Badische Heimat

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Zahlstellen des Landesvereins: Postbank Karlsruhe, Kto.-Nr. 16468-751, BLZ 660 100 75 Sparkasse Freiburg – Nördl. Breisgau Kto.-Nr. 2003201, BLZ 680 501 01 Heft 4, Dezember 2005 / 85. Jahrgang E 1459 Badische Heimat MEIN HEIMATLAND ISSN 0930-7001 Zeitschrift für Landes- und Volkskunde, Natur-, Umwelt- und Denkmalschutz Herausgeber: Landesverein Badische Heimat e. V. Für Heimatkunde und Heimatpflege, Natur- und Denkmalschutz, Volkskunde und Volkskunst, Familienforschung Landesvorsitzender: Adolf Schmid, Freiburg Schriftleitung und Redaktion: Heinrich Hauß Weißdornweg 39, 76149 Karlsruhe, Tel. und Fax: (07 21) 75 43 45 Geschäftsstelle: Haus Badische Heimat, Hansjakobstr. 12, 79117 Freiburg Tel. (07 61) 7 37 24, Fax (07 61) 7 07 55 06 Geschäftszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00–12.00 Uhr Internet: http://www.badische-heimat.de E-Mail: [email protected] Die Herausgabe dieser Zeitschrift wird vom Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Freiburg, unterstützt. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Verkaufspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Jahrespreis für Einzelmitglieder 26 . Preis des Heftes im Einzelverkauf für Nichtmitglieder 7,50 . Nachbestellung eines Heftes für Mitglieder 6,50 . Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind ausschließlich deren Verfasser verantwortlich. Für unverlangte Manuskripte, Bildmaterial und Besprechungsstücke wird keine Haftung übernommen. Rücksendung bei unangeforderten Manuskripten erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung behält sich der Landesverein vor. Veröffentlichte Manuskripte gehen in das Eigentum des Landesvereins über. Titelbild: Schloss Rastatt Foto: Martin Walter Gesamtherstellung: G. Braun Buchverlag im DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG Kaiserallee 87 76185 Karlsruhe Dorothee Kühnel Tel. (07 21) 50 98-61 Fax (07 21) 50 98- 89 E-Mail: [email protected] Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig

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Zahlstellen des Landesvereins:

Postbank Karlsruhe, Kto.-Nr. 16468-751, BLZ 660100 75

Sparkasse Freiburg – Nördl. BreisgauKto.-Nr. 2003201, BLZ 680 501 01

Heft 4, Dezember 2005 / 85. Jahrgang E 1459

Badische HeimatMEIN HEIMATLAND

ISSN 0930-7001Zeitschrift für Landes- und Volkskunde,

Natur-, Umwelt- und DenkmalschutzHerausgeber: Landesverein Badische Heimat e. V.

Für Heimatkunde und Heimatpflege, Natur- und Denkmalschutz,Volkskunde und Volkskunst, Familienforschung

Landesvorsitzender: Adolf Schmid, Freiburg

Schriftleitung und Redaktion: Heinrich HaußWeißdornweg 39, 76149 Karlsruhe, Tel. und Fax: (07 21) 75 43 45

Geschäftsstelle:Haus Badische Heimat,

Hansjakobstr. 12, 79117 FreiburgTel. (07 61) 7 37 24, Fax (07 61) 7 07 55 06

Geschäftszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00–12.00 Uhr

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Die Herausgabe dieser Zeitschrift wird vomLand Baden-Württemberg, vertreten durch das

Regierungspräsidium Freiburg, unterstützt.

Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Verkaufspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten.Jahrespreis für Einzelmitglieder 26 €. Preis des Heftes im Einzelverkauf für Nichtmitglieder 7,50 €.

Nachbestellung eines Heftes für Mitglieder 6,50 €.

Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind ausschließlich deren Verfasser verantwortlich. Für unverlangteManuskripte, Bildmaterial und Besprechungsstücke wird keine Haftung übernommen. Rücksendung beiunangeforderten Manuskripten erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. Alle Rechte der Vervielfältigung undVerbreitung behält sich der Landesverein vor. Veröffentlichte Manuskripte gehen in das Eigentum des

Landesvereins über.

