Die Luecke im Naturkostladen

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26 SONNABEND/SONNTAG, 26./27. SEPTEMBER 2009 DIE TAGESZEITUNG DIE GANZE www.taz.de [email protected] Aymara seit Jahrtausenden als heilig. Lange wurde Koka nur im reli- giösen Kult und in der Medizin verwendet. Und auf Reisen, weil das Kauen von Kokablättern wachhält und den Hunger unter- drückt. Erst in der Kolonialzeit wurde Koka massenhaft einge- setzt. Damit die Einheimischen in den bis zu 5.000 Meter hoch gelegenen Minen, ohne viel zu essen, lange schuften und für die Spanier die Silbervorkommen der Region ausbeuten konnten, gab man ihnen Koka zum Kauen. Das Blatt war für den Andenkapi- talismus so wichtig, dass es in ei- nem Dekret vom 4. August 1940 zum Grundnahrungsmittel er- klärt wurde. Minenarbeiter be- kommen noch heute beim Ein- fahren in den Stollen eine im Ta- rifvertrag vereinbarte Menge Blätter. In den Siebzigerjahren wur- den die bis dahin staatlichen Mi- nen privatisiert – die Folge waren Massenentlassungen. Doch für die arbeitslos gewordenen Knap- pen gab es eine lukrative Alterna- tive: Statt Koka nur zu kauen, bauten sie es an. In den USA stieg Kokain in diesen Jahren zur Mo- dedroge auf, die Nachfrage war groß. Die Anbaufläche in Bolivi- en wuchs von rund 10.000 auf über 50.000 Hektar an. Kolum- bianische Drogenkartelle konn- ten in den 80er-Jahren in der da- mals neu erschlossenen Koka- region Chapare den zu Paste kon- zentrierten Grundstoff des Koka- ins offen einkaufen. Anders als die Regierungen in Peru und Kolumbien gingen die bolivianischen Behörden nie sonderlich repressiv gegen den Kokaanbau vor. Für den traditio- nellen Gebrauch wurden 12.000 Hektar Kokapflanzungen legali- siert, jede Bauernfamilie darf ein Cato mit Kokasträuchern – 40 mal 40 Meter – behalten. Für ver- nichtete Kokaplantagen gab es Entschädigungen. Und obwohl nie richtig definiert wurde, wel- che Pflanzungen nun zu den le- galen 12.000 Hektar gehören und welche nicht, sank die An- baufläche von über 50.000 Hek- tar auf rund 15.000 Hektar im Jahr 2000. Die Einkünfte aus dem Drogenhandel gingen ent- sprechend von rund 800 Millio- nen Dollar auf knapp 300 Millio- nen zurück. In den vergangenen Jahren aber wurden die Anbauflächen wieder auf gut 30.000 Hektar ausgeweitet. Präsident Morales hat seinen Gewerkschaftsgenos- sen versprochen, den legalen An- teil von 12.000 auf 20.000 Hekt- ar zu erhöhen. Natürlich nicht, um die Nachfrage der Kokainkar- telle zu befriedigen. Nein, in Bo- livien soll eine eigene Koka-In- dustrie entstehen, die die positi- ven Eigenschaften des Blattes nutzt. Die Lücke im Naturkostladen BOLIVIEN Seit er 2005 zum Präsidenten gewählt wurde, kämpft Evo Morales für den Ausbau des Handels mit Koka, dem „heiligen Blatt“. In Bolivien kennt man die Vorzüge. Eine Industrie soll