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Die Musik in Geschichte und Gegenwart Supplement

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Die Musik in Geschichte und Gegenwart

Supplement

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1 2 Ager

A

Aa, Michel van der* 10. März 1970 in Oss (Niederlande) , Komponist. Van der Aa stu-

dierte Komposition und Aufnahmetechnik am Kgl. Kons. in DenHaag bei Diderik Wagenaar, Gilius van Bergeijk und L. Andriessen. Erbesuchte den International Dance Course for Professional Choreographersand Composers (1994) , studierte an der New York Film Academy (2002)und war Teilnehmer des Director’s Lab am Lincoln Center Theater(New York 2007) . Van der Aa wurde mehrfach mit Preisen ausge-zeichnet (Kompositonspreis der Stiftung Gaudeamus, 1999; Nach-wuchspreis des Amsterdam Fonds voor de Kunst, 2000; Matthijs VermeulenPrijs, 2004; Ernst von Siemens Musikpreis und Charlotte-Köhler-Preis, 2005;Paul-Hindemith-Preis, 2006) .

werke (Auswahl; Verleger: bis 2004 Donemus, Amsterdam, anschlie-ßend Boosey & Hawkes, London)A. Vokalmusik

Here Trilogy für S, KaOrch. und Soundtrack (2001–2003)

B. BühnenwerkeOne (M. van der Aa) , Kammeroper 1 Akt (2002; 2003 Amsterdam) � After Life(Hirokazu Kore Eda) , Oper 1 Akt für 8 Sänger, Ens., Video und Soundtrack(2005/06; 2006 Amsterdam) � elektron. Abschnitte (Inserts ) für L. Andriessen,Writing to Vermeer (1999)

C. InstrumentalmusikAuburn für Git. und Tonband (1994) � Oog für Vc. und Tonband (1995; rev. 2000)� Between für Schlagzeugqu. und Tonband (1997) � Faust für Ens. und Sound-track (1998) � Above für dass. (1999) � Attach für dass. (1999) � Just Before für Kl.und Soundtrack (2000) � See-through für Orch. (2000; rev. 2001) � Second Self fürOrch. und Soundtrack (2004) � Imprint für Barockorch. (2005) � Mask für Ens.und Soundtrack (2006)

Dank des fesselnden, oft dramatischen Impetus seiner Musikavancierte van der Aa zu einem der originellsten Komponisten seinerGeneration. Wohlklingende Akkorde wechseln nahezu unvermitteltmit nüchtern-atonalen Passagen, der von Musikern und Publikumgemeinsam genutzte Raum durchdringt als theatralisch-performati-ves Element und dreidimensionaler Kontext die Musik; dabei kannsich der Eindruck der Live-Aufführung jedoch durch elektronischeManipulation plötzlich als Täuschung erweisen. Das preisgekrönteStück Between, mit Attach und Above Teil einer Trilogie (1997, 1999) ,beruht auf einem stark reduzierten Material: auf zehn Akkorden, dieaus nur fünf Tönen bestehen. Die Soundtracks enthalten vielfach elek-troakustische Klangbearbeitungen der Instrumente, mit denen sie imselben Stück in einen – mitunter hoketusartigen – Dialog treten. SeitBeginn des 21. Jh. widmete sich van der Aa auch dem Musiktheater,u.a. mit One (2002) , dessen Bildprojektionen präzise auf den Auftrittder Sängerin abgestimmt sind, ein Verfahren, das er in After Live(2005/06) weiterentwickelte.

literatur E. wennekes/M. Delaere, Zeitgenöss. Musik in den Niederlan-den und in Flandern, Rekkem 2006, 56–59

emile wennekes

Abendroth, Irene* 14. Juli 1872 in Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) , † 1. Sept. 1932 in

Weidling bei Wien, Sängerin. Nach einer Karriere als Wunderkindbegann Irene Abendroth bei F. Lamperti in Mailand und seiner Schü-lerin Aurelie Jäger-Wilczek in Wien mit ihrer regulären Gesangsaus-

bildung. Sie debütierte am 15. Febr. 1889 an der Wiener Hofoper inV. Bellinis La sonnambula als Amina. Die Kritik bewunderte zwar dietechnische Versiertheit der jungen Künstlerin, hielt ihre Leistungaber in musikalischer Hinsicht für wesentlich steigerungsfähig. ÜberRiga (1890–1891) und München (1891–1894) kehrte sie wieder nachWien zurück, konnte dort aber trotz der Protektion Mahlers nichtendgültig Fuß fassen. Sie ging deshalb am 1. Sept. 1899 an die Dresde-ner Hofoper, deren Mitglied sie bis zum 30. Sept. 1909 blieb. Dorterschloß sie sich am 21. Okt. 1902 als Tosca (neben K. Burrian undC. Scheidemantel) bei der deutschen EA von Puccinis gleichnamigerOper die letzte große Rolle ihres ungewöhnlichen Repertoires. Nachdem offiziellen Ende ihrer Opernkarriere wirkte sie weiterhin alsKonzertsängerin, war aber vor allem pädagogisch tätig.

Die souveräne technische Verfügbarkeit über ihre Stimme hatIrene Abendroth schon in jungen Jahren dazu verführt, sich einRepertoire ohne Fachgrenzen zu schaffen, das schließlich mehr als 70Partien umfaßte. Bereits in Riga – die Sängerin war damals nochkeine 20 Jahre alt – verfügte sie über ein darstellerisches Spektrum,das von Mozarts Königin der Nacht (Die Zauberflöte ) bis zu WagnersSieglinde ( Die Walküre ) und Venus (Tannhäuser ) reichte – stimmlicheund musikalische Höchstanforderungen, die für das frühe Karrie-reende mitverantwortlich gewesen sein mögen, was sich jedoch inden wenigen Aufnahmen, entstanden 1902, trotz ihrer eingeschränk-ten Aussagefähigkeit keineswegs schon andeutet. Die unbestreitba-ren Mängel der unzureichend kräftigen, farblich oft fahlen unterenMittellage und ein ästhetisch störender Registerbruch in der Verbin-dung zur Tiefe sind eher Defizite, die bei vielen deutschen Soprani-stinnen aus jener Zeit auffallen, als Merkmale eines einsetzendenpersönlichen Stimmverfalls.

literatur B. Wildberg, Das Dresdner Hoftheater in der Gegenwart. Biogra-phien und Charakteristiken, Dresden/Lpz. 1902 � T. Thaller, Irene Abendroth. EinFragment ihrer Künstlerlaufbahn, Dresden 1904 � Sachsens Gelehrte, Künstler und Schrift-steller in Wort und Bild, hrsg. von B. Volger, Lpz.-Gohlis 1907/08 � H. Schnoor,

Dresden. 400 Jahre dt. Musikkultur, Dresden 1948 � L. Riemens, Irene Abendroth, in:RC 6, 1951, 77–85 � M. Scott, The Record of Singing. To 1914, L. 1977, 168f. � L. Di

Cave, Mille voci, una stella. Il contributo degli esecutori vocali ebrei o di origine ebreica allamusica operistica e classica, Rom 1984, 45f. � Kesting (1986)

alois büchl

Ager, Klaus* 10. Mai 1946 in Salzburg, Komponist und Dirigent. Ager stu-

dierte am Mozarteum Salzburg Dirigieren, Klavier, Violine, Komposi-tion (1967–1970) , an der Univ. Salzburg Mw., danach (1971–1973) amPariser Cons. Elektroakustische Musik (P. Schaeffer) und Komposi-tion (O. Messiaen) . Neben Tätigkeiten als Korrepetitor bei den Salz-burger Festspielen (1970/71) , als freier Mitarbeiter bei Radio FranceParis (1973) und beim Österreichischen Rundfunk Salzburg (ORF)(1974–1978) war er Assistent an der Lehrkanzel für Musiktheorie amMozarteum Salzburg (1973–1979) ; seit 1979 ist er Leiter der dortigenLehrkanzel für Musikanalyse (ab 1986 Prof. ) . Er gründete 1975 dasÖsterreichische Ensemble für Neue Musik, dessen Leiter er bis 1986zugleich war, wurde ab 1977 Präs. und künstlerischer Leiter des Inter-nationalen Festival Aspekte Salzburg für zeitgenössische Musik, war 1981 bis1994 Präs. der Europäischen Konferenz der Veranstalter Neuer Musik undgründete, zusammen mit anderen Komponisten, den MusikverlagEdition 7. Ager war außerdem Prof. für Komposition am Kons. Bregenz

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3 4Aharonián

(1981–1986) und Rektor an der Musikhochschule (seit 1998: Univ. )Mozarteum Salzburg (1995–2000) . Seit 2003 ist er Präs. des Österreichi-schen Komponistenbundes und baute ab 2005 die Vereinigung der euro-päischen Komponistenverbände ECF (European Composers Forum ) auf,deren Präs. er seit der Gründung 2006 ist. Ager erhielt Einladungenals Gastkomponist, Lektor und Dgt. innerhalb Europas, nach Nord-und Südamerika, Türkei, Zentralasien, China, Japan, Korea, Taiwan,Thailand u.a.

werke (Auswahl; wenn nicht anders angegeben, ersch. bei Edition 7,Salzburg)A. Vokalmusik

BETA break towards infinity für gemCh. und verschiedene Klangerzeuger op.22,Stockholm 1975, Edition Reimers � La Règle du jeu für S, Fl., Klar., V., Vc. und Kl.op.28, Mn. 1978, edition modern � Kohärenz – Inkohärenz II für Chor und KaOrch.op.30, Wien 1980, Ariadne Verlag � Gesang zur Nacht für S, Fl., Klar., V., Vc. und Kl.op.43, 1985 � Dem schweigenden Antlitz der Nacht für A/S, Fl., Git. und Schlagwerkop.44/I und II, 1986 und 1996 � KEATS für Gsg. und Ens. op.62, 1991/92 � Friede,Kant. für Soli und gr.Orch. op.33/4, 2002 � Duino III – Gesualdo für 5st. Chorop.82, 2004

B. BühnenwerkeAgnus Dei, Ballettmusik auf Tonband (1980 Bonn)

C. InstrumentalmusikHOSHI für BläserQnt. op.13, Mn. 1975, edition modern � StrQu. I op.21, 1977� Kohärenz – Inkohärenz I für 3 BKlar. op.29, 1980 � Fades the light from the sea fürOrch. op.33/3, 1981 � Lamento für StrOrch. op.33/2, 1981 � Blätter für Kl. op.45,1987–1989 � Kohärenz – Inkohärenz III für Fl. op.46, 1987 � Serenade für Hammerkla-vier und Ens. op.60/1, 1990 � Konzert ( Serenade ) für Kl. und Orch. op.60/2, 1991� KHAGJA für Fl. und Schlgz. op.64, 1992 � Drei kleine Klavierstücke op.81, 2004� Camchatka für Vc., 2006

D. Tonbandmusik, elektroakustische und Computer-Musiksondern die sterne sinds op.12 (1974; rev. 1976) � Poêmes op.14, 1976 � ORC17 für com-putergeneriertes Tonband op.33/1, 1981 � CLB512 für Klar. und Tonband op.39,1983 � Bibyké, Klangmobilprojekt (1991)

E. SchriftenDer Ultrachromatismus Ivan Wyschnegradskys in melodischer und rhythmischer Hinsicht, in:Mikrotöne. Ber. über das internat. Symposium Mikrotonforschung, Salzburg1985, hrsg. von Fr. Richter-Herf, Innsbruck 1986, 123–126 � Friedrich Cerha: Spiegel,in: Melos 48, 1986, 2–39 � Olivier Messiaen: ein Sonderfall? Gedanken anlässlich seines80. Geburtstags, in: ÖMZ 43, 1988, 172–176 � Tonalität – Atonalität: Schönbergs Streich-quartett op. 10, in: Capriccio di Strauss, Nr. 1, 2004, 7–11 � Vom domaine public payantzum »Mozartgroschen«, in: ÖMZ 59, 2004, 31–35

