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13 Vor jedem homöopathischen Gedanken liegt die Frage: Wie komme ich an die Informationen, die ich für meine Behandlung benötige? Wie führe ich die Anamnese, wenn ich vom Patienten selbst keine oder nur sehr bedingt Informationen über seinen Zustand erhalten kann? Über Validation Seit vielen Jahren arbeite ich mit desorientierten Pa- tienten nach der Methode von Naomi Feil. Sie entwi- ckelte die Validation (valuta = Wert, d.h. Wertigkeit. Die Erkrankten haben die gleiche Wertigkeit wie die Gesunden). Naomi Feil ist eine amerikanische Sozial- arbeiterin, die diese Methode entwickelte und im Jahre 1982 erstmals veröffentlichte. Das Prinzip die- ser Methode besagt, dass Desorientiertheit nicht auf organischen Schäden des Gehirns beruht. Der Hoch- betagte zieht sich unbewusst in die Vergangenheit zurück, um Unvollendetes aus der Vergangenheit auf- zuarbeiten, um so der Unerträglichkeit der Gegenwart zu entfliehen. Validation bedeutet in ihrer methodi- Demenz – Homöopathie bei desorientierten Menschen Die Arbeit mit alten Menschen stellt an uns Homöopathen besondere Anforderungen. Häufig können sie uns im fortgeschrittenen Stadium aufgrund ihrer körperlichen Ein- schränkungen in unseren Praxen nicht mehr besuchen und die Zeit für Hausbesuche ist begrenzt. Wenige von uns haben Erfahrungen mit Patienten im Alten- und Pflegeheim und besonders wenige Erfahrungen mit demenziell Erkrankten. So nahm ich die Hilflo- sigkeit, die ich in meinen Supervisionsgesprächen auch mit langjährig erfahrenen Kolle- gen im Kontakt mit desorientierten Patienten erlebe, zum Anlass, diesen Artikel über den Umgang mit demenziell Erkrankten zu schreiben. Die Basis hierzu bildet die Kom- munikationsmethode nach Naomi Feil. HK 2.14 I GERIATRIE Inga Maria Stalljann Dieses Dokument ist urheberrechtlich geschützt. Keine unerlaubte Vervielfältigung.

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Vor jedem homöopathischen Gedanken liegt die

Frage: Wie komme ich an die Informationen, die ich

für meine Behandlung benötige? Wie führe ich die

Anamnese, wenn ich vom Patienten selbst keine oder

nur sehr bedingt Informationen über seinen Zustand

erhalten kann?

Über ValidationSeit vielen Jahren arbeite ich mit desorientierten Pa-

tienten nach der Methode von Naomi Feil. Sie entwi-

ckelte die Validation (valuta = Wert, d.h. Wertigkeit.

Die Erkrankten haben die gleiche Wertigkeit wie die

Gesunden). Naomi Feil ist eine amerikanische Sozial-

arbeiterin, die diese Methode entwickelte und im

Jahre 1982 erstmals veröffentlichte. Das Prinzip die-

ser Methode besagt, dass Desorientiertheit nicht auf

organischen Schäden des Gehirns beruht. Der Hoch-

betagte zieht sich unbewusst in die Vergangenheit

zurück, um Unvollendetes aus der Vergangenheit auf-

zuarbeiten, um so der Unerträglichkeit der Gegenwart

zu entfl iehen. Validation bedeutet in ihrer methodi-

Demenz – Homöopathie bei desorientierten MenschenDie Arbeit mit alten Menschen stellt an uns Homöopathen besondere Anforderungen.Häufi g können sie uns im fortgeschrittenen Stadium aufgrund ihrer körperlichen Ein-schränkungen in unseren Praxen nicht mehr besuchen und die Zeit für Hausbesuche ist begrenzt. Wenige von uns haben Erfahrungen mit Patienten im Alten- und Pfl egeheim und besonders wenige Erfahrungen mit demenziell Erkrankten. So nahm ich die Hilfl o-sigkeit, die ich in meinen Supervisionsgesprächen auch mit langjährig erfahrenen Kolle-gen im Kontakt mit desorientierten Patienten erlebe, zum Anlass, diesen Artikel über den Umgang mit demenziell Erkrankten zu schreiben. Die Basis hierzu bildet die Kom-munikationsmethode nach Naomi Feil.

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häufigste Demenzerkrankung. Erste Symptome

sind Auffälligkeiten kognitiver Störungen. M.

Parkinson.

● Vasculäre Demenz

Schädigungen der Blutgefäße: Vorgeschichte Hy-

pertonie und/oder Diabetes.

Erste Symptome sind häufig psychische Verände-

rungen (Persönlichkeitsveränderungen).

● Sekundäre Demenz

= z.B. bei Tumoren, Intoxikationen, Hormon-/

Medikamenteneinnahme, Stoffwechselstörungen.

Causal behandeln!

Cave: Ein medikamentös zu niedrig eingestellter

Blutdruck kann durch Mangeldurchblutung des

Gehirns eine Desorientiertheit hervorrufen!

Störungen unterschiedlichster Art

● Aphasie: Störung der Sprache

Möchte etwas sagen, weiß das Wort, aber der „Aus-

gang ist nicht mehr da“; meint Hose und sagt

Rose, weil es von den Bewegungen des Mundes

ähnlich ist.

● Apraxie: Beeinträchtigung der motorischen Fä-

higkeiten, z.B. eine Tasse zum Mund führen und

trinken.

● Agnosie: Unfähigkeit, Gegenstände zu identifizie-

ren bzw. wiederzuerkennen. Was ist eine Zahn-

bürste? Hierzu gehören die Schwierigkeiten der

räumlichen Orientierung, die Patienten finden

nicht mehr nach Hause oder in ihr Zimmer.

Die Differentialdiagnose zu o.g. Störungen ist ein

unerkannter Apoplex! Die Diagnostik gehört vor-

zugsweise in die Hände von Neuropsychologen,

die Therapie wird ergänzt durch Logopädie.

Erstscreenings zur Untersuchung einer kognitiven

Störung, die schnellen Überblick über Defizite geben:

● Uhrentest nach Shulmann (www.Curendo.de) Der Patient soll das Zifferblatt einer Uhr zeichnen

und die jetzige Uhrzeit mit kleinem und großem

Zeiger. Je nach fortgeschrittenen Defiziten der Ko-

gnition ist diese kleine Aufgabe von schwierig bis

unlösbar. Bei starker Sehschwäche, zitternden

Händen durch einen M. Parkinson usw. ist der

Test natürlich nicht durchführbar.

schen Zusammenstellung die Weisheit der Verwirrten

anzuerkennen und die Besonderheiten der Welten

sehr alter Menschen zu würdigen. Wird dem alten

Menschen geholfen, seine Erinnerungen und Gefüh-

le zu ordnen, kann er noch zu Lebzeiten seinen in-

neren Frieden finden. Naomi Feils Hypothese wurde

vom Epidemiologen Edward Snowdon 1986 bestätigt,

der mit seiner „Nonnenstudie“ belegte, dass ein Ge-

hirn, das alle Zeichen eines fortgeschrittenen Alzhei-

mers bei der klinischen Untersuchung aufweist, nicht

das Verhalten einer Demenz beim Patienten bedingt.

Die grundlegende Haltung der Validation ist das An-

erkennen, Ernstnehmen und Wertschätzen des alten

Menschen in aller Konsequenz. Dies gilt insbeson-

dere, wenn uns Therapeuten Beschimpfungen, blaue

Flecken, das Bespuckt-werden erwarten!

In sehr überschaubarer Weise teilt Naomi Feil die Sta-

dien der Demenz in 4 Stufen ein. Dieses Hilfsmittel

erleichtert und ergänzt die homöopathische Ana-

mnese. Vor Behandlungsaufnahme gilt es, unseren

eigenen geschichtlichen Horizont zu erweitern: In

welche politische Situation hinein wurde der Patient

geboren, an welchem Ort, gab es regionale Besonder-

heiten, Dialekte, Religion (Migrationshintergrund),

eine besondere Esskultur oder Musik? Dieses Hin-

tergrundwissen ermöglicht es uns, zu verstehen, ob

es sich bei auffälligem Verhalten um biografisch er-

klärbare Erscheinungen handelt oder tatsächlich eine

Pathologie vorliegt. Außerdem erleichtert es den Zu-

gang zu unserem Patienten, wenn wir ein altes Lied

mitsingen können, ein Gedicht sprechen oder die

Essgewohnheiten zu den hohen Feiertagen kennen.

Auch eine demenziell erkrankte Frau freut sich über

frisierte Haare oder lackierte Fingernägel, wenn dies

zu den Ritualen ihres Lebens gehörte.

Definition der Demenzarten

Jenseits des 40. Lebensjahres auftretende, i. S. eines

Krankheitsprozesses einsetzende Beeinträchtigung

der abstrakten Denkfähigkeit und des Erinnerungs-

vermögens. Diese sind so ausgeprägt, dass sie den

Betroffenen bei seinen sozialen Kontakten und beruf-

lichen Aufgaben beeinträchtigen.