entstehen, mit Shampoos, Tees und Bonbons. Der Rest der Welt sieht nur das Kokain VON TONI KEPPELER (TEXT) UND LUKAS COCH (FOTOS) er Flughafen von La Paz liegt gut 4.100 Meter über dem Meeresspiegel. Flachländer kippen dort wegen des knappen Sauerstoffs leicht um. Schwindelgefühle vor dem Schalter der Einreisebehör- de sind normal, beim anschlie- ßenden Geldwechseln bohrt sich ein Schmerz tief ins Gehirn. Die Hotels der bolivianischen Hauptstadt sind auf solche Kala- mitäten vorbereitet. Ganz selbst- verständlich liegen auf dem Zim- mer, gleich neben einem Wasser- kocher, zwei Teebeutelchen mit fein geschnittenen Kokablättern. Aufgebrüht schmeckt das etwa wie die Kräutertees in der Ju- gendherberge. Aber es wirkt. Nach kurzer Zeit lassen Kopf- schmerzen und Schwindelge- fühle nach. Die Indígenas in Boliviens Hochland wissen seit Jahrtau- senden, dass Koka gegen Höhen- krankheit hilft, und Evo Morales weiß es auch. Er ist nicht nur Prä- sident des Landes, sondern gleichzeitig Vorsitzender der Vereinigten Gewerkschaften der Kokabauern. Er fühlt sich auch als Staatschef verpflichtet und fördert den Kokaanbau, natür- lich nur den legalen. Und damit das auch klar ist, heißt das Motto der entsprechenden Regierungs- kampagne „Coca no es cocaína“ – „Koka ist kein Kokain“. Tatsächlich enthält das Koka- blatt höchstens 1 Prozent des Al- kaloids Kokain, dazu große An- teile von Kohlehydraten, Kalzi- um, Proteinen und Eisen und die Vitamine A und B 2. Ein gesundes Pflänzchen. In bolivianischen Buchhandlungen findet man Heilkundefibeln, die Kokarezep- turen gegen allerhand Zipper- lein enthalten. Weil es heilend wirkt, gilt das Blatt dem Volk der D .............................................. .............................................. 3.500 Jahre Koka 3.500 v. Chr.: Der Kokastrauch wird von der Küste des heutigen Peru auf die Hochebene der Anden gebracht. Um 300 n. Chr.: In Los Yungas werden erste Kokafelder angelegt. Die Bewohner des Hochlands glau- ben, die Pflanze sei göttlichen Ur- sprungs, weil ihre Blätter den Hun- ger stillen und Kraft geben. 1855 und 1860: Zwei deutschen und einem italienischen Chemiker gelingt es, unabhängig voneinan- der das Alkaloid Kokain aus dem Blatt zu isolieren. Seit 1879: Die Droge wird medi- zinisch eingesetzt. Hundert Jahre später wird Kokain zur Modedroge. 1885: Der Pharmazeut John Stith Pemberton mischt aus Wein, Kolanüssen, Damiana und Koka- extrakt einen Sirup. Später wird der Wein durch Sodawasser er- setzt. Coca-Cola ist erfunden. In der Region Los Yungas: Kokablätter liegen zum Trocknen aus. Von hier aus geht es in Säcken zum Markt Kekse mit Kokamehl in der Form von Kokablättern: Die ökologische Bäckerei Irupana macht es möglich Kokaprodukte aller Art gibt es an diesem Stand in La Paz: Tees, Kaugummis, Bombons Fotos: Lukas Coch/Zeitenspiegel