Ager ist einer der renommiertesten Vertreter und Botschafter derösterreichischen zeitgenössischen Musik seit 1970. Seine Werke sindauf zahlreichen nationalen und internationalen Festivals zu hören.Darüber hinaus gehört er als Initiator, Leiter und Organisator zu denmarkanten österreichischen Persönlichkeiten der Neuen Musikszene.Am Anfang seiner bereits umfangreichen Werkliste (ca. 100 Titel ) ste-hen Instrumental- und Tonbandmusik. Dem Instrumentalen scheintmit den Jahren ein Übergewicht zuzukommen; doch immer wiedergibt es Elektroakustisches dazwischen: ausschließlich oder zumInstrumentalen hinzugefügt. Die meditative Grundhaltung vielerWerke Agers könnte Ergebnis intensiver Beschäftigung mit instru-mentalen und elektroakustischen Möglichkeiten in Hinsicht auf ihrekompositorische Verknüpfung sein. So weist Beta (1975) in ihrerschwebenden, raumgreifenden Statik fast elektronische Züge auf.Agers kompositorische Arbeit geht stets von einem Ausloten derjeweils relevanten klanglichen Möglichkeiten aus: Beispielsweisewerden die Beziehungen zwischen Stimme und Instrumentalklangthematisiert, die von Text und Semantik, solche von diversen Disson-anzarten, die Integration externer Klänge bis hin zu Klischees, derMiteinbezug von Mikrotonalität, Raum usw. Oft kommt dies bereitsim Titel zum Ausdruck (z.B. Kohärenz – Inkohärenz I-III, 1980, 1987) .Mittels selbstentwickelter Computerprogramme gelangt Ager zu

einem spezifischen Verfahren, dem einer »inkohärenten Prozessgestal-tung«: »es geht dabei um das Komponieren von gleichzeitigen Abläufen, dieuntereinander in verschiedenen Kohärenzgraden stehen, in sich aber lineargeschlossen verlaufen« (Ager, persönl. Mitteilung) . Auf Grundlage jenes(komplexen) kompositionstechnischen Verfahrens, was Mitte der1980er Jahre abgeschlossen ist, widmet sich Ager zunehmend einermusikalischen ›Resemantisierung‹ der Instrumentalmusik. Interes-sant ist, daß Ager durch seine Beschäftigung mit Kompositions-Auto-matisierungsprozessen auf der Basis von selbstentwickelten Compu-terprogrammen zu einer Art Neuentdeckung tradierter grundlegen-der musikalischer Phänomene kommt. Seine Rückwendung zu moti-vischer Vernetzung und Formklarheit sieht er als Versuch von ›Faß-lichkeit‹ des Neuen, ganz im Sinne Weberns. Darüber hinaus findensich Werke, welche auf direkte Vorbilder hinweisen, z.B. Drei kleineKlavierstücke op.81 (2004, als Schönberg-Hommage) , Dem schweigendenAntlitz der Nacht op.44 (1986/1996) und Gesang zur Nacht op.43 (1985,als Hommage an die verlorene Sprachlichkeit der Musik im 19. Jh. ) ,diverse »Canons« mit Bezug zu Vorbildern wie Josquin, J. S. Bach,Webern, Gesualdo u.a. Zahlreiche Werke vereinen beide Aspekte –bewußte Integration von semantisch besetzten Materialien (selbstmus. Topoi) bei computergesteuerter ›inkohärenter Prozeßgestal-tung‹ (u.a. Fades the light from the sea op.33/3; 1981; Lamento, 1981;KHAGJA op.64, 1992) . Daneben eignet Agers Musik eine Haltung desRuhigen, Leisen, bis hin zum Schweigen. Gleich 15 silences-Titel fin-den sich, zusätzlich zwei über Stille, drei über Nacht, fünf über Trauerund Tod: Ager ist auch ein Komponist der Stille, Besinnung undMeditation.

dieter torkewitz

Aharonián, Coriún* 4. Aug. 1940 in Montevideo, Komponist, Dirigent, Musikwissen-

schaftler, Pädagoge, Autor und Organisator. Schon während derSchulzeit übte der Sohn armenischer Eltern Chor- und Dirigententä-tigkeiten aus und erhielt eine musikalische Ausbildung, die er später,nach einem vierjährigen Architekturstudium, in Montevideo fort-setzte. Er lernte Klavier spielen bei Adela Herrera-Lerena (1945–1959) ,studierte Komposition bei H. Tosar Errecart (1955–1957, 1966–1969) ,Mw. bei L. Ayestarán (1964–1966) und Orchesterleitung bei JacquesBodmer (1966–1969) . Nebenher betätigte er sich als Lehrer an Schulenund anderen pädagogischen Instituten und schrieb Musikkritikenfür Lokalzeitungen. 1967 bis 1974 war er Generalsekretär der Asociaciónde Educadores Musicales del Uruguay und 1967 bis 1982 sowie 1985/86Sekretär der Sociedad Uruguaya de Música Contemporánea ( SUMC).Mehrere Stipendien ermöglichten Aharonián ein Aufbaustudium amCentro Latinoamericano de Altos Estudios Musicales (CLAEM) des Insti-tuto Torcuato Di Tella in Buenos Aires (1969) , in Paris (1969/70)sowie bei L. Nono in Venedig (1970) , der sein gesellschaftspolitischesEngagement verstärkte. Die Teilnahme an den Darmstädter Ferien-kursen (1970, 1974) kam ergänzend hinzu sowie seine Arbeit bei derGroupe de musique expérimentale in Bourges (1974) , am Elektronmusik-studion in Stockholm (1984, 1988) und am Studio für Elektroakusti-sche Musik der Akad. der Künste Berlin (1995) . Während der Zeit derMilitärdiktatur in Uruguay widmete sich Aharonián pädagogischenund kulturpolitischen Aufgaben (1973–1985) . Er gab privat Komposi-tionsunterricht und gehörte zum Leitungsteam der 15 Cursos Latino-americanos de Música Contemporánea (1971–1989) , in denen eine ›latein-amerikanische‹ Identität in der Musik diskutiert und erprobt wurde.1971 bis 1984 war er zudem Mitarbeiter an der gemeinnützigen uru-guayischen Schallplattenedition Tacuabé mit erstmals länderüber-greifender neuer Musik des Subkontinents. 1984 ging Aharonián miteinem Stipendium des Deutschen akademischen Austauschdienstes für ein

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Jahr nach Berlin. Nach seiner Rückkehr nach Montevideo nahm erwieder diverse Lehr- und Chorleitertätigkeiten auf, war u.a. Prof. fürInstrumentenkunde, musikalische Folklore (1985–1992) und natio-nale Musikgeschichte (1989–1992) an der Escuela Universitaria deMúsica sowie Gastdoz. an verschiedenen Univ. Argentiniens, Brasi-liens, Kolumbiens und Ecuadors (seit 1982) . 1983 bis 1985 gehörte erzum Vorstand der International Association for the Study of Popular Music( IASPM) und 1985 bis 1989 zum Präsidium der IGNM. Durch seinevielseitigen Tätigkeiten, auch als Autor zahlreicher Schriften, die Mit-wirkung an internationalen Kursen und Kongressen und die Auffüh-rung seiner Werke im In- und Ausland wurde Aharonián in den1980er Jahren zu einem der international bekanntesten und wichtig-sten Repräsentanten der zeitgenössischen Musik Lateinamerikas.Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet.

werke (Auswahl; zumeist Mss.)A. Vokalmusik

»Una estrella, esta estrella, nuestra estrella« für kl. Chor, Cemb., Kl., Bandoneon, Git.und Kb. (1969)

B. MusiktheaterHecho I, estudio sobre el silencio (1966) � Theatermusiken

C. InstrumentalmusikI. Orchesterwerke Lorenzaccio (1968) � Mestizo (1993) � Filmmusik

II. Kammermusik Música para tres für Fl., V. (mikrotonal) und Kl. (1968)� Música para cinco für AFl., Hr., Tr., Pos. und 5 Tom-Toms (1972) � Digo, es un decirfür 3 Fl., 3 Ob., 3 Klar., Tr. und 2 Kb. (1979) � Los cadadías für Klar., Pos., Kl. undVc. (1980) , in: M. Fürst-Heidtmann 1992, 44–48 � Gente für Fl., Ob., Kl., Fg., Hr.,Tr., Pos., Kb., Marimbula und Steeldrum (1990) � Una canción für Fl., Kl., Va., Vc.und Kl. (1998) � Una carta für 15 Instr. (2001) � Cachó la barreta für Schlagzeugens.(2004) � ¿De qué estamos hablando? für Klar., Fg. und Vc. (2006)

III. Soloformen Tres pequeñas piezas für Klavier (1966–1973) � ¿Y ahora? für Kl.(1984) , in: P. Roggenkamp, Neue Klaviermusik für Studium und Unterricht,Wbdn. 1990 � Llueve sobre el Río de la Plata für Git. (2000)

IV. Elektroakustische Musik (wenn nicht anders angegeben, für Ton-band)

Música para aluminios für 3 Spieler und Tonband (1967) � Que (1969) � Gran tiempo(1974) � Homenaje a la flecha clavada en el pecho de Don Juan Díaz de Solís (1974) � ¡Sal-vad los niños! (1976) � Esos silencios (1978) � Apruebo el sol (1984) � Secas las pilas de todoslos timbres (1995)

D. Schriften (Erscheinungsort Montevideo)Héctor Tosar, compositor uruguayo, 1991 � Conversaciones sobre música, cultura e identidad,1992 � Introducción a la música, 2002 � Educación, arte, música, 2004 � Músicas popularesdel Uruguay, 2007

Aharonián gilt als Protagonist und Promotor einer spezifischlateinamerikanischen Richtung in der zeitgenössischen Musik, diesich von der kulturellen Dominanz Europas abkehrt, ohne dem inder ersten Hälfte des 20. Jh. in der Musik Lateinamerikas verbreitetenNationalismus anheim zu fallen. Mit amerikanischen Einzelgängernwie Varèse, Cage, dem Argentinier J. C. Paz und dem Mexikaner S. Re-vueltas teilt Aharonián die Suche nach einer möglichst eigenständi-gen Musik. Seine Mittel dafür sind die Aufnahme realen odersprachlichen Materials aus seiner Umgebung in seine Kompositio-nen – vor allem in seine frühen elektroakustischen Werke – sowie dieEinbeziehung von Instrumenten und Gesten aus der einheimischenindianischen und Popularmusik. Bis auf wenige Ausnahmen (Secaslas pilas de todos los timbres, 1995; Una canción, 1998) finden sich darinjedoch keine Zitate. Durch die Verwendung von Instrumenten,Rhythmen, melodischen oder klanglichen Wendungen mit sozialer,politischer oder kultureller Konnotation haben seine Werke – ähn-lich wie bei Nono – zudem eine kritisch-ideologische Note. Zwar las-sen die Ökonomie der Mittel und die Bedeutung der Stille als Aus-drucks- und Reflektionsraum Webern-Einflüsse erkennen, anderer-seits verweisen wiederholte Muster auf indianisch-afrikanische

Musiktraditionen, die blockhafte, nichtentwickelnde, nichtdiskur-sive Struktur dagegen auf die Geschichte und LebenswirklichkeitLateinamerikas. Insgesamt sind Aharoniáns Kompositionen alsästhetische Konzepte einer für den Subkontinent charakteristischenMestizenkultur zu betrachten.

literatur M. Fürst-Heidtmann, Militancia cultural: der lateinamer.Komponist C. Aharonián, in: MusikTexte 43, K. 1992, 39–43 � W. Rüdiger, Wie mitTrauer und Wut: Annäherungen an ein Klavierstück von C. Aharonián, in: Üben & Musi-zieren 1999, Nr. 1, 14–23 � P. N. Wilson, Reduktion. Zur Aktualität einer mus. Strate-gie, in: Edition Neue Zeitschrift für Musik, Mz. 2003, 66–72 (mit Digo es un decir[1979] auf beigefügter CD) � E. Herrera, Austeridad, sintaxis no-discursiva y micro-procesos en la obra de C. Aharonián, in: Cuadernos de Música, Artes Visuales y ArtesEscénicas (Bogotá) , Bd. 1, Nr. 1, Okt. 2004 – März 2005, 23–65 � P. N. Wilson.

»Kein Friede hat Musik für unentbehrlich erklärt«. Zur resistencia cultural in der Musik vonGraciela Paraskevaídis und C. Aharonián, in: H. Lück/D. Senghaas (Hrsg. ) , Vom hör-baren Frieden, Ffm. 2005, 286–301

monika fürst-heidtmann

Ailey, Alvin* 5. Jan. 1931 in Rogers/Tex., † 1. Dez. 1989 in New York, Tänzer,

Choreograph und Tanzpädagoge. Ailey wuchs als Arbeiterkind zurZeit der Depression und Rassentrennung in den USA auf. 1942 zog ermit seiner Mutter, die alleinerziehend war, nach Los Angeles. Ailey,der vom Steptanz Bill Robinsons (1878–1949) , der Nicholas Brothers(Fayard Nicholas, * 1914; Harold Nicholas, 1921–2000) und FredAstaires (1899–1987) fasziniert war, »became ›completely hooked‹ ondance« ( J. L. Foulkes 2002, S. 180) , als er eine Aufführung der KatherineDunham Dance Company erlebte. 1949 begann Ailey seine Ausbildungbei Lester Horton in Los Angeles, aus dessen Schule auch die Tänze-rinnen Carmen de Lavallade, Janet Collins u.a. hervorgingen; 1950wurde er Mitglied von Hortons Kompanie. Nach dem Tod Hortons1953 übernahm Ailey die Leitung der Truppe.

Bereits ein Jahr später zog es ihn nach New York, wo er als Schau-spieler, Tänzer und Choreograph arbeitete und gleichzeitig Unter-richt bei Martha Graham, Hanya Holm, Doris Humphrey, AnnaSokolow und dem Ballettpädagogen Karel Shook nahm. 1958 grün-dete er mit dem Alvin Ailey American Dance Theatre (AAADT) seineeigene Kompanie und debütierte 1958 mit Blues Suite; 1960 folgte Reve-lations, das zu einer Tanzlegende wurde. Als erste Kompanie mit far-bigen Tänzern, gefördert von der progressiven Kulturpolitik der Ken-nedy-Regierung, ging AAADT ab den 1960er Jahren auf Tournee (u.a.nach Südostasien, Australien, Brasilien, Europa, China) . 1969 grün-dete der Choreograph das Alvin Ailey American Dance Center, dasStudenten in den Fächern Tanzgeschichte, Ballett, Modern Danceausbildet und darüber hinaus – in Erinnerung an das Studio vonHorton – Kurse über Tanzmusik, Choreographie, Bühnenbild undKostüm anbietet. 1974 wurde das Alvin Ailey Repertory Ensemble (heute:Ailey II ) ins Leben gerufen, das den Übergang zwischen Studium undBeruf erleichtern soll. 155 Choreographien, wovon ein Drittel vonAiley stammte, hat das AAADT bis 1984 aufgeführt. Ailey, der auchWerke für andere Kompanien schrieb, erhielt zahlreiche Ehrungen,darunter die Ehrendoktorwürde in Fine Arts der Princeton University(1972) , den Dance Magazine Award (1975) , den Samuel H. Scripps Ameri-can Dance Festival Award (1987) und den Kennedy Center Honor Award fürseinen lebenslangen Beitrag zur amerikanischen Kultur.

werke (Auswahl der Choreographien)Mourning Morning (1954 Los Angeles?) , Musik: Gertrude Robinson � Blues Suite(1958 New York) , Musik-Arrangement: Paquita Anderson, Jose Ricci � Revela-tions (1960 New York) , Musik: traditionelle afroamerikanische Spirituals� Quintet (1968 New York) , Musik: Laura Nyro � Maskela Langage (1969 NewYork) , Musik: Hugh Maskela � Cry (1971 New York) , Musik: Alice Coltrane,Laura Nyro, Voices of East Harlem � The Mooche (Bühnenversion) (1975 New

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7 8Alagna

York) , Musik: Duke Ellington � Spell (1981 New York) , Musik: Keith Jarrett� For Bird – With Love (1984 New York) , Musik: Charly Parker, Dizzy Gillespie,Count Basie, Jerome Kern, Coleridge Taylor-Perkinson � Opus McShann (1988Kansas City) , Musik: Jay McShann, Walter Brown

Aileys Verdienst für den Tanz besteht darin, die Energien desModern Dance zu bündeln, die Tradition des klassischen Tanzes zuintegrieren und beides mit der politisch ›korrekten‹ Vorstellung desafroamerikanischen und karibischen Erbes Amerikas zu verbinden.Hatten Katherine Dunham und Pearl Primus die Aufmerksamkeitauf die sozialen Dimensionen des concert dance gelenkt, indem sieunter anthropologischer und tänzerischer Perspektive auf Afrika unddie Karibik hinwiesen, so machte Ailey die Enkulturation/Akkultura-tion zur Schlagzeile in seinen Choreographien. Auf diese Weise öff-nete er sowohl ethnischen Minderheiten wie dem Modern Danceeinen neuen Weg.

Tanzen und Choreographieren entwickelte sich in Aileys Stückenaus einem Moment des Übergangs, der in einen narrativen Kontexteingebettet ist. Charakteristisch für Aileys Schaffen ist die Form derSuite, da sie ihm besonders geeignet erschien, aus einem tänzerischenoder musikalischen Thema Variationen zu entwickeln; darüber hin-aus ermöglichte sie Ailey eine Weiterentwicklung des ›Werks‹ auchnoch nach der Premiere. Innerhalb der Suiten und Szenarien entwarfAiley oft arienähnliche Soli. Choreographische und musikalischeStrukturen beziehen sich häufig unmittelbar aufeinander; Rhythmusoder Tonart vermitteln die Befindlichkeit der Figur und der Persön-lichkeit des Tänzers. Ähnlich wie in den Werken von Lester Horton istauch in Aileys Choreographien die Beleuchtung bei der Aufführungwichtig, mit der der Zuschauerblick im Raum gelenkt wird. Einenebenso zentralen Stellenwert haben die Kostüme, die der Charakteri-sierung der Darsteller dienen.

literatur J. L. Foulkes, Modern Bodies, Chapel Hill 2002 � T. F.

DeFrantz, Dancing Revelations, Oxd. u.a. 2004 � R. Tracy, Ailey Spirit, N. Y. 2004

gabi vettermann

Alagna, Roberto* 7. Juli 1963 in Paris, Sänger. Der Tenor Roberto Alagna erlernte

das Singen während seiner Tätigkeit als Kabarettsänger von RafaelRuiz, einem kubanischen Kontrabassisten und Schüler von A. Pertile.Der erste Preis beim Pavarotti-Wettbewerb 1989 ermöglichte ihm seinBühnendebüt als Alfredo (Verdi, La traviata ) bei der Glyndebourne Tou-ring Opera Company. Für dieselbe Rolle holte ihn R. Muti 1990 erstmalsan die Mailänder Scala. In den Titelpartien von J. Offenbachs Les Con-tes d’ Hoffmann und Ch. Gounods Roméo et Juliette war Alagna baldweltweit gefragt. Seither hat er seinem Repertoire auch schwerereRollen wie Radamès (Verdi, Aida ) , Manrico (Verdi, Il trovatore ) undCavaradossi (Puccini, Tosca ) hinzugefügt. Eine enge Bühnenpartner-schaft verbindet Alagna und die rumänische Sopranistin Angela Ghe-orghiu, mit der er seit 1996 auch verheiratet ist.

Alagnas helle, höhensichere Tenorstimme bewährt sich ambesten in den lyrischen französischen Partien. Die Facherweiterungins italienische Spinto-Fach hat ihn bereits einiges an Schmelz undBiegsamkeit gekostet.

literatur A. Blyth, Roberto Alagna, in: Opera 48, 1997, H. 12, 1403–1409� Das Opernglas. Die Interviews. Einblicke der großen Stars in die Welt der Oper, hrsg. vonJ. Bartels/M. Lehnert/Tiedemann, Hbg. 2002 � M. Brug, Die neuen Sängerstim-men. Von Cecilia Bartoli bis Bryn Terfel, Bln. 2003 (mit Auswahldiskographie)

hans joachim weber

Albert, Heinrich* 16. Juli 1870 in Würzburg, † 12. März 1950 in Gauting, Gitarrist,

Gitarrenpädagoge und Herausgeber von Gitarrennoten. HeinrichAlbert erlernte zunächst das Violinspiel und später Horn. Nach seinerAusbildung von 1881 bis 1888 an der Kgl. Musikschule in Würzburgspielte er als Orchestermusiker in verschiedenen Orchestern inDeutschland, Schweden, der Schweiz und Rußland. 1895 wurde erMitglied im Kaim-Orch. (aus dem die Münchner Philharmoniker hervor-gingen) unter Dgt. wie F. Weingartner, A. Nikisch, F. Löwe undG. Mahler. Ab Mitte der 1890er Jahre eignete er sich autodidaktischdas Gitarrespiel an, erhielt ab 1905 Anregungen bei Luigi Mozzaniund entfaltete ab 1900 eine rege Konzerttätigkeit als Gitarrist und Lei-ter eines Mandolinenorchesters; seine Auftritte als Gitarrist erfolgtenbis nach 1943.

werke (vgl. K. Huber 1995, S. 285–291)I. Kompositionen Sonatine Nr. 1+2 für Git. � Son. Nr. 1+2 für dass. � Duette

Nr. 1–8 für 2 Git. � Trio Nr. 1–4 für 3 Git. � Qu. Nr. 1+2 für 4 Git. � HausmusikNr. 1–11 für Fl./V., Va. und Git. (Vc. ad lib. ) � Kammertrio Nr. 1–4 für dass.� Werke für/mit Mandoline(n) � Werke für Mandolinenorch. � Lieder zur Git.

II. Lehrwerke Moderne Lauten- oder Gitarre-Schule, 2 Bde., Lpz. 1912 und 1923� Neue Mandolinenschule, ebd. 1913 � Moderner Lehrgang des künstlerischen Gitarrespiels,5 H. in 4 Tle., Mn. 1914–1919 � Gitarre. Solospiel-Studien, Lpz. 1923 � Gitarre. Etüden-Werk, 6 H., Lpz. 1927/28 � Der junge Gitarrist, Bln. 1937 � Der junge Mandolinist, ebd.1937

III. Editionen 23 H. in der Reihe Die Git. in der Haus- und Kammermusik vor 100Jahren, Lpz. ab 1918, mit u.a. Werken ( für Git. und Kl.; für V. und Git.; für Fl., Va.und Git.; für 3 Git.; für Git. und StrQu.) von L. Boccherini, L. de Call, F. Carulli,A. Diabelli, M. Giuliani, F. Gragnani, J. Kreutzer, W. Matiegka, Fr. Molino

Nach dem künstlerischen Niedergang der Gitarre in der zweitenHälfte des 19. Jh. gab es in Europa um 1900 vor allem zwei Gitarristen,die als Pädagogen, Herausgeber von Noten und als Interpreten ihremInstrument wieder zu Ansehen verhalfen: in Spanien Fr. Tárrega undin Deutschland Heinrich Albert. Letzterer hat neben Bearbeitungenund Wiederveröffentlichungen vor allem kammermusikalischeWerke in einer vorbildlichen Editionsreihe zugänglich gemacht undförderte die Gitarre im Solospiel und in der Kammermusik mit ande-ren Instrumenten. Im Gegensatz zu Tárrega veröffentlichte Albertmehrere Gitarrenschulen, von denen der Moderne Lehrgang bis heutenichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Weiterhin publizierte er dieerste Kindergitarren- und die erste Kindermandolinenschule über-haupt. Albert konzertierte als Solist und Kammermusiker in verschie-densten Besetzungen. Zu seinen Schülern gehörte u.a. L. Walker.Alberts zahlreiche Kompositionen für Gitarre und Mandoline sind imklassizistischen Stil gehalten und weisen Elemente italienischer undspanischer Volksmusik auf.

literatur W. Schwarz, Gitarre-Bibliogr., Mn. u.a. 1983, 44f. � K. Huber,

Die Wiederbelebung des künstlerischen Gitarrenspiels um 1900, Agb. 1995 � J. Libbert,H. Albert, in: Gitarre Aktuell 21, 2000, H. 1, 50–55 � Ders., Ein Vorkämpfer für Git.und Mandoline: Erinnerungen an H. Albert, in: Üben & Musizieren 17, 2000/01, H. 6,33–38 � Ders., H. Albert, Protagonist der Münchener Gitarristenschule, in: Musik in Bay-ern, H. 59, 2000, 111–132 � A. Stevens, H. Albert und die Mandoline, in: Concertino.Das Magazin für Git., Lt. und Hf. 59, 2006, H. 4, 202–206 � für Informationendanken wir Andreas Stevens, Hilden

detlev bork

jörg jewanski

Almila, Atso (Aksel )* 13. Juni 1953 in Helsinki, Dirigent und Komponist. Almila stu-

dierte an der Sibelius-Akad. in Helsinki Posaune, Chor- und Orche-sterleitung, letzteres bei Jorma Panula (Diplome 1979) . Seit 1979unterrichtet Almila Dirigieren an der Sibelius-Akademie, als Chordgt.

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9 10 Ammons

ist er seit 1975 tätig. Zwischen 1987 und 2000 war Almila Chefdgt. ver-schiedener finnischer Symphonieorch., u.a. in Tampere, Joensuu undKuopio. Von 1980 bis 1995 war er MD. des Finnischen Nationalthea-ters Helsinki. Bühnenproduktionen realisierte er u.a. an der Finni-schen Nationaloper in Helsinki. 1994 und 1995 war er künstlerischerLeiter des Festivals Jyväskylän kesä ( Jyväskyläs Sommer) . 1981 erhielt erden Ersten Preis im Kpm.-Wettbewerb in Norrköping (Schweden)sowie 1997 den Suomen Muusikkojen Liitto ry:n tunnustuspalkinto (Preisder Vereinigung finnischer Musiker e.V.) , der insb. seinen Einsatz fürdie finnische Musiklandschaft würdigt. 2005 wurde ihm ein fünfjäh-riges Kompositions-Arbeitsstipendium des Vation Säveltaidetoimikunta(Staatliches Komitee für Tonkunst) und 2006 die Goldmedaille derSuomen Sinfoniaorkesterit ry (Finnische Symphonieorch. e.V.) für seineVerdienste um die finnische Orchestermusik verliehen.

werke (Auswahl; vollständiges Verz. bei Suomalaisen musiikin tiedo-tuskeskus [Finnish Music Information Centre])A. Vokalmusik Suomalainen messu (Finn. Messe) für Bar., gemCh. und Str.

op.27 (1984) � Ja hänen nimensä oli Kuulemiin (Und sein Name war ›Auf Wiederse-hen‹; Leevi Lehto) , Jazz-Kant. für Mez., A, Bar., Sprecher, gemCh. und Orch.(1993) � Main Paras Vaif I-II (Meine beste Gemahlin I-II; Aleksis Kivi, Antti-EinariHalonen) für Bar., gemCh. und Orch. (1996) � Sade (Regen; Anja Snellman) ,Liederzyklus für Mez. und Kl. (2007)