Demenzarten

● Primäre Demenz

= z.B. Alzheimer; in unseren Breitengraden die

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DD Apoplex, Hirntumor, Depression! ● Mini-mental-Status-Test (MMST oder Folstein

Test) (www.pflegedienst-aml.de) Dieser Kurzcheck (Testdauer ca. 10 Minuten)

überprüft anhand eines Fragebogens eine Ab-

schätzung der kognitiven Fähigkeiten: Fragen

nach Orientierung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit,

Rechnen, Sprache und konstruktiver Praxis.

Phase 1 der Demenz nach Naomi Feil

Phase des „unglücklichen Orientiertseins“

In dieser Phase sind die Patienten noch zeitlich und

räumlich orientiert. Sie wissen, wo sie sich befinden

und halten die gesellschaftlichen Rollen noch ein.

Alte Konflikte werden in verkleideter Form geäußert.

Gefühle aus der Gegenwart können ähnliche Gefühle

aus der Vergangenheit hervorrufen. Dafür sind Perso-

nen aus der Jetztzeit Stellvertreter. Es besteht eine gro-

ße Scham bei zu Tage tretenden Gedächtnislücken.

Die Gesichter sind angespannt. Das Zeitungslesen als

tägliches Ritual wird beibehalten. Das Verständnis für

das Gelesene schwindet. In dieser Phase verschlech-

tert ein Blickkontakt mit dem Erkrankten oder eine

Berührung häufig die Situation.

In der ersten Phase der Demenz wissen die Patienten

um ihre zunehmende Unfähigkeit, Dinge des täg-

lichen Lebens bewältigen zu können. Der Schmerz

des Kontrollverlustes, des „Nicht-mehr-Könnens“ ist

so überwältigend, dass er nach außen projiziert wird.

Dies kann zu dramatischen Situationen führen.

So ist bei beginnender Inkontinenz z.B. der Haus-

meister Schuld: „Es ist ein Loch in der Decke und so

regnet es ins Bett. Morgens ist es immer nass.“.

„Dauerbrenner“ sind die „gestohlenen“ (verlegten)

Dinge: „Meine Lieblingsdecke ist verschwunden,

meinen Schmuck hat die Putzfrau mitgenommen, es

fehlt Geld, die Nachbarin klaut meine Unterhosen,

der Schlüssel fehlt.“. Häufig ist das Essen vergiftet

oder es sind Menschen im Zimmer, die den Patienten

beobachten, manchmal Tiere.

In diesen Fällen ist es wichtig, nicht zu diskutie-

ren. Die geschilderten Klagen müssen bei Ange-

hörigen und dem Pflegepersonal auf Wahrheits-

gehalt überprüft werden. Leider gibt es immer

wieder Diebstähle in Krankenhäusern und Pfle-

geheimen. Wichtig ist es, die Angehörigen über

die Erscheinungsformen dieses Stadiums aufzu-

klären. Das Anhören und Nachfragen ist bereits

ein Teil der Therapie. Beschwichtigendes Verhal-

ten von Seiten des Behandlers, der Versuch, vom

Thema abzulenken oder Lügen aus Hilflosigkeit

zerbrechen das Vertrauensverhältnis nachhaltig.

Die demenziell Erkrankten spüren, wer ihnen

glaubt und wer nicht! „Gefühle werden nicht dement!“, (so Heidi Damberg, Vorsitzende der

Lübecker Alzheimer Gesellschaft).

Die Sensibilität der Erkrankten gegenüber Lügen ist erhöht. Ebenso wie in der Homöopathie sind Fragen

nach dem „Warum“ ein Tabu1. Alte Menschen wollen

das Warum nicht mehr wissen, der Schmerz darum

ist zu groß.

Eine gut gemeinte, beruhigende Berührung in die-

sem häufig sehr expressiven Stadium soll nur statt-

finden, wenn offensichtlich erwünscht.

Validation: Stellen Sie sachliche Fragen und wieder-

holen sie das Gehörte. Es ist hilfreich, das bevorzugte

Sinnesorgan zu erkennen und anzusprechen („Wie

sieht es aus?“, „Wie hört es sich an?“, „Wie fühlt

es sich an?). Fragen nach dem Extrem („Was ist das

Schlimmste?“) helfen, Gefühle zu äußern, ernst zu

nehmen und damit weniger „giftig“ zu machen, wie

Naomi Feil es ausdrückt.

Fallbeispiele Demenz Phase 1

Fall: 100-jährige Frau

In einem plötzlichen Ausbruch bezichtigte sie

ihre Zimmernachbarin, ihre Unterwäsche gestoh-

len zu haben. Der Heimleiter habe der Nachbarin

Blumen gebracht und ihr nicht. Die Nachbarin

hätte sich bei der Heimleitung eingeschmeichelt,

so wäre sie an den Zimmerschlüssel gekommen,

um in ihrem Zimmer herumzuschnüffeln. Diese

eruptionsartigen Ausbrüche beschäftigten uns

alle und nahmen einen zunehmend wahnhafte-

1 „Warum“ ist eine kognitive Frage. Sie ist von den Erkrankten nicht mehr beantwortbar, weil überfordernd und/oder sie fordert heraus zum Resümee, was zu schmerzhaft ist. Ebenso sollten in der Homöopathie niemals „Warum-Fragen“ verwendet werden. Homöopathen fragen nach dem Wann, Wo, Wie, Was noch etc.

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ren Charakter an. Der Versuch, die alte Dame zu

beschwichtigen, verschlimmerte ihren Zustand

dramatisch. Einziger Zugang zu ihr war, sich in

Ruhe neben sie auf das Bett zu setzen, ihr Fragen

über das genaue Aussehen ihrer Unterwäsche zu

stellen, sie zu fragen, wann denn genau die Nach-

barin in ihrem Zimmer gewesen wäre und was sie

schon unternommen hätte. Über diese Möglich-

keit, ihre Gefühle zu äußern, gelang eine kurzzei-

tige Beruhigung.

Der Zornesausbruch ging mit einem knallroten

Gesicht einher. Während ich neben ihr saß, zer-

knüllte und zerriss sie die Taschentücher, mit de-

nen sie sich zuvor die Tränen abgetrocknet hatte

und nestelte die ganze Zeit über herum.

Analyse, Verordnung und Verlauf

Eine Einzelgabe Kalium bromatum C 200 beendete

den Spuk nach einem Tag für viele Monate. In großen

zeitlichen Abständen wiederholte sich die Situation.

Eine Gabe Kali-br. C 200, als Bedarfsmedikation ange-

setzt, stellte den Frieden regelmäßig wieder her.

Die gewählte Arznei ist nicht mittels Repertorisation

darstellbar.

Zur Disposition standen Belladonna, Hyoscyamus,

Lachesis und Ignatia, die alle ein rotes Gesicht, die Ei-

fersucht, großen Zorn haben können.

Ich entschied mich wegen dieser auffälligen Unruhe

der Hände für Kalium bromatum.

Fall: 79-jährige Frau

Mit Grabesstimme erzählte mir die sehr gepflegte

Dame, dass ihr ihre Lieblingsdecke gestohlen wur-

de. Ihr Mann hätte ihr diese Decke zur Hochzeit

geschenkt und er wäre gestorben. Sie zeigte mir

in ihrem Schrank die Stelle, an der diese Decke

immer gelegen hätte. Es wäre das Einzige, was ihr

noch geblieben wäre. Ihre Stimme klang tief de-

primiert und sie ließ den Kopf hängen. Ich ver-

sprach, dem Fall nachzugehen.

Das Pflegepersonal seufzte ergeben auf meine

Nachfrage. Die Situation war bekannt, die Suche-

rei ein Dauerthema. Der Mann starb vor mehr als

10 Jahren. Das Verhalten würde schwanken zwi-

schen heftigstem Weinen und tiefer depressiver

Verstimmung. Die Decke befände sich in ihrem

Bett unter der Tagesdecke. Nach erneutem Betre-

ten des Zimmers empfing mich eine fröhliche alte

Frau. Sie hatte meinen Besuch vergessen, freute

sich über den erneuten Besuch und zeigte mir ihr

Zimmer und die Fotos ihrer Lieben. Keine körper-

lich auffälligen Symptome.

Analyse, Verordnung und Verlauf

Verordnung➛ Ignatia C 200 Dunham einmalig

Ignatia ist im Repertorium in den Rubriken Beschwer-

den durch Kummer, psychische Auffälligkeiten durch

lang anhaltenden Kummer und Gemüt - Lachen - ab-

wechselnd mit - Weinen zu finden.

Laut Pflegepersonal gab es einen tränenreichen Nach-

mittag nach der Ignatiagabe. Die Sucherei nach der

Decke war danach beendet, ebenso wie die starken

Gemütsschwankungen. An Symptomatik blieben die

Fragen nach Datum und Tageszeit - ein übliches Ver-

halten bei demenziell Erkrankten. Hier ist bereits der

Wechsel zwischen der Phase 1 und 2 erkennbar. Die

Patientin fand jedoch den Speisesaal und ihr eigenes

Zimmer weiterhin selbständig.

Fall: 83-jähriger Mann

Der alte Herr kam aus dem Krankenhaus zurück.

Seine bereits vorher bestehende Demenz war ver-

schlechtert. Seine Medikamente wurden komplett

umgestellt (Dokumentation liegt leider nicht

mehr vor). Er weigerte sich zu essen und zu trin-

ken, wehrte sich gegen die Tabletten. Im Fahrstuhl

erzählt er mir, hier dürfte ich nichts essen, alles

wäre vergiftet.

Analyse, Verordnung und Verlauf

Nach meiner 17-jährigen Erfahrung in der Geriatrie

griff ich zum Telefon und bat das Pflegepersonal, über

7 Tage Sulfur C 30 täglich morgens einen Tropfen zu

verabreichen. Ergebnis: Nach drei Tagen isst der alte

Herr im Speisesaal mit großem Appetit. Die Arznei

wurde abgesetzt.

In den vielen Jahren meiner Tätigkeit gab ich vie-

le Arzneien wegen der Wahnidee „Vergiftung“,

häufig ohne Erfolg. Meine Hypothese in diesen

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Fällen ist nach unserem Urvater Hahnemann die

Aktivierung der Psora durch die Medikamenten-

gaben, besänftigt durch ihr Hauptantimiasmati-

kum Sulfur. Dieser wirkt regelmäßig.

Fall: 86-jähriger Mann

Der alte Herr war uns allen ans Herz gewachsen.

Ein sanfter Großvater mit einer milden Form der

Demenz, die Diagnose „Demenz vom Alzheimer-

Typ“. Auffällig war seine Unentschlossenheit.

Laut Aussage der Kinder war er immer ein gütiger,

aber sehr klarer Mann, der wusste, was er wollte.

Im Speisesaal wusste er nicht, was er essen sollte

und weinte wie ein Kind vor Hilfl osigkeit. Als ich

ihn besuchte, sprach er ganz leise. Ich wurde zu

ihm gerufen wegen eines starken Speichelfl usses,

der nicht durch Medikamentennebenwirkungen

erklärbar war. Eine Parkinsondiagnose war ausge-

schlossen worden. In der Vorgeschichte war ein

Gefäßverschluss bekannt, der vor 10 Jahren ope-

riert wurde und drei Stunts der Herzkranzgefäße.

Die sozialen Kontakte waren wegen des „unappe-

titlichen“ Speichelfl usses sehr schwierig.

Verordnung, Analyse und Verlauf

Verordnung➛ Bar-c. C 12 (im Haus vorhanden), 1-0-0 Tropfen.

➜ Abb. 1

Die Repertorisation erfolgt lediglich zur Vervollstän-

digung dieses Artikels. Die klinischen Rubriken bie-

ten keine Verschreibungssicherheit, kleine Rubriken

können höchstens als Zünglein an der Waage fun-

gieren. Die Rubrik „Speichelfl uss“ ist aufgrund ihrer

Größe unspezifi sch. Meine Wahl fi el auf Barium car-

bonicum aufgrund von Verschreibungserfolgen bei

der Kombination des profusen Speichelfl usses und

Gefäßerkrankungen.

Barium carbonicum ist auch segensreich bei Kindern

mit Down-Syndrom und dem begleitenden Speichel-

fl uss.

14 Tage später war der Speichelfl uss reduziert, der Pul-

lover musste nur noch einmal täglich gewechselt wer-

den, das Lätzchen zum Schutz der Kleidung war au-

ßerhalb der Mahlzeiten nicht mehr erforderlich. Laut

Pfl egepersonal war unser Bewohner etwas munterer.

Verordnung➛ Baricum carbonicum weitergeben

Visite nach 4 WochenDer Speichelfl uss ist fast verschwunden. Der alte Herr

ging selbständig in den Speisesaal und setzte sich auf

seinen Platz (ein Novum). Er entschied, was er essen

wollte und hatte seit ca. 10 Tagen nicht mehr geweint.

➛ Reduktion der Arznei auf zweimal wöchentlich,

nach Beendigung des Speichelfl usses Absetzen der

Arznei (selbständig vom geschulten Personal durch-

geführt).

Die psychische Stabilität hielt trotz seiner Alzheimer-

diagnose an.

Fall: 73-jähriger Mann

Diagnose: Korsakow-Syndrom nach Alkohol-

abusus.

Unser Bewohner war, nach Aussage seiner Ehe-

frau und seiner Tochter, Zeit seines Lebens ein

„übergriffi ger“ Mann. Nach anfänglichen Schwie-

rigkeiten hatte er sich sehr gut in unserem Heim

eingelebt und war ruhig und umgänglich. Dieses

Abb. 1: Quelle: Complete Repertory Millennium

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Verhalten kippte ganz plötzlich. Seine Aufdring-

lichkeit, besonders dem jungen weiblichen Perso-

nal gegenüber, war sehr belastend. Einem „Nein“

gegenüber reagierte er völlig uneinsichtig.

Verordnung➛ Hyoscyamus C 200 Dunham als Einzelgabe

Verlauf und Analyse

Die Arznei verwandelte ihn bereits nach 6 Stunden

wieder in einen freundlichen alten Herrn. Auch hier

wiederholte sich das alte Verhalten nach einigen Mo-

naten. Hyoscyamus C 200, inzwischen als Bedarfsme-

dikation angesetzt, wirkte und wirkt in immer länge-

ren Intervallen zuverlässig.

Hyoscyamus hat sich in vielen Fällen bewährt, in de-

nen Männer bis zum Ausbruch ihrer Erkrankung ein

sehr aktives Sexualleben hatten. Die Unterbrechung

dieser Möglichkeit durch den Einzug in ein Pflege-

heim lassen einen krankhaften Stau entstehen, der zu

massiven Übergriffen führen kann. Im Repertorium

finden wir die Rubriken Gemüt - erotisch, Gemüt - Zü-

gellosigkeit, sexuelle Ausschweifung, Gemüt – schamlos.

Es ist wichtig, nach Gabe der Arznei auf Folgesympto-

me zu achten, wie z.B. neu hinzukommende Inkonti-

nenz oder weitere psychische Auffälligkeiten. Unter-

bricht man diese „sexuelle Wut“ unmittelbar, kann

es auch zu einer Unterdrückung führen!

Solche dramatischen Fälle bewirken bei der Ar-

beit in einem Alten– und Pflegeheim, dass die

Zweifler dieser „okkulten“ Homöopathie gegen-

über ihre Vorurteile fallen lassen. Die klassische

Homöopathie hat den Psychopharmaka gegen-

über den unschätzbaren Vorteil ihrer raschen

Wirkung. Im o.g. Fall erwarte ich innerhalb von

Minuten bis einigen Stunden eine deutlich ein-

setzende Heilwirkung. Tritt diese im akuten Fall

nicht rasch ein, gehe ich von einer Fehlverschrei-

bung aus.

Fall: 86-jähriger Mann

Der alte Herr machte uns große Sorgen. Sein

Schlafbedürfnis war immens. Wurde er nicht

zwangsweise geweckt, dann schlief er 16 Stunden

am Stück, vorzugsweise den ganzen Tag hindurch.

Eine Reaktion auf Medikamentengaben wurde

ausgeschlossen, keine Opiatgaben. Die Ursache

war unklar. Er war phasenweise desorientiert. So-

bald er erwachte war er sehr unruhig. Er war einer

unserer „Läufer“. Auffällig war seine Abneigung

gegen kalte Luft. Beim Lüften seines Zimmers pro-

testierte er. Warm bekleidet ging er allerdings sehr

gerne nach draußen und lief dann unermüdlich

seine Runden. Durch den vielen Schlaf aß und

trank er zu wenig. Die reduzierte Flüssigkeitszu-

fuhr verschlimmerte seinen desorientierten Zu-

stand, der sich verlässlich verbesserte, sobald die

Flüssigkeitszufuhr ausreichend war. Die vorhan-

dene Gewichtsreduktion und seine Schwäche sah

ich in dem Mangel an Nahrung begründet. An

körperlichen Symptomen war lediglich noch eine

Obstipation erwähnenswert, die mit Movicol® er-

folgreich behandelt wurde.

Analyse, Verordnung und Verlauf

Eine Angst war nicht erkennbar, so dass mein erster

Gedanke an eine Arsenicum album-Verschreibung

entfällt. Nach erfolglosen Gaben von Opium, Vale-

riana, Pulsatilla, Piper meythicum und Lycopodium

erfolgte eine lange Visite. Hierbei fielen mir erstmalig

die beidseitig weiten Pupillen des Patienten auf und

ich dachte an eine Solanacea. Nach langem Lesen

„stolpere“ ich dann über eine Arznei, die ich per Re-

pertorisation niemals gefunden hätte. Sie ist als eines

unserer ältesten Heilmittel bekannt, erzeugte in der

Arzneimittelprüfung einen Schlaf, als „habe man ein

Schlafmittel genommen“. Ich finde das Verlangen

nach Frischluft wieder, die erweiterten Pupillen, die

Ruhelosigkeit, Schwäche, die Verbesserung durch Ge-

hen im Freien und das Verlangen nach Wärme, sogar

die Obstipation ist abgebildet.

Verordnung➛ Mandragora officinarum e radice C 12, 1-0-1

Tropfen.

Verlauf„Er ist wach!“ Drei Tage nach Einnahme der Arznei

erwachte der Patient aus seinem ständigen Schlaf.

Weiterhin bewegte er sich viel, konnte aber bei der

Grundpflege und den Mahlzeiten über 20 Minuten

lang ruhig sitzen. Weiterhin Obstipation.

➛ Reduktion von Mandragora C 12 auf 1-0-0 Tropfen.

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Visite eine Woche späterDer Patient schlief zwischen 9-10 Stunden in der

Nacht. Er konnte vergnügt an einem Filmabend teil-

nehmen, ohne einzuschlafen! Das Essen und Trinken

wurde problemlos, z. T. reichlich. Obstipation und

Protest beim Lüften weiterhin. Nach dem Frühstück

und nachmittags ging er weiterhin eine große Runde

spazieren. Das Getriebensein und die Unruhe dabei

waren verschwunden.

➛ Reduktion von Mandragora C 12 auf 2 Mal 1

Tropfen wöchentlich.

Visite 14 Tage späterDie Pupillen zeigten eine normale Reaktion. Der Pati-

ent schlief weiterhin 9-10 Stunden in der Nacht. Sein

demenzielles Verhalten fiel nur auf bei Aufregung

oder Ärger, wenn sein gewohnter Rhythmus unter-

brochen wird. Weiterhin ausgiebiges Spazierengehen,

er nutzte jede Gelegenheit. Obstipation unverändert,

mit einem Beutel Movicol® einmal täglich Stuhl-

gang. Gewichtzunahme von 1,2 kg.

Wir sind zufrieden. Absetzen der Arznei. Weitere Ge-

wichtszunahme bis zum „Bäuchlein“.

9 Monate späterErneuter Beginn einer verstärkten Schläfrigkeit und

Erweiterung der Pupillen. Eine einwöchige Gabe von

Mandragora C 12 einmal täglich morgens ein Tropfen

ist erfolgreich.

Literatur

● Mezger: Gesichtete Homöopathische Arzneimittel-

lehre, Band II:

Erweiterte Pupillen, Schläfrigkeit am Tage, > fort-

gesetzte Bewegung und frische Luft.

AMP: als ob er ein Schlafmittel genommen hätte,

besonders in der D 12. Obstipation mit weißem

Stuhl.

● Allen: Aus Seideneder, Mitteldetails:

Gefühlserregung, Schwäche, Ruhelosigkeit, Schläf-

rigkeit

● Stephenson: Hahnemannian provings – Materia me-

dica and repertory:

Erweiterte Pupillen

Fall: 82-jährige Frau

Mir ist die alte Dame seit vielen Jahren bekannt.

Nach ihrer früheren Berufstätigkeit als Chefin

fand sie ihre Bestimmung in der Versorgung eines

Mannes, der jeden Mittag bei ihr zum Essen er-

schien und den sie bekochte, für ihn bügelte und

für den sie wie eine Mutter war. Nach seiner Pen-

sionierung hörten diese Besuche auf und sie fiel

in eine depressive Verstimmung. Die Leere war

mit nichts zu füllen und nach und nach zeigte

sich der Beginn eines demenziellen Verhaltens.

Durch ihren Wegzug wurde meine Behandlung

für einige Jahre beendet. Ich treffe sie wieder im

Pflegeheim.

Sie liegt wie eine Diva im Bett und befiehlt dem

Pflegepersonal. Während der Fallaufnahme klagt

sie unablässig über ihre Einsamkeit und ist voller

Vorwürfe. Ihre Gedanken kreisen ständig um die-

sen Mann, wie viel sie für ihn getan hätte und jetzt

würde sich niemand mehr um sie kümmern. Es

ist schwierig, die Anamnese zu führen und abwei-

chende Fragen beantwortet zu bekommen. Auf-

fällig sind ihre Wortfindungsstörungen. Auffällig

ist auch, dass ihr Rechenzentrum unbeeindruckt

ist von jeglicher Demenz. Sie kennt ihr gesamtes

Telefonbuch auswendig und kann sich lange Zah-

lenreihen problemlos merken. Ein zunehmendes

Problem ist ihre Inkontinenz. Nicht immer lässt

sie sich mit Inkontinenzmaterial versorgen. So-

bald sie dann mit Hilfe aufsteht, hagelt es Vorwür-

fe dem Pflegepersonal gegenüber. Sie ist dann von

einer falschen Versorgung überzeugt. Ein wichti-

ges neues körperliches Symptom lässt mich ihre

Arznei finden: Sie klagt über schwarze Punkte vor

den Augen, die im Gesichtsfeld herumfliegen und

sie ganz unruhig machen.

Verordnung, Repertorisation und Verlauf

Verordnung➛ Nat-mur. C 200 Dunham, 6 Mal über einen Tag

verteilt, verkleppert im Wasserglas.

➜ Abb. 2 / S. 20

10 Tage späterDie Patientin hat sich beim Pflegepersonal bedankt.

Die Inkontinenz im Liegen ist besser. Bei regelmäßi-

gen stündlichen Toilettengängen kann sie den Urin

halten. Die Wortfindungsstörungen waren ca. eine

Woche lang fast verschwunden, sind aber nach einer

Aufregung am gestrigen Tag wieder vorhanden. Das

Gedankenkreisen ist leicht verbessert, das Pflegeper-

sonal sagt zu 25%, ein Gespräch über Themen jen-

seits ihrer alten Verletzungen ist möglich.

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Verordnung➛ Nat-m. C 200 Dunham einmalig, ein Tropfen, jetzt

angesetzt im Fläschchen.

Zwei Wochen späterDie Schuldzuweisungen sind verschwunden. Das Pfl e-

gepersonal ist entspannt. Sie bedankt sich und fi n-

det die Schwestern „nett“. Keine Inkontinenz mehr

im Liegen und bei regelmäßigen Toilettengängen,

auch nachts. Das Gedankenkarussell dreht sich nicht

mehr. Die Wortfi ndungsstörungen treten nur noch

Abb. 2: Quelle: Complete Repertory Millennium

nach Aufregung auf. Sie meint, dass die schwarzen

Punkte kleiner werden.

Verordnung➛ Nat-m. C 200 Dunham weiter jeden zweiten Tag.

Zwei Wochen späterDie Patientin ist umgänglich. Ihr alter Humor kehrt

zurück. Sie schenkt dem Pfl egepersonal hochwer-

tige Schokolade und bedankt sich. Weiterhin keine

Schuldzuweisungen. Inkontinenz nur nach vielem

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Trinken und voller Blase, dann fließt der Urin un-

gehindert. Sie kann kleinere Inkontinenzartikel ver-

wenden. Die schwarzen Punkte werden kleiner.

Verordnung➛ Nat-m. C 200 Dunham, zweimal wöchentlich.

Zwei Wochen späterIch treffe auf eine humorige alte Dame mit einem

Schalk. Wir lachen viel bei dieser Visite. Sie will kei-

ne Tropfen mehr nehmen. Die Inkontinenz tritt nur

noch bei reichlichem Trinken und voller Blase auf.

Die restlichen schwarzen Punkte stören die Patientin

nicht. Ich werde mit einer hochwertigen Schokolade

aus ihren Diensten entlassen.

Laut Aussage des Pflegepersonals ist die Patientin

umgänglich und freundlich. Sie ist nicht in der Lage,

selbst auf die Zeiten der Toilettengänge zu achten.

Wenn dies von Seiten des Pflegepersonals geschieht,

gibt es keine Schwierigkeiten mit der Inkontinenz.

Desorientiert wird sie bei Ärger oder bei ungewohn-

ten Ereignissen. Kein weiterer Behandlungsbedarf.

Phase 2 der Demenz nach Naomi Feil

„Die Zeitreisenden“

Zeitverwirrte Leute sind meist 70 Jahre oder älter.

Nach zu vielen körperlichen (Sehen, Hören, Gehen)

und sozialen Verlusten leiden sie an fortgeschritte-

nem Verfall des Gehirns. Vergangenheit und Gegen-

wart werden vermischt. Das chronologische Zeit-

verhältnis ist gestört, Gegenwart und Vergangenheit

existieren nicht mehr. Der Patient ist in diesem Stadi-

um noch in der Lage, dieses Defizit zu äußern! Das

soziale Verhalten nimmt ab aus Mangel an Anregung

durch Andere.

In dieser Phase beginnen die Bewegungen und Be-

rührungen die Sprache zu ersetzen. Mit der Valida-

tion müssen sie nicht in das Stadium des Vor-sich-

hin-Dämmerns, des Vegetierens, abgleiten. Ohne An-

regungen von außen (besonders durch Validation)

wird der Mensch sich immer weiter in sich zurückzie-

hen, weil er dort

● die Isolation und das Gefühl, verlassen worden zu

sein, überlebt,

● die Langeweile überwindet,

● das Gefühl, nützlich zu sein, wieder erlebt und

● unbewältigte Probleme der Vergangenheit durch-

arbeitet.