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TAZ 09/2009

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26 SONNABEND/SONNTAG, 26./27. SEPTEMBER 2009 ! DIE TAGESZEITUNG DIE GANZEwww.taz.de

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Aymara seit Jahrtausenden alsheilig.

Lange wurde Koka nur im reli-giösen Kult und in der Medizinverwendet. Und auf Reisen, weildas Kauen von Kokablätternwachhält und den Hunger unter-drückt. Erst in der Kolonialzeitwurde Koka massenhaft einge-setzt. Damit die Einheimischenin den bis zu 5.000 Meter hochgelegenen Minen, ohne viel zuessen, lange schuften und für dieSpanier die Silbervorkommender Region ausbeuten konnten,gab man ihnen Koka zum Kauen.Das Blatt war für den Andenkapi-talismus so wichtig, dass es in ei-nem Dekret vom 4. August 1940zum Grundnahrungsmittel er-klärt wurde. Minenarbeiter be-kommen noch heute beim Ein-fahren in den Stollen eine im Ta-rifvertrag vereinbarte MengeBlätter.

In den Siebzigerjahren wur-den die bis dahin staatlichen Mi-

nen privatisiert – die Folge warenMassenentlassungen. Doch fürdie arbeitslos gewordenen Knap-pen gab es eine lukrative Alterna-tive: Statt Koka nur zu kauen,bauten sie es an. In den USA stiegKokain in diesen Jahren zur Mo-dedroge auf, die Nachfrage wargroß. Die Anbaufläche in Bolivi-en wuchs von rund 10.000 aufüber 50.000 Hektar an. Kolum-bianische Drogenkartelle konn-ten in den 80er-Jahren in der da-mals neu erschlossenen Koka-region Chapare den zu Paste kon-zentrierten Grundstoff des Koka-ins offen einkaufen.

Anders als die Regierungen inPeru und Kolumbien gingen diebolivianischen Behörden niesonderlich repressiv gegen denKokaanbau vor. Für den traditio-nellen Gebrauch wurden 12.000Hektar Kokapflanzungen legali-siert, jede Bauernfamilie darf einCato mit Kokasträuchern – 40mal 40 Meter – behalten. Für ver-nichtete Kokaplantagen gab esEntschädigungen. Und obwohlnie richtig definiert wurde, wel-che Pflanzungen nun zu den le-galen 12.000 Hektar gehörenund welche nicht, sank die An-baufläche von über 50.000 Hek-tar auf rund 15.000 Hektar imJahr 2000. Die Einkünfte ausdem Drogenhandel gingen ent-sprechend von rund 800 Millio-nen Dollar auf knapp 300 Millio-nen zurück.

In den vergangenen Jahrenaber wurden die Anbauflächenwieder auf gut 30.000 Hektarausgeweitet. Präsident Moraleshat seinen Gewerkschaftsgenos-sen versprochen, den legalen An-teil von 12.000 auf 20.000 Hekt-ar zu erhöhen. Natürlich nicht,um die Nachfrage der Kokainkar-telle zu befriedigen. Nein, in Bo-livien soll eine eigene Koka-In-dustrie entstehen, die die positi-ven Eigenschaften des Blattesnutzt.

Die Lücke

imNaturkostladen

BOLIVIEN Seit er 2005 zum Präsidenten gewählt wurde,kämpft Evo Morales für den Ausbau des Handels mitKoka, dem „heiligen Blatt“. In Bolivien kennt man dieVorzüge. Eine Industrie soll entstehen, mit Shampoos,Tees und Bonbons. Der Rest der Welt sieht nur das Kokain

VON TONI KEPPELER (TEXT)

UND LUKAS COCH (FOTOS)

er Flughafen von La Pazliegt gut 4.100 Meterüber dem Meeresspiegel.Flachländer kippen dort

wegen des knappen Sauerstoffsleicht um. Schwindelgefühle vordem Schalter der Einreisebehör-de sind normal, beim anschlie-ßenden Geldwechseln bohrt sichein Schmerz tief ins Gehirn. DieHotels der bolivianischenHauptstadt sind auf solche Kala-mitäten vorbereitet. Ganz selbst-verständlich liegen auf dem Zim-mer, gleich neben einem Wasser-kocher, zwei Teebeutelchen mitfein geschnittenen Kokablättern.Aufgebrüht schmeckt das etwawie die Kräutertees in der Ju-gendherberge. Aber es wirkt.Nach kurzer Zeit lassen Kopf-schmerzen und Schwindelge-fühle nach.

Die Indígenas in BoliviensHochland wissen seit Jahrtau-senden, dass Koka gegen Höhen-krankheit hilft, und Evo Moralesweiß es auch. Er ist nicht nur Prä-sident des Landes, sonderngleichzeitig Vorsitzender derVereinigten Gewerkschaften derKokabauern. Er fühlt sich auchals Staatschef verpflichtet undfördert den Kokaanbau, natür-lich nur den legalen. Und damitdas auch klar ist, heißt das Mottoder entsprechenden Regierungs-kampagne „Coca no es cocaína“ –„Koka ist kein Kokain“.

