisch ist. Auch diverse natürliche Widersacher aus der Welt der Mikroben sind gegen das krank­ machende Bakterium im Einsatz. Ein aussichts­reicher Kandidat, dem eine hohe Wirksamkeit zugeschrieben wird, ist Pantoea agglomerans. Da es jedoch auch humanpathogene Stämme dieses Bakteriums gibt, ist eine genaue Identifizierung der Stämme nötig, die sich für die biolo gische Schädlingsbekämpfung eignen. Im Rahmen eines vom BAFU unterstützten Projekts werden derzeit an der Forschungsanstalt Agroscope Chan­gins­Wädenswil ACW solche Stämme charakteri­siert und ihr Verhalten in der Umwelt untersucht.

Biologische Bibliothek. Auch für den Umgang mit den Mikroorganismen gelten die Gebote der 1992 verabschiedeten Biodiversitätskonvention: Die Nutzung soll nachhaltig und gerecht sein, und die Vielfalt ist zu erhalten. «Dabei liegt der Fokus auf der Untersuchung des Beitrags dieser Orga­nismen für das Funktionieren der Ökosysteme

sowie auf der Konservierung von möglicherweise nützlichen Stämmen für Industrie und For­schung », sagt Marco D’Alessandro von der Sek­tion Biotechnologie und Stoffflüsse im BAFU.

Eingang in die Stammsammlung CCOS in Wädenswil finden grösstenteils Mikroben, die im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten aus der Umwelt – an Pflanzen, in Böden oder Gewässern – isoliert wurden. Andere stammen aus hiesigen Forschungs­ und Industrielabors. Neben potenziell nützlichen werden auch krank­ machende Mikroorganismen aufgenommen, die für Anwendungen in der Diagnostik und Impf­stoffentwicklung dienen können. So zählen zum Beispiel ein paar aus Schweizer Zecken isolierte Borreliose­Erreger ebenfalls zum Inventar. «Die CCOS funktioniert wie eine Bibliothek», erläutert der Mikrobiologe und CCOS­Leiter Martin Sievers. «Stämme von Mikroorganismen schweizerischer Herkunft werden bei uns gelagert und Interes­sierten für Anwendungen verfügbar gemacht.»

Hansjakob Baumgartnerwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-06

Mikroorganismen sind seit Urzeiten eine biologische Ressource des Menschen.

KONTAKTMarco D’AlessandroSektion Biotechnologie und Stoffflüsse, BAFU031 322 93 [email protected]

Mikroorganismen zeichnen sich durch eine grosse Formenvielfalt aus. Ihre Genome enthalten das erdgeschichtliche Archiv aller biologisch mass-gebenden Innovationen. Bilder: Kurt Hanselmann, swiss | i-research and training, Zürich

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Biodiversität ist dynamisch

BiodiversitätistnichtsStatisches,das sich unter einer Käseglockekonservieren lässt. Pflanzen re-agieren beispielsweise auf Um-weltfaktoren wie Frost, Trocken-heit, Überflutung, Beschattungoder den Nährstoffgehalt imBoden.Die zeitlichundräumlichwechselndenUmweltbedingungensindmalfürdieeine,malfürdieandere Art von Vorteil. DadurchbleibtVielfalterhalten,ohnedasseineeinzigeArtdominiert.Damitdiese Dynamik spielt und neue,für eine Art günstige Standortebesiedeltwerdenkönnen,brauchtes Verbindungen in Form einerintaktenVernetzung. Fotos und Montage: Christian Koch

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Immer weniger BiodiversitätZUSTAND, ERHALTUNG UND FÖRDERUNG

Die Schweiz ist zwar ein relativ kleiner Staat, weist aber dennoch eine ähnlich hohe Arten­ und Lebensraumvielfalt auf wie andere, viel grös­sere europäische Länder. So leben hierzulande weit über 50 000 Pflanzen­, Tier­ und Pilzarten. Die verhältnismässig hohe Biodiversität verdan­ken wir den Alpen mit ihren verschiedenen Kli­mazonen, dem vielfältigen geologischen Unter­grund, dem reich strukturierten, über lange Zeit traditionell bewirtschafteten Kulturland und der grossen Vielzahl an natürlichen und natur­nahen Lebensräumen. Sehr reichhaltig ist auch die genetische Vielfalt von Kulturpflanzen und Nutztieren, die eng mit dem naturräumlichen und kulturellen Reichtum verbunden ist.

Doch die Vielfalt ist keine Selbstverständlich­keit. Eine Untersuchung des Forums Biodiversi­tät Schweiz, an der über 80 Wissenschaftlerin­nen und Wissenschaftler beteiligt waren, zeigt mit wenigen Ausnahmen massive Verluste seit 1900 (Abb. 1, 7). Praktisch alle natürlichen oder naturnahen Lebensräume haben deutlich an Flä­che und an Qualität verloren. Dementsprechend lang sind die Roten Listen der gefährdeten Arten (Abb. 5). Die Ursachen für diese Verluste sind vielfältig (Abb. 4, 6).

Nutzungsintensivierung in den Alpen. Um den Rück­gang zu stoppen, wurden in den letzten beiden Jahrzehnten Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität ergriffen (Abb. 2). «Die Anstrengungen der Schweiz, die Biodiver­sität zu erhalten und zu fördern, zeigen erste Erfolge, insbesondere im Wald und bei der ge­netischen Vielfalt der Nutztierrassen und Nutz­pflanzensorten», erklärt Meinrad Küttel, Projekt­leiter des Biodiversitäts­Monitorings Schweiz (BDM) beim BAFU. «Das wichtigste Ziel, nämlich

den vom Menschen verursachten Biodiversitäts­verlust insgesamt zu stoppen, wurde allerdings bis jetzt nicht erreicht». Im Alpenraum zeich­net sich sogar eine Intensivierung der landwirt­schaftlichen Nutzung und damit ein weiter zu­nehmender Biodiversitätsverlust ab (Abb. 9).

Schutz- und Förderflächen. Wenn die Landnut­zung des Menschen zu einem starken Rückgang der biologischen Vielfalt führt (Abb. 8), spielen Schutzgebiete bei der Erhaltung und Förderung der Biodiver sität eine besonders wichtige Rolle. Sie sind regelrechte Rettungsinseln, von denen aus sich Arten wieder ausbreiten können. Die Ge­samtfläche der Biodiversitätsschutzflächen auf nationaler Ebene beträgt allerdings zurzeit (2010) lediglich 6,19 Prozent der Landesfläche (Abb. 2).

Zusammen mit den kantonalen und kom­munalen Schutzgebieten bilden diese über das ganze Land verteilten Rückzugsgebiete das Rück­grat eines Lebensraumverbundes. Allerdings sind sie oft kleinflächig, isoliert und zahlreichen Störungen ausgesetzt, sodass sie als alleiniges Naturschutzinstrument nicht genügen. Erfolgs­kontrollen in den Biotopen von nationaler Be­deutung zeigen bei den Mooren (Abb. 3), den Amphibienlaichgebieten und den Trockenwiesen und ­weiden deutliche Qualitätsverluste.

Biodiversitätsfreundliche Landnutzung. Benötigt wer­den deshalb eine ökosystemverträgliche Nutzung auf der ganzen Landesfläche sowie zusätzliche Netzknoten als Tritt­ und Vernetzungs flächen im Lebensraumverbund. «Nur so kann ein funk­tionierender Gesamtlebensraum Schweiz ent­stehen», sagt Evelyne Marendaz, Leiterin der Ab­teilung Artenmanagement beim BAFU. Im Wald bedingt dies beispielsweise zusätzlich zum Aus­

Die Biodiversität ist weltweit in einem besorgniserregenden Zustand. Trotz einer Reihe von Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Vielfalt schreitet die Verarmung auch in der Schweiz fort. Die Ursachen für den Rückgang sind vielfältig.

KONTAKTEvelyne Marendaz GuignetLeiterin Abteilung Artenmanagement, BAFU031 325 53 [email protected]

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23Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

Immer weniger Biodiversitätscheiden von Waldflächen als Natur­ und Sonder­waldreservate eine flächendeckende naturnahe Waldbewirtschaftung. Weitere, genauso wichtige Massnahmen zur Verdichtung des Lebensraum­verbundes sind etwa die ökologischen Ausgleichs­flächen und Vernetzungsprojekte in der Landwirt­schaft, die Revitalisierung der Fliessgewässer, die Naturpärke, die Wiederherstellung von Wildtier­korridoren durch den Bau von Grünbrücken, die ökologische Aufwertung von Firmengeländen, Dachbegrünungen, naturnah gestaltete Gärten und Grünräume im Siedlungsraum.

«Der Erhalt und die Förderung der Biodiversität hängen zudem von der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen durch alle politi­schen und wirtschaftlichen Sektoren im ganzen Land ab», erklärt Evelyne Marendaz. «Marktwirt­schaftliche Lenkungs­ oder Finanzierungsinst­rumente für Massnahmen zugunsten der Biodi­versität müssen optimiert oder neu entwickelt werden».

Gregor Klaus

www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-07

Die früher weitverbreiteten Lebensräume Auen, Moore und Trockenwiesen und

-weiden (TWW) haben seit 1900 deutlich an Fläche eingebüsst. Auen fielen vor

allem den Gewässerkorrekturen zum Opfer; Moore wurden abgetorft oder zu

Landwirtschaftsland umgewandelt; TWW wurden immer intensiver bewirtschaf-

tet oder fielen brach und wurden zu Wald. Insgesamt betrug der Flächenverlust

zwischen 1900 und 2010 bei den Auen 36 %, bei den Mooren 82 % und bei den

Trockenwiesen und -weiden 95 %. Es darf dabei aber nicht vergessen werden,

dass schon vor 1900 grosse Veränderungen stattgefunden haben. Betrachtet

man für die Auen den Zeitraum von 1850 bis heute, betragen die Flächenver-

luste 71 %. Quelle: Lachat T. et al. (Red.) 2010: Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900. Ist die Talsohle

erreicht? Bristol-Stiftung, Zürich. Haupt Verlag Bern.

Quelle: BDM

ABB. 1: STARKE VERLUSTE WERTVOLLER LEBENSRÄUME

Flächenanteil in %

100

80

60

40

20

0

1900 1920 1940 1960 1980 2000 2020

Auen

Moore

TWW

ABB. 2: BIODIVERSITÄTSSCHUTZFLÄCHEN AUF NATIONALER EBENE

1991 93 95 97 99 2001 03 05 07 09 10

Geschützte Fläche (ha)

Gesamtfläche Hochmoore Flachmoore

Amphibienlaichgebiete Nationalpark Auen Trockenwiesen und -weiden

100 000

90 000

80 000

70 000

60 000

50 000

40 000

30 000

20 000

10 000

0

Quelle: BAFU

Biodiversitätsschutzflächen mit

Rechtserlassen auf nationaler Ebene:

6,19 % der Landesfläche

Ein wichtiger Pfeiler der Biodiversitätspolitik des Bundes sind die Inventare der

Biotope von nationaler Bedeutung (Hoch- und Übergangsmoore, Flachmoore,

Auen, Amphibienlaichgebiete sowie seit 2010 Trockenwiesen und -weiden). Seit

der Einführung der Bundesinventare 1991 hat die Fläche dieser streng ge-

schützten Gebiete in der Schweiz stetig zugenommen (links: mit Na tionalpark).

Vor allem bei den Auen und Mooren wurde damit der quantitative Verlust wei-

testgehend gestoppt. Allerdings konnten nur noch Restflächen geschützt wer-

den, deren Qualität stetig zurückgeht (Abb. 3). Alle oben genannten Schutzge-

biete bedecken zusammen mit den Wasser- und Zugvogelreservaten sowie den

Jagdbanngebieten nur 6,19 % der Landesfläche (rechte Grafik).

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umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität24

ABB. 3: QUALITÄTSVERLUSTE IN MOOREN

Quelle: BAFU

Eine grosse Herausforderung ist die Erhaltung der Lebensraumqua-

lität in den verbliebenen und geschützten Biotopen von nationaler

Bedeutung. Auen benötigen periodische Hochwasser und eine na-

türliche Dynamik, um ihre ökologische Qualität aufrechtzuerhalten;

Trockenwiesen und -weiden müssen weiterhin extensiv bewirtschaf-

tet werden; Moore sind auf einen intakten Wasserhaushalt und nähr-

stoffarme Verhältnisse angewiesen. Eine Untersuchung im Auftrag

des BAFU hat aber gezeigt, dass sich die Qualität vieler Hoch- und

Flachmoore von nationaler Bedeutung innerhalb von fünf Jahren

(Erhebungs periode 1997/2001–2002/06) verschlechtert hat. Über ein

Viertel der Moore ist deutlich trockener geworden, und in einem weite-

ren knappen Viertel hat die Nährstoffbelastung deutlich zugenommen.

Besonders problematisch ist der Eintrag von Stickstoff aus der Land-

wirtschaft und dem Verkehr über die Atmosphäre.

ABB. 4: ASPHALT UND BETON

Quelle: ARE

Ein Merkmal des Siedlungsraumes sind versiegelte Böden. Doch ge-

gen Beton und Asphalt ist kaum ein Kraut gewachsen. Die versiegelte

Fläche nimmt in der Schweiz parallel zum Siedlungswachstum stetig

zu. Die Grafik zeigt die Zunahme der versiegelten Fläche für die drei

Erhebungen der Arealstatistik seit 1979. Die Daten beziehen sich auf

38 % der Landesfläche gemäss bisher verfügbaren Daten der Areal-

statistik 2004/09. Sie stammen vor allem aus der Nord- und Nord-

westschweiz.

ABB. 5: 36 % DER ARTEN SIND BEDROHT

Quelle: BAFU

Auf den Roten Listen der bedrohten Arten in der Schweiz stehen je nach Grup-

pe unterschiedlich viele Arten. Bei den Wirbeltieren sind die Amphibien und

Rep tilien besonders stark bedroht: 70 % der Amphibien- und 79 % der Reptilien-

arten stehen auf der jeweiligen Roten Liste. Der Anteil Arten mit ungenügender

Datengrundlage weist auf einen entsprechenden Forschungsbedarf hin.

ABB. 6: DIE URSACHEN FÜR DIE GEFÄHRDUNG

Quelle: Rote Listen-Synthese, BAFU

Gefährdungsursachen für Pflanzenarten, deren Schutz oberste Priorität hat.

Dazu gehören unter anderem Arten, die sehr selten, bedroht oder besonders

charakteristisch für einen bestimmten Lebensraum sind, sowie Arten, die be-

sonders wichtig für das Überleben anderer Arten sind oder für die die Schweiz

in Europa oder weltweit eine grosse Verantwortung trägt.

100 000

80 000

60 000

40 000

20 000

0

Fläche in ha

1979/85 1992/97 2004/09

52 932 61 200 68 165

18 40421 572

24 254

Befestigte Flächen Gebäude

Feuchtigkeit Nährstoffe

Feuchter 3 %

Trockener 26%

Magerer 5 %Nährstoff-

reicher 23 %

160

140

120

100

80

60

40

20

0

Anzahl prioritäre Pflanzenarten

Intensive Nutzung von Kulturland, Gewässern und Wald

Zerstörung des Lebens-raumes durch Bauten und Anlagen

Verluste des Lebensraumes durch Wegfallen der natürlichenDynamik oder durch landwirt-schaftliche Nutzung

Störung durch Freizeitnutzung, touristische Nutzung sowie übermässiges Sammeln

Schadstoff-eintrag (z. B. Stickstoff) und Klimawandel

147

Grosspilze

Farn- und Blütenpflanzen

Moose

Baumbewohnende Flechten

Erdbewohnende Flechten

Brutvögel

Heuschrecken

Libellen

Fische, Rundmäuler

Amphibien

Reptilien

Artengruppen

% 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Ausgestorben oder verschollen Vom Aussterben bedroht Stark gefährdet Verletzlich

Potenziell gefährdet Nicht gefährdet Ungenügende Datenquelle

104

82

21

143

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25Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

ABB. 7: SCHMETTERLINGE IM SINKFLUG

Die Grafik verdeutlich die Entwicklung der Schmetterlingsfauna in der Region

Basel (ca. 1500 km2). Die Anzahl Arten, die für ein vielfältiges Landwirtschafts-

gebiet typisch sind, nimmt seit 1930 kontinuierlich ab. Rund 20 % der Arten

gelten seit 1980 als vermisst. Die Hauptgründe für den Rückgang sind die in-

tensivere landwirtschaftliche Nutzung respektive die Nutzungsaufgabe von abge-

legenen und schwierig zu bewirtschaftenden Trockenwiesen und -weiden sowie

die Ausdehnung der Siedlungs- und Industrieflächen. Wird das Verschwinden von

Arten bemerkt, sind die Veränderungen der Biodiversität bereits relativ weit fort-

geschritten. Dem Verschwinden geht nämlich immer eine sehr starke Abnahme

an Individuen und Beständen voraus. So kommen viele der einst weitverbreiteten

Bläulinge und Scheckenfalter in der Region Basel nur noch an wenigen Stellen

vor. Diese kleinen, stark isolierten Populationen sind stark bedroht.Quelle: Altermatt F. et al. 2006: Die Grossschmetterlingsfauna der Region Basel. Monographien der Entomo-

logischen Gesellschaft Basel, 2, 423 S.

In den letzten 20 Jahren wurde das Berggebiet von einer Intensivierungswelle

heimgesucht. In günstigen Lagen wurden Wiesen und Weiden stärker gedüngt,

zunehmend oder regelmässiger bewässert und deutlich früher und intensiver als

bisher genutzt. Gleichzeitig wurden abgelegene und schwierig zu bewirtschaf-

tende Flächen aufgegeben, sodass sie nun verbrachen oder einwalden. Durch

diese Entwicklungen geht ein Teil der Biodiversität verloren. Die Grafik zeigt die

Bestandsentwicklung der in Wiesen brütenden Vogelarten (Braunkehlchen, Feld-

lerche, Baumpieper, Grauammer, Heidelerche) in den drei Walliser Gemeinden

Brunnen, Gampel und Savièse zwischen 1988 und 2006. Quelle: Sierro A. et al. 2009: Banalisation de l’avifaune du paysage agricole sur trois surfaces témoins du Valais

(1988–2006). Nos Oiseaux 56: 129 –148.

ABB. 9: VERLUSTE IM ALPENRAUM

ABB. 8: MONOTONIE IM MITTELLAND

Vor rund 100 Jahren beherbergte das Mittelland noch gleich viele Tag-

falterarten wie die Berggebiete. Seither hat das Mittelland seine Viel-

falt verloren. Dieser Vorgang fand bei fast allen Artengruppen statt. Die

Grafik zeigt die Tagfaltervielfalt auf den Stichprobenflächen (jeweils

1 km2) des Biodiversitäts-Monitorings Schweiz (2003/07). Je grösser

ein roter Punkt, desto mehr Arten wurden beobachtet. Hauptursache für

den Rückgang ist der Verlust an extensiv bewirtschafteten und blütenrei-

chen Lebensräumen. In der Alpenregion ist die Tagfaltervielfalt pro Quadrat-

kilometer heute doppelt so hoch wie im Mittelland. Allerdings erfolgte auch

hier seit den 1980er-Jahren eine Intensivierung der landwirtschaftlichen

Produktion – und damit ein Rückgang der gefährdeten und spezialisierten

Arten des Kulturlandes.

Quelle: BDM

< 20 Arten 20–29 Arten 30–39 Arten 40–49 Arten

50–59 Arten > 60 Arten nicht bearbeitet

KONTAKTEFrancis CordillotSektion Arten und BiotopeBAFU031 324 01 [email protected]

Meinrad KüttelProjektleiter BDM-CHAbt. ArtenmanagementBAFU031 322 93 [email protected]

% 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

10

8

6

4

2

0

Anzahl Brutvogelreviere pro 10 Hektaren

1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06

Gampel

Brunnen

Savièse

Anzahl Arten

120

100

80

60

40

20

0

1880

–188

9

1890

–189

9

1900

–190

9

1910

–191

9

1920

–192

9

1930

–193

9

1940

–194

9

1950

–195

9

1960

–196

9

1970

–197

9

1980

–198

9

1990

–199

9

2000

–200

9

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«umwelt»: Es gibt unzählige ökonomische Gründe, die Biodiversität zu erhalten und zu fördern. Gibt es auch ethische Geltungsansprüche für den Schutz der biologischen Vielfalt? Haben beispielsweise die Libellen am Teich vor Ihrem Büro einen Eigenwert, den wir respektieren müssen?Gérald Hess: Das hängt davon ab, welche ethi­sche Grundhaltung man einnimmt – ob man sich auf den Menschen beschränkt oder noch andere Lebewesen in die moralische Gemein­schaft einbezieht. Die ethische Position ist stark soziokulturell bestimmt. Meine Aufgabe als Umweltethiker ist es, die Wertvorstellungen und Verhaltensnormen, die sich auf den Um­gang mit der nichtmenschlichen Natur bezie­hen, kritisch zu hinterfragen.

Welche ethischen Standpunkte können unterschieden werden?Die anthropozentrische Sichtweise dürfte in der Praxis am weitesten verbreitet sein. Die Vertreter dieser Position gehen davon aus, dass vor allem oder ausschliesslich der Mensch einen Eigenwert besitzt und die nichtmenschliche Natur nur einen relationalen Wert in Bezug auf den Men­schen hat. Der Nutzen der Natur steht also im Vordergrund. Dazu gehört auch der ästhetische Wert einer Blumenwiese. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass diese Wiese geschützt wer­den muss, weil sie sich daran erfreuen, erhält die Wiese mit ihrer Artenvielfalt einen Wert. Dieser Wert hat immer noch einen engen Bezug

zu menschlichen Wünschen und Bedürfnissen, kommt aber interessanterweise dem Eigenwert der Natur sehr nahe.

Aber der Mensch steht immer noch im Vordergrund. Bei anderen Standpunkten gegenüber der Natur werden die moralischen Überlegungen explizit auf andere Lebewesen ausgedehnt. Die pathozen­trische Betrachtungsweise geht beispiels weise davon aus, dass eine Schutzpflicht gegenüber al­len empfindsamen Lebewesen besteht. In Bezug auf Ihre erste Frage kann man aus ethischer Sicht die Auffassung vertreten, dass die Libellen einen Eigenwert haben, weil sie empfindungs­fähige Lebewesen sind und die Empfindungs­fähigkeit moralisch relevant ist. Für den Patho­

zentriker wie auch für den Anthropozentriker können aber diese Libellen auch einfach schön sein oder eine Beziehung zum Betrachter haben. Bei der biozentristischen Sichtweise wird sogar allem Lebenden – also auch den Pflanzen – ein Eigenwert zugeschrieben. Dieser Standpunkt ist allerdings nur schwer in die Praxis übertragbar und erreicht oftmals Grenzen in der Akzeptanz. Sobald es darum geht, Entscheidungen zu tref­fen – beispielsweise gegen eine invasive Art aus Asien oder die Umwandlung einer standort­fremden Lebensgemeinschaft in eine regions­typische –, muss Leben vernichtet werden. Denn jede Massnahme in der Landschaft geht auf Kos­ten anderer Lebewesen.

«Ökonomische Argumente für den Schutz der Biodiversität haben ohne Zweifel ihre Berechtigung. Gleichzeitig können ethische Argumente eine grosse Hilfe sein.»

Ethik und Ökonomie sind keine Gegensätze

INTERVIEW

Gérald Hess hat das BAFU sechs Jahre lang in ethischen Fragen beraten. Seit Januar 2010 lehrt er Umweltethik an der Universität Lausanne. Ein Gespräch im Jahr der Biodiversität über moralische Werte, ethische Sichtweisen und die Schnittstellen zwischen Ökonomie und Ethik.

umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität26

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27Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

Sie plädieren für einen moralischen Anthropozen trismus?Ich plädiere dafür, ökonomische und ethische Denkweisen nicht als Gegensätze zu betrachten, sondern als zwei Seiten der Medaille. Ökonomi­sche Argumente für den Schutz der Biodiversität haben ohne Zweifel ihre Berechtigung. Gleichzei­tig können ethische Argumente eine grosse Hilfe sein. Nehmen wir das Beispiel Moorlandschaften. Der Mensch ist in dieses Ökosystem eingebun­den, beeinflusst es und profitiert auch davon. Könnte nicht das gesamte System – zusammen mit dem Menschen – dadurch einen Eigenwert bekommen, der den eigentlichen monetären Wert deutlich erhöht? Dieser Standpunkt lässt sich meiner Meinung nach gut begründen, wenn man sich von einer Vorstellung von Natur ver­abschiedet, bei der Wildheit und Unberührtheit

das Mass aller Dinge sind und die den Menschen völlig ausklammert.

Wenn man ein Hochmoor nicht mehr für den Torfabbaunutzt, kommt es aber doch zu einem ökonomischen Verlust. Das stimmt so nicht! Ich kann nicht nur Nutz­werte monetarisieren. Wenn auf die Nutzung des Hochmoors bewusst verzichtet wird, weil die Menschen die ethische Position vertreten, dass die Lebewesen des Moors geschützt werden müs­sen, wird der Nutzwert zum Verzichtswert. Die moralische Relevanz, die dem Hochmoor ent­gegengebracht wird, lässt sich so in Geldwerten ausdrücken – immer vorausgesetzt, der Verzicht kann ethisch begründet werden. Gleichzeitig hat das Moor einen Langzeitwert, weil spätere Gene­rationen vom Torfabbau jederzeit profitieren

Der Philosoph Gérald Hess war wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BAFU, wo er die Kontaktstelle für ethische Fragen betreute, insbesondere im Bereich Biotechnologie und Artenmanagement. Seit Januar 2010 ist er Oberassistent an der Faculté des géosciences et de l’environnement der Universität Lausanne und unterrichtet Umweltethik.Bild: Christian Koch

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Page 28: Magazin «umwelt» 2/2010 - Biodiversität belebt

umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität28

KONTAKTEvelyne Marendaz Guignet, siehe Seite 22

können. Und schliesslich ist ein intaktes Moor eine Kohlenstoffsenke, die dem Klimawandel entgegenwirkt, der vor allem die armen Länder treffen wird. Man kann zudem berechnen, was es die Wirtschaft kosten würde, wenn wir keine Schutzmassnahmen träfen. Insgesamt haben wir hier eine schöne Kombination aus ökono­mischen und ethischen Argumenten.

Würden denn ethische Argumente nicht genügen, um die Biodiversität zu schützen? Wir leben in einer Kultur, in der die Wirtschaft zur Basis unseres täglichen Lebens geworden ist. Wir sind auf die Vermehrung des Nutzwer­tes ausgerichtet – und handeln entsprechend. Ob uns das passt oder nicht: Ethische Argumen­te über den Eigenwert der Natur allein reichen nicht aus, um die Biodiversität zu bewahren. Allerdings ist es ein Irrtum anzunehmen, nach­haltiges Wirtschaften und ethisches Verhalten würden sich ausschliessen. Mit einem breit ver­standenen moralischen Anthropozentrismus kann eine gute Umwelt­ und Ressourcenpolitik betrieben werden.

Braucht unsere Gesellschaft eine Diskussion über moralische Werte?Unbedingt! Das beginnt bei der Vermittlung von Grundwerten und Wertehaltungen in der Erziehung und in der Umweltbildung. Wir müssen den Kindern bewusst machen, dass uns mit den anderen Lebewesen auf dieser Erde vie­le Millionen Jahre Evolution verbinden. In den Schulen muss etwa die Frage diskutiert werden, ob Blumen einen Eigenwert haben. Muss ich sie respektieren? Und wenn ja, warum? Welche individuelle Verantwortung trage ich als Konsu­mentin oder Nutzer? Wieso handeln wir so, wie wir handeln?

Weil die einzelnen Entscheidungssituationen oft viel komplexer sind als die Musterwelt? Es passiert tatsächlich viel zu häufig, dass der Mensch nicht im Einklang mit seinem Wissen handelt. Bei der Biodiversität und beim Klima wissen wir, dass wir dringend etwas tun sollten. Doch das Handeln bleibt weitgehend aus. Dabei muss man nicht einmal Biozentrist sein, um die Natur zu bewahren. Es sollte der Hinweis genügen, dass die natürlichen Ressourcen samt Biodiversität grundsätzlich nicht ersetzbar sind; wir müssen sie jetzt schützen, damit auch

zukün ftige Generationen davon profitieren können.

Müssen wir unser Verhalten überdenken?Es ist allgemein anerkannt, dass unsere Zivilisa­tion so nicht weitermachen kann. Wir werden in naher Zukunft lernen müssen zu verzichten. Wir brauchen unbedingt eine Veränderung un­serer Grundwerte: Wir müssen beispielsweise unsere Vorstellung von Glück hinterfragen. Wir müssen unsere moralische Verantwortung als Konsumentinnen und Konsumenten wahrneh­men, genauso wie es auch Unternehmen tun sollten. Wir müssen auch nicht jeden Flecken Erde nutzen, und wir müssen nicht überall hin­fliegen.

Das klingt sehr fortschrittsfeindlich.Eben nicht! Wir waren noch nie so stark auf neue Technologien angewiesen wie heute. Die­se müssen aber nachhaltig sein. Wir sollten bei Innovationen versuchen, die Technik quasi zu naturalisieren, und nicht umgekehrt die Natur durch Technik zu imitieren. Beispielsweise wäre

es sinnvoller, Feuchtgebiete zu renaturieren oder neu anzulegen, statt teure Trinkwasser­aufbereitungsanlagen zu bauen. Für unerläss­lich halte ich auch eine Veränderung unserer poli tischen Institutionen, zum Beispiel mit der Einsetzung eines Nachhaltigkeitsrates, der eine grosse Entscheidungsbefugnis haben sollte und auf mindestens zehn Jahre gewählt werden muss. Wir benötigen eine ökologische Demo­kratie, in der die Politikerinnen und Politiker nicht schon nach zwei Jahren auf die nächsten Wahlen schielen und kurzsichtige Entscheidun­gen treffen, die langfristig auf Kosten der Um­welt gehen und uns damit selbst schaden. Wer Naturwerte zerstören will, sollte die Beweislast tragen. Dazu müssten Gesellschaft und Politik offen für patho­ oder biozentrische Positionen sein, so wie es zumindest das Umweltschutz­gesetz und das Tierschutzgesetz eigentlich vor­sehen.

Interview: Gregor Klaus

«Wir sollten bei Innovationen versuchen, die Technik quasi zu naturalisieren, und nicht umgekehrt die Natur durch Technik zu imitieren.»

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29Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

Gemeinsamer Nutzen – gemeinsame Verantwortung

ZUSAMMENARBEIT DER SEKTOREN

Die Anstrengungen zur Erhaltung, Förderung und nachhaltigen Nutzung der Biodiversität können nur dann erfolgreich sein, wenn alle Bereiche der Gesellschaft zusammenspannen. Jeder einzelne Sektor muss dabei seine Verantwortung wahrnehmen. Die Biodiversität hat in den letzten Jahren erfreulicherweise in sämtlichen Politikbereichen eine höhere Priorität erhalten. Dies zeigen die folgenden Gastbeiträge von acht Bundesämtern.

ASTRA Die Schweiz besitzt eines der dichtesten Strassennetze Europas. Verkehrswege sind die Lebensadern des mobilen Men­schen. Für Wildtiere sind sie jedoch Bar­rieren, welche die Wander­ und Ausbrei­tungsmöglichkeiten stark einschränken. Vor allem Autobahnen mit ihrem hohen Verkehrsaufkommen und den Absper­rungen durch Wildschutzzäune stellen für grössere Tiere wie Rothirsch und Reh unüberwindbare Hindernisse dar.

Mobilität ist für Wildtiere überle­benswichtig. Sie dienen der saisonalen Wanderung, dem genetischen Austausch zwischen Populationen und der Ausdeh­nung von Verbreitungsgebieten. Untersu­chungen haben jedoch gezeigt, dass von den 303 wichtigen Wildtierkorridoren – den «Verkehrswegen» der Wildtiere – nur rund ein Fünftel ungehindert benutz bar ist. Mehr als die Hälfte ist in ihrer Funk tionalität erheblich beeinträchtigt; der Rest ist gar vollständig unterbrochen.

Das Bundesamt für Umwelt und das Bundesamt für Strassen haben aufgrund dieser Erkenntnisse Grundlagen für die Wiederherstellung von Wildtierkorrido­ren erarbeitet. Vor allem Wildtierpassa­gen können mithelfen, dass Populatio­nen untereinander verbunden bleiben und die Biodiversität nicht gefährdet ist. 2001 wurden entlang des schweizeri­schen National­ und Hauptstrassennetzes neben den bereits geplanten Bauwerken zusätzliche 51 Standorte von zukünfti­

gen Wildtierpassagen bestimmt. Seither sind 12 Korridore wieder durchlässig gemacht worden; 5 weitere Projekte ste­hen in der Realisierungsphase. Ziel ist es, in den nächsten 20 Jahren alle 51 Kor­ridore im Rahmen von Unterhaltsarbei­ten oder Ausbauprojekten der National­ und Hauptstrassen wildtiergerecht zu sanieren.

Die Wildtierpassage Neu­Ischlag im Kan­ton Bern (Bild) wurde im Zuge der Ausbau­etappe der Bahn 2000 errichtet. Sie über­spannt auch die A1 mit einer einzigen, 60 Meter breiten und 54 Meter langen Überführung. Eine Erfolgskontrolle hat gezeigt, dass der neue Korridor rege ge­nutzt wird. Vor allem für den Rothirsch hat das Bauwerk die Verbindung Emmen­tal–Mittelland/Jura wiederhergestellt. Auch für kleinere Tierarten erfüllt die Brücke eine wichtige Vernetzungsfunk­tion. In den Teichen auf dem Bauwerk lai­chen sogar Kreuz­ und Erdkröten.

Marguerite Trocmé Maillard Bundesamt für Strassen (ASTRA)

Wie alle Verkehrsflächen zerschneiden auch Bahnlinien Lebensräume. Neu­baustrecken wie die Bahn 2000 oder die NEAT werden deshalb möglichst um­weltschonend angelegt: häufig unter­irdisch oder mit Brücken und Durch­gängen für Wildtiere.

Zum Ausgleich der unvermeidlichen Störungen der Natur werden bei der Neuen Eisenbahn­Alpentransversalen (NEAT) zahlreiche Kompensationsmass­nahmen ergriffen. Beispielsweise wurde beim Bau des Lötschberg­Basistunnels ein Areal von 0,67 Hektaren im Gebiet Bireloui bei Mitholz (BE) als Ausgleichs­fläche ausgeschieden. Dank diverser Massnahmen konnte das bedrohte Schmetterlings­ und Ameisengebiet auf­gewertet werden. Mit Erfolg: Bei einer Zählung im Frühling 2008 wurden dort 76 Schmetterlingsarten nachgewiesen.

Im Urnersee bei Flüelen (Bild Seite 30) wurden mit Ausbruchmaterial aus dem Gotthard­Basistunnel die vom Kiesabbau zerstörten Flachwasserzonen in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt und sechs Inseln aufgeschüttet. Drei davon sind für Badegäste bestimmt, die übrigen drei sind Schutzinseln für die Tier­ und Pflanzenwelt. Bereits haben sich etliche Pflanzen der Roten Liste an­gesiedelt, ebenso zahlreiche Vogelarten.

Am südlichen Ende des Gotthard­ Basistunnels wurde als NEAT­Ausgleichs­massnahme der vernachlässigte Kasta­

BAV

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umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität30

nienhain von Santa Petronilla oberhalb von Biasca (TI) mit Pflegemassnahmen aufgewertet. Das Projekt erhielt im Jahr

2005 den 1. Preis der Tessiner Sektion der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.Auch entlang bestehender Bahnstrecken gibt es Lebensräume für Tiere, insbe­sondere für Reptilien und Insekten. Ökologisch besonders wertvolle Areale wie Brachflächen liegen häufig mitten in grossen Städten. Künstlich angelegte Kies­ und Sandflächen, blumenreiche Magerwiesenböschungen sowie Holz­ und Steinhaufen bieten zahlreichen Arten Unterschlupf. Zudem werden bei den laufenden Arbeiten zur Lärmsanie­rung der Bahnstrecken beim Bau von Lärmschutzwänden an potenziellen Reptilienstandorten in regelmässigen Abständen Steinkörbe unter der Wand eingebaut. Damit werden die Wände für die Tiere durchlässiger und stellen ei­nen zusätzlichen Lebensraum dar.

Gregor SaladinBundesamt für Verkehr (BAV)

BFEAngesichts des weltweiten Booms der erneuerbaren Energien verschärfen sich die Interessenkonflikte zwischen Nutzung und Schutz der Umwelt. Mit geeigneten Massnahmen ist es jedoch möglich, neue Anlagen zu errichten und gleichzeitig einen Beitrag zur För­derung der Biodiversität zu leisten.

In der Schweiz prallen gegenwärtig die Anliegen der Promotoren erneuer­barer Energien und der Umweltseite aufeinander. Es wird befürchtet, dass der derzeitige Vormarsch der erneuer­

baren Energien die letzten unversehrten Gewässer zerstört, die Landschaften mit Windturbinen verschandelt oder die Ökosysteme übernutzt. Doch der Ansatz «entweder – oder» ist falsch. Entweder verfehlen wir damit das Ziel, unsere Energieversorgung mit erneuerbaren Energien abzudecken, oder wir zerstören irreversibel natürliche Ressourcen. Ge­fragt ist vielmehr ein «sowohl als auch». Viele gute Projekte zeigen, dass dieser Ansatz durchaus erfolgreich sein kann.

Beim neuen Speicherkraftwerk «Linth­ Limmern» im Kanton Glarus – u. a. mit einem Höherstau des Muttsees (Bild) – wurde in einer gemeinsamen Planung zwischen Nutzern und Umweltorganisa­tionen vorgemacht, wie dies im Bereich der Wasserkraft aussehen müsste: Mit der deutlich erhöhten Restwasserfüh­

rung der Linth zwischen Linthschlucht und Linthal, der Aufgabe einer Wasserfas­sung, mehreren Flussaufweitungen, vier Fischtreppen und der Wiederbelebung zweier Wasserfälle konnte ein Gewinn für Natur und Landschaft erzielt wer­den. Das Erfolgsrezept ist bekannt und auf viele weitere Anlagen und Standorte anwendbar: schonende Einpassung der Anlagen, Verbindung von Schutzmass­nahmen mit baulichen Massnahmen, Schaffen von ökologischen Ausgleichsbe­reichen bis hin zu klar geschützten Öko­systemen sowie weitergehende Schutz­massnahmen am Standort oder in der Umgebung der Anlage. So lässt sich oft eine Verbesserung gegenüber dem vor­herigen Gesamtzustand erreichen. Der Ansatz mag anspruchsvoll sein, und er bedarf des Zusammenspiels der Behör­denmassnahmen auf verschiedenen Ebe­nen. Aber er ist eine Chance.

Michael KaufmannVizedirektor Bundesamt für Energie (BFE)

BLWSeit 1999 müssen Landwirte 7 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche als ökologische Ausgleichsflächen be­wirtschaften, um Direktzahlungen zu erhalten. Für spezielle Landschafts­elemente wie Buntbrachen und Hoch­stamm­Feldobstbäume erhalten die Landwirte sogenannte Öko­Beiträge.

Allerdings haben diese Massnahmen nicht in allen Regionen zur Förderung der Artenvielfalt und zur Ausbreitung bedrohter Arten geführt.

Im Jahr 2001 trat deshalb die Öko­Qualitätsverordnung (ÖQV) in Kraft. Seither bezahlen Bund und Kantone zusätzliche Beiträge für die ökologische Qualität und die Vernetzung von Aus­gleichsflächen. Wenn eine Fläche be­stimmte Qualitätskriterien erfüllt, kann der Landwirt sie anmelden. Zusätzliche Beiträge für eine optimale Vernetzung der Fläche mit anderen wertvollen Le­bensräumen werden dagegen nur im Rahmen eines regionalen Konzepts aus­geschüttet.

Ein besonders gelungenes Beispiel für ein Vernetzungsprojekt stammt aus dem Kanton Appenzell Ausserrho­den (Bild). Das Landwirtschaftsamt, die Fachstelle Naturschutz und Vertreter aus Landwirtschaft, Jagd und Wald so­wie von Naturschutzorganisationen haben gemeinsam ein Konzept erarbei­tet, welches das gesamte Kantonsgebiet abdeckt. Seither werden Hochstamm­Obstgärten und Waldränder aufgewertet und Flächen entlang von Fliessgewäs­sern extensiv bewirtschaftet; die Verbu­schung von artenreichen Waldlichtun­gen wird verhindert. Feuchtgebiete und Trockenwiesen erhalten Pufferzonen

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31Dossier Biodiversität > umwelt 2/2010

gegen den Nährstoffeintrag und werden untereinander vernetzt. Die Laichge­wässer von Amphibien werden gezielt mit den Winterquartieren verbunden. Die Beteiligung der Landwirte an die­sem Vernetzungsvorhaben ist erfreulich hoch. Sie demonstrieren damit, dass sie sich der Idee einer multifunktionalen Landwirtschaft verpflichtet fühlen.

Patricia Steinmann Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)

BVETNeben dem Lebensraumverlust ist der internationale Handel eine wichtige Ursache für das Aussterben von Arten. Am 3. März 1973 wurde das CITES­Ab­kommen (Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen) unterzeichnet. CITES ist eine Handels­konvention im Interesse des Artenschut­zes, welche die weltweite Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Tier­ und Pflanzenpopulationen zum Ziel hat. Arten sollen nur in dem Mass gehandelt werden, wie es ihre natürlichen Bestän­de erlauben. Heute werden mehr als 5000 Tier­ und 28 000 Pflanzenarten in den Anhängen von CITES aufgeführt.

Die Schweiz hat das Vertragswerk als eines der ersten Länder unterzeichnet und ist Depositarstaat des Abkommens. Das Sekretariat von CITES hat seinen Sitz in der Schweiz. Als Vollzugsbehörde von CITES leistet das BVET einen wichti­gen Beitrag zum Schutz und zur Erhal­tung von Tier­ und Pflanzenarten und ihren Lebensräumen. Es stellt jährlich über 90 000 CITES­Ausfuhr­ und mehr

als 20 000 Einfuhrbewilligungen aus und führt an den Grenzen die physi­schen Kontrollen der Importsendungen durch. Weitere Kernaufgaben sind In­landkontrollen, die fachliche Unterstüt­zung der Behörden und die Information der Öffentlichkeit bei artenschutzrele­vanten Fragen.

Ein Grossteil der ausgestellten CITES­Bewilligungen entfällt auf die Uhren­ und Luxusartikelindustrie. Aus dieser Branche stammen rund 80 000 Gesuche pro Jahr, die überwiegend die Ein­ und Wiederausfuhr von Produkten aus Rep­tilleder geschützter Arten betreffen. Noch vor gut 30 Jahren waren alle Kro­kodilarten (Bild) vom Aussterben be­droht. Heute haben sich die meisten Populationen wieder erholt. Dass teil­weise beachtliche Mengen an Produkten von geschützten Arten umgesetzt wer­den können, ohne deren Fortbestand zu gefährden, ist unter anderem der konsequenten Anwendung des CITES­ Abkommens zu verdanken. Die Erho­lung der Krokodilbestände gilt als eine der grössten Erfolgsstorys von CITES und ist ein Paradebeispiel für die nach­haltige Nutzung von natürlichen Reich­tümern durch einen kontrollierten Handel.

Mathias Lörtscher, Mirjam Walker Bundesamt für Veterinärwesen (BVET)

DEZA«Es ist paradox, dass vielerorts in Bo­livien, wo die Landbevölkerung unter bitterster Armut leidet, der Artenreich­tum am grössten ist», sagt der bolivia­nische Umweltexperte Gonzalo Mérida. Für ihn ist entscheidend, dass diese schlummernden Reichtümer einerseits bewahrt, andererseits für einen Markt erschlossen werden. Dabei geht es nicht nur um einen geordneten Holzschlag in den bereits stark dezimierten Wäl­dern. Man will neue Einnahmequellen erschliessen: wild wachsende tropische Früchte, Knollengewächse, Wolle von Lamas und Alpakas oder Heilpflanzen, über deren Wirkung die Bauern ein­schlägiges Wissen besitzen. Nicht zu­letzt soll der Anbau von Futterpflanzen und einheimischen Nahrungsmitteln

wie Kartoffeln oder Mais gefördert wer­den, um die Ernährungssicherheit des Landes zu verbessern.

