Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel...

21
Leseprobe Kiewitz, Susanne Der Rhein Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz © Insel Verlag insel taschenbuch 3474 978-3-458-35174-0 Insel Verlag

Transcript of Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel...

Page 1: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Leseprobe

Kiewitz, Susanne

Der Rhein

Ein Reisebegleiter

Von Susanne Kiewitz

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3474

978-3-458-35174-0

Insel Verlag

Page 2: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag
Page 3: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Eine der reizvollsten und kulturell vielseitigsten Landschaften Eu-ropas stellt dieser Band vor. Wir folgen dem Rhein von seinenQuellen im Schweizer Voralpenland bis zurM�ndung in dieNord-see, machen Station am Bodensee, besuchen Straßburg, Mainz,Bingen. Wir werfen einen Blick auf die Loreley, deren Gesangschon so viele Schiffer betçrt hat, und fahren weiter nach Kçlnund D�sseldorf. Wir erkunden die Industrielandschaft zwischenRhein und Ruhr, die nicht nur Stoff f�r Literatur lieferte, sondernauch Schauplatz ganzer Krimiserien ist.

Unterwegs an der »großen Vçlkerm�hle Europas« (Carl Zuck-mayer) begegnenwir zahlreichenAutorenundK�nstlern:Goethe,Heine und Hçlderlin, Clara und Robert Schumann, GottfriedBenn, Heinrich Bçll, G�nter Grass, Martin Walser u. v. a.

Page 4: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

insel taschenbuch 3474Der Rhein

Page 5: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Am Niederrhein

Page 6: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Der RheinEin Reisebegleiter

Von Susanne Kiewitz

Mit farbigen Fotografien

Insel Verlag

Page 7: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010� Insel Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Quellenverzeichnis am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Elke DçrrSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-458-35174-0

1 2 3 4 5 6 – 15 14 13 12 11 10

Page 8: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1. Aufbruch aus vielen Quellen. Alpenrhein undRheinfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2. Umschau �bers Wasser. Idyllen am Bodensee . . 343. Europ�ischer Humanismus �ber die Grenzen.

Von Laufenburg bis Straßburg . . . . . . . . . . 454. B�rgerliche Dichtung zwischen Musenhof

und Revolution. Von Rastatt bis Worms . . . . 705. Im »Lustgarten der Natur«. Von der Rheinpfalz

bis in den Rheingau . . . . . . . . . . . . . . . . 906. Einladung zur romantischen Reise.

Am Niederwald . . . . . . . . . . . . . . . . . 1047. In der Geschichtslandschaft. Von Assmans-

hausen bis Kaub . . . . . . . . . . . . . . . . . 1178. Die sagenhafte Klippe. Rund um die Loreley . . 1299. Der »deutsche Rhein«. Von St. Goar nach

Koblenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14010. Kitsch und neue Kunst, Idylle und Weltpolitik.

Von Koblenz bis Bonn . . . . . . . . . . . . . . 15811. Gotische Tr�ume. Kçln und der Dom . . . . . . 18412. Hirtenufer und Industrieschornsteine.

Von Kçln zum Niederrhein . . . . . . . . . . . . 197

Touristische Informationen . . . . . . . . . . . 221Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Page 9: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Rotterdam