Tatsächlich enthält das Koka-blatt höchstens 1 Prozent des Al-kaloids Kokain, dazu große An-teile von Kohlehydraten, Kalzi-um, Proteinen und Eisen und dieVitamine A und B2. Ein gesundesPflänzchen. In bolivianischenBuchhandlungen findet manHeilkundefibeln, die Kokarezep-turen gegen allerhand Zipper-lein enthalten. Weil es heilendwirkt, gilt das Blatt dem Volk der

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3.500 Jahre Koka

! 3.500 v. Chr.: Der Kokastrauchwird von der Küste des heutigenPeru auf die Hochebene der Andengebracht.! Um 300 n. Chr.: In Los Yungaswerden erste Kokafelder angelegt.Die Bewohner des Hochlands glau-ben, die Pflanze sei göttlichen Ur-sprungs, weil ihre Blätter den Hun-ger stillen und Kraft geben.! 1855 und 1860: Zwei deutschenund einem italienischen Chemikergelingt es, unabhängig voneinan-der das Alkaloid Kokain aus demBlatt zu isolieren.! Seit 1879: Die Droge wird medi-zinisch eingesetzt. Hundert Jahrespäter wird Kokain zur Modedroge.! 1885: Der Pharmazeut JohnStith Pemberton mischt aus Wein,Kolanüssen, Damiana und Koka-extrakt einen Sirup. Später wirdder Wein durch Sodawasser er-setzt. Coca-Cola ist erfunden.In der Region Los Yungas: Kokablätter liegen zum Trocknen aus. Von hier aus geht es in Säcken zum Markt

Kekse mit Kokamehl in der Form von Kokablättern: Die ökologische Bäckerei Irupana macht es möglich

Kokaprodukte aller Art gibt es an diesem Stand in La Paz: Tees, Kaugummis, Bombons Fotos: Lukas Coch/Zeitenspiegel

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Nach einer Umfrage kauenschon heute gut 60 Prozent allerBolivianer regelmäßig Kokablät-ter. Kokatees gibt es in großerAuswahl in jedem Supermarkt.Aber Morales denkt auch an denExport, nicht nur von Blätternund Tee. Wenn es nach ihm gin-ge, würden auch Kokamedizin,Kokashampoos und Kokage-sichtscremes um die Welt ge-schickt. Dazu noch Kokawein, Ko-kaschnaps und für die DamenKokaparfüm. Alles aus boliviani-scher Produktion. Doch der Ein-zige, der bislang den Import sol-cher Produkte in Aussicht ge-stellt hat, ist Venezuelas Präsi-dent Hugo Chávez.

Nicht mehr als drei GläserKokawein am Tag

Ansonsten schlägt Morales nurAblehnung entgegen. Das Koka-blatt gilt weltweit als geächteteDroge. Der Präsident und Koka-gewerkschafter bemüht sichzwar seit Jahren, dass die Pflanzevon der schwarzen Liste derUNO-Drogenkommission ge-nommen wird und nur das Koka-in dort bleibt – ohne Erfolg.

In bescheidenem Umfang gibtes in Bolivien schon heute so et-was wie eine Koka-Industrie.Gleich neben dem Platz vor derSan-Francisco-Kirche von La Paz,wo Kunsthandwerk für Touristenangeboten wird, hat eine Ayma-ra-Frau ihren Stand. Neben Koka-blättern und Kokatee hat sie ver-schiedene Naturheilmittel,Shampoos, Gesichtscremes,Lutschbonbons und Kaugummisauf Kokabasis im Angebot. SelbstKokawein verkauft sie. Erschmeckt ein bisschen wie Hus-tensaft und wirkt wie andere al-koholische Getränke. Auf der Fla-sche steht, man solle sich nichtmehr als drei Gläschen pro Taggönnen.

Senator Lino Vilca konsumiertKoka ganz traditionell: Er kaut es.Bevor er in den Senat gewähltwurde, war er Vorsitzender derKokabauern-Gewerkschaft imAnbaugebiet von Los Yungas, woKoka seit fast 2.000 Jahrenwächst. Beim Jahreskongress derGewerkschaft in Irupana, 120 Ki-lometer nordöstlich von La Paz,wird Vilca als Ehrengast erwar-tet. Die Straße windet sich zu-nächst auf knapp 5.000 Meter hi-nauf. Dann wird sie zur einspuri-gen Schlammpiste und schlän-gelt sich, garstigen Abgründenentlang, durch Bachbetten undunter Wasserfällen hindurch auf1.400 Meter herunter. Nach

sechs Stunden Fahrt erreichtman Irupana, ein 6.000-Einwoh-ner-Städtchen mit Kolonialhäus-chen und heruntergekomme-nen Betonbauten. Die Straßensind grob gepflastert. Gut tau-send Kokabauern warten in einerschmucklosen Halle.

Das Präsidium sitzt auf demPodium hinter einem Tisch. EinBauer schüttet einen Sack Koka-blätter darauf aus. Im Laufe desTages muss er das mehrfach tun.Kokablätter haben mit Erdnüs-sen gemein, dass man anfängt zuknabbern und nicht mehr aufhö-ren mag. Am Abend haben dieGewerkschaftsführer geweitetePupillen. Sie sind guter Dinge.

„Das Koka hier hat mittlereQualität“, sagt der KokabauerLuis Poma. Beste Qualität, daswären zarte tiefgrüne, kaum geä-derte Blättchen, die im Mund fastzergehen und beim Kauen so gutwie keinen Rest hinterlassen.Mindere Qualitäten wachsen imTiefland von Chapare. Sie sindgroßadrig und fast ledern, ent-halten aber mehr Kokain.

Pomas Pflanzung ist inschmalen Terrassen an einensteilen Hang gebaut. Ein biss-chen sieht es dort aus wie in ei-ner Baumschule: In ein paar Rei-

gut 60 Euro für einen Sack. 70Prozent der Wirtschaft von Iru-pana hängen am Koka, sagt Bür-germeister Clemente Mamani.Alles natürlich legal. „Dass eshier Drogenhandel gibt, habe ichals Kind einmal gehört“, sagt er.„Aktuell ist das kein Problem.“

Wer das wohl glauben mag?Der Preis für Koka ist nur deshalbviel höher als der andererGrundnahrungsmittel, weil esgleichzeitig Nachfrage vomSchwarzmarkt gibt. René Sanab-ria, Chef der bolivianischen Anti-drogenpolizei, schätzt, dassmehr als 50 Prozent der Produk-tion des Landes in den Drogen-handel gehen. Die UNO geht gardavon aus, dass von den 54.000Tonnen Kokablättern, die im ver-gangenen Jahr in Bolivien geern-tet wurden, 42.000 in die örtli-chen Drogenlabors gingen unddort zu 113 Tonnen Kokain verar-beitet wurden.

Längst verkaufen die Bolivia-ner nicht mehr das Halbfertig-produkt Kokapaste an kolumbia-nische Kartelle. Der Transportwäre heute wegen der engma-schiger gewordenen Luftüberwa-chung viel zu teuer und gefähr-lich. In den Kokainküchen von ElAlto, einer fast nur von Aymarabewohnten Armenstadt auf derHochebene über La Paz, stellenheute kleine Betriebe in Hinter-höfen das Endprodukt für densüdamerikanischen Drogen-markt her. Aymara-Clans habenden Handel mit legaler und ille-galer Ware im kleinen Grenzver-kehr mit den Nachbarländernfest im Griff.

Auf den Straßen aus den An-baugebieten gibt es Kontrollstel-len der Drogenpolizei, und imKokagroßmarkt von La Paz mussjeder Produzent beim Warenein-gang und jeder Händler, der dieSäcke hinauskarrt, seine Papiereabstempeln lassen. Ab morgensum 5 liefern die Produzenten an,ab 8.30 Uhr dürfen die Säcke vonden Aufkäufern abtransportiertwerden. An jedem Tag herrschthier Hochbetrieb, auch samstagsund sonntags.

In den langen Fluren des drei-geschossigen Gebäudes reihensich die nach Anbauregionen ge-ordneten Verkaufsräume anein-ander. Im Erdgeschoss wird min-dere Qualität umgeschlagen, imersten Stock mittlere Qualität,und ganz oben sind die Spitzen-produkte im Angebot. Es riechtwie in einem Kräuterladen.