Titelbild: Schloss RastattFoto: Martin Walter

Gesamtherstellung:G. Braun Buchverlagim DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KGKaiserallee 8776185 KarlsruheDorothee KühnelTel. (07 21) 50 98-61Fax (07 21) 50 98-89E-Mail: [email protected] Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig

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Inhalt

Von der Residenz zur LandstadtRastatt in den Jahrzehnten nach 1771Marco Müller . . . . . . . . . . . . . . . 484

Zur Geschichte des Landkreises RastattMartin Walter . . . . . . . . . . . . . . . 495

Zur Verwaltungsgeschichte des Landkreises RastattMartin Walter . . . . . . . . . . . . . . . 497

Die Bundesfestung RastattMarco Müller . . . . . . . . . . . . . . . 499

Die italienische Kolonie in derMarkgrafschaft Baden-BadenMartin Walter . . . . . . . . . . . . . . . 516

Im Donner der MotorenKarl Kappler. Die Geschichte deserfolgreichsten deutschenRennfahrers der 1920er JahreMartin Walter . . . . . . . . . . . . . . . 548

Eisenbahn- und Automobil-Pioniere in und aus Baden-BadenBaden-Baden und High-TechDieter Baeuerle. . . . . . . . . . . . . . 553

Der Kunst-Knast von Baden-BadenReiner Haehling v. Lanzenauer . 564

Reinhard FieserEin tatkräftiger Oberbürger-meister in Baden-BadenReiner Haehling v. Lanzenauer . 567

Schüsse auf den KönigDas Attentat in der Lichtentaler AlleeReiner Haehling v. Lanzenauer . 571

Joachim Ringelnatz als Baden-Badener Kasperlefigur von Eugen SchmidtWalter E. Schäfer . . . . . . . . . . . . 577

Das Schönborn-Gymnasium in BruchsalEine Schule und ihre Geschichte(1755–1955)Thomas Moos . . . . . . . . . . . . . . . 582

Das Schönborn-Gymnasium und seine jüngste Geschichte(1955–2005)Rudolf-Manfred Hagelstein . . . . 590

Zwischen Improvisation und WiderstandAnmerkungen zum Geschichts-unterricht der 30er-Jahre in Baden.Das Beispiel Rudolf ImgrabenKlaus P. Oesterle. . . . . . . . . . . . . 594

Hygiene, Sport oder einfach nur „Spaß“?Glanz und Elend des einst stolzenKarlsruher TullabadesClemens Kieser. . . . . . . . . . . . . . 601

30 Jahre Europa-Park RustStationen einer Erfolgsgeschichteim Südwesten DeutschlandsAnne-Katrin Becker . . . . . . . . . . 605

„Kunst muss dienen“Das Werk des Malers Albert Finck (1895–1958)Klaus Finck. . . . . . . . . . . . . . . . . 609

Hans Martin ErhardtZum 70. Geburtstag des Malers und GrafikersBerthold Hänel . . . . . . . . . . . . . . 615

Das vergessene Wappen der Stadt Breisach am RheinStefan Schmidt. . . . . . . . . . . . . . 619

Vergangenheitsverschönerung: Zur Neubenennung der „Reithalle“ in OffenburgUwe Schellinger . . . . . . . . . . . . . 622

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483Badische Heimat 4/2005

Aktuelle Informationen

In eigener SacheVoranzeigePublikation der Badischen Heimatim Monat Mai 2006Heinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 631

SchillerZeit in MannheimSchiller lebte rund ein Jahr undneun Monate in MannheimAusstellung vom 17. September2005 bis 29. Januar 2006Heinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 634

Johannes WernerWilhelm Hausenstein. Ein LebenslaufHeinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 635

Mannheim hat nach langer Zeitwieder eine kleine StadtgeschichteHeinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 636

Kürnbach/Baden – und die „badische Kelter“Eine beispielhafte denkmal-pflegerische LeistungAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 637

„Alemannentag“ in WittnauAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 638

Biographie von Prof. Albert Finck9. Juli 1895 – 15. Januar 1958Klaus Finck. . . . . . . . . . . . . . . . . 638