Utrecht

Arnheim

Duisburg

Düsseldorf

Köln

Bonn

Koblenz

Wiesbaden

Mannheim

Karlsruhe

Straßburg

Basel

Mainz

Ludwigshafen

Oppenheim

Worms

Speyer

Kehl

Breisach

LeverkusenNeuss

Wesel

Xanten

Nijmwegen

F R A N K R E I C H

B E L G I E N

N I E D E R -L A N D E

L U X E M -B U R G

D E U T S C H L A N D

S C H W E I Z

L I E C H T E N -S T E I N

Ö S T E R -R E I C H

Lippe

Ruhr

Sieg

Lah

n

Main

Neckar

Mosel

Bodensee

Aare

Vorderrhein

Hinterrhein

Ijssel

Lek

Waal NIE

DE

RR

HE

IN

MIT

TE

LR

HE

IN

OB

ER

RH

EIN

HOCHRHEIN

Detailkarte Hochrhein s. S. 220Detailkarte Mittelrhein s. S. 224

Page 10: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Vorwort

»Das Wetter war Anfangs neblig, dann windig, dann kamein starker Regenschauer, das alles stçrte aber doch kaumeine halbe Stunde und im Wesentlichen war just das Wet-ter, das ich liebe. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Rhein-fahrt etwas Entz�ckendes hat: die Felsenufer mit ihrenWeingel�nden, die malerischen Dçrfer, die sich in dichterReihenfolge am Ufer hinziehn, die pr�chtigen Kirchenund Stadtt�rme, die Burgen [. . .] das alles schafft hier einPanorama,wie es die Welt wahrscheinlich nicht zum zwei-tenMale besitzt.Es ist l�cherlich, das leugnen zuwollen.«Theodor Fontane, der hier die Schçnheit des Rheins

preist, hatte 1865 die zu seiner Zeit obligatorische Rhein-reise absolviert. Er tat das allerdings nicht mit demWunsch, das schçne, bereits trivial gewordene Klischee-bild f�r sich best�tigt zu finden, sondern vielmehr in kri-tischer Absicht. Dennoch, das Zitat zeigt es, konnte auchFontane trotz seines ausgepr�gten Realit�tssinns den Rei-zen des Mittelrheins nicht widerstehen. »Man kann imEinzelnen tadeln, man kann hier und da sagen ›das gef�lltmir nicht sehr‹ oder ›ich hab’ mir das schçner gedacht‹,das Endresultat wird immer das sein: als Ganzes un�ber-troffen.«Als Fontane an den Rhein kam,war der Strom bereits in

unz�hligen Reisebeschreibungen, Romanen und vor allemGedichten besungen und verkl�rt worden. Die Gesangsver-eine intoniertenHeines Lied von der Loreley oder vaterl�n-dische Verse wie Schneckenburgers »Sie sollen ihn nichthaben, den freien deutschen Rhein«,w�hrend Victor Hugoin Frankreich seine Reisebeschreibung Le Rhin verçffent-lichte. Doch schon lange vor der romantischenRheinbegei-

9

Page 11: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

sterung war der Rhein ein Sujet der Dichtung. Bereits 1577hatte Johann Fischart mit dem Gl�ckhaften Schiff vonZ�rich den Rhein zum Schauplatz einer abenteuerlichenStromfahrt gemacht. Das Bild vom doppelhçrnigen Fluß-gott Vater Rhein mit Dreizack und Urne, das bei Fischartauftaucht, hatte bereits die Antike erfunden, f�r die derRhein die Grenze der zivilisierten Welt gewesen war.

Mit einer Auswahl aus dieser F�lle von Texten l�dt die-ses Buch zu einer literarischen Stromfahrt ein. Sie zeigtnicht nur die kulturellen St�tten an seinen Ufern, sondernauch den Wandel, dem die Landschaft in den vergangenenJahrhunderten unterworfen war, und das imaginierte Bildvom Rhein als M�rchenland, Geschichtslandschaft odernationalem Symbol. Die Kapitel orientieren sich dabei ander Geographie und folgen demRhein von seinen Urspr�n-gen bis zur M�ndung bei Rotterdam.