Ein Cato produziert etwa sechsSäcke Koka alle drei Monate, er-

klärt die Beamtin des Landwirt-schaftsministeriums, die denUmtrieb im Kokakontor über-wacht. Die Hälfte dieser Mengedürfen Bauern auf dem Groß-markt umschlagen, die anderesei für den lokalen Markt vor Ort.Neuerdings aber gibt es Ausnah-meregelungen, nach denen Pro-duzenten bis zu dreimal so vielKoka auf den Großmarkt bringendürfen. „Es gibt einen richtigenAnsturm auf diese Genehmigun-gen“, sagt die Beamtin.

Ein paar Häuserblocks vomGroßmarkt entfernt stehen dieProduktionshallen des Unter-

nehmers Javier Hurtado. Früherwar er Trotzkist, weshalb er wäh-rend der Militärdiktatur Anfangder Achtzigerjahre ins Exil ging,in Berlin in einem besetztenHaus wohnte und dort die An-fänge der Ökobewegung kennen-lernte. Hurtado stammt aus Iru-pana, und so heißt heute seineNaturkostladenkette, in der erneben organischem Kaffee,Amarant und Quinoa der bolivia-nischen Mittelschicht allerlei fei-ne Kokaprodukte verkauft: Heil-essenzen, Lutschbonbons, Kekse,Mehl. Seinen Rohstoff kauft ernicht bei den Bauern seiner Hei-matgemeinde; er produziert ihnselbst, rein biologisch. Er ist welt-weit der einzige amtlich zertifi-zierte organische Kokabauer.Man schmeckt es. Seine Kokapro-dukte haben eine andere Quali-tät als die eher rustikale Ware derAymara-Frau bei der Kirche vonSan Francisco. Sie sind feiner undnicht so herb.

Der Kokaanbau zerstörtWälder und Böden

„Was heute im Anbaugebiet vonLos Yungas passiert, ist der reineWahnsinn“, sagt Hurtado. Kaffee-und Früchteplantagen würdenzugunsten von neuen Koka-pflanzungen aufgegeben, unddie würden bewässert, um nichtnur drei, sondern vier Ernten imJahr zu bringen. „Die letzten Wäl-der werden abgeholzt, die Bödenlaugen aus, die bewässerten Hän-ge rutschen ab. In 20 Jahren wirdLos Yungas eine Wüste sein.“

In vorkolumbianischer Zeithätten die Menschen gewusst,wie man vernünftig Koka an-baut: Man schlug nur kleine Fel-der aus dem Wald, meist in Hang-lagen, wo nichts anderes wächst.„Das war nachhaltige ökologi-sche Waldwirtschaft.“

Trotzdem freut sich Hurtado,dass sein Präsident die Vermark-tung von Koka fördert. Nur dasMotto der Kampagne sei blödsin-nig. Von wegen Koka sei kein Ko-kain. „Ohne Kokain wäre Kokavöllig langweilig“, sagt der Öko-unternehmer. „Kokain stimu-liert. Es nimmt dir die Depressio-nen. Du bleibst wach, ohne ner-vös zu sein.“ Für lange Autofahr-ten, für Studenten im Examens-stress, überhaupt für die deut-sche Leistungsgesellschaft wäreso etwas „einfach fantastisch“.Und warum nicht ein Kokakeks-chen nach einem reichhaltigenEssen? „Das fördert die Verdau-ung.“ Man müsse es nur „mit Ver-stand zu sich nehmen“.

Dass Hurtado getrockneteBlätter zu Mehl mahlen und inSüßigkeiten mischen lässt, istnur ein erster Schritt. Er träumtvon organischen Kokakaugum-mis, die anders sein müssten alsdiejenigen, die heute schon ver-kauft werden. Denen sind feingeschnittene Blätter beige-mischt. „Da bleibt immer ein ek-liger Rest im Mund“, und das magdie etwas feinere Kundschaft sei-ner Naturkostläden nicht. Manmüsse das Koka zu einem Sirupkonzentrieren und mit einer or-ganischen Kaumasse mischen,schwärmt er. „Aber da ist mandann nahe an einer richtigenDroge und kann schnell mit demGesetz in Konflikt kommen.“

Ein Kollege von ihm stellt Bon-bons aus Kokakonzentrat her,und die haben eine frappierendeWirkung. Wie das verbotene wei-ße Pulver betäuben die Pastillendie Schleimhäute. Aber im Kopfist man hellwach, und es bleibtkein ekliger Rest zurück.

Hurtado verkauft diese Dropsin seinen Läden, aber an die Pro-duktion wagt er sich noch nicht.Sein Renner sind Kekse in derForm eines Kokablatts. Zur Her-stellung von 200 Einheiten neh-me man 800 Gramm Butter, 800Gramm Zucker, 8 Eier, 5 GrammSalz, 25 Gramm Milchpulver, 5Milliliter Vanille-Essenz, 1.900Gramm weißes Mehl, 60 GrammKokamehl und 25 Gramm Back-pulver. Das alles wird zwei Minu-ten in der Maschine geschlagen,bis ein grüner Teig entsteht. Derwird zu einem etwa drei Millime-ter starken Fladen ausgewellt,dann werden die Kekse mit einerForm ausgestochen. Bei 180 bis200 Grad 10 bis 15 Minuten langausbacken. Lecker.

Schade, dass kein Naturkostla-den in Deutschland die Kekse jeim Angebot haben darf.

! Toni Keppeler, 53, war acht Jahrelang Zentralamerika-Korrespon-dent der taz und der SchweizerWeltwoche

! Lukas Coch, 28, Zeitenspiegel-Fo-tograf und Student an der Uni Köln,lebt seit seinem 15. Lebensjahrüberwiegend in Lateinamerika.Fotogalerie unter www.taz.de/koka

Der Preis für Koka istnur deshalb so hoch,weil es eine Nachfrageauf dem Schwarz-markt gibt

„Koka ist kein Kokain?Quatsch. Ohne Kokainwäre Koka völliglangweilig“JAVIER HURTADO

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Vom Koka zum Kokain

! Material: Um 1 Kilo Kokain her-zustellen, braucht man rund 200Kilo Kokablätter mittlerer Quali-tät.Kokablätterenthaltennämlichnur 0,2 bis 1,3 Prozent Alkaloide,deren Hauptbestandteile soge-nannte Ecgonine sind.! Extrakt: Die Kokablätter werdenzerkleinert und eingeweicht. Ausdiesem meist in Erdlöchern ange-richteten Sud werden die Ecgoninemit einem Lösungsmittel – in derRegel Benzin – herausgezogen.! Paste: Die Ecgonine werdendann mit Benzolchlorid und Me-thanol zu Kokain verestert. Dabeientsteht Kokapaste, die 60 bis 80Prozent reines Kokain enthält.! Kokain: Schließlich wird diesePaste in einem Versalzungsprozessin Kokainhydrochlorid umgewan-delt: das auf dem deutschenSchwarzmarkt als Kokain verkauf-te weiße Pulver. Es kann bis zu 90Prozent reines Kokain enthalten.! Preis: Ein Kilogramm Kokain die-serQualitäthätteeinenMarktwertvon knapp 70.000, gestreckt bis zu150.000 Euro.

hen stehen Setzlinge. AndereSträucher sind schon zwei Jahrealt und kniehoch, und wieder an-dere erreichen einen Meter. „Inanderen Gegenden werden siehöher“, sagt Poma. „Aber hier istder Boden schon erschöpft.“

Und es gibt Schädlinge – derFluch der Monokultur. Auf denwolkenverhangenen Hügelnrund um Irupana steht fastnichts anderes als Koka. Würmergehen den Sträuchern an dieWurzeln, und Blattschneider-ameisen „können ein halbes Ca-to in einer Nacht wegräumen“.Poma spritzt deshalb Gift.

Alle drei Monate erntet ersechs bis sieben 50-Pfund-Säcke.Die Blätter werden einfach vonden Zweigen gerissen, dann aufgroßen Netzen in der Sonne ge-trocknet und schließlich in Säckegepresst. Das Gift bleibt dran. Aufdem Großmarkt in La Paz gibt esfür diese Qualität umgerechnet

Zwischen den Säcken mit Kokablättern warten Kokabauern und -bäuerinnen auf dem Kokamarkt in La Paz auf Kundschaft

Vom Trotzkismus zum Biokoka:Naturkosthändler Javier Hurtado