Prof. Dr. Wolfgang E. Stopfel wurde 70Joachim Müller-Bremberger . . . 639

Das Adelsprädikat für Bad Krozingen: StadterhebungAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 639

Straßburg 1605Geburtsort des JournalismusAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 640

Denkmalschutzpreis 2005 . . . . . 641

Kunst der 20er Jahre in Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641

In MemoriamOtto Bernhard RoegeleAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 642

Ausstellungen in Baden . . . . . . . 643

Buchbesprechungen . . . . . . . . . 650

Wir wünschen unseren Mitgliedern in Badenund Freunden in aller Welt ein gutes Jahr

Landesvorstand, Beirat und Regionalvertreter der

„Badischen Heimat“

2006

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„Seit kein Hof mehr in Rastatt ist, machtdie Stadt eine traurige Figur, öde und tot, undmuß nur von der Landschaft leben. Unter demletzten Markgrafen schwelgte alles im Über-fluß, die Einwohner lebten lustig mit, siekönnen sich noch immer nicht in die Meta-morphose finden (…).“1

Ein Hauch von Endzeitstimmung lag überdem letzten Jahrzehnt Rastatts als Residenz-stadt der Markgrafen von Baden-Baden unterMarkgraf August Georg und seiner GemahlinMaria Viktoria von Aremberg, deren Ehekinderlos geblieben war. Glanzvolle Festewurden gefeiert in dem Bewusstsein, keineLeibeserben zu haben, für die es sich zu sparenlohnte, die Vereinigung mit der evangelischenMarkgrafschaft Baden-Durlach nach dem Erb-vertrag vom 28. Januar 1765 nur noch eineFrage der Zeit. Gleichzeitig waren diese Jahregeprägt von zahlreichen Maßnahmen desFürstenpaares, die katholische Glaubens-freiheit ihrer Untertanen zu festigen. Der TodAugust Georgs am 21. Oktober 1771 löste denErbfall aus. Markgraf Karl Friedrich vonBaden-Durlach übernahm ein verschuldetesErbe. Für Rastatt bedeutete das Aussterben derkatholischen Linie des Hauses Baden den Ver-lust des Status einer Residenzstadt, da diebaden-durlachische Residenzstadt Karlsruheauch Residenz der vereinigten Markgrafschaftwurde. Die in Rastatt ansässigen Regierungs-behörden wurden aufgehoben oder nach Karls-ruhe verlegt. Einwohnerzahl, Gewerbe undHandel stagnierten.

Um diese Auswirkungen nicht allzu gra-vierend erscheinen zu lassen, wurden verschie-dene Pläne entwickelt, die wirtschaftlichenund finanziellen Folgen für die Stadt zu min-dern. In diesem Zusammenhang ist vor allemdie Errichtung einer Stahlfabrik zu nennen,aber auch die Vergabe weiterer Privilegien für

kleinere Manufakturen in Rastatt. Zu denungewöhnlicheren Plänen gehörte dagegensicherlich das Vorhaben, in Rastatt eine Uni-versität zu errichten.2

EINE UNIVERSITÄT IN RASTATT?

Die Markgrafschaft Baden verfügte zumdamaligen Zeitpunkt noch nicht über eine Uni-versität. Die Universitäten Freiburg undHeidelberg gehörten erst seit NapoleonischerZeit zu Baden. Sicherlich wünschte sich auchMarkgraf Karl Friedrich eine Universität,zuerst aber musste die Kostenfrage erörtertwerden. So waren die ersten Überlegungen zurErrichtung einer Universität vor allem kamera-listischer Natur. Zwar versprach man sich vonden Professoren relativ geringen wirtschaft-lichen Nutzen, da diese vom Staat bezahltwerden mussten, doch die von auswärts kom-menden Studenten würden genügend Geld insLand bringen. Zudem würden Einheimischenicht mehr in anderen Ländern studieren,sondern im Land bleiben. Solche Pläne wurdenerstmals von den Geheimen Räten Reinhardund Preuschen erörtert, noch zu Lebzeiten desMarkgrafen August Georg von Baden-Baden.Georg Ernst Ludwig Preuschen kam 1773 aufseine früheren Pläne zurück, da bereits dieAufhebung des Jesuitenordens, der in Baden-Baden und Ettlingen Kollegien und in Otters-weier ein Superiorat besaß, absehbar war. DasVermögen des Jesuitenordens sollte für die Er-richtung einer Universität eingesetzt werden.Die Rastatter Universität würde sich, so Preu-schen, schon mit 100–200 Studenten bezahltmachen, die jährlich 60 000–80 000 Guldenverzehren sollten.