B. BühnenwerkeI. Opern (UA jeweils in Ilmajoki)

Kolmekymmentä hopearahaa (30 Silberlinge; Heikki Ylikangas) (1987/88; 17. Juni1988) � Ameriikka (Amerika; Antti Tuuri) (1992; 12. Juni 1992) � Isontaloon Antti(Antti Isotalo; ders. ) (2000; 14. Juni 2000) � Pohjanmaan kautta (Hoch die Tassen!;Tiina Puumalainen) (2002; 12. Juni 2003)

II. Bühnenmusik Kuningas Lear (König Lear; Shakespeare) für Tonband,Bläser und Schlagzeugens. (1983) � Nummisuutarit ( Schuster aus der Heide; Kivi)für Sänger und 14 Instr. (1984) � Lintu Sininen (Der blaue Vogel; Sakari Topelius)für Instr., Sänger und Tonband (1990) � Ilta Aleksanterinteatterissa (Ein Abend imAlexandertheater; Bengt Ahlfors) für gemCh. und Orch. (1992) � Theater- undFilmmusik, Musik für Hörspiele

C. InstrumentalmusikKontrabaßkonz. op.20 (1978/79) � Concert-March for Wind Orchestra op.16 (1979)� Konz. für 2 Klar. und Blasorch. op.21 (1980) � Air for Brass op.18 Nr. 3 (1982)� TePaTePa für Blechblasorch. und Schlgz. (1984) � Dedications, Memories, Suite fürBlechbläserqnt. (1984/85) � Flötenkonz. op.28 (1985) � Konz. für Tuba undStrOrch. (1986) � Sinfonia vaskikvintetille ja orkesterille (Symph. für Blechbläserqnt.und Orch.) (1987/88) � Violinkonz. (1989) � Linnut (Vögel ) für Orch. (1991/92)� Posaunenkonz. (1994) � Klarinettitrio yksitoista päivää (Klarinettentrio 11 Tage)für Klar., Vc. und Kl. (1994) � Visions from the North für symph. Blasorch. (1997)� Fagottkonz. (2001/02) � Sinfonia II für symph. Blasorch. (2003) � EPOSIMO fürdass. (2003) � Konz. Nr. 2 für Tuba und symph. Blasorch. (2004) � Love für Orch.(2006) � Concerto Ardente für Streichtrio und Orch. (2006) � BläserQnt. Nr. 2(2006) � Fantasia Rosvo-Roopesta für Orch. (2007) � zahlr. Kammermusikwerke,überwiegend für Bläserbesetzungen

Trotz des beträchtlichen Umfangs seines Œuvres ist Almila eherals Dgt. bekannt. Große Bedeutung hat sein Engagement im pädago-gischen Bereich – der Kapellmeisterausbildung und der Arbeit mitJugendorchestern –, wobei er deutlich in die Fußstapfen seines Leh-rers Panula tritt. In seinem breitgefächerten Betätigungsfeld setzt ersich insb. für finnisches Repertoire und Nachwuchsförderung ein.Seine Vorliebe für Bläserbesetzungen wird in der Fülle der Werkedeutlich, die gleichzeitig von gekonntem Umgang mit Instrumental-idiomatik und Orchesterklang zeugen. Nicht selten finden jazzigeElemente Eingang in Almilas Musik, die überwiegend als neoklassizi-stisch charakterisiert werden kann. Demgegenüber sind seine dreiOpern, sog. Volksopern, neoromantischer Prägung und weisen Volks-musikzitate und Musical-ähnliche Passagen auf. Aufnahmen mitAlmila als Dgt. sind insb. mit den Symphonieorch. von Tampere undKuopio überwiegend beim Label Finlandia erschienen.

literatur A. Suvanto, Kun sinfonia kohtasi jazzin. . . (Wenn die Symph.auf Jazz trifft. . . ) ( Interview) , in: Rondo 1988, H. 8, 12–14 � K. Korhonen, Suo-malaisia nykysäveltäjiä 1965–1990 (Finn. zeitgenössische Komp.) , Hlsk. 1990, 24� M. Heiniö, Aikamme musiikki (Musik unserer Zeit) , Porvoo 1995, 346f.� K. Korhonen, Finnish Composers since the 1960s, Hlsk. 1995, 27f. � Ders., FinnishChamber Music, ebd. 2001, 65f., 123f. � L. Aroheimo-Marvia u.a. (Hrsg. ) , Esit-tävä säveltaide (Vortragende Tonkunst) , ebd. 2002, 14f. � P. Hako, Finnish Opera,ebd. 2002, 130f. � K. Korhonen, Inventing Finnish Music, ebd. 2003, 118 � Ders.,Finnish Orchestral Music and Concertos 1995–2005, ebd. 2006, 43

andrea carola kiefer

Alt, Philipp Samuel* 16. Jan. 1689 in Weimar, † um 1750 ebd., Organist und Kompo-

nist. Alt war ein Sohn des zu J. S. Bachs Zeit in Weimar als Vize-Hof-kantor, Bassist und Lehrer amtierenden (Wolfgang) Christoph Alt,der ihm auch den ersten musikalischen Unterricht erteilte. Späterwurde er Schüler des Hofkpm. Johann Samuel Drese und (wohl seitetwa 1700) des damaligen Vizekpm. G. Chr. Strattner. Klavier- undOrgelunterricht nahm er bei dem Org. der Stadtkirche, SamuelHeintze, und dessen Nachfolger (seit 1707) Joh. G. Walther, unter des-sen Anleitung Alt erste Kompositionen schrieb. Seine gute Schulbil-dung versetzte ihn in die Lage, in Jena ab März 1709 Jura zu studieren.Nach dem Besuch der Univ. kam er nach Weimar zurück und erhielteine Stelle als Hofadvokat; außerdem wurde er aufgrund seiner gutenmusikalischen Kenntnisse zum Org. der Jacobskirche gewählt. In bei-den Ämtern wirkte er bis zum Tode. Den Ertrag seiner musikalischenBeschäftigung, der aus einer Reihe von Kirchenkantaten (meist aufPsalmtexte) und Instrumentalwerken bestanden haben soll, hat nachSchillingE und EitnerQ die herzogliche Bibliothek zu Weimar (heuteD-WRa) aufbewahrt, wo sie heute (2007) als verschollen gelten.

literatur G. A. Wette, Hist. Nachrichten Von der berühmten Residentz-StadtWeimar [. . .], Bd. 1 Weimar 1737, Bd. 2 Jena 1739 � GerberNTL (1814) � Schil-

lingE (1835) � Mendel-Reissmann (1870) � EitnerQ (1900) � W. Lidke,Das Musikleben in Weimar 1683–1735, Weimar 1954

cordula timm-hartmann

Ammons, Albert C.* 23. Sept. 1907 in Chicago/Il., † 2. oder 3. Dez. 1949 ebd., Jazz-Pia-

nist, -Komponist und -Bandleader. Der Sohn klavierspielender Elternbegann im Alter von 10 Jahren mit diesem Instrument. Während desErsten Weltkrieges als Schlagzeuger bei den Illinois Home Guards ver-pflichtet, wandte er sich bald endgültig dem Klavier zu, wobei er sichan seinen Vorbildern, den Boogie-Woogie-Pionieren Jimmy Yanceyund Hersal Thomas orientierte und Mitte der 1920er Jahre in und umChicago kleine Engagements hatte. Um 1927 arbeiteten er und seinJugendfreund, der Pianist Meade ›Lux‹ Lewis, in Chicago als Taxifah-rer. Sie teilten sich dort eine Wohnung mit dem Schöpfer des PineTop’s Boogie Woogie, Clarence ›Pinetop‹ Smith, der sie als ihr Lehrernachhaltig beeinflußte. Anfang der 1930er Jahre trat Ammons alsSolist und in verschiedenen Bands auf, bis er 1934 ein eigenes Sextett,die Rhythm Kings, gründete. Mit diesem Ensemble, das von Juli 1935bis Jan. 1936 im Club DeLisa in Chicago spielte und bis 1938 bestand,nahm er 1936 mit den Musikern Guy Kelly (Trp. ) , Dalbert Bright(Klar., ASax. ) , Ike Perkins (Git. ) , Israel Crosby (Baß) und Jimmy Hos-kins (Schlgz. ) seinen wohl größten Erfolg auf Schallplatten auf, dendurch das ständige Rollen und Stampfen des Klaviers charakterisier-ten Boogie Woogie Stomp, eine Version des berühmten Stückes vonSmith. Am 23. Dez. 1938 präsentierte ihn John Hammond im erstenFrom Spirituals to Swing-Konzert in der Carnegie Hall in New York ineinem Boogie-Woogie-Piano-Trio mit Pete Johnson und Lewis sowie

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11 12Andersson

als Begleiter des Gitarristen und Sängers Big Bill Broonzy. In den fol-genden Jahren wurde eine regelrechte Boogie-Woogie-Welle ausge-löst, deren Spitze Ammons, Lewis und Johnson verkörperten. Von Jan.1939 bis 1943 spielte Ammons zunächst im Duo mit Lewis, danachmit Johnson und Joe Turner an den zwei Standorten des Café Societyin New York, mit denen er auch im Sherman Hotel in Chicago auftratund Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen machte. Ein Unfall, beidem er 1941 einen Finger verlor, unterbrach seine Karriere nur kurz-fristig, bald präsentierte er sich erneut an verschiedenen Schauplät-zen in Chicago und New York im Duo mit Johnson oder Turner. Mitder Sängerin Lena Horne wirkte er im Film Boogie Woogie Dream mit(1944, Regie: Hans Burger) . In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre litter zeitweise an Lähmungserscheinungen der Hände, erholte sich aberimmer wieder, machte mit seinem Sohn, dem TenorsaxophonistenGene Ammons, Plattenaufnahmen, spielte u.a. in Chicago und LosAngeles und 1949 kurzfristig mit Lionel Hamptons Band sowie 1945bei der Inauguration von Präsident Harry S. Truman in Washington.Albert Ammons Sohn ist der Jazz-Tenorsaxophonist Eugene ›Gene‹Ammons (1925–1974) .

Albert Ammons, neben Lewis und Johnson der wichtigste Reprä-sentant des Boogie-Woogie der späten 1930er Jahre, ist unter diesenwohl derjenige, der sich am meisten dem Blues angenähert hat. Seinekraftvolle, swingende, durch mächtige Baß-Ostinati gekennzeichneteSpielweise verbindet sich mit einer vollendeten Technik. Mit demBoogie Woogie Stomp, nach dem Vorbild des Pine Top’s Boogie Woogiegestaltet, gelang es ihm jedoch, einen individuellen Stil zu entwik-keln und nachfolgende Generationen wie die Pianisten des Blue Note-Labels oder Protagonisten des Jazz der 1950er Jahre wie TheloniousMonk und Horace Silver zu beeinflussen.

diskographie (Neuzusammenstellungen bei Classics, sofern nichtanders angegeben)

A. Ammons, 1936–1939 ( 715 ) � From Spirituals to Swing – the Legendary 1938 & 1939 Car-negie Hall Concerts ( Vanguard: 3VCD169/ 71–2 ) � Meade Lux Lewis, 1939–1941 ( 743 )� A. Ammons, 1939–1946 ( 927 ) � Pete Johnson, 1938–1939 ( 656, 1939) � BoogieWoogie Trio (Storyville: 670184, 1939) � P. Johnson, 1939–1941 ( 665, 1941) � A. Am-mons, 1946–1948 ( 1100 )

literatur S. A. Pease, ›Pine Top‹ Smith Influenced Early Piano Style of Swingin’Ammons, in: Down Beat 4, 1937, H. 7, 28 � W. Russell, Boogie Woogie, in: F. Ram-sey, Jr. / C. E. Smith (Hrsg. ) , Jazzmen: the Story of Hot Jazz Told in the Lives ofthe Men who Created it, N. Y. 1939 � N. Shapiro/N. Hentoff (Hrsg. ) , HearMe Talkin’ to Ya: the Story of Jazz by the Men who Made it, N.Y./L. 1955, 113, 137; frz. P.1956; dt. Mn. 1959 � Meade Lux Lewis: a Blues Man’s Story, in: Down Beat 26, 1959, H.4, 16 � Y. Bruynoghe, A. Ammons, in: S. Dance u.a., Jazz Era: the ’Forties, L. 1961� J. Hopes, Boogie Woogie Man: a Bio-discography of A. Ammons, in: Jazz & Blues 1,1971, H. 6, 5 � E. H. Newberger, Archetypes and Antecedents of Piano Blues and BoogieWoogie Style, in: Journal of Jazz Studies 4, 1976, H. 1, 84–109 � L. Feather, PianoGiants of Jazz: A. Ammons, in: Contemporary Keyboard 7, 1981, H. 2, 70 � D. J. Tra-

vis, An Autobiography of Black Jazz, Chicago/Il. 1983 � M. Williams, Cuttin’ the Boo-gie, in: ders., Jazz Heritage, N.Y./Oxd. 1985 � Ders., in: NGroveDAM (1986)� D. Hill, Meade Lux Lewis, in: Cadence 13, 1987, H. 10, 16 � C. I. Page, Boogie Woo-gie Stomp: A. Ammons and His Music, Cleveland/O. 1997 � H. Rye/B. Kernfeld, in:NGroveDJ (22002) � M. Kunzler, Jazz-Lex., Reinbek bei Hbg. 1988, erw. ebd.2002

elisabeth kolleritsch

Andersson, (Per Otto) Magnus* 29. Juni 1956, Stockholm, Gitarrist. Magnus Andersson erhielt

ersten Gitarrenunterricht bei Roland Bengtsson und studierte von1974 bis 1976 am Trinity College in London bei William Grandison,von 1976 bis 1980 am Liceo Musicale Viotti in Vercelli bei AngeloGilardino sowie in Deutschland bei S. Behrend. Von 1984 bis 1996unterrichtete er bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik inDarmstadt, 1994 war er Mitgründer des Ensemble Son für Neue Musik.

