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1 Hintergrund Die Umsetzung der Ziele der Konvention zur Biologischen Vielfalt (im Folgenden CBD oder Biodiversitätskonvention) ist derzeit eine der wichtigen Aufgaben internationaler und nationaler Naturschutzpolitik. Bei der 6.Vertragsstaatenkonferenz im Jahr 2002 ha- ben sich die Unterzeichnerstaaten das Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 den Verlust der Biodiversität auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene signifikant zu reduzie- ren (so genanntes „2010-Ziel“). Vorläufer für diese Vereinbarung war die so genannte Bio- diversitätsstrategie auf EU-Ebene, die be- reits 1998 von der Europäischen Kommis- sion angenommen wurde. In Deutschland wurde vom Staatssekretär- sausschuss 2004 beschlossen, im Jahr 2006 das Thema Biodiversität zu einem Schwer- punkt der Nationalen Nachhaltigkeitsstrate- gie zu machen (DOYLE et al. 2005). In der letzten Legislaturperiode hat die Bundesre- gierung unter Federführung des Bundesmi- nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit der Bearbeitung einer nationalen Strategie zur biologischen Viel- falt im Sinne der CBD begonnen, über deren Inhalte in jüngster Zeit berichtet wurde (vgl. KÜCHLER-KRISCHUN & PIECHOKI 2005). Im Gegensatz zu England, wo bereits 2002 eine Strategie zur Biologischen Vielfalt vorgelegt wurde, haben diese Bestrebungen in Deutsch- land nicht nur deutlich später begonnen, son- dern weisen noch einige Defizite auf. Im Be- sonderen ist die biologische Vielfalt der Siedlungen in ihrer Gesamtbedeutung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Darauf soll in diesem Beitrag näher eingegangen werden und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen in Deutschland gemacht werden. Die Ausführungen basieren auf den Ergeb- nissen einer nationalen Tagung zum Thema in Jena 2004 sowie eines darauf aufbauenden 114 Naturschutz und Landschaftsplanung 39, (4), 2007 Biodiversität der Siedlungen Empfehlungen für die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt in Deutschland Von Norbert Müller und Sascha Abendroth Zusammenfassung Im Jahre 2004 wurde von der Vertragsstaaten- konferenz zur Biodiversitätskonvention das für 2008 aufgestellte Fachthema „Biodiversität der Siedlungen“ bis auf weiteres zurückgestellt. In den bisherigen Nationalberichten und Aktions- programmen zur CBD ist darum die Behand- lung der Biodiversität in Siedlungen sehr unein- heitlich. Am weitesten fortgeschritten ist bis- lang England, das bereits in seiner 2002 aufge- stellten Biodiversitätsstrategie Siedlungen als eigenes Fachthema behandelt. Dem gegenüber ist im Entwurf zur Deutschen Biodiversitäts- strategie dieses Thema in seiner Gesamtbedeu- tung bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Auf Grundlage einer nationalen Tagung in Deutschland mit dem Titel „Biodiversität im besiedelten Bereich – Grundlagen und Beispie- le zur Umsetzung der Konvention zur Biologi- schen Vielfalt“ und eines Forschungsprojektes wird in diesem Beitrag aufgezeigt, warum die- ses Thema in Zusammenhang mit der Konven- tion besonders wichtig ist und wie es im Sinne der Konvention zu interpretieren ist. Es wird empfohlen, bei der Deutschen Bio- diversitätsstrategie „Siedlungen“ als eigenen Handlungsbereich aufzuführen und stärker auf die Besonderheiten der Biodiversität urbaner und suburbaner Gebiete einzugehen. Aufgrund ihrer langen Tradition im Stadtnaturschutz soll- ten sich Deutschland und England dafür einset- zen, dass die „Biodiversität urbaner und subur- baner Gebiete“ wieder als Fachthema in die Be- ratungen der Vertragspartner der CBD aufge- nommen wird. Summary Biodiversity in Urban Areas Recommenda- tions for integration into the German Biodiver- sity Strategy In 2004 the cross cutting issue ‘Biodiversity of urban settlements’, originally intended for 2008, was placed back by the Conference of the Parties (COP) until further notice. Therefore existing National Reports and Action Programmes for the Convention on Biological Diversity (CBD) have dealt differ- ently with this issue. So far England has shown the widest progress, having already established its own specific strategy in 2002. In the draft German Biodiversity Strategy this issue has not yet been considered sufficiently so far. In Germany a national conference was held on ‘Biodiversity in Urban Areas – Basis of and Examples for Implementing the CBD’ and a re- search project was conducted. On this basis the study presented shows the importance of this field of research in the context of the convention and how to interprete it in line with the con- vention. The study recommends to include ‘settle- ments’as own working field in the German Bio- diversity Strategy and to specifically address characteristics of urban and suburban areas. Owing to their long tradition of urban nature conservation Germany and England should put particular emphasis on the resumption of ‘Bio- diversity of urban and suburban areas’ as cross cutting issue in the COP consultative proce- dure. Forschungsprojekts an der FH Erfurt – FB Landschaftsarchitektur. Einführend sollen einige Begründungen genannt werden, warum die Einbeziehung des Themenkomplexes „Biodiversität in Siedlungen“ bei der Umsetzung der Konven- tion besonders wichtig ist: Ü Urbane und suburbane Räume zählen auf- grund der besonderen standörtlichen und entwicklungsgeschichtlichen Bedingungen zu den biologisch vielfältigsten Ökosyste- men (KLAUSNITZER 1993, PYSEK 1989). Da in Siedlungen die Entwicklung neuer Sippen besonders rasch verläuft, sind sie auch Zent- ren der Evolution (z.B. KEIL & LOOS 2005). Ü Urbane und suburbane Räume zeichnen sich durch einen besonders hohen Anteil ge- bietsfremder Arten aus (KOWARIK 2003). Diese sind Bestandteil der siedlungstypi- schen Biodiversität (MÜLLER 2005a). Ande- re Schwerpunktthemen der Konvention wie z.B. „Invasive gebietsfremde Arten“ können darum nicht ohne den Themenkomplex „Bi- odiversität im besiedelten Bereich“ abschlie- ßend behandelt werden. Ü Bereits heute leben weltweit über 60 % der Bevölkerung in urban-industriellen Räumen, in Europa sind es bereits 80 % (KOM 1998). Dort wo schon heute der Hauptanteil der Be- völkerung lebt, ist das unmittelbare Erleben natürlicher Elemente besonders wichtig und sollte gefördert werden. Denn nur so kann das Anliegen der Biodiversitätskonvention im Sinne von „Vielfalt schützen und nutzen“ in weiten Bevölkerungskreisen Akzeptanz finden. Ü Die UNO betont immer wieder, dass wir einem Zeitalter der Urbanität entgegen ge- hen. Die direkten und indirekten Wirkungen der Urbanisierungsprozesse werden maß- geblich die Probleme und damit die Zukunft der biologischen Vielfalt auf unserer Erde bestimmen (WULLKOPF & WERNER 2005). 2 Bisherige Bestrebungen zur Thematisierung der Biodiversität im besiedelten Bereich innerhalb der CBD Die Vertragsstaatenkonferenz verabschiede- te auf ihrem 6. Treffen in Den Haag (2002) ein Mehrjahres-Programm, in dem vertiefen- de Arbeitsschwerpunkte bis zum Jahr 2010 festgehalten wurden. Dabei wurde für die im Jahr 2008 stattfindende 9. Vertragsstaaten- konferenz vorgeschlagen, sich mit dem The- ma „Biodiversität urbaner und suburbaner

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1 Hintergrund

Die Umsetzung der Ziele der Konvention zurBiologischen Vielfalt (im Folgenden CBDoder Biodiversitätskonvention) ist derzeiteine der wichtigen Aufgaben internationalerund nationaler Naturschutzpolitik. Bei der6.Vertragsstaatenkonferenz im Jahr 2002 ha-ben sich die Unterzeichnerstaaten das Zielgesetzt, bis zum Jahre 2010 den Verlust derBiodiversität auf regionaler, nationaler undinternationaler Ebene signifikant zu reduzie-ren (so genanntes „2010-Ziel“). Vorläufer fürdiese Vereinbarung war die so genannte Bio-diversitätsstrategie auf EU-Ebene, die be-reits 1998 von der Europäischen Kommis-sion angenommen wurde.

In Deutschland wurde vom Staatssekretär-sausschuss 2004 beschlossen, im Jahr 2006das Thema Biodiversität zu einem Schwer-punkt der Nationalen Nachhaltigkeitsstrate-gie zu machen (DOYLE et al. 2005). In der

letzten Legislaturperiode hat die Bundesre-gierung unter Federführung des Bundesmi-nisteriums für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit mit der Bearbeitung einernationalen Strategie zur biologischen Viel-falt im Sinne der CBD begonnen, über derenInhalte in jüngster Zeit berichtet wurde (vgl.KÜCHLER-KRISCHUN & PIECHOKI 2005). ImGegensatz zu England, wo bereits 2002 eineStrategie zur Biologischen Vielfalt vorgelegtwurde, haben diese Bestrebungen in Deutsch-land nicht nur deutlich später begonnen, son-dern weisen noch einige Defizite auf. Im Be-sonderen ist die biologische Vielfalt derSiedlungen in ihrer Gesamtbedeutung nichtausreichend berücksichtigt worden. Daraufsoll in diesem Beitrag näher eingegangenwerden und Empfehlungen zum weiterenVorgehen in Deutschland gemacht werden.Die Ausführungen basieren auf den Ergeb-nissen einer nationalen Tagung zum Themain Jena 2004 sowie eines darauf aufbauenden

114 Naturschutz und Landschaftsplanung 39, (4), 2007

Biodiversität der SiedlungenEmpfehlungen für die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt in Deutschland

Von Norbert Müller und Sascha Abendroth

Zusammenfassung

Im Jahre 2004 wurde von der Vertragsstaaten-konferenz zur Biodiversitätskonvention das für2008 aufgestellte Fachthema „Biodiversität derSiedlungen“ bis auf weiteres zurückgestellt. Inden bisherigen Nationalberichten und Aktions-programmen zur CBD ist darum die Behand-lung der Biodiversität in Siedlungen sehr unein-heitlich. Am weitesten fortgeschritten ist bis-lang England, das bereits in seiner 2002 aufge-stellten Biodiversitätsstrategie Siedlungen alseigenes Fachthema behandelt. Dem gegenüberist im Entwurf zur Deutschen Biodiversitäts-strategie dieses Thema in seiner Gesamtbedeu-tung bislang nicht ausreichend berücksichtigt.

Auf Grundlage einer nationalen Tagung inDeutschland mit dem Titel „Biodiversität imbesiedelten Bereich – Grundlagen und Beispie-le zur Umsetzung der Konvention zur Biologi-schen Vielfalt“ und eines Forschungsprojekteswird in diesem Beitrag aufgezeigt, warum die-ses Thema in Zusammenhang mit der Konven-tion besonders wichtig ist und wie es im Sinneder Konvention zu interpretieren ist.

Es wird empfohlen, bei der Deutschen Bio-diversitätsstrategie „Siedlungen“ als eigenenHandlungsbereich aufzuführen und stärker aufdie Besonderheiten der Biodiversität urbanerund suburbaner Gebiete einzugehen. Aufgrundihrer langen Tradition im Stadtnaturschutz soll-ten sich Deutschland und England dafür einset-zen, dass die „Biodiversität urbaner und subur-baner Gebiete“ wieder als Fachthema in die Be-ratungen der Vertragspartner der CBD aufge-nommen wird.

Summary

Biodiversity in Urban Areas – Recommenda-tions for integration into the German Biodiver-sity Strategy

In 2004 the cross cutting issue ‘Biodiversity ofurban settlements’, originally intended for2008, was placed back by the Conference of theParties (COP) until further notice.

Therefore existing National Reports andAction Programmes for the Convention onBiological Diversity (CBD) have dealt differ-ently with this issue. So far England has shownthe widest progress, having already establishedits own specific strategy in 2002. In the draftGerman Biodiversity Strategy this issue has notyet been considered sufficiently so far.

In Germany a national conference was heldon ‘Biodiversity in Urban Areas – Basis of andExamples for Implementing the CBD’and a re-search project was conducted. On this basis thestudy presented shows the importance of thisfield of research in the context of the conventionand how to interprete it in line with the con-vention.

The study recommends to include ‘settle-ments’as own working field in the German Bio-diversity Strategy and to specifically addresscharacteristics of urban and suburban areas.

Owing to their long tradition of urban natureconservation Germany and England should putparticular emphasis on the resumption of ‘Bio-diversity of urban and suburban areas’ as crosscutting issue in the COP consultative proce-dure.

Forschungsprojekts an der FH Erfurt – FBLandschaftsarchitektur.

Einführend sollen einige Begründungengenannt werden, warum die Einbeziehungdes Themenkomplexes „Biodiversität inSiedlungen“ bei der Umsetzung der Konven-tion besonders wichtig ist:Ü Urbane und suburbane Räume zählen auf-grund der besonderen standörtlichen undentwicklungsgeschichtlichen Bedingungenzu den biologisch vielfältigsten Ökosyste-men (KLAUSNITZER 1993, PYSEK 1989). Dain Siedlungen die Entwicklung neuer Sippenbesonders rasch verläuft, sind sie auch Zent-ren der Evolution (z.B. KEIL & LOOS 2005). Ü Urbane und suburbane Räume zeichnensich durch einen besonders hohen Anteil ge-bietsfremder Arten aus (KOWARIK 2003).Diese sind Bestandteil der siedlungstypi-schen Biodiversität (MÜLLER 2005a). Ande-re Schwerpunktthemen der Konvention wiez.B. „Invasive gebietsfremde Arten“ könnendarum nicht ohne den Themenkomplex „Bi-odiversität im besiedelten Bereich“ abschlie-ßend behandelt werden.Ü Bereits heute leben weltweit über 60 % derBevölkerung in urban-industriellen Räumen,in Europa sind es bereits 80 % (KOM 1998).Dort wo schon heute der Hauptanteil der Be-völkerung lebt, ist das unmittelbare Erlebennatürlicher Elemente besonders wichtig undsollte gefördert werden. Denn nur so kanndas Anliegen der Biodiversitätskonventionim Sinne von „Vielfalt schützen und nutzen“in weiten Bevölkerungskreisen Akzeptanzfinden. Ü Die UNO betont immer wieder, dass wireinem Zeitalter der Urbanität entgegen ge-hen. Die direkten und indirekten Wirkungender Urbanisierungsprozesse werden maß-geblich die Probleme und damit die Zukunftder biologischen Vielfalt auf unserer Erdebestimmen (WULLKOPF & WERNER 2005).

2 Bisherige Bestrebungen zur Thematisierung der Biodiversität im besiedelten Bereich innerhalbder CBD

Die Vertragsstaatenkonferenz verabschiede-te auf ihrem 6. Treffen in Den Haag (2002)ein Mehrjahres-Programm, in dem vertiefen-de Arbeitsschwerpunkte bis zum Jahr 2010festgehalten wurden. Dabei wurde für die imJahr 2008 stattfindende 9. Vertragsstaaten-konferenz vorgeschlagen, sich mit dem The-ma „Biodiversität urbaner und suburbaner

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Gebiete“ zu befassen (vgl. UNEP 2002).Hierbei sollte auf drei Schwerpunkte einge-gangen werden:Ü Ermittlung von Status, Entwicklung undRolle der Biodiversität urbaner und suburba-ner Gebiete, einschließlich fremdländischerArtenÜ Ermittlung des Einflusses von Siedlungs-tätigkeiten auf die BiodiversitätÜ Entwicklung von Steuerfunktionen zurErhaltung von Biodiversität urbaner undsuburbaner Gebiete, einschließlich eines Ar-beitsprogramms

Bei der 7. Vertragsstaatenkonferenz 2004wurde allerdings das Thema „Biodiversitäturbaner und suburbaner Gebiete“ bis aufweiteres zurückgestellt. Artikel 6 der CBDverpflichtet die Vertragsstaaten zur Erstel-lung von Nationalberichten, in denen dieLänder Konzepte und Strategien erörtern, dieder Umsetzung der Konvention dienen. DesWeiteren sollen nationale Aktionspläne erar-beitet werden, in denen konkrete Programmeund Maßnahmen zum Schutz und zur nach-haltigen Nutzung der Biodiversität enthaltensind (CBD 1992). Eine vor kurzem erfolgteAuswertung der Nationalberichte und Akti-onsprogramme von ausgewählten Vertrags-partnern der CBD zeigt (ABENDROTH et al.2005), dass sich bislang nur wenige Staatenintensiver mit dem Themenkomplex Biodi-versität im besiedelten Bereich auseinandergesetzt haben (vgl. Tab. 1). Von 18 unter-suchten Staaten nennen nur fünf konkreteZiele und Maßnahmen zur Sicherung derurbanen Biodiversität. Mit am weitesten fort-geschritten ist England, das bereits 2002 einenationale Strategie zur Biodiversität vorge-legt hat und in der die biologische Vielfalt inSiedlungen auf der gleichen Ebene behan-delt wird wie die der Wälder, Feuchtgebieteund Landwirtschaft (DEFRA 2002).

Im Gegensatz dazu zählt Deutschland zurGruppe der Vertragspartner, bei denen in denNationalberichten und Aktionsprogrammendie Biodiversität urbaner Räume am wenigs-ten Berücksichtigung findet. Deutschlandverweist im 1. Nationalbericht nur auf bisherGeleistetes wie Stadtbiotopkartierungen undspezielle Artenschutzprogramme oder aufHandlungsziele einer nachhaltigen Raum-und Siedlungsentwicklung.

Nachdem von Deutschland seit den 70erJahren wesentliche Impulse zur Entwicklungder Stadtökologie als eigenständige wissen-schaftliche Disziplin ausgingen und derKenntnisstand zur biologischen Vielfalt aufArt- und Lebensraumebene in Siedlungen iminternationalen Vergleich besonders hoch ist(SUKOPP 2005a), hätte man erwarten können,dass hier der besiedelte Bereich stärkere Be-achtung findet. So liegen für die meistenStädte bereits seit den 80er Jahren Biotop-kartierungen vor und in zahlreichen Bundes-ländern sind Biotopkartierungen in Dörferndurchgeführt worden (vgl. BFN 2004: 256 ff).Auch auf Artebene liegen mit Raster-Kartie-rungen ausgewählter Organismen-Gruppen(z.B. Farn- und Blütenpflanzen, Vögel, Heu-schrecken) zahlreiche Daten vor, die teilwei-se in regionalen und lokalen Erfassungenweiter vertieft wurden. Diese Daten zur bio-logischen Vielfalt sind seit den 80er Jahrenwesentliche Grundlage für naturschutzfach-liche Planungen im besiedelten Bereich.Auch die Bemühungen zur Sicherung undEntwicklung siedlungstypischer Biodiver-sität weisen in Deutschland eine lange Tra-dition auf. So gibt es bereits seit den 80erJahren in vielen Städten gezielte Programmezur Steigerung der Biodiversität in Grünan-lagen durch differenzierte Pflege (z.B. MÜL-LER & SCHMIDT 1982). Zwischenzeitlich lie-gen auch für einige Städte Arten- und Bio-topschutzprogramme vor – z.B. für Berlin(Arbeitsgruppe Artenschutzprogramm Ber-lin 1984), Erlangen (BStMLNU et al. 1992),München. Auch bei der Nutzung der sied-lungsspezifischen Natur liegen in Deutsch-land mit den Bestrebungen zur Integrationvon Naturerfahrungsräumen in die Bauleit-planung wegweisende Ansätze vor (z.B.REIDL & SCHEMEL 2003), die im Sinne derKonvention interpretiert werden können.

3 Ergebnisse einer nationalen Tagung zum Thema „Biodiversitätim besiedelten Bereich“

Vor dem Hintergrund der oben genanntenDefizite richtete die „Bund-Länder-Arbeits-gruppe Biotopkartierung im besiedelten Be-reich“ und der „Arbeitskreis Stadtökologie

in der Gesellschaft für Ökologie“ im Mai2004 in Jena eine gemeinsame Tagung mitdem Titel „Biodiversität im besiedelten Be-reich“ aus. Auf Einladung der ThüringerLandesanstalt für Umwelt und Geologie undder Fachhochschule Erfurt (FB Landschafts-architektur) kamen über 60 Teilnehmer ausdem deutschsprachigen Raum. Die Fachleu-te aus Verwaltungen, Hochschulen und Bürosbeschäftigten sich zwei Tage mit Grundsatz-fragen und Fallbeispielen zur Umsetzung derCBD in Siedlungen. Alle Vorträge und Pos-ter dieser Tagung sind in der Schriftenreihedes Kompetenznetzwerkes Stadtökologie er-schienen (MÜLLER 2005b). Im Folgendensoll auf einige wichtige Ergebnisse dieserTagung in Zusammenhang mit der weiterenBehandlung des Themas eingegangen wer-den:Ü Sicherung und Nutzung der Biodiversitätim besiedelten Bereich muss alle Kategorienvon Natur (im Sinne von KOWARIK 1993)einschließen – nämlich die der Naturland-schaften (z.B. Wälder), der Kulturlandschaf-ten (z.B. Streuwiesen), der urban-industriel-len Landschaften einschließlich Dörfer (z.B.ruderale Wälder) und der gärtnerisch-gestal-teten Landschaften (z.B. Parkforste). DerSchwerpunkt der Bestrebungen im besiedel-ten Bereich liegt allerdings bei der Biodiver-sität der urban-industriellen sowie der gärt-nerisch-gestalteten Natur, da sie spezifischfür Siedlungen ist und nur hier auftritt.Ü Auf allen drei Ebenen der Biodiversität(genetische Vielfalt, Arten- und Lebens-raumvielfalt) sind Siedlungen aufgrund derspezifischen menschlichen Störungen undNutzungen Zentren der Evolution – das giltfür Wildpflanzen und -tiere (vgl. BÖSSNEK

2005, KEIL & LOOS 2005) gleichermaßenwie für Nutz- und Zierpflanzen (KRAUSCH

2005).Ü In Siedlungen bilden gebietsfremde Arteneinen wesentlichen Bestanteil der spezifi-schen Biodiversität und sind darum anderszu bewerten als in Naturlandschaften (MÜL-LER 2005a, RICHTER 2005, SUKOPP 2005b).Ü Siedlungen können für eine Reihe von ge-fährdeten Arten der Natur- und Kulturland-schaft wichtige Ersatzlebensräume beher-bergen wie z.B. Mauern (JUNGHANS & FI-SCHER 2005) oder Parkforste und -wiesen.Ü Die spezifische biologische Vielfalt derSiedlungen hat in den letzten Jahrzehnteneinen starken Rückgang zu verzeichnen. Dasist für Wildpflanzen und -tiere auf Ebene derArten und Lebensräume genauso belegt(GEIGER 2005, SCHIKORA et al. 2005, WITTIG

2005) wie für Zier- und Nutzpflanzen(KRAUSCH 2005).Ü Der Verlust der biologischen Vielfalt inSiedlungen steht im Zusammenhang mitWissensdefiziten um deren Eigenwert. DurchÖffentlichkeitsarbeit und Thematisierungder Biodiversität in verschiedenen Program-men wird versucht, diese Defizite auszuglei-chen. So sind im Wettbewerb „Unser Dorfsoll schöner werden“ in den letzten Jahrenzunehmend auch Aspekte der Artenvielfalt indie Bewertung eingegangen (BLUDSZUWEIT

2005). Die gezielte Inwertsetzung von ur-ban-industrieller Natur durch traditionelleSchutzgebietsausweisungen ist ein weiterer

Tab. 1: Auswertung der Nationalberichte und nationalen Aktionspläne ausgewählter Vertragspart-ner in Bezug auf Zielaussagen zur urbanen Biodiversität (aus ABENDROTH et al. 2005).

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Länder, die bereits konkrete Länder, in denen urbane Räume Länder, in denen urbane Räume Ziele und Maßnahmen zur bei Schutzmaßnahmen zur Bio- bei Schutzmaßnahmen zur Sicherung urbaner Biodiversität diversität einbezogen werden Biodiversität nicht einbezogen nennen werden

Australien China Deutschland

Belgien Finnland Kanada

Großbritannien Frankreich Österreich

Japan Italien Tschechische Republik

Schweden Niederlande

Polen

Russland

Spanien

Südafrika

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Ansatz, der auf der größten Brachfläche Ber-lins dem „Schöneberger Bahngelände“ ver-folgt wird (LANGER 2005). Ü Biosphärenreservate im Sinne der UNES-CO, d.h. Gebiete in denen modellhaft dasMiteinander von Natur und Mensch geübtwird, sollten zur Verwirklichung der Zieleder Biodiversitätskonvention auch in Sied-lungen ausgewiesen werden (REIDL 2005).

Die Teilnehmer der Tagung stellten einver-nehmlich fest, dass bislang in Deutschlanddie Kenntnisse zur Biologischen Vielfalt inSiedlungen nur unzureichend in die nationa-len Bemühungen zur Umsetzung der Kon-vention eingeflossen sind. Sie empfahlenden Aufbau eines geeigneten Netzwerkes inDeutschland, das sowohl im wissenschaft-lichen als auch im politischen Raum dieökologischen Belange urbaner Räume the-matisiert. Daraus hat sich im Mai 2005 dasKompetenznetzwerk Stadtökologie gegrün-det, das u.a. beschloss, für das Jahr 2008 eineinternationale Tagung zum Thema „Urbanbiodiversity and design – Implementing theConvention on Biological Diversity in townsand cities“ auszurichten (vgl. www.contu-rec.de).

4 Nutzung und Gestaltung urbanerBiodiversität – erste Ergebnisse auseinem Forschungsprojekt

4.1 Fragestellungen

Vor dem Hintergrund, dass der Verlust vonBiodiversität im besiedelten Bereich häufigauf ein mangelndes Verständnis um denEigenwert von „spontaner Natur“ bei denStadtbewohnern zurückzuführen ist (vgl.oben), begann im Jahre 2003 an der Fach-hochschule Erfurt ein Forschungsprojekt(gefördert durch das Hochschul-Wissen-schaftsprogramm des Landes Thüringen) mitdem Titel „Umsetzung der Biodiversitäts-konvention im besiedelten Bereich – Ent-wicklung von Leitlinien und Zielkonzeptenam Beispiel der Stadt Erfurt“. Dabei standenFragen im Vordergrund, wie durch gezielteNutzung und Gestaltung städtischer Naturdie biologische Vielfalt im Siedlungsraum„in Wert“ gesetzt und somit positiv für denBürger belegt werden kann. Das sollte in Er-furt beispielhaft anhand von Modellprojek-ten gezeigt werden. Dabei sollten die spezi-ellen Rahmenbedingungen der Stadt Erfurt –nämlich die Zunahme von Brachflächen imSiedlungsbereich und die Finanzknappheitder Kommunen – berücksichtigt werden. Dainnerhalb der städtischen NutzungstypenBrachflächen und Grünanlagen eine beson-ders hohe Artenvielfalt aufweisen (vgl.Abb. 1) und sie repräsentativ für die beidenTypen von Natur in der Stadt sind, standensie im Mittelpunkt der Modellprojekte.

4.2 Sicherung und Nutzung von Biodiversität in der Stadt – BeispielBrachflächen

In Erfurt ist ebenso wie in anderen ostdeut-schen Städten seit den 90er Jahren eine star-ke Zunahme von Brachflächen im Sied-

lungsbereich zu verzeichnen. Für die Stadt-planung eröffnet sich durch die Zunahmevon Brachflächen die Chance, bestehendeMängel im Freiraumsystem zu beheben undeinen innerstädtischen Biotop- und Grünflä-chenverbund aufzubauen. Demgegenübersind die Zunahme von Brachflächen und derdamit verbundene „Wildwuchs“ in der Stadtvon weiten Bevölkerungskreisen negativ be-legt. Im Rahmen des Projektes wurden zweiZiele verfolgt:Ü Beispielhafter Aufbau eines Biotop- undFreiflächenverbundes unter den gegebenenveränderten städtebaulichen Rahmenbedin-gungenÜ Konzeption von Folgenutzungen für dieBrachflächen mit dem Ziel den Eigenwertvon urban-industrieller Biodiversität für denBewohner erlebbar zu machen.

Ausgangspunkt für die Planung war eineBestandsaufnahme und Bewertung derBrachflächen mit den Indikatoren natur-schutzfachlicher und sozialer Wert. Die na-turschutzfachliche Bewertung erfolgte überdie Biodiversität der Farn- und Blütenpflan-zen in Anlehnung an die Kartierungsmetho-de der Biotopkartierung im besiedelten Be-reich (vgl. STAIGER & MÜLLER 2004). Dersoziale Wert der Brachflächen wurde darangemessen, inwieweit die Flächen bereits vonbestimmten Bevölkerungsgruppen genutztwerden (MATHEY et al. 2003).

Beispielhaft wurde daraufhin für einenStadtteil mit besonders hohem Anteil vonIndustrie- und Bahnbrachen eine Rahmen-konzeption entwickelt. Diese sieht vor, diebislang unzugänglichen Brachflächen zueinem innerstädtischen Biotop- und Grün-flächenverbund auszubauen. Dauerhaft sollnur ein kleines Kernstück des Gebietes –eine brach gefallene Lokalbahntrasse – alsVerbundachse umgewidmet und mit einerWegeverbindung erschlossen werden. Die-

ses Gebiet wurde naturschutzfachlich beson-ders hoch bewertet, da es eine hohe Struktur-und Artenvielfalt aufweist. Der Hauptanteilder Flächen soll – so lange keine kommerzi-elle Folgenutzung möglich ist – den Stadtbe-wohnern zur vorübergehenden Nutzung(Zwischennutzung im Sinne von FUHRICH

(2004) freigegeben werden. Diese Flächen,die z.T. bereits Nutzungsspuren (z.B. durchKinderspiel, Motorcross-Fahren etc.) auf-weisen, sollen im Sinne von „Naturerfah-rungsräumen“ genutzt werden. „Naturerfah-rungsräume“ sind eine neue Kategorie vonFreiflächen, die im Gegensatz zu traditionellintensiv gestalteten Grünflächen nur durchdie Nutzung der Stadtbewohner geprägt sindund eine spontane Vegetationsentwicklungzulassen. Dadurch soll für den Stadtbewoh-ner das unmittelbare Erleben von spontanerNatur im Sinne von REIDL & SCHEMEL

(2003) in seiner direkten Umgebung selbst-verständlich werden.

4.3 Gestaltung von Biodiversität in der Stadt – Beispiel öffentlicheFreiräume

Verfolgt man die gängigen Fachzeitschriftenfür Landschaftsarchitektur, so spielen bei derPlanung von Freiräumen Aspekte der geziel-ten Förderung von Biodiversität nach wie vornur eine nachrangige Rolle. Neue Grünanla-gen, die gleichrangig nach gestalterischenund naturschutzfachlichen Grundsätzen ge-plant, gebaut und gepflegt werden, wie z.B.die Außenanlagen des Bayerischen Landes-amtes für Umweltschutz in Augsburg (vgl.HÖFER 2002, KUNZ & LEICHT 2000) oder dieWiesenflächen in der Bundesgartenschau inMünchen (LUTZ 2005), sind darum immernoch die Ausnahme. Weiter fortgeschrittenist diese Entwicklung im Bereich der Pflegevon öffentlichen Grünflächen. Ausgehend

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Abb. 1: Durchschnittliche Artenzahl an Farn- und Blütenpflanzen sowie Rote Liste-Arten von ver-schiedenen Flächennutzungen in der Stadt Augsburg (nach MÜLLER 1990). Brachflächen und Parkan-lagen zählen innerhalb des Siedlungsbereiches mit zu den artenreichsten Flächennutzungen.

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von der Pflegekosten- und Naturschutzdis-kussion der 80er Jahre gehen heute vielekommunale Verwaltungen differenziertervor. So werden viele Freiflächen in Parkan-lagen nur noch ein- oder zweimal gemähtund die Parkforste naturnäher behandelt.Zahlreiche Begleituntersuchungen haben be-legt, dass dadurch nicht nur die Artenvielfalt,sondern auch die Nutzungsmöglichkeitengestiegen sind und diese Entwicklung posi-tiv von den Stadtbewohnern gesehen wird.

Vor dem Hintergrund, dass die Gestaltungvon öffentlichen Grünflächen im Siedlungs-raum Vorbildcharakter für die Bevölkerunghat (GERSTER-BENTAYA 1999), beschäftigtesich der zweite Teil des Forschungsprojektsmit der modellhaften Gestaltung von öffent-lichen Freiräumen. Demonstrationsflächenwurden dazu im Schau- und Lehrgarten desFachbereichs Landschaftsarchitektur und ineinem Erfurter Schulhof eingerichtet.

Im Modellprojekt „Erfurter Blumenwie-sen“ wurden Mäh- und Saatgut aus derUmgebung Erfurts zur Anlage von artenrei-chen Magerwiesen im Stadtgebiet verwen-det. Durch den Einsatz von autochthonemSaatgut können rasch artenreiche und ästhe-tisch ansprechende Wiesen initiiert werden(z.B. WITT & DITTRICH 1996). Durch dieseBegrünungsmethode wird neben einem opti-schen Zugewinn gleichzeitig die Biodiversi-tät im Siedlungsbereich erhöht.

Zielsetzung des zweiten Projektes war es,Ruderalpflanzen d.h. Kennarten von Brach-flächen bei der Gestaltung von öffentlichenRäumen bewusst einzusetzen und damiteinen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltungvon Grünflächen zu leisten. Durch die Ver-wendung dieser anspruchslosen stadttypi-schen Arten können Pflegekosten reduziert,die stadttypische Biodiversität erhöht sowiedie biologische Vielfalt von urban-industriel-len Brachflächen in Wert gesetzt werden.Das Projektgebiet war ein neu angelegterParkplatz im Eingangsbereich der FH Erfurt– FB Landschaftsarchitektur. Hier sind tradi-tionell mit Gartenstauden gestaltete Flächenebenso Bestandteil der Gesamtkonzeptionwie Flächen mit auffällig blühenden Rude-ralpflanzen. Von den Nutzern, d.h. den Stu-dierenden des Fachbereichs, wurden aufBrachflächen in der unmittelbaren Umge-bung Samen von attraktiven Wildpflanzengesammelt (Centaurea stoebe, Daucus caro-ta, Echium vulgare, Oenothera biennis agg.u.a.). Ausgewählt wurden Arten, die natürli-cherweise schnell offene Standorte besiedelnund einem Nutzungsdruck durch gelegent-liches Befahren standhalten. Weitere Aus-wahlkriterien waren Blütenfarbe und -zeit-punkt. Ein vorher konzipiertes Farbkonzeptsoll eine zukünftige harmonische Beziehungder Pflanzen zueinander sichern.

4.4 Umweltbildung und Umsetzungs-möglichkeiten der Modellprojekte

Zur Bürgerinformation und Öffentlichkeits-arbeit wurde zu den vorgenannten Projekteneine Faltblattserie entwickelt, die über dieVielfalt der Stadtnatur in Erfurt und die Nut-zungsmöglichkeiten von Brachflächen in-formiert. Da die Projekte in Kooperation mit

der Erfurter Stadtverwaltung durchgeführtwurden und ein enger Austausch mit derLokalen Agenda 21 Projektgruppe erfolgte,bestehen auch günstige Vorraussetzungenzur Umsetzung und Weiterführung ähnlicherProjekte. Inzwischen hat sich innerhalb desBUND die Arbeitsgruppe LAGUNE (Loka-le Aktionsgruppe Urbanes Naturerleben) ge-gründet, die u.a. Projektflächen ab Sommer2006 zusammen mit Schulen gezielt für dieUmweltbildung nutzen will und Öffentlich-keitsarbeit (z.B. Ausstellungen, Event- Ver-anstaltungen auf Brachflächen etc.) organi-siert.

5 Folgerungen und Empfehlungen fürdie deutsche Biodiversitätsstrategieund im internationalen Kontext

Die eingangs gemachten Ausführungen unddie vorgestellten Modellprojekte zeigen,dass auf Grund der Eigenart urbaner Biodi-versität auch spezifische Handlungsfelderzur Umsetzung der Konvention notwendigsind. Wie in England sollte darum inDeutschland innerhalb der Nationalen Bio-diversitätsstrategie der Bereich Siedlungenneben Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ver-kehr etc. als eigenständiger Handlungsbe-reich aufgeführt werden. Bisher sind inDeutschland Siedlungen nur mit dem Be-reich Verkehr subsumiert (vgl. DOYLE et al.2005) und führen dadurch nur zu allgemei-nen Zielen und Maßnahmen, die der Ge-samtbedeutung der urbanen Biodiversität imsozialen, wirtschaftlichen und ökologischenKontext nicht gerecht werden. Zur weiterenVorgehensweise sollte man sich an den Aus-sagen der englischen Strategie orientieren.Hier ist Kernaussage für den Siedlungsbe-reich, dass der Erhalt der biologischen Viel-

falt maßgebend für eine nachhaltige Gestal-tung der Kommunen, für eine Verbesserungder Lebensqualität und für ein besseres Ver-ständnis im Umgang mit der Natur ist (DE-FRA 2002). Indikatoren, die für Biodiver-sität besiedelter Bereiche herangezogen undbewertet werden, sind (English Nature2005):– Fortschreibung von Artenschutzprogram-

men im Siedlungsraum,– Bestand und Zustände von innerstädti-

schen Schutzgebieten,– Population von Vögeln in Städten und Gär-

ten,– Zugänglichkeit zu Grünräumen und Stad-

tumgebung,– Anteil von Haushalten mit Naturgärten,– Einbeziehung von Zielen zur Erhaltung

biologischer Vielfalt in kommunale Pla-nungen. Des Weiteren sind Themengebiete urbaner

Biodiversität in der englischen Biodiversitäts-strategie aufgelistet, die bereits in weiterfüh-renden Gesetzen und Planungen eingebundensind bzw. zukünftig verstärkt einbezogenwerden sollen:– Integration der Aspekte urbaner Biodiver-

sität in Stadt- und Kommunalplanung,– Erkennen des Wertes von Brachflächen für

Stadtnatur, Erholung,– Entwicklung von neuen Wegen in Archi-

tektur und Grünflächengestaltung (vgl.TCPA 2004),

– Funktionen von Parks und Grünflächen fürMensch und Natur einschließlich Pflege-prinzipien,

– Nutzung und Erhalt der Vielfalt von Haus-und Mietergärten in Verbindung mit Be-wusstseinssteigerung für urbane Biodiver-sität,

– Umweltbildung in Schulen – „Grüne Klas-senzimmer“,

117Naturschutz und Landschaftsplanung 39, (4), 2007

Abb. 2: Spielende Kinder auf einem brachgefallenen Bahngelände in Erfurt (2005). Für die Bewoh-ner in der Stadt bieten Brachflächen oft die einzige Möglichkeit, natürliche Elemente in ihrer unmittel-baren Umgebung zu erleben. Foto: Jochen Müller

Page 5: Biodiversität der Siedlungen - fh-erfurt.de · 1 Hintergrund Die Umsetzung der Ziele der Konvention zur Biologischen Vielfalt (im Folgenden CBD oder Biodiversitätskonvention) ist

– soziale Aspekte urbaner Biodiversität beiWohnumfeldverbesserung und Gesund-heitsvorsorge,

– Kontrolle der negativen und Verstärkungder positiven Wirkungen fremdländischerArten (BODSWORTH et al. 2005).

Diese im Anh. 4 der Englischen Biodiversi-tätsstrategie benannten Themengebiete wer-den ergänzt durch eine Beschreibung vor-handener Instrumente (Gesetze, Richtlinien,Programme) zur Umsetzung der Ziele derCBD im besiedelten Bereich. Die Umset-zung auf kommunaler Ebene erfolgt u.a.durch Lokale Biodiversitäts-Aktionspläne,in denen gefährdete und schutzwürdige Ar-ten bzw. städtische Lebensräume dargestelltsind und für die Schutz- und Entwicklungs-maßnahmen aufgeführt werden.

Die von English Nature herausgegebeneZeitschrift ‚Urbio – Urban biodiversity andhuman nature’bildet dabei eine Plattform fürdiverse Projekte in England, die sich mit Fra-gen städtischer Biodiversität auseinanderset-zen (www.english-nature.org.uk).

Auch auf internationaler Ebene muss diefachliche Diskussion zur Biodiversität inSiedlungen weitergeführt werden. Aufgrundder wissenschaftlichen Tradition sollten sichinnerhalb der VertragsstaatenkonferenzDeutschland und England verstärkt für eineWiederaufnahme des Fachthemas „Biodi-versität urbaner und suburbaner Gebiete“einsetzen. Die Fachthemen der CBD wie Bi-odiversität natürlicher Ökosysteme (Meereund Küsten, Wälder etc.) und „Agrobiodi-versität“ müssen durch das Thema „Bio-diversität urbaner und suburbaner Gebiete“ergänzt werden. In diesem Zusammenhangsoll erinnert werden, dass bereits 1998 dieEuropäische Union herausgestellt hat, dassdie FFH-Richtlinie außerhalb von traditio-nellen Schutzgebieten schwerwiegende Lü-cken bei der Erhaltung und nachhaltigenNutzung der Biodiversität aufweist und die-se zu beheben sind (COM 1998). Innerhalbder EU liegt damit bereits eine Verpflichtungvor, diese Defizite zu beheben.

Zur Weiterführung der fachlichen Diskus-sion wird das Kompetenznetzwerk Stadtöko-logie (CONTUREC) im Mai 2008 in Erfurteinen internationalen Kongress (www.ur-ban-biodiversity-erfurt-2008.de) begleitendzum COP-9-Treffen in Bonn ausrichten.

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Anschriften der Verfasser: Prof. Dr. Norbert Müllerund Dipl.-Ing. Sascha Abendroth, FH Erfurt, FBLandschaftsarchitektur, Leipziger Straße 77, D-99085Erfurt, E-Mail [email protected] bzw. [email protected].

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