Preuschens ursprünglicher Plan von 1766sah eine theologische Fakultät mit zwei katho-lischen und zwei der Augsburger Konfession

! Marco Müller !

Von der Residenz zur LandstadtRastatt in den Jahrzehnten nach 1771

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angehörigen Professoren, eine juristische mitsechs, je zur Hälfte katholische und evange-lische Professoren, eine medizinische miteinem katholischen und einem evangelischenProfessor und schließlich eine philosophischeFakultät mit acht Professoren vor. Diese

Planung wurde 1773 nur wenig geändert;lediglich der bisherige markgräfliche Leib-medikus Wolff sollte die medizinische Fakultätals Professor honorarius, d. h. ohne Gehalt,verstärken. Preuschen machte sogar Personal-vorschläge für die einzelnen Professoren-

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Markgraf August Georg von Baden-Baden Stadtmuseum Rastatt

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stellen. Obwohl über die räumliche Unter-bringung der Universität kein Wort verlorenwird, ist davon auszugehen, dass sie nur imehemaligen Residenzschloss erfolgen konnte.

Dass der Plan zur Errichtung einer Uni-versität in Rastatt nicht in die Tat umgesetztwurde, ist wohl vor allem auf finanzielleAspekte zurückzuführen. Die jährlichen Ein-nahmen des Jesuitenordens waren nicht hochgenug um das Vorhaben zu verwirklichen.Preuschens Plan versank in der Schublade,stattdessen gründete Markgraf Karl Friedrichan Stelle des Jesuitenkollegs in Baden-Badenein Lehrinstitut mit vier neuen Schulklassen,der Vorläufer des Rastatter Lyzeums.

SCHLOSS UND SCHLOSSGARTEN

Der neue Landesvater und seine Nach-kommen bewohnten das Rastatter Schloss nurgelegentlich. Diesem Umstand ist es zu ver-danken, dass die Räume des Schlosses nichtdem veränderten Wohn- und Repräsentations-bedürfnis der jeweiligen Zeit angepasstwurden, sondern weitgehend in ihrembarocken Zustand erhalten blieben. Dagegenwurde ein Teil der Kunstsammlung, den Mark-graf August Georg im Falle seines Todes demWiener Kaiserhof vermacht hatte, 1775 inOffenburg versteigert. Ein bedauernswertesSchicksal erlitt auch der Schlossgarten. Zwarwurde der Garten nach Plänen von BaumeisterFranz Ignaz Krohmer nach dem Tode AugustGeorgs noch einmal umgestaltet, doch Mark-graf Karl Friedrich wollte bald die Kosten fürdie teure Unterhaltung des Barockgartens

sparen. 1779 verkaufte er Orangenbäume imWert von 3000 Gulden. 1783 wurde der Garten-dienst ganz aufgehoben, Gärtner Carl Hildnach Ettlingen versetzt. Der letzte HofgärtnerJakob Ensle blieb in Rastatt und durfte Teiledes Gartens bis zu seinem Tod kostenlosnutzen. Einzelne Teile des Gartens wurde anPrivatpersonen verpachtet, ein Stück 1829 zurAnlegung eines Friedhofs verwendet. Einwesentliches Stück fiel danach dem Festungs-bau zum Opfer.3 Froh waren dagegen die Ein-wohner von Iffezheim und Sandweier, dass1772 der 1756 von Markgraf Ludwig Georgangelegte markgräfliche Tiergarten in derGeggenau aufgegeben wurde und die Gemein-den den Wald zur Eigenbewirtschaftung wiederzurückerhielten. Schon Markgraf AugustGeorg hatte dem Tiergarten kein Interessemehr entgegengebracht, ihn aber dennochbestehen lassen.4