Seit 2006 ist er künstlerischer Leiter des alle zwei Jahre stattfindendenFestivals Stockholm New Music.

uraufführungen (Auswahl; für Git. solo, sofern nicht anders ange-geben)

U. Rojko, Passing Away (1984) � Sv.-D. Sandström, Lonesome für Git. und Orch.(1985) � J. Dillon, Shrouded Mirrors (1988) � A. Clementi, Serenade für Git. undEns. (1988) � Klaus K. Hübler, Reisswerck (1988) � Br. Ferneyhough, Kurze SchattenII (1990) � R. Riehm, Toccata Orpheus (1991) � G. Stäbler, . . .schloss die Augen, vorGlück. . . (1994) � Fr. Donatoni, Algo III für Git. und KaOrch. (1995) � V. Globokar,Masse, Macht und Individuum (1995) � Luca Francesconi, A Fuoco für Git. und Ens.(1995) � Donatoni, Algo IV für dass. (1996) � B. Sørensen, Shadow Siciliano (1996)� F. Vacchi, Notturno concertante für Git. und Orch. (1997) � J. W. Morthenson,Sonora für Git. und Str. (2000)

diskographie Chitarra con forza. Werke von M. Eklund, H.-O. Ericsson,E. Förare, S.-D. Sandström (Phono Suecia, 1988) � H. Holewa ( dass., 1991)� R. Riehm, Toccata Orpheus ( Kulturamt der Stadt Witten, 1991, UA live) � X. Bengue-rel, 7 Faules de La Fontaine für Sprecher und 10 Instrumentalisten (TIM, 1992)� T. Zwedberg, A Site for a Listener’s Ear ( Phono Suecia, 1994) � Sv.-D. Sandström, Con-certos ( Caprice, 1994) � To Hear with the Mouth (mit Ensemble Son; dass., 2002) � Br.Ferneyhough, Kurze Schatten II ( Audivis, 1996) � Versus. Werke von X. Benguerel( Ópera Tres, 1998) � V. Globokar Masse, Macht und Individuum (Wergo, 1999) � ShortSounds. Werke von Fr. Donatoni, A. Clementi, S. Bussotti, Br. Maderna, L. Berio( Nosag, 2001) � St. Scodanibbio, Dos Abismos ( Stradivarius, 2003) � H. W. Henze, ElCimarrón (mit N. Isherwood, M. Caroli, R. Rossi; dass., 2003) � The Plucked North.New Music from Sweden, Denmark and Finland (mit Ensemble Son, Vremena Goda Orch.;Nosag, 2006) � M. Applebaum, Asylum ( Innova, 2006)

Magnus Andersson gehört mit D. Starobin und R. Evers zu denwichtigsten Förderern Neuer Musik für Gitarre weltweit; er warInterpret zahlreicher Uraufführungen. Seine glasklare ›nüchterne‹Interpretation, unterstützt von einer herausragenden Virtuosität,orientiert sich an den Strukturen des Werkes. Das älteste auf seinenSchallplatten eingespielte Werk ist H. W. Henzes El Cimarrón von 1969.

literatur L. Bosman, The Guitar Has Become an Instrument of Too Much Pas-sive Entertainment ( Interview) , in: Guitar 9, 1980, H. 3, 27–29 � E. Càsoli, Intervistaa M. Andersson, in: Il Fronimo 26, 1998, H. 103, 5–10

detlev bork

jörg jewanski

André, Andrä, Andre, Andreä, Christian Carl* 20. März 1763 in Hildburghausen, † 19. Juli 1831 in Stuttgart,

Musikkritiker, Pädagoge, Schriftsteller, Journalist und Redakteur.André war der Enkel eines getauften jüdischen Hofagenten und Sohndes ehemaligen Kammermusikus und späteren Stallmeisters JohannFriedrich Wilhelm Andrä (1737–1819) sowie der einer BayreutherMusikerfamilie entstammenden Hofsängerin Johanna Rosina, geb.Körbitz (1734–1790) . Prägende musikalische Eindrücke erhielt derKlosterbergeschüler in Magdeburg 1777 bis 1779 durch MarkusChristfried Grosse (um 1740 – um 1790) und Joh. H. Rolle, bevor er1780 an der Univ. Jena ein Jurastudium aufnahm. Nach kurzer Tätig-keit als Hofmeister bei Friedrich Albrecht von Wechmar (1742–1813)in Roßdorf und als Edukationsrat (1785) des Fürsten Friedrich vonWaldeck (1743–1812) in Arolsen, wo er auch eine Lesegesellschaftgründete, unterstützte er ab 1785 Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) beim Aufbau von dessen Philanthropinum in Schnepfenthalund errichtete hier nach seiner Heirat (1786) mit Salzmanns Schwä-gerin Johanna Schnell (1765–1813) 1786/87 das erste philanthropisti-sche Erziehungsinstitut für Mädchen (1790 nach Gotha, 1794 nachEisenach verlegt) . In enger Zusammenarbeit mit Johann MatthäusBechstein (1757–1822) und Rudolph Zacharias Becker (1752–1822)brachte er mehrere Zeitschriften und mehrbändige Lehrwerke her-aus. Von 1798 bis 1821 wirkte er in Brünn als Leiter der ev. Schule bzw.(ab 1810) als Wirtschaftsrat des Altgrafen Hugo Franz von Salm-Reif-

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13 14 Andre

ferscheid (1776–1836) und freier Schriftsteller, der die Entwicklungder zeitgenössischen Musikkultur kritisch mitverfolgte. Als die Met-ternichsche Zensur immer drückender wurde, ging er als Kgl. Würt-tembergischer Hofrat nach Stuttgart, wo er im Umkreis von JohannFriedrich Cotta (1764–1832) seine vielfältige publizistische Tätigkeitfortsetzen konnte und als einer der namhaftesten Förderer musikali-scher Volksbildung nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung derMusikkultur Mittel- und Süddeutschlands sowie Österreichs nahm.

werke (Auswahl, auf Musik bezogen; zum Gesamtwerk vgl. die Hin-weise bei Curtze 1864, Meinold 1953, Stach 1999; dazu die Angaben bei H. Bö-ning/R. Siegert, Volksaufklärung. Biobibliograph. Hdb. zur Popularisierung aufkläreri-schen Denkens im dt. Sprachraum von den Anfängen bis 1850, Bd. 1–2, Stg./Bad Cannstatt1990/2001, Bd. 3–4 in Vorb. � umfangreiche Teilnachlässe vgl. D-Stuttgart,Hauptstaatsarchiv, Best. P 27)

A. EditionenSechs Sonaten für das Clavier oder Fortepiano in Musik gesetzt von Markus Christfried GrosseOrganist zu Klosterbergen bey Magdeburg, Dessau 1784, Gelehrte Buchhandlung� Die Musterung der Stände, ein Spiel für Jung und Alt mit Musik, Gesang und Tanz, Gotha1792, Justus Perthes � zahlr. Lieder als Notenbeilagen (u.a. Fr. Schubert, DerWachtelschlag op.68 D 742, in: National-Kalender für die dt. Bundesstaaten aufdas Jahr 1826, 4. Jg., Stg./Tübingen 1826; vgl. Brusniak 2007) � ein 1791 ange-kündigtes Familien-Liederbuch als Tl. eines Familien-Lehrbuchs ist nicht ersch.

B. SchriftenSchreiben an einen Freund über das mus. Drama Thirza und ihre Söhne von L. [!] C. Andre,Eisenach 1783, Johann Georg Ernst Wittekindt � Schnepfenberg. Ein melodramat.Gemälde eingerichtet zur Musik der beiden Melodrame Ariadne auf Naxos und Cephalus undProkris, in: Marie von Bismark, oder Libe um Libe, Zweite Suite, Lpz. 1788, 147–184 � Resonanzboden, Klavierbezug, in: Gemeinnützige Spaziergänge auf alle Tageim Jahr, hrsg. von C. C. André/J. M. Bechstein, Braunschweig 1790, H. 2, 306–308, 311–314 � zahlr. Aufsätze und Rezensionen in verschiedenen Zss. undanderen Periodika

André galt nicht nur als progressiver Pädagoge und Jugend-schriftsteller sowie als eigengeprägter Journalist und Redakteur mitweltbürgerlicher Perspektive, von der aus »bedeutende Kultur schaffendeEreignisse« (R. Stach 1999, S. 4 ) in den Blick genommen werden, son-dern auch als angesehener Landwirt, Mineraloge und Naturforscher,der als Vorläufer von Gregor Johann Mendel (1822–1884) 1808 inBrünn die Landwirtschaft als eigene Wissenschaftsdisziplin etablierteund dessen grundlegende Neueste geographisch-statistische Beschreibungdes Kaiserthums Österreich 1813 in Weimar erschien. War André der älte-ren Musikforschung in erster Linie als Verehrer Rolles, als Hrsg. vonKlaviersonaten seines Lehrers Grosse sowie als kompetenter Instru-mentenkundler bekannt (Nachweise bei F. Brusniak 1993, S. 61–64) ,erscheint er heute darüber hinaus als einer der profiliertesten Vertre-ter musikalischer Erziehung im Geiste des Philanthropismus und alsProtagonist musikalischer Volksbildung im Sinne H. G. Nägelis (vgl.Andrés Rezensionen von Nägelis Vortragsreise 1824, in: Hesperus1824, 340, 432, 651f., 656) . Der Anhänger Joachim Heinrich Campes(1746–1818) , dessen Liedvertonungen durch Joh. Fr. Reichardt erebenso rezipierte und adaptierte wie die ›musikalischen Dramen‹ Rol-les sowie die Singspiele, Opern und Melodramen u.a. von Joh. A. Hil-ler, Joh. A. P. Schulz, Joh. G. Naumann und G. A. Benda, wurde als Mit-begründer und Namensgeber des Stuttgarter Liederkranzes 1824 zueinem Wegbereiter der Laienchorbewegung des 19. Jahrhunderts.

literatur (auf Musik bezogen) L. Curtze, Art. André, in: Beiträge zurGesch. der Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont, Arolsen 1864, Bd. 1, 396–398� A. Teuscher, Die Erziehungsanstalten des Philanthropisten Christian Carl Andre. EinBeitrag zur Gesch. der Mädchenerziehung, in: Zs. für Gesch. der Erziehung und desUnterrichts 5, 1915, 123–131 � B. Bayer, Christian Carl André. Erster weltlicher Leiterder Brünner Ev. Schule (1798–1810 ) , in: Tagesbote 88, 1938, Nr. 449, 28. Sept. 1938, 6f.(= Leistungen und Fortschritte. Mitt. der Dt. Ges. für Wiss. und Kunst in Brünn6) � W. Meinhold, in: NDB (1953) � G. Beaucamp, Der Pädagoge Christian CarlAndre in Arolsen (1783–1785 ) , in: Geschichtsblätter für Waldeck 78, 1990, 151–171;

Nachtrag in dass. 79, 1991, 243–249 � F. Brusniak, Die Idee der mus. Volksbildungbeim Stuttgarter »Ur-Liederkranz«, in: Jb. für Volkskunde N. F. 16, 1993, 54–64� R. Stach, Art. Christian Carl André, in: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lex.,hrsg. von K. Franz u.a., Meinigen, 8. Erg.-Lieferung, Okt. 1999 � F. Brusniak,Zur Adaption von Johann Friedrich Reichardts ›Lieder für Kinder‹ durch den SchnepfenthalerPhilanthropisten Christian Carl André, in: Johann Friedrich Reichardt und die Litera-tur. Komponieren – Korrespondieren – Publizieren, hrsg. von W. Salmen, Hdh.2003, 322–334 � Ders., Der Kloster-Berge-Schüler Christian Carl André (1763–1831 ) alsMusikpädagoge – Magdeburger Impulse für einen Wegbereiter mus. Volksbildung um 1800,in: Kloster Berge, Klosterbergegarten, Gesellschaftshaus, Telemann-Zentrum,Kgr.Ber. 29./30. Aug. 2003 Magdeburg, Halle 2004, 84–91 � Ders., »HannchensGeburtstagsfeyer« – Eine lit. Quelle zur Rezeption und Adaption von Johann Gottlieb Nau-manns Oper ›Cora‹ im Kreise thüringischer Philanthropisten um 1786, in: Johann GottliebNaumann und die europ. Musikkultur des ausgehenden 18. Jh., Kgr.Ber. Dres-den 2001, Hdh. 2006, 423–442 � Ders., Zum frz. Einfluss auf die mus. Bildung des Phil-anthropisten Christian Carl André (1763–1831 ) , in: Fs. H. Schneider, hrsg. von M. Bi-get-Mainfroy/R. Schmusch, Hdh. 2007, 31–40 � Ders., Zur Schubert-Rezeptiondurch Christian Carl André (1763–1831 ) , einen Protagonisten der Männerchorbewegung in derersten Hälfte des 19. Jh., in: Schubert und die Nachwelt, Kgr.Ber. Wien 2003, Mn.2007, 271–280

friedhelm brusniak

Andre, Mark, eigentl. Mark André* 10. Mai 1964 in Paris, Komponist. Andre studierte Komposition

bei Cl. Ballif und G. Grisey am Pariser Cons. (1987–1993) und wurdean der École Normale Supérieure Paris in Mw. mit einer Arbeit überdie Musik der Ars subtilior promoviert. 1995 setzte er sein Studium ander Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart beiH. Lachenmann fort. Einige Studien- und Arbeitsaufenthalte führtenihn zudem in das Experimentalstudio für akustische Kunst in Frei-burg i.Br. Seine Werke wurden bereits bei fast allen großen europäi-schen Musikfestivals, einschließlich der Salzburger Festspiele und desLucerne Festival, aufgeführt und werden regelmäßig von namhaftenInterpreten und Ensembles realisiert. Andre unterrichtete einigeJahre mit Lehraufträgen an der Hochschule für Musik und Darstel-lende Kunst Frankfurt a.M. und am Cons. de Strasbourg sowie mehr-mals als Doz. der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darm-stadt. Der seit 2005 in Berlin lebende Komponist erhielt für seinSchaffen viele Stipendien und Auszeichnungen (u.a. 1. Preis des Inter-nat. Kompositionswettbewerbs Stuttgart, 1992/93; Stipendium derAkad. Schloß Solitude, 1996; Kranichsteiner Musikpreis, 1996; 1. Preis imWettbewerb Blaue Brücke Berlin – Dresden, 1996; Förderpreis der Ernstvon Siemens Musikstiftung, 2002; DAAD-Stipendium, 2005/06; Christophund Stefan Kaske Kompositionspreis, 2006; Preis des SWR Sinfonieorch.Baden-Baden und Freiburg und Giga Hertz Produktionspreis, 2007) .

werke (wenn nicht anders angegeben bis 2006 bei Ricordi, Mailand/Paris, ab 2007 bei Peters, Wiesbaden)A. Vokalmusik

ein abgrund (nach Georg Büchner, Wozzeck ) für Baßbar., Va. und Vc. (1992) � kon-tra-etüde für 1 St., Vc./Kb. und Fg. (2001/02)

B. Musiktheater. . . 22,13. . . (Offenbarung des Johannes) , Musiktheater-Passion in drei Teilen(1999–2004; 2004 München) � . . . das O. . . (Offenbarung des Johannes) (2001; 2001Frankfurt a.M.) (nach Ingmar Bergmanns Film Das siebente Siegel, 1957)

C. InstrumentalmusikI. Orchester- und Ensemblewerke le trou noir univers für Instrumentalsoli-

sten, Orch. und Live-Elektronik (1992/93) � Le loin et le profond für Ens. (1994–1996) , Carus-Verlag � Fatal für Ens. (1995) � Un-Fini für Ens. (1996) , Carus Ver-lag � Modell für 4 Orchestergruppen (1999/2000) � durch für Ens. (2005/06)� . . . hoc . . . (2006) � . . . auf . . . I-III für Orch. (2007) � ni für Ens. (2008)

II. Kammermusik und Soloformen Un-Fini III für Kl. (1993–1995) � Un-Fini Ifür Hf. (1996) , Carus Verlag � ab I für Kontrabaßklar., Vc., 2 Schlagzeuger undKl. (1996/97) � ab II für Kontrabaßklar., Vc., Cymbalon, Schlgz., Kl. und Live-

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15 16Andrieu

Elektronik (1996/97) � Contrapunctus für Kl. (1998/99) � kanon für Kontrabaß-klar., Kb. und präpariertes Kl. (2000) � . . .als. . .I für BKlar., Vc. und Kl. (2001)� . . .als. . .II für Kontrabaßklar., Vc., Kl. und Live-Elektronik (2001) � . . .IN. . . fürverstärkte BKlar. (2001) � . . .zu. . . für Streichtrio (2003/04) � Asche für BFl.,BKlar., Va., Vc. und Kl. (2005) � ›. . .zum Staub sollst du zurückkehren‹ für 7 Instru-mentalisten (2005) � iv3 für Klar. solo (2007)

D. Schriften (Auswahl)Du paradigme de complexité dans l’Ars subtilior, Diss. Ecole Normale Supérieure Paris1994 (mschr. ) � Jean Barraqué, in: Musik & Ästhetik, H. 9, 1999, 109–113 � Die Fragenach der Architektur des Komponierens, in: dass., H. 13, 2000, 63–67 � Computer-assistedMusical Composition and Creation of a Compositional Model, in: Cl.-St. Mahnkopf(Hrsg. ) , The Foundations of Contempary Composing, Hofheim 2004, 159–164(= New Music and Aesthetics in the 21st Century 3) � Concerning the Morphology ofthe Constituent Materials of ». . .IN. . .«, for Amplified Bass Clarinett, in: Cl.-St. Mahn-kopf/Fr. Cox/W. Schurig (Hrsg. ) , Musical Morphology, ebd. 2004, 22–33(= dass. 2 ) � . . .von Osten und von Westen, von Norden und von Süden.. ., in: H.-P. Jahn(Hrsg. ) , auf (- ) und zuhören. 14 essayistische Reflexionen über die Musik unddie Person H. Lachenmanns, ebd. 2005, 196–209 � Die Schwelle als mögliches Gestal-tungsmittel beim Komponieren, in: J. P. Hiekel (Hrsg. ) , Sinnbildungen. SpirituelleDimensionen in der Musik heute, Mz. 2008 (= Veröff. des Inst. für Neue Musikund Musikerziehung 48)

Zum Wesen von Andres Musik gehört das Vermögen, subtilstekonstruktive Ideen mit einer besonderen Form des suggestiven Aus-drucks zu verbinden. Selbst wenn dabei in vielen Werken ein starkerEinfluß der Ästhetik Lachenmanns und der darin zentralen Idee einer»musique concrète instrumentale« zu spüren ist, entfernen sich die kom-positorischen Strategien und deren Resultate doch auch wesentlichvon denen seines zeitweiligen Lehrers. Charakteristisch ist einebesonders facettenreiche Klanggestaltung, in einer bemerkenswertgroßen Zahl von Werken von der Bevorzugung dunkler Farbengeprägt, die schon in der Wahl der Instrumente zum Ausdruckkommt (z.B. kanon für Kontrabaßklar., Kb. und Kl., 2000; Asche fürBFl., BKlar., Va., Vc. und Kl., 2005) . Zuweilen greift Andre auf unge-wöhnliche oder ungewöhnlich verfremdete Klangerzeuger wie etwapräparierte Harfe und Cimbal (beide in Fatal, 1995) , Renaissancelauteund Theorbe ( in Modell, 1999/2000) oder Oktobaßflöte ( le trou noir uni-vers, 1992/93) zurück. Noch wichtiger für alle Werkbereiche ein-schließlich der Orchesterkomposition ist dabei indes eine minutiösausgefeilte Verwendung elektroakustischer Klangmittel, mit beson-deren Akzentuierungen der überaus reichen Schattierungsmöglich-keiten von Live-Elektronik einschließlich räumlicher Auffächerun-gen. Auf dem Wege der Erkundung und Erweiterung sowohl instru-mentaler als auch elektronischer Gestaltungsmöglichkeiten geht denin sich oft sehr komplex angelegten Werken zumeist eine ausgiebigePhase der systematischen Klangerforschung voraus, die freilich nochin der Endfassung der Werke zu spüren ist, besonders in einemGestus der Suche. Ein wichtiger Faktor insb. des neueren Schaffens,der zu diesem Grundgestus korrespondiert, sind religiöse Perspekti-ven. Diese sind einerseits im Rückgriff auf Texte der Offenbarung desJohannes verankert (dies namentlich in dem viel beachteten Musik-theaterwerk . . .22,13. . ., 1999–2004) , vor allem aber durch eine konzep-tionelle Verklammerung metaphysischer und konstruktiverMomente. Hier ist vor allem das Phänomen der Schwelle bzw. desÜbergangs zu nennen, das gleichzeitig ein Element der nuanciertenprozessualen Gestaltung wie ein Symbol konstitutiver Glaubenser-fahrungen darstellt, von denen Andres Musik – fernab jedweder Kli-schees religiöser Musik – künden möchte. Sein als Tryptichon dreierEinzelstücke angelegter Orchesterzyklus . . .auf. . . (2007) etwa sucht,wie der Titel andeutet, die Erfahrung der Auferstehung Christi zuvergegenwärtigen. Obschon auch seine Musiktheaterkomposi-tion . . .22,13. . . jeder Plakativität enträt, auf klassische dramatischeGestaltung verzichtet und die Bibeltexte in bloß geflüsterter Weisepräsentiert, gelingt es dem Komponisten, in diesem Werk zugleich

einen politischen Bezug zu verankern: mit vom Band kommendenAnspielungen auf jenen Zug, in dem 1944 Gefangene ins Konzentra-tionslager Dachau verschleppt wurden.

literatur R. Brembeck, Klangwelt voller dunkler Geheimnisse: Musik vonM. Andre, in: NZfM 159, 1990, H. 1, 13f. � L. Conti, ( De )konstruktion und (De )frag-mentation in »AB II« von M. Andre, in: Musik & Ästhetik H. 9, 2000, 67–79 � J.-N. von

der Weid, Die Musik des 20. Jh., Ffm. 2001, 559–563 � Ders., Spiegelschach: Unzeitge-mäße Vorbemerkungen zu ». . .22,13. . .« von M. Andre, in: Dissonanz Nr. 74, 2002, 4–13

jörn peter hiekel

Andrieu, F.fl. um 1370–1380, Komponist. Der Name begegnet einzig als

Zuschreibung einer Doppelballade im Codex Chantilly (F-CH 564) ,was eine zeitlich-biographische Nähe zu den dort vertretendenKünstlern aus dem Umfeld von Gaston III. Phébus, Graf von Foix(1331–1391) , und König Johann I. von Aragón (reg. 1387–1398) vermu-ten läßt. Identifikationen mit dem im selben Ms. erwähnten Magi-ster Franciscus, der wiederum mit dem päpstlichen KapellsängerFranciscus de Goano in Verbindung gebracht wurde (U. Günther1964, S. 186) , lassen sich weder durch Konkordanzen noch archivali-sche Evidenz stützen. Auch ist Andrieu zu dieser Zeit ein geläufigerVor-, aber kein Nachname.

werk »Armes, amours«/»O flour des flours« (Eustache Deschamps) , Doppel-ballade 4v., in: F-CH 564, fol. 52; hrsg. 1. von W. Apel, French Secular Composi-tions of the Fourteenth Century, o.O. 1970, 2f. (= CMM 53/1) ; 2. vonG. K. Greene, French Secular Music, Ms-Chantilly, Musée Condé 564, Tl. 2,Monaco 1982, 114–116 (= PMFC 19)

Die Doppelballade, in der zwei dreistrophige Gedichte vonEustache Deschamps zusammengefügt sind, ist die erste erhaltenemusikalische déploration eines Komponisten auf einen Kollegen.Andrieu zielt dabei – bei aller stilistischen Anlehnung an Machautetwa in bezug auf die rhetorisch ausgefeilte Textdeklamation und dasArbeiten mit patchworkartig verwendeten melodischen Kurzfloskeln– erkennbar auf Expressivität: Der Beginn ist von einem dichten Netzsteigender und vor allem fallender Skalenausschnitte durchzogen; imweiteren Verlauf durchschreitet dann der Tenor noch mehrmals einfallendes Hexachord. Die Strophen schließen in einem phrygischenKlang mit Terz, wie überhaupt die Terz ungewöhnlich oft in Kaden-zen mit einbezogen wird. Auffällig ist die Gestaltung des Refrain-Be-ginns »la mort Machaut«. Die Stimmen finden sich in homorhythmi-scher Semibrevis-Deklamation zu zwei durch Fermaten gedehntenKleinterzklängen (cis-e-g für »mort«, e-g für »[Ma-]chaut« ) .

literatur G. Reaney, The Manuscript Chantilly, Musée Condé 1047, in: MD8, 1954, 59–113 � R. H. Hoppin/S. Clercx, Notes biographiques sur quelques musiciensfrançais du XIVe siècle, in: Kgr.Ber. Wégimont 1955, P. 1959, 63–92 � U. Günther,Zur Biogr. einiger Komponisten der Ars Subtilior, in: AfMw 21, 1964, 172–199 � J.-C. Mühlethaler, Un poète et son art face à la postérité: lecture des deux ballades deDeschamps pour la mort de Machaut, in: Studi francesi 33, 1989, 387–410 � R. Ma-

gnan, Eustache Deschamps and His Double: Musique naturele and musique artificiele, in:Ars Lyrica: Journal of Lyrica 7, 1993, 47–64

melanie wald

Anger, Louis* 5. Sept. 1813 in Andreasberg, † 18. Jan. 1870 in Lüneburg, Orga-

nist, Pianist, Komponist und Chorleiter. Aus »Anlage und Liebe zurMusik« (Mendel-Reißmann 1870) nahm Anger Klavier- und Orgelun-terricht bei einem ansässigen Organisten. Seit 1833 studierte er inWeimar bei Joh. N. Hummel und Joh. G. Töpfer Harmonielehre, Kon-trapunkt und die »Composition von Präludien, Fugen und Canons, so wieauch größerer Tonstücke für Kirche und Concert« (Töpfer; zit. nach J. Kre-

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17 18 Anghel

mer 2000, S. 181) . 1836 ließ er sich in Leipzig als Musiklehrer und Pia-nist nieder. Mit Hilfe gesammelter Zeugnisse (z.B. von Hummel,Töpfer, Mendelssohn, Schumann und G. Wilh. Fink) verlief AngersBewerbung um die Organistenstelle an St. Johannis in Lüneburg 1841erfolgreich. Als Pianist trat Anger weiterhin auf, etwa mit Klavierkon-zerten Hummels, Chopins, Mendelssohns, Moscheles, Beethovensund Mozarts. Seine große Bedeutung für die Musikpflege Lüneburgsunterstrich 1870 auch H. Stiehl (C. Schormann 1982, S. 127) bei seinerBewerbung um die Nachfolge.

werke (Auswahl)A. Vokalmusik

Sechs Lieder op.2, Lpz. o. J. � Christnacht (August Graf von Platen) op.4 � Vier Liederfür Mez. und Kl. op.7 � Fünf Lieder für 4st. Männergsg. op.9 � 6 Lieder für S, A, Tund B op.10 � Fünf Lieder für 4st. MCh. op.11, Winterthur 1861

B. Instrumentalmusik (wenn nicht anders angegeben, für Kl.)6 Pièces mélodieuses op.1, Lpz. o. J. � Grandes Variations [. . .] sur le thème »Ford’re Niemandmein Schicksal zu hören« op.3, Lpz. � Concert-Ouverture für grosses Orchester op.5, Lpz.o. J. � Praeludium und Fuge für die Orgel op.6, Lpz. 1854 � Genre-Bilder. 6 kleine Tondich-tungen op.8, Lpz. o. J.

C. BearbeitungenAllgemeines Choralmelodienbuch [. . .] nach den Quellen bearbeitet, Lüneburg 1863/64

Anger war im »Vortrag der neuesten Compositionen« bewandert(Mendelssohn; zit. nach J. Kremer 2000, S. 180) und wies eine gründli-che Kenntnis der Werke J. S. Bachs (Schumann; zit. nach ebd., S. 182)auf. Seine Choralmelodiensammlung orientiert sich an Gottlieb Frhr.von Tuchers, Joh. Zahns und Immanuel Gottlob Friedrich FaißtsMelodien des deutschen evangelischen Kirchengesangbuchs ( Stg. 1854) . ImBereich des Lüneburger Vereinswesens wirkte Anger vor allem mitder Gründung der Singacademie (1842) und der Leitung des Männerge-sangvereins (1854) . Dabei übernahm er Leipziger Programmvorlieben,was die Aufführung von Bachs Matthäuspassion (1854) , HändelsSamson (1852) , Mendelssohns Elias (1857) , Schumanns Sinfonie B-Dur(1841) , Schuberts Sinfonie C-Dur (1857) und Gades Comala (1850)sowie seine Historischen Konzerte belegen. Angers Lieder[n] für gemischtenChor op.10 attestierte die NZfM »melodische Erfindung, treffende Charak-teristik und gewandte Stimmführung« (Bd. 47, 1857, S. 55) .

literatur Joh. B. Heindl (Hrsg. ) , Galerie berühmter Pädagogen, verdienterSchulmänner, Jugend- und Volksschriftsteller und Componisten aus der Gegenwart, Bd. 1,Mn. 1859, 94 � Mendel-Reissmann 1 (1870) � C. Schormann, Studien zur Mg.der Stadt Lüneburg im ausgehenden 18. und im 19. Jh., Rgsbg. 1982 � J. Kremer, ZurMobilität und Repertoireverbreitung im 19. Jahrhundert. Der Lüneburger Org. L. Anger ( 1813–1870 ) im Urteil Mendelssohn-Bartholdys, Schumanns und Hummels, in: A. Edler/J. Kre-mer (Hrsg. ) , Niedersachsen in der Musikgeschichte. Zur Methodologie undOrganisation mus. Regionalgeschichtsforschung. Internationales SymposiumWolfenbüttel 1997, Agb. 2000, 161–183

joachim kremer

Anghel, Irinel* 14. Mai 1969 in Bukarest, Komponistin, Pianistin und Musik-

wissenschaftlerin. Zwischen 1976 und 1988 studierte Irinel AnghelKlavier am Bukarester Musiklyzeum »George Enescu«, danach 1989bis 1994 Musikwissenschaft und 1991 bis 1996 Komposition an derUniversitatea Nationala de Muzica. 2003 wurde sie promoviert undarbeitete 1994 bis 2004 als Assistentin am Inst. für Kunstgeschichte»George Oprescu«, nach 1996 auch als Redakteurin der FachzeitschriftMuzica. Danach gründete sie das Ensemble Pro Contemporania, mitdem sie als Pianistin Konzerte in Rumänien und anderen LändernEuropas und Amerikas unternahm und dessen Leiterin sie bis heute(2008) ist. Nach 2003 wurde sie Mitglied der Gruppe Inter-Art und spe-zialisierte sich auf die Improvisation, u.a. innerhalb der Formation

Free Sound. Sie ist Leiterin des internationalen Cross-over-FestivalsMultiSonicFest, des Festivals Muzica X, der Konzertreihe ImproVisions.Seit 2005 ist sie Präsidentin der Ges. Pro Contemporania. Sie wurde mitzahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem der rumänischenRundfunkanstalt (1998) , des rumänischen Komponistenverbandes(1998, 1999, 2002, 2004) , mit dem George-Enescu-Preis der rumäni-schen Akad. (1999) , dem Preis der Ernst von Siemens-Musikstiftung(2002) und dem International New Music Consortium Award (New York2003) . Anghel ist Mitglied des rumänischen Komponistenverbandes(UCMR), des Exekutivkomitees der rumänischen Sektion der Interna-tional Society for Contemporary Music ( ISCM), der Société des auteurs, com-positeurs et éditeurs de musique ( SACEM) sowie der Asociatia RomânaFemeilor în Arta (ARFA) . Sie ist mit dem Cellisten und KomponistenAndrei Kivu verheiratet.

werke

A. BühnenwerkeAmantii însângerati (Die blutigen Verliebten) , Bühnenmusik (2001) � ElizavetaBam (nach Daniil Harms) , op.buf. (2006 Bukarest, Bulandra-Theater)

B. Instrumentalmusik (veröff. meist bei Editura Muzicala, Bukarest)I. Orchesterwerke Muzica pentru Vasarely (1994) � Mitul lui Sisif (1995) � Turnul

Babel (Der Babel-Turm) (1996) � Rinocerii (Die Nashörner) (1997) � Mondes impos-sibles I – Hommage à Escher (1998) � Distances für 2 Trp., Cemb. und Orch. (1999)� Chimeres – Hommage à Rene Magritte (2000) � Labyrinthe für 1 Solost. und KaOrch.(2001)

II. Kammermusik Morfogenezã für Fl., Klar., Fg. und Schlgz. (1991) � Subcon-versatii (Untergespräche) für V., Klar., Pos. und Schlgz. (1992) � Invocatio fürinstr. Ens. und Stimmengruppe (1992) � Cellosonata (1993) � Für Elise String Quar-tet (1993) � Rezonante für Va., Vc., Kl. und Schlgz. (1997) � Entre le ciel et l’enfer –Hommage à Bosch für Ob., Klar., Fag., Kl., Schlgz. und Vc. (1997) � La Persistance de laMemoire – Hommage à Dali für 4 Schlagzeuger, V., Va., Vc., Orgel und Akkordeon(1998) � La Dissolution de la persistance de la memoire für 3 Schlagzeuger, Kb., Orgel,Akkordeon und Celesta (1998) � Miro en miroir – Hommage à Miro für Fl. (1998)� Pestera inimii (Die Höhle des Herzens) für Vc. und Schlgz. (1998) � Ephemeralequilibrium für Fg. (1999) � Silhouettes fantomatiques für 2 Vc., Schlgz. und Trp.(1999) � Povestea celor trei care au visat (Die Gesch. der drei, die geträumt haben)für Klar., V., Kl., Khaen, Schlgz. und tromba lontana (1999) � Metablues für Kl.(2000) � Everything and Nothing für Va. und Harmonica (2000) � Mystère für Fl.,Klar., Pos., V., Vc., Kl. und Schlgz. (2005) � Divers( ion ) für Sax., Kb., V., Va., Vc. undKl. (2005)

C. Ensembles und elektroakustische MusikVisions provoquées par un mystère für Vc., Kl., Schlgz., Khaen und Tonband (2001)� Le Quasi-Infini für 2 Fl., Akkordeon, V. und Va. (2001) � Fascination für Vc., Guzheng, Khaen und Tonband (2002) � Arrets für Akkordeon, V., Vc. und Tonband(2002) � ElEnigmes für elektr. Git., live electronics und Tonband (2004) � Electro-Trance für elektr. Git., Vc., live electronics und Sampler (2004) � Dadaphone fürSampler und Midi-keyboards (2005) � Electric Muse für Kl., Midi-keyboards,Stimme und live electronics (2005) � Ethereal Beauty für Gu zheng und Akkorde-on/live elctronics (2005) � Toys R Us für toy piano, toy marimba, Kalimba/ liveelctronics und Sampler (2005) � Hypnotic Visions, Videomusik (2005) � Bella mor-phina für Ocean harp und Waterphone (2006) � Ballerina für V., Kl. und Tonband(2007)

D. SchriftenOrientari, directii, curente ale muzicii românesti din a doua jumatate a secolului XX (Orien-tierungen, Richtungen, Strömungen in der rumän. Musik in der 2. Hälfte des20. Jh. ) , Bukarest 1997 � zahlreiche Artikel in Muzica (1991–2004)

Irinel Anghel zeigt als praktizierende Musikerin das Improvisie-ren im Konzert, wobei sie immer wieder neu zu experimentieren ver-sucht. Zu ihren bevorzugten Stilrichtungen zählen fusion-music( Crossover ) und live-electronic, wo sie neben elektronischen Sampling-Klängen in real-time auch traditionelle, elektronisch gesteuerte undexotische Instrumente verwendet. Verbunden mit surrealistischenund ›traumähnlichen‹ Akzenten ist Anghels Musik grundsätzlich derPostmoderne zuzuweisen und zeigt dabei als Besonderheit eine Aus-

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dehnung und Überlagerung zeitlicher Momente. Diese Art von›Meta-Stilismus‹ bindet dabei konsequent auch Einflüsse außereuro-päischer Kulturen mit ein.

literatur F. Ichim, Irinel Anghel si muzica de teatru, in: Teatrul Azi 2003,Nr. 6–8, 57–62 � D. Avakian, Pro Contemporania, un ambasador al muzicii noastre, in:România libera 2004, H. 10, 12 � O. Serban–Pârâu, Muzica, frontiere si fuziune, in:Adevarul literar si artistic 2004, H. 2, 6 � Dies., Pro Contemporania si dezinhibarea,in: dass. 2005, H. 19, 12 � C. Macesaru, Interviu cu Irinel Anghel, in: ShowTime,Bukarest 2006, 24f.

corneliu dan georgescu

Antunes, Manuel* 1707 (? ) in Lissabon, † 1. März 1796 ebd., Hauptfigur einer in Lis-

sabon ansässigen Cembalo- und Pianofortebauerfamilie, die währendder zweiten Hälfte des 18. Jh. den Typus der portugiesischen Kiel- undHammerflügel entscheidend ausprägte.

Von jüngsten, noch unveröffentlichten Forschungen zu Manuel,seinem Sohn Joaquim José und seinem Enkel João Baptista sind vieleneue Erkenntnisse bezüglich ihrer Familien- und Lebensumständezu erwarten, insbesondere hinsichtlich der bislang ungesichetenGeburts- und Todesdaten. Ungeklärt dürfte jedoch nach wie vor blei-ben, wo Manuel Antunes seine beruflichen Qualifikationen erwarboder inwieweit für die 1740er Jahre nachgewiesene deutsche oder ein-heimische Meister wie João Esvenich und Manuel Ângelo Villa direk-ten Einfluß ausübten. Deutlich präsent sind italienische Vorbilderaus der Hand von Bartolomeo Cristofori und Giovanni Ferrini.

Die frühesten erhaltenen portugiesischen Instrumente aus derZeit vor und um 1740 bis 1750 (einschließlich eines anonymen Piano-fortes in englischem Privatbesitz) dokumentieren jedoch florentini-sche Charakteristika und viele Züge einer genuin nationalen Tradi-tion, die in den Cembali und im Hammerflügel der Familie Antunesam deutlichsten zum Ausdruck kommen.

Durch das Erdbeben am 1. Nov. 1755 wurden große Teile Lissa-bons verwüstet; in der Folge kamen weite Bereiche der handwerkli-chen Produktion zunächst zum Erliegen, erstarkten jedoch relativschnell wieder. Die neuerliche Nachfrage nach besaiteten Tastenin-strumenten wurde durch ansässige (Antunes) und zugezogene Cem-balobauer (Matias Bostem [ca. 1740–1806], Henri-Joseph van Casteel[1722–1790]) befriedigt. Mit einem im Mai 1760 erteilten kgl. Privilegerhielt Antunes für die Dauer von zehn Jahren ein Exklusivrecht fürden Bau und die Kommerzialisierung von Instrumenten mit einervon ihm vorgeschlagenen verbesserten Hammermechanik. Das Pia-noforte aus dem Jahre 1767 (vgl. unten Nr. 2 ) steht der Konzeptionvon Cristofori sehr nahe, weist jedoch mit belederten Hammerköp-fen, in Gruppen geachsten Rotellae und den aufgesetzten (statt einge-lassenen) Stoßzungen eigenständige Lösungen auf.

Soweit aus indirekten historischen Quellen hervorgeht, scheintdie Familie Antunes eine beträchtliche Anzahl von Instrumentenhergestellt zu haben; unerklärlich ist die Tatsache, daß zwei ihrerInstrumente nur mit dem Nachnamen signiert sind. Zu ihren Mitar-beitern müssen auch José Cambiazo und José Calisto (erhalteneInstrumente datiert 1769 bzw. 1780) gehört haben, wie zahlreicheübereinstimmende Merkmale erkennen lassen.

Zu den weitestgehend gemeinsamen und typischen Bau- undGestaltungscharakteristika dieser Instrumente gehören u.a. die mitherzförmig nach oben gerichteten Wangen angelegten Fußgestelle,der hellgrüne Außenanstrich, die Verwendung von Fichtenholz fürGehäuse und Mechanikteile sowie südamerikanischen Edelhölzernfür die Klaviaturbeläge und Innengestaltung, ferner die Anlage derInnenkonstruktion und Berippung. Ihre Klangbilder sind durch einausgeprägt würziges und lebendiges Timbre gekennzeichnet.

werke ( erhaltene Instrumente; alle in Lissabon gefertigt)Cembalo (1758, »Joaquim José Antunes« ) , 8’+8’, C-e3, Lissabon, Museu da Música� Pianoforte (1767, »Antunes« [= Manuel Antunes]) , C-d3, Vermillion, NationalMusic Museum � Cembalo (1785, »Joaquim José Antunes« ) , 8’+8’, G1-g3, Goud-hurst, Finchcocks Museum � Cembalo (1789, »Antunes« [= João Baptista Antu-nes?] ) , 8’+8’, F1-a3, Lissabon, Museu da Música

literatur D. H. Boalch, Makers of the Harpsichord and Clavichord 1440–1840, hrsg. von Ch. Mould, Oxd. 31995 � S. Pollens, The Early Portuguese Piano, in:

EM 1985, 12, 18–27 � G. Doderer/J. H. van der Meer, Cordofones de Tecla Portu-gueses do século XVIII: Clavicórdios, Cravos. Pianofortes e Espinetas – Portuguese String Key-board Instruments of the 18th Century: Clavichords, Harpsichords, Fortepianos and Spinets,Lissabon 2005

gerhard doderer

Aphex Twin, AFX, Caustic Window, Polygon Window, u.a.,eigentl. Richard D. James* 18. Aug. 1971 in Limerick (Irland) , Musiker. Aphex Twin, ein

auch als ›Mozart des Techno‹ apostrophierter Exzentriker, begannseine Karriere schon als Schüler. Bereits aus den frühen 1980er Jahrenist eine Tätigkeit als DJ auf britischen Raves überliefert. Seine erstenWerke – mit Tonbandgerät und einem präparierten Klavier erstellteKlangcollagen – schuf er 1985 als Vierzehnjähriger. Als sie 1993 unterdem Titel Selected Ambient Works I 85–92 auf dem Sublabel Apollo desbelgischen Techno-Pioniers R&S Records erschienen, galten sie alswegweisend für eine Form der elektronischen Musik, die im Grenz-bereich von Avantgarde, Pop und elektronischer Tanzmusik angesie-delt ist. Kennzeichnend dafür sind komplexe Rhythmusstrukturenund verschachtelte Drum-Programmierungen, über die sphärischeToncluster gelegt sind. Mit diesen auch als ›Ambient House‹ firmie-renden futuristischen Klangarchitekturen entzog sich der experi-mentierfreudige Klangbastler bewußt einer größeren Öffentlichkeit,wurde damit aber immens einflußreich für jene Generation vonMusikern, die sich den Computer als Medium der künstlerischenSelbstverwirklichung erschlossen. Er selbst hatte lediglich mit denfür seine Musik eher untypischen Produktionen Didgeridoo (1992)und On (1993) Chart-Erfolge. Für Aufsehen sorgte 1995 eine im Inter-net ausgetragene Kontroverse mit K. Stockhausen, der wenig Ver-ständnis für diese neuen Formen elektronischer Musik aufbrachteund dies auch offen ausgesprochen hatte, obwohl sich deren Vertreterhäufig gerade auf ihn als Wegbereiter beriefen. 1999 erschien mitWindowlicker eine Produktion von Aphex Twin, die sich als eine derersten konsequent auf die polymorphe Spezifik digitaler Medien ein-ließ. Werden die klanggenerierenden Algorithmen mit einer Softwareausgelesen, die das Frequenzspektrum bildlich darstellt, erscheinenin ihnen versteckte Abbildungen u.a. des Musikers selbst. Zugleichmarkierte diese Produktion mit einem aufsehenerregenden Video denBeginn der Zusammenarbeit mit dem britischen Video-KünstlerChris Cunningham (* 1970) , die noch im gleichen Jahr in der Verlei-hung des renommierten Prix Ars Electronica an beide Künstler kulmi-nierte. Aphex Twin, der zu den bedeutendsten Vertretern der in den1990er Jahren unter der Bezeichnung Electronica bekannt gewordenenMusik gehört, ist unter diversen Pseudonymen auch mit virtuosenRemixen der Arbeit anderer (Die fantastischen Vier, Nine Inch Nails,Lemonheads ) bekannt geworden. Seit 2001 betätigt er sich wieder häu-figer als DJ, veröffentlicht aber immer wieder auch elektronischeInstallationen, oft in so stark limitierten Auflagen, daß sie zu begehr-ten Sammlerstücken werden.

diskographie (unter dem Namen Aphex Twin und bei Warp erschienen,sofern nicht anders angegeben)

Polygon Window, Surfing on Sine Waves (1992) � Selected Ambient Works I 85–92( Apollo, 1993) � Selected Ambient Works II (1994) � Words & Music ( Sire, 1994) � CausticWindow, Caustic Window ( R&S, 1994) � I Care because You Do (1995) � Classics (1995)

Page 12: Die Musik in Geschichte und Gegenwart Supplement · nationalen Festival Aspekte Salzburg für zeitgenössische Musik, war 1981 bis 1994 Präs. derEuropäischen Konferenz der Veranstalter

21 22 Arnecke

� Richard D. James Album (1996) � Windowlicker (1999) � Drukqs (2001) � 26 Mixes forCash (2003) � AFX, Hangable Autobulb (2006) � Chosen Lords ( Rephlex, 2006)

literatur G. Rule, Electro Shock! Groundbreakers of Synth Music, San Fran-cisco/Cal. 1999

peter wicke

Arnecke, Jörn* 28. Sept. 1973 in Hameln, Komponist. Jörn Arnecke erhielt seit

seiner Kindheit Instrumentalunterricht und wurde in Tonsatz undKomposition ausgebildet. 1993/94 setzte er seine Kompositionsstu-dien bei W. Hiller in München fort. Anschließend studierte er Kom-position und Musiktheorie bei P. M. Hamel und Volkhardt Preuß ander Musikhochschule Hamburg. 1997/98 nahm er am Cons. Paris beiGérard Grisey Kompositionsunterricht; 1998 war er Mitarbeiter desIRCAM (Institut de recherche et de création acoustique/musique) .Seit 2001 hat Arnecke eine Teilzeitprofessur für Musiktheorie an derMusikhochschule Hamburg. Im gleichen Jahr erhielt er von derHamburger Staatsoper den Kompositionsauftrag für Das Fest im Meer(2003 Hamburg) und 2005 für das Musiktheater Butterfly Blues (2005ebd. ) . Arnecke wurden mit mehreren Preisen geehrt, darunter derFörderpreis des Göttinger Symphonie-Orchesters (1998) , der Preis desDeutschen Tonkünstlerverbandes (1999) , das Bach-Preis-Stipendium derHansestadt Hamburg, ein Stpiendium der Bundeskünstlerförderungim Studienzentrum Venedig, der Paul-Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals und ein Stipendium für den Aufenthalt in derVilla Massimo (2007) .

werke ( erschienen bei Edition Gravis, Bad Schwalbach, wenn nichtanders angegeben)A. Vokalmusik

Rondeaux (Charles d’Orléans) für Mez. und 3 Instr. (1997/98) , Ms. � Strophen zumWir (Rainer Maria Rilke) , 4 Lieder für mittlere St. und Kl. � Aus Jesaja ( Jesaja 2,4)für Vokalens. (2000) � Erstarrung (Wilhelm Müller/Reiner Kunze) für S, Spre-cherin und Kammerens. (2000) � Auf dem Wasser zu singen, 7 Lieder nach FranzSchubert und Johannes Brahms für T und 18 Str. (2005/06) � Äther (HannahDübgen) für S und Kammerens. (2006) � Terra maligna (dies. ) für S und 4 Instr.(2006)

B. BühnenwerkeKlingt meine Linde (Astrid Lindgren) , musikalisches Märchen 6 Szenen (1995–1998) , Verlag für Kindertheater � Ariadne, Opernszene für 3 Solisten und Kam-merens. (1999) � Das Fest im Meer (Francis Hüsers nach John Berger, To the Wed-ding ) , Musiktheater 3 Abschnitte für 6 Sänger und KaOrch. (2001/02) � Drei Hel-den (Hüsers nach Motiven von Homer/Daniel Defoe/Miguel de Cervantes) ,Farce für Musik für 6 Solisten und Kammerens. (2003/04) , Ms. � Butterfly Blues(Henning Mankell, dt. Claudia Romeder) , Musiktheater 8 Szenen für 4 Sängerund KaOrch. (2004) � Unter Eis (Falk Richter) , Musiktheater 13 Szenen für Sän-ger, Schauspieler und Orch. (2006/07)

C. InstrumentalmusikI. Orchesterwerke Nachtferne für Orch. (1996) � Frage für Orch. (1997/98)

� Folie für Orch. (2000) � Gezeiten, Fantasie für gr.Orch. (2005) � Zwischen den Was-sern, 9 Intermezzi für 18 Str. (2005/06)

II. Kammermusik Einstimmig zweistimmig für 2 Ob. (1996) � Kreuzspiel für Fl.solo (1996/97) � Schwerelos, 3 Stücke für Hf. solo (2000/2005) � ›zwei mal zwei‹,Zyklus für Vc. und Kl. (2001/2005) � In Stille, StrQu. Nr. 1 (2002) , Ms. � Inschriften,StrQu. Nr. 2 (2003) � Weißer Rauch für BKlar. solo (2003) � Alea / Talea, KlaviertrioNr. 1 (2005/06) � Berührungen, 8 Miniaturen für BFl. und Va. (2005)

Arnecke wurde während seiner Mitwirkung bei der Zivildienst-Musikgruppe in München zunächst durch W. Hiller geprägt. Dasanschließende Studium in Hamburg und vor allem sein Paris-Auf-enthalt haben den heute eigenständigen Kompositionsstil mit ent-wickeln helfen, als dessen Charakteristikum das frühzeitige Verlasseneiner Tonalitätsbindung zu nennen ist, ohne dabei in den Post-Seria-lismus oder in Aleatorik zu verfallen. Der kompositorische Ambitusvon Arneckes Schaffen reicht von ›Scheintonalität‹ bis zur Bildungvon Cluster-Akkorden und Vierteltonschritten, wobei er musikalischund szenisch eines starke Aussagekraft erreicht hat. Arnecke schriebzunehmend für größer besetzte Ensembles und ging von der Solobe-setzung über die Kammermusik bis zum großen Orchester; szenischbegann er mit der klein besetzten Opernszene und gelangte bis zurabendfüllenden großen Oper Unter Eis. Zur immer stärkeren Hin-wendung seiner szenischen Begabung haben dabei sicherlich dieKompositionsaufträge der Hamburgischen Staatsoper und der Ruhr-Triennale beigetragen. Unter Eis stellt eine unitäre Entwicklung dar;hier erfolgt eine solistische Aufsplitterung in 28 Einzelspieler, die ihreSitzposition zu ändern haben und damit eine szenische Komponentehervorrufen sollen, wobei die Verständigung zwischen Dirigent undSpieler nur über Monitore möglich ist.

rudolf lück

Jörn Arnecke, Foto: Bernd Thissen/ RuhrTriennale