Daneben zeichnen die Kapitel eine, zumindest grobe, lite-raturgeschichtliche Chronologie vomMittelalter bis in dieModerne. Die �ltere Dichtung vom12. bis zum16. Jahrhun-dert hatte ihre r�umlichen Schwerpunkte am Oberrhein,Basel und Straßburg waren wissenschaftliche und kulturel-le Zentren der Renaissance. Zwischen Rastatt und Wormstreffen wir auf die b�rgerlichen Dichter des 18. Jahrhun-derts oder auf die Wortf�hrer der Revolution von 1848/49. Siewurden dabeiwortm�chtig begleitet vonden Schrift-stellern der Vorm�rzzeit, die den Rhein ebenfalls sch�tz-ten. Der Mittelrhein zwischen Mainz und Kçln schließlichgehçrt der Romantik. Die Reize dieser pittoresken Land-schaft hatten englische Reisende bereits gegen Ende des18. Jahrhunderts entdeckt. Um 1800 brachen die deut-schen Romantiker dorthin auf, allen voran Friedrich Schle-gel und Clemens Brentano. Das war der Anfang jener li-terarischen Rheinbegeisterung, auf die Fontane anspielte

10

Page 12: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

und die in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg unge-brochen anhielt. Unterhalb von Kçln schließlich wird dieLandschaft industriell. Hier begegnen wir immer h�ufigerzeitgençssischen Autoren, die – die Rheinromantik gegenden Strich b�rstend – die Reize der flachen Niederrhein-ebene entdecken oder in D�sseldorf avantgardistischeKunst machen.

Der chronologische Faden ist allerdings nicht immersichtbar. Er zerfasert zuweilen, denn der Rhein war stetsein Ort des Austauschs. Seit der Antike stellte der Stromnicht nur die wichtigste europ�ische Verkehrsachse dar,sondern entwickelte sich in dieser Folge auch als Kultur-raum, der ganz unterschiedlichen Einfl�ssen ausgesetztwar. F�r nicht wenigeDichter wie Erasmus vonRotterdamoder Goethe wurde dieser Kulturraum eine Achse, an dersich Stationen ihres Lebens aufreihten. Carl Zuckmayerhat das treffend zusammengefaßt, als er den Rhein 1945»die große Vçlkerm�hle Europas« nannte und damit dasKlischee vom »deutschen Rhein« in Frage stellte. Auch vondiesen Lebensl�ufen soll w�hrend der folgenden Rhein-fahrt die Rede sein, denn dieses Buch will den Spuren derDichter, die am Rhein lebten und schrieben, nachgehen.Wir werden ihnen bei einigen Ausfl�gen ans Land folgenund ihre ganz persçnliche Sicht auf den Strom und seineUfer nacherleben.

Page 13: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

1 | Aufbruch aus vielen Quellen.Alpenrhein und Rheinfall

Gern bezeichnet man den kleinen Gebirgssee Lai da Tumaim Schweizer Kanton Graub�nden als Quelle des Rheins.Der See liegt unterhalb von Andermatt im Gotthardmassivinmitten der herben,wasserreichen Landschaft der Schwei-zer Hochalpen. Wer von der Bahnstation Oberalppaß inrund zwei Stunden Fußmarsch �ber steile Pfade und Alpen-wiesen dorthin wandert, sieht einen See, dessen eiskaltes,blaugr�nes Wasser einen nahezu kreisrunden Krater f�llt.An den steilen H�ngen liegt dunkles Felsengerçll, wir sindoberhalb der Baumgrenze und blicken in der Ferne aufschneebedeckte Gipfelketten. Ein kr�ftiger Gebirgsbachergießt sich aus dem See und geht zusammen mit unz�h-ligen anderen Rinnsalen und B�chlein in die Tiefe. Hier be-ginnt der Vorderrhein.Auch die Suche nach dem Ursprung des Hinterrheins,

dem zweiten Hauptlauf des Stroms, f�hrt uns in entlegeneGefilde. Der Hinterrhein liegt weiter çstlich im Graub�n-dener Gebiet Rheinwald, und folgt man seinem Lauf hin-auf, gelangt man irgendwann in die unwegsame Gletscher-region des San Bernardino, wo der Strom verschwindet.Daneben f�hrt der Averserrhein zusammen mit unz�hligenweiteren namenlosenGebirgsb�chen seinWasser demHin-terrhein zu. Erst bei Reichenau, kurz vor Chur, vereinigensich Vorder- und Hinterrheinlauf und heißen ab hier nurnoch Rhein.