HOFPERSONAL UNDEINWOHNERZAHLEN

Für Residenzstädte galt allgemein, dass inihnen ein überproportional großer Anteil anDienstboten vorhanden war. Diese Gruppe warin sich sehr heterogen. Das Dienstpersonal desLandesfürsten und der höheren Beamtenbesaß naturgemäß eine ganz andere Repu-tation als die Bediensteten der Bürgerschaft.Zudem waren in Residenzstädten viele unge-lernte oder angelernte Arbeitskräfte vorhan-den, die sich bessere Chancen als in anderenStädten ausrechneten, ihren Unterhalt alsTagelöhner etwa bei fürstlichen Bauvorhaben

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Stadtansicht mit Schloss. Gemälde von J. W. Hauwiller, 1785. Stadtmuseum Rastatt

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bestreiten zu können. Hinzu kamen die Mili-tärpersonen mit ihren Familienangehörigen inder Stadt, seien es die Truppen der Garnisonoder die zeremoniellen Belangen dienendeLeibgarde des Fürsten.5

Auch wenn der Rastatter Hof sich nicht mitden großen Residenzen Südwestdeutschlandswie etwa Mannheim oder Ludwigsburg messenkonnte, so war dennoch ein recht umfang-reiches Hofpersonal beim Tode des letztenMarkgrafen 1771 vorhanden. Allein der Per-sonalstand der Hofkapelle lag bei etwa 33 Per-sonen, von denen zwölf im Frühjahr 1772 indie Karlsruher Hofmusik des Markgrafen KarlFriedrich übernommen wurden. Andere fan-den Anstellung an anderen Höfen. Ein ganzeReihe von Musikern verblieb jedoch in Rastatt,wo die älteren unter ihnen als Pensionäreunter teils prekären finanziellen Bedingungenlebten, die jüngeren teilweise an der RastatterKirchenmusik mitwirkten.6 Auch die anderenKünstler am Hofe wurden zwar offiziell über-nommen, doch gab es Unterschiede bei derfinanziellen Behandlung. Während der ausdem Elsaß stammende und seit 1768 in Rastattarbeitende Hofmaler Josef Wolfgang Hauwillerdurchaus in der Gunst des neuen Landesherrnstand, musste sich der Hofmaler Philipp JakobNikodemo mit einer Pension von jährlich 100Gulden zufrieden geben, dazu bisweilen Gna-dengeschenke oder einzelne Auftragsarbeiten.7

Die Hofbeamten wurden entweder inRastatt weiter beschäftigt oder nach Karlsruheübernommen. So wurde beispielsweise derletzte baden-badische Oberhofmarschall, FranzAnton Fidel von Schönau-Wehr, Obervogt vonRastatt und Kuppenheim.

Wesentlich umfangreicher war das einfacheHofpersonal, die Zofen und Lakaien, die Gärt-ner und Köche, die Trüffel- und Fasanenjäger,die Fuhr- und Reitknechte. Markgraf AugustGeorg hatte einen Marstall von 300 Pferdenunterhalten. Die Zahl seiner Pagen, Stall-meister und sonstigen Hofdiener überstieg 500Personen.8 Obwohl der Witwe von AugustGeorg, der Markgräfin Maria Viktoria, dasRastatter Schloss anfänglich neben Baden-Baden als Witwensitz diente, war nur noch einkleiner Teil des vormaligen Hofpersonals inihren Diensten. 1774 verlegte die frommeMarkgräfin nach Unstimmigkeiten mit dem

evangelischen Nachfolger ihres Mannes ihrenWohnsitz nach Ottersweier, das damals zu dervorderösterreichischen Landvogtei Ortenaugehörte. Sie starb 1793 in Straßburg. Im Jahr1798 waren unter den 181 Menschen inRastatt, die finanziell unterstützt werdenmussten, 28 Diener- und 54 Soldatenwitwenmit ihren Kindern.9 Dies macht deutlich, wiewenig das einfache Hofpersonal finanziellabgesichert war.

