Demografische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

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Expertise des zsh im Auftrag von QFC

Transcript of Demografische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

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IMPRESSUM

Herausgeber: Qualifizierungsförderwerk Chemie GmbH 2008

Autorin: Bettina Wiener

zsh Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Druck: Druckerei Landsberg

Nachdruck und Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.

Das Projekt wurde gefördert durch:

Landkreis SaalekreisEigenbetrieb für Arbeit

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IMPRESSUM

Herausgeber: Qualifizierungsförderwerk Chemie GmbH 2008

Autorin: Bettina Wiener

zsh Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Druck: Druckerei Landsberg

Nachdruck und Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.

Das Projekt wurde gefördert durch:

Landkreis SaalekreisEigenbetrieb für Arbeit

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Seite 1

Bettina Wiener

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.

an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)

Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Expertise für die Qualifi zierungsförderwerk Chemie GmbH (QFC)

Seite 3

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorbemerkungen 5

1. Ein Blick zurück 7

1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschland

seit mehreren Jahrzehnten 7

1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt 7

2. Die demographischen Probleme sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen 10

2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen 10

2.2 Die Dominanz von KMU in Ostdeutschland geht häufi g einher mit fehlender

strategischer Personalpolitik 13

2.3 Die bereits sehr hohen Anforderungen an das Qualifi kationsniveau

in der Chemie werden weiter steigen 14

2.4 Die Überalterung der Beschäftigten in der ostdeutschen Chemie

ist schon länger ersichtlich 15

3. Es gibt erste Fachkräftelücken in der Chemie 17

3.1 Schwierigkeiten bei der Suche nach Fachkräften 17

3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation 18

4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft 19

4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie 19

4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit der Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen 19

4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen 21

4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich 22

4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten 23

4.2 Zielgruppenarbeit 25

4.2.1 Integration von Jugendlichen 26

4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten 27

4.2.3 Frauen in der Chemie 29

4.2.4 Ausländische Fachkräfte 32

4.3 Personalwirtschaftliche Anreize 32

4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern 32

4.3.2 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 34

5 Abschluss 37

Literatur 38

Anhang 42

Seite 4

Vorwort

Das Land Sachsen-Anhalt hat in den zurückliegen-

den Jahren große Fortschritte bei der Anpassung an

wettbewerbsfähige Strukturen gemacht. Dennoch

zählt es im europäischen Maßstab noch zu den

Regionen mit Entwicklungsrückstand und hoher Ar-

beitslosigkeit.

Zu den wichtigsten Standbeinen der wirtschaftlichen

Entwicklung zählt nach wie vor die Chemieindustrie

mit ihren traditionsreichen Standorten. Umfassende

traditionelle Chemiekompetenz verbindet sich hier

mit hoher Chemieakzeptanz: wettbewerbsfähige

Standortbedingungen und eine produktionsgerechte

Infrastruktur kennzeichnen diese Region.

Hier setzte das Pilotprojekt „Synthese“ mit einem

ganzheitlichen Ansatz an. Die Qualifi zierungsför-

derwerk Chemie GmbH Halle erhielt im Juni 2007

durch den Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für

Arbeit (EfA) den Auftrag, die koordinierende Bear-

beitungsstelle und das Projektmanagement für das

Pilotprojekt „Synthese“ des Eigenbetriebes für Ar-

beit einzurichten und umzusetzen. Dieses Pilotpro-

jekt berücksichtigte auf der Grundlage des Operatio-

nellen Programms des Landes Sachsen-Anhalt aus

Mitteln der Technischen Hilfe des Europäischen So-

zialfonds, das gesamte Spektrum der Instrumentari-

en der Arbeitsförderung und sonstiger arbeitsmarkt-

politischer Maßnahmen in Chemieunternehmen in

Sachsen-Anhalt und wendete diese bedarfsorientiert

an. Über einen gezielten Dialog und der Kooperati-

on zwischen Arbeitsmarktakteuren, Bildungsträgern

und Unternehmen wurden regionale Unternehmen

gestärkt. Mit Beginn der Projektaktivitäten wurde ein

Projektbeirat gegründet, dessen Vertreter ihre Erfah-

rungen zur Umsetzung der arbeitsmarktpolitischen

Instrumentarien in das Projekt eingebracht haben.

Dieses Gremium war mit Vertretern der Ministerien

für Wirtschaft und Arbeit, für Finanzen sowie der So-

zialpartner der chemischen Industrie, des Verbandes

der chemischen Industrie e.V. und Industriegewerk-

schaft Bergbau, Chemie, Energie und des Präsiden-

ten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt

besetzt.

Mit der hier vorliegenden Broschüre will die Quali-

fi zierungsförderwerk Chemie GmbH (QFC) dazu

beitragen, betriebliche Akteure für die aktuelle Fach-

kräftesituation und die sich daraus ergebenden per-

sonalpolitischen Anforderungen, zu sensibilisieren.

Die QFC GmbH dankt dabei allen, die an dieser

Expertise mitgewirkt und bei der Beschaffung von

Materialien und durch Interviews und Informationen

behilfl ich waren. Unser besonderer Dank gilt dem

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., das mit ei-

nem erfahrenen Team von Projektbearbeiterinnen

die Broschüre in unserem Auftrag erstellt hat.

Helmut Krodel

Geschäftsführer

Halle im August 2008

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 5

Vorbemerkungen

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt ist seit der Wende

von hoher Arbeitslosigkeit und einer außerordentlich

großen Nachfrage an Ausbildungs- und Arbeitsplät-

zen geprägt. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein

sehr ernstzunehmendes Problem. Allerdings verän-

dert sich die Problemlage: Aus der Ausbildungs- und

Arbeitsplatzlücke für Arbeitssuchende in den letzten

Jahren wird zukünftig eine Fachkräftelücke für die

Unternehmen.

Es fehlen bereits erste Spezialisten in verschiede-

nen Wirtschaftsbereichen und in der Zukunft wird für

viele Qualifi kationen ein Fachkräftemangel erwartet,

der sich vor allem aus den extrem sinkenden Schul-

abgängerjahrgangsstärken bei gleichzeitig erhöh-

tem Renteneintritt ergibt.

Wenn dem Fachkräfteproblem nicht entgegenge-

wirkt wird, kann es das Überleben vieler bisher er-

folgreich am Markt agierender Unternehmen gefähr-

den. Aus diesem Grund wird in der Expertise das

demographische Problem noch einmal dargestellt

und es werden Wege beschrieben, um die bereits

heute absehbare Entwicklung eines Fachkräfteman-

gels abzuwehren.

Die Expertise gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten

Kapitel werden die turbulenten demographischen

Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Ostdeutsch-

land und deren Auswirkungen auf den ostdeutschen

Arbeitsmarkt beschrieben. Im zweiten Kapitel wird

thematisiert, dass das demographische Problem in

vielen Unternehmen nach wie vor nicht angekommen

ist. Im dritten Kapitel wird die aktuelle Fachkräftesi-

tuation für die Chemie Sachsen-Anhalt ausgewertet.

Und im vierten und abschließenden Kapitel werden

Wege aus der „demographischen Falle“ beispielhaft

skizziert.

Die Quellen für die Erstellung dieser Expertise sind

vielfältig:

Zum einen wurden Ergebnisse aus wissenschaftli-

chen Untersuchungen zusammengetragen, die in

und um das zsh speziell zur ostdeutschen Entwick-

lung am Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren er-

stellt wurden. Besonderer Dank gilt dabei dem For-

schungsdirektor des zsh, Prof. Dr. Dr. h. c. Burkart

Lutz1, der sich unermüdlich seit Beginn der Wende

für die Belange gerade der ostdeutschen Industrie ein-

gesetzt hat sowie seinem gesamten Forscherteam. 2

An der Erstellung der Ergebnisse im zsh waren Dipl.

Soz. Sabine Böttcher (Erstellung der Fachkräftestu-

die an den drei besagten Chemiestandorten), Dipl.

Soz. Christina Buchwald (Auswertung und Erstel-

lung selbiger Studie, sowie der Mitarbeiterbefragung

zum Thema „Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und

Familie“), Dipl. Soz. Thomas Ketzmerick (Sonder-

auswertung der Beschäftigtenstatistik), Dipl.-Soz.

Ingo Wiekert (Ergebnisse der Ausbildungsbefragung

2006 in Sachsen-Anhalt) und Dipl.-Soz. Susanne

Winge (Ergebnisse eines Kompetenzentwicklungs-

datensatzes) beteiligt.

Weiterhin wird in der Expertise neben den umfäng-

lichen Arbeiten, die im zsh entstanden, auch auf ak-

tuelle Ergebnisse bundesweit einschlägiger Wissen-

schaftseinrichtungen zurückgegriffen.

Außerdem wird auf vielfältige Erfahrungen aus

Fachgesprächen eingegangen, die in den letzten

Jahren mit Unternehmern und wirtschafts- wie ar-

beitsmarktpolitischen Akteuren geführt wurden.

Speziell für diese Expertise fanden im Sommer 2008

Interviews (INT) zum Thema mit folgenden Experten

statt:

• INT1: Dr. Paul Kriegelsteiner (Hauptgeschäfts-

führer Arbeitgeberverband Nordostchemie)

• INT2: Petra Reinbold-Knape (Landesbezirks-

leiterin IG BCE/Landesbezirk Nordost)

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

1 Prof. Lutz wurde, nicht zuletzt auch wegen seines Engagements in den letzten 20 Jahren, am 6. Oktober 2008 von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für sein „hervorragendes wissenschaftliches Lebenswerk“ ausgezeichnet.2 Ausführliche Informationen zum Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (zsh) fi nden sich unter www.zsh-online.de.

Seite 6

• INT3: Jürgen Jankowski (Leiter Personalwesen

InfraLeuna GmbH)

• INT4: Joachim Nowak (Betriebsrat InfraLeuna

GmbH)

• INT5: Toralf Müller und Thomas Huerthe

Betriebsräte Guardian Flachglas GmbH

Thalheim)

• INT6: Barbara Röder und Burkhard Plöschner

(Betriebsräte MDSE mbH BT Bitterfeld).

Zudem haben sich im April 2008 55 Unternehmen

der Chemie und industrienaher Dienstleistungen

der drei Chemiestandorte Bitterfeld-Wolfen, Leuna

und Schkopau-Merseburg an einer repräsentativen

Fachkräftebefragung beteiligt.

Zum Thema „Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und

Familie“ kann ergänzend auf aktuelle Ergebnisse

aus einer schriftlichen Befragung im Sommer 2008

zurückgegriffen werden, an der 189 Mitarbeiter aus

5 Unternehmen am Chemiestandort Bitterfeld-Wol-

fen teilnahmen.

Allen Beteiligten sei noch einmal herzlich für die gute

Zusammenarbeit und Unterstützung gedankt.

Die Expertise wurde im Sommer 2008 für die Qua-

lifi zierungsförderwerk Chemie GmbH (QFC) erar-

beitet und konzentriert sich auf Problemlagen der

Fachkräfteentwicklung in der ostdeutschen Chemie-

industrie.

Dipl.-Soz. Bettina Wiener

Halle im September 2008

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 7

Über mehrere Jahrzehnte hinweg konnte der jewei-

lige Bedarf an Humanressourcen, an Qualifi kation

und Kompetenz, an Motivation und Leistung auf

hochgradig zuverlässige Weise gedeckt werden

(Lutz 1998, S.280 ff.). Ende der neunziger Jahre

wurde deutlich, dass das sehr effi ziente und ver-

lässliche Modell zur Rekrutierung, Ausbildung und

qualifi katorischen Weiterentwicklung der Fach- und

des größten Teils der technischen Führungskräfte

zunehmender Erosion ausgesetzt ist. (Lutz; Wiener

2000, S. 39–69) Ein wesentlicher Grund liegt in den

demographischen Verwerfungen, die sich in Ost-

deutschland besonders gut beobachten lassen:

• Vorzieheffekte in der DDR führten zu extrem

geburtenstarken Jahrgängen zwischen Mitte

der siebziger und Mitte der achtziger Jahre;

• darauf folgend kam es während der Wende zu

einem völligen Einbruch und einem Rückgang

der Geburtenzahlen teilweise auf ein Drittel,

also von zwischenzeitlich 240.000 auf 80.000

Geburten pro Jahr;

• die niedrigen Geburtenzahlen blieben in Ost-

deutschland seit 1991 fast unverändert gering

bei nur noch ca. 100.000 Kindern pro Jahr.

Diese Entwicklungen (Lutz, Ketzmerick, Wiener

1999) zeigen, dass spätestens seit der Unabhängig-

keit der Frauen durch die Pille in den siebziger Jah-

ren verstärkt mit demographischen Schwankungen

gerechnet werden muss. Die Unregelmäßigkeiten in

den Geburtenzahlen, die durch Selbstbestimmung

entstehen, mögen auf den ersten Blick als Nachteil

erscheinen. Der unübersehbare (auch gesellschaft-

liche) Vorteil besteht aber darin, dass die Frauen au-

tonom über den Zeitpunkt und die Zahl der Kinder,

die sie bekommen möchten, entscheiden und somit

unter anderem auch ihre berufl ichen Karrieren bes-

ser planen können.

Die Auswirkungen dieser demographischen Schwan-

kungen sind zudem meist langfristiger Natur, so dass

man sich im Bildungssystem und auf dem Arbeits-

markt rechtzeitig darauf vorbereiten könnte, wenn

man diese Entwicklungen kontinuierlich beobachtet

und die Schwankungen ernst nimmt.

1. Ein Blick zurück

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt steht als Folge der

massiven demographischen Turbulenzen vor einem

dramatischen Umschlag an Knappheitsverhältnis-

sen. Die Ursachen dafür liegen in den sehr großen

Unterschieden im Zustrom von Arbeitskräften zum

Arbeitsmarkt sowie im Abstrom der Arbeitskräfte

vom Arbeitsmarkt.3

Die demographischen Schwankungen führten dazu,

dass der ostdeutsche Arbeitsmarkt seit Mitte der

90er Jahre bis in die Gegenwart mit zwei massiven

Auswirkungen in Arbeitskräfteangebot und -nachfra-

ge zu kämpfen hatte:

(1) Die erste Auswirkung demographischer Turbu-

lenzen zeigte sich ein gutes Jahrzehnt lang in dem

massiven Nachwuchskräfteangebot für den Berufs-

ausbildungs- und Arbeitsmarkt, das nur in Teilen

und teilweise sehr unbefriedigend bedient werden

konnte.

1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt

1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschlandseit mehreren Jahrzehnten

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

3 Aktuell hat Lutz (2008) in einer Expertise für die Otto-Brenner-Stiftung derzeitige Strukturen und zu erwartende Entwicklungen von Beschäftigung und Arbeitsmarkt in der Metall- und Elektroindustrie in den neuen Bundesländern und ihre Bedeutung für die Inter-essenvertretung zusammengetragen.

Seite 8

4 Da es sich bei diesen Unternehmen um sehr homogene Altersstrukturen handelt, kann auf sie das Ablöseprobleme von Fachkräften und der Verlust von Erfahrungswissen in den nächsten 10 bis 15 Jahren zukommen, wenn die derzeitige Belegschaft von vorrangig 40- bis 50-Jährigen das Rentenalter erreicht. 5 So verdienen z.B. die Fachkräfte in der ostdeutschen Chemieindustrie nur zwei Drittel des westdeutschen Durchschnitts. (siehe Abbildung 1 im Anhang)

Das Angebot an Nachwuchskräften war seit der Mit-

te der 90er Jahre bis vor einem Jahr als Spätfolge

der aufwändigen Geburtenpolitik der DDR durch

sehr starke Schulabgängerzahlen bestimmt, die

ganz überwiegend einen dualen Ausbildungsplatz

suchten.

Die Zahl von Schulabgängern eines Jahrganges

machte in den Spitzenzeiten mit rund 220.000 und

240.000 Jugendlichen zwischen 4 und 5 Prozent

des Gesamtbestandes an Erwerbstätigen in Ost-

deutschland aus. Das ist doppelt so viel, wie bei sich

nicht verändernden Beschäftigtenzahlen gebraucht

wird.

(2) Die zweite Auswirkung demographischer Turbu-

lenzen spiegelte sich über mehr als ein Jahrzehnt in

der geringen Nachfrage an Nachwuchskräften wie-

der, die schon bei gleichbleibenden Beschäftigungs-

beständen zum Problem geworden wäre, aber bei

den zu beobachtenden sinkenden Beschäftigten-

zahlen noch viel massiver nachwirkte. Sie war die

Folge ausgesprochen geringer Austrittszahlen von

Erwerbstätigen in Rente im gleichen Zeitraum.

Die sehr geringen Abgangszahlen von jährlich rund

80.000 bis 90.000 Personen brachten im Verhältnis

zu den bis zu 2,5-fach höheren Zugangszahlen im-

mense Probleme mit sich. Über die Folgen wird im

Weiteren noch zu sprechen sein.

Ursachen lagen vor allem in den massiven Frühver-

rentungsprogrammen der Jahre um 1990, die dazu

führten, dass es über 10 Jahre hinweg kaum Be-

schäftigte in Ostdeutschland gab, die das gesetzli-

che Rentenalter erreichten. Vielmehr ging die große

Zahl dieser Menschen aus Vorruhestandregelungen,

Altersübergang oder Arbeitslosigkeit in Rente und

machte somit auch keine Arbeitsplätze frei.

In der betrieblichen Struktur äußerte sich die Ent-

wicklung so, dass vor allem zwei Typen von Unter-

nehmen mit sehr homogenen Altersstrukturen den

Markt dominierten:

Zum einen die sogenannten Olympiamannschaften

(Behr 2001), die sich die ersten Jahre nach der Wen-

de gründeten und vorrangig junge Mitarbeiter um die

30 Jahre einstellten (beispielsweise im IT-Bereich).

Diese Unternehmen hatten bisher keine nennens-

werten Altersabgänge zu verzeichnen.4

Zum anderen die bereits heute überalterten Betrie-

be, die seit anderthalb Jahrzehnten, das Unterneh-

men gemeinsam aufrecht halten, oft wegen fehlen-

dem Ersatzbedarf völlig ausbildungsunerfahren und

-entwöhnt sind und in Kürze einen großen Teil ihrer

Belegschaft in Rente verlieren.

Die hier vorgestellten Ungleichgewichte waren und

sind nicht nur konjunkturell bestimmt und von vorü-

bergehender Art, sondern zeigen auch strukturelle

Probleme. So schreibt Lutz, dass sich „offenkundig

die meisten der überlebenden ostdeutschen Betrie-

be in diesem ungleichgewichtigen Zustand mehr

oder minder gut einrichten konnten:

• Nachwuchs war nicht nur für alle Betriebe, die

ausbilden wollten und konnten, überreichlich

vorhanden.

• Das Verdienstniveau liegt bis heute weit unter

den westdeutschen Vergleichswerten5.

• Die erfahrenen, qualifi zierten Beschäftigten

waren (und sind vielfach noch heute) froh,

einen Arbeitsplatz zu haben und zu behalten

und stellen wenig Forderungen – abgesehen

vom Erhalt der Arbeitsplätze.

• Es gibt in den neuen Bundesländern kaum

Fluktuation zwischen den Betrieben.

• Tarifverträge und tarifl iche Regelungen sowie

der betriebspolitische Einfl uss von Betriebs-

räten spielten und spielen vor allem in der

großen Zahl von kleinen Betrieben kaum eine

Rolle.“ (Lutz 2008a)

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 9

Lutz führt weiter aus, dass sich „diese Bedingungs-

konstellation, die bisher vor allem mit Vorteilen für

die Arbeitgeber verbunden war“ zu Gunsten der

Arbeitnehmer entwickeln wird. Nachdem ein gutes

Jahrzehnt lang sehr starke Jahrgänge die ostdeut-

schen Schulen verlassen hatten, setzt jetzt ein mas-

siver Rückgang der Schulabgängerzahlen ein6. So

werden im Jahr 2011 in allen neuen Bundesländern

nicht einmal mehr halb so viele junge Männer und

Frauen wie in den vergangenen Jahren die Allge-

meinbildenden Schulen verlassen (Kultusminister-

konferenz, 20077).

Durch die derzeit zunehmend stärkeren Altersko-

horten, die das Rentenalter erreichen und neu zu

besetzende Arbeitsplätze räumen, sowie durch

den konjunkturellen Aufschwung seit 2006, der zur

Entstehung neuer Arbeitsplätze führte, wurde die

Diskussion um die Fachkräfteentwicklung entfacht.

Während wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitische

Akteure jahrelang die Ausbildungsplatzlücke in Ost-

deutschland und die Überqualifi zierung vieler ost-

deutscher Beschäftigter thematisieren, sprechen

dieselben Unternehmen jetzt von fehlendem quali-

fi ziertem Nachwuchs und einer sich androhenden

Fachkräftelücke.

Dieses Zusammenwirken der Veränderungen auf der

Angebots- und auf der Nachfrageseite wird in den

nächsten Jahren im Beschäftigungssystem zur Her-

ausbildung eines grundlegend anderen Ungleichge-

wichts führen. Der Forschungsdirektor des Zentrums

für Sozialforschung Halle, Prof. Lutz, sprach bereits

vor zehn Jahren von der demographischen Falle.

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

6 Unternehmen in den Chemieregionen berichten bereits von der Halbierung der Beweberzahlen im Jahr 2008. Dieser Rückgang der Bewerberzahlen in den Unternehmen geschieht zurzeit allerdings noch auf einem sehr hohen Niveau. „[…] wir haben ja heute noch in Betrieben für 50 Ausbildungsplätze 1000 Bewerbungen, dann haben wir zwar weniger als letztes Jahr, da waren es vielleicht 2200, aber immerhin noch 1000.“ [INT2] In anderen weniger attraktiven Bereichen als in den großen Chemiebetrieben wird aber auch schon heute von quantitativ wie qualitativ unzureichenden Bewerberzahlen gesprochen.7 Prognose der Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hochgerechnet aus dem Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit; neue Bundesländer; absolute Zahlen

0

50000

100000

150000

200000

250000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

63jährige Beschäftige Schulabsolventen

Abbildung 1: Schulabgänger und 63jährige Beschäftigte in Ostdeutschland 2001–2020 (absolute Zahlen)

Quelle: Schulabgänger; Prognose der Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hoch-gerechnet aus dem Beschäftigtenpanel der Bundesagentur für Arbeit; neue Bundesländer; absolute Zahlen

Seite 10

Einige wirtschaftliche Akteure haben sich bereits

frühzeitig mit den Langzeitfolgen dieser demogra-

phischen Verwerfungen auseinandergesetzt und

eine kontinuierliche Personalplanung in ihren Unter-

nehmen versucht. An dieser Stelle sei noch einmal

an den Nachwuchskräftepool in Leuna erinnert, mit

dem ein Brückenschlag von der Arbeitsplatz- zur

Fachkräftelücke gelang. (Meier, Pauli, Wiener 2002)

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

2. Die demographischen Problemesind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen

Dass bei den Betrieben die demographischen Pro-

bleme noch nicht überall angekommen sind, belegen

beispielhaft die nachfolgenden Ergebnisse einer im

zsh durchgeführten Studie.9 In einer Ausbildungs-

befragung in den Bundesländern Brandenburg,

Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wurden ausbil-

dende Unternehmen nach den Erfahrungen mit der

Entwicklung der Bewerberzahlen für die Berufsaus-

bildung in den letzten Jahren befragt.

In der repräsentativen Befragung ausbildender Un-

ternehmen 2006 gaben ein Drittel der befragten

Betriebe an, dass ihre Bewerberzahlen bereits ge-

sunken seien. Interessant ist, dass für alle Betriebe,

unabhängig von den Bewerberzahlen, zu diesem

Zeitpunkt galt, dass sie über 90 Prozent ihrer Ausbil-

dungsstellen besetzen konnten.

2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen

Die in Kapitel 1 aufgeführten Entwicklungen aus der

demographischen Entwicklung und der damit ver-

bundenen abnehmenden Bewerberzahl von Fach-

kräften werden von vielen Unternehmen noch nicht

erkannt. Dementsprechend unvorbereitet agieren

einige Unternehmer. Daraus könnten sich schwer-

wiegende Folgen für die Unternehmen ergeben:

Sie könnten sich beispielsweise darin zeigen, dass

es starke „Turbulenzen und Ungleichgewichte im

Lohngefüge durch die Gewinnung neuer Spezialis-

ten“ gibt. So kann das Entlohnungssystem aus den

Fugen geraten, wenn einzelne Spezialisten mit viel

Geld in die Regionen und Unternehmen gelockt wer-

den und mehr oder minder über Nacht eine deutli-

che Besserstellung als langjährig eingesetzte Mitar-

beiter erfahren. Wichtig ist es, die Betriebe auf die

Folgen für das gesamte Betriebsklima bei solchen

Kurzfristreaktionen aufmerksam zu machen. Hier

können die Tarifpartner mit Aufklärung präventiv und

unterstützend einwirken. (Vgl. auch Lutz 2008a)

Besonders schwierig wird es, wenn sich der Fach-

kräftemangel auf die De-Industrialisierung von Re-

gionen auswirkt, indem es zur Schließung oder Ver-

lagerung wichtiger Industrieunternehmen kommt.

Zwar entscheiden sich Unternehmen sehr selten

zu einer Standortverlagerung, wenn Fachkräfte am

Markt fehlen (in aktuellen Befragungen8 gaben das

gerade einmal fünf Prozent als eine mögliche Option

an). Kommt es aber zu einem solchen Entschluss,

hat das starke negative Auswirkungen auch auf

die Arbeitsfähigkeit der verbleibenden Betriebe am

Standort. Solche Regionen leiden zunehmend un-

ter der fehlenden Wirtschaftskraft und verlieren an

Attraktivität für neue Ansiedlungen.

8 fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008). www.fi scherappelt.de/Fachkraefteumfrage.pdf (download Mai 2008) und Befra-gung des zsh an drei Chemiestandorten in Sachsen-Anhalt 2008 (vgl. Kapitel 3)9 Zusammengefasste Ergebnisse einer zsh-Ausbildungsbefragung aus dem Jahr 2006 in: Lutz (2008) und Wiekert (2008)

Seite 11

Mehr als die Hälfte der Unternehmen (55 Prozent)

gab zudem an, dass sie auch zukünftig nicht mit

sinkenden Bewerberzahlen rechnen werden. Mit

dem Hintergrundwissen um die extrem stark abneh-

menden Schulabgängerzahlen, die seit einiger Zeit

auch überall in den Medien diskutiert werden, über-

raschte diese Antwort doch sehr.

Abbildung 2: Entwicklung der Bewerberzahlen in den letzten fünf Jahren

Bisherige und erwartete Entwicklung der Bewerberzahlen(Que lle: zsh-Ausbi ldungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)

27,7... gesunken.

100,0Gesamt

43,4... gleich geblieben.

28,9... gestiegen.

Die Bewerberzahl ist in den letzten fünf Jahren

zsh Zentrum fü r Soz ialforschung Halle e.V.

Folien-Nr.4 Datum 04.06.2008

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006

Abbildung 3: Entwicklung der Bewerberzahlen in den nächsten Jahren

27,7... gesunken.

100,0Gesamt100,0Gesamt

55,6... nicht sinken.43,4... gleich

geblieben.

44,4... sinken.28,9... gestiegen.

Die Bewerberzahl wird in den nächsten Jahren

Die Bewerberzahl ist in den letzten fünf Jahren

Bisherige und erwartete Entwicklung der Bewerberzahlen(Que lle: zsh-Ausbi ldungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)

zsh Zentrum fü r Soz ialforschung Halle e.V.

Folien-Nr.5 Datum 04.06.2008

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 12

In der Studie wurde der Frage nachgegangen, wie

es zu erklären ist, dass Veränderungen, die von

sehr großer Bedeutung für die Unternehmen sind

oder werden können, von vielen Betrieben auch

dann (noch) nicht wahrgenommen werden, wenn

sie offensichtlich sind? Die Wissenschaftler/innen

kamen zu dem Ergebnis, dass offenkundig ein sehr

deutlicher und enger Zusammenhang zwischen der

Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Be-

werberzahlen auf der einen Seite und den eigenen

aktuellen Erfahrungen der Betriebe mit dem tatsäch-

lichen Rückgang der Zahl der Lehrstellenbewerber

auf der anderen Seite besteht.

Denn mehr als 70 Prozent der befragten Unterneh-

men sammelten noch keine Erfahrungen mit Bewer-

bermangel. Von diesen Unternehmen rechnen über

zwei Drittel auch in Zukunft nicht mit einem Rück-

gang der Bewerberzahlen, wobei sie häufi g darauf

verweisen, dass sie als Ausbildungsbetrieb attraktiv

seien oder in besonders attraktiven Berufen ausbil-

den würden.

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Abbildung 4: Aus Erfahrungen werden Erwartungen

Aus Erfahrungen werden Erwartungen(Que lle: zsh-Ausbi ldungsbetriebsbefragung 2006; Tabellenprozent)

100,028,471,6Gesamt

45,722,922,8... wird sinken.

54,35,548,9... wird nicht sinken.

Gesamt... ist gesunken.

... ist nicht gesunken.

Die Bewerberzahl

zsh Zentrum fü r Soz ialforschung Halle e.V.

Folien-Nr.6 Datum 04.06.2008

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006

Knapp 30 Prozent der befragten Unternehmen hat-

ten bereits Erfahrungen mit rückläufi gen Bewerber-

zahlen. Von diesen Betrieben rechnet realistischer-

weise fast jeder auch in Zukunft damit, dass diese

Entwicklung anhält oder sich noch verstärkt. Diese

Unternehmen zeigen, dass sie sich rechtzeitig auf

die neuen Verhältnisse einzustellen versuchen.

Hingegen ist zu erwarten, dass viele Betriebe der

ersten Gruppe, die (noch) nicht von den Auswirkun-

gen der massiven Veränderungen in der Nachfrage

nach Fachkräften und vor allem in dem knappen

Angebot an Fachkräften betroffen waren, überzeugt

sind, dass sie auch in Zukunft mit ihren bis jetzt be-

währten Verhaltensmustern gut zurechtkommen.

„Diese Betriebe sind, so kann man ohne große Über-

treibung formulieren, auf dem Weg in die Zeitfalle

und werden dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit

erst feststellen, wenn es zu spät ist, erfolgreich ge-

genzusteuern.“ (Lutz 2008a)

Tabelle 1: Betriebe und Beschäftigte der Chemieindustrie nach Betriebsgröße (Angaben in Prozent)

Seite 13

Die Hälfte der Chemieunternehmen beschäftigt nicht

einmal 10 Mitarbeiter. Auch wenn in den großen Un-

ternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten fast zwei

Drittel der Mitarbeiter in der Chemie angestellt sind,

ist die große Zahl der kleinen und mittelständischen

Unternehmen (KMU10) nicht zu unterschätzen. Sie

gehören mit einem Drittel der Beschäftigten eben-

falls zu den Leistungsträgern dieser Branche.

2.2 Die Dominanz von KMU in Ostdeutschland geht häufi g einhermit fehlender strategischer Personalpolitik

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Quelle: Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaft, http://www.hvbg.de/d/pages/statist/unter/voll_betr/ (download am 01.09.2008)

Betriebe mit Betriebe Beschäftigte 0 bis 9 Beschäftigten 50,5 2,2

10 bi 49 Beschäftigten 26,7 9,5

50 bis 249 Beschäftigten 15,8 26,8

250 bis 499 Beschäftigten 2,7 14,4

500 und mehr Beschäftigten 2,3 47,1

100,0 100,0

Hinzu kommt, dass sich gerade in Ostdeutschland

die Beschäftigtenzahlen noch etwas stärker auf

die kleinen Unternehmen konzentrieren. (Vgl. Be-

rechnungen des Beschäftigtenpanels im Anhang,

Tabelle 1)

Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Be-

deutung der kleinen und mittleren Unternehmen

wird in der Öffentlichkeit recht wenig wahrgenom-

men und diskutiert. Gerade wenn es um die Fragen

der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und um neue

Beschäftigung geht, beherrschen die großen Un-

ternehmen im positiven wie im negativen Sinne die

Schlagzeilen. Eine Stärke der deutschen Volkswirt-

schaft liegt aber unter anderem in dem hohen Anteil

leistungsstarker kleiner und mittlerer Betriebe.

Allein ein Blick auf die Statistik veranschaulicht die

besondere Rolle kleiner Unternehmen. Die positi-

ven Beschäftigungseffekte kommen aus den kleinen

Unternehmen, die im Gegensatz zum Beschäfti-

gungsabbau in den mittleren und großen Unterneh-

men stehen. Die Beschäftigungsentwicklung und die

Beschäftigungspläne signalisieren, dass der Mittel-

stand weiterhin mit einem soliden Wachstum rech-

net. (Mittelstandsmonitor 2008, S.VI).

Trotz eines Wandels in der Betrachtung der KMU

werden diese bis heute oft unterbewertet und wenig

wahrgenommen. Wenn aber große Unternehmen

immer mehr Beschäftigungsabbau und Ausglie-

derungen betreiben, wird zum Erhalt der Wettbe-

werbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft die

Sicherung der kleinen Unternehmen zunehmend

wichtiger. Diese Unternehmen erhalten im Zuge der

Globalisierung und des Zusammenwachsens der

Weltwirtschaft sowie immer kürzerer Produktlebens-

zyklen aber nur eine Chance, wenn sie eine klare

strategische Ausrichtung haben, ausgeprägtes In-

novationsmanagement betreiben können und kon-

sequente Kundenorientierung pfl egen. (Hartmann,

Wiener, Winge 2006)

10 Nach der KMU-Defi nition der EU handelt es sich um ein kleines oder mittleres Unternehmen, wenn die Mitarbeiterzahl unter 250 Personen liegt und entweder der Jahresumsatz ≤ 50 Mio. Euro oder die Bilanzsumme ≤ 43 Mio. Euro ist.

Seite 14

Dabei kommt dem Wissen und Können der Mitar-

beiter im Unternehmen bei der Erhaltung der Wett-

bewerbsfähigkeit immer größere Bedeutung zu. Der

Erhaltung und dem Ausbau von Wissen und Können

der Mitarbeiter dient die Personalentwicklung. Sie

umfasst alle „Maßnahmen der Bildung, Förderung

und der Organisationsentwicklung, die zielgerichtet,

systematisch und methodisch geplant, realisiert und

evaluiert werden.“ (Becker, 2002, S. 4)

Aufgrund der Dynamik in der Wirtschaft wird es

gerade auch für kleine und mittelständische Un-

ternehmen, die keine eigenständischen Personal-

abteilungen haben und bei denen vielfach die Ge-

schäftsführung Personalfragen neben den sonstigen

Aufgaben bearbeitet, immer wichtiger, der Personal-

entwicklung ein größeres Gewicht zu geben. Ange-

sichts der dünnen Personaldecke und des geringen

Zeitbudgets vieler Führungskräfte in kleinen und

mittelständischen Unternehmen fehlt es häufi g an

einer kontinuierlichen Personalarbeit. Hier können

durch den Aufbau von Unterstützungsstrukturen,

z. B. in Form von Nachwuchskräfte- und Qualifi zie-

rungspools (Meier, Wiener, Winge 2007) sowie Ar-

beitgeberzusammenschlüssen (Hartmann, Meyer-

Wölfi ng 2008), Führungskräfte auf dem Gebiet der

Personalentwicklung qualifi ziert und entlastet wer-

den.

2.3 Die bereits sehr hohen Anforderungenan das Qualifi kationsniveau in der Chemie werden weiter steigen

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Tabelle 2: Beschäftigte der Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen (Angaben in Prozent)

Das Qualifi kationsniveau in der Chemieindustrie ist

extrem hoch. Das zeigt sich beispielsweise darin,

dass in der Chemie fast doppelt so viele Hochquali-

fi zierte (18 Prozent) beschäftigt sind, wie im Schnitt

aller Branchen (10 Prozent). In Ostdeutschland liegt

der Anteil sogar fast zwei einhalbmal so hoch (24

Prozent).

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh

Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Länder Neue Länder Gesamt Hochqualifizierte und Führungskräfte 17,4 24,2 18,1

Facharbeiter und Fachangestellte 59,8 59,4 59,8

Un- und Angelernte 22,8 16,4 22,1

100,0 100,0 100,0

Seite 15

Außerdem zeigt sich bei den Hochqualifi zierten und

Führungskräften ein höherer Anteil in den neuen

Bundesländern als in den alten Bundesländern. Das

unterscheidet die Chemie von anderen Branchen,

in denen die Anteile der Höherqualifi zierten in Ost

und West nur wenig differieren (Vgl. Lutz 2008a für

die Metall- und Elektroindustrie). Die Unterschiede

zeigen sich im Metall- und Elektrobereich eher bei

den Facharbeitern und Fachangestellten, während

in der Chemie in diesen Qualifi kationsstufen keine

Unterschiede zu fi nden sind.

In vielen Befragungen und Untersuchungen der letz-

ten Jahre (beispielsweise Reinberg, Hummel 2004)

wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass das hohe

Qualifi kationsniveau weiter bestehen bleiben wird

oder sich sogar weiter erhöht.

Das heißt, dass mit dem Abgang älterer Beschäf-

tigter nicht einfach ein Arbeitsplatzabbau verbunden

werden kann, sondern dass viele Qualifi kationen

durch junge Nachwuchskräfte ersetzt werden müs-

sen. Hier wird der professionelle Umgang bei der

Übertragung des Erfahrungswissens von den Älte-

ren auf die Jüngeren sehr wichtig.

2.4 Die Überalterung der Beschäftigten in der ostdeutschen Chemieist schon länger ersichtlich

Ein Übergewicht der mittleren und älteren Alters-

gruppen ist in der ostdeutschen Chemie bereits seit

längerem zu verzeichnen. Schon im Jahr 2000 führte

das zsh, vom BMBF gefördert, in Zusammenarbeit

mit dem Arbeitgeberverband Nordostchemie eine

Personalstrukturerhebung durch, die dies eindeutig

belegt.

Mehr als ein Drittel der Beschäftigten befand sich in

der Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren. Mehr

als ein Viertel der Beschäftigten war schon damals

im Alter zwischen 50 und 59 Jahren. Diese beiden

Altersgruppen bestimmten im hohen Maße das

Durchschnittsalter in der ostdeutschen Chemie von

43,4 Jahren. (Böttcher, Meier, Wiener 2001)

Das hauptsächliche Problem besteht darin, dass

selbst Unternehmen, die bereits sehr frühzeitig, also

vor ca. 8 bis 10 Jahren versucht haben, der demo-

graphischen Falle gegenzusteuern oder bei denen

– wie am Chemiestandort Leuna – seit Jahren ein

Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen ist, nur

begrenzt erfolgreich sein konnten, da auch sie äuße-

ren Zwängen unterlagen. Dazu gehörten unter an-

derem die geringen Abgangszahlen älterer Beschäf-

tigter in Rente. In der nachfolgenden Grafi k, die der

Personalleiter der InfraLeuna, Herr Jankowski, auf

der Abschlussveranstaltung des Projektes Synthe-

se präsentierte, wird dies für den Chemiestandort

Leuna verdeutlicht:

• So ist der Anteil der älteren Beschäftigten in

den letzten Jahren weiter angestiegen. Die Un-

ternehmen am Standort Leuna haben nun in

den nächsten 10 bis 15 Jahren massive Alters-

abgänge zu erwarten.

• Man sieht aber auch, dass am Standort bereits

versucht wurde, Nachwuchskräfte aufzubauen,

so dass sich die Zahl der 20 bis 25-Jährigen

– wenn auch auf sehr geringen Niveau – im

Zeitraum zwischen 2000 und 2006 verdoppeln

konnte. (Vgl. Abbildung 5)

11 In dem Projekt „Synthese“ wurden mit einem ganzheitlichen Ansatz gezielt Kooperationen zwischen regionalen Arbeitsmarktak-teuren, Bildungsträgern und Unternehmen aufgebaut, um dem Arbeitsmarkt passgenaue Fachkräfte zuführen zu können und ins-besondere Langzeitarbeitslose bei ihrem Integrationsprozess zu unterstützen. Die Qualifi zierungsförderwerk Chemie GmbH wurde im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens des Projektträgers, Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für Arbeit mit der Durchführung des Projektmanagements beauftragt.

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 16

Abbildung 5: Personalstruktur am Chemiestandort Leuna im Vergleich 2000 zu 2006

Jürgen Jankowski19.06.2008 www.infraleuna.de

Personalstruktur am Chemiestandort LeunaAltersstruktur der Beschäftigten gesamt

0

5

10

15

20

25

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 undälter

Beschäftigte 2000 Beschäftigte 2006

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung

Quelle: Daten der InfraLeuna. Eine detaillierte Darstellung der Altersstruktur am Standort Leuna nach Funktionen und Berufen ist im Anhang dargstellt (Jankowski 2008).

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin,

dass vor allem die Höherqualifi zierten von der Über-

alterung betroffen sind (Vgl. hierzu auch Abb. 2 und

3 im Anhang). Welche Spuren die extrem homoge-

ne Altersstruktur vieler Betriebe bereits jetzt in der

Entwicklung ihrer Personalstruktur hinterlässt, soll in

dem nächsten Kapitel verdeutlicht werden.

Seite 17

Zum Thema Fachkräfteentwicklung hat das Zentrum

für Sozialforschung Halle e. V. (zsh) im Mai 2008 eine

telefonische Umfrage an drei Chemiestandorten

(Bitterfeld-Wolfen, Leuna und Schkopau-Merseburg)

durchgeführt. Die Studie verdeutlicht, dass in der

ostdeutschen Chemie bereits erste Fachkräftelücken

sichtbar werden. (Die Ergebnisse sind ausführlich in

Wiener/Böttcher/Buchwald 2008 nachzulesen.)

3. Es gibt erste Fachkräftelücken in der Chemie

Jeder vierte Betrieb – und das ist mehr als im bun-

desweiten Durchschnitt12 – sagt, dass sich bereits

heute die Suche nach Fachkräften sehr schwierig gestaltet. Ein weiteres Viertel der befragten Unter-

nehmen (24 Prozent) schätzt die Suche nach Fach-

kräften als schwierig ein. Nur elf Prozent sind der

Meinung, dass es leicht sei, Fachkräfte zu fi nden.

In keinem der befragten Unternehmen ist man der

Ansicht, dass es sehr leicht sei, neue Fachkräfte zu

rekrutieren.

Weiterhin ergab die Untersuchung, dass kleine Be-

triebe die Suche nach Fachkräften schwieriger ein-

schätzen als größere Unternehmen. Aufmerken lässt

uns die Tatsache, dass etwas mehr als ein Drittel (35

Prozent) der Befragten in den drei Chemieregionen

sagt, dass sie aufgrund des Fachkräftemangels be-

reits heute Stellen nicht besetzen können.

Trotz aktuell weiterhin sehr hoher Arbeitslosenquo-

ten beklagen knapp drei Viertel der Unternehmen

in den befragten Chemieregionen (71 Prozent) wie

auch deutschlandweit über alle Branchen (70 Pro-

zent) bereits heute, dass zu wenig passfähige Fach-

kräfte auf dem Arbeitsmarkt zu fi nden seien. Hier

wird der seit Jahren bestehende Widerspruch zwi-

schen Arbeitskräfteüberschuss und gleichzeitigem

Fehlen qualifi zierter Fachkräfte sehr deutlich. Ein

großes Problem sieht die Hälfte der Unternehmen in

der nach wie vor anhaltenden Abwanderung von gut

qualifi zierten Fachkräften aus den befragten Che-

mieregionen.

Bei den Unternehmen, in denen bereits Stellen

unbesetzt bleiben, wird der Bereich „Produktion“

besonders häufi g genannt, mehr als jedes zweite

Unternehmen erlebt hier bereits Engpässe. Für den

Bereich „Forschung und Entwicklung“ gab jedes vier-

te Unternehmen Probleme bei der Stellenbesetzung

an. Dieser Wert ist ebenfalls sehr hoch, wenn man

bedenkt, dass bei weitem nicht alle befragten Unter-

nehmen Forschung und Entwicklung betreiben.

Aus der unterschiedlich starken Suche nach Fach-

kräften in den einzelnen Bereichen ergibt sich na-

türlich auch eine unterschiedlich starke Nachfrage

in den einzelnen Berufen. Im Durchschnitt ist jedes

Unternehmen in zwei Berufsgruppen auf Fachkräf-

tesuche. Gesucht werden vor allem folgende Quali-

fi kationen:

Im Bereich Chemische Grundstoffe sind es vor al-

lem Laborberufe (Chemielaboranten), bei den Che-

mischen Endprodukten Chemieproduktionsberufe

(Chemikanten) und Chemiker (Dipl.-Chemiker, Che-

mieingenieure und Ing. für Verfahrenstechnik), aber

auch Ausbilder und Industriemeister für Chemie. Bei

den Industrienahen Dienstleistungen sind es Me-

tall- und Elektroberufe (Industrie- und Anlagenme-

chaniker), ebenfalls Ausbilder und Industriemeister

für Elektrotechnik und Metall, Technikerberufe (Che-

mietechniker und Techniker des Elektro- und Metall-

fachs) sowie naturwissenschaftliche und technische

Ingenieure.

3.1 Schwierigkeiten bei der Suche nach Fachkräften

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

12 Um die Ergebnisse der Befragung in die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Gesamtsituation einbinden zu können, wird an entsprechenden Stellen den Vergleich zu einer ebenfalls im Jahr 2008 durchgeführten bundesweiten Umfrage unter 1300 Unterneh-men verschiedener Branchen herangezogen (fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008).

Ganz eindeutig zeigt sich, je höher die Qualifi kati-

onsanforderungen in den technischen Berufen sind,

desto schwieriger wird es mit der Fachkräftesuche.

Das mündet teilweise in die vergebliche Suche nach

Ingenieuren, die unter anderem darin begründet ist,

dass sich trotz guter Berufsaussichten die Ausbil-

dungszahlen für technische Berufe und Studienrich-

tungen seit längerem rückläufi g entwickeln. (siehe

dazu mehr in Kapitel 4)

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 18

Wenn es um die Beseitigung des Fachkräftemangels

geht, wird die eigene Verantwortung von Unterneh-

men weit oben angeführt. Rund 70 Prozent der Un-

ternehmen geben das in beiden Befragungen an.

Nur die Verantwortung der Universitäten und Aus-

bildungsstätten wird mit rund 80 Prozent häufi ger

genannt, was auf die hohen Qualifi kationsanforde-

rungen vieler Mitarbeiter hinweist, die nur mit Un-

terstützung dieser Bildungseinrichtungen zu sichern

sind. Qualifi zierte Tätigkeiten haben in der Chemie

einen hohen Stellenwert, somit werden auch weit

häufi ger als im Bundesdurchschnitt (41 vs. 26 Pro-

zent) private Bildungseinrichtungen als Partner bei

der Beseitigung des Fachkräftemangels gesehen.

Bund, Länder und Kommunen (50 vs. 29 Prozent)

sowie die Bundesagentur für Arbeit (44 vs. 8 Pro-

zent) sind für die Unternehmen in den ostdeutschen

Chemieregionen im Vergleich zur gesamtdeutschen

Erhebung deutlich wichtiger. Hier wird sehr auf Zu-

sammenarbeit und Unterstützung gesetzt. Diese

Einschätzungen sind sicherlich auf gute Erfahrun-

gen13 zurückzuführen.

Hingegen spielte die Eigeninitiative der Arbeitneh-

mer bei der Einschätzung der befragten Chemieun-

ternehmen in Sachsen-Anhalt eine deutlich gerin-

gere Rolle als im Bundesdurch-schnitt (39 vs. 58

Prozent). Erfahrungen aus dem Projekt Synthese

zeigen, dass sich das für viele Arbeitssuchende än-

dern lässt.

Dass der Einsatz aller Akteure (Unternehmen, Agen-

turen, Verbände und Gewerkschaften, Kommunen,

Länder und Bund sowie Beschäftigte und Arbeits-

suchende) zur Fachkräftesicherung gebraucht wird,

zeigt sich in den optimistischen Zukunftserwartun-

gen der Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt.

Mittelfristig, in den nächsten drei Jahren, erwarten

fast alle der befragten Betriebe eine gleichbleiben-

de (49 Prozent) oder sogar steigende (47 Prozent)

Entwicklung der Beschäftigtenzahlen. Diese optimis-

tische Einschätzung der mittelfristigen Entwicklung

der Beschäftigtenzahl geben vor allem Unternehmen

der Wirtschaftsbereiche Chemische Endprodukte

und industrienahe Dienstleistungen. Unternehmen

der chemischen Grundstoffproduktion erwarten hin-

gegen kaum Veränderungen bei den Beschäftigten-

zahlen.

Im Vergleich zur mittelfristigen Perspektive fällt die

Einschätzung der Beschäftigtenentwicklung in der

langfristigen Perspektive, für die kommenden zehn

Jahre, noch einmal positiver aus. Hier erwarten 56

Prozent der Unternehmen eine Zunahme. 40 Pro-

zent der Unternehmen schätzen für diesen Zeitraum

ein, dass sich die Anzahl der Beschäftigten in ihrem

Unternehmen nicht verändern wird.

Deutliche Unterschiede in den Erwartungen zeigen

sich in Abhängigkeit von der Betriebsgröße der Un-

ternehmen. So erwarten 85 Prozent der Unterneh-

men mit weniger als 50 Mitarbeitern eine Zunahme

ihrer Beschäftigtenzahl. Bei den Unternehmen mit

mehr als 50 Mitarbeitern sind dies nur 44 Prozent.

Das heißt, gerade die kleineren Unternehmen, die

es bei der Fachkräftesuche häufi g noch schwerer

haben als die größeren, setzen in Zukunft auf quali-

fi zierte Verstärkung.

3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation

13 Nicht zuletzt mit solchen Projekten wie dem eben abgeschlossenen „Synthese“, mit dem durch aufwendige Sozialisations- und Qualifi kationsmaßnahmen versucht wurde, Langzeitarbeitslose in qualifi zierte Tätigkeiten in der Chemie zu vermitteln.(Quelle: http://qfc.projekt-mia.de/main.php?lang=de&act=projects_detail&pid=34&subid=4, Download Juli 2008)

Seite 19

Da wir von einzelnen Unternehmen bereits wissen,

dass sie einschätzen, dass das Fachkräfteproblem

bereits auf Kosten der Qualität ihrer Arbeit geht,

wird es dringend notwendig, nach Wegen zur Fach-

kräftesicherung zu suchen. So berichten vor allem

mittelständische Unternehmen davon, dass sie Ent-

wicklungsprojekte zurückstellen müssen, wenn die

entsprechenden Qualifi kationen durch Ingenieure,

Techniker oder andere Fachkräfte fehlen. Die Ver-

meidung von Fachkräftelücken ist somit im Hinblick

auf die Festigung der zukünftigen Wettbewerbsfä-

higkeit der Regionen eine nicht zu unterschätzende

Aufgabe. In diesem Kapitel werden unterschiedliche

Ansätze, die bereits erprobt sind und Lösungen, die

in diesem Zusammenhang diskutiert werden, vorge-

stellt.

4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft

Einen ausreichenden Pool guter Fachkräfte kann eine

Gesellschaft nur durch ein vorbildlich entwickeltes

modernes Bildungssystem erreichen. Dafür tragen

Politik, Wirtschaft und die Beschäftigten gleicherma-

ßen Verantwortung. Die Bildung beginnt bereits im

frühkindlichen Alter und mündet in ein Lebenslanges

Lernen (LLL). In Deutschland werden seit längerem

eine „mangelnde Ausbildungsfähigkeit“ vieler Ju-

gendlicher und eine im internationalen Vergleich viel

zu niedrige Studienberechtigtenquote festgestellt.

Das steht im Widerspruch zu den im Zusammen-

hang mit dem Wandel der Arbeitswelt wachsenden

Aus- und Weiterbildungsanforderungen. Somit kam

es bei vielen Beschäftigten in den letzten 15 Jahren

zu deutlich höheren Anforderungen an Komplexität

und theoretischem Anspruch. (Gehrke u. a. 2008)

Auf die hohen Qualifi kationsansprüche in der Che-

mie wurde bereits in Kapitel 2 ausführlich eingegan-

gen. Bei den steigenden fachlichen Ansprüchen ist

zu befürchten, dass sich die Schere zwischen Anfor-

derungs- und Eignungsprofi l weiter öffnet. Hier kann

nur mit Bildung entgegengewirkt werden. Umso

wichtiger wird die Qualifi zierungsvereinbarung für

die Chemieindustrie, die nach übereinstimmender

Auffassung von BAVC und IG BCE zur Sicherung

und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Chemie-

unternehmen sowie zum Erhalt und der Verbesse-

rung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer

dient.

Die Unternehmen müssen frühzeitig mit der Fach-

kräftesicherung beginnen, das heißt gemeinsam mit

den Kindertagesstätten, den Allgemeinbildenden

Schulen und Berufsschulen sowie mit den Hoch-

schulen daran arbeiten, das Interesse an Technik

bei den Kindern und Jugendlichen zu wecken und

zu fördern.

4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Der Fachkräftemangel wird als quantitatives sowie

als qualitatives Problem diskutiert. Das von den Be-

trieben benannte Hauptproblem ist die abnehmen-

de Zahl guter Bewerber für die Berufsausbildung.

Die Unternehmen berichten, dass die Berufsausbil-

dungsbewerber immer leistungsschwächer werden.

Die Wissenslücken zeigen sich, wie auch der Per-

sonalleiter der InfraLeuna auf der Synthese-Tagung

am 04. Juni 2008 zusammenfasste, vor allem bei

„Defi ziten in der Mathematik (wie Prozentrechnung,

Dreisatz, Umrechnung von Maßeinheiten) und im

Fach Chemie. Hinzu kommen Rechtschreibschwä-

4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit der Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen

chen (die sich schon in fehlerhaften Bewerbungs-

schreiben zeigen) und Probleme in der Grammatik

sowie beim Lesen. Weitere Defi zite zeigen sich im

Sozialkunde- und Allgemeinwissen der Berufsaus-

bildungsbewerber.“

Das Problem fehlender guter Schulabsolventen für

die Berufsausbildung kann sich in den nächsten

Jahren mit den geringer werdenden Bewerberzahlen

noch verschärfen, da Erfahrungen der Vergangen-

heit zeigen, dass mit abnehmenden Schulabgänger-

zahlen der Anteil der Jugendlichen, die sich dann für

eine betriebliche Ausbildung entscheiden sinkt und

der Anteil der Jugendlichen, die ein Studium begin-

nen, steigt. Das geht auf Kosten der Qualität der Be-

rufsausbildungsbewerber.

Die Ursachen für die abnehmende Qualität der Aus-

bildungsbewerber sind vielfältiger Natur. Ein Grund

liegt in den seit Jahren steigenden Schulabbre-

cherquoten. So verließen im Schuljahr 2006/2007

deutschlandweit fast 76.000 junge Menschen die

Schule ohne Abschlusszeugnis, das waren 7,8 Pro-

zent aller Abgänger aus Allgemeinbildenden Schu-

len. (Statistische Ämter des Bundes und der Länder

(2008)

Ein anderer Grund besteht darin, dass das Interesse

der Kinder und Jugendlichen für technische und na-

turwissenschaftliche Fächer extrem gering ist. „Dann

wollen sie sich nicht die Hände schmutzig machen,

und wenn die dann mal hier in den Betrieb reinkom-

men, […] die sind völlig geplättet, das können die

sich gar nicht vorstellen. Weil ja ein Großteil nur das

Handy am Ohr hat und dann rumrennt: ‚Hurra, ich

werd Superstar’.“ [INT5]

So gilt es in Zukunft, bereits frühzeitig mit der In-

teressenbildung von Kindern und Jugendli-chen

für die Chemie zu beginnen. „Unser Bezirk Hal-

le-Magdeburg arbeitet an einem Projekt, naturwis-

senschaftlich-technische Berufe in den Schulen, ja

sogar schon in den Kindergärten bekannt zu ma-

chen. Wichtig dabei ist, praktisch zu erkennen, dass

Chemie nichts Schlimmes ist, im Gegenteil: Chemie

bedeutet Zukunft.“ Das macht ja unser Bezirk Halle-

Magdeburg auch sehr gut.“ [INT2]

Für die vorberufl iche Bildung der Jugendlichen soll-

ten sich nicht nur Allgemeinbildende Schulen, Be-

rufsschulen und Betriebe sondern auch die Eltern

gemeinsam verantwortlich fühlen. Vorbehalte ge-

genüber Chemie-Berufen gibt es nach wie vor, diese

„existieren durch die Eltern und Großeltern, die be-

triebsbedingt entlassen worden sind … das fällt uns

jetzt auf die Füße“ [INT3]. Umso schwieriger aber

auch umso wichtiger ist die Information der Eltern

über die Zukunft in der Chemie.

Gerade Betriebe müssen mehr Berufsausbildungs-

werbung und Nachwuchsarbeit betreiben. Von allen

Interviewpartnern wurden bereits bestehende Aktivi-

täten angeführt:

Sommer- und Wintercamps für Schüler

(organisiert zusammen mit der Bundesagentur

für Arbeit);

Vorstellung von Chemie- und chemienahen

Berufe in den Schulen;

Informationsveranstaltungen an den Chemie-

standorten (hier könnten verstärkt auch Eltern

beispielsweise zu den Tagen der offenen Tür

mit eingeladen werden);

Standort- und Unternehmensbesichtigungen;

Schüler und auch Lehrer im Quartal für einen

Tag in die Praxis integrieren;

Mitarbeiter, Betriebsräte und Azubis gehen in

die Klassen und erzählen etwas über die Be-

rufsbilder oder Sozialpartnerschaft im Betrieb

und spielen mit den Schülern Verhandlungen

durch. [Beispiele aus INT3 und INT4]

Den Schulen fehlt es in vielen Fällen an technischer

Infrastruktur. Um diese Lücken zu schließen, könn-

ten Unternehmen mit Sachinvestitionen oder auch

Personal helfen. Solche Investitionen sind ein Weg,

Schüler frühzeitig für Technik zu interessieren und

später leichter für den berufl ichen Eintritt zu gewin-

nen. „Dass du also den Jugendlichen mal vorführst:

Wie sieht das in der Praxis aus, nicht nur das, was

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 20

angelesen wird. Ja, und das ist ja so eine Art Qua-

litätszertifi kat für Schulen. Wenn die Schulen gewillt

sind, sich diesem Zertifi zierungsprozess zu unterzie-

hen, sponsern wir mit Material für Chemieunterricht,

Physikunterricht. Oder mit Geld, machen eben Pro-

jekte.“ [INT4] Es gibt also bereits einzelne Beispie-

le. Diese reichen aber bei weitem nicht aus. Allen

Initiatoren sollte zudem bewusst sein, dass sich der

Erfolg erst mittel- bis längerfristig zeigen kann.

Besonders wichtig wird auch die Weiterbildung der

Lehrer, um sie an die Praxis in den Unternehmen

heranzuführen. Diese Angebote, soweit sie bereits

bestehen, werden noch viel zu wenig genutzt. „Ich

hatte immer den Eindruck, irgendwo ist die Lehrer-

schaft ein Stück weit überfordert, den Schülern etwas

über die Berufswelt beizubringen. Nicht nur Lehrer,

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

sondern auch Eltern. Wir sind jetzt in der glücklichen

Lage, dass sich das ein bisschen zum Positiven ent-

wickelt, weil so viele Arbeitsplätze entstehen.“ [INT5]

Mit einer Verbesserung der Beschäftigungssituation

für Arbeitssuchende, fällt auch die Chemie wieder in

ein besseres Licht.

Der Hauptgeschäftsführer der Nordostchemie bringt

die Aufgaben noch einmal auf den Punkt, indem er

sagt: „Ich versuche jetzt ein stringentes Unterstüt-

zungssystem für Naturwissenschaften zwischen

Kindergarten und Universitäten aufzubauen. Wir

sind bisher punktuell vorgegangen, wir machen den

Chemie-Kinderwettbewerb, wir unterstützen Paten-

schaften von Unternehmen und Schulen, wir spen-

den Geld, wir bilden Lehrer fort …, aber ein durch-

gängiges System haben wir nicht.“ [INT1]

Seite 21

Das deutsche duale Ausbildungssystem und die

Qualität seiner Absolventen werden weltweit aner-

kannt und geschätzt. Allerdings haben in den letzten

Jahren zunehmend mehr Ausbildungsplatzbewerber

keine Chance zur Berufsausbildung erhalten. Aktuell

fällt die Entscheidung zwischen Ausbildung und ex-

terner Rekrutierung bei vielen Unternehmen vielfach

gegen die eigene Ausbildung aus (nur rund ein Vier-

tel aller Betriebe bilden aus14), die Ausbildungsquote

in der ostdeutschen Chemie liegt bei 5,5 Prozent,

also unter dem Gesamtdurchschnitt aller Branchen

mit 8,5 Prozent.15

In den drei befragten Chemieregionen in Sachsen-

Anhalt sind 2008 breite Ausbildungsaktivitäten zu

fi nden. 89 Prozent aller befragten Unternehmen

bilden aus und erfüllen eine überdurchschnittliche

Ausbildungsquote von 9 Prozent. Die Übernahme-

quote liegt bei 68 Prozent, dabei werden von fast 40

Prozent der Betriebe alle ausgebildeten Absolven-

ten übernommen. Bei den Auszubildenden, die nicht

übernommen werden, muss man damit rechnen,

dass ein Großteil abwandert und somit auch spä-

ter dem regionalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung

steht. Denn die Rückwanderungsneigung Jugendli-

cher, die erst einmal in einer anderen Region Fuß

gefasst haben, ist relativ gering.

Die Ausbildungsaktivitäten werden in den nächsten

Jahren nach Einschätzung der Betriebe aus der Un-

ternehmensbefragung Chemie weiter zunehmen. So

wollen die meisten Unternehmen mittelfristig, also in

den nächsten drei Jahren, die Anzahl ihrer Ausbil-

dungsplätze beibehalten oder erhöhen. Das heißt,

durch die Erhöhung der Ausbildungsaktivitäten bei

gleichzeitigem Rückgang der Bewerberzahlen müs-

sen die Unternehmen folglich verstärkt werben und

rekrutieren, denn es wird noch schwieriger werden,

entsprechend gut qualifi zierte Schulabgänger für in-

dustrielle Berufe zu gewinnen.

In der praktischen Umsetzung der Berufsausbildung

zeigen sich weitere Anforderungen. Bei den Inhalten

der Berufsausbildung wird darauf verwiesen, dass

manche Ausbildungen durch die ständige Weiterent-

wicklung zu komplex würden. Andere Ausbildungs-

4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen

14 Vgl. BIBB (2007a).15 Auswertung des Beschäftigtenpanels der BA

gänge seien auf veraltetem Wissensstand. Hier ist

die Beteiligung an der Diskussion um die Berufsaus-

bildung durch die Betriebe besonders wichtig. Seit

Mitte der 90er Jahre arbeiten die Experten des BIBB

mit den Betriebspraktikern an der Modernisierung

der Ausbildungsordnungen und der Schaffung einer

Vielzahl neuer Berufe.

Wie anspruchsvoll und komplex die Umsetzung

einer optimalen Berufsausbildung ist, zeigt sich in

unterschiedlichen Einschätzungen von Berufsbil-

dungsexperten. Auf der einen Seite wird die Ausbil-

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 22

dungsqualität durch das duale Berufsbildungssys-

tem in Deutschland als zuverlässig eingeschätzt. Auf

der anderen Seite wird aber auch von den Betrieben

eine bessere Durchlässigkeit der Bildungssyste-

me angemahnt. Ein Weg wird beispielsweise in der

Umschulung angelernter, erfahrener Mitarbeiter zur

IHK-Fachkraft gesehen. Auch modulare Ausbildun-

gen werden angestrebt und mit den Kammern dis-

kutiert. Allerdings darf durch solche Veränderungen

nicht die Attraktivität und Zuverlässigkeit der dualen

Berufsausbildung gefährdet werden.

In einer Studie vom Niedersächsischen Institut für

Wirtschaftsforschung (NIW), von der Nord/LB und

dem zsh wird festgestellt, dass die Vermittlung und

Förderung von ‚Technikkompetenz’ in Deutschland

über lange Jahre vernachlässigt worden ist. Trotz

guter Berufsaussichten haben sich die Bewerber-

zahlen für technische Ausbildungsberufe und Stu-

diengänge über Jahre hinweg rückläufi g entwickelt.

So ist z.B. die Zahl der Absolventen ingenieurwis-

senschaftlicher Studiengänge in den letzten 10 Jah-

ren (von 48.300 im Jahr 1996 auf 35.600 in 2006)

um gut ein Viertel gesunken, während die Zahl der

Hochschulabsolventen insgesamt im gleichen Zeit-

raum um fast 10 Prozent angewachsen ist (von 202

Tsd. auf fast 221 Tsd.). In der Konsequenz sind in

der Gruppe der unter 40-jährigen Bevölkerung in

Deutschland schon heute weniger Akademiker mit

ingenieurwissenschaftlicher Kompetenz vertreten

als unter den 55–64-Jährigen. Insofern ist absehbar,

dass sich, der in der Breite der Wirtschaft beklagte

Ingenieurmangel, im Zuge der Verrentung der stark

besetzten älteren Jahrgänge drastisch verschärfen

wird. (Gehrke u. a. 2008; Heine 2006; Uhly 2007)

In Ostdeutschland kam zu der geringen Studier-

freudigkeit der Jugendlichen ein weiterer Grund ver-

schärfend hinzu. Angesichts der schlechten Arbeits-

marktchancen waren viele Gymnasialabsolventen

aus den starken Kohorten der Schulabgänger be-

strebt, rasch erwerbstätig zu werden. Sie bewarben

sich zu Lasten Gleichaltriger mit niedrigerem Schul-

abschluss um einen der immer knapper werdenden

betrieblichen Ausbildungsplätze. (Steiner 2007) So

stieg die Zahl der Lehrstellenbewerber weiter an,

während die Studierquote deutlich unter den west-

deutschen Werten blieb (die vielfach den Ausbau-

plänen der Hochschulen zugrunde gelegt wurden).

(Lutz 2008a)

Von den Interviewpartnern wurde die befürchtete

Fachkräftelücke gerade im Hochschulbereich mehr-

fach angemahnt. „Ich denke, dass es in dem ganzen

Bereich der Studienabgänger – also Ingenieure und

Techniker – ein starkes Problem geben wird. Das ist

nicht so sehr in den Ballungsgebieten das Problem,

da gibt es andere Probleme. Das ist eher in den sehr

stark ländlichen Strukturen ein Problem. Da muss

man schon Anreize bieten. Das hat zum einen etwas

mit der ländlichen Struktur, aber auch zum anderen

mit der Bezahlung zu tun.“ [INT2]

Neben der Berufsausbildung (87 Prozent) nutzen

die Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt auch

viele andere Möglichkeiten zur Rekrutierung neuer

Fachkräfte: Am häufi gsten wurde bei den zusätzli-

chen Wegen die Kontaktaufnahme und Bindung von

Studenten genannt (66 Prozent). Das kann durch

die „Anbindung während der Studienzeit beispiels-

4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich

weise in Form von Praktika und Diplomarbeiten oder

auch durch kooperative Ausbildungsgänge, also die

Kombination von Ausbildung und Studium gesche-

hen.“ [INT2] Neben „Praktika, Diplom-Arbeiten und

Bachelor-Arbeiten müssen sich die Firmen an den

Hochschulen auch selbst präsentieren, nicht nur

durch die Vergabe von Arbeiten, sondern durch ihr

Profi l und ihre Leistungspalette, die sie anbieten.

Dadurch können sie sich dann auch besser positi-

onieren.“ [INT3] Solche Möglichkeiten können zum

Beispiel bei den Kontaktbörsen der Hochschulein-

richtungen genutzt werden.

Ergänzend wurde in der Befragung von Chemieun-

ternehmen in Sachsen-Anhalt danach gefragt, ob

die Betriebe eher passgenaue Fachkräfte (62 Pro-

zent) einstellen oder nach der Einstellung der Fach-

kräfte Qualifi zierungsanpassungen vornehmen (64

Prozent). Zu sehen ist, dass jeweils zwei Drittel der

Unternehmen diese Wege nutzen. Außerdem wird

von den Unternehmen häufi g auch überregional

nach Fachkräften gesucht (62 Prozent).

Wichtig sind für die Unternehmen nicht nur die for-

malen Abschlüsse, sondern auch die vermittelten

Ausbildungsinhalte. Hier muss mehr Transparenz

darüber bestehen, welche Kompetenzen bei Bewer-

bern mit bestimmten Abschlüssen zu erwarten sind.

Das gilt ganz besonders für die langsam zunehmen-

de Zahl von Bewerbern mit Bachelor-Abschluss. Vie-

le Unternehmen können damit noch nicht viel anfan-

gen, durchschauen zudem das System nicht. Es gibt

z.B. dreijährige und vierjährige Bachelorstudiengän-

ge. Vielfach ist für die Unternehmen unklar, welche

Funktionen diese Absolventen im Arbeitsprozess

übernehmen können und wie sie zu entlohnen sind.

Es gibt aber auch Betriebe, die bereits stark auf die

neuen Bildungsabschlüsse setzen und weitere Qua-

lifi kationsmodelle in Angriff nehmen. „Das ist meiner

Ansicht nach die ideale Kombination. Da haben wir

jetzt mit der Fachhochschule Merseburg einen Ver-

suchsballon laufen, bei dem das Bachelor-Studium

in die Berufsausbildung integriert ist. Da haben wir

einen Elektroniker für Betriebstechnik, das sind vier

Jahre Bachelor-Studium und davon ein Jahr Be-

rufsausbildung. Die ersten zwei Jahre macht er ein

BA-Studium, das dritte Jahr macht er Berufsausbil-

dung und das vierte Jahr macht er dann wieder das

BA-Studium. Der Vorteil ist, dass er praxisorientier-

ter eingesetzt werden kann, er hat dann mehr De-

tailwissen und beherrscht wesentlich mehr auf der

Strecke Energietechnik, als die Bachelor ohnehin

schon beherrschen.“ [INT 3]

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 23

Ein Problem der Fachkräftesicherung liegt in zuneh-

mend unausgeglichenen Altersstrukturen der Be-

legschaften und dem weitgehenden Fehlen von vor-

ausschauender Personalpolitik besonders in kleinen

und mittelgroßen Firmen, die die Unternehmens-

landschaft in Ostdeutschland bestimmen. „So haben

die Unternehmen einen Großteil des von ihnen aktu-

ell beklagten Fachkräftemangels bedingt durch we-

nig eigenständige ‚Nachwuchspfl ege’, unzureichen-

de Ausbildungs- und Weiterbildungsanstrengungen,

Freisetzung von qualifi zierten, vielfach älteren Kräf-

ten, in wirtschaftlich ungünstigen Phasen etc. selbst

zu verantworten16.“ (vgl. Gehrke u. a. 2008)

Wie wichtig Weiterbildung ist, wird beispielsweise im

IT-Bereich sehr deutlich, weil das Wis-sen dort be-

sonders schnell veraltet. Die Unternehmen schätzen

ein, dass der gestiegene Anspruch an Weiterbildung

die meisten Tätigkeiten und Mitarbeitergruppen be-

trifft. Allerdings fehlt es in den meisten Unterneh-

men an einer systematischen Weiterbildung im An-

schluss an die Berufsausbildung.

Die Weiterbildung, als ein Weg zur Fachkräftesiche-

rung, wird bei den befragten Chemieunternehmen,

noch vor der Ausbildung mit 87 Prozent, in neun von

zehn Fällen (89 Prozent) genannt. Hier zeigt sich

bereits ein hohes Bewusstsein zu diesem Thema.

4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten

16 So investieren die Betriebe nach einer aktuellen VDI-Studie viel zu wenig in die Weiterbildung ihrer eigenen Belegschaften bzw. setzen dabei die falschen Schwerpunkte. Vgl. dazu Wirtschaftswoche Nr. 51/2007, S. 100–103: Die Mär vom Mangel.

Allerdings sagt diese Bekundung der Unternehmen

noch nichts über die Form und Qualität der Weiter-

bildung aus, weil „… es bei der Weiterbildung erst

ganz langsam zum Wandel in den Betrieben kommt.

Nicht nur immer speziell auf den einzelnen Arbeits-

platz abgestellt weiterzubilden, also learning by do-

ing, sondern darüber hinaus sich mal so einen Pool

von Menschen zu schaffen, die nicht alle hinterher

Führungskraft werden, die aber zumindest bereit-

stehen und bestimmte Qualifi kationen haben. Es

gibt einige Großbetriebe, die haben solche Weiter-

bildungsprogramme.“ [INT2] Für tarifgebundene Un-

ternehmen ist „Weiterbildung und Personalplanung

mitbestimmungspfl ichtig. Wir haben eine Betriebs-

vereinbarung, die Qualifi zierung und Weiterbildung

heißt.“ [INT4] Bei den vielen nicht tarifgebundenen

Unternehmen sieht die Situation deutlich schwieri-

ger aus.

Die in Deutschland im internationalen Vergleich eher

schwach ausgeprägte Weiterbildungsbeteiligung gilt

nicht nur auf Seiten der Unternehmen, speziell bei

KMU17. Auch die individuelle Weiterbildungsbereit-

schaft der Beschäftigten ist tendenziell niedriger als

in vielen anderen Ländern. Besonders auffällige Ab-

weichungen ergeben sich bei gering Qualifi zierten

und älteren Beschäftigten18.

Das Engagement zur Weiterbildung bei den gering

qualifi zierten Mitarbeitern im gewerblichen Bereich

wird von den Unternehmen als besonders schwierig

eingeschätzt. Das hängt zum einen mit der Motiva-

tion der Beschäftigten zusammen, ist aber zum an-

deren auch auf fehlende Angebote der Betriebe zu-

rückzuführen. Viele Unternehmen praktizieren ihre

Weiterbildung aus Kostengründen ausschließlich als

„training-on-the-job“, um damit eine höhere Produk-

tivität am gegenwärtigen Arbeitsplatz zu erzielen,

ohne deutlich höhere Kosten einsetzen zu müssen.

Die Diskussion um ein zu geringes Engagement in

der Weiterbildung vor allem in kleineren und mitt-

leren Unternehmen geht aber auch einher mit der

Diskussion um den Wandel von Lernformen. Neben

den herkömmlichen Formen formalen Lernens oder

formaler Weiterbildung treten zunehmend „innovati-

ve“ oder „neue“ Lernformen, wie arbeitsprozessna-

hes aber auch selbstgesteuertes Lernen, in den Fo-

kus. Untersuchungen19 zu diesem Thema verweisen

auf die wachsende Bedeutung dieser Lernformen

gerade für kleinere und mittlere Unternehmen. Die

lernförderliche Gestaltung von Arbeitsplätzen – ge-

rade für Mitarbeiter geringerer Qualifi kation – kann

Lernhemmnisse durch entsprechend ausgerichtete

Angebote überwinden helfen. Exemplarisch sei hier

auf die Dauer von Schulungen verwiesen: kürzere

Einheiten mit vielen Wiederholungen entsprechen

dem Lernstil von Mitarbeitern niedrigerer Qualifi kati-

on eher als Tagesseminare mit voll gepacktem Pro-

gramm. (Winge/ Wiener 2008)

Mit der Forderung nach zunehmender Sicherung

der Beschäftigungsfähigkeit Älterer muss auch die

Lernkultur für Ältere verbessert werden.20 Man muss

wissen, dass ältere Menschen anders lernen, und

dass sie andere Motivationen zum Lernen bewegen.

In dem BIBB-Forschungsprojekt „Weiterbildungskon-

zepte für das spätere Erwerbsleben (WeisE)“ wur-

den Personalverantwortliche in Unternehmen nach

Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte be-

fragt. Es zeigte sich, dass spezielle Weiterbildungs-

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 24

17 In der NIW-Studie 2008 steht: Deutschland belegt nach den Ergebnissen der dritten europäischen Erhebung zur betrieblichen Weiterbildung (CVTS 3) im Jahr 2005 unverändert (zur Vorgängeruntersuchung aus 1999) nur im Mittelfeld. Bei wichtigen Kennzif-fern zur betrieblichen Weiterbildung sind zudem sogar Rückgänge zu verzeichnen gewesen. So nahmen der Anteil weiterbildender Unternehmen und der Anteil der Unternehmen, die Weiterbildung in Form von Kursen und Seminaren anbieten, ab. Zudem hat sich der Anteil der Beschäftigten, die in Maßnahmen eingebunden sind, leicht rückläufi g entwickelt, während die direkten fi nanziellen Aufwendungen der Unternehmen für Weiterbildung (nominal) sogar um fast ein Viertel geschrumpft sind – bei unveränderter Zahl der durchschnittlichen Weiterbildungsstunden je Beschäftigten (vgl. Behringer/Moraal/Schönfeld 2008). Während nach dieser Unter-suchung lediglich 44 Prozent der Kleinunternehmen mit 10 bis 19 Beschäftigten Kurse anbieten, ist dies bei Großunternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten nahezu die Regel. Im internationalen Vergleich fällt damit das Weiterbildungsengagement von kleineren Unternehmen in Deutschland besonders schwach aus (vgl. dazu auch Haak 2003).18 International vergleichende Analysen fi nden sich bei Behringer/Moraal/Schönfeld (2008), Schmidt (2007), OECD (2005) und in der Zusammenschau bei Gehrke/Schasse (2006).19 Siehe auch Kailer, N. (Hrsg.) 2001: Betriebliche Kompetenzentwicklung. Wien: Linde oder Kriegesmann, B.; Lamping, S.; Schwe-ring, M. 2002: Kompetenzentwicklung und Entwicklungsdynamik in KMU und Großunternehmen. Berichte aus der angewandten Innovationsforschung. Nr. 202, Institut für Angewandte Innovationsforschung Bochum. 20 Aktuelle Auswertungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB 2008) belegen für Deutschland im Vergleich zu 26 europäi-schen Ländern eine unterdurchschnittliche Teilnahmequote älterer Beschäftigter.

angebote für Ältere bei Seminaren oder Workshops

zu Themen wie Altersteilzeit oder Vorruhestand bei

generationsspezifi schen Nachholbedarfen, wie z.B.

bei den IuK-Technologien, Sinn machen. Sehr viel

wichtiger als speziell didaktisch gestaltete Bildung-

sangebote für Ältere wurden aber kontinuierliche

Weiterbildungen über den gesamten Berufsverlauf

eingeschätzt. Außerdem sollten die Mitarbeiter spü-

ren, dass ihr Expertenwissen und ihre Erfahrungen

gefragt sind. (BIBB 2008)

Der von der BAVC und IG BCE neuartige „Tarifver-

trag Lebensarbeitszeit und Demografi e“, der 2008

geschlossen wurde, berücksichtigt erste Aufgaben

zum demographischen Wandel und greift damit die

Herausforderungen der alternden Gesellschaft auf.

So sollen Anreize für eine längere Beschäftigung,

beispielsweise durch Maßnahmen zur alters- und

gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitspro-

zesses mit dem Ziel der Verbesserung der Beschäf-

tigungs- und Leistungsfähigkeit sowie durch Maß-

nahmen zur Qualifi zierung während des gesamten

Erwerbslebens, gesetzt werden. (vgl. BAVC 2008)

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 25

Ein weiterer Grund für die fehlende Motivation zur

Weiterbildung bei den Beschäftigten kann in der

ungenügenden Anerkennung ihres Engagements

liegen. „Wenn ich jetzt die Weiterbildung innerhalb

des Unternehmens sehe: Viele Leute sind fl exibel

ausgebildet, kriegen aber immer noch den gleichen

Lohn, wie einer der hier nur Stapler fährt. Da sehen

wir ein Riesenproblem auf das Unternehmen zu-

kommen, weil auch die Motivation der Leute wichtig

ist.“ [INT5]

Unternehmen begründen geringe Weiterbildungs-

aktivitäten häufi g mit fehlendem Geld und zu gerin-

gen Zeitressourcen. Vielfach verbreitet ist auch die

Meinung, erfolgreiche Unternehmen bräuchten kei-

ne Weiterbildung, Es sei abschließend zu diesem

Thema angemerkt, dass in aktuellen Studien des

zsh nachgewiesen wird, dass weiterbildungsaktive

Unternehmen erfolgreicher sind als andere. Diese

Erfahrungen sollten unbedingt an die Unternehmen

herangetragen werden. (Winge/Wiener 2008)

Wenn die zur Verfügung stehenden Fachkräfte für

die Unternehmen nicht mehr ausreichen, müssen

die Personalverantwortlichen Zielgruppen berück-

sichtigen, die bisher viel weniger im Mittelpunkt ihrer

Rekrutierungsstrategien stehen. Hier lassen sich für

die Zukunft eine Menge Potentiale ausschöpfen. Al-

lerdings werden damit die Investitionen für gut aus-

gebildete und qualifi zierte Fachkräfte zeitlich und

fi nanziell eher steigen.

Auf vier Gruppen, jüngere und ältere Arbeitnehmer/

innen, Frauen und ausländische Fachkräfte, soll im

Weiteren ausführlicher eingegangen werden.

Für die ersten beiden Gruppen von Beschäftigten,

die unterschiedlichen Altersgruppen angehören, wird

ein interessantes Ergebnis aus der Unternehmens-

befragung in Chemiebetrieben Sachsen-Anhalts

vorangestellt. Dazu sei eingangs darauf hingewie-

sen, dass 91 Prozent der befragten Unternehmen

der Aussage zustimmten, dass der demographische

Wandel auf die Personalbeschaffung der Zukunft

negative Auswirkungen haben werde. Trotz des ho-

hen Problembewusstseins treten, wie im Folgenden

abgebildet, Widersprüche im Rekrutierungsverhal-

ten der Betriebe auf.

So betonen zwar drei Viertel der Unternehmen (76

Prozent), dass das Alter bei der Rekrutierung von

Arbeitskräften keine Rolle spielen würde, da Be-

rufserfahrung wichtiger sei. Aber nur 49 Prozent der

Unternehmen geben an, bewusst auch Ältere ein-

zustellen, obwohl bei denen eher Berufserfahrung

zu erwarten wäre. Hier offenbaren sich in der Praxis

große Potentiale der zukünftigen Arbeitskräfterekru-

tierung.

4.2 Zielgruppenarbeit

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 26

Abbildung 6: Rekrutierung von Jungen und Älteren (Mehrfachnennungen)

49%

87%

76%

91%

Stellen bewusst auchÄltere ein

Achten darauf, auchJüngere einzustellen

Alter spielt keine Rolle,Berufserfahrung ist wichtig

Wandel führt in Regionenzu Problemen bei derPersonalbeschaffung

Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das QFC 2008

Zurzeit besteht bereits bei Hochschulabsolventen ein

erster Engpass. „Bei uns ist klar, dass in den nächsten

fünf bis sechs Jahren mindestens 120 Beschäftigte

durch Inanspruchnahme der Altersteilzeit ausschei-

den werden. Aber, da sind wir im Prinzip auch schon

gewappnet. Für die zu ersetzenden 120 haben wir

jetzt schon 30, meist in Form von Doppelbesetzun-

gen, an Bord. Das sind in aller Regel Trainees und

Auszubildende oder zukünftige Trainees, die bei uns

ein duales Studium absolvieren oder auch Werks-

studenten.“ [INT3] Es wird zum berufl ichen Einstieg

wichtig sein, dass sie interessante Aufgabenfelder in

ihrem zukünftigen Unternehmen erkennen und ein

Gefühl von Perspektive und Sicherheit erhalten.

Weiterhin kann sich das Unternehmen durch Be-

rufsausbildung den eigenen Facharbeiternachwuchs

heranbilden. Auch hier wird es mit abnehmender

Bewerberzahl immer wichtiger gegen andere Ausbil-

dungsplatzanbieter durch gute Konditionen zu kon-

kurrieren. Angebote einer längerfristigen Beschäfti-

gungsperspektive im Anschluss an die Ausbildung

und guter Entwicklungschancen auch über die Aus-

bildung hinaus werden hier zum Trumpf der Unter-

nehmen.

Wenn die Schulabgänger nicht mehr ausreichend für

die Berufsausbildung zur Verfügung stehen, sollte

nach Wegen gesucht werden, um aus dem Poten-

tial der Jugendlichen zu schöpfen, die aufgrund der

schwierigen Bedingungen der letzten zehn Jahre viel

zu wenig Möglichkeiten bekamen, den Einstieg ins

Erwerbsleben zu bewältigen. Diese Jugendlichen ha-

ben in einer Reihe von teilweise sehr aufwendigen

Förderprogrammen des Bundes, der ostdeutschen

Bundesländer und der Bundesagentur für Arbeit

sogenannte Maßnahmekarrieren durchlaufen. Viel-

fach wurden durch die Programme lediglich die beim

4.2.1 Integration von Jugendlichen

Gleichzeitig sagen 87 Prozent der Unternehmen,

besonders darauf zu achten, jüngere Arbeitneh-

mer einzustellen. Dies erklärt sich zum Teil aus der

aktuellen Situation vieler überalterter Unternehmen,

die versuchen müssen, eine Verjüngung der Beleg-

schaften zu gewährleisten.

Übergang von Schule in Erwerbstätigkeit zu überwin-

denden Schwierigkeiten von der „ersten Schwelle“

(zwischen Schule und Ausbildung) an die „zweiten

Schwelle“ (dem Übergang von Ausbildung in Er-

werbstätigkeit) verschoben. Insgesamt ist ca. einem

Drittel aller Schulabgänger aus den geburtenstarken

Jahrgängen kein Einstieg in akzeptable Erwerbstä-

tigkeit gelungen.21 Selbst von den Jugendlichen der

geburtenstarken Jahrgänge, die einen guten Schul-

abschluss und eine abgeschlossene Berufsausbil-

dung nachweisen konnten, hatten rund 20 Prozent

nach zwei Jahren noch nie eine sozialversicherungs-

pfl ichtige Beschäftigung gefunden.22 Somit ist auch

nicht erstaunlich, dass ein erheblicher Teil der ost-

deutschen Jugendlichen nach Beendigung der Schu-

le oder nach Abschluss der Berufsausbildung in die

alten Bundesländer abwanderte. (vgl. Lutz 2008b)

„Die fehlenden Lösungsansätze für innovative und

nachhaltige Maßnahmen für Jugendliche an der

zweiten Schwelle haben bereits jetzt dazu geführt,

dass viele junge Erwachsene biographische Erfah-

rungen sammeln mussten, die ihre grundsätzliche

Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Integration in

die Gesellschaft stark mindern. […] Die Gesellschaft

muss unbedingt reagieren und sich stärker den

Problemen der Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere

an der zweiten Schwelle, widmen, wenn sie nicht in

kurzer Zeit mit den negativen Spätfolgen ihrer bisher

zu wenig erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik für diese

junge Generation konfrontiert werden will.“ (Wiener,

Meier 2006)

Wenn man diese Jugendlichen für den Arbeitsmarkt

(zurück)gewinnen will, muss relativ viel Kraft und Zeit

investiert werden. Viele dieser Jugendlichen sind

gar nicht mehr in der Lage oder waren noch nie in

der Lage, einfachste gesellschaftliche Regeln und

soziale Tugenden (wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit,

Verantwortung übernehmen) zu leben. Die Aufbau-

arbeit für diese Jugendlichen, die für eine Beschäf-

tigung fi tt gemacht werden sollen, kann nicht von

den Unternehmen geleistet werden. Sie sollte aber

von Anbeginn mit ihnen zusammen und mit massi-

ver Unterstützung der Arbeitsagenturen vorgenom-

men werden. Hier haben alle bisherigen „Gewinner“

der Gesellschaft ein Stück Verantwortung zu tragen,

wenn nicht auf Dauer eine sehr große Gruppe von

Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen

bleiben soll und diese für alle Zeiten mit Subventi-

onsleistungen belastet.23

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 27

21 Vgl. am Beispiel eines Bundeslandes: Ketzmerick, Meier, Wiener (2007)22 Vgl. Prein (2005)23 Die mangelhafte Integration junger Menschen in die Arbeitswelt verursacht ganz erhebliche gesellschaftliche Folgekosten. Durch grundlegende bildungspolitische Weichenstellungen könnten für die Jahre 2007 bis 2015 insgesamt 13,4 Milliarden Euro an direkten und 15,9 Milliarden Euro an indirekten Kosten bei der Integration von Jugendlichen in Ausbildung und Beschäftigung eingespart werden. Hinzu kämen Wertschöpfungspotenziale durch den nachträglichen Erwerb von Berufsabschlüssen von gering qualifi zierten Arbeitnehmern in Höhe von 21,5 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln erstellt wurde. (Bertelsmann Stiftung 2008)

Wenn es in den ostdeutschen Unternehmen nicht

mehr nur um Arbeitsplatzabbau geht, sollten die Be-

triebe neben den jungen Fachkräften auch wieder

die älteren in ihr Blickfeld nehmen. Die überall zu be-

obachtende Skepsis gegenüber älteren Bewerber/

innen ist gerade in den teilweise extrem überalterten

ostdeutschen Unternehmen nicht zu verstehen, die

ja zu einem immensen Teil durch diese Altersgruppe

gestützt werden.

Hörwick und Bender (2006) schreiben: „Paradoxer-

weise haben sich viele Betriebe im Zuge der Ratio-

nalisierungswellen der letzten Jahre gerade dieser

älteren Mitarbeiter in großer Zahl entledigt, die über

diese aktuell so gefragten Kompetenzen in hohem

Maße verfügen. ‚Nirgendwo in Europa verzichten die

Firmen so rigoros auf das Potenzial älterer Arbeit-

nehmer wie in Deutschland. Nirgendwo anders ha-

ben 40-, 50- oder 60-Jährige so schlechte Chancen

einen Job zu fi nden. Sechs von zehn Unternehmen

in Deutschland beschäftigen gar keine Menschen

mehr, die älter als fünfzig sind’ (Zons 2006, 3).“

4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten

Die Regel der Personalverantwortlichen der meis-

ten ostdeutschen Unternehmen war in den letzten

Jahren: Was ich habe, kenne ich; was ich bekom-

me, weiß ich nicht. Das heißt, Personalverantwortli-

che sind häufi g rekrutierungsentwöhnt und nur von

Personalabbauerfahrungen geprägt. „Sehen Sie, es

ist schwer das Ruder umzulegen, wenn sie jahre-

lang Leute entlassen haben und entlassen mussten.

[…] Die Vorstellung, den Fachkräften nachlaufen zu

müssen und für Azubis in den Schulen aktiv zu wer-

den, Werbung, Marketing für den eigenen Betrieb,

Employer Branding zu betreiben, ist manch einem

Personalverantwortlichen fremd.“ [INT1] Wenn die-

ser nun in die Lage versetzt wird, neue Fachkräfte

einzustellen, ist ein Anspruch, möglichst gut durch-

mischte Altersstrukturen aufzubauen. Und dazu

gehören auch die älteren Mitarbeiter, die mit ihrer

Lebens- und Berufserfahrung ein großes produkti-

ves Potential einbringen können.

Um die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter, ge-

rade auch im Interesse eines erhöhten Rentenein-

tritts, lebenslang zu sichern, spielt das Gesundheits-

management eine immer stärkere Rolle, der sich

jedes Unternehmen stellen kann und sollte. Nicht

alle Maßnahmen können, wie das nachfolgende

Beispiel, so aufwendig gestaltet werden. „Für Feu-

erwehrmänner haben wir ein komplettes Trainings-

programm unter ärztlicher, professioneller Überwa-

chung, weil das ja absolut entscheidend ist für die

Ausübung des Berufes im Brandschutz. Das ist G

26-3 der berufsgenossenschaftlichen Vorgabe. Dort

machen wir ein Fitnessprogramm unter Anleitung,

so dass die Gesunderhaltung das Arbeiten so lange

wie möglich gewährt. Das ist unser wichtigstes Pro-

jekt in dieser Form.“ [INT4]

Der betriebliche Aufwand für Aktivitäten zur Ge-

sunderhaltung der Mitarbeiter/innen ist ganz unter-

schiedlich. An dieser Stelle sollen mögliche Maß-

nahmen vorgestellt werden. Organisiert werden

können diese Angebote beispielsweise über eine

Servicestelle, wie es sie am Chemiestandort Leuna

bereits gibt:

• Gesundheitsvorsorge, Prophylaxe

o Physiotherapie: bspw. Rückenmassage am

Arbeitsplatz mit oder ohne Kostenüber-

nahme während der Arbeitszeit oder

o ergonomisch geformten Stühle, strahlungs-

arme Bildschirme

o Getränkeversorgung und gesunde Kost in

der Kantine

o Unternehmenssport, an dem Mitarbeiter

freiwillig und kostenlos teilnehmen können.

Sie treffen sich zu Fußball, Volleyball, Bad-

minton, Nordic Walking, Wirbelsäulen-

gymnastik, Schwimmen, Wandern u. a.

o Fitnesscenter

• (Betriebs-)ärztliche Untersuchungen

o Untersuchungen nach berufsgenossen-

schaftlichen Vorgaben

o erweiterte Untersuchungen wie Langzeit-

EKG oder komplettes Check-Up

In einigen Beispielen gibt es für diese Maßnahmen

in der Betriebsvereinbarung ein Gesundheitsvorsor-

geprogramm.

Gerade in der Produktion ist es für viele Tätigkeiten

trotz aller Gesundheitsvorsorge schwer vorstellbar,

die Mitarbeiter/innen bis zum Renteneintritt dort zu

beschäftigen. „Es fehlen Ausweicharbeitsplätze […]

Sie arbeiten sieben Tage am Stück. Die Arbeiten

draußen sind nicht ganz so einfach und wenn man äl-

ter wird, fällt einem das immer schwerer. Ich habe bei

mir zum Beispiel einen Arbeitskollegen, der wird 60.

Ich weiß nicht, wie die sich das in der Politik so vor-

stellen, dass die Leute in solchen Produktionsberufen

dann bis 67 arbeiten gehen sollen. […] Solche Leute,

gerade in der Produktion, sind meistens in der Lehre

und beginnen dann gleich zu arbeiten. Die kommen

auf über 40, auf 45 Arbeitsjahre. Ich denke mal, das

ist von der Sache her genügend. Jemand der studiert

und dann erst mit über 30 ins Arbeitsleben eintritt, das

ist wieder was anderes. Die haben auch meistens die

Ambition über 67 hinaus noch zu arbeiten.“ [INT5]

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 28

Vor allem in der Schichtarbeit wird beklagt, dass dies

sehr auf Kosten der Gesundheit geht und besonders

für ältere Mitarbeiter Belastungen mit sich bringt. So

wünschen sich die Beschäftigten, dass für chronisch

Kranke durch gesetzliche Regelung Erleichterungen

im Arbeitsprozess geschaffen werden (z. B. durch

Reduzierung der Wochenarbeitszeit oder Unterstüt-

zung bei dem Übergang in Altersteilzeit)24.

„Wir haben ja bei uns in den Betrieben ganz viele

Schichtarbeiter, Vollschichtarbeiter, das schaffst du

nicht bis 67. Das heißt, da muss man auch intelligen-

te Lösungen zum Ende des Arbeitslebens hin fi n-

den, eine Humanisierung auch deutlicher für diese

hinbekommen. […] Dazu zählt natürlich auch unser

Tarifvertrag, aber da muss es mehr geben.“ [INT2]

Buck schreibt bereits 2001, dass die Unternehmen

vor der Herausforderung stehen, ausgewogene Al-

tersstrukturen zu schaffen und ihre Rekrutierungs-

strategien, die ausschließlich auf den angeblich

leistungsfähigeren und innovativeren jüngeren Mit-

arbeiter setzen, spätestens dann zu überdenken,

wenn nicht mehr genügend jüngere Mitarbeiter zur

Verfügung stehen. Einige Unternehmen reagieren

bereits mit einer „demografi efesten Personalpolitik“.

„Indem wir jetzt z. B. durch Umqualifi zierung ande-

re Arbeitsplätze für solche Kollegen schaffen, die in

ihrem Berufsbild nicht mehr tätig sein können, auf-

grund gesundheitlicher Einschränkungen […] Ein

Feuerwehrmann kann zum Beispiel zum Werkschutz

gehen und Tordienst machen“ [INT4]

Das heißt, die Unternehmen müssen eine alterns-

gerechte Arbeits- und Personalpolitik entwickeln.

Dazu sollten zugunsten ausgewogener Altersstruk-

turen drastische Rekrutierungs- und Berentungswel-

len vermieden werden. Ungerechtfertigte Vorurteile

über die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter müs-

sen abgebaut werden. Außerdem sollten einseiti-

ge Spezialisierungen von Mitarbeitern, welche in

berufl iche Sackgassen führen vermieden werden,

vielmehr geht es um die Aktivierung und Förderung

der Kompetenzen aller Beschäftigten. Der Transfer

von Erfahrungswissen zwischen den betrieblichen

Altersgruppen muss gefördert werden und eine al-

ternsgerechte Arbeitsgestaltung und betrieblichen

Gesundheitsförderung, bereits bei den jungen Mit-

arbeitern beginnend, wird zunehmend wichtiger.

(Buck 2001)

Tabelle 3: Frauenquote in der Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen (Angaben in Prozent)

Die Frauenquote in der Chemie ist relativ gering,

vor allem bei den Un- und Angelernten, aber auch

bei den Hochqualifi zierten. Dabei gibt es allerdings

deutliche Unterschiede zwischen Ost und West-

deutschland.

Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Länder Neue Länder Hochqualifizierte und Führungskräfte 22 40

Facharbeiter und Fachangestellte 36 45

Un- und Angelernte 23 40

4.2.3 Frauen in der Chemie

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 29

24 Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung am Standort Bitterfeld-Wolfen für das QFC

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh

Abbildung 7: Noch keine Zunahme bei Rekrutierung von Frauen

11%

12%

10%

weil immer mehr männlicheFachkräfte fehlen

weil Frauen besseresoziale Kompetenzen

haben

um berufliche Chancen derFrauen zu erhöhen

Wir stellen zunehmend Frauen in unserUnternehmen ein, ...

91%Wandel führt in Regionen

zu Problemen bei derPersonalbeschaffung

Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das QFC 2008

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 30

In den befragten Unternehmen an den Chemiestand-

orten in Sachsen-Anhalt werden Frauen bisher kaum

als zusätzliche Zielgruppe gesehen. Zur Erinnerung

sei noch mal gesagt, dass die meisten Unternehmen

(91 Prozent) Probleme bei der Personalbeschaffung

erwarten. Trotzdem bejahten die nachfolgenden Ar-

gumente, verstärkt Frauen einzustellen, nur jeweils

zehn bis zwölf Prozent der Unternehmen. Bei den

benannten Gründen – die berufl ichen Chancen der

Frauen zu erhöhen, ihre sozialen Kompetenzen zu

nutzen, oder sie wegen fehlender männlicher Fach-

kräfte einzusetzen – sind keine nennenswerte Un-

terschiede zu erkennen.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist das

Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern sehr

geschrumpft und der Anteil junger Mädchen, die sich

für Berufe in diesen Fächern interessieren, enorm

gering. „Das ist nach wie vor das Thema, dass sich

die Mädchen für Chemie-Berufe wenig interessieren

– mit Ausnahme Laborant –, für die technischen Be-

rufe gleich gar nicht. Das ist eigentlich unser leidiges

Problem. Wir sind sehr offen für Mädchen, sowohl in

technischen Berufen, wie auch im Chemikanten-Be-

reich. Aber, wie gesagt, das Interesse der Mädchen

geht nach wie vor in andere Bereiche: Florist, Friseu-

se, Kosmetikerin und was nicht alles.“ [INT3]

Zum anderen werden einige Tätigkeiten von den In-

terviewpartner/innen wegen ihrer körperlichen An-

forderungen und Gefährdungspotentiale für Frauen

gar nicht als Arbeitsbereich erwogen. „Wir hatten

mal ganz am Anfang in der Produktion einen Versuch

gestartet. Da waren dann Frauen in der Produktion

eingestellt, aber dagegen spricht, dass es körperli-

che Arbeit ist. [...] Schwer ist es nicht, aber es ist in

der Halle sehr warm. Dann haben wir natürlich auch

Abteilungen, da sind Temperaturen von 70 Grad.

Umso erstaunlicher waren die Ergebnisse der Un-

ternehmensbefragung 2008. Darin wurde neben

dem Rekrutierungsverhalten der Betriebe nach un-

terschiedlichen Altersgruppen gesondert auch nach

der Rekrutierung weiblicher Fachkräfte gefragt.

Diese Zielgruppe rückte kaum in das Blickfeld der

Chemieunternehmen. Hier offenbaren sich sicher-

lich noch viele ungenutzte Potentiale für die Zukunft.

(Abb. 7)

[…] Wo dann im Endeffekt auch körperlich gearbei-

tet werden muss und Ausdauer gebraucht wird. Und

man muss sagen, da ist wirklich eine Unterscheidung

zu machen. Damals in dieser Probezeit, in der man

versucht hat Frauen einzustellen, das war schwierig.

Also das hat nichts mit frauenfeindlich zu tun. Also

die ganzen Arbeiten sind sehr schwierig für Frauen

zu machen. […] In der Regel werden unsere Arbei-

ten ja von Maschinen, Kränen, Gabelstaplern oder

dergleichen gemacht, aber wie z.B. die Arbeit hinten

im Lager. […] Da haben Männer schon Schwierig-

keiten das Gestänge zu bewegen. Da geht’s nicht

anders als mit der Hand. Dann haben wir Spann-

maschinen, gut – wir haben jetzt seit 2 Jahren zwar

umgesattelt auf leichtere, wir haben Spannmaschi-

nen, die sind auch ziemlich schwer und die müssen

wir auf der Leiter in ziemlicher Höhe halten und das

ist auch nicht ganz so einfach. […] Und wenn die mit

Staplern bewegt werden, da müssen sie die Seile

einhängen und dergleichen und da muss man schon

von der Voraussetzung her ne ziemlich große Frau

haben. Das ist dann immer so: Stapler hoch, runter

und wenn man das in der Schicht so 80 Mal macht,

geht das auch ziemlich auf die Knochen. Die Frauen,

die da waren, haben von sich aus gesagt: ‚Das ist

nichts für mich’. „[INT5]

„Jedes Unternehmen hat da eine andere Kultur.

Manche Unternehmen sagen, nach Möglichkeit ist

ein Chemikant bei mir männlich. Aber wir haben

hier das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so

dass man bei den Bewerbungskriterien nicht unter-

scheiden darf zwischen männlich und weiblich. Das

sind ja chemische Berufe und da sind bestimmte

Gefährdungspotentiale dabei. Und da muss man

eben auch aufpassen: Ist das jetzt wirklich gut für

eine Frau? Es ist sowieso nicht gut, aber wenn ich

jetzt eben schwere Lasten heben muss oder was

bewegen muss, dann komm ich ja auch von der Ar-

beitsstättenverordnung her und den Sicherheitsbe-

stimmungen an die Grenzen. Ich darf eben als Frau

nicht mehr als 10, 15 Kilo heben permanent. […]

Manche nehmen eben jetzt lieber Männer und man-

che nehmen pari-pari. Weil das ist auch eine Frage,

das Team ist immer am besten besetzt, wenn bei-

de Geschlechter vertreten sind. Weil nur Frauen ist

kompliziert und nur Männer auch, in einer anderen

Art.“ [INT4] Es gibt bereits auch Unternehmen, die

umdenken. „Also wir haben jetzt eine Frauenquote

von 30 Prozent. […] Wir machen das so: Wenn wir

jetzt Neueinstellungen machen, sowohl im Trainee,

also im künftigen Führungskräftebereich, als auch

im gewerblich-technischen Bereich, versuchen wir

eine gute Mischung hinzubekommen.“ [INT4]

In höheren Funktionen sind Frauen trotz ihrer guten

Qualifi kationen seltener anzutreffen. „Frauen in Füh-

rungspositionen: Wenn man mal genauer hinguckt,

ist es nicht besonders weit verbreitet. […] Es muss

hier deutlich mehr getan werden. Wir werden dies mit

Netzwerken unterstützen, aber auch die Vereinbar-

keit von Beruf und Familie – für beide Geschlechter

– stärker in den betrieblichen Focus rücken. Dazu ha-

ben wir schon viele Betriebsvereinbarungen.“ [INT2]

Auf jeden Fall sind Frauen zu wenig im Blickfeld der

Personalverantwortlichen. Erfahrungen aus DDR-

Zeiten – mit einer deutlich höheren Frauenerwerbs-

quote auch in der chemischen Produktion – zeigen,

dass es weit aus mehr Möglichkeiten gäbe, Frauen

einzusetzen, als dies bisher passiert. „Das ist erfolg-

reich zurückgedrängt worden. Das müssen wir ge-

meinsam wieder nach vorne bringen. Das Selbstver-

ständnis ist hier, Gott sei Dank, noch vorhanden. So

ist es hoffentlich ein bisschen einfacher, neben der

Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch die Karri-

ereplanung für Frauen voranzutreiben.“ [INT2]

Dazu müssen zum einen die Mädchen schon früh-

zeitig für die Ausbildungen in der Chemie interessiert

werden: „Also wir haben gute Erfahrungen gemacht

mit dem Sommercamp der Bildungsakademie Leuna.

Da werden 40 bis 50 Schüler der neunten Klassen in

der Regel mit den Ausbildungsbedingungen an der

Bildungsakademie Leuna vertraut gemacht. Da sind

sehr viele Mädchen dabei, bei denen wenigstens ein

bisschen technisches Verständnis entwickelt wird. In

der Folge sind wir stark daran interessiert, in den

Schulen aufzutreten und dort die Berufe vorzustel-

len.“ [INT3]

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 31

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

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Auch ausländische Fachkräfte werden wieder für

den deutschen Arbeitsmarkt entdeckt. Zuwanderun-

gen können hierbei zur Milderung des absehbaren

Fachkräftebedarfs beitragen.

Das Handwerk beginnt seine Auszubildenden aus

Tschechien und Polen nach Ostdeutschland zu

holen. Solche Maßnahmen wurden bisher in der

Chemie noch nicht gebraucht, aber man stellt sich

auf viele neue Wege ein, auch um ausländische

Fachkräfte nach Deutschland zu bringen. „Wenn

es so eng wird, dass wir bei der Personalrekrutie-

rung ‚kalte Füße bekommen’, dann könnte ich mir

das vorstellen. Ich könnte mir vorstellen, in vier, fünf

Jahren wird sicherlich der eine oder andere in diese

Richtung denken müssen. Ich persönlich wäre da im

Prinzip auch offen für solche Geschichten.“ [INT3]

Wenn wir mehr ausländische Fachkräfte nach

Deutschland holen wollen, müssen allerdings die

Zuwanderungsbedingungen für qualifi zierte Perso-

nen mit langfristigen Beschäftigungsperspektiven,

auch aus Nicht-EU-Ländern, verbessert und die In-

tegrationsbemühungen ausgeweitet und gefördert

werden.

„Also, wir kommen ja bei der ganzen Frage Fach-

kräftemangel nicht darum herum, ausländischen

Fachkräften Arbeitsplätze anzubieten. Es ist wich-

tig, dass wir das auf Arbeitnehmer- und Arbeitge-

berseite gemeinsam machen, und wir müssen eine

politische Aussage dazu treffen. Wir müssen Inte-

grationsvereinbarungen treffen, weil wir nicht ohne

diese Fachkräfte auskommen werden. Wir haben

hier noch nicht viele ausländische Fachkräfte. […]

Hier hat man noch nicht so viele Erfahrungen. Wir

müssen uns diesem Arbeitsmarkt öffnen, wir müs-

sen offen sein für Neue und Neues und wir müssen

für eine lebenswerte Umwelt sorgen. Dazu bedarf es

auch Aussagen der Tarifvertragsparteien oder der

politischen Bereiche. Wir haben zum Teil Betriebs-

vereinbarungen zu mehr Chancengleichheit oder

Integration.“ [INT2]

Welche Wirkungen jedoch tatsächlich mit steigen-

den Zuwanderungen verbunden sind, hängt ent-

scheidend vom Bildungs- und Ausbildungsstand der

Zuwanderer ab: Je höher die Qualifi kation der Zu-

wanderer, umso niedriger das Arbeitslosigkeitsrisiko

und der Bezug von Transferleistungen von Migran-

tenhaushalten.25 (Gehrke u. a. 2008)

4.2.4 Ausländische Fachkräfte

Zum anderen muss mehr für die Vereinbarkeit von

Familie und Beruf geschehen. Das wird besonders

notwendig in einer Zeit, in der wieder beide Partner

berufstätig sein wollen und können. Wenn einer der

Partner (meist die Frauen) nicht mehr die häuslichen

Verpfl ichtungen durch Nichterwerbstätigkeit alleine

übernimmt, wird es umso wichtiger Beruf und Fami-

lienleben gut miteinander vereinen zu können.

25 Vgl. Brücker u.a. (2002).

In der Unternehmensbefragung 2008 wurden Wege

zur Fachkräftesicherung unterschiedlich häufi g auf-

gezeigt. Während bei den Bildungsaufgaben noch

die meisten Unternehmen (über 90 Prozent) bekun-

deten, diese durchzuführen (in welchem Umfang

wurde nicht erfragt), gab nur ca. ein Drittel der Be-

triebe (36 Prozent) an, fi nanzielle Anreize zu setzen,

obwohl die Löhne zwischen Ost und West noch im-

mer extrem auseinander klaffen.

4.3 Personalwirtschaftliche Anreize

4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 33

„Und so sind andere Geschäftsführer auch einge-

stellt. Die wollen versuchen administrativ die Leute

zu halten, die sie noch haben, tun nichts zum Ge-

winn von neuen Leuten oder relativ wenig; und se-

hen dann ihre Felle davon schwimmen. Bis hin zur

Tarifentwicklung, das ist das gleiche Problem. Das

sind auch diejenigen, die weit unter dem Chemie-

Tarif bleiben und sich wundern, dass die Leute lang-

sam woanders hingehen, bzw. überhaupt nicht kom-

men. Das Stammpersonal, das ist diszipliniert, aber

die anderen nicht mehr.“ [INT3]

Dass sich in dem Einkommensgefüge bereits etwas

tut, ist bekannt. Zurzeit geschieht dies aber nur punk-

tuell. „Und die Superkräfte, die wir haben, da haben

wir auch als Betriebsräte kaum noch Einblick, was

die verdienen. Also diese Leute verhandeln nur mit

dem Geschäftsführer. Wir haben da einige Spezia-

listen, die in der Glasbranche sehr gefragt sind und

die auch eine sehr hochwertige Ausbildung haben,

hochwertige Ausbildung auch von Seiten unserer

Firma in den USA, die dort auch ausgebildet wur-

den. Anders kriegt man solche Leute ja heutzutage

auch nicht mehr.“ [INT5]

„Wir haben nunmehr ab 2009 die volle Angleichung,

Ost- gleich Westtarif in der Chemie. Dafür haben wir

lange gekämpft. Damit gleichen sich die Arbeitsbe-

dingungen an. Dies ist ein gutes Argument hierzu-

bleiben, nicht in die alten Bundesländer abzuwan-

dern, weil dort mehr bezahlt wird. Die Menschen

wollen Perspektive hier, an ihrem Lebens- und Ar-

beitsort.“ [INT2]

„Die ostdeutschen Firmen werden mit ihren Gehäl-

tern nicht vollkommen an westdeutsche Regionen

wie Baden-Württemberg oder Bayern anschließen

können. Aber eine Verkaufsstrategie kann es wer-

den, zu sagen, mit dem was ihr hier verdient, könnt

ihr euch dasselbe leisten, wie in den Regionen, mit

denen ihr eure Gehälter vergleicht. Ostdeutschland

hat eine moderne Infrastruktur, sehr schöne und be-

zahlbare Wohnungen und vieles mehr. Wahrschein-

lich wird der Markt in die Richtung gehen, zu sagen:

Wenn du einen Chemie-Ingenieur nach Apolda oder

in sonst eine ländliche Region haben willst, wirst du

erheblich mehr zahlen müssen als heute, nämlich

soviel wie in einer Metropolregion. Wenn er das glei-

che Entgelt bekommt, wie beispielsweise im Wes-

ten, dann kann er damit bei uns wesentlich mehr

anfangen.“ [INT1]

Lohnanreize können vielfältig gestaltet werden. Es

gibt beispielsweise Prämiensysteme und Jahres-

ausschüttungen, Direktversicherungen, betriebliche

Altersvorsorge, vermögenswirksame Leistungen,

Firmenfahrzeuge, kostenlose Darlehen, oder Inter-

netshops für günstigere Arbeits- und Freizeitbeklei-

dung.

Besondere Gehälter, die in großen Unternehmen

für bestimmte Aufgaben temporär gezahlt werden,

können die kleinen Unternehmen nicht bieten, da-

für versprechen sie mehr Kontinuität. In den großen

Firmen gibt es oft Zwei-Drei-Jahresprojekte, die nur

in dieser Zeit entsprechend hoch bezahlt werden.

Kleinere Unternehmen versuchen über langfristige

Zusagen, die Beschäftigten zu binden.

Nun ist die Finanzierung sehr wichtig, aber nicht

die einzige Möglichkeit, für Fachkräfte interessant

zu werden und Mitarbeiter an das Unternehmen zu

binden. Neben einer anreizorientierten Lohnpolitik

ist auch eine bewusste Karriereplanung für viele Ar-

beitnehmer/innen entscheidend. Bei beiden Wegen

haben große Unternehmen gegenüber den kleine-

ren Unternehmen eindeutig Vorteile. Aber auch klei-

ne Unternehmen haben viel zu bieten.

Während große Unternehmen mit einem Stab von

Mitarbeitern in den Personalabteilungen meist sehr

professionell Karriereplanungen praktizieren, regel-

mäßig Mitarbeitergespräche führen, mit den Be-

schäftigten Zielvereinbarungen schließen und sich

um den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit sowie um

Aufstiegsmöglichkeiten möglichst vieler Mitarbeiter

bemühen, können kleinere Unternehmen solche

Personalarbeit nur sehr marginal leisten. Sie setzen

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 34

4.3.2 Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Auch die Erleichterung der Vereinbarkeit von Beruf

und Familie als eine weitere Möglichkeit zur Fach-

kräftegewinnung wurde in der Unternehmensbefra-

gung 2008 nur von knapp einem Drittel der Betriebe

benannt (29 Prozent). Dabei steht fest, wer sich auf

familienfreundliche Arbeitsbedingungen einlässt,

kann sich für die Zukunft einen deutlichen Wettbe-

werbsvorteil sichern. Das zsh hat am Chemiestand-

ort Bitterfeld-Wolfen im Sommer 2008 eine Mitarbei-

terbefragung zu diesem Thema durchgeführt, aus

der hier einige Ergebnisse zusammengefasst wer-den sollen26.

An der Mitarbeiterbefragung beteiligten sich 189 Be-schäftigte aus fünf Unternehmen. Anders als tradi-tionell oft vermutet, beschäftigt die Diskussion zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht nur Frauen, wenn sie auch nach wie vor bei diesem Thema den Ausschlag geben, was letztendlich si-

cherlich mit ihrer häufi g höheren Doppelbelastung zu tun hat. Mit der zunehmenden Übernahme famili-ärer Verpfl ichtungen durch die Männer bringen sich auch diese immer mehr in die Diskussion mit ein.

Am Antwortverhalten wird deutlich, wen das Thema

im Besonderen interessiert: Es sind vor allem Mitar-beiter/innen in Schichtarbeit, besonders Alleinerzie-hende (Frauen und Männer), Familien mit Kindern

im betreuungspfl ichtigen Alter und Familien mit Pfl e-

gefällen.

Im Weiteren soll darauf eingegangen werden, wie die Mitarbeiter/innen in den Chemiebetrieben,

die zumeist vollbeschäftigt sind und vorrangig im

Schichtdienst arbeiten, ihren Arbeitsalltag zwischen berufl ichen Herausforderungen sowie familiären

Ansprüchen und Verpfl ichtungen meistern.

Ein Merkmal der Chemieindustrie ist, dass viele

Beschäftigte in Schichten arbeiten. Es ist bekannt,

dass Schichtdienst an die Mitarbeiter/innen beson-

dere Herausforderungen in der Koordination von

berufl ichen und familiären Verpfl ichtungen stellt. Die

meisten Mitarbeiter/innen haben sich mit ihren Ar-

beitszeiten arrangiert und organisieren danach ih-

ren Alltag. Fragt man die Mitarbeiter/innen, ob sie

mit ihren jetzigen Arbeitszeiten zufrieden sind, dann

zeigt sich, dass bei einem Großteil, wenn auch nicht

bei allen, die tatsächliche Arbeitszeit der Wunschar-beitszeit entspricht.27 In Einzelfällen wünschten sich die Männer lieber geringere Arbeitszeiten, bei den Frauen waren es 14 Prozent, die nicht zufrieden mit ihren Arbeitszeiten waren. Die meisten von ihnen würde lieber weniger arbeiten, einige wollten aber

gern auch mehr arbeiten.

Knapp die Hälfte der befragten Mitarbeiter/innen ha-

ben Kinder, die in ihrem Haushalt leben. Das gaben Frauen wie Männer gleichermaßen an. 15 Prozent der Befragten mit Kindern ist alleinerziehend, Frau-en (22 Prozent) fast viermal so häufi g wie Männer (6 Prozent). Bei den Kindern unter 6 Jahren erfolgt die

Betreuung häufi g in einer Kombination von öffentli-

chen Einrichtungen und Familienangehörigen der Eltern- und Großelterngeneration. Von den Sechs-

bis Neunjährigen gehen die meisten in die Grund-schule. Für die Eltern dieser Altersgruppe spielen

die eben genannten öffentlichen Betreuungseinrich-

tungen und familiären Hilfen weiterhin eine entschei-

dende Rolle. Die familiäre Unterstützung ist vor allem

in den Randbetreuungszeiten zu Arbeitsbeginn und Arbeitsende wichtig, wenn die Kindereinrichtungen

noch nicht oder nicht mehr geöffnet haben. Außer-

dem wird für die Kinder dieser Altersgruppe häufi -ger eine Nachmittagsbetreuung als Unterstützung

genannt. 26 Ausführlich nachzulesen in Buchwald/Wiener 200827 Fast ein Drittel (30 Prozent) hat zu dieser Frage keine Angabe gemacht. Es ist zu befürchten, dass in dieser Gruppe einige un-zufriedene Mitarbeiter/innen enthalten sind, die sich aber nicht zu diesem Thema äußern wollten. Allerdings lassen sich dazu nur Vermutungen anstellen.

der Karriereplanung aufgrund fehlender Aufstiegs-

möglichkeiten interessante Arbeitsplätze entgegen

und versuchen Motivation durch vielschichtige Tä-

tigkeiten in Teamwork oder temporären Teams zu

schaffen. (vgl. Gehrke u. a. 2008)

Knapp drei Viertel der Befragten (74 Prozent) sind

mit der Kinderbetreuung zufrieden, das verbleibende

Viertel ist es allerdings nicht. Verbesserungen bei der

Betreuung der Kinder wünschen sich die Befragten

bezüglich der Öffnungszeiten der Kindertagesein-

richtung. Außerdem wurde von mehreren Mitarbei-

ter/innen eine Nachmittagsbetreuung und verstärkt

Angebote in den Ferienzeiten als wünschenswert

empfunden. In Einzelfällen wird eine Nachmittags-

betreuung für Kinder im Alter von einem bis drei Jah-

ren gewünscht. Die Betreuungszeit, die sich diese

Betroffenen für ihre Kinder wünschen, liegt im Be-

reich von 5.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Angesprochen wird

ebenfalls im Rahmen der Nachmittagsbetreuung ein

Fahrdienst für Kinder, der von Firmen übernommen

werden könnte. Somit wäre ein sicherer Transport

der Kinder zu Nachmittagsveranstaltungen – wie

z. B. Sportgemeinschaften oder Musikschule – ge-

währleistet, wenn die Eltern arbeiten müssen.

Neben den familiären Verpfl ichtungen der Kinderbe-

treuung wurden auch Pfl egeverpfl ichtungen der Be-

schäftigten genannt. Schon jetzt gibt jeder zehnte Be-

fragte an, pfl egebedürftige Angehörige zu betreuen.

Das entspricht auch anderen Befunden (z.B. Höpfl in-

ger/Hugentobler 2005 und Schneekloth/Wahl 2005),

aus denen zu ersehen ist, dass die Pfl egeleistungen

zwar zwischen Männern und Frauen geteilt werden,

aber dass Frauen stundenmäßig deutlich stärker in-

volviert sind und andere Aufgaben übernehmen als

Männer. Frauen führen meistens die eigentlichen

Betreuungsleistungen durch, während sich Männer

eher um die administrativen Fragen (wie die Bean-

tragung des Pfl egegeldes) und die Organisation der

Pfl egezeiten kümmern. Somit fühlen sich Männer

häufi g, trotzt einer ebenfalls vorhandenen zusätz-

lichen Belastung, beim Pfl egethema nicht ebenso

stark angesprochen wie Frauen.

Die Anforderungen, die an die pfl egenden Ange-

hörigen gestellt werden, kollidieren nicht selten mit

ihrer Belastungsfähigkeit und den Ansprüchen, die

an eine qualitativ hochwertige Pfl ege gestellt wer-

den müssen. Vor allem bei Erwerbstätigkeit entste-

hen zahlreiche Belastungen aus dem Pfl egeprozess

selbst sowie aus möglichen Unvereinbarkeiten zwi-

schen den Anforderungen der Pfl ege und der beruf-

lichen Umwelt der pfl egenden Angehörigen. Diese

zum Teil widersprüchlichen Anforderungen schlagen

sich nicht selten auch in physischen, psychischen

und psychosozialen Beanspruchungen nieder.

Von den Befragten, die bereits jetzt pfl egedürftige

Angehörige haben, gab jeder Fünfte an, dass es

Schwierigkeiten bei der Versorgung dieser Ange-

hörigen gibt. Dies äußert sich vor allem darin, dass

kein Betreuungsplatz sowie keine Hilfe bei der Be-

treuung der pfl egebedürftigen Angehörigen zu Hau-

se vorhanden sind und dass sie keine Unterstützung

während der Urlaubszeit erhalten. Inwieweit diesen

Mitarbeiter/innen der gesetzliche Anspruch von

4 Wochen Unterstützung für die häusliche Pfl ege

bei Verhinderung der Pfl egeperson bekannt ist (§39

SGB XI), wurde nicht erfragt.

Neben der alltäglichen Doppelbelastung wird es

für betreuungspfl ichtige Erwerbstätige besonders

schwierig, mit der Zusatzbelastung fertig zu werden,

wenn Notsituationen wie Erkrankung der Hauptbe-

treuungsperson, kurzfristiger Schichtwechsel oder

eine mehrtägige Dienstreise eintreten. Um allen An-

forderungen gerecht werden zu können, wurde nach

den hauptsächlichen Problemen bei der Organisati-

on von Familien- und Erwerbsanforderungen sowie

nach Unterstützungswünschen gefragt.

Neben politischen Forderungen, die sich im Beson-

deren auf die Änderung des Kinderförderungsge-

setzes (KiFöG) in Sachsen-Anhalt (bezüglich Halb-

tagsplatz) bezogen, gab es auch viele Wünsche und

Anregungen, wie Unternehmen zur Vereinbarkeit

von Familie und Beruf beitragen können.

Bezüglich der Kinderbetreuung wurden von den Be-

fragten Belegrechte in Kinderbetreuungseinrichtun-

gen (in der Nähe des Arbeitsplatzes) angesprochen,

für die sich der Betrieb einsetzen könnte. Fast jeder

Zehnte antwortete, dass er von einem geförderten

Angebot zur Kinderbetreuung am Chemiestandort

Gebrauch machen würde. Außerdem wurde der

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 35

Wunsch geäußert, dass die Betriebe durch eine Ko-

operation mit Tagesmüttern den Mitarbeiter/innen

helfen könnten. Weitere Wünsche waren gerechtere

Arbeitszeiten für junge Mütter; Betreuungsmöglich-

keiten am Wochenende (Sa. bis 16 Uhr); stärkere

Berücksichtigung von Familien mit schulpfl ichtigen

Kindern zur Urlaubsplanung in Ferienzeiten; Unter-

stützung der Firmen durch Fahrdienste für Kinder am

Nachmittag; fi nanzielle Unterstützung durch den Be-

trieb (z. B. Zuschuss zu Betreuungskosten); Ermögli-

chen einer kurzfristigen Urlaubnahme; Erleichterung

des Tausches von Schichten; großzügigere Nutzung

von Zeitguthaben für Hilfe bei Arztbesuchen Ange-

höriger und Einsatz für bessere Versorgung durch

Ärzte in der Region.

Das hauptsächliche Problem zeigt sich in der Ver-

einbarkeit von Schichtzeiten mit dem Familienleben.

Davon sind Frauen und Männer gleichermaßen be-

troffen. So bleibt durch die Schichten zu wenig Zeit

für die Familie. Die Samstagsarbeit kam in die Kritik

und besonders häufi g kamen die Klagen von Mit-

arbeiter/innen des vollkontinuierlichen Schicht-sys-

tems. Vor allem eine höhere Flexibilität der Unter-

nehmen hinsichtlich der Arbeitszeit zur Vereinbarkeit

mit Kinderbetreuung und Pfl egeverpfl ichtungen bei

Angehörigen wurde immer wieder angesprochen.

Beispiele aus Unternehmen zeigen, dass es Berei-

che gibt, in denen sehr fl exibel mit der Arbeitszeit

umgegangen werden kann. „Dann haben wir die

ganzen Arbeitszeiten so modernisiert, dass sich der

Mitarbeiter das Arbeitszeitmodell aussuchen kann

in seinem Team, wie er das am Besten vereinbaren

kann. Da ist jeder, ich sag mal, ein bisschen anders

gestrickt. Entscheidend ist eben, dass die Teamfä-

higkeit gestärkt wird. […] Das wird eben organisiert.

Ich meine, wir haben jetzt ungefähr 12 verschiede-

ne Schichtsysteme, Vertrauensarbeitszeit, fl exible

Arbeitszeit. Also, der Mitarbeiter hat die Wahl in wel-

chem Arbeitszeitsystem er arbeiten möchte. Und hat

aber auch die Wahl sich selbst eines zu erfi nden.“

[INT4]

In der Studie wurden einige Probleme bei der Ver-

einbarkeit von Familie und Beruf angesprochen. Zeit

wird oft zu einem besonders wertvollen Gut. Viele

der vorgeschlagenen Anregungen und Änderungs-

wünsche betreffen nicht nur Einzelne, sondern einen

Großteil der Mitarbeiter/innen in den Betrieben.

„Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das heißt in

der ersten Lebenshälfte Kinder, in der zweiten zu-

nehmend die Versorgung bzw. Pfl ege der eigenen

Eltern. Dies wird uns in der Zukunft sehr viel stär-

ker beschäftigen. Hier müssen wir mit unseren So-

zialpartnern Lösungen fi nden. Es gibt schon einige

Erfahrungen, aber hier müssen wir deutlich mehr

machen. Betriebsvereinbarungen zur fl exiblen Frei-

stellung zur Pfl ege sind notwendig.“ [INT2]

So macht es Sinn, dass Betriebe und Kommunen

über gemeinsame Lösungen am Standort nachzu-

denken. Organisiert werden können die Hilfen bei-

spielsweise in einem „Familie & Job Center“ wie in

Brandenburg oder in einem „Servicebüro“ für Fra-

gen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie in

Leuna. Anregungen für die Umsetzung lassen sich

also aus bereits erfolgreich laufenden Modellen

übernehmen.

Die Gründe für eine familienfreundliche Personal-

politik können vielfältig sein: Dazu gehören ethisch-

moralische Aspekte und soziales Engagement, es

geht in den Unternehmen um Personalkostenopti-

mierung bis hin zu einer langfristigen Sicherung ih-

rer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

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Es hat sich gezeigt, dass die Unternehmen in der

Chemie selbstbewusst in die Zukunft schauen.

Fachkräfte sind für ihren wirtschaftlichen Erfolg ex-

trem wichtig. Vielen ist bewusst, dass sich Versor-

gungslücken auftun werden, andere haben bereits

erste Erfahrungen damit sammeln müssen. Für alle

die, die derzeit noch nicht über das Thema der Fach-

kräftelücke nachdenken, kann es in Kürze schwierig

werden, auf ein sinkendes Fachkräfteangebot zu re-

agieren.

Kleine Unternehmen geraten bei Rekrutierungsauf-

gaben aufgrund fehlender Kapazitäten häufi g ins

Hintertreffen. Ein Stück weit kann dieser Nachteil

beispielsweise durch Kooperationen abgeschwächt

werden. Aber auch Kooperationen verlangen Enga-

gement und Einsatz. Einige Anregungen zur Fach-

kräftegewinnung und Fachkräftesicherung kann die-

se Expertise geben. Das Thema muss aber weiter

kontinuierlich verfolgt und bearbeitet werden.

Wenn keine Mittel und Wege helfen, die entsprechen-

den Fachkräfte für die Betriebe zu gewinnen, denken

Unternehmen auch über Standortverlegungen nach.

Das sind Entscheidungen von großer Tragweite. Die-

ser Schritt wird auch nur von vier bzw. fünf Prozent

aller befragten Betriebe als Ausweg angesehen.

Wenn es dazu kommt, ist diese Entscheidung al-

lerdings besonders schädlich für die wirtschaftliche

Entwicklung einer Region und kann sich auch auf die

Leistungsfähigkeit anderer Unternehmen am Stand-

ort (z. B. Zulieferer oder industrienahe Dienstleister)

negativ auswirken. Solche Regionen leiden häufi g

unter abnehmender Wirtschaftskraft und haben es

besonders schwer, neue Investoren zu gewinnen.

Von solchen Entscheidungen ist die ostdeutsche

Chemie hoffentlich weit entfernt, denn wenn wir mal

richtig hinschauen, gibt es ein großes Potential von

zukünftigen Fachkräften, das teilweise aber erst neu

erschlossen werden muss. Nach der Zeit eines über-

quellenden Arbeitsmarktes von lernwilligen Berufs-

anfängern bis hin zu ausgezeichnet qualifi zierten

und berufserfahrenen Arbeitslosen kommen wir jetzt

in eine Phase abnehmender Schulabgängerzah-

len und zunehmender Arbeitssuchender, die schon

lange dem Arbeitsmarkt fern sind. Das heißt, die

Wirtschaft muss neue Wege gehen und zusätzliche

Potentiale bei Jüngeren wie Älteren, bei Frauen und

Männern, bei in- und ausländischen Fachkräften er-

schließen, wenn sie auch weiterhin ihre Beschäftig-

ten für die Zukunft sichern will.

5. Abschluss

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

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Seite 42

Anhang

Tabelle1: Beschäftigte der Chemieindustrie nach Betriebsgröße (Angaben in Prozent)

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh

Zahl der Beschäftigten in Betrieben mit Alte Länder Neue Länder

0 bis 19 Beschäftigten 3,6 5,8

20 bi 99 Beschäftigten 12,5 21,8

100 bis 199 Beschäftigten 10,1 12,5

200 bis 499 Beschäftigten 19,8 17,6

500 und mehr Beschäftigten 53,9 42,1

100,0 100,0

Abbildung 1: Verdienststruktur der Facharbeiter Ost-West in derChemie

0

2

4

6

8

10

12

14

200

600

1000

1400

1800

2200

2600

3000

3400

3800

4200

4600

5000

-> ostwest = 1Westdeutschland

-> ostwest = 2Ostdeutschland (einschl,Berlin)

Facharbeiter 2006

bis... (Euro)Brutto-Monatseinkommen

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh

Bettina Wiener: Demographische Turbulenzen führen von der Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke

Seite 43

Jürgen Jankowski (2008): Exploration einer im Jahr

2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung mit

dem zsh im vom BMBF geförderten Projekt „Gene-

rationenaustausch in industriellen Unternehmens-

strukturen (GENIUS)“

Abbildung 2: Altersstruktur in ausgewählten geweblichen Berufen

Jürgen Jankowski19.06.2008 www.infraleuna.de

Personalstruktur am Chemiestandort Leuna Altersstruktur für ausgewählte gewerbliche Berufsgruppen

0

5

10

15

20

25

30

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 undälter

Chemie-Produktionsberufe LaborberufeMetall- und Elektroberufe industrielle Dienstleistungen

Angaben ohne AuszubildendeChemie-Produktionsberufe: Chemikant, Pharmakant; Chemiebetriebswerker u.a.Laborberufe: Chemielaborant, Biologielaborant, Chemielaborwerker, Werkstoffprüfer, LacklaborantMetall- und Elektroberufe: Industriemechaniker, Prozessleitelektroniker, Energieelektroniker, Anlagenmechaniker, Industrieelektronikerindustrielle Dienstleistungsberufe: Fachkraft für Lagerwirtschaft, Warenprüfer, Werkschutz

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung

tnezorP

Alter

Abbildung 3: Altersstruktur in ausgewählten Qulifi kationsstufen

Jürgen Jankowski19.06.2008 www.infraleuna.de

Personalstruktur am Chemiestandort LeunaAltersstruktur für ausgewählte Berufsgruppen

0

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10

15

20

25

30

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 undälter

Chemiker Ingenieure Führungskräfte

Chemiker: Chemiker, Chemieingenieure, Ingenieure der Verfahrenstechnik, Biotechnologen u.a.Ingenieure: sonstige IngenieureFührungskräfte: Betriebsleiter, Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Vertriebsgebietsleiter u.a.

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung

Alter

tnezorP