Der Goldlack – Zier- und Nutzpflanze auf Abwegen

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FORUM | 322 | Pharm. Unserer Zeit | 4/2010 (39) www.pharmuz.de © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim PFLANZENPORTRAIT | Der Goldlack – Zier- und Nutzpflanze auf Abwegen Der in Felsfluren vorkommende, ver- mutlich aus dem östlichen Mittel- meergebiet und Westasien stammen- de Goldlack (Cheiranthus cheiri) ist aufgrund der zwei kurzen und vier langen Staubgefäße sowie der vier freien Kelch- und Kronblätter blüten- morphologisch leicht der Blüten- pflanzenfamilie der Brassicaceae zu- zuordnen, deren namengebende Gat- tung eine Reihe wichtiger Nutzpflan- zen wie Raps (Brassica napus) oder Kohl (Brassica oleracea) hervor- gebracht hat. Der deutsche Name Kreuzblütler rührt von den kreuzför- mig angeordneten Kronblättern her, die in dieser Familie überwiegend gelb gefärbt sind. Der Goldlack – von Plinius als „Viola lutea“ bezeichnet – wurde des angenehmen veilchenartigen Blüten- duftes und der dekorativen Blüten wegen bereits von den Römern gerne angepflanzt. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde die Pflanze um- fangreich züchterisch verändert und so entstanden zahlreiche Formen, bei denen die durch Flavonole gefärbten Blüten von gelb über orange bis rot variieren. Im „Garten von Eichstätt“, dem berühmten Herbarium des Basi- lius Besler von 1613, sind zudem be- reits zwei gefüllte und drei einfach- blütige gelbe Formen abgebildet. Im 18. Jahrhundert kamen schließlich noch bräunliche Blütenzüchtungen hinzu. Neben seiner vielfältigen Ver- wendung als Zierpflanze wurde der Goldlack aber auch als Arzneipflanze genutzt. Dabei wurden sowohl die getrockneten Blüten als auch die Samen und die Wurzeln z.B. gegen Hautjucken, zur Beförderung von Menstruation und Geburt, zur Hei- lung von Geschwülsten und bei Er- krankungen der Milz angewandt. Interessanterweise findet einer der Inhaltsstoffe der Pflanze, das Glyko- sid Cheiranthin, als wirksames Herz- mittel noch heute medizinische Ver- wendung. Die von den Apothekern des 16. Jahrhunderts für die Pflanze benutzte Bezeichnung „Cheiri“ oder „Cheirim“ geht auf den arabischen und persischen Namen „Khiri“ zu- rück. Ausgehend von den abgeleite- ten Begriffen benannte Carl von Linné im 18. Jahrhundert die Pflanze als Cheiranthus cheiri, während man den Goldlack heute überwiegend in die nah verwandte Gattung Erysi- mum integriert und als Erysimum cheiri bezeichnet. Aufgrund seiner Bedeutung als Zier- und Heilpflanze musste der Gold- lack, wie eine Reihe anderer Pflanzen, auf Befehl Kaiser Karls des Großen angepflanzt werden und war so be- reits ab dem 9. Jahrhundert in jedem Klostergarten zu finden. In der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Pflanze bereits so weit verbreitet, dass sie nach Leonhart Fuchs (1542) „überall in Gär- ten und Pflanzungen“ anzutreffen war. Die weite gärtnerische Verbreitung der Pflanze ermöglichte aber auch Ver- wilderungen in andere Lebensräume. Aufgrund seiner mediterranen Her- kunft ist der 20–90 cm hohe, wärme- bedürftige Halbstrauch auf trockene bis frische und nährstoffreiche Stand- orte angewiesen. Geradezu ideal für eine Etablierung von Goldlack-Bestän- den sind daher die Verhältnisse an Mauern, wo er in wintermilden Regi- onen auch im Winter grüne Blätter trägt. In Baden-Württemberg werden in der floristischen Literatur bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts verwilderte Vorkommen registriert, so z.B. am Heidelberger Schloss, wo der Goldlack auch heute noch reichlich vorkommt. Dass der zum Bau der Schlossanlage verwendete Buntsand- stein aufgrund seiner Porosität Wasser und Wärme gut speichern kann, be- günstigt die Bestände ebenso wie die Klimagunst des unteren Neckartals. Und in luftiger Höhe herrscht an der senkrechten Mauerwand weniger Kon- kurrenz als am Boden. Mit der Eroberung der Mauern als „sekundärem Lebensraum“ ist aber auch der Konflikt mit dem Menschen vorprogrammiert. Nicht jedem gefallen die im Mai und Juni bunt blühenden und teilweise recht dichten Goldlack- Teppiche. Nicht selten werden die be- merkenswerten Pflanzenarten, die in den Mauerfugen ein karges Dasein fris- ten, als chaotischer Wildwuchs emp- funden und bei Reinigungsarbeiten be- seitigt oder auch bei denkmalschütze- rischen Arbeiten aus Unkenntnis zerstört. Da Mauern aber den einzigen Lebensraum des Goldlacks darstellen, bedeutet hier jeder Eingriff ein Zurück- drängen dieser ohnehin schon recht seltenen Art. Mit ihm verschwände dann eine Pflanze, deren Zier- und Heilwirkung sich der Mensch bereits seit dem Altertum zunutze macht. Thomas Junghans, Borchen ABB. 1 Der Goldlack in Ritzen der Stadtmauer von Breisach ABB. 2 Aus den aufgeplatzten Schoten werden die flachen und mit einem kurzen Flugsaum ver- sehenen Samen des Goldlacks überwiegend durch den Wind ausgebreitet.

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322 | Pharm. Unserer Zeit | 4/2010 (39) www.pharmuz.de © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

P F L A N Z E N P O R T R A I T |Der Goldlack – Zier- und Nutzpflanze auf Abwegen

Der in Felsfluren vorkommende, ver-mutlich aus dem östlichen Mittel-meergebiet und Westasien stammen-de Goldlack (Cheiranthus cheiri) istaufgrund der zwei kurzen und vierlangen Staubgefäße sowie der vierfreien Kelch- und Kronblätter blüten-morphologisch leicht der Blüten-pflanzenfamilie der Brassicaceae zu-zuordnen, deren namengebende Gat-tung eine Reihe wichtiger Nutzpflan-zen wie Raps (Brassica napus) oderKohl (Brassica oleracea) hervor-gebracht hat. Der deutsche NameKreuzblütler rührt von den kreuzför-mig angeordneten Kronblättern her,die in dieser Familie überwiegendgelb gefärbt sind.

Der Goldlack – von Plinius als„Viola lutea“ bezeichnet – wurde desangenehmen veilchenartigen Blüten-duftes und der dekorativen Blütenwegen bereits von den Römern gerneangepflanzt. In den nachfolgendenJahrhunderten wurde die Pflanze um-fangreich züchterisch verändert undso entstanden zahlreiche Formen, beidenen die durch Flavonole gefärbtenBlüten von gelb über orange bis rotvariieren. Im „Garten von Eichstätt“,dem berühmten Herbarium des Basi-lius Besler von 1613, sind zudem be-reits zwei gefüllte und drei einfach-blütige gelbe Formen abgebildet. Im18. Jahrhundert kamen schließlichnoch bräunliche Blütenzüchtungenhinzu. Neben seiner vielfältigen Ver-wendung als Zierpflanze wurde derGoldlack aber auch als Arzneipflanzegenutzt. Dabei wurden sowohl diegetrockneten Blüten als auch dieSamen und die Wurzeln z.B. gegenHautjucken, zur Beförderung vonMenstruation und Geburt, zur Hei-lung von Geschwülsten und bei Er-krankungen der Milz angewandt.Interessanterweise findet einer derInhaltsstoffe der Pflanze, das Glyko-sid Cheiranthin, als wirksames Herz-mittel noch heute medizinische Ver-wendung. Die von den Apothekerndes 16. Jahrhunderts für die Pflanzebenutzte Bezeichnung „Cheiri“ oder„Cheirim“ geht auf den arabischenund persischen Namen „Khiri“ zu-rück. Ausgehend von den abgeleite-ten Begriffen benannte Carl vonLinné im 18. Jahrhundert die Pflanzeals Cheiranthus cheiri, während manden Goldlack heute überwiegend indie nah verwandte Gattung Erysi-mum integriert und als Erysimumcheiri bezeichnet.

Aufgrund seiner Bedeutung alsZier- und Heilpflanze musste der Gold-lack, wie eine Reihe anderer Pflanzen,auf Befehl Kaiser Karls des Großenangepflanzt werden und war so be-

reits ab dem 9. Jahrhundert in jedemKlostergarten zu finden. In der Mittedes 16. Jahrhunderts war die Pflanzebereits so weit verbreitet, dass sie nachLeonhart Fuchs (1542) „überall in Gär-ten und Pflanzungen“ anzutreffen war.Die weite gärtnerische Verbreitung derPflanze ermöglichte aber auch Ver-wilderungen in andere Lebensräume.Aufgrund seiner mediterranen Her-kunft ist der 20–90 cm hohe, wärme-bedürftige Halbstrauch auf trockenebis frische und nährstoffreiche Stand-orte angewiesen. Geradezu ideal füreine Etablierung von Goldlack-Bestän-den sind daher die Verhältnisse anMauern, wo er in wintermilden Regi-onen auch im Winter grüne Blätterträgt. In Baden-Württemberg werdenin der floristischen Literatur bereitsseit dem Ende des 18. Jahrhundertsverwilderte Vorkommen registriert, soz.B. am Heidelberger Schloss, wo derGoldlack auch heute noch reichlichvorkommt. Dass der zum Bau derSchlossanlage verwendete Buntsand-stein aufgrund seiner Porosität Wasserund Wärme gut speichern kann, be-günstigt die Bestände ebenso wie dieKlimagunst des unteren Neckartals.Und in luftiger Höhe herrscht an dersenkrechten Mauerwand weniger Kon-kurrenz als am Boden.

Mit der Eroberung der Mauern als„sekundärem Lebensraum“ ist aberauch der Konflikt mit dem Menschenvorprogrammiert. Nicht jedem gefallendie im Mai und Juni bunt blühendenund teilweise recht dichten Goldlack-Teppiche. Nicht selten werden die be-merkenswerten Pflanzenarten, die inden Mauerfugen ein karges Dasein fris-ten, als chaotischer Wildwuchs emp-funden und bei Reinigungsarbeiten be-seitigt oder auch bei denkmalschütze-rischen Arbeiten aus Unkenntniszerstört. Da Mauern aber den einzigenLebensraum des Goldlacks darstellen,bedeutet hier jeder Eingriff ein Zurück-drängen dieser ohnehin schon rechtseltenen Art. Mit ihm verschwändedann eine Pflanze, deren Zier- undHeilwirkung sich der Mensch bereitsseit dem Altertum zunutze macht.

Thomas Junghans, Borchen

A B B . 1 DerGoldlack in Ritzender Stadtmauervon Breisach

A B B . 2 Aus denaufgeplatztenSchoten werdendie flachen undmit einem kurzenFlugsaum ver-sehenen Samendes Goldlacksüberwiegenddurch den Windausgebreitet.