Am besten lässt sich anhand der Ein-wohnerzahlen von Rastatt die Bedeutung desHofes erkennen. Im Jahr 1701 waren 150Familien in Rastatt ansässig. Sprunghaft stiegdie Zahl der Einwohner. 1740 waren es angeb-lich über 5000 Menschen, die in Rastatt wohn-ten, darunter allein 81 Böhmen mit ihrenFamilien. Hinzu kamen Schwaben, Bayern,Pfälzer, Elsässer, Franzosen, Lothringer, Tiro-ler, Salzburger, Ober- und Niederösterreicher,Italiener und viele andere mehr.10 Spätestensnach 1771, vielleicht aber schon vorher, sankdie Einwohnerzahl herab. Anfang Januar 1782waren bei einer Aufnahme der Seelenzahl 3619Menschen in Rastatt wohnhaft, darunter 999Knechte und Mägde und 160 Evangelische.11

Ende Dezember 1797 lebten 3861 Einwohnerin der Stadt, die damaligen Kongressteil-

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Markgräfin Maria Viktoria geborene von Aremberg,Gemälde von J. W. Hauwiller Stadtmuseum Rastatt

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nehmer nicht mit eingerechnet.12 Zum Ver-gleich: Karlsruhe war 1775 von nur 3333 Men-schen bewohnt.13

Bis 1771 waren fast alle Einwohner Rastattskatholisch. Nach der Vereinigung der Mark-grafschaften waren einige evangelische Hof-beamte mit ihren Familien nach Rastattübergesiedelt. Zunächst fand alle 14 Tage einGottesdienst in einem Zimmer des Schlossesstatt. Der Karlsruher Hof- und StadtvikarJohann Friedrich Nüßlin reiste eigens für dieseGottesdienste aus Karlsruhe an. Durch Zuzugvon Arbeitern und Handwerkern wuchs diekleine evangelische Gemeinde rasch an. 1777verlegte man den Gottesdienst in den großenBibliothekssaal des Schlosses und richtete eineevangelische Knabenschule ein. Am 9. Novem-ber 1804 wurde schließlich eine eigene evan-gelische Pfarrei gegründet.14 Die evangelischeVolksschule fand im Jahr darauf Unterkunft imehemaligen Franziskanerkloster. Der ersteevangelische Gottesdienst in der früherenKlosterkirche fand erst am 4. Oktober 1807statt, da die Kirche zwischenzeitlich alsMagazin der napoleonischen Truppen mit Heuund Stroh angefüllt war. Bis 1822 war derAnteil der Evangelischen an der Gesamtbe-völkerung auf 5,7 Prozent angestiegen.15

Zahlenmäßig kaum ins Gewicht fiel diekleine jüdische Gemeinde. 1767 waren geradeeinmal vier Familien in Rastatt wohnhaftgewesen, was vor allem am streng katholischenmarkgräflichen Hof lag. 1797 waren hiersieben jüdische Ehepaare, eine Witwe, zweiledige Männer sowie 15 Kinder wohnhaft.Hinzu kamen noch ein männlicher und vierweibliche Dienstboten. Insgesamt zählte diejüdische Gemeinde 37 Personen.16

GARNISON

Rastatt war seit seiner Zeit als markgräf-liche Residenz auch Garnisonsstandort.17

Markgraf Karl Friedrich hatte von AugustGeorg nur eine kleine Truppe von etwa 300Soldaten übernommen, die zum größten Teilin Rastatt stationiert war. Zusammen mit denKreistruppen stellte die vereinigte Markgraf-schaft zu Beginn der 1770er Jahre gerade ein-mal 740 Soldaten. 1780 erreichte das badischeMilitär erstmals Formationsstrukturen, die die

Bezeichnung „stehendes Heer“ verdienten. Eswurde ein Leibinfanterieregiment gebildet, dasaus zwei Bataillonen zu je vier Kompanienbestand. Die ehemaligen Baden-Badener Gre-nadiere bildeten das II. Bataillon mit Garnisonin Rastatt, während das I. Bataillon in Durlachstationiert war. Jede Kompanie bestand ausdrei Offizieren, sechs Unteroffizieren und 70einfachen Soldaten. Aus vorwiegend konfessio-nellen Rücksichten waren die Rekrutierungs-gebiete der beiden Bataillone streng von-einander getrennt. Das Rastatter Bataillondurfte nur aus den Ämtern der ehemaligenMarkgrafschaft Baden-Baden Truppen an-werben.18