In dieser Phase kann die Kontaktaufnahme über Mu-

sik eine Brücke darstellen. Ziel ist es, mit verbalen

und nonverbalen Techniken und viel Einfühlungs-

vermögen das Vertrauen des Patienten zu gewinnen.

Berührungen werden zunehmend wichtiger. Der Be-

handler sollte seinen Körperausdruck, seine Gefühle

sowie Atem und Stimme dem Desorientierten anpas-

sen. Das Ziel heißt: Aufarbeiten statt zu vegetieren.

Fallbeispiele Demenz Phase 2

Fall: 81-jähriger Mann

Der alte Herr war bis zu seinem 80. Geburts-

tag gesund, wie er selber angab. Er leitete einen

Handwerksbetrieb. Nach seiner Pensionierung

war er mit seinen praktischen Händen überall

gern gesehen. Nach einer Hernienoperation ließ

sein Gedächtnis plötzlich zu wünschen übrig. Die

Ausführung von Reparaturen überforderte ihn.

Er saß zu Hause und seine sozialen Kontakte be-

gannen zu bröckeln. Nach einem Wutausbruch

zu Hause brachte seine Familie ihn (mit seinem

Einverständnis) in ein Pflegeheim. Parallel dazu

stellte der Neurologe die Diagnose Demenz. Das

verschriebene Memantin brachte - außer einer dra-

matischen Schwindelsymptomatik - keine Verbes-

serung und wurde wieder abgesetzt. Außer dem

Kummer über seine Situation, den je nach Auf-

regungszustand durch Unregelmäßigkeiten im

Tagesablauf bedingten Wortfindungsstörungen

und ebenfalls erregungsbedingten, täglich auf-

tretenden rechtsseitigen Kopfschmerzen gab es

keine weitere Symptomatik.

Verordnung und Verlauf

Meine erste Verschreibung (Nux vomica, aufgrund

des Auftritts der ersten Symptome post-OP, Hernien-

OP) blieb ohne Erfolg.

Meine Zweitverschreibung führt zu einer erfreuli-

chen Situation. In meine Überlegungen floss ein: Die

Hernien-OP rechts, die Wortfindungsstörungen, der

rechtsseitige Kopfschmerz und die Abneigung gegen

alles Neue.

Verordnung➛ Lycopodium C 30, tgl. morgens ein Tropfen über

10 Tage.

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Visite nach 8 TagenEtwas am Ausdruck des alten Herrn war verändert. Er

klagte nicht, wie sonst üblich, über die Kopfschmer-

zen. Er beschrieb mir seine Situation ganz klar. Das

Denken fi el ihm nach wie vor schwer, doch seine

Wortwahl war klar, er suchte nicht mehr verzweifelt

nach Worten. Nach ca. 10 Minuten bemerke ich dann

bewusst die optische Veränderung: Die zuvor ständig

tief in Falten liegende Stirn ist plötzlich geglättet.

Verordnung➛ Reduktion von Lycopodium C 30 auf zweimal wö-

chentlich.

Visite nach 10 TagenEs gab eine große Aufregung in der Familie: Seine Frau

kam ins Krankenhaus. Am Tag darauf kam es wieder

zu Kopfschmerzen über einen Tag. Er ist beunruhigt,

kann jedoch seine Gefühle ganz deutlich schildern

und spricht von „ganz scheußlicher Angst“. Die Stirn

ist wieder faltiger.

Wegen meiner Abwesenheit hielt ihn das Pfl egeperso-

nal mit Rescuetropfen über Wasser. Dies verminderte

seine Aufregung, nicht seine Angst.

VerordnungAufgrund der identisch beschriebenen Kopfschmer-

zen erneut Lycopodium C 30 zweimal täglich.

Visite drei Tage späterDie Kopfschmerzen sind wieder vergangen, er nimmt

an der Gymnastik teil, die Angst ist in Gesellschaft

und bei klar strukturiertem Tagesablauf nicht spür-

bar.

Aufgrund fehlender körperlicher Symptome („sonst

hab ich ja nichts“) erhielt der alte Herr eine Reihe von

Arzneien als „Testballon“, mit dem Behandlungsziel,

seine immer wieder aufkeimende Angst zu beenden.

Bisher leider ohne Erfolg. Kein Happyend, der Fall

läuft weiter.

Fall: 82-jährige Frau

Trotz regelmäßiger Psychopharmakagaben wird

die alte Dame in unregelmäßigen Abständen

sehr unruhig und will nach Hause gehen. Der

Beginn einer solchen Phase zeigt sich in unru-

higem Auf- und Abgehen. Häufi g verweigert sie

die Medikamente, so dass sich ihr Zustand rasch

verschlimmert. Wird sie an ihren Versuchen, das

Haus zu verlassen, gehindert, schlägt sie wild um

sich, schreit, beißt das Pfl egepersonal blutig und

ist außer sich. Ihr Gesicht wird feuerrot. Es ist das

klassische Bild einer Solanacea. Diese Ausbrüche

endeten regelmäßig mit einer Zwangseinweisung

in der geschlossenen neurologischen Abteilung

im Krankenhaus.

Verordnung, Repertorisation und Verlauf

Verordnung➛ Belladonna C 200 Dunham bei Bedarf.

Sobald der Unruhezustand beginnt, wird die Arznei

im Wasserglas gegeben und zeigt sich erfolgreich. Seit

Behandlungsbeginn mit Belladonna waren weitere

Krankenhausbesuche nicht erforderlich. ➜ Abb. 3

Fall: 85-jährige Frau

Ich werde Zeugin eines dramatischen Ausbruchs:

Die alte Dame sitzt im Bereichsleitungszimmer,

sie ringt die Hände, weint laut und verzweifelt,

krümmt sich nach vorne und stößt in schneller

Reihenfolge mit hoher Stimme unverständliche

Worte aus. Das Pfl egepersonal versucht seit 20 Mi-

Abb. 3: Quelle: Complete Repertory Millennium

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nuten sie zu trösten, ohne Erfolg.

Ich knie mich neben sie und versuche mich auf

ihr Geschehen einzustimmen. Zwischen den un-

verständlichen Worten meine ich, „meine Kin-

der“, „mich nicht umbringen“ und „nichts zu

essen“ zu verstehen. Demnach wäre sie in der

Zeit des Mutterseins. Ich frage, wo ihre Kinder

sind? Sie weint weiter, antwortet aber deutlich:

„In der Schule“. Dann folgen wieder unverständ-

liche, hochfrequente Töne. Ich meine wieder das

„Umbringen“ zu verstehen. Ich frage, ob etwas

geschehen ist, dass sie sich umbringen will. Dar-

auf ein tiefer Seufzer und wieder lautes Weinen,

sie hätte nichts zu essen und sie könne sich doch

nicht umbringen, weil die Kinder doch da wären.

Letzteres deutlicher. Ich frage sie, ob die Nach-

barn etwas zu essen hätten. Jetzt kommen klare

Sätze, wenn auch weiterhin mit schriller Stimme.

Nein, die Nachbarn hätten auch nichts zu essen.

Ich frage, ob sie noch Eingemachtes im Keller

hätte. Nein, wieder lautes Weinen. Ich frage, ob

der Pastor etwas zu essen hätte. Nein, den hätte

sie nicht gefragt. Ich frage, ob ihr Mann im Krieg

ist. Sie weint weiter, aber die Antworten werden

verständlich, das Schrille verschwindet. Ja, ihr

Mann ist im Krieg. Die Situation ist jetzt klar. Sie

ist in der Kriegszeit. Ihre Kinder sind in der Schu-

le, sie hat nichts zu essen und ist darüber verzwei-

felt. Nachdem ich ihr diesen Satz als Möglichkeit

anbot, sieht sie mich verzweifelt, aber klar an. Sie

setzt sich aufrecht hin. Das Weinen hört abrupt

auf. Ich sage ihr, dass wir jetzt gemeinsam über-

legen, woher sie etwas zu essen bekommt. Wir ei-

nigen uns, dass sie beim Pastor nachfragt. Gefasst

steht sie auf, bedankt sich und geht in ihr Zimmer.

Dieses markerschütternde Weinen hatte bereits vor

diesem Ereignis ein paar Mal stattgefunden. Übli-

cherweise wurden solche Expressionen mit Psycho-

pharmaka, als Bedarf angesetzt, „behandelt“. Damit

nimmt man den alten Menschen jedoch die Möglich-

keit zur NOT-wendigen Aufarbeitung. Es findet keine

Ausheilung statt.

Nach diesem Validationsgespräch, in dem ihren Ge-

fühlen Ausdruck verliehen und sie ernst genommen

wurden, kam es noch ein einziges Mal zum Ausbruch.

Da das Thema jetzt bekannt war, konnte die alte Dame

ihr Gefühl nochmals in einem Schutzraum äußern.

Eine homöopathische Arznei war in diesem Fall nicht

erforderlich.

Fall: 81-jähriger Mann

Für alle Anwesenden, besonders für den Sohn,

der ein sehr inniges, liebevolles Verhältnis mit

seinem Vater hatte („wir haben keine Geheimnis-

se voreinander, mein Vater hat mir immer alles

erzählt“), kam es während der biografisch orien-

tierten Anamnese mit der Validationsmethode zu

einem überraschenden, nie erwarteten Gefühls-

ausbruch mit vielen Tränen. Der alte Herr erzählte

von einem traumatischen Kriegsereignis, bei dem

er seinen damals 17-jährigen Freund verlor, der

neben ihm durch eine Granate zerrissen wurde.

Dieses Ereignis hatte er niemals zuvor erwähnt.

Nach einer Einzelgabe Opium M beruhigte sich

eine jahrzehntelange innere und äußere Unruhe.

Diese hatte sich deutlich verschlimmert, nach-

dem er, wie zu Kriegszeiten, eine „Zwangsumsie-

delung“ ins Heim erfahren hatte. In diesen Fällen

desorientierter Patienten hilft mir in der Anamne-

setechnik die Kombination von herkömmlicher

homöopathischer Anamnese und der Validation

nach Naomi Feil.

Regensburger Institut für Klassische HomöopathieGemeinschaftspraxis für Klassische Homöopathie

Untere Bachgasse 15 | 93047 RegensburgTel.: +49-(0)941- 56 10 50 | [email protected] Sie uns auf Facebook: www.facebook.com/predictive.homeopathy

| Dr. Prafull Vijayakar | Dr. Ambrish Vijayakar |

Seminar mit Dr. Prafull Vijayakar3. - 5. Oktober 2014 in Regensburg. Dieses Seminar wird uns wieder zeigen, wie tiefgreifend und effektiv die Methodik der Predictive Ho-möopathie ist. Es ist eine der mittlerweile seltenen Gelegenheiten, Dr. Prafull Vijayakar, einen der genialsten Praktiker der Klassischen Homöopathie, persönlich außerhalb Indiens zu erleben. Er wird den neuesten Stand in der Behandlung schwerster Pathologien darstellen sowie seine erweiterten Erkenntnisse zu Theorie, Praxis und Mate-ria Medica vermitteln. Unterstützt wird er dabei von seinem Sohn, Dr. Ambrish Vijayakar, einem ebenso begabten wie erfahrenen Ho-möopathen und Dozenten, der bei seinem Seminar im Oktober 2013 in Regensburg minutenlange stehende Ovationen bekam.“ Damit will er auch uns die Courage und das Rüstzeug geben, solch schwere Er-krankungen erfolgreich zu behandeln. Seminarsprache: Englisch, es wird übersetzt. Bitte frühzeitig anmelden, die Plätze sind begrenzt! Kosten: 420,- € (+60,- € Simultanübersetzung)

Weitere Infos: www.predictive-homoeopathie.de

Practical Training in Mumbai19. - 30. Januar 2015 in Mumbai. Eine kompakte Ausbildung in 10 Tagen: Sie werden von verschiedenen Dozenten (Dr. P. Vijayakar, Dr. A. Vijayakar, Dr. P. Borkar u. A.) in Mumbai unterrichtet und kön-nen dabei die Tiefe und den persönlichen Kontakt der Behandler mit den Patienten kennenlernen. Es wird viel Materia Medica geben, viel Theorie – doch noch mehr praktische Life- als auch Videofälle. Die Teil-nehmerzahl ist auf 45 Plätze begrenzt. Die Seminarsprache ist Englisch, schwierige Passagen werden ins Deutsche übersetzt. Kosten: 950,- €

Seminar-Video „Über die Grenzen - Beyond Limits“Wege der Heilung aus schwerster Pathologie mit Dr. Prafull Vijayakar

Das legendäre Seminar 2012 in Regensburg: 7 DVDs; Laufzeit ca. 23 Std.; Sprachversion: deutsch / englisch Als DVD: 129,- €; als Videostream: 109,- €

Predictive Supervision - seit 2013 in Regensburg mit Oliver MüllerSamstags: 27.9.2014 und 22.11.2014

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Warum Opium? Angeregt durch ein Seminar von Dr.

Michael Teut begann ich vor einigen Jahren, Patien-

ten, die offensichtlich traumatische Kriegssituationen

mit sich tragen, „testweise“ mit Opium in hohen Po-

tenzen zu behandeln. In 9 von 10 Fällen sind diese

Verschreibungen erfolgreich. Entweder beginnen die

Patienten nach den Opiumgaben über das Gewesene

erstmals zu berichten oder es „lichtet sich ein Nebel“

und bisher zurückgezogen lebende, auch nicht des-

orientierte Patienten, kehren ins Leben zurück.

Fall: 83-jährige Frau

Die alte Dame neigt während ihres gesamten Pfle-

geheimaufenthaltes zum Klagen. Sie beginnt, sich

zurückzuziehen und weigert sich, mit den ande-

ren Bewohnern zu essen. Ihre körperlichen Sym-

ptome (Ödeme, Herzinsuffizienz, zunehmende

Unbeweglichkeit der Beine, beginnende Demenz)

sind ohne klare Modalitäten. Ihre Bereitschaft zur

Zusammenarbeit ist gering. Auch das ausgebilde-

te Pflegepersonal kann keine Besonderheiten zur

Behandlung beitragen. So bleiben verschiedene

gegebene homöopathische Arzneien ohne Erfolg.

Nach einigen Jahren des Aufenthaltes im Pflege-

heim erkrankt die Patientin an einem Mammakar-

zinom mit nachfolgender Amputation. Bei ihrer

Rückkehr beginnt sie sich aufzugeben. Sowohl die

Gabe von homöopathischen Arzneien als auch

Gaben von Bachblüten bleiben weiterhin ohne

Erfolg. Die Mobilisationen vonseiten der Pflege-

kräfte lässt sie über sich ergehen, hilft beim Trans-

fer in den Sessel nicht mit.

Routinemäßig besuche ich sie. Mein Behand-

lungsziel ist die Vermeidung eines weiteren Rück-

zuges, der Bettlägerigkeit und ein Dahinvegetie-

ren, was unweigerlich folgen würde.

Bei meinem Besuch nach der Operation ist es

schwierig, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie liegt

im Bett, sieht im Zimmer umher und schaut ver-

wundert aus. Soweit es mir möglich ist, versuche

ich, ihre Bewegungen zu spiegeln und sehe in die

gleiche Richtung wie sie. Nach einer Zeit frage

ich sie, ob sie sich wundern würde. Da schmun-

zelt sie, sagt aber nichts. Ich bleibe im Zimmer

und betrachte weiter mit ihr das Unsichtbare und

Regensburger Institut für Klassische HomöopathieGemeinschaftspraxis für Klassische Homöopathie

Untere Bachgasse 15 | 93047 RegensburgTel.: +49-(0)941- 56 10 50 | [email protected] Sie uns auf Facebook: www.facebook.com/predictive.homeopathy

| Dr. Prafull Vijayakar | Dr. Ambrish Vijayakar |

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schmunzle gemeinsam mit ihr. Plötzlich fragt sie

mich, warum die Drei wohl so dunkel gekleidet

wären. Ich antworte, ob sie wohl zu einer Beer-

digung gehen wollen? Die Patientin sieht weiter

im Zimmer umher und meint, dafür wären sie ja

wohl zu klein. Ich frage weiter nach dem Alter der

Drei. Sie schätzt 5 und 7 und 12 Jahre alt. Die Fra-

ge, ob sie etwas über die Eltern und ihr Zuhause

wisse bleibt unbeantwortet. Wir beobachten noch

eine Weile gemeinsam.

Analyse, Verordnung und Verlauf

An meinen Schreibtisch zurückgekehrt erwäge ich

Opium, als Folge der Narkose. Auch Conium in An-

betracht der „Versteinerung“ und des Mamma-Ca.`s

kommt in die Auswahl. In der Rubrik „Wahnideen -

sieht Personen“ ist es vertreten. Aus der Erfahrung

entscheide ich wieder einmal einen Test mit Sulfur

zu starten. Auch wenn Hahnemann sich im Grabe

umdrehen würde bei meinen von ihm so verpönten

Routineverscheibungen, steht meine Entscheidung.

Ich will verhindern, dass sie uns gänzlich abrutscht

in die Phase der Unerreichbarkeit.

Verordnung➛ Sulfur C 30, 1-0-0 Tropfen täglich über 7 Tage.

Nach der Verschreibung finde ich im Repertorium

unter „Wahnideen sieht Personen“ den Sulfur, einen

Eintrag von Hahnemann und „sieht Gestalten“ von

Bönninghausen.

Visite nach 8 TagenLaut Pflegepersonal hat die Bewohnerin zweimal bei

der Grundpflege geredet. Ihr Missmut der Mobilisa-

tion gegenüber ist gleich geblieben.

Die alte Dame sitzt aufrecht in ihrem Sessel und erwi-

dert meinen Gruß. Sie sieht mich an! Auf die Frage,

ob ich mich setzen dürfe, nickt sie kurz. Wir reden

über das Wetter und die Kekse auf ihrem Tisch. Sie

hatte Besuch von ihren Kindern und erzählt dies

ohne Nachfragen. Beim Weggehen bittet sie mich

aktiv, doch wieder vorbeizuschauen, wenn ich Zeit

hätte.

Vier Tage späterLaut Pflegepersonal hat die Bewohnerin etwas mehr

gegessen. Sie antwortet auf Fragen. Diesmal frage ich

nach den dunkel gekleideten Kindern. Die Drei hat

sie nicht mehr gesehen. Wir reden vom Wetter, dem

Speiseplan, ich berichte von meinem Urlaub. Beim

Weggehen spricht sie von ihrer Langeweile. Ich möge

sie bitte wieder besuchen.

Verordnung➛ Sulfur C 30 reduzieren auf zweimal wöchentlich.

Visite 14 Tage späterIhre Veränderung ist auffällig. Sie spricht erstmalig

von der Brustamputation und sie kann ihre Verzweif-

lung äußern. Dann geschieht ein Novum in all den

Jahren ihrer Anwesenheit im Pflegeheim: Sie beginnt,

sich zu bedanken. Sowohl beim Pflegepersonal, bei

den Reinigungskräften und auch bei mir.

VerordnungSulfur wird abgesetzt, die Behandlung pausiert.

Bis zu ihrem Tod 6 Monate später besuche ich sie,

wobei sie sich beim Abschied jedes Mal bedankt. Die

„Kinder“ haben sie nicht wieder besucht. Eine Regres-

sion konnte verhindert werden.

Phase 3 der Demenz nach Naomi Feil

„Die Phase der sich wiederholenden Bewegungen“

Das Verhältnis zur Zeit ist nicht mehr vorhanden. Die

Desorientierten führen sich ständig wiederholende

Bewegungen aus. Rhythmus und Bewegungen erset-

zen die Sprache. Laut Naomi Feil ist das Abgleiten in

diese Phase vermeidbar, wenn die Desorientierten

regelmäßig, d.h. alle zwei Stunden am Tag, für eine

kurze Zeit stimuliert werden. Ähnlich einer Mutter,

die viele Male am Tag an das Bett ihres Baby tritt, um

es zu pflegen und in engem Kontakt zu sein. Dieses

aufgebaute Vertrauen verhindert, dass die Patienten

in die 4. Phase der Desorientiertheit, das Vegetieren,

abgleiten.

Wenn Menschen durch Bettlägerigkeit zur Unbeweg-

lichkeit verdammt sind, sich der Kontakt zur Außen-

welt auf pflegerische Maßnahmen und seltene Besu-

che Angehöriger beschränkt, zieht sich der Mensch

zurück, um den Stress der unerträglich gewordenen

Realität zu überstehen. Es gibt nichts zu tun. So keh-

ren sie in eine Zeit zurück, in der sie noch „jemand

waren“, sie beleben alte Erinnerungen, um ihre Wür-

de wieder herzustellen; diese Menschen stimulieren

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sich selber durch Erinnerungen und dies erzeugt ein

Mindestmaß an Wohlgefühl. Frühkindliche Sprach-

muster werden wiederbelebt auf der Suche nach Iden-

tität.

Die Sprache wird unverständlich, der Patient spricht

in Assoziationen. Die Worte ähneln denen, die er ei-

gentlich sagen möchte und gehen einher mit Mund-,

Kiefer- und Zungenbewegungen.

In dieser Phase ist eine Kontaktaufnahme nur noch

möglich über Berührung. So kann es sein, dass Sie

einen Ihrer Patienten auf dem Flur verbal begrüßen

und er durch Sie hindurch sieht. Gehen Sie auf ihn

zu und berühren ihn sanft am Arm und wiederho-

len Sie Ihre Begrüßung, so wird er auf Sie reagieren.

Eine Wiederbelebung erfolgt jetzt auch durch Klän-

ge und bekannte Lieder. Beispiel: Eine alte Patientin,

die an 364 Tagen des Jahres überwiegend die Tage mit

dem Kopf auf dem Tisch liegend verbrachte, erhob

ihren Kopf, saß kerzengerade, als der Tannenbaum

am 24.12. ins Zimmer getragen wurde. Die gesunge-

nen Weihnachtslieder konnte sie, nach anfänglichen

Schwierigkeiten mit der Stimme, fehlerfrei in allen Strophen mitsingen!

Wünschen Sie Kontakt zu einem solchen Patienten,

so setzen Sie sich in Ruhe zu ihm, berühren Sie ihn

sanft und spiegeln Sie seine Bewegungen, bei Bettlä-

gerigen auch den Atem. Erschrecken Sie nicht, wenn

sich dann irgendwann eine Tür öffnet und kurzzeitig

ein ganz normales Gespräch möglich wird, das Ihnen

Symptome für die homöopathische Arznei liefern

kann. Werden unterdrückte Gefühle klar erkennbar,

ist eine causale Behandlung möglich.

Fallbeispiele Demenz Phase 3

Fall: 85-jähriger Mann

Die Diagnose Alzheimer wurde vor über 10 Jahren

gestellt. Die resolute Ehefrau sorgte für einen re-

gelmäßigen Tagesablauf und schaffte ein Haustier

an, damit der Ehemann beschäftigt war. In dieser

Atmosphäre gelang eine lange Phase der Stabilität.

Durch einen Unglücksfall starb dann plötzlich die

Lieblingstochter der beiden. Die Ehefrau schilder-

te, dass ihr Mann bei der Beerdigung nicht wein-

te und keine Gefühlsregung zeigte. Bis zu diesem

Zeitpunkt hatte der alte Herr regelmäßig und viel

gesungen, besonders bei den Spaziergängen mit

seinem Hund. Der Einbruch durch den Tod der

Tochter veränderte die Situation schlagartig. Es

erfolgte ein massiver Rückzug. Die Ehefrau be-

richtete, dass ihr Mann von diesem Zeitpunkt an

„nur noch Buchstaben spucken würde“, es kämen

keine Wörter mehr. Die Lieder wurden zu einem

Summen, die dazugehörigen Texte waren ver-

schwunden.

Zwei Jahre nach diesem Ereignis wurde ich zur Be-

handlung hinzugezogen. Eine Kontaktaufnahme

ist nur über Berührung möglich, auf Ansprache

reagiert mein Patient nicht mehr. Er stimmt aller-

dings sofort in ein vorgesungenes Lied mit ein.

Analyse, Verordnung und Verlauf

Die für die Behandlung von Gemüts- und Geistes-

krankheiten so wichtigen körperlichen Symptome

waren gering. Eine Hochpotenz Aconitum, Opium

und Ignatia blieben ohne Erfolg (Sprachlosigkeit

durch Schreck).

Nach einer Behandlungspause von vier Monaten bat

mich die Ehefrau nochmals, nach ihrem Mann zu

sehen.

Wegen des unablässigen Summens, der Causa und

zweier positiver Erfahrungen mit manischem Singen:

Verordnung➛ Phos. C 200, 1-0-0 Tropfen über 7 Tage.

Begründung:Beschwerden durch Schreck, summt vor sich hin (lt.

Complete-Eintrag von Allen und meine eigene Erfah-

rung).

Drei Tage später„Er weint!“

Es war der Ehefrau schwer zu vermitteln, dass dieses

Weinen eine erwünschte Reaktion war. Ein paar Mal

in der Stunde brach der alte Mann schluchzend in

Tränen aus, danach setzte er seinen Summgesang fort.

➛ Pause mit Phosphorus

Weiterer VerlaufMein Ziel der Behandlung, verschüttete Emotionen

zu wecken, war erreicht. Das Weinen setzte sich je-

doch noch über 14 Tage weiter fort und gemeinsam

mit dem Pflegepersonal waren wir uns einig, dass hier

ein behandlungsbedürftiges Leiden vorläge.

Die Verschreibung von Acon., Bell. und Stram. (Ge-

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müt – Singen - abwechselnd mit - Weinen)

und diverser anderer „Kummermittel“

blieben ohne Erfolg.

Die intensive Bitte seiner Ehefrau bei

einer Begegnung auf dem Flur, doch

nochmals eine Arznei zu geben, ließ

mich schließlich (unrepertorisiert) zu

der folgenden Entscheidung kommen:

Verordnung➛ Pulsatilla C 30, zweimal täglich

einen Tropfen.

Drei Tage später„Er singt wieder und er weint nicht mehr.“

Die Reaktion auf das Mittel, verschrieben zwischen

Tür und Angel, beeindruckt mich in seiner Nachhal-

tigkeit.

Die Arznei wurde angesetzt als Bedarf. Im Abstand

von mehreren Wochen kommt es erneut zu Tränen-

ausbrüchen, die jedes Mal zuverlässig mit einer Gabe

Pulsatilla beendet werden. Das Singen behält der alte

Herr bei, doch hat es seinen fast wahnhaften Charakter

verloren.

Fall: 86-jähriger Mann

Im vorliegenden Fall war ein Blick in die Biografie

des alten Herrn die Lösung für sein Verhalten. Mit

seinem Gehwagen „fegte“ er durch die Gegend

und rief tags und leider auch nachts sein lautes:

„Ho ho ho“. Dieses Verhalten trieb er bis zu sei-

ner körperlichen und unserer seelischen Erschöp-

fung. Wir erfuhren von ehemaligen Nachbarn,

dass unser Bewohner früher Kühe auf die Weide

getrieben hat und sein Verhalten wurde verständ-

lich. Dieses Verhalten konnte mit Validation un-

terbrochen werden, indem wir ihn berührten und

sagten, die Kühe wären jetzt im Stall oder tagsüber

auf der Weide. Erst dann konnte er sich erschöpft

in seinen Sessel setzen.

Ansprache ohne Berührung war nicht möglich.

Die Homöopathie kam zum Einsatz aufgrund seiner

Dauererektionen, die das junge Pflegepersonal in

Schrecken versetzte. Unbekleidet lag er meist mor-

gens, manchmal aber auch tagsüber auf seinem Bett

und masturbierte ungehemmt. Ein typisches Verhal-

ten für die 3. Phase der Demenz, in der alle Hemmun-

gen fallen. Dem jungen weiblichen Pflegepersonal

setzte er tätlich zu, so dass nur noch

ältere oder männliche Pflegekräfte sein

Zimmer betraten. Eine Einzelgabe Hy-oscyamus C 200 Dunham setzte dem

Spuk ein Ende. Diese Ausbrüche wieder-

holten sich alle paar Monate. Hyoscya-

mus half jedes Mal mit einer Einzelgabe

zuverlässig.

Phase 4 der Demenz nach Naomi Feil

„Die Vegetation“

Die Patienten vegetieren vor sich hin. Sie verschlie-

ßen sich gänzlich vor der Außenwelt und geben das

Streben nach Verarbeitung auf. Ohne Stimulation

von außen werden sie zu lebenden Toten. Es kommt

zu einer vollständigen Reduktion von Sprache und

Mimik. Die Patienten benötigen regelmäßige Berüh-

rung und Ansprache. Für uns Außenstehende sind

keine äußeren Zeichen mehr erkennbar.

Validationsziel:

● Blickkontakt

● Minenspiel

● emotionale Reaktion

● Singen, Lächeln, Weinen oder körperliche Bewe-

gung

Fallbeispiel Demenz Phase 4

Fall: 85-jährige Frau, Endstadium Alzheimer Demenz

Seit Jahren liegt die alte Dame reglos im Bett. Das

Gesicht ist starr, die Augen geschlossen. Sie zeigt

keine Reaktionen. Früher hat sie bei der Versorgung

geschrieen. Auch das ist vorbei.

Ihr Gesicht sieht aus wie eine Maske. Die Stirn

liegt in Falten, sie ist nicht entspannt. Der Mund

ist geöffnet. Ihre einzigen Reaktionen erfolgen auf

Feuchtigkeit und Flüssigkeit am Mund, aber sie

kann den Schluckakt nicht mehr umsetzen. Ich

interpretiere dies als Durst. Die Ernährung erfolgt

per PEG (parenterale Ernährung).

Analyse und Verordnung

Mein Behandlungsziel: Das Gemüt zu erreichen, eine

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emotionale Reaktion, wenn möglich Entspannung.

Verordnung➛ Helleborus niger C 200, 1-0-0 Tropfen morgens

über 7 Tage.

VerlaufParallel zu meiner Behandlung hat das Pflegepersonal

mit beruhigenden Waschungen begonnen. Im Haus

wurde die Validation gelehrt. Welche Methode zum

„Erfolg“ verhalf ist nicht geklärt.

8 Tage später:Keine Reaktion, die Aussagen der Pflegekräfte sind

nicht eindeutig.

11 Tage später:Bei der beruhigenden Waschung ein leichtes Blinzeln

der Augen. Ich setze mich zu ihr, berühre sie und sin-

ge ein altes Schlaflied. Die Augen blinzeln.

Die Arznei wird jeden zweiten Tag weitergegeben. Bei

Berührung der Haut durch die Waschung, bei Berüh-

rung der Lippen mit Feuchtigkeit und bei leisem Ge-

sang blinzeln die Augen.

Ca. 20 Tage später:Das Blinzeln geht weiter, auch ohne Waschung.

➛ Reduktion von Helleborus niger auf zweimal wö-

chentlich.

Weitere 14 Tage später:Die Stirn ist faltenfrei, das Gesicht sieht entspannter

aus, Blinzeln bei Berührung und leisem Gesang. Lei-

der keine Öffnung der Augen.

➛ Die Arznei wird abgesetzt.

Vier Wochen später:Die Stirn hat wieder Falten, das Blinzeln wird nur

noch von der „Lieblingsschwester“ beobachtet.

➛ Erneut Helleborus niger C 200, zweimal wö-

chentlich.

7 Tage später: Das Blinzeln wird wieder häufiger beobachtet in Ver-

bindung mit Berührung oder Gesang. Die Stirn ist

wieder faltenfrei. Musik aus dem CD-Player hat keine

Wirkung.

➛ Ansetzen der Arznei nach Bedarf. Sobald das Blin-

zeln weniger wird, wiederholen.

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2 Siehe Martin Pistorius: Als ich unsichtbar war.

Inga Maria StalljannPromenadenweg 1 A / 23611 Bad Schwartau

[email protected]

Heilpraktikerin seit 1990, zertifizierte Homöopathin (SHZ). Praxis seit 1991, geria-

trische Homöopathie in Alten- und Pflegeheimen seit 1996. Homöopathische Aus-

bildung bei der Clemens-von-Boenninghausen-Akademie, weitere Ausbildungen

bei Gerhard Risch, Willibald Gawlik, Teilnahme am europäischen Materia medica-

Kurs von Dr. André Saine (2005-2010). Fachfortbildungen in Validation nach Nao-

mi Feil und Psychobiographisches Pflegemodell nach Böhm. Supervisionen zum

Thema homöopathische Geriatrie, Fachvorträge und Seminartätigkeit im deutsch-

sprachigen Raum.

...............................................................

Ein Erfolg? Ja, ein Behandlungserfolg!

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Dies gilt bis zum

letzten Atemzug. Es bedeutet, den Demenzerkrank-

ten nicht in einem Zimmer vor sich hin vegetieren

zu lassen. Das Unvermögen, Reaktionen zu zeigen,

bedeutet für den validationsgeschulten Beobachter

nicht die Freiheit von Leiden. Er gilt also feiner zu be-

obachten. Das definierte Behandlungsziel lautete da-

her in diesem Fall: Versuche, einen Kontakt zu diesem

Patienten herzustellen, der ihm seine Anspannung

nimmt, sichtbar in Form von Falten auf der Stirn als

einzig „messbarer“ Parameter. Eventuell die Spitze

eines Eisberges? Aus vielen Erfahrungsberichten mit

Menschen im Koma, die sich jenseits des bewussten

Geistes befinden, ist bekannt, dass eine „andere Ebe-

ne“ sämtliche Gedanken, Gefühle und Handlungen

der Pflegekräfte und Personen im Krankenzimmer

wahrnehmen2.

Nach Behandlung mit homöopathischen Arzneien

(und/oder Validation) kann es auch nach jahrelan-

ger Vegetation noch zu Reaktionen wie Tränenaus-

brüchen, Unruhezuständen oder an den Augen ab-

lesbaren Ängsten kommen. Zeigen sich die latenten

Zustände dann in ihrer akuten Form, vereinfacht dies

durch deutlichere Symptomatik die Verschreibung.

Häufig sterben die Patienten danach friedlich.

Zusammenfassung

Meine Informationen zum Thema Validation im Rah-

men dieses Artikels sind eine erste Einführung in das

Thema. Die Methode ist ausschließlich für demenz-

erkrankte Menschen geeignet, nicht für Menschen mit

psychotischen oder psychiatrischen Erkrankungen!

In 11 Jahren (2025) wird jeder dritte Mensch in

Deutschland über 60 Jahre alt sein. Damit wird die

Anzahl der demenziell Erkrankten deutlich steigen.

Unsere Patienten werden uns zunehmend mit chro-

nischen Krankheiten und Demenz konfrontieren.

Diese Behandlungen folgen anderen Gesetzen! Die

größte Hausforderung für uns Therapeuten ist das

Loslassen jeglichen Heilungsanspruches im Sinne

der Ganzheitlichkeit. Es lohnt sich, diese bewährte

Kommunikationsmethode zu erlernen. Naomi Feil

ist, ähnlich wie der verstorbene Dr. Gawlik, ein „Na-

turschauspiel“. Sie ist bereits über 80 Jahre alt. Ich

empfehle zur Vorbereitung auf die sich verändernde

Patientenschaft einen ihrer lebendigen Workshops.

Quellenhinweise:Feil, Naomi, Validation. Der Weg zum Verständnis ver-

wirrter alter Menschen, Ernst Reinhard-Verlag, Mün-

chen, 2005, 2. Auflage

Feil, Naomi, Validation in Anwendung und Beispielen,

Ernst Reinhard-Verlag, München, Band 17, 2. Auf-

lage, 2000

Tegeler, Heidrun, Herausforderndem Verhalten mit Va-

lidation nach Naomi Feil begegnen, Seminar-Script,

2009

Teut, Michael, Geriatrie Seminar-Mitschriften Köln

2/2010

Workshops mit Naomi Feilwww.validation-eva.com

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