Der Rhein hat viele Quellen, und die Dichter haben sieauf unterschiedliche Weise gesucht, beschrieben und ge-deutet. Friedrich Hçlderlin dachte vielleicht an den Toma-see als er seine große Hymne Der Rhein niederschrieb:

12

Page 14: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Im dunkeln Efeu saß ich, an der PforteDes Waldes, eben, da der goldene Mittag,Den Quell besuchend, herunterkamVon Treppen des Alpengebirgs,[. . .] von daVernahm ich ohne VermutenEin Schicksal, denn noch kaumWar mir im warmen SchattenSich manches beredend, die SeeleItalia zu geschweift [. . .]

Jetzt aber, drin im Gebirg,Tief unter den silbernen GipfelnUnd unter frçhlichem Gr�n,[. . .] taglang, dortIm k�ltesten Abgrund hçrt’Ich um Erlçsung jammernDen J�ngling [. . .]Die Stimme wars des edelsten der Strçme,Des freigeborenen Rheins [. . .]

Hçlderlin verfaßte das Gedicht im Jahr 1801 in seiner Zeitals Hauslehrer in Hauptwil im Kanton Thurgau. Ob Hçl-derlin den Tomasee je besucht hat, ist jedoch fraglich, dennwer selbst ins Gebirge hinaufsteigt, wird nichts von Hçl-derlins idyllischemQuellbild finden. Der See liegt auf einerHçhe von rund zweitausenddreihundert Metern, wo mandie Baumgrenze schon hinter sich gelassen hat, von der»Pforte des Waldes«, von »warmen Schatten« kann alsokeine Rede sein. Italien freilich ist nah, denn wenige Kilo-meter s�dlich verl�uft die italienische Sprachgrenze. Auchdas Toben des Stromes ist Wirklichkeit, denn der jungeRhein ergießt sich aus dem See �ber karstige Gesteinsblçk-

13

Page 15: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

ke ins Tal. Hçlderlin wollte in diesem »Toben« der Natur-kraft das Bild der Freiheit des Menschen sehen – eine Idee,die in den Jahren nach der Franzçsischen Revolution dieGem�ter bewegte. Der reale Rhein, so darf man vermuten,interessierte Hçlderlin hier herzlich wenig.

Gut siebzig Jahre sp�ter schrieb der Schweizer ConradFerdinand Meyer ein anderes Gedicht �ber die Rhein-quelle, das sich schon n�her an dem,was wir als Wanderererfahren, bewegt:

Ich glaubte, daß der Rhein entspringe,So liedervoll, so weinumlaubt,Aus eines Sees lichtem Ringe,Doch fand ich nicht, was ich geglaubt. [. . .]

Ich klomm und klomm auf schroffen Stiegen,Verwognen Pfaden, çd und wild,Und sah den Born im Dunkel liegenWie einen erzgegoßnen Schild.[. . .]

Ein Sturz! Ein Schlag! Und aus den TiefenUnd aus den W�nden brach es los:Heerwagen rollten! Stimmen riefenBefehle durch ein Schlachtgetos!

Trotz der genauen Kenntnis der heimischen Bergwelt mach-te auch der Z�rcher Meyer den Rheinborn zu einem un-wirklichenOrt, der nun nicht mehr f�r die Idee der Freiheiteinsteht, sondern f�r Kriegsl�rm und Heroik, hinter demwir getrost einen Wink auf den Rhein als deutschen Stromsehen d�rfen. 1875 war dieses Bild, war der Rhein als Na-tionalsymbol bereits fest etabliert.Meyer, der mit dem vier

14

Page 16: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Jahre zuvor gegr�ndeten Deutschen Kaiserreich sympa-thisierte, verwandelte ihn in einen mythischen Strom derdeutschen Heldensagen.Wir blicken �ber den Quellsee des Rheins auf die umlie-

genden Bergketten. Oberhalb liegt in s�dlicher RichtungAndermatt, dar�ber der Paß des St. Gotthard, und dahinterf�hrt der Weg ins Tessin und nach Italien. Viele Reisendenahmen am Paß ihren Weg �ber die Berge, die in Zeiten,da das Reisen noch gef�hrlich und langwierig war, oft einOrt tiefer biographischer Erfahrungen wurden. Einer vonihnen war Johann Wolfgang Goethe, der 1775 zum erstenMal auf den Gotthard reiste, um von dort sehnsuchtsvollnach Italien zu blicken. Auch die zweite Schweizer Reisevon 1779, die der Dichter unter winterlichen Bedingungenim November zusammen mit Herzog Carl August absol-vierte, fand ihr Ziel auf dem Gotthard, dem Goethe geolo-gisch eine besondere Bedeutung zumaß: »Der Gotthardist zwar nicht das hçchste Gebirg der Schweiz [. . .]; dochbehauptet er denRang eines kçniglichenGebirges �ber alleandere,weil die grçßten Gebirgsketten bei ihm zusammen-laufen und sich an ihn lehnen. [. . .] Nicht fern von hier ent-springt der Rhein und l�uft gegen Morgen, und wenn manalsdann die Rhone dazunimmt [. . .], so befindet man sichhier auf einem Kreuzpunkte, von dem aus Gebirge undFl�sse in alle vier Himmels-Gegenden auslaufen.«

Erst 1786 konnte Goethe die Alpen �berqueren und denlang ersehnten klassischen Boden Italiens betreten – dies-mal nahm er allerdings den Weg �ber den Brenner.

Das Gotthardgebiet, wo der Vorderrhein entspringt, istauch sprachlich ein Grenzgebiet. Hier verl�uft die deutsch-italienische Sprachlinie, daneben ist das R�toromanischeverbreitet.Mit der Vielsprachigkeit sahen sich auch die Rei-senden des 19. Jahrhunderts konfrontiert. James Cooper,

15

Page 17: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

dessen Lederstrumpf-Erz�hlungen zu den Klassikern derAbenteuerliteratur gehçren, bereiste die Schweiz 1828 undnahm seinenWeg entlang des Vorderrheins �ber den Ober-alppaß. Man sieht gleichsam das Kopfsch�tteln, mit demder in New Jersey geborene Amerikaner festhielt: »Ich hçr-te, daß die Einwohner von Ilanz und die einer nahe liegen-den Stadt ebenfalls nicht imstande w�ren, einander zu ver-stehen! Dies ist �rger als bei den Indianerst�mmen in derPr�rie, indem diese einander nicht nahe wohnen, sondernhçchstens nur im Treffen zusammenkommen. Hier befin-det sich das Land der Sprachen. Unter den hunderttausendSeelen Graub�ndens finden sich drei deutlich von einan-der verschiedene Sprachen, n�mlich Deutsch, Italienischund die Mundart, die die r�tische genannt wird. Letzterehat wieder mehrere Dialekte, die so von einander abwei-chen, daß man sie kaum als einer Wurzel entsprossen an-sehen kann.«

Ilanz, das Cooper so in Erstaunen versetzte, erreichenwir in gut zwei Stunden mit der Bahn, wenn wir dem Laufdes jungen Vorderrheins vom Oberalppaß hinab folgen.

Zuvor jedoch wollen wir auch die andere Quelle desRheins suchen und wenden uns deshalb nach Osten unddem Hinterrhein zu. Der Wasserlauf verliert sich im Ge-biet des San Bernardino in den unwirtlichen Hçhen der�ber dreitausendvierhundertMeter aufragenden Gletscher-region des Rheinwaldhorns und des Rheinquellhorns.

Lange Zeit war der Rheinwald eine Durchgangsstationf�r Reisende, die �ber den Paß des San Bernardino zumLago Maggiore und nach Mailand wollten. Dem Hinter-rhein aus seiner eisigen Ursprungsregion folgend, gelangtman bald unterhalb des San Bernardino-Passes zu demDorf Spl�gen, das in den vergangenen Jahrhunderten einwichtiger Haltepunkt des Transitverkehrs war. Auch der

16

Page 18: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

englische Dichter Robert Browning richtete sich f�r einigeTage in Spl�gen ein. Er genoß die »Einsamkeit und den-noch das Gef�hl, nicht allein zu sein, wenn die Postkut-schen lautlos kommen und gehen unter den Fenstern desabgelegenen Hauses, in dem wir wohnen«.

FriedrichNietzsche sch�tzte dagegen gerade die Einsam-keit des Alpenrheintals und dessen herbe K�lte: »Dieseshochalpine Tal [. . .] ist ganz meine Lust; da sind reine,starke L�fte, H�gel und Felsblçcke von allen Formen.[. . .] Morgen wird es wohl schneien, worauf ich mich vonHerzen freue. [. . .] Jetzt weiß ich doch einen Winkel, woich, mich kr�ftigend und in frischer T�tigkeit, aber ohnejede Gesellschaft leben kann. Die Menschen sind einemhier wie Schattenbilder.«Andere Reisende wiederum interessierten sich ausdr�ck-

lich f�r den jungen Rhein, von dem die englische DichterinHelen Maria Williams 1794 schrieb: »Ein wunderbarerBlick çffnete sich vor uns: die hohenH�gel, von jenen Fich-ten bedeckt, die das Rheinwald umschließen, breiteten sichvor uns aus, unsere Blicke fielen gleichzeitig auf die aus-gedehnten Tiefen zu unseren F�ßen, und [. . .] den Rhein,den wir unl�ngst dort gesehen hatten, wo er die tobendeund imposanteMasse seinesWassers demMeere zuf�hrte;jetzt ganz bescheiden und eben aus seiner Quelle entsprun-gen, floß er, kaum zu erkennen am Grunde eines einsamenTales, mild wie der Schlaf eines Kindes, das eben das Lichtder Welt erblickt hat.«

Einige Kilometer unterhalb von Spl�gen ist der Rheinnicht mehr ganz so friedlich, denn hinter dem Dorf Zillisverengt sich der reißender werdende wasserreiche Fluß-lauf sehr schnell und bildet bis Thusis eine der eindrucks-vollsten Schluchten Mitteleuropas: die Via Mala. An ihrersteilsten und engsten Stelle fallen die Felsw�nde rund drei-

17

Page 19: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

hundert Meter in die Tiefe und begrenzen das Flußbett aufwenigeMeter. So eindrucksvoll die ViaMala heute von gutbefestigten und ausgeschilderten Wanderwegen aus er-scheint, so furchteinflçßend war sie f�r die Reisenden ver-gangener Jahrhunderte.Wer heute in gut vier bis f�nf Stun-den durch die Schlucht wandert, sollte an ihrer engstenStelle haltmachen, wo ein Aussichtspunkt mit Kiosk undder Haltestelle des Postautos zu einer Pause einl�dt. Hierkann man �ber in den Stein gehauene Treppenstufen zudem tobenden Strom hinuntersteigen. Das ohrenbet�uben-de Strudeln des Wassers und ihre Felsmassen machen dieVia Mala immer noch zu einem Ort, der Respekt vor denNaturgewalten einflçßt undvergessen l�ßt,daß die Schluchtheute von einer Schnellstraße durchschnitten wird. In derN�he des Abstiegs sieht man noch die alte Fahrstraße, dieim 18. Jahrhundert zwar bereits als befestigte Route f�rReisekutschen ausgebaut war, die jedoch einige Gefahrenbarg. Goethes Freundin Marianne von Willemer berich-tete davon im Jahr 1828 in einem Brief an den Dichter:»Die Viamala ist der schauerlichste Felsenpaß in der gan-zen Schweiz [. . .] und umso �ngstlicher, als das Gestein,ein weicher Tonschiefer, den die Fr�hlingsgew�sser unauf-hçrlich unterwaschen und die Wurzeln der halbverwitter-ten Fichten entblçßen, den Weg viel gef�hrlicher macht.«

Goethe selbst sah die Passage vierzig Jahre fr�her – beiseiner R�ckkehr aus Italien am 31. Mai 1788. Er �ber-querte dabei auch die Wildener Br�cke, die seit 1739 andieser Engstelle die Schlucht �berspannt. Seit 1938 exi-stiert parallel dazu eine zweite Br�cke, die beim Ausbauder Fahrstraße angelegt wurde. Wer heute dem Weg folgt,kann die alte Br�cke noch �berschreiten, um von dort indie enge Schlucht mit den wirbelnden Wasserstrudeln zublicken, so wie Helen Maria Williams 1794: »Nachdem

18

Page 20: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

wir zwei oder drei Meilen in dieser Schlucht zur�ckgelegthatten, entdeckten wir eine Br�cke, leicht �ber den Ab-grund gebaut, die mehr als jede andere den Ruf verdiente,ein �bernat�rlichesWerk zu sein.Wir schalteten auf dieserBr�cke einen l�ngeren Halt ein, um dieses Schauspiel, andem wir uns erfreuten, besser in unser Ged�chtnis aufneh-men zu kçnnen. An der Flanke des Berges, die wir eben ver-lassen hatten, erhoben sich majest�tisch ausgedehnte undmit W�ldern bedeckte Abh�nge; die andere Seite des Tales[. . .] ließ auf ihrer Flanke mit M�he eine Straße zu. [. . .]Der Rhein, dessen Wasser im vorhergehenden Tal durchsechs Zufl�sse bereichert worden war, schien uns ein ge-ringer, schwarzer, sch�umender Bach zu sein, der mehre-re hundert Fuß unterhalb der Br�cke mit M�he zwischenden Steinen hindurchglitt, hie und da zwischen den Felsen,die ihn verdunkelten, auftauchend, hie und da unter ihrerMasse verschwindend.«Theodor Fontane hingegen bemerkte angesichts der

Rheinschlucht: »Auf eineBeschreibung dieses großenSt�cksNatur lasse ich mich nicht ein; diese undankbare Aufgabe�berlasse ich den Touristen generis communis, die keineAhnung davon haben, daß die �ußerliche Beschreibungnur klein macht und daß die Schilderung der Wirkung die-ser Szenerie nur von einem Poeten in seiner besten Stundegeleistet werden kann.«

Die Maler jedoch hatten keine Skrupel, die Natur abzu-bilden, und hielten die Rheinschlucht in Veduten, Zeich-nungen und Gem�lden fest. Anton Koch,William Turnerund viele Vedutenstecher haben das Motiv in zahllosenVariationen bearbeitet, und auch Goethe griff, anstatt zuschreiben, zum Zeichenstift; seine Skizze von 1788 zeigtdie Wildener Br�cke und den rechtsrheinischen Straßen-verlauf. Von demMaler und Stecher Ludwig Emil Grimm,

19

Page 21: Insel Verlag - suhrkamp.de · Ein Reisebegleiter Von Susanne Kiewitz Mit farbigen Fotografien Insel Verlag. insel taschenbuch 3474 · Originalausgabe · Erste Auflage 2010 Insel Verlag

Die Rheinschlucht der Via Mala im Schweizer KantonGraub�nden wird an ihrer engsten Stelle von zwei Br�cken

�berspannt, vorn die Br�cke aus dem 18. Jahrhundert