Vom Ausbruch des Ersten Koalitions-krieges bis 1814 hatte Baden fast ununter-brochen Truppen stellen müssen, zuerst fürdas Heer des Schwäbischen Kreises, später (ab1796) für Napoleon als Mitglied des Rhein-bundes (ab 1806), dann, ab November 1813,wieder für das Lager der gegen Napoleon ver-bündeten Mächte. Anfang 1803 zählte das inRastatt stationierte Füsilierbataillon 13 Offi-ziere, 35 Unteroffiziere, 320 Füsiliere undzwölf Spielleute.19 Die Organisation desbadischen Heeres änderte sich in diesen Jahr-zehnten mehrmals, ohne dass darauf an dieserStelle näher eingegangen werden kann.

Bei der geringen Zahl der badischenTruppen waren Kasernen, zumindest für dieInfanterie, die zum Teil als Kontingentstruppefür nur kurze Zeit einberufen war, lange Zeitnicht von dringender Notwendigkeit. Die Sol-daten waren zum größten Teil verheiratet undbei Bürgern untergebracht, die dafür pro ein-quartiertem Mann einen Schlafkreuzer beka-men. Die Bürger in Garnisonsstädten, diekeine Soldaten aufnahmen, hatten eine Aus-gleichszahlung zu leisten.20

Bis 1803 war eine Hinterbliebenen- undInvalidenversorgung in Baden aufgrund dergeringen Truppenstärke nicht geregelt. Mit derVergrößerung der Armee musste hierfür Sorgegetroffen werden. 1804 wurde deshalb eineMilitärwitwenkasse gegründet. Gespeist wurdeder Fonds durch unterschiedliche kleinereAbgaben, Stiftungen und durch staatlicheZuschüsse. Eine zweite Versorgungsanstaltbestand für die Invaliden und ausgemustertenSoldaten in der Einrichtung einer Garnisons-

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kompanie und in dem 1805 geschaffenen„Real-Invaliden-Korps“, dessen Stab in Rastattstationiert war, während die Mannschaften nurin Listen geführt wurden und zerstreut in ganzBaden lebten. Zu diesem Korps gehörten beiseiner Gründung sieben Offiziere und 276Unteroffiziere und Soldaten.21

WIRTSCHAFTLICHEFÖRDERMASSNAHMEN

Stagnation auf fast allen Bereichen desErwerbslebens war mit dem Verlust derResidenz verbunden. So bat beispielsweise derPächter der städtischen Ziegelhütte, HansGeorg Ibach, der die Hütte am 2. 10. 1771 nurwenige Wochen vor dem Tod von August Georgfür sechs Jahre für eine jährliche Pacht von255 Gulden ersteigert hatte, am 6. Januar 1773um eine Reduzierung der Pacht auf jährlich150 Gulden. Als Begründung führte er an:„Gleich wir aber unter dießem ersten Jahr indahiesiger Residentz-Stadt sich Eine solchehöchst Betrübte Veränderung geyseret[geäußert, M.M.], welche nicht nur alleinmir[,] sondern samentlicher BuergerschaftBekannt, und zum größten Nachtheillgereichet (…).“22

Erwähnenswert ist die von Markgraf KarlFriedrich geförderte Ansiedlung einer „eng-lischen“ Stahlfabrik, die die erste Fabrik-ansiedlung im ehemals baden-badischen Lan-desteil war. Hinzu kamen Privilegien zu wei-teren Manufakturen in Rastatt, beispielsweisezu einer Puder- und Stärkefabrik, einer Por-zellan-, einer Billard- und einer Tabakfabrik,deren Gründung aber wohl nicht durch diemarkgräfliche Regierung angeregt worden war,sondern Initiativen einzelner Bürger waren.Mit Ausnahme der Stahlfabrik blieb die Zahlder Beschäftigten allerdings gering. Die Stahl-fabrik wurde 1774 unter dem Namen „Claisund Companie“ gegründet, doch erst mit derÜbernahme der Firma durch die aus Sachsenstammenden Gebrüder Schlaff 1777 begannsich der Betrieb allmählich auszudehnen.Gleichwohl hatte der Betrieb mit wirt-schaftlichen Problemen zu kämpfen, da diefinanzielle Ausstattung des Unternehmensrecht bescheiden war. Schon bald verlegte manden Produktionsschwerpunkt von der Stahl-

