Literatur und Filme - Springer978-3-658-05230...• Guderian, H., Achtung – Panzer! The...

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39 Literatur und Filme In allen Teilnehmerländern des Ersten Weltkrieges ist das ungeheuerliche Schock- erlebnis literarisch verarbeitet worden – in den ersten Jahren danach sehr vielstim- mig, später dann noch sporadisch. Wir konzentrieren uns auf eine kleine Auswahl deutscher Autoren, die aus ihrer unmittelbaren Kriegserfahrung höchst unter- schiedliche Konsequenzen gezogen haben und deren Schlüsselwerke zwei Kriterien erfüllen: Authentizität und große Verbreitung. Ernst Jünger (1895–1998) war Offizier an der Westfront: vielfach verwundet, hochdekoriert. 1920 veröffentlichte er die voluminöse Erzählung „In Stahlgewit- tern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, wurde damit auf einen Schlag berühmt und zu einer geistigen Ikone der politischen Rechten. Die Nationalsozia- listen buhlten um seine Gunst, doch erschienen ihm diese zu ordinär. Seine Erzählung ist ein monomanischer Hymnus, der – mit Einsprengseln sachlicher Beschreibung – den Krieg feiert: als „blutiges Fest“, als Fegefeuer, aus dem wahres Mannestum überhaupt erst entstehen könne. In diesem Werk spiegelt sich auch die Tatsache wieder, dass der Krieg auf dem Höhepunkt des gewaltigen Schlachtfestes bankrott gegangen ist. Alles hat sich festgefahren. Die Menschen werden verrückt. Jünger gefällt das gar nicht. So besingt er denn den Krieg nicht nur, sondern müht sich auch, diesem durch aktives Mitwirken an der Schaffung einer Elite von „Sturmtruppen“ wieder zu Dynamik zu verhelfen. Krieg soll es ewig geben; andern- falls würde die Menschheit verarmen. Erich Maria Remarque (1898–1970) veröffentlichte 1929 seinen ersten Best- seller, den Roman „Im Westen nichts Neues“. Dieser brachte ihm eine üble Hetz- kampagne der Nationalsozialisten ein. Der Autor sah sich als unpolitischer Pazifist und erreichte die Herzen vieler Menschen, die für die Parole „Nie wieder Krieg“ schlugen. Remarque hatte als frisch Eingezogener im Frühsommer 1917 den Schrecken der Materialschlacht im Westen erfahren, wurde bald schwer verwundet und ver- L. Unterseher, Der Erste Weltkrieg, essentials, DOI 10.1007/978-3-658-05230-0, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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Literatur und Filme

In allen Teilnehmerländern des Ersten Weltkrieges ist das ungeheuerliche Schock-erlebnis literarisch verarbeitet worden – in den ersten Jahren danach sehr vielstim-mig, später dann noch sporadisch. Wir konzentrieren uns auf eine kleine Auswahl deutscher Autoren, die aus ihrer unmittelbaren Kriegserfahrung höchst unter-schiedliche Konsequenzen gezogen haben und deren Schlüsselwerke zwei Kriterien erfüllen: Authentizität und große Verbreitung.

Ernst Jünger (1895–1998) war Offizier an der Westfront: vielfach verwundet, hochdekoriert. 1920 veröffentlichte er die voluminöse Erzählung „In Stahlgewit-tern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers“, wurde damit auf einen Schlag berühmt und zu einer geistigen Ikone der politischen Rechten. Die Nationalsozia-listen buhlten um seine Gunst, doch erschienen ihm diese zu ordinär.

Seine Erzählung ist ein monomanischer Hymnus, der – mit Einsprengseln sachlicher Beschreibung – den Krieg feiert: als „blutiges Fest“, als Fegefeuer, aus dem wahres Mannestum überhaupt erst entstehen könne. In diesem Werk spiegelt sich auch die Tatsache wieder, dass der Krieg auf dem Höhepunkt des gewaltigen Schlachtfestes bankrott gegangen ist. Alles hat sich festgefahren. Die Menschen werden verrückt.

Jünger gefällt das gar nicht. So besingt er denn den Krieg nicht nur, sondern müht sich auch, diesem durch aktives Mitwirken an der Schaffung einer Elite von „Sturmtruppen“ wieder zu Dynamik zu verhelfen. Krieg soll es ewig geben; andern-falls würde die Menschheit verarmen.

Erich Maria Remarque (1898–1970) veröffentlichte 1929 seinen ersten Best-seller, den Roman „Im Westen nichts Neues“. Dieser brachte ihm eine üble Hetz-kampagne der Nationalsozialisten ein. Der Autor sah sich als unpolitischer Pazifist und erreichte die Herzen vieler Menschen, die für die Parole „Nie wieder Krieg“ schlugen.

Remarque hatte als frisch Eingezogener im Frühsommer 1917 den Schrecken der Materialschlacht im Westen erfahren, wurde bald schwer verwundet und ver-

L. Unterseher, Der Erste Weltkrieg, essentials, DOI 10.1007/978-3-658-05230-0, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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brachte den Rest des Krieges in einem Lazarett. So schöpft denn der Roman sowohl aus eigenem Erleben als auch aus den Berichten von Leidensgenossen.

Sein Ich-Erzähler fühlt, dass er den Horror allenfalls nur dann überleben kann, wenn er in seinen Kameraden eine schützende, auch psychisch stützende Familie findet, in der man für einander da ist. Die Front wird zur Heimat, und vom eigent-lichen Zuhause entfremdet man sich. Doch die Schutzfunktion ist eine Illusion. Der Roman endet mit dem Tod des Ich-Erzählers – erschossen an einem „ruhigen“ Tag an der Front.

Ludwig Renn (1889–1979), eigentlich Friedrich Vieth von Golßenau, diente ebenfalls an der Westfront. und zwar als Kompaniechef sowie zeitweilig auch als Bataillonskommandeur. In seinem schlicht mit „Krieg“ betitelten Werk, das im sel-ben Jahr wie Remarques Roman erschien, versetzt er sich – als Ich-Erzähler – in die Rolle eines einfachen Gefreiten, der es schließlich zum Zugführer bringt. Dieser lässt Schlüsselerlebnisse Revue passieren: Schlachten, schwere Verwundung. Der Stil ist realistisch und nüchtern.

Zwar ist auch in diesem Kontext das Gruppenerlebnis der Soldaten von gro-ßer Bedeutung, doch wird damit weniger emotional umgegangen als etwa in Re-marques Erstling. Nüchtern auch das Erleben des Kriegsendes, das sich für den Erzähler mit Zerfallstendenzen des deutschen Heeres verbindet.

Den Autor hat seine Kriegserfahrung auf den Weg gebracht, Kommunist zu werden. Er diente während des Spanischen Bürgerkrieges, auf republikanischer Seite, den Internationalen Brigaden als Stabsoffizier und gehörte nach 1949 zu den prominentesten Schriftstellern der DDR.

Filme über den Ersten Weltkrieg gibt es ebenfalls zuhauf. An dieser Stelle soll exemplarisch und in Stichworten auf fünf Tonfilme aus vier Jahrzehnten hingewie-sen werden, die folgende drei Kriterien erfüllen: überzeugende Darstellung kom-plexer Zusammenhänge, hohe dramatisch-künstlerische Qualität und Erreichung eines Massenpublikums. Keine dieser Produktionen gehört im Übrigen zu jenen so genannten Anti-Kriegsfilmen, die letztlich doch der Faszination des Krieges un-terliegen.

„All Quiet on the Western Front“ ( Im Westen nichts Neues) 1930, Regie: Le-wis Milestone. Großartige Verfilmung des Romans von Remarque, sehr authen-tische Darstellung deutscher Militär- und Zivilkultur. Das Werk sollte bald nach der Fertigstellung auch in deutsche Kinos kommen: erste Vorführung im Berliner Metropol. Zu diesem Anlass entsandte der damalige NSDAP-Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels (1897–1945), SA-Schläger, die das Publikum aus dem Saal trieben. Der Film konnte danach, wenn überhaupt, nur unter Auflagen gezeigt werden, und wurde 1933 verboten.

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„Dawn Patrol“ ( Flug in die Dämmerung) 1930, Regie: Howard Hawks. Der Film kam gleich nach dem Werk Milestones in die Kinos und wurde als qualitativ gleichwertig erachtet. Er zeigt, wie Flieger einer britischen Jagdstaffel den Einsatz in Frankreich erleben. (Dabei wird auf eine Phase des Krieges Bezug genommen, in der die Briten den deutschen Fliegern unterlegen waren.) Die Verluste sind hoch, die Piloten fühlen sich „verheizt“. Als ihr Wortführer selbst Staffelkapitän wird, ver-steht er plötzlich, in welch bedrückender Situation sein Vorgänger war: Menschen in den Tod schicken zu müssen, die man liebt. Der Film ist lakonisch und verbreitet ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

„Uomini Contro“ (Bataillon der Verlorenen) 1970, Regie: Francesco Rosi. Der Film, kultureller Ausfluss der Studentenrevolte von 1968, spielt in den Gräben und Stellungen der oft eisigen italienischen Alpenfront gegenüber den Truppen Öster-reich-Ungarns. Die Soldaten sehen sich von an der Front auftauchender Genera-lität in sinnlose Angriffe gegen feindliche MG-Nester gehetzt. Sie meutern, und – einem marxistischen Denkansatz entsprechend – machen sich jüngere Offiziere aus der intellektuellen Mittelschicht zu ihren Fürsprechern. Die Generalität gibt falsche Zusagen und obsiegt am Ende. Truppenteile werden „dezimiert“, die jungen Offiziere standrechtlich erschossen.

„Gallipoli“ ( Gallipoli) 1981, Regie: Peter Weir. Der Film begleitet junge Männer, die im idyllisch erscheinenden Australien für den Krieg im fernen Europa rekru-tiert werden, auf ihrem Weg über das pittoreske Ägypten in die Hölle der alliier-ten Brückenköpfe auf der Halbinsel Gallipoli im Sommer 1917. Kontrastiert wird der stümperhafte Schematismus der Führung mit dem Vegetieren der Soldaten vor Ort, die kaum einen Schritt vorankommen und die – schlecht versorgt – unerträg-licher Hitze sowie dem tödlichen Feuer der türkischen Verteidiger ausgesetzt sind.

„War Horse“ ( Gefährten) 2011, Regie: Steven Spielberg. Der visuell überwälti-gende Film basiert auf einem englischen Kinderbuch über ein Pferd im Großen Krieg. Vor dessen Ausbruch gewinnt es Rennen, geht dann mit einem Offizier an die Front, hat verschiedene Reiter, ist herrenlos, gerät in Feindeshand, wird zum Ziehen von Geschützen missbraucht, schwer verwundet, überlebt wie durch ein Wunder und kehrt heim mit dem Bauernburschen, der es einst aufzog. Es gibt Stimmen, die das Werk zu pathetisch finden. Ingeniös erscheint aber, wie vermit-tels der Odyssee des Tieres – mitunter tragische – Schicksale filmisch miteinander verknüpft werden: von Zivilisten und Soldaten, Briten, Franzosen und Deutschen.

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