Seit 20 Jahren fördert die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Bolivien mit ihren Projekten die Produktion von Saatgut für wichtige lokale Nutzpflanzen wie etwa die Kartof­fel (Bild), von der es in Bolivien 230 Sor­ten gibt. Im Vordergrund steht dabei die Reproduktion und Zertifizierung ein­heimischer Sorten. Die Produktion von zertifiziertem Saatgut stieg von knapp 7000 Tonnen im Jahr 1987 auf 60 000 Tonnen im Jahr 2005. Dank der Projekte der DEZA vermochten lokale Partner de­zentralisierte Strukturen aufzubauen, indem sie einheimische Sorten und die Bedürfnisse der Kleinbauern, deren Höfe oft extremen klimatischen Bedingun­gen ausgesetzt sind, in den Vordergrund

stellten. Über 100 genossenschaftlich organisierte Unternehmen mit rund 1500 Saatgutproduzenten tragen mitt­lerweile zur Vermehrung des Angebots an Kartoffeln, Bohnen und Weizen bei.

Profitieren vom verbesserten Saat­gut können vor allem arme Kleinbau­ern im Altiplano und in den trockenen Hochtälern, wo lokale Sorten zu ver­schwinden drohten. In unterschied­lichen Höhen lagen und unter vielfäl­tigen ökolo gischen Bedingungen wird nun sorgfältig ausgewähltes Saatgut systematisch – meist auf kleinen Parzel­len – angepflanzt. Eine ausgeklügelte Wertschöpfungskette ermöglicht es den Landwirten, ihr Saatgut auf regionalen und nationalen Märkten zu verkaufen.

Richard Bauer und Hans Peter Reiser Direktion für Entwicklung

und Zusammenarbeit (DEZA)

Fortsetzung nächste Seite

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umwelt 2/2010 > Dossier Biodiversität32

SECODas Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) engagiert sich für die nachalti­ge Ausrichtung des Welthandels, der sich als wichtiger Motor der wirtschaft­lichen Entwicklung und Armutsreduk­tion erwiesen hat. Zusammen mit der UN­Konferenz für Handel und Entwick­lung (UNCTAD) fördert das SECO die Entwicklung von Exportprodukten, die auf der lokalen, nachhaltig bewirtschaf­teten Biodiversität von Entwicklungslän­dern basieren: Viele Länder mit einer be­sonders hohen Bio diversität liegen im Süden – ihre natürliche Vielfalt ist der Ursprung gefragter Ausgangsstoffe für Nahrungsmittel, Kosmetika, Kunsthand­werk, Heilkräuter, Bekleidung, Ökotou­rismus und vieles mehr. Dies entspricht

einem der Ziele der Biodiversitätskon­vention: Schützen dank Nutzen! Denn die Nutzung fördert die wirtschaftliche Bedeutung und damit den Erhalt und den längerfristigen Schutz.

Wo genetische Ressourcen ausserhalb ihres Herkunftslandes kommerziell ge­nutzt werden, sollte zumindest ein Teil der Gewinne der armen Bevölkerung in den Entwicklungsländern wieder zu­gutekommen. Exemplarisch wird dieses Prinzip des «Access and Benefit Shar­ing» in einem Abkommen zwischen der Migros und Bolivien umgesetzt: Bisher in der Schweiz unbekannte farbige bo­livianische Kartoffelsorten werden seit Kurzem von Schweizer Landwirten ange­baut und durch die Migros vermarktet. Ein vereinbarter Anteil des Umsatzes fliesst dabei zurück nach Bolivien.

Die Schweiz ist eine bedeutende glo­bale Handelsdrehscheibe für verschiede­ne agrarische Rohstoffe wie Baumwolle,

Kaffee und Kakao (Bild). Das SECO un­terstützt deshalb für wichtige Rohstoffe – auch für Soja und Agrotreibstoffe – internationale Runde Tische, an denen unter Beteiligung von Produzenten, Handel, NGOs und Regierungen Nach­haltigkeitsstandards entwickelt werden. Solche Standards sind ein wichtiges Instrument zum Schutz der globalen Biodiversität und zur Bekämpfung der illegalen Abholzung des Tropenwaldes.

Die Pflege und Erhaltung der Ökosys­teme leistet oft gleichzeitig einen will­kommenen Beitrag zum Klimaschutz. Als bedeutender Geber der Internationa­len Tropenholzorganisation (ITTO) sowie in Zusammenarbeit mit der Weltbank trägt das SECO zur Verbreitung nach­haltiger Forstpraktiken in Entwicklungs­ländern bei, was den Erhalt der Biodi­versität mit einschliesst. Dies dient den Plänen der Staatengemeinschaft, künftig unter der Klimakonvention der UNO vor­bildlich agierende Entwicklungsländer für ihre Waldschutzleistungen finanziell zu entschädigen.

Hans-Peter Egler Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)

VBSDie vom Souverän vor rund 20 Jahren angenommene Rothenthurm­Initiative zum Schutz der Moore suggerierte, dass eine verletzliche Natur vor einer bis an die Zähne bewaffneten Armee zu schüt­zen sei. Mittlerweile anerkennen Natur­schutzbehörden und ­verbände den ste­tig gewachsenen Beitrag militärischer Waffen­, Schiess­ und Flugplätze zur Er­haltung der Biodiversität in der Schweiz. Diese Areale beherbergen beispielsweise die grössten Trockenwiesen des Mittel­landes, die grössten Laubfroschbestände des Kantons Aargau und die meisten Schwarzkehlchen der Alpennordseite.

Der fortschreitende Artenschwund im Agrargebiet durch Nutzungsintensi­vierung oder durch das Vordringen des Waldes fand auf militärischem Gelände nämlich nicht oder nur begrenzt statt. Mehr noch: Auf 70 von 90 Waffen­, Schiess­ und Flugplätzen wurde der Schutz von Naturwerten an Runden Ti­schen auf die Nutzungsinteressen von

Armee, Landwirtschaft und Erholung abgestimmt. Der Umsetzungsgrad der vereinbarten Ziele und Massnahmen wird jährlich überprüft.

Das Bild zeigt einen Pflegeeinsatz zugunsten von Amphibiengewässern in Thun. In Bière (VD), dem ältesten und grössten Schweizer Waffenplatz (10 km2), gelten 50 Prozent der offenen Flächen als schützenswert. Die Hälfte aller Brutvogel­ und Amphibienarten

und ein Viertel aller Pflanzenarten der Schweiz kommt hier vor, darunter überdurchschnittlich viele Arten der Roten Liste. 32 Bauernbetriebe, ein zi­viler Forstbetrieb und Mitarbeiter der Logistikbasis der Armee sorgen für den naturnahen Flächenunterhalt. Schnitt­zeitpunkte und Düngebeschränkungen sind in den Pachtverträgen definiert.

Die weltweit einzige Simulator anlage für fünf Panzerhaubitzen in Bière er­laubte eine Halbierung der Fahrten und Schusszahlen. Eine unerwünschte Begleiterscheinung der Schonung von Umwelt und Bevölkerung ist indes der Vormarsch des Waldes in die national bedeutenden Trockenwiesen der Blind­gängerzone. Der Verbuschung wird seit fünf Jahren mit einem von spezialisier­ten WK­Soldaten ferngesteuerten Ent­minungsfahrzeug und neu auch mit Ziegenbeweidung Einhalt geboten. Mit Erfolg: Auf entbuschten Flächen verdop­pelte sich die Anzahl Pflanzenarten in­nerhalb von drei Jahren.

David Külling, armasuisse, VBSwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-08

KONTAKTSandra LimacherProjektleiterin Biodiversitätsstrategie Schweiz, Abt. Artenmanagement, BAFU031 322 92 [email protected]

TransFair e. V. / Didier Gentilhomme

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Unser Appetit auf Fisch wächst. Derzeit kommen in der Schweiz pro Kopf der Bevölkerung jähr­lich 8,5 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte auf den Tisch. Drei Viertel davon sind Meerfische. Das mag gesund sein. Weniger bekömmlich ist der wachsende Fischkonsum für die Fauna der Meere: Jährlich landen etwa 84 Millionen Ton­nen Fisch und Meeresfrüchte in den Netzen der Fischerei. Das sind viermal mehr als vor 50 Jah­ren – und bei manchen Arten auch mehr, als die Populationen verkraften können. Gemäss Welt­ernährungsorganisation (FAO) sind zurzeit 80 Pro­zent der kommerziell genutzten Fischbeständeüberfischt oder bis an ihre Grenzen ausgebeutet.

Labels garantieren Nachhaltigkeit. Rasant gewach­sen sind in letzter Zeit auch die Erträge der Mee­restierzuchten. Sie decken inzwischen nahezu die Hälfte des menschlichen Konsums an Fi­schen, Krebsen und Weichtieren. 1970 waren es erst 4 Prozent. Doch die Zuchten mindern den Druck auf die wild lebenden Arten nicht – im Gegenteil: Die Zuchtfische werden vielfach ihrer­seits mit eigens dafür gefangenen Wildfischen gefüttert. Bis zu 5 Kilo Fisch braucht es für 1 Kilo Speisefisch oder Krustentiere aus Zuchten.

Ohne fahlen Beigeschmack sind hingegen Gerichte mit einheimischen Wildfischen oder Zuchtfischen aus biologischer Produktion. Und falls es dennoch Meerfisch sein soll, empfiehlt es sich, auf das Label des Marine Stewardship Coun­

cil (MSC) zu achten. Dieses Gütesiegel garantiert die Herkunft aus nicht überfischten Beständen. Derzeit beträgt der Marktanteil von MSC­Fisch schätzungsweise 5 Prozent. Anbieter der vom WWF gegründeten Seafood Group verpflichten sich, schrittweise auf Fisch aus nachhaltig be­fischten Beständen und umweltverträglichen Zuchten umzustellen. Vom Aussterben bedrohte Arten werden nicht mehr angeboten.

Partnerschaft mit der Branche. Der WWF setzt in verschiedenen Bereichen auf solche Branchen­lösungen, die den Markt bewegen können. In der Seafood Group sind nebst Migros und Coop auch verschiedene Gastronomielieferanten vertreten. Sie decken zusammen rund 70 Prozent des An­gebots in der Schweiz ab.

Palmöl ist ein ähnlicher Fall. Die Nachfrage steigt. Indonesien, mittlerweile der weltgrösste Produzent, hat seine Anbaufläche zwischen 1998 und 2007 von 3 auf 7 Millionen Hektaren erwei­tert, vielerorts auf Kosten des Waldes. Palmöl­anbau ist auch in anderen Ländern ein Treiber bei der Zerstörung von tropischen Regenwäl­dern.

Palmöl steckt in vielen Nahrungsmitteln und Kosmetika. Man sieht es ihnen nicht an, und die klein gedruckten Angaben über Inhaltsstoffe werden oft zu wenig berücksichtigt. Darum sucht der WWF auch beim Palmöl die partner­schaftliche Lösung. Auf seine Initiative wurde 2004 der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) gegründet. Zusammen mit den Umwelt­schutzverbänden sind Firmen und Institutionen aus der gesamten Wertschöpfungskette im Boot, angefangen bei den Plantagenbetreibern über die Händler und industriellen Abnehmer bis zu den Detaillisten.

Der RSPO definiert Kriterien für einen nachhal­tigen Palmölanbau. Diese basieren auf Standards, die der WWF Schweiz unter anderem zusammen

mit der Migros erarbeitet hat. Im Zentrum stehen dabei die Walderhaltung, der Schutz von bedroh­ten Arten, faire Arbeitsbedingungen und die Ach­tung von Landrechten lokaler Gemeinschaften. Seit November 2008 ist RSPO­Palmöl auf dem europäischen Markt erhältlich.

Nachfrage noch zu gering. Nebst der Migros macht auch Coop beim RSPO mit. In einem Rating gab

Den Markt bewegenBIODIVERSITÄT UND KONSUM

Die ökologischen Spuren unserer Einkäufe reichen bis in ferne Kontinente. Was können wir tun, damit es keine Spuren der Zerstörung sind?

Keinen fahlen Beigeschmack haben Gerichte mit einheimischen Wildfischen oder Zuchtfischen aus biologischer Produktion.

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der WWF ihnen unlängst gute Noten. Sie steigern den Einkauf von zertifiziertem Palmöl kontinuier­lich. Noch sei aber die Nachfrage zu gering, sagt Matthias Diemer vom WWF Schweiz. Die Anbieter von RSPO­Palmöl konnten deshalb nur einen Viertel ihrer Produktion zum höheren Preis absetzen, den das Label verspricht: «Hier besteht grosser Nachhol­bedarf, denn viele Unternehmen verwenden immer noch Palmöl, das weder umwelt­ noch sozialverträg­lich produziert wurde.»

Saisongerecht, aus der Region und Labels wie Bio oder TerraSuisse lauten die Devisen für eine biodiversitätsschonende Ernährung. Dass biolo­gisch bewirtschaftete Böden eine höhere Arten­vielfalt aufweisen, ist wissenschaftlich belegt. Pro­dukte aus der Schweiz oder gar aus der näheren Umgebung haben den ökologischen Vorteil kurzer Transportwege. Zudem gelten für die Schweizer Landwirtschaft gewisse ökologische Standards. Allerdings kommt längst nicht alles, was die hie­sige Landwirtschaft produziert, auch vollständig aus dem Inland. Der derzeit ausgewiesene Selbst­versorgungsgrad von 69 Prozent bei Fleisch und gar 107 Prozent bei Milch und Milchprodukten täuscht darüber hinweg, dass die Tiere in Schweizer Ställen zu einem grossen Teil mit importierten Futtermit­teln gefüttert werden.

Appetit auf Fleisch zügeln. Unser Land importiert jährlich 250 000 Tonnen Soja, 80 Prozent davon als Viehfutter. Es stammt grösstenteils aus Südamerika, wo sich die Sojaproduktion in den letzten zehn Jah­ren mehr als verdoppelt hat. Immer tiefer stossen die Felder in den Tropenwald und in artenreiche Savannen vor.

Inzwischen ist in Sachen Sojaanbau ein ähn­licher Prozess wie beim Palmöl angelaufen. Ein Roundtable on Responsible Soy, der sich 2005 in Brasilien erstmals traf, soll weltweit gültige Stan­dards für einen natur­ und sozialverträglichen An­bau definieren. Er stützt sich dabei auf Kriterien, die der WWF zusammen mit dem Handel erarbeitet hat. Doch auch wenn sich dereinst solche Metho­den durchsetzen sollten, ist beim Fleischkonsum Zurückhaltung angezeigt. Der Flächenbedarf für die Gewinnung von einer Kalorie Fleisch ist zwei­ bis siebenmal grösser als derjenige für die Produk­tion einer pflanzlichen Kalorie.

Waldschutz beim Holzkauf. Tropenholz war das erste Produkt auf unseren Märkten, bei dem sich die breite Öffentlichkeit des Zusammenhangs mit der Zerstörung von Biodiversität bewusst wurde. Schon zu Beginn der 1980er­Jahre schlugen Umweltorgani­sationen Alarm, kritisierten den Kahlschlag der Re­genwälder und riefen zum Verzicht auf Tropenholz auf. Nicht ohne Erfolg: Die Importe in der Schweiz sanken von rund 70 000 Tonnen im Jahr 1980 auf

Montage: Christian Koch

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10 000 bis 20 000 Tonnen in den 1990er­Jahren. 2007 waren es ziemlich genau 15 000 Tonnen.

Inzwischen ist auch im Tropenwald Holznut­zung ohne Raubbau möglich, und es gab auch Versuche, am Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro Grundsätze für eine nachhaltige Forstwirtschaft in einem Abkommen vergleichbar mit der Klima­ oder der Biodiversitätskonvention verbindlich festzulegen. Doch man konnte sich nicht eini­gen – zu stark divergierten die Begehrlichkeiten im Waldbereich. Der Forest Stewardship Council (FSC) war eine Antwort auf die blockierte Situa­tion. In ihm sind die Umweltorganisationen, die Bewohner der Waldgebiete und Unternehmen der Wald­ und Holzwirtschaft vertreten. Der FSC definiert die weltweiten Anforderungen an eine umwelt­ und sozialverträgliche Waldbewirtschaf­tung.

In dieselbe Richtung zielt das «Programme for the Endorsement of Forest Certification

Schemes» (PEFC). Es basiert auf den Vereinbarun­gen, die durch die Europäischen Ministerkonfe­renzen zum Schutz der Wälder in Europa fest­gelegt wurden. Die Standards von FSC und PEFC sind ähnlich. Beide Institutionen vergeben Labels an Betriebe aufgrund von Kriterien, die jeweils auf nationaler Ebene konkretisiert werden.

Ende 2009 waren weltweit 118 Millionen Hektaren Wald nach FSC und rund 200 Millio­nen Hektaren nach PEFC zertifiziert. Das sind zusammen 8 Prozent der globalen Waldfläche. Doch nur etwa 10 Prozent davon befinden sich in den tropischen Ländern. Immerhin habe der FSC auch im Süden richtige Signale gesetzt und einigen Exporteuren von waldverträglich pro­duziertem Tropenholz Märkte in Ländern offen­ gehalten, wo zuvor Boykottstimmung geherrscht habe, sagt Damian Oettli vom WWF Schweiz.

Weitgehend durchgesetzt haben sich die bei­den Labels hingegen auf der nördlichen Halbku­gel. In der Schweiz sind derzeit etwa 60 Prozent der Waldfläche nach FSC und/oder PEFC zertifi­ziert. Die hiesigen Standards beziehen sich auf standortgerechte Baumartenmischungen und möglichst natürliche Verjüngung, aber auch auf Alt­ und Totholz sowie Reservatsflächen.

Vorreiterrolle der öffentlichen Hand. Die Eidge­nossenschaft fördert Hölzer aus naturnahem Waldbau nicht zuletzt über ihre Beschaffungs­politik. Beim Bund und bei den vom ihm subven­

tionierten Projekten sollen nur noch diejenigen An gebote berücksichtigt werden, welche Holz und Holzprodukte aus nachweislich nachhaltig bewirtschafteten Wäldern enthalten, heisst es in den einschlägigen Empfehlungen des Bundes­amtes für Bauten und Logistik (BBL). Dabei wird explizit auf die beiden Holzlabels verwiesen.

Der Bund nimmt bei seinem Konsumver­halten eine Vorbildfunktion ein, indem er im Rahmen seiner Beschaffungstätigkeit Produkte nachfragt, die wirtschaftlich, umweltschonend und sozialverträglich sind, lautet ein Grundsatz der Strategie Nachhaltige Entwicklung des Bun­des. Dabei gilt es, das im WTO­Übereinkommen verankerte Diskriminierungsverbot einzuhal­ten. Es darf bei einer öffentlichen Bauausschrei­bung zum Beispiel nicht zur Bedingung gemacht werden, dass nur Holz aus Schweizer Wäldern verwendet wird. Hingegen ist es zulässig, öko­logische Kriterien zu berücksichtigen – voraus­

gesetzt, diese sind in den Ausschreibungen klar definiert.

Auch Kantone und Gemeinden versuchen, diese Vorbildfunktion wahrzunehmen. Die Hem­den der Zürcher Stadtpolizei bestanden bisher aus einem Mischgewebe aus konventioneller Baumwolle und Polyester. Baumwolle gehört zu den pestizidintensivsten Agrarprodukten. Doch auch hier gibt es Alternativen: Von der Entwick­ lungsorganisation Helvetas auf die Idee gebracht, kommandierten die Stadtbehörden Polizisten zum Tragtest von Biobaumwollhemden ab. Das Ergebnis war positiv, weshalb in der Folge die ganze Zürcher Stadtpolizei entsprechend einge­kleidet wurde.

«Um den Konsum nachhaltiger zu gestalten, ist es wichtig, dass der Verbrauch an Ressourcen und Energie sowie die Umweltbelastung, die an Produkten haften, in transparenter Weise offen­gelegt werden», sagt Christoph Rotzetter von der Sektion Konsum und Produkte im BAFU. «Labels liefern dazu wertvolle Hinweise und können helfen, bewusste Kaufentscheide zu fällen. Noch besser wäre es, wenn Produkte mit schlechtem Umwelt­ und Sozialausweis gar nicht erst im Verkaufsregal stünden. In diesem Sinn sucht der Bund das Gespräch mit der Branche und fördert die Entwicklung von entsprechenden Produktstandards.»

Hansjakob Baumgartnerwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-09

KONTAKTChristoph RotzetterSektion Konsum und Produkte, BAFU031 323 27 [email protected]

Von der Entwicklungsorganisation Helvetas auf die Idee gebracht, kommandierten die Zürcher Stadtbehörden Polizisten zum Tragtest von Biobaumwollhemden ab.

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In den Tieflagen des Wallis sterben seit den 1990er­Jahren immer mehr Föhren ab. Wie auch in anderen inneralpinen Trockentälern setzt den ortstypischen Nadelbäumen vor allem die starke Klimaerwärmung im Alpenraum zu. Ins­besondere Hitzeperioden wie im Rekordsommer 2003 erhöhen den Trockenstress und führen zu einer allgemeinen Schwächung der Waldföhren, während sie gleichzeitig deren Parasiten begüns­tigen – so etwa die Mistel. Unterhalb von etwa 1000 Metern über Meer wird die Nadelbaum­vegetation daher zunehmend durch resistentere Laubbäume wie die submediterrane Flaumeiche verdrängt.

Fachleute der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), die das Phäno­men des Föhrensterbens im Wallis jahrelang untersucht haben, gehen mittelfristig von e iner Umwandlung der heute noch vorhandenen Mischbestände in Flaumeichenwälder aus. Der Waldföhrengürtel dürfte sich weiter bergwärts verschieben. Sollte sich die Trockenheit im Zuge einer raschen Klimaerwärmung weiter verschär­fen, würde aber auch die Flaumeiche darunter leiden. «Versteppung wäre dann ein mögliches Szenario», warnen die Forschenden. Käme es so weit, wären auch vielfältige Ökosystemleistun­gen wie etwa der Schutz von Siedlungen und Verkehrswegen vor Naturgefahren nicht mehr gewährleistet.

Beschränkte Anpassungsfähigkeit. Pflanzen und Tiere sowie ihre Lebensräume reagieren seit je empfindlich auf Klimaveränderungen wie stei­gende Temperaturen oder abnehmende Nieder­schläge. Geschehen solche Wechsel langsam und dauerhaft, so können sich viele Arten den neuen Umweltbedingungen anpassen – sei es durch ein Ausweichen in Gebiete mit idealeren Ver­hältnissen oder durch natürliche Selektion. Die

Geschwindigkeit des vom Menschen verursachten Klimawandels – in Kombination mit dem anhalten­den Nutzungsdruck auf zahlreiche Naturräume – droht jedoch die Anpassungsfähigkeit zahlreicher Arten zu überfordern. Bei einem Anstieg der globa­len Durchschnittstemperatur um 2 bis 3 Grad Cel­sius gegenüber den vorindustriellen Werten würde das Aussterberisiko für etwa 20 bis 30 Prozent der Pflanzen­ und der höheren Tierarten zunehmen, mahnt eine Studie des wissenschaftlichen Fachrats der UNO für Klimafragen (IPCC).

Eine gefährliche Störung verhindern. Um die Aus­wirkungen der unvermeidlichen Erwärmung möglichst abzuschwächen, hat sich die Staaten­gemeinschaft an der UNO­Konferenz für Umwelt und Entwicklung von 1992 in Rio de Janeiro auf die Klimakonvention geeinigt. Der zeitgleich mit dem internationalen Übereinkommen zum Schutz der Biodiversität ausgehandelte Vertrag soll die Treib­ hausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau stabilisieren, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert. «Inzwischen herrscht Einigkeit, dass die Temperaturzunahme auf höchstens 2 Grad Celsius begrenzt werden soll­te, damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen – und damit die Nahrungsmittelproduktion sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung – nicht durch das Verschwinden bestehender Öko­systeme gefährdet werden», erklärt Xavier Tschumi Canosa von der Abteilung Internationales beim BAFU. «Dieses Ziel will das Abkommen nicht nur durch eine Reduktion der klimarelevanten Emissi­onen erreichen, sondern auch durch den besseren Schutz und die Förderung natürlicher Senken, die Treibhausgase speichern.»

Die natürlichen Senken erhalten. Neben dem Plank­ton in den Weltmeeren binden vor allem Wälder, Böden und Moore grosse Mengen des wichtigsten

Biodiversitätsschutz ist Klimaschutz – und umgekehrt

SYNERGIEN MIT DER KLIMAPOLITIK

Eine wirksame Klimapolitik und die weltweite Erhaltung der Biodiversität gehen Hand in Hand. Natürliche oder naturnahe Ökosysteme speichern grosse Mengen an Treibhausgasen und können dadurch den Klimawandel abschwächen.

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Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). So enthalten alle Wälder der Erde rund 80 Prozent des in der Landvegetation gespeicherten Kohlenstoffs. Sie absorbieren pro Jahr schätzungsweise 5 Milliar­den Tonnen CO2 oder etwa 15 Prozent der vom Menschen weltweit verursachten Emissionen dieses Gases. Damit leisten sie einen zentralen Beitrag zur Abschwächung des Klimawandels, wie eine 2009 veröffentlichte Studie des inter­nationalen Projekts TEEB festhält (siehe Seite 12).

Am Beispiel der durch wärmere Wassertem­peraturen stark bedrohten Korallenriffe zeigt sich, in welchem Ausmass die Degradation von Ökosystemen auch die Anfälligkeit des Men­schen gegenüber dem Klimawandel verschärft. So schützen intakte Riffe die Bevölkerung in den Küstengebieten etwa vor Sturmfluten. Als natür­liche Fischzuchtanlagen bieten sie zudem Milli­onen von Menschen eine Existenzgrundlage. Mit dem Verschwinden dieser Ökosysteme würden auch deren wirtschaftliche Leistungen im Wert von bis zu 170 Milliarden US­Dollar pro Jahr weg­fallen, mahnt denn auch die TEEB­Studie.

Ähnlich wie die Korallenriffe erfüllen arten­reiche Ökosysteme häufig eine Pufferfunktion, indem sie die negativen Auswirkungen der glo­balen Erwärmung abfedern und dadurch die Widerstandsfähigkeit von Wirtschaft und Gesell­schaft gegenüber den Folgen des Klimawandels stärken. «Wir müssen den Biodiver sitätsverlust

und den vom Menschen beeinflussten Treibhaus­effekt deshalb gemeinsam bekämpfen», sagt Xa­vier Tschumi Canosa. «Eine intakte Biodiversität mit ihren vielfältigen Möglichkeiten zur Anpas­sung an sich verändernde Umweltbedingungen ist nämlich die günstigste Versicherung gegen unerwünschte Auswirkungen des Klimawandels wie extreme Wetterereignisse.»

Die Synergien nutzen. Im Rahmen der Strategien zur Anpassung an die Klimaerwärmung kommt der Erhaltung der Ökosysteme und ihrer biolo­gischen Vielfalt daher eine Schlüsselrolle zu. So sind zum Beispiel standortgerechte und natur­nah aufgebaute Wälder resistenter gegenüber Störungen wie Stürmen, Trockenheit oder Insek­tenbefall und können sich nach solchen Ereig­nissen besser erholen (siehe Kasten Seite 39).

Im 2008 veröffentlichten Positionspapier «Bio­diversität und Klima – Konflikte und Synergien im Massnahmenbereich» zeigt die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) auf, wo sich Anstrengungen besonders lohnen. Die Revi­talisierung von hart verbauten und eingeengten Fliessgewässern zum Schutz vor Hochwasser­ereignissen vereint beispielsweise den Biodiver­sitätsschutz mit Massnahmen zur Dämpfung der Auswirkungen der Klimaänderungen. Auch die Wiedervernässung und Renaturierung von trockengelegten Mooren dient laut der SCNAT

«Wir müssen den Verlust an Biodiversität und den vom Menschen beeinflussten Treibhauseffekt deshalb gemeinsam bekämpfen.» Xavier Tschumi Canosa, BAFU

KONTAKTXavier Tschumi CanosaSektion Rio-KonventionenBAFU031 323 95 [email protected]

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben darauf aufmerk-sam gemacht, dass Korallenriffe durch den Klimawandel gross- flächig vernichtet werden könnten. Korallenriffe liefern pro Jahr Ökosystem- leistungen im Wert von 170 Milliarden US-Dollar und sind Existenzgrund-lage für rund 500 Millio-nen Menschen.Bild: Fisheries and Oceans Canada

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sowohl dem Klimaschutz als auch der Erhaltung von naturnahen Lebensgemeinschaften. Intakte Torfmoore sind der weltweit wichtigste oberirdi­sche Langzeitspeicher für organisch gebundenen Kohlenstoff und binden doppelt so viel CO2 wie die Biomasse aller Wälder der Erde. Obwohl die Schweiz durch Entwässerung, Torfabbau und Kul­tivierung inzwischen mehr als 90 Prozent ihrer ursprünglichen Moorflächen verloren hat, lagern in diesen organischen Böden noch immer etwa 176 Millionen Tonnen Kohlendioxid oder rund das Dreieinhalbfache der landesweiten Treibhausgas­emissionen pro Jahr.

Vereinzelte Interessenkonflikte. Neben diesen Syner­gien gibt es aber auch einzelne Bestrebungen zum Schutz des Klimas, die im Widerspruch zu den Anliegen der Biodiversitätserhaltung stehen. Als problematisch erachtet die SCNAT insbesondere den Intensivanbau von Energiepflanzen für Agro­treibstoffe, die Nutzung von bisher naturnahen Fliessgewässern für die Stromproduktion, eine Reduktion der Restwassermengen bei Wasserkraft­werken oder einen allfälligen Betrieb von Energie­holzplantagen im Forstbereich.

Insgesamt schätzen die Fachleute der SCNAT im Positionspapier die Chancen jedoch als weit be­deutender ein als die denkbaren Konflikte: «Je bes­ser es gelingt, die Vielfalt des Lebens auf der Ebene der Gene, Arten und Ökosysteme zu erhalten, desto besser sind auch die Aussichten, dass unsere Gesellschaft mit den klimatischen Bedingungen der Zukunft zurechtkommen wird.»

Beat Jordi www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-10

Das Alpenschneehuhn ist bereits heute eine seltene Art. Eine Modellrechnung über die zukünftige Verbreitung dieser Charakterart der Alpen zeigt: Steigen die Temperaturen im Vergleich zu heute massiv an, verliert das Alpenschneehuhn fast die Hälfte seines Verbreitungsgebietes. Bild: Claude Morerod

Vielfalt macht Wälder stabiler

(hjb) Wälder,indenenmehrereBaumartenvorkommen,seienRein-beständenvorzuziehen,denninihnen«könnenwederInsektennochStürmestarkeSchädenanrichten»,schriebderdeutscheForstwissen-schafterHeinrichCotta.Daswar1828.ImHinblickaufdiestürmi-schenZeiten,dieunsderKlimawandelverheisst,gewinntdiesealteErkenntnisneueBedeutung.«DieFähigkeiteinesWaldes,sichunterverändertenBedingungenzubehauptenundsichvonStörungenzuerholen,hängtabvonderBiodiversitätaufallenEbenen»,fassteineStudiederBiodiversitätskonventiondasweltweit verfügbareErfah-rungswissenzudiesemThemazusammen.

Dass sie sich dem Klimawandel anpassen können und langfris-tig stabil bleiben,wünschtman sich vorallemvondenSchutzwäl-dern. Mit dem BAFU-Projekt «Nachhaltigkeit im Schutzwald» wur-denHandlungsanleitungenerarbeitet,umdieszugewährleisten.DieBaumartenvielfaltzuerhöhen,istdabeieineKernforderung.MöglichistdiesnurbeiderVerjüngung.«Darummüssenwirmehrverjüngenunddabei jeweilsdie standörtlichenMöglichkeitenvollausnutzen,das heisst, möglichst alle Arten einbringen, die am fraglichen Ortaufkommenkönnen»,sagtArthurSandri,ChefderSektionRutschun-gen, Lawinen und Schutzwald im BAFU. So ist am besten gewähr-leistet,dassderSchutzwaldheuteseinenDiensttut,dassaberauchmorgennochüberallWaldseinwird,woesihnbraucht.

KONTAKTArthur SandriSektionschef Rutschungen, Lawinen und SchutzwaldBAFU031 323 93 [email protected]

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TG

Eine Plattform fürs Wasser

Die Plattform www.bachseefluss.ch des Am-

tes für Umwelt Kanton Thurgau und der Päd-

agogischen Hochschule Thurgau widmet sich

den Themen Gewässer, Wasserhaushalt und

Na turgefahren. Dazu gibt es allgemeinver-

ständliche Informationen und News zur Erarbei-

tung der Naturgefahrenkarten in den Thurgauer

Gemeinden. Darüber hinaus lassen sich Daten

zu Abflussmengen, Wasserständen, Nieder-

schlagsmengen und Naturgefahrwarnungen

abrufen. Schliesslich finden sich auch Unter-

richtsideen für Lehrpersonen der Sekundar-

stufe 1 zu den Themen Naturgefahren und

Gewässer.

> Anita Enz, Amt für Umwelt Kanton Thurgau,

Frauenfeld, 052 724 24 73, [email protected],

www.bachseefluss.ch

BE / CH

Orientierungshilfe für GemeindenEine Kommune, die prosperieren will, kommt

um eine ganzheitliche Standortbestimmung

nicht herum. Mit einem vom Kanton Bern ent-

wickelten Gemeindeprofilografen, einem Excel-

Instrument, lässt sich der Ist-Zustand einer

Gemeinde aus Sicht der nachhaltigen Entwick -

lung relativ einfach beurteilen. Aufgrund von

132 Indikatoren aus den Bereichen Gesell-

schaft, Wirtschaft und Umwelt erstellt das

Excel-Programm ein Stärken-Schwächen-Profil.

Der Gemeindeprofilograf (in D und F) lässt sich

auf der Homepage des Amtes für Umweltkoor-

dination und Energie des Kantons Bern (AUE)

gratis herunterladen. Eine fachliche Begleitung

wird empfohlen.

> Monique Kissling-Abderhalden, Kompetenz-

zentrum für Nachhaltige Entwicklung, AUE, Bern,

031 633 36 55, [email protected],

www.be.ch/aue

BS

Mehr Transparenz für Mieterinnen und Mieter

Für die energetische Sanierung von Gebäuden

erhalten die Hausbesitzenden Fördergelder von

Bund und Kantonen. Danach werden nicht sel-

ten die Mietzinse erhöht. Und nicht immer ist

klar, ob die Besitzer die staatlichen Beiträge

abziehen, wie dies das Mietrecht verlangt. Nun

können Mieterinnen und Mieter in der Stadt

Basel beim Amt für Umwelt und Energie (AUE)

erfahren, ob für die energetische Sanierung ih-

res Gebäudes Förderbeiträge geleistet worden

sind. Mit diesem Einsichtsrecht (telefonisch,

schriftlich und im Internet), das in der neuen

Verordnung zum Energiegesetz festgehalten

ist, geht der Kanton Basel-Stadt schweizweit

neue Wege. Nur der Kanton St. Gallen kennt

eine ähnliche Regelung.

> Thomas Fisch, Leiter Abteilung Energie, Amt für

Umwelt, Basel, 061 225 97 30, [email protected]

ZH

Sonnenenergie steckt an

Der pensionierte Drucker Georges Betto sini

ist ein engagierter Mann. «Ich bin einfach mo-

tiviert, etwas für die Umwelt zu tun», sagt er.

Deshalb beobachtete er mit wachsendem In-

teresse, wie der Besitzer eines nahen Einfami-

lienhauses eine Solaranlage aufs Haus bauen

liess. Das Resultat überzeugte Bettosini. Eine

solche Anlage wollte er auch auf seinem nach

Süden ausgerichteten Dach. Mehr noch: Betto-

sini warb für die Idee bei weiteren Eigentüme-

rinnen und Eigentümern der Winterthurer Einfa-

milienhaussiedlung (Bild) und stiess auf offene

Ohren. Also liessen sich diese gemeinsam Son-

nenkollektoren aufs Dach montieren und spar-

ten dadurch Kosten. Jetzt werden im Jahr

70 Prozent des Warmwasserbedarfs auf nach-

haltige Weise gedeckt.

> Georges Bettosini, Winterthur, 052 242 62 75,

[email protected]

CH / VS

Leben mit dem WaldbrandForscher der Eidgenössischen Forschungs-

anstalt für Wald, Schnee und Landschaft

(WSL) haben zusammen mit der Dienststelle

für Wald und Landschaft des Kantons Wallis

einen Leitfaden zum Umgang mit Waldbrän-

den herausgegeben. Am Beispiel des Wald-

brands von Leuk (VS) im Sommer 2003 werden

die Auswirkungen solcher Ereignisse auf die

Natur aufgezeigt. Der Bericht enthält u. a. eine

Vor Ort

zVg

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Dokumentation des Brandes und der Sofort-

massnahmen, dazu eine Bestandesaufnahme

des Verjüngungserfolgs des Waldes und der

Entwicklung der Biodiversität. Mit Blick auf den

Klimawandel werden zukünftige Brandrisiken

und Beispiele für präventive Massnahmen dar-

gestellt.

> Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf (ZH),

044 739 21 11, Download unter

www.wsl.ch > Neues / Medien (in D, F, I)

CH

Gegen Littering ansingen

Der 1. Anti-Littering-Song-Contest der IG sau-

bere Umwelt hat ein grosses Echo ausgelöst:

Knapp 200 Interpretinnen und Interpreten

produzierten Songs gegen den im öffentli-

chen Raum achtlos weggeworfenen Abfall. Die

Hip-Hop-Crew Churchhill (Bern), die Popband

Ringo (Zürich/Luzern) sowie die Sängerin Onésia

Rithner (Wallis, im Bild) haben die Jury am meisten

überzeugt. Sie alle gewannen je 5000 Franken.

2010 läuft ein Comic-Wettbewerb zum gleichen

Thema.

> Saubere Umwelt, Zürich, 044 387 50 10;

die Songs hören auf www.igsu.ch (in D, F, I, E)

CH

Schnelltest für TreibstoffeAgrartreibstoffe gelten als mögliche Alternative

zu fossilen Treibstoffen, wenn es um eine CO2-

arme Mobilität geht. Doch nicht alle von ihnen

überzeugen bei Einbezug von Herstellung und

Vertrieb mit einer positiven Ökobilanz. Damit

auch kleinere Produzenten aus Entwicklungs-

ländern Agrartreibstoffe auf dem Weltmarkt an-

bieten können, sind erschwingliche Instrumente

zur Beurteilung von deren Nachhaltigkeit nötig.

Die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt

(EMPA) hat dazu im Auftrag des Staatssekre-

tariats für Wirtschaft (SECO) das weltweit erste

und kostenlose Webtool «Sustainability Quick

Check for Biofuels» entwickelt.

> www.sqcb.org (in Englisch, Spanisch, Portugiesisch);

EMPA, Dübendorf (ZH), 044 823 55 11,

www.empa.ch

CH

Mehr Ruhe in der NachtDie Weltgesundheitsorganisation (WHO) wertet

seit einigen Jahren wissenschaftliche Studien

zu den Auswirkungen von Nachtlärm auf die

Gesundheit der Bevölkerung aus. Nun hat sie –

u.a. in Zusammenarbeit mit dem BAFU – Emp-

fehlungen für einen maximalen Nachtlärmpegel

formuliert. Dieser (durchschnittliche) Grenzwert

während der Nachtstunden beträgt 40 Dezibel

(dB), was einer normalen Gesprächslautstärke

oder auch dem Flüstern am Ohr entspricht. Die

WHO empfiehlt diesen Wert als längerfristiges

Ziel; kurz- und mittelfristig sollen 55 dB erlaubt

sein. In der Schweiz gilt derzeit in Gebieten der

Empfindlichkeitsstufe 2 (Wohnzone) bereits ein

gesetzlicher Grenzwert von 45 dB für neue An-

lagen und von 50 dB für bestehende. «Damit

befindet sich unser Land auf gutem Weg», sagt

Gilberte Tinguely vom BAFU.

> Gilberte Tinguely, Abteilung Lärmbekämpfung,

BAFU, 031 322 92 54,

[email protected]

TI

Millionen für die Umwelt

147 Millionen Franken will der Kanton Tessin in

den nächsten 10 bis 20 Jahren für den Schutz

der Umwelt zusätzlich ausgeben. Der neue

kantonale Umweltbericht führt einen Katalog

von insgesamt 101 Massnahmen an. Ganz

oben auf der Prioritätenliste stehen Projek-

te, mit denen im verkehrsgeplagten Kanton die

Emissionsgrenzwerte eingehalten werden kön-

nen. Die Energieoptimierung von bestehenden

oder neuen Gebäuden und Anlagen hat ebenso

Priorität wie die vermehrte Kontrolle von Bau-

stellen zum besseren Schutz des Bodens. In

die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitenden

sollen ebenfalls mehr Mittel fliessen.

> Giovanni Bernasconi, Leiter Abteilung

Luftreinhaltung, Boden- und Gewässerschutz,

Amt für Umwelt, Bellinzona, 091 814 37 51,

[email protected],

www.ti.ch/Rapporto-ambiente

41umwelt 2/2010

Wald-Weidenröschen im Brandgebiet von Leuk Bild: B. Moser, WSL

zVg

Blick ins Sottogeneri, hinten links Lugano zVg

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umwelt 2/2010 42

International

Franz PerrezChef Sektion GlobalesBAFU031 322 93 [email protected]

Daniel ZiegererSektion GlobalesBAFU031 323 45 [email protected]

Umwelt-Gipfel 2012: BAFU koordiniert die Schweizer Vorbereitungen

Globale Umwelt­ und Nachhaltigkeitskonferenzen haben in der Vergangenheit wichtige Impulse für

die internationale Umweltpolitik gegeben. Die erste wurde von der UNO 1972 in Stockholm durch­

geführt. In deren Nachgang wurde etwa UNEP, das Umweltprogramm der UNO, ins Leben gerufen.

Es folgte der Weltgipfel über Umwelt und Entwicklung (Rio, 1992), an welchem wichtige Grundsätze

wie das Vorsorgeprinzip oder das Konzept der nachhaltigen Entwicklung formuliert sowie die Klima­

und die Biodiversitätskonvention begründet wurden. Dann kam derjenige zur nachhaltigen Entwick­

lung selbst (Johannesburg, 2002). An diesem wurden die Institutionen gestärkt und für spezifische

Themen wie Chemikalien konkrete Ziele festgelegt. Trotz aller Bemühungen und punktueller Erfolge

ist indes die Welt von einer nachhaltigen Entwicklung noch weit entfernt. Deshalb findet 2012 in Rio

ein vierter UNO­Umweltgipfel statt. Die Schwerpunkte lauten: «Grüne Wirtschaft» (Green Economy)

und die institutionellen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Entwicklung.

Die Schweiz will aktiv an den Verhandlungen teilnehmen. Die aus Fachleuten verschiedener

Departemente zusammengesetzte Delegation wird vom BAFU angeführt. Dabei will man sich unter

anderem für die Förderung einer ressourcenschonenden Wirtschaft einsetzen, welche die Wohlfahrt

und soziale Gerechtigkeit langfristig gewährleistet und gleichzeitig die natürlichen Lebensgrund­

lagen erhält. Dazu gehört auch der Transfer von umweltfreundlichen Technologien in Entwicklungs­

und Schwellenländer. Grundsätzlich sollen Strukturen und die konkrete, internationale Zusammen­

arbeit in allen Teilen der nachhaltigen Entwicklung verbessert werden.

Thunfisch-Streit: BAFU-Mitarbeiter entscheidet mit

Die Thunfische gehören weltwirtschaftlich zu den bedeutendsten Speisefischen. Wegen ihres quali­

tativ hochstehenden Fleisches werden sie unter anderem für das ursprünglich japanische Gericht

Sushi verwendet. Mexiko hat nun im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gegen die USA eine

Klage wegen Benachteiligung von mexikanischen Thunfischimporten eingereicht. Dabei geht es um

umstrittene Fangmethoden, bei denen vorab andere Hochseefische (u. a. Delfine und Haie) als Beifang

in Mitleidenschaft gezogen und getötet werden. Aus diesem Grund haben die USA für den Import von

Thunfischfleisch ein entsprechendes Label erlassen («Dolphin Safe» / «Delfin­sicher»). Mexiko fühlt

sich dadurch diskriminiert: Das Land halte sich an die entsprechenden Standards der interamerika­

nischen Thunfischkommission (Inter­American Tropical Tuna Commission, IATTC) und werde vom

Handel in den USA trotzdem ausgeschlossen.

Franz Perrez, Leiter der Sektion Globales beim BAFU, wurde in das nötig gewordene Streitbeile­

gungsgremium der WTO berufen. Der Konflikt betrifft grundlegende WTO­rechtliche und völker­

rechtliche Fragen in Bezug auf das Verhältnis von Handel und Umweltstandards. Deshalb sind Argen­

tinien, Australien, Brasilien, China, Ecuador, Guatemala, Japan, Kanada, Korea, Neuseeland, Taiwan,

Thailand, die Türkei, Venezuela und die Europäische Kommission dem Fall als Drittparteien beige­

treten. Mit einem Entscheid ist im Laufe des Jahres 2010 zu rechnen.

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43Ökonomie > umwelt 2/2010

Im Idealfall sorgen freie Märkte für eine möglichst effiziente Nutzung von knappen Ressourcen. Am Beispiel von nicht erneuerbaren Rohstoffen zeigt sich aber, dass die Realität nicht immer dem Modell folgt. Hier hat die öffentliche Hand deshalb eine Mitverantwortung, um das Marktversagen zu korrigieren. Eine neue Studie im Auftrag des BAFU skizziert mögliche Lösungswege.

Der freie Markt kann es nicht alleine richten

EFFIZIENTE RESSOURCENNUTZUNG

Seit Jahren unterliegt der Erdölpreis extre­men Schwankungen. Kostete ein Fass Roh­öl auf dem Spotmarkt im Dezember 2001 noch 19 US­Dollar ($), so waren es im Juli 2006 74 $, zwei Jahre später 146 $, im Zenith der weltweiten Wirtschafts­ und Finanzkri­se vom Februar 2009 schliesslich nur noch 39 $ und knapp ein Jahr danach mit 83 $ wieder mehr als das Doppelte. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst das dramatische Auf und Ab. Dazu gehören etwa eine ten­denziell steigende Ressourcennachfrage von bevölkerungsreichen Schwellenländern wie insbesondere China und Indien, die je­weiligen Konjunkturzyklen, die Kapazität des Angebots sowie politische Unruhen in wichtigen Förderländern. Dabei können die Rohstoffbörsen dominierende Preistrends jeweils drastisch verstärken. «Aus volkswirt­schaftlicher Sicht wirken sich die in beiden

Richtungen übertriebenen Preisausschläge nachteilig aus», stellt Rolf Gurtner von der Sektion Ökonomie beim BAFU fest. «Weil In­vestitionen von Unternehmen, Privathaus­halten und der öffentlichen Hand primär dort erfolgen, wo sie den grössten Nutzen versprechen, führt jede Verzerrung der Rohstoffpreise zu Wohlfahrtsverlusten für die Gesellschaft.» Idealer für einen länger­fristigen Investitionshorizont wären somit Ressourcenpreise, die sich innerhalb einer gewissen Bandbreite stabil entwickeln.

Fragezeichen zur Effizienz der Märkte. In der ökonomischen Theorie vermögen freie Märkte den Verbrauch von Ressourcen über den Preis so zu steuern, dass auf lange Sicht eine optimale Nutzung erfolgt. Angesichts des laufend steigenden Ressourcenver­brauchs mit seinen negativen Auswirkun­

Der Erdölpreis unterliegt drama-tischen Schwankungen, die kaum etwas mit den Kosten für die Gewinnung des Rohstoffs zu tun haben.Bild: gettyimages

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umwelt 2/2010 > Ökonomie44

gen auf die Umwelt und vor dem Hinter­grund der enormen Preisschwankungen erscheint es allerdings zweifelhaft, ob diese Kernaufgabe von den realen Märk­ten auch tatsächlich erfüllt wird. Lucas Bretschger, Professor für Ressourcenöko­nomie an der ETH Zürich, ist der Frage im Auftrag des BAFU nachgegangen. Für die kürzlich veröffentlichte Studie Preisentwicklung bei natürlichen Ressourcen. Vergleich der Theorie und Empirie hat sein Team untersucht, welche Faktoren ein optimales Funktionieren der Märkte – im Sinn einer effizienten Nutzung – ver­hindern und über welche Möglichkeiten der Staat verfügt, um seine Aufgabe als Regulator wahrzunehmen.

Keine optimale Nutzung. Da die weltweiten Vorräte von nicht erneuerbaren Rohstof­fen wie Erdöl laufend abnehmen, sollte sich die Knappheit solcher Ressourcen in einem gemäss Lehrbuch funktionie­renden Markt eigentlich angemessen im Preis widerspiegeln. Nach der ökonomi­schen Regel von Angebot und Nachfrage müssten sich abzeichnende Engpässe folglich zu steigenden Preisen führen, welche die Marktakteure motivieren, begrenzte Ressourcen entweder effizi­enter zu nutzen oder durch andere zu ersetzen.

In der Realität folgt die Preisent­wicklung oft nicht diesem einfachen Schema. Bei allen Schwankungen ist beispielsweise für die in der Studie un­

tersuchten Rohstoffe Erdöl, Kupfer und Indium über die letzten Jahrzehnte kein langfristig ansteigender Preistrend aus­zumachen, wie dies zu erwarten wäre. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Im Fall des Erdöls wird etwa der Zeitpunkt einer Erschöpfung der Vorkommen durch die Entdeckung neuer Ölfelder und den Abbau von Ölsanden hinausge­zögert. Zudem können die Besitzer der Ressourcen die künftige Preisentwick­lung nur ungefähr abschätzen, wobei in vielen Ländern auch die Eigentumsrech­te längerfristig nicht garantiert sind. Da­durch werden die Rohstoffvorkommen tendenziell rascher abgebaut und kon­sumiert, als dies im Hinblick auf eine effiziente Nutzung wünschbar wäre.

Nicht berücksichtigte externe Effekte. Eine Folge davon ist zum Beispiel die gemessen am Wirtschaftswachstum überdurchschnittliche Zunahme des motorisierten Individualverkehrs mit seinen negativen Folgen für Umwelt und Gesundheit. Dazu gehören der Bo­denverbrauch, die Zerschneidung von Lebensräumen, Emissionen von Lärm und Luftschadstoffen oder der Ausstoss an Treibhausgasen, die das globale Kli­ma schädigen. «Weil der Preis für Erdöl nicht sämtliche Kosten seiner Nutzung umfasst, wird im Vergleich zur sozial optimalen Menge zu viel davon konsu­miert», erklärt Rolf Gurtner. «Solange der Marktpreis diese externen Effekte

nicht berücksichtigt, ist ohne Korrektur solcher Verzerrungen auch kein Opti­mum möglich.»

Das Ziel der Generationengerechtigkeit. Die Politik muss sich unter anderem der Aufgabe stellen, dieses Marktversagen durch ordnungspolitische Massnahmen oder marktwirtschaftliche Anreize zu korrigieren. So, wie der Staat einen fai­ren Wettbewerb gewährleistet, indem er etwa Monopole unterbindet, steht er auch in der Mitverantwortung, die externen Kosten in die Rohstoffpreise einzubinden. Überdies sollte er für eine nachhaltige Ressourcennutzung sorgen, die auch den Bedürfnissen künftiger Generationen gerecht wird.

Die Fairness gegenüber kommenden Generationen erfordert es, dass der heu­tige Ressourcenverbrauch in Zukunft nicht zu einer zunehmenden Einschrän­kung der Produktionsmöglichkeiten und damit zu einer Reduktion des Le­bensstandards führt. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn durch den Einsatz von nicht erneuerbaren Rohstoffen ein für spätere Generationen mindestens eben­so wertvoller Ersatz geschaffen wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn aus Erdöl Kunststoffe für Rotorblätter von Windkraftanlagen oder Bauteile für Leichtfahrzeuge entstehen.

Weil sich im Falle der Schweiz die zumeist ausländischen Besitzer der Rohstoffe dem Einflussbereich der öffent lichen Hand normalerweise ent­ziehen, besteht die Möglichkeit staatli­

«Weil der Preis für Erdöl nicht sämtliche Kosten seiner Nutzung umfasst, wird im Vergleich zur sozial optimalen Menge zu viel davon konsumiert.»

Rolf Gurtner, BAFU

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45Ökonomie > umwelt 2/2010

cher Eingriffe vorab beim Konsum und bei der Produktion im Inland – etwa durch eine höhere Besteuerung des Verbrauchs. «Wichtig sind dabei kon­tinuierliche und verlässliche Signale, die ressourcenschonende und energie­effiziente Produktionsverfahren, Güter und Dienstleistungen gezielt begünsti­gen», erklärt Rolf Gurtner. «Wir müssen diesen Strukturwandel zu einer grünen Wirtschaft so steuern, dass Unterneh­men und Haushalte ihren Ressourcen­verbrauch zu möglichst geringen Kosten auf ein ökologisch nachhaltiges Niveau reduzieren können.» Diesen Weg einer nachhaltigen Entwicklung kann der Staat zusätzlich fördern, indem er bei­spielsweise vielversprechenden Umwelt­technologien zum Durchbruch verhilft.

Herausforderung bei nicht marktgängigen Ressourcen. Doch nicht nur gehandel­te Rohstoffe sind Ressourcen, sondern auch natürliche Güter ohne konventi­onellen Markt – wie etwa saubere Luft, die Biodiversität oder ein intaktes Klima. Ihnen ist gemeinsam, dass für sie die üblichen Preissignale fehlen und dass keine privaten Eigentumsrechte beste­hen. Vielmehr handelt es sich um lokale oder sogar globale Gemeinschaftsgüter mit unsicherer Bewertung.

Um eine Übernutzung zu vermei­den, konzentrierten sich die Eingriffe der öffentlichen Hand zum Schutz dieser Ressourcen bisher denn auch hauptsächlich auf Gebote und Verbote. «Als Ergänzung dazu kann der Staat

jedoch auch einen neuen Markt für bisher nicht marktgängige Ressourcen schaffen, um auf diesem Weg den Preis der externen Umweltkosten durch den Handel bestimmen zu lassen», erläu­tert Rolf Gurtner. Diesen Weg haben die Schweiz und die Europäische Union gewählt, um den Ausstoss des wichtigs­ten Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) durch den Handel mit entsprechenden Emissionsrechten zu senken. Letztere ermächtigen die Firmen, eine bestimm­te Menge an CO2 auszustossen. Sofern ein Unternehmen seine Limite nicht ausschöpft, kann es die überschüssigen CO2­Rechte verkaufen. Umgekehrt muss ein Betrieb, der die ihm zugestandenen Emissionen überschreitet, zusätzliche Emissionsrechte erwerben. Steigen de­ren Preise, so drosseln die beteiligten Firmen im Idealfall ihren Verbrauch an fossilen Energieträgern wie Erdöl, Kohle und Erdgas. Sie setzen dann vermehrt erneuerbare Brenn­ und Treibstoffe ein, investieren in technologische Neuent­wicklungen und gestalten dadurch ihre Verfahren und Produkte ressourcen­effizienter. «Künftig planen die Regie­rungen, laufend weniger Emissions­rechte zuzuteilen; entsprechend sollte der klimaschädliche Kohlendioxidaus­stoss kontinuierlich sinken», sagt Rolf Gurtner.

Die Grenzen der Marktlogik. Das Instru­ment eines neuen Marktes eignet sich aber nicht gleichermassen für alle Res­sourcen ohne Geldwert. So wird etwa die Biodiversität durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die oft nur schwer einzugrenzen sind. Häufig ist unklar, wer entsprechende Leistungen nutzt oder durch sein Handeln die Bio­diversität beeinträchtigt und wem die Eigentumsrechte zuzuordnen sind. Um möglichst viele Einflussfaktoren zu berücksichtigen, ist es daher wichtig, einen Mix aus marktwirtschaftlichen und planerischen Instrumenten sowie Vorschriften und freiwilligen Massnah­men einzusetzen.

Felix Würsten, Beat Jordiwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-11

KONTAKTRolf GurtnerSektion ÖkonomieBAFU031 322 57 [email protected]

«Wir müssen diesen Strukturwandel zu einer grünen Wirtschaft so steuern, dass Unternehmen und Haushalte ihren Ressourcenverbrauch zu möglichst geringen Kosten auf ein ökologisch nachhaltiges Niveau reduzieren können.» Rolf Gurtner, BAFU

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umwelt 2/2010 > Gebäudeprogramm46

GEBÄUDEPROGRAMM VON BUND UND KANTONEN

Ein zentraler Pfeiler der Klimapolitik

Die Erwartungen an das Gebäudepro­gramm sind hoch. Es soll pro Jahr rund 10 000 Gebäudesanierungen und Ge­samtinvestitionen von über 1 Milliarde Franken auslösen. Damit wird aus heu­tiger Sicht angestrebt, den jährlichen Kohlendioxidausstoss bis ins Jahr 2020 um zirka 2,2 Millionen (Mio.) Tonnen zu reduzieren. Bei einer Verminderung der CO2­Emissionen um insgesamt 20 Prozent entspricht dies rund der Hälfte der im Inland angestrebten Ein­sparungen. Ob auch wirklich genügend Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer für eine energetische Haussanierung und für den Einsatz erneuerbarer Energien motiviert werden können, hängt jedoch

neben dem finanziellen Anreiz durch das Gebäudeprogramm auch von exter­nen Faktoren ab. So sind die Entwick­lung des Ölpreises und die konjunktu­relle Lage ebenso entscheidend.

Die Grundlage für das Gebäudepro­gramm ist vor knapp einem Jahr gelegt worden. Nach jahrelangem politischem

Tauziehen haben die eidgenössischen Räte im Sommer 2009 eine Teilzweck­bindung der CO2­Abgabe auf Brennstof­fen beschlossen. Damit wird ab 2010 während 10 Jahren ein Drittel der ent­sprechenden Einnahmen – maximal aber 200 Mio. Franken (CHF) pro Jahr – für CO2­Massnahmen bei Gebäuden ein­gesetzt. Mindestens 133 Mio. CHF stehen jährlich für Sanierungen der Gebäude­hülle zur Verfügung, das heisst für bes­ser gedämmte Dächer, Wände, Fenster, Decken und Böden. Bis zu 67 Mio. CHF werden für erneuerbare Energien, Ab­wärmenutzung und Gebäudetechnik aufgewendet. Diese Gelder erhalten die Kantone, wenn sie mindestens gleich

viele Mittel für eigene Programme ein­setzen. Bereits sind in den Kantonen Programme in der Höhe von jährlich 80 bis 100 Mio. CHF geplant.

Grosser Handlungsbedarf im Gebäudebe-reich. Das Gebäudeprogramm setzt den Hebel am richtigen Ort an, sind

doch hierzulande rund 1,5 Mio. Häuser energetisch dringend sanierungsbe­dürftig. Heute wird jährlich nur gerade 1 Prozent der bestehenden Liegenschaf­ten erneuert. Rein rechnerisch würde es bei gleichem Tempo somit 100 Jahre dauern, bis in der Schweiz jedes Haus einmal energetisch saniert wäre. Der CO2­Austoss im Gebäudebereich ist auch deshalb hoch, weil 60 Prozent aller Immobilien mehr als 25 Jahre alt sind und grösstenteils aus der Zeit vor der ersten Erdölkrise stammen. So liegt zum Beispiel das Sparpotenzial eines durchschnittlichen Einfamilienhauses aus den 1970er­Jahren bei etwa 2 Ton­nen CO2 pro Jahr, was einem Drittel der schweizerischen Emissionen pro Person entspricht.

Energieeffiziente Neubauten. Auch bei Neubauten will man künftig mehr Energieeffizienz und eine Reduktion des CO2­Ausstosses erreichen. Dazu hat die Energiedirektorenkonferenz be­reits 2008 Mustervorschriften der Kantoneim Energiebereich verabschiedet. Sie be­schränken den Energiebedarf für Hei­zungen und Warmwasser bei Neubau­ten. Zudem regeln sie die Einführung eines schweizweit einheitlichen, frei­willigen Gebäudeenergieausweises der Kantone. Damit ist gewährleistet, dass

Der CO2-Ausstoss im Gebäudebereich ist auch deshalb hoch, weil 60 Prozent aller Immobilien mehr als 25 Jahre alt sind.

Mit dem Gebäudeprogramm haben Bund und Kantone gemeinsam ein Paket zur energetischen Sanierung von bestehenden Liegenschaften geschnürt. Bis 2020 stehen jährlich 280 bis 300 Millionen Franken bereit, um den Gebäudepark Schweiz klimafreundlicher zu gestalten.

Von Bruno Oberle, Direktor BAFU (links), undStefan Engler, Bündner Regierungsrat und Präsident der Konferenz der kantonalen Energiedirektoren

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47Gebäudeprogramm > umwelt 2/2010

Die Internetseite www.dasgebaeudeprogramm.ch dient als zentrale Plattform für Hausbesitzerinnen und Hauseigentümer, die ihre Liegenschaft energetisch sanieren oder erneuerbare Energien einsetzen wollen. Sie finden dort die nötigen Informationen zum Gebäudeprogramm und erfahren, welche zusätzlichen Förderprogramme es in ihrem Kanton gibt und wo sie sich beraten lassen können. In wenigen Schritten gelangt man zum Gesuchsformular.

Kontakt Dienstleistungszentrale Gebäudeprogramm:044 395 12 [email protected]

im Inland künftig nur noch Neubauten mit niedrigen CO2­Emissionen entstehen.

Beratung durch die kantonalen Energiefachstellen. Damit die umfangreichen Investitionen auch ihre Wirkung zeigen, braucht es eine gute Zu­sammenarbeit aller Beteiligten, also von Bund, Kantonen, Hausbesitzern, Planern sowie Finanz­branche und Bauwirtschaft. Ebenso gilt es, eine kompetente Beratung sicherzustellen. Im Ge­bäudeprogramm bringen die Energiefachstellen der Kantone diese Fachkompetenz ein. Eine na­tionale Dienstleistungszentrale koordiniert die Realisierung des Programms. Die Gesuchstel­lung für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer ist unkompliziert und wird über eine gemeinsa­me Internetplattform abgewickelt (siehe Kasten rechts).

Vom Gebäudeprogramm profitieren in erster Linie die Hauseigentümer. Es kommt aber auch denjenigen Unternehmen zugute, die sich auf Haussanierungen und moderne Gebäudetech­nik spezialisiert haben und nachhaltig bauen. Damit verleiht das Programm der Wirtschaft wertvolle Impulse, was gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten besonders wichtig ist.

KONTAKTNic KaufmannKommunikation GebäudeprogrammBAFU031 322 92 [email protected]

1990 2000 2007 2010 2020

PROGNOSEN FÜR DIE WIRKUNG DER KLIMASCHUTZMASSNAHMEN IN DER SCHWEIZ

Ohne Klimapolitik würde der CO2-Ausstoss im Inland bis 2020 um rund 5 Prozent steigen. Die bis 2009 getroffenen Massnahmen bewirken eine Reduktion um 6 Prozent. Dazu trägt der Gebäudesektor mit Abstand am meisten bei. Um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, braucht es jedoch weitere Schritte.

100 %

+ 5 %

– 6 %

Quelle: BAFU

Wirkungsanteile im Inland

im Jahr 2020

Das Gebäudeprogramm

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Page 48: Magazin «umwelt» 2/2010 - Biodiversität belebt

umwelt 2/2010 > Gebäudeprogramm4848

KLIMARELEVANZ DES GEBÄUDEPARKS

Klimaschutz hinter der HaustürDamit die Schweiz ihre globalen und nationalen Klimaschutzziele erreichen kann, braucht sie einen sparsameren Gebäudepark. Zu den wirksamsten Massnahmen, um den CO2-Ausstoss zu senken, gehören die Sanierung von Häusern und der Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich.

«Verbrauchten die Wohnungen vor der Sanierung noch umgerechnet 20 000 Li ter Heizöl pro Jahr, sind nun Energie­kosten von null Franken das Ziel», sagt der Architekt Karl Viridén. Er hat 2009 zwei Mehrfamilienhäuser an der Basler Feldbergstrasse saniert und ist dafür mit dem Preis «Watt d’Or» des Bundesamtes für Energie (BFE) ausgezeichnet worden.

Das Architekturbüro Viridén + Part­ner AG liess Dach und Fassade dämmen, installierte eine dreifache Isoliervergla­sung und neue Balkone. Zudem baute es die Haustechnik um: Eine Luft­Wasser­Wärmepumpe, kombiniert mit zwei Solaranlagen und einem riesigen Was­sertank als Wärmespeicher, sorgen für Wärme und Warmwasser. So verringern die Bewohnerinnen und Bewohner ihren CO2­Ausstoss um fast ein Drittel.

Die Sanierung leistet einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zum Klima­schutz. Im Kyoto­Protokoll hat sich die Schweiz verpflichtet, ihre jährlichen Treibhausgasemissionen im Zeitraum von 2008 bis 2012 gegenüber dem Aus­gangsjahr 1990 im Durchschnitt um 8 Prozent zu verringern. Mittelfristig soll auch der Gebäudesektor einen wich­tigen Beitrag zur Schweizer Klimapoli­tik leisten.

Der Erdölverbrauch steht im Zentrum. Weil CO2 in der Schweiz das mit Abstand wichtigste Treibhausgas darstellt, konzentriert sich die nationale Klima­ politik in erster Linie auf die Verringe­rung des Verbrauchs von fossilen Brenn­ und Treibstoffen. Mit dem CO2­Gesetz gibt das Parlament ein Reduktionsziel von 10 Prozent vor. Für Brennstoffe hat es die Latte mit einem Rückgang um

15 Prozent höher gelegt als für Treibstof­fe, muss doch der Strassenverkehr seine Emissionen im Durchschnitt der Jahre 2008 bis 2012 nur um 8 Prozent senken.Um Bevölkerung und Wirtschaft zum Energiesparen anzuspornen, haben die eidgenössischen Räte per 1. Januar 2008 eine Lenkungsabgabe auf Brenn­stoffe eingeführt. Diese CO2­Abgabe istAnfang 2010 verdreifacht worden und

beträgt heute 9 Rappen pro Liter Heizöl. Die Einnahmen fliessen zu zwei Dritteln an die Haushalte und Unternehmen zurück. Das verbleibende Drittel wird für die Finanzierung des Gebäudepro­gramms eingesetzt (siehe auch Seite 46).

Wenig Bewegung beim Verkehr. Wie steht unser Land zu Beginn der Kyoto­Periode da? Zwar lagen bei Redaktionsschluss noch keine bereinigten Daten zum Jahr 2008 vor. «Laut den jüngsten Perspek­tiven dürfte die Schweiz die im Kyoto­Protokoll eingegangene Verpflichtung knapp erfüllen können, wenn der Kauf ausländischer Emissionszertifikate und die Senkenleistungen des Waldes be­rücksichtigt werden», sagt aber Andrea Burkhardt, die Chefin der Abteilung Klima beim BAFU. « Weitaus schwieriger ist die Einhaltung der Reduktionsziele im CO2­Gesetz.» Einen Rückgang erwar­tet sie nur bei den Brennstoffen. Demge­genüber staut sich der Verkehr auf der

klimapolitischen Kriechspur – dieser Sektor wird die Ziele kaum erreichen, obschon das individuelle Sparpotenzial hier grösser wäre als beim Wohnen.

Doch die Kyoto­Periode ist nur die Startphase auf dem langen Weg zu einer klimaverträglicheren Gesellschaft. Wäh­rend die internationalen Verhandlun­gen in Kopenhagen bloss einen kleinen Schritt vorwärts kamen, hat der Bun­

desrat mit dem revidierten CO2­Gesetz bereits den Weg bis 2020 vorgezeichnet. So will er den Treibhausgasausstoss der Schweiz im Vergleich zu 1990 um 20 bis 30 Prozent senken. Im Unterschied zur laufenden Periode soll auch der Verkehr substanziell zu diesem Reduktionsziel beitragen.

Wichtigster Eckpfeiler der inländi­schen Klimaschutzpolitik bleibt aber der Gebäudesektor. Gemäss Berechnun­gen der Bundesämter BAFU und BFE soll 2020 allein das Gebäudeprogramm rund 2,2 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Im Lauf der Zeit kumulieren sich die Effekte, denn eine energetisch sanierte Wohnung wirkt über Jahrzehnte zugunsten des Kli­maschutzes. Die Sanierung der beiden Mehrfamilienhäuser in Basel wird bis 2020 rund 660 Tonnen CO2 vermieden haben – so viel, wie 110 Menschen hier­zulande jährlich verursachen.

Mike Weibelwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-12

Gemäss Berechnungen des Bundes soll im Jahr 2020 das Gebäudeprogramm rund 2,2 Millionen Tonnen CO2 vermeiden.

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49Wildtiere > umwelt 2/2010

Hauskatzen jagen, was sie kriegen – auch wenn sie gut gefüttert sind. Vor allem in städtischen Gebieten mit hoher Katzendichte können die räuberischen Haustiere dadurch zur Bedrohung für einzelne Arten werden. Es gibt aber einige Mittel, um die Beutetiere besser zu schützen.

Der Schmusekater bleibt ein RaubtierJAGDDRUCK DURCH KATZEN

Schnurrli ist ein guter und meist nütz­licher Jäger. Seit der prächtige Kater im Haus von Claire­Lise Suter in Murzelen (BE) am Wohlensee residiert, leben die Mäuse der Umgebung sehr gefährlich. An manchen Tagen verspeist er gleich mehrere davon. Aus dem Haus sind die Nagetiere vollständig verschwunden – im Gegensatz zu früher knabbern sie heute nicht mehr an der Gebäude­isolation, und auch die Ratten wagen sich kaum mehr in den Keller. Denn selbst mit diesen kämpferischen Nagern stattlicher Grösse nimmt es Schnurrli ohne Weiteres auf. Sogar eine Krick­ente erwischte er. «Wir konnten sie gerade noch rechtzeitig befreien und unverletzt wieder in die Freiheit ent­

lassen», erzählt Claire­Lise Suter. Als Jagdtrophäen hat Schnurrli auch schon seltene Tierarten wie Hermeline und gar eine Wasserralle ins Haus gebracht. Von diesem Wasservogel gab es damals lediglich einen einzigen Nachweis am Wohlensee. Nur die Zauneidechsen und Blindschleichen im Hausgarten blieben bislang verschont.

Angeborener Jagdinstinkt. Hauskatzen sind hervorragende Jäger. Sie können stun­denlang im Ansitz verharren, schlei­chen sich, den Bauch dicht an den Boden gepresst, an ihre Opfer heran, springen, packen die Beutetiere mit den Vorderpfoten und töten sie dann mit einem gezielten Biss in den Nacken.

Dieses Verhalten übt die Katze schon in ihren ersten Lebenstagen. Auch wenn Katzenmütter ihren Jungen einiges an Jagdkunst beibringen, so sind Haus­katzen auch ohne diese Ausbildung ausgezeichnete Jäger – der Jagdinstinkt ist ihnen angeboren. Daran hat auch die schon vor 9500 Jahren einsetzende Domestizierung der nordafrikanischen Wild­ oder Falbkatze in Ägypten nichts geändert.

Unübertroffener Beutegreifer. So kuschelig sich Schnurrli gegenüber dem Men­schen gebärden mag, als Beutegreifer bleibt er unübertroffen. Nichts kann ihn aufhalten, auch ein praller Futter­napf nicht. Im Gegenteil: Gut genährte

www.glanzbilder.org

Klimaschutz hinter der Haustür

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Page 50: Magazin «umwelt» 2/2010 - Biodiversität belebt

umwelt 2/2010 > Wildtiere50

Katzen sind topfit und dürften als Jäger eher noch erfolgreicher sein. Auch die immer wieder empfohlenen Glöckchen am Halsband ändern am Jagderfolg nichts, sagt der deutsche Ornithologe Jochen Hölzinger. «Solange die Katze im Versteck verharrt, ist ja sowieso nichts zu hören. Und wenn sie zum Sprung auf die Beute ansetzt, ist es meistens schon zu spät.» Er hat im Rahmen des Forschungsprogramms «Wildvögel und Vogelgrippe» in Baden­Württemberg untersucht, welche Rolle Hauskatzen bei der Übertragung des Vogelgrip ­ pe virus spielen. Die Datenerhebung zeigte Erstaunliches. Nicht weniger als 125 der insgesamt 420 Vogelarten im südwestlichen Bundesland stehen auf dem Speiseplan der Hauskatzen, darun­ter Vogelexoten wie Flussuferläufer und Zitronenzeisig oder stark bedrohte Ar­ten wie Wiedehopf und Rotkopfwürger. Hauskatzen ihrerseits werden von ver­schiedenen Greifvögeln – unter ihnen Steinadler, Rotmilan und Uhu – gejagt.

Am häufigsten erlegen Hauskatzen Amseln, Haussperlinge, Kohlmeisen, Grünfinken, Hausrotschwänze und Blau­

meisen. Vögel werden zu allen Jahreszei­ten gejagt. Der Schwerpunkt liegt aber in der Brutzeit. Dann haben es die Kat­zen auf den besonders leicht zu schnap­penden Nachwuchs abgesehen. Generell hätten Vögel aber gute Chancen, um gegen Katzen zu bestehen, sagt Jochen Hölzinger. «Meistens erwischen sie be­reits geschwächte Tiere.» Vögel sind indes nicht die Hauptbeute der Haus­katze. Sie jagt vorwiegend kleine Säuge­

tiere, vor allem Nager, wobei Wühlmäu­se den Hauptanteil stellen. Kleinsäuger machen rund 70 Prozent der Beute aus, Vögel um die 20 Prozent, und der Rest setzt sich aus kleinen Reptilien – vor allem Blindschleichen, Molchen und Fröschen – sowie Insekten zusammen.

Effiziente Jäger auf dem Bauernhof. Haus­katzen haben von Natur aus alle Anla­gen, die sie für ihre Beutetiere zu gefähr­lichen Jägern machen: scharfe Krallen, sprungkräftige Hinterbeine, ein Gehör, das jenes des Hundes übertrifft, und Augen, deren Sehkraft sogar bei Nacht noch besser ist als die des Menschen bei Tageslicht. Doch auch ihre Beutetiere sind alles andere als wehrlos. Sie sind zum Teil wieselflink und wissen sich durchaus zu wehren, wie etwa die Mäu­se mit ihren scharfen Zähnen. Die meis­ten Vögel entwischen dem Räuber mit einem eleganten Flügelschlag. Grosse, einzelgängerisch jagende Raubkatzen wie der Tiger brauchen zehn Versuche

für einen Jagderfolg. Bei Hauskatzen dürfte das Verhältnis ähnlich sein.

Katzen auf dem Land erwischen weit mehr Beute als ihre Artgenossinnen in städtischen Gebieten. Die besten Bau­ernhofkatzen, welche in der Regel nicht gefüttert werden, kommen jährlich auf über 1000 Beutetiere, in Städten und Agglomerationen liegt der Durchschnitt bei einem guten Dutzend. Denn dort be­wegen sich die Katzen vorwiegend in ih­

rer unmittelbaren Umgebung und mei­den deshalb weite, offene Ackerflächen und den Wald. Gejagt wird umso mehr in Gärten und Wiesen. Katzen sind am liebsten in der Morgen­ und Abenddäm­merung am Jagen. Grosse Hitze und Kälte meiden sie. Auch wenn die Revier­grössen von Katern stattliche Ausmasse von bis zu 900 Hektaren erreichen kön­nen, beschränkt sich der Aktionsbereich der meisten Katzen auf eine Fläche von weniger als 10 Hektaren.

Rascher Anstieg der Katzenpopulation. In den Industriestaaten ist die Zahl der Katzen in den vergangenen Jahrzehnten sprunghaft angestiegen. Lebten in Gross­britannien zu Beginn der 1970er­Jahre noch rund 4,5 Millionen Hauskatzen, so schätzte der Verband der Futterpro­duzenten die Population im Jahr 2003 aufgrund der stark gestiegenen Verkäu­fe auf das Doppelte. Für die Schweiz schwanken die Angaben zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Tieren. Vor allem in städtischen Gebieten ist die Katzendich­te hoch. Für die Stadt Zürich rechnen Fachleute mit 40 000 bis 50 000 Haus­katzen, während dort – zum Vergleich – 1200 Stadtfüchse leben.

Gegenüber der wilden Beutegreifer­Konkurrenz haben Hauskatzen gleich drei Wettbewerbsvorteile. Sie erfreuen sich bester Pflege, werden regelmässig gefüttert, sind gegen Krankheiten ge­impft und werden sonst noch medizi­nisch betreut. Bestandesschwankungen bei den Beutetieren lassen sie deshalb völlig unbeeindruckt, denn ihre Haupt­nahrungsquelle versiegt nie.

Zudem leben Hauskatzen im Gegen­satz zu vielen anderen wilden Beute­

Katzen auf dem Land erwischen weit mehr Beute als ihre Artgenossinnen in städtischen Gebieten.

Katzen jagen wahllos alles, was ihnen unter die Krallen kommt: Kater Schnurrli und sein inzwischen ausgestopftes Opfer Hermelin. Bilder: Claire-Lise Suter, BAFU

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greifern nicht territorial und brauchen interne Konkurrenz nicht zu fürchten. In städtischen Quartieren bilden Haus­katzen eigentliche Kolonien und leben in familienähnlichen Verbänden. Sie haben ein Sozialverhalten wie Löwen. Kätzinnen säugen auch die Jungen an­derer Weibchen, während Kater den Nachwuchs eines rudelfremden Konkur­renten töten. In einer Gruppe etabliert sich eine relativ stabile Rangordnung. Doch anders als die Löwen bleiben die Hauskatzen beim Jagen Einzelgänger.

Eine Landschaft der Angst. Wie viele Beu­tetiere tatsächlich von Hauskatzen erlegt werden, ist unbekannt. Es gibt nur grobe Schätzungen, so aus dem US­Bundesstaat Wisconsin: Auf einer Fläche von der vierfachen Grösse der Schweiz leben hier 5,5 Millionen Perso­nen. Die von ihnen gehaltenen Hauskat­zen sollen jährlich rund 40 Millionen Vögel erlegen. Für die USA gibt es eine Schätzung von 1 Milliarde Kleinsäugern pro Jahr, die Hauskatzen zum Opfer fallen. Insbesondere für die Bestände von gefährdeten Arten sind die räube rischen Haustiere damit eine Bedrohung. Jochen Hölzinger glaubt trotzdem nicht, dass der Jagderfolg der Katzen einen sig­nifikanten Einfluss auf das Vorkommen einzelner Arten hat. «Für Vögel etwa sind Stromleitungen und Fensterschei­ben viel gefährlicher. Hier machen die jährlichen Verluste allein in Baden­Württemberg Millionen aus.»

Auch in den Agglomerationen, wo Katzen weit weniger effizient jagen als in ländlichen Gebieten, dürften sie kaum direkt für die in ganz Europa beobach­tete starke Schrumpfung der Bestände – zum Beispiel der Haussperlinge – ver­antwortlich sein; indirekt aber schon, denn Fachkreise sprechen von einer

«Landschaft der Angst». Alleine die An­wesenheit der Katzen beeinträchtigt den Bruterfolg, wenn sich die Vogel­eltern nicht mehr getrauen, ihre Verste­cke für die Nahrungssuche zu verlassen. Modellrechnungen zeigen, dass dieser Einfluss erheblich ist und durchaus ver­antwortlich sein könnte für das lokale Aussterben von Arten. Unbekannt ist der Einfluss der Katzen auf die Bestände von Eidechsen und Blindschleichen, die insbesondere vor und nach der Winter­starre eine leichte Beute darstellen. Er dürfte jedoch lokal beträchtlich sein.

Die Chancen der Wildtiere verbessern. Da­mit ergibt sich ein klassischer Zielkon­flikt. So erstrebenswert es für das Wohl der Hauskatze ist, dass sie Auslauf hat und lästige Mäuse jagt, so erwünscht wäre es, die Tiere hielten sich vor allem beim Jagen von seltenen oder gar be­drohten Arten etwas zurück. Doch dies ist reines Wunschdenken, fangen Kat­

zen doch grundsätzlich alles, was ihnen unter die Krallen kommt. Schützen kön­nen sich die Beutetiere allenfalls selbst. Mit einfachen Massnahmen kann ihnen indes geholfen werden (siehe Kasten). Dadurch lässt sich etwa die kostbare, besonders verletzliche Vogelbrut wirk­ sam schützen und auch die Überlebens­chancen von kleinen Reptilien steigen, wenn sie über genügend Verstecke und Unterschlupfmöglichkeiten verfügen. Vielleicht lässt sich der Jagdtrieb der Katzen damit wenigstens zum Teil auf die ihnen zugewiesene klassische Aufga­be als Kammerjäger lenken.

Urs Fitzewww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-13

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KONTAKTReinhard SchnidrigLeiter der Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität, BAFU031 323 03 [email protected]

Tipps für den Schutz kleiner Wildtiere vor Katzen

(fi)Umden JagddruckaufVögel,ReptilienundKleinsäugerdurchHauskatzen zureduzieren,empfehlensichfolgendeMassnahmen:> Hinterfragen Sie denWunsch, eineHauskatze anzuschaffen. Einhoher Popula-

tionsdruckkannauchdenKatzenselbstProblemebereiten.> DieHaltungvonWohnungskatzenistnurinseltenenFällenartgerecht.DenAus-

laufinsFreiesolltemanihnendeshalbnichtverwehren.DraussenhateineKatzeauch genug Sozialkontakte zu Artgenossen und kann problemlos als Einzeltiergehaltenwerden.

> UmeineunkontrollierteVermehrungzuverhindern, solltenHauskatzen immerkastriertwerden.DasAussetzenderTiereistverboten.

> AuchaufBauernhöfenistdieFortpflanzungderKatzenzukontrollieren.> VerwilderteoderhäufigimWaldjagendeHauskatzenmüsseneingefangenund

entferntoderdemWildhütergemeldetwerden.> LandwirtesolltenBuntbrachennichtdirektangrenzendanSiedlungenanlegen,

damitauchBodenbrüterwieFeldlerchenihreJungtiereaufbringenkönnen.> Kunststoff-oderDrahtmanschettenanBaumstämmenverhindern,dassKatzenzu

Vogelnesternvordringenkönnen.NistkästensindmitDrahtanSeitenästenoderanFassadeninmindestens1,5MeterHöheanzubringen.

> EngmaschigeDrahtgitter schützenEidechsenundandereReptilienaufTrocken-mauern.

> VogelbäderundFutterhäuschensindaneinerübersichtlichenStellezuplatzieren.> Halten Sie die Katze von noch lebenden, unverletzten Beutetieren, die sie nach

Hausebringt,fernundlassenSiedieWildtierefrei.AllerdingssindderenÜber-lebenschancenoftgering.

> TötenSieverletzteBeutetiereschmerzlosmiteinemSchlaginsGenick.

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umwelt 2/2010 > Luftreinhaltung52

Auf den Schweizer Seen verkehren immer mehr Passagierschiffe mit Partikelfiltern. Die effiziente Technik hält über 99 Prozent der gefährlichen Dieselrusspartikel in den Abgasen zurück. Damit werden die Atemwege von Fahrgästen und Mannschaft auf den beliebten Aussendecks wirkungsvoll entlastet.

Russfreie Atemluft auf DeckABGASREINIGUNG VON SCHIFFSMOTOREN

Die schweizerischen Schifffahrtsunter­nehmen erhalten heute kaum noch Re­klamationen von Fahrgästen, die sich über schwarze Russflecken an ihren hellen Hosen ärgern, weil die Sitzbank auf dem Aussendeck unbemerkt den Dieselabgasen ausgesetzt war. Zwar sind die vom Bund konzessionierten knapp 150 grösseren Fahrgastschiffe auf un­seren Seen und Flüssen nach wie vor zu 90 Prozent mit den als besonders sicher geltenden, leistungsfähigen und relativ sparsamen Dieselmotoren aus­gerüstet. «Doch inzwischen arbeiten die Antriebssysteme viel sauberer als noch vor einigen Jahren, und zudem hat die Technologie der nachträglichen Abgasreinigung enorme Fortschritte gemacht», erklärt Harald Jenk von der Abteilung Luftreinhaltung und NIS beim BAFU. Deshalb bilden schwarze Rauchwolken mittlerweile die unrühm­liche Ausnahme. Der Fortschritt lässt sich beziffern. Stiessen die Kamine der Passagierschiffe – gemäss der Offroad­ Datenbank des BAFU – im Jahr 2000 etwa 27 Tonnen Dieselruss aus, so sind es gegenwärtig noch rund 20 Tonnen. Bei einer ungefähr konstanten Fahrleistung von jährlich rund 2,5 Millionen Kilome­tern dürften die Emissionen bis 2015 auf 11 Tonnen und 2020 schliesslich auf 7 Tonnen abnehmen.

Zerstörung der Russpartikel. Hauptgrund der positiven Entwicklung ist die Ver­schärfung der Abgasvorschriften für Schiffsmotoren auf schweizerischen Gewässern (SAV). Seit Juni 2007 gilt für alle neuen Schiffe mit Dieselantrieb

im gewerbsmässigen Einsatz eine Par­tikelfilterpflicht. Was dies bedeutet, erfahren die Passagiere zum Beispiel auf dem 2009 in Betrieb genommenen Katamaran «Cirrus», der von Luzern aus Küssnacht am Rigi oder Vitznau am Vierwaldstättersee ansteuert. Auf den beliebten Aussendecks können die Gäs­te selbst dann durchatmen, wenn der Wind die Abgase der Dieselmotoren für

einmal direkt in ihre Richtung bläst. Die effizienten Partikelfilter halten nämlich über 99 Prozent der gesundheitsschä­digenden Dieselrussteilchen zurück, die vom Abgasreinigungssystem anschlies­send sporadisch abgebrannt und da­durch zerstört werden.

Bei den meisten älteren Schiffsmoto­ren hingegen entweicht der Dieselrauch heute noch ungereinigt in die Umge­bungsluft und kann den Passagieren bei ungünstigen Windverhältnissen unan­genehm in die Nase stechen. «Das Ein­atmen von Russ ist aber mehr als nur lästig, denn die winzigen Partikel drin­gen bis in die feinsten Verästelungen der Lunge ein und können dort unter anderem Entzündungen verursachen», sagt Harald Jenk. Neben den Fahrgästen betrifft dies insbesondere Schiffsange­stellte wie das Servierpersonal und Mat­rosen, die täglich stundenlang auf Deck

arbeiten. Das von den mikroskopisch kleinen Russteilchen ausgehende Krebs­risiko war denn auch der wichtigste Grund für die vom Bundesrat erlassenen strengeren Abgasvorschriften.

Gute Erfahrungen mit Nachrüstungen. Bei einer Auswechslung der Dieselmotoren sind grundsätzlich auch ältere Passa­gierschiffe mit Partikelfiltern auszustat­

ten, sofern diese Nachrüstung technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Trotz der vielfach engen Platzverhältnis­se im Motorenraum lässt sich eine Um­rüstung sogar bei bestehenden Motoren realisieren, wie die positiven Erfahrun­gen der Zürichsee Schifffahrtsgesell­schaft (ZSG) zeigen. Mit Ausnahme der «Zimmerberg», die erst im kommenden Winter einen neuen Motor erhält und bei dieser Gelegenheit auch abgastech­nisch saniert wird, hat die ZSG inzwi­schen ihre gesamte übrige Flotte von 14 Schiffen auf Zürichsee und Limmat mit Partikelfiltern ausgerüstet. Die ent­sprechenden Eigenentwicklungen der auf die Abgasreinigung von leistungs­starken Motoren spezialisierten Schwei­zer Firma Hug Engineering funktionie­ren technisch einwandfrei und führen auch nicht zu einem merklich höheren Treibstoffverbrauch.

Auf den Aussendecks können die Gäste selbst dann durchatmen, wenn der Wind die Abgase der Dieselmotoren für einmal direkt in ihre Richtung bläst.

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Neben der ZSG und dem Betreiber der Zürichsee­Fähre Horgen – Meilen zählt die Schifffahrtsgesellschaft des Vier­waldstättersees (SGV) ebenfalls zu den Vorreitern bezüglich Luftreinhaltung. Auch ihre seit 11 bis 47 Jahren im Ein­satz stehenden grossen Motorschiffe «Waldstätter», «Europa», «Gotthard» und «Winkelried» verfügen seit einiger Zeit über Partikelfilter. Als Magnete für den Schweizer Schiffstourismus ziehen die beiden Seen mit dem lufthygienisch bes­ten Angebot auf den einheimischen Ge­wässern fast die Hälfte der jährlich mehr als 12 Millionen Passagiere an, die hier­zulande eine Schiffsreise unternehmen. Weil die gute Luft auf Deck nicht zuletzt ein überzeugendes Verkaufsargument ist, haben inzwischen auch die grösseren Betreibergesellschaften CGN auf dem Genfersee und BLS auf dem Thuner­ und dem Brienzersee vereinzelt nachgezogen

oder entwickeln Projekte für die abgas­technische Sanierung ihrer Flotte.

Solarantrieb ohne Abgase. Für grössere Schiffe sind wirtschaftliche Alternati­ven zum Dieselmotor gegenwärtig noch nicht in Sicht. Trotzdem verkehren auf einzelnen Schweizer Seen schon heute Boote, die keine Abgasreinigung benötigen, weil sie ganz ohne Verbren­nungsmotor auskommen. So steht auf dem Bielersee mit dem «MobiCat» seit 2001 das weltweit grösste Solarschiff im Einsatz. Der nur von Elektromotoren angetriebene Grossraumkatamaran fasst immerhin 150 Leute. Und dank neu ins­tallierten Solarzellen gondeln nun auch die einstigen Dieselboote der Gesell­schaft Mouettes Genevoises Navigation abgasfrei über das Genfer Seebecken.

Beat Jordiwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-14

53Luftreinhaltung > umwelt 2/2010

KONTAKTHarald Jenk

Sektion VerkehrBAFU

031 322 93 [email protected]

Hans-Jürgen GottetSektion Schifffahrt, Bundesamt für

Verkehr (BAV)031 324 12 06

[email protected]

Bodensee● EuregiaGenfersee● ValaisHallwilersee● SeetalVierwaldstättersee● Cirrus● Europa● Gotthard● Waldstätter● Winkelried

Zugersee● Rigi (ab Frühjahr 2011)Zürichsee-Fähre Horgen – Meilen● Schwan● Zürisee

Zürichsee● Albis● Bachtel● Forch● Helvetia● Limmat● Linth

● Panta Rhei● Pfannenstiel● Säntis● Uetliberg● Wädenswil● Zimmerberg (ab Frühjahr 2011)Limmat● Felix● Regula● Turicum

Passagierschiffe mit PartikelfilternDer neue Katamaran «Cirrus» auf dem Vierwald-stättersee stösst dank Partikelfiltern keinen Russ aus. Bild: SGV Luzern

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umwelt 2/2010 > Elektrosmog54

Auch gut zehn Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) ist die Schweiz mit ihren Vorsorgegrenz-werten weltweit führend. Diese Feststellung macht Jürg Baumann, Chef der Sektion NIS beim BAFU, im Interview mit «umwelt».

Die Schweiz gehört noch immer zu den Vorreitern

SCHUTZ VOR ELEKTROSMOG

«umwelt»: Was ist Nichtionisierende Strahlung (NIS)?Jürg Baumann: Im Geltungsbereich der NIS­Verordnung versteht man unter NIS oder Elektrosmog elektrische und mag­netische Felder, die von der Stromversor­gung sowie von Funkanwendungen aus­gehen. Bei der Produktion, Übertragung und Nutzung von Elektrizität entstehen diese Felder als Nebenprodukt. Im Funk­bereich werden sie jedoch gezielt als Trä­germedium zur Übermittlung von Infor­mationen eingesetzt.

Welche negativen Auswirkungen hat dieseStrahlung?Bei den Folgen für die menschliche Ge­sundheit tappen wir zum Teil noch im Dunkeln. Bekannt ist die Wärmewir­kung von sehr intensiver Hochfrequenz­strahlung, wie sie im Alltag aber kaum auftritt. Wird viel Strahlung absorbiert, was etwa bei seltenen Berufsunfällen vor­kommen kann, erwärmt sich das Körper­gewebe. Im Extremfall ist dieser Effekt mit der Funktion eines Mikrowellenofens vergleichbar. Auch bei tieferen Belastun­gen gibt es Hinweise aus der Forschung auf körperliche Auswirkungen – so zum Beispiel auf veränderte Hirnströme, eine Beeinflussung biochemischer Signalwege in und zwischen Zellen oder auf reversi­ble Veränderungen der Erbsubstanz. Die gesundheitliche Relevanz solcher Effekte ist aber häufig unklar oder die Ergebnis­se sind widersprüchlich.

Weitere Hinweise stammen aus epi­demiologischen Studien, die mehr oder weniger exponierte Bevölkerungsgruppen miteinander vergleichen. So besteht ein wissenschaftlich begründeter Verdacht,

dass Kinder, die den Magnetfeldern der Stromversorgung überdurchschnittlich stark ausgesetzt sind, häufiger an Blut­krebs erkranken. Zum Glück sind solche Krankheitsfälle und die relevante Exposi­tion selten. In der Schweiz erkranken pro Jahr ungefähr 60 Kinder an Leukämie. Von diesen wäre etwa ein Fall auf Mag­netfelder zurückzuführen, sofern sich der genannte Verdacht bestätigen sollte.

Wie stark ist die Bevölkerung in der Schweiz dem Elektrosmog ausgesetzt?Die Belastungssituationen sind indivi­duell sehr verschieden und können je nach Aufenthaltsort bis zu einem Faktor 1000 voneinander abweichen. In der Nähe von Versorgungsanlagen misst man höhere Immissionen, die mit zunehmen­der Entfernung abnehmen. Auch wenn wir die Exposition einzelner Personen im Tagesablauf verfolgen, variiert diese im Tagesmittel um das 50­ bis 100­Fache. Dies hängt entscheidend davon ab, wo jemand wohnt, in welchem Umfeld er sich bewegt und welche eigenen Elektro­ und Funkgeräte er betreibt, die ebenfalls strahlen. Die gemessenen Werte liegen im Allgemeinen deutlich unter den gel­tenden Grenzwerten, können diese punk­tuell aber auch erreichen.

Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Ausmass des Elektrosmogs und der Häufung von Sendeanlagen?Es gibt dazu noch keine systematischen Untersuchungen. Generell lässt sich feststellen, dass in ländlichen Regionen häufig die Strahlung von Radio­ und Fernsehsendern dominiert, während in städtischen Gebieten eher die Mobilfunk­

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strahlung überwiegt. Die jeweilige Ex­position hängt stark von der Verteilung der Emissionsquellen und ihrer Leis­tungsstärke ab.

Geht die Hauptbelastung mehrheitlich von Versorgungsanlagen aus oder eher von den im Alltag genutzten Geräten und Einrichtungen?Wenn jemand dauernd strahlende Gerä­te – zum Beispiel Schnurlostelefon oder Wireless­LAN – betreibt, dann übertref­fen deren Immissionen in der Regel diejenigen von typischen Mobilfunk­anlagen. Strahlt eine Mobilfunk­Basis­station hingegen in Richtung des obers­ten Stockwerks eines Nachbarhauses, macht sich diese Emission dort wahr­scheinlich stärker bemerkbar. Aber im Grossen und Ganzen ist ein beträchtli­cher Teil der NIS­Belastung unserer Be­völkerung hausgemacht. Die höchsten Belastungen gehen dabei von Geräten aus, die sehr nahe am Körper betrieben

werden – wie Handy, Schnurlostelefon, Haarföhn oder Elektrorasierer. Die ent­sprechende Bestrahlung des Kopfs ist jedoch meistens nur kurzzeitig. Im Ge­gensatz zu den Versorgungsanlagen un­terstehen diese Geräte im Haushalt oder am Arbeitsplatz nicht der NIS­Verord­nung. Es gibt dafür aber international

harmonisierte Normen. Die Schweiz hat kaum eine Möglichkeit, hier strengere Vorschriften zu erlassen.

Wo steht die Schweiz im internationalen Umfeld mit ihren Grenzwerten für NIS?Zum einen stützen wir uns auf Emp­fehlungen der Weltgesundheitsorgani­sation (WHO) und ihrer Partnerorgani­sationen, die in Europa mehrheitlich angewandt werden. Diese international harmonisierten Grenzwerte basieren auf den wissenschaftlich anerkannten Schädigungsschwellen und sehen zu­sätzlich eine gewisse Sicherheitsmarge vor. Weil bereits vor gut zehn Jahren eine Grau zone des Unwissens bestand, sind wir damals zum Schluss gekom­men, dass die WHO­Grenzwerte bei Langzeitexposition nach Möglichkeit nicht ausgeschöpft werden sollten. Als eines von wenigen Ländern hat die Schweiz deshalb für Elektrosmog das im Umweltschutzgesetz (USG) verankerte Vorsorgeprinzip angewandt. Demnach sollen Anlagen so wenig Strahlung ab­geben, wie dies technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist. Das Vorsor­geprinzip soll Technologien aber nicht verhindern. Was technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist, hat der Bundesrat in der NISV in Form der so­genannten Anlagegrenzwerte rechtsver­bindlich festgelegt.

Inzwischen haben auch weitere Staa­ten Vorsorgegrenzwerte eingeführt, die jedoch meistens nicht eins zu eins mit unseren Limiten vergleichbar sind, weil zum Beispiel anders gemessen wird. Bezogen auf die rechtsverbindlichen Regelungen gehört die Schweiz beim

«Die gemessenen Werte liegen im Allgemeinen deutlich unter den gelten-den Grenzwerten.» Jürg Baumann

Bild: AURA

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umwelt 2/2010 > Elektrosmog56

vorsorglichen Schutz vor Elektrosmog – zusammen mit Italien, Luxemburg und Belgien – nach wie vor zu den Vorreitern.

Welche Auswirkungen hat die NISV auf den Bau von Versorgungsanlagen?Der geltende Anlagegrenzwert für neue Hochspannungsleitungen erfordert im Siedlungsgebiet zum Teil eine andere Linienführung, als dies vor Inkrafttre­ten der NISV der Fall gewesen wäre. Im Einzelfall sind Ausnahmen zulässig, etwa wenn eine Elektrizitätsgesellschaft nachweisen kann, dass keine Alterna­tive besteht. Die Limiten gelten indes nicht für bestehende Leitungen, weil der Bundesrat entschieden hat, ein Ab­bruch solcher Anlagen – um nicht nach­gewiesenen, sondern nur eventuellen Gesundheitsrisiken vorzubeugen – wäre unverhältnismässig. Sollte sich jedoch zum Beispiel der Leukämieverdacht bei Kindern erhärten, wären wir in einer anderen Situation. Ein erwiesener schäd­licher Effekt würde gemäss USG eine An­passung der Grenzwerte erfordern.

Beim Mobilfunk hingegen macht die NISV keinen Unterschied zwischen neu­en und bestehenden Anlagen.

Inwiefern hat die strenge Vorsorgeregelung zur Entwicklung von neuen strahlungsarmen Technologien beigetragen?Im Bereich der Stromtransformatoren hat die Industrie neue Konzepte für strahlungsarme Anlagen entwickelt. Auch bei Abschirmungen – zum Beispiel für Trafostationen oder Kabelleitungen – gibt es interessante Ansätze. Dagegen fehlen solche Erfolge beim Mobilfunk weitgehend. Hier wären Konzepte für Funknetze gefragt, die insgesamt, aber auch lokal mit weniger Strahlung aus­kommen.

Generell lässt sich sagen, dass die Funknetze immer dichter werden, was tendenziell geringere Sendeleistungen bedingt. Kommt jedoch eine ganze Funk­generation neu hinzu – wie jetzt im Fall

der UMTS­Frequenzen zum bestehenden GSM­Netz –, entspricht dies quasi einer Verdoppelung der Emissionen.

Elektrosensible Personen klagen trotz ein-gehaltener Anlagegrenzwerte über gesundheitliche Störungen durch NIS. Was ist über dieses Phänomen bekannt?Es gibt leidende Personen, was auch ihre Ärzte attestieren. Allerdings existiert für das Phänomen der Elektrosensibilität keine medizinische Diagnose. Wie Pilot­projekte mit Betroffenen zeigen, stehen bei etwa zwei Dritteln aller Fälle andere Krankheitsursachen im Vordergrund. Bei immerhin rund einem Drittel kom­men elektromagnetische Felder als plausibler Grund in Frage. Obwohl die WHO einen Wirkungszusammenhang verneint und von Einbildung spricht, sind solche Klagen nicht völlig von der Hand zu weisen.

In der Schweiz haben die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz ein Be­ratungsnetz aufgebaut, bei dem sich Betroffene untersuchen lassen können. Auch das BAFU erhofft sich davon mehr Klarheit.

Zum Schutz von elektrosensiblen Personen und im Interesse der Vorsorge verlangen ver-schiedene Ärzte eine weitere Verschärfung der Anlagegrenzwerte.Ein Restrisiko bleibt auch mit den schweizerischen Vorsorgegrenzwerten, denn wir wissen letztlich nicht, ob diese Limiten ausreichen, obwohl sie 10­ bis 300­mal strenger sind als die aufgrund des gesicherten Wissens als notwendig erachteten Vorgaben der WHO. Wollte man wirklich jedes Risiko ausschliessen, müsste auf bestimmte Technologien ganz verzichtet werden. Nach heutiger Einschätzung würden deutlich tiefere Vorsorgegrenzwerte wohl das Aus für gewisse Technologien – wie beispielswei­se den Mobilfunk – bedeuten. Es wäre nämlich schwierig, flächendeckende, leistungs fähige Netze mit einem Zehntel

oder sogar einem Hundertstel der heu­tigen Anlagegrenzwerte der NISV zu be­treiben. Macht die technische Entwick­lung jedoch weitere Fortschritte, sodass sich Mobilfunkanlagen und andere An­wendungen mit weniger Strahlung be­treiben lassen, dann können wir einen Schritt weiter gehen.

Was rät das BAFU den Leuten zur Reduktion ihrer persönlichen NIS-Belastung?Für Geräte im eigenen Haushalt heisst die erste Regel Abstand halten. So ist etwa das Magnetfeld eines Radio weckers in einem Meter Entfernung vom Bett kaum mehr messbar. Wer sich im Schlafzimmer durch den Elektrosmog der Elektroinstallation gestört fühlt, kann einen Netzfreischalter einbauen lassen, der die elektrische Spannung unterbricht, sobald zum Beispiel die Nachttischlampe ausgeschaltet wird. Neuerdings sind auch Schnurlostelefone verfügbar, deren Basisstation nur noch während des Gesprächs strahlt. Beim Kauf eines Mobiltelefons empfiehlt sich ein Gerät mit möglichst tiefem Strah­lungsbelastungswert (SAR). Zudem be­steht die Möglichkeit, mit Kopfhörern zu telefonieren, was die Belastung des Kopfes ebenfalls reduziert.

Wer sich hingegen durch Versor­gungsanlagen belästigt fühlt, obschon die Grenzwerte eingehalten sind, dem bleibt oft nur ein Wohnungswechsel, denn sofern Abschirmungen technisch überhaupt möglich sind, kommen sie meist ziemlich teuer zu stehen.

Interview: Beat Jordiwww.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-15

KONTAKTJürg BaumannChef der Sektion Nichtionisierende Strahlung, BAFU031 322 69 [email protected]

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57umwelt 2/2010

Bildung

Wo gebaut wird, entstehen nicht nur neue Bauwerke,

sondern auch Abwasser, Lärm und Luftverschmutzung.

Mit entsprechenden Schutzmassnahmen lassen sich

allfällige Folgeschäden eingrenzen. Zu diesem Zweck

bietet sanu (Bildung für nachhaltige Entwicklung) im

Auftrag des BAFU praktische Kurse auf Baustellen und

Werkhöfen an. Ziel der Kurse ist es, die Bauakteure

und Baukontrolleure in der Umsetzung des Gewäs-

serschutzes und der Luftreinhaltepolitik sowie in der

Harmonisierung der Kontrollen zu unterstützen. Das

nächste Praxisseminar «Luftreinhaltung auf Baustel-

len» findet am 22. Juni 2010 im Kanton Waadt statt.

Das Seminar richtet sich primär an Personen, die

entsprechende Kontrollaufgaben haben. Ein zweiter

Kurs – für eine erweiterte Zielgruppe – wird im Herbst

organisiert.

Schulzimmer NaturIn der Biosphärenschule im Luzerner Ent­lebuch wird das Moor zum Chemielabor. In Reagenzgläsern werden Cocktails ge­schüttelt, Essenzen gemischt und Erdpro­ben auf ihren Säuregehalt getestet. Die Erlebnisschule widmet sich den Themen Natur, Wirtschaft und Gesellschaft und eignet sich für Klassenlager, Exkursionen und Schulreisen. > UNESCO Biosphäre Entlebuch, Biosphä-renzentrum, 041 485 88 50, [email protected], www.biosphaerenschule.ch

KMU fürs Klima gewinnenWie können Gemeinden, Wirtschaftsför­derung und Wirtschaftsverbände die Klei­nen und Mittleren Unternehmen (KMU) auf dem Weg zu mehr Energieeffizienz unterstützen? Konkrete Antworten auf diese und andere Fragen gibt die Fach­tagung «Gemeinden gewinnen KMU fürs Klima» des WWF­Bildungszentrums. > 8. Juni 2010 in Bern (Restaurant zum Äusseren Stand, Zeughausgasse 17), CHF 220.–; Anmeldeschluss: 28. Mai 2010; Infos und Anmeldung: www.wwf.ch

Der Umwelt auf der Spur www.umweltdetektive.ch ist eine Platt­form für Schülerinnen und Schüler der 4. – 6. Klasse. Ab August 2010 wird wäh­rend eines Jahres monatlich ein Wim­melbild zu einem aktuellen Umweltthema aufgeschaltet. Das Internetportal bietet zudem eine Themenseite für Jugendliche, einen Monatswettbewerb, Reporterseiten für den Austausch von Entdeckungen so­wie Begleitmaterial für Lehrpersonen.> www.umweltdetektive.ch

Zündende Ideen zum WaldDie Aktion «Zündholz, Tout Feu – Tout Flamme, In Fiamma – Nachhaltige Wald­projekte Schweiz» will in der Bevölkerung die Freude am Wald und eine lebendige Beziehung zum Wald und seinen Pro­dukten fördern. Dazu gehören konkrete Vorschläge, wie nachhaltige Waldprojekte initiiert und realisiert werden können. > www.aktionzuendholz.ch > Kontakt-personen (je eine für D, F, I)

NOTIZBLOCK

Die biologische Vielfalt stellt eine Lebensgrundlage

der Menschheit dar. Dieses Bewusstsein will auch der

Schulverlag plus fördern – und zwar nicht nur im lau-

fenden Internationalen Jahr der Biodiversität. Er bietet

verschiedene Unterrichtsmaterialien zum Thema an.

Zum Beispiel ein Lehrmittel für alle Stufen der Volks-

schule (1.–9. Schuljahr): «Biodiversität ist Leben –

Unterrichtsvorschläge für alle Stufen». Die Broschüre

für Lehrpersonen klärt den Begriff und die Bedeu-

tung von Biodiversität und führt hin zu Unterrichts -

ange boten von über 20 Institutionen sowie zu stufen-

spezifischen Arbeitsmaterialien für Schülerinnen und

Schüler, die auf der Mediendatenbank zu finden sind.

In der Broschüre enthalten sind die Nutzungslizenz zur

Mediendatenbank und die CD-ROM «Gentiana – Bio-

diversität im Gebirge» der Pädagogischen Hochschule

Bern für die Sekundarstufe 1. Beigelegt ist zudem das

«Feldbuch NaturSpur» für die 1.– 4. Klasse.

Bauen, ohne zu zerstören

«Biodiversität ist Leben»

> Zu bestellen bei: www.schulverlag.ch/82704, ISBN-Nr. 13 978-3-292-00592-2, CHF 33.–; weitere Materialien zum Thema Biodiversität: www.schulverlag.ch/biodiversitaet

> Weitere Informationen: www.sanu.ch > Bildungsangebote > Integraler Bauprozess > Umweltbaubegleitung UBB. Nebst den offiziellen Veranstaltungen bietet sanu für Unternehmungen auf Anfrage auch massgeschneiderte Praxis-seminare an. Auskünfte bei: Enrico Bellini, sanu, Biel, 032 322 14 33, [email protected]

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Asbest in Gebäuden ist kein Altlastenproblem Der Staat ist laut einem Entscheid des Bundes-gerichts nicht verpflichtet, für die Sanierung von asbestbelasteten Gebäuden zu sorgen.

Die Gesellschaft A hatte von der Gesellschaft B eine Lie­genschaft erworben. Nachträglich wurde eine Asbest­belastung festgestellt. Die Verkäuferin ersuchte beim zuständigen kantonalen Departement um einen Schlüs­sel für die Verteilung der Dekontaminierungskosten. Dieses war der Auffassung, die Bestimmungen im Um­weltschutzgesetz (USG) betreffend Sanierung belasteter Standorte seien nicht anwendbar – und der Kanton des­halb nicht zuständig. Die letzte kantonale Instanz, das Verwaltungsgericht, hiess den fälligen Rekurs gut: Das Beifügen des krebserregenden Asbests in Baustoffe sei in Unkenntnis von dessen Toxizität erfolgt. Darum sei es angebracht, diese Substanz als Abfall zu erachten. Die Liegenschaft gelte demnach als belasteter Standort ge­mäss der eidgenössischen Verordnung über die Sanie­rung von belasteten Standorten (AltlV) und dem USG. Also müsse sich das kantonale Departement an einem Entscheid bezüglich der Sanierungskosten beteiligen.

Das BAFU reichte beim Bundesgericht eine zivilrecht­liche Beschwerde ein, da der Entscheid des Verwaltungs­gerichts eine krasse Verletzung des Umweltschutzrechts des Bundes und einen schwerwiegenden Präzedenzfall darstelle. Das Gericht hiess die Beschwerde gut.

Das Bundesgericht untersuchte in erster Linie, ob die strittige Liegenschaft als Ablagerungsstandort im Sinne der AltlV erachtet werden könne. Gemäss gängiger Lehre handelt es sich bei Ablagerungsstandorten um Orte, an denen Abfälle in Kenntnis der Sachlage deponiert wur­den. Das Bundesgericht hielt fest, dass in diesem Fall nicht von einem durch Abfälle belasteten Standort die Rede sein könne, denn Asbest sei wissentlich als Bau­substanz verwendet worden.

Insgesamt folgerte das Bundesgericht, die Sanie­rungspflicht bei asbesthaltigen Gebäuden könne nicht ausschliesslich auf einer extensiven Auslegung des USG und der AltlV gründen. Die Asbestfrage sei anlässlich der Vorbereitungsarbeiten zur Verabschiedung von Artikel 32c USG nicht deutlich zur Sprache gebracht worden. Deshalb lasse sich daraus auch keine Absicht des Gesetz­gebers ableiten, für asbesthaltige Gebäude eine allge­meine Sanierungspflicht einzuführen.

Juliane Eismann Billet, Abteilung Recht, BAFU, 3003 Bern, 031 322 93 21, [email protected], Bundesgericht: Urteil Nr. 1C_178/2009

Recht

Publikationen

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59umwelt 2/2010

AbfallwirtschaftPhosphorflüsse in der Schweiz. Stand, Risiken und Handlungs-optionen. 163 S.; D; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-0928-d.

Rückgewinnung von Phosphor aus der Abwasserreinigung. Eine Bestandesaufnahme. 198 S.; D; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-0929-d.

Raw materials from waste. «environment» 3/2009. 43 S.; E; kos-tenlos; Bestellnummer der gedruckten Ausgabe: 810.500.3-09eng; Bezug und Download: www.environment-switzerland.ch/mag2009-3.

BiodiversitätBiodiversität ist Leben. Faltblatt zum Internationalen Jahr der Biodi-versität 2010. D, F; kostenlos; Bestellnummer der gedruckten Ausgabe: 810.400.042d; Bezug und Download: www.umwelt-schweiz.ch/ud-1018-d.

Kippkarte «Biodiversität». Wechselbildkartenset mit 5 Motiven zum Inter-nationalen Jahr der Biodiversität 2010. Format A6; D/F/I gemischt. CHF 6.–; Bestellnummer des Sets: 810.400.044; Bezug unter: www.umwelt-schweiz.ch/ud-1021. Ein Motiv liegt diesem Heft bei.

Das Dossier «Biodiversität» dieses Hefts ist als eigenständige Broschüre in Italienisch und Englisch erhältlich. 40 S.; I, E; kostenlos; Bezug und Download unter: www.ambiente-svizzera.ch/rivista bzw. www.environment-switzerland.ch/mag.

ChemikalienPolychlorierte Biphenyle (PCB) in Gewässern der Schweiz. Daten zur Belastung von Fischen und Gewässern mit PCB und Dioxinen, Situationsbeurteilung. 103 S.; D, F; CHF 20.–; Bestellnummer der ge-druckten Ausgabe: 810.300.114d; Bezug und Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-1002-d.

ElektrosmogNiederfrequente Magnetfelder und Krebs. Bewertung von wissen-schaftlichen Studien im Niedrigdosisbereich. Stand: August 2008. 118 S.; D; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-0934-d.

GentechnologieBiosicherheit im Bereich der ausserhumanen Gentechnologie. Er-gebnisse des BAFU-Forschungsprogramms 2004–2008. 74 S.; D; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-0932-d.

GewässerschutzStrukturen der Fliessgewässer in der Schweiz. Zustand von Sohle, Ufer und Umland (Ökomorphologie); Ergebnisse der ökomorpholo-gischen Kartierung. Stand: April 2009. 100 S.; D, F; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uz-0926-d.

Isotope im Grundwasser. Methoden zur Anwendung in der hydro-geologischen Praxis. 123 S.; D; CHF 20.–; Bestellnummer der gedruckten Ausgabe: 810.300.112d; Bezug und Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-0930-d.

KlimaSchweizer Klimapolitik auf einen Blick. Kurzfassung des klima-politischen Berichts 2009 der Schweiz an das UNO-Klimasekre-tariat. 19 S.; D, F, E, I; kostenlos. Bestellnummer der gedruckten Ausgabe: 810.400.043d; Bezug und Download: www.umwelt-schweiz.ch/ud-1017-d. Die Broschüre erklärt anschaulich die zahlreichen Facetten der Klimapolitik anhand von Illustrationen zu Treibhausgasen, Politik und Geldströmen. Dabei kommen wichtige Akteure zu Wort. Zielpublikum: breite Öffentlichkeit, insbe-sondere Schulen.

ÖkonomiePreisentwicklung bei natürlichen Ressourcen. Vergleich von Theorie und Empirie. 81 S.; D; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/uw-1001-d. Umwelt allgemeinDas BAFU in Kürze. Bundesamt für Umwelt 2010. Faltblatt. D, F, I, E; keine gedruckte Ausgabe; Download: www.umwelt-schweiz.ch/ud-1015-d.

Sämtliche BAFU­Publikationen sind elektronisch verfügbar und lassen sich als PDF kostenlos herunterladen unter www.umwelt­schweiz.ch/publikationen.

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umwelt 2/2010 60

Auf vergessenen PfadenDer neue Führer «P’tits sentiers – Pfädeli» be-

schreibt 41 vergessene Wege durch den Ber-

ner Jura. Die abenteuerlichen Wanderungen

sind in vier Schwierigkeitsstufen unterteilt und

mit detailliertem Kartenmaterial und Hinweisen

auf ÖV-Anbindung versehen.

> Bestellung unter: [email protected],

Preis: CHF 15.– (in D/F)

Die Welt der Tierstimmen

Wie tönt unsere heimische Vogelwelt? Wie

hören sich die Vögel Europas an, wie Greif vögel

oder Seevögel im Wind? Und wie klingt die

Natur, wenn sich im Regenwald ein Gewitter

ankündigt? Auf www.tierstimmen.de gibt es

dazu eine umfangreiche Sammlung mit Hör-

und Lern-CDs und -DVDs.

> www.tierstimmen.de (in D)

Der KlimablogIn der Schweiz steckt das wissenschaftliche Blog-

gen noch in den Kinderschuhen. Die ETH Zürich

macht nun aber einen Versuch: Der ETH-Klima-

blog will die aktuelle Debatte zum Klimawan-

del aufnehmen und einer breiten Öffentlichkeit

vermitteln. Die behandelten Themen sind u. a.:

Klimaentwicklung, Umweltauswirkungen, Ener-

gie und Mobilität, Wohnen und Städtebau, Er-

nährung und Landwirtschaft. Zum Autorenteam

gehören rund 20 Professorinnen und Professoren

der ETH Zürich aus allen klimarelevanten Fach-

gebieten, aber auch Studierende und Gäste aus

Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft.

> www.klimablog.ethz.ch (in D)

Ausgezeichnete Wanderwege

Die Organisation Schweizer Wanderwege prä-

miert jährlich «qualitativ herausragende Wan-

derwege, -routen, -netze oder -planungen». Die

Gewinner 2010 sind der Weinweg (VS), die Alte

Averserstrasse (GR) und der Jungfrau Klima-

guide (BE). Ein Nachwandern lohnt sich. Dies gilt

auch für die Wanderwege, die sich vergebens

um den Preis bemüht haben. Eine Übersicht

über Gewinner und Nichtgewinner mit detaillier-

ten Wanderinfos bietet die Homepage.

> Schweizer Wanderwege, Bern, 031 370 10 20,

www.wandern.ch > Prix Rando 2010 (in D, F)

Erleben, wie die Erde bebtErdbeben stehen für mitunter schreckliche

Katastrophen, die auf einen Schlag Hundert-

tausende von Menschenleben fordern können.

Erdbeben – wenn auch schwächere – gibt es

auch in der Schweiz. Der Erdbebensimulator

der ETH Zürich will dafür sensibilisieren. Mit

dem über drei Tonnen schweren Gerät lassen

sich Bodenbewegungen von Erdbeben bis Ma-

gnitude 8 simulieren. Der Simulator ist eine Art

Containerraum, der mit Tischen und anderen

beweglichen Gegenständen eingerichtet ist.

Besucherinnen und Besucher können anhand

von real aufgezeichneten Erdbebensignalen

das Phänomen «Erdbeben» gefahrlos am eige-

nen Körper erleben.

> Focus Terra, Zürich, 044 632 62 81,

www.focusterra.ethz.ch (in D, E), Vorführungen des

Simulators jeweils an Sonntagen (11, 13, 15 Uhr)

Sitzen auf Schweizer Holz

Der Hocker «hockab!» (40 cm breit, 40 cm tief

und 45 cm hoch, 6 kg schwer) ist aus Emmen-

taler Weisstanne gefertigt. Das BAFU unter-

stützt die Herstellung des Produkts als Beispiel

einer «vollständigen Wertschöpfungskette in

der kleinstrukturierten Wald- und Holzbranche

in der Schweiz».

> Bestellen bei: Kulturmühle Lützelflüh,

034 461 36 23, www.kulturmuehle.ch > Aktuell,

Preis: CHF 280.–

Tipps

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Alte Averserstrasse zVg

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61umwelt 2/2010

Junge UmweltpolitikEin Lexikon mit Begriffen aus der Umwelt-,

Verkehrs- und Energiepolitik, ein Quiz, Artikel

zu Umweltthemen, Diskussionsmöglichkeiten:

www.youvek.ch ist eine Website, die Schüle-

rinnen und Schüler des Basler Gymnasiums

Bäumlihof auf Anregung von Bundesrat Moritz

Leuenberger entwickelt haben. Sie behandelt –

auf schülergerechte Art – politische Themen aus

dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie

und Kommunikation (UVEK).

Wertvolle Korken

Ist der Wein erstmal getrunken, landen die

Korken im Abfall. Eigentlich schade. Denn sie

könnten problemlos wieder verwendet wer-

den: Kork ist leicht, flüssigkeits- und gasdicht

und brennt nicht. Dies schützt nicht nur edle

Weine, sondern macht Kork auch zu einem ide-

alen Material für Dämmungen und Isolationen.

Die Korkenfabrik Schlittler in Näfels (GL) sam-

melt, reinigt und mahlt die Zapfen zu Schrot,

der als Schüttisolation und im Lehmbau wieder

zum Einsatz kommt.

> Korkenfabrik Schlittler, Näfels, 055 618 40 30,

www.korken.ch (in D)

Erlebnis Geologie

Woher kommt das Trinkwasser? Gehört das

Matterhorn zu Afrika? Lebten einmal Nashörner

in der Schweiz? Gibt es hierzulande auch Gold?

Oder: Steht mein Haus auf sicherem Grund? Am

Freitag und Samstag, 28. und 29. Mai 2010,

finden im Rahmen von «Erlebnis Geologie» in

der ganzen Schweiz zahlreiche «GeoEvents»

statt. Dazu und zu ständigen Geologie-Exkur-

sionen finden sich Infos auf der Homepage

www.erlebnis-geologie.ch (in D, F, I).

Der Boden als LebensgrundlageDer Boden ist weit mehr als nur Dreck. Er stellt

ein kostbares Gut dar, zu dem Sorge getragen

werden muss. In Steinhausen (ZG) wird auf die

Bedeutung des Bodens aufmerksam gemacht:

mit einem Rundweg in der freien Natur, einer

Broschüre und einer Internetseite sowie Exkur-

sionsunterlagen. Der Bodenpfad eignet sich für

Schulklassen, aber auch als Ausflugsziel für

Familien. Es können auch Gruppenführungen

gebucht werden.

> Amt für Umweltschutz, Bodenpfad Steinhauser-

wald, 041 728 53 70, www.bodenpfad.ch

Karton in der StubeEine Babyschaukel für die Puppenecke, ein

CD-Regal, ein Sessel oder ein kleiner Tisch fürs

Wohnzimmer – und das alles aus Karton. Denn

dieser eignet sich nicht nur als Verpackungs-

material, sondern auch als Baustoff. Und kann

am Schluss erst noch ohne schlechtes Gewis-

sen auf dem Kompost landen oder über die Alt-

papiersammlung entsorgt werden. 90 Prozent

des Materials bestehen nämlich aus wieder-

verwerteten Kartonfasern. Für die erforderliche

Festigkeit und Stabilität des Kartons braucht es

somit ledliglich 10 Prozent Neufasern.

> Kartonshop, 061 361 67 34,

www.kartonshop.ch

Jede Beobachtung zähltÜber die Verbreitung oder das Auftreten vieler

Tier- und Pflanzenarten weiss man auch in der

Schweiz noch viel zu wenig. Alle Beobachtun-

gen und Nachweise können deshalb wichtig

sein. www.natportal.ch versteht sich als Platt-

form, die Hobby-Naturbeobachtenden hilft, ihre

Feststellungen am richtigen Ort einzugeben.

> www.natportal.ch (in D, F, I, E)

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Impressum 2/10, Mai 2010 / Das Magazin umwelt des BAFU erscheint viermal jährlich und kann kostenlos abonniert werden; ISSN 1424-7186. / Herausgeber:

Bundesamt für Umwelt BAFU. Das BAFU ist ein Amt des Eidg. Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK / Projektoberleitung: Bruno

Oberle, Thomas Göttin / Konzept, Redaktion, Produktion: Georg Ledergerber (Gesamtleitung), Kathrin Schlup (Stellvertreterin); Gregor Klaus (gk), Oliver Graf, Sandra Limacher,

Olivier Biber, Jean-Michel Gardaz (Koordination Dossier «Biodiversität»); Hansjakob Baumgartner (hjb), Luc Hutter (Webpublisher), Beat Jordi, Cornélia Mühlberger de Preux,

Lucienne Rey, Valérie Fries (Redaktionssekretariat) / Externe journalistische Mitarbeit: Urs Fitze (fi), Mike Weibel, Felix Würsten; Peter Bader und Nicole Bärtschiger (Rubriken);

Jacqueline Dougoud (Lektorat, Korrektorat, Übersetzungen), Rolf Geiser (Lektorat) / Visuelle Umsetzung: Atelier Ruth Schürmann, Luzern / Redaktionsschluss: 9. April

2010 / Redak tionsadresse: BAFU, Kommunikation, Redaktion umwelt, 3003 Bern, Tel. 031 323 03 34, Fax 031 322 70 54, [email protected] / Sprachen:

Deutsch, Französisch; Italienisch und Englisch nur Dossier «Biodiversität» / Online: Der Inhalt des Magazins (ohne Rubriken) ist abrufbar unter www.umwelt-schweiz.ch/

magazin / Papier: Cyclus Print, 100 % Altpapier aus sortierten Druckerei- und Büroabfällen / Auflage dieser Nummer: 54 000 Expl. Deutsch, 20 000 Expl. Französisch,

6000 Expl. Italienisch, 3000 Expl. Englisch / Druck und Versand: Zollikofer AG, 9001 St. Gallen, www.swissprinters.ch / Gratisabonnemente, Nachbestellungen ein-

zelner Nummern und Adressänderungen: umwelt, Zollikofer AG, Leserservice, 9001 St. Gallen, Tel. 071 272 73 70, Fax 071 272 75 86, [email protected], www.umwelt-schweiz.ch/magazin / Copyright: Nachdruck der Texte und Grafiken erwünscht mit Quellenangabe und Belegexemplar an die Redaktion.

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Intern

Hans-Peter Fahrni – Mitgestalter der Schweizer Abfallpolitik

Hans­Peter Fahrni, der langjährige Leiter der BAFU­Abteilung «Abfall und Rohstoffe», geht Ende

Juni 2010 in Pension. Als er 1977 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim damaligen Bundesamt für

Umweltschutz (BUS) in die Abteilung Gewässerchemie eintrat, bestanden im Bereich Abfall noch

keinerlei gesetzliche Grundlagen. Zur Umsetzung des 1983 in Kraft getretenen Umweltschutzgeset­

zes (USG) erarbeitete Hans­Peter Fahrni – inzwischen Chef der Sektion Abfall und Verfahrenstech­

nik – wichtige Grundlagen, unter anderem ein Abfallleitbild und die Technische Verordnung über

Abfäl le (TVA), die Ende 1990 wirksam wurde. 1992 wurde die Sektion zur Abteilung aufgewertet.

Laufend kamen neue Herausforderungen hinzu, so die Entsorgungsgebühren für Papier­ und Glasre­

cycling, die Ökobilanzen, die Verordnung zur Entsorgung von elektrischen und elektronischen Ge­

räten, die Altlastensanierung und die biogenen Treibstoffe. Als letzte wichtige Arbeit bereitete Hans­

Peter Fahrni eine Totalrevision der TVA vor. Damit hat er während mehr als eines Vierteljahrhun­

derts die schweizerische Abfallpolitik in engagierter Weise mitgeprägt.

BAFU-Verlagsauslieferung neu beim BBL

Auf den 1. April 2010 hat das BAFU den Vertrieb seiner gedruckten Publikationen dem Bundesamt

für Bauten und Logistik (BBL) übergeben. Die neue Anschrift für Bestellungen lautet: BBL, Vertrieb

Bundespublikationen, CH­3003 Bern, Tel. +41 (0)31 325 50 50, Fax +41 (0)31 325 50 58, verkauf.zivil@

bbl.admin.ch, www.bundespublikationen.admin.ch. Elektronisch können gedruckte Exemplare und

PDF­Downloads nach wie vor auch unter www.umwelt­schweiz.ch/publikationen bezogen werden.

Korrigendum zu umwelt 3/2009, Seite 63: Porträt der Alpenrose

Gemäss dem Zentrum für Bienenforschung der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld­Posieux (ALP)

ist der Genuss von Alpenrosenhonig unproblematisch. Die Rostblättrige und die Bewimperte Alpen­

rose sowie deren Hybriden enthalten keine Toxine. Wir entschuldigen uns insbesondere bei den

Imkerinnen und Imkern für die Fehlinformation.

Das BAFU informierte im Februar 2010 an den beiden Messen «Natur» in Basel und «Fischen – Jagen – Schiessen» in Bern (Bilder) über das Internationale Jahr der Biodiversität.Bilder: BAFU/AURA, E. Ammon

Hans-Peter Fahrni

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63umwelt 2/2010

Die Pfauenziege ist eine robuste Gebirgsrasse, die gerne klettert. Sie produziert auch auf hoch gelegenen Alpen noch Milch für die Käse­herstellung. Gleichzeitig tragen diese Tiere auch zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität bei: Sie halten schwer zugängliche, artenrei­che Weiden, die zu verbuschen drohen, offen. Denn die Ziegen futtern auch Weide unkräuter wie Blacken sowie verholzte Zweige und Blätter bis auf zwei Meter Höhe. Im Gegensatz zu den Schafen fressen sie die Pflanzen weniger tief ab. So schonen sie die Blumen und damit die farbige Alpenflora: ein weiterer Beitrag zur Biodiversität.

Ein simpler Schreibfehler stand der Pfauen­ziege Pate. Ihr Name stammt nämlich nicht vom exotischen Vogel Pfau ab, sondern von den «Pfa­ven», den seitlichen dunklen Streifen, die vom Ansatz der Hörner über die Augen bis zur Nase hin verlaufen. Der falsche Name war jedoch so einprägsam, dass er sich in den Büchern der Züchter durchsetzte.

1887 wurde die Rasse erstmals in der Schweiz erwähnt, damals noch unter dem Namen Prätti­gauerziege. Im Zuge der Rassenbereinigung von 1938 betrachtete man sie dann als nicht förde­rungswürdig. Deshalb gehört sie heute zu den

gefährdeten Rassen mit Schweizer Ursprung. Nur dank einiger Bündner Liebhaberzüchter überlebten ein paar wenige Tiere. Die heutigen Erhaltungs­ und Förderprogramme des Bun­des zielen nun darauf hin, den Tierbestand zu steigern und Tierhalterinnen und Tierhalter für die Zucht dieser attraktiven Ziegenrasse zu gewinnen. Bereits hat sich ein erster Erfolg ein­gestellt: Zurzeit halten im ganzen Land über 100 Züchterinnen und Züchter etwas mehr als 1000 Pfauenziegen – Tendenz steigend.

Biodiversität ist auch bei den Nutztieren selbst gefragt. In der Schweiz hat die Zahl der verwendeten Nutztierrassen stark abgenom­men. Doch die Vielfalt an genetischen Ressour­cen ist eine Versicherung, um die künftige landwirtschaftliche Produktion an veränderte Markt­, Produktions­ und Umweltbedingungen anpassen zu können. Auch der Erhalt der Pfau­enziege ist Teil unseres biologischen Reichtums. Stolz ist sie kürzlich auf die 85­er­Sondermarke der Schweizerischen Post zum Internationalen Jahr der Biodiversität geklettert (Bild) und fin­det beim Publikum enormen Anklang.

Georg Ledergerber

www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-16

Gelingt der Pfauenziege das Comeback?

Porträt Die temperamentvolle Pfauenziege dient als bewährte Landschaftspflegerin.Bild: Die Schweizerische Post

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> Aktuell auf der BAFU-Website: Internationales Jahr der Biodiversität 2010www.umwelt-schweiz.ch/biodiversitaet2010

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