fabrikation auf die Herstellung von Kutschen,später war die Produktion von Schuhen, Stie-feln, Strümpfen, Hüten, Sätteln, Geschirr etc.hinzugekommen. Zeitweise hatte der Betriebbis zu 80 Arbeiter beschäftigt.23 Doch auch dieStahlfabrik konnte den Niedergang in Rastattzunächst nicht aufhalten. Joachim HeinrichCampe, ein Schulmann aus Braunschweig,berichtete 1786: „Rastatt ist nunmehr auch indem Falle, worin Durlach und andere ehe-malige Residenzstädte sich befinden, es leidetMangel an Nahrung. Zwar hat man eine Stahl-fabrik angelegt, aber diese kann ebenso wenigwie die Fayencefabrik zu Durlach die ehe-malige Anwesenheit des Hofes und derCollegien ersetzen. Der Ort verarmt und wirdimmer mehr entvölkert. Hausmiete undLebensmittel sind daher unglaublich wohlfeil,und eine Familie, welche 500 Gulden zu ver-zehren hat, wird hier für wohlhabendgehalten.“24

FRANZÖSISCHE EMIGRANTEN UNDRASTATTER KONGRESS

In den Jahren nach dem Ausbruch derFranzösischen Revolution 1789 wurde dieMarkgrafschaft Baden Sammlungsort französi-scher Exilanten. Waren die Emigrantenzunächst zahlenmäßig noch überschaubar undhauptsächlich Angehörige des Adels und deskatholischen Klerus, so kam es ab Ende 1793im Gefolge des sich aus dem Elsaß zurück-ziehenden österreichisch-preußischen Koaliti-onsheeres zu einer Massenflucht, währendderer sich in nur wenigen Tagen Zehntausendeüber den Rhein nach Baden flüchteten. Nunwaren es vor allem Bauern und Handwerker,

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Stahlfabrik der Gebrüder Schlaff zu Beginn des 19. Jahr-hunderts Stadtarchiv Rastatt

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die sich aus Angst vor den Republikanern aufdas rechte Rheinufer in Sicherheit zu bringensuchten, aber auch die Emigrantenarmee desFürsten Condé ließ sich am 23. und 24. Mai1794 im Oberamt Rastatt nieder. In Rastatt, woCondé einen Flügel des Schlosses bewohnte,war die Situation besonders prekär. Noch bevorTeile des Corps de Condé in Rastatt eintrafen,waren bereits etwa 600 französische Flücht-linge in der Stadt, nun sollten noch 300Männer aufgenommen werden. Doch inner-halb von zwei Tagen war deren Zahl schon aufetwa 800 angestiegen. Die Folgen waren Nah-rungsmittelknappheit, Preisanstieg und Woh-nungsnot. Eine entsprechende Verordnunggestattete deshalb neu ankommenden Frem-den von wenigen Ausnahmen abgesehen kei-

nen Aufenthalt mehr in der Stadt. Zahlreichevon der Ausweisung bedrohte Emigrantensuchten daher den Schutz des Fürsten deCondé. Dieser wandte sich in einem Brief anMarkgraf Karl Friedrich, in dem er schrieb,dass es ihm unbegreiflich wäre, warum diefranzösischen Emigranten Rastatt verlassenmüssten, obwohl sie keine Belastung dar-stellten, sondern durch ihre Geldausgaben denProfit der Einwohner erhöhten. Der Markgrafgab in einem Antwortschreiben zu, dass für dieQuartiergeber, einige Handwerker und Händ-ler die französischen Emigranten eine will-kommene Einnahmequelle bildeten, doch be-sonders der wirtschaftlich schlechter gestellteTeil seiner Untertanen unter den Begleit-erscheinungen der Einwanderung leiden

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Stadtplan, um 1800 Stadtarchiv Rastatt

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würde.25 Verschwiegen hatte der Markgraf diePlünderungen und Gewalttätigkeiten desCorps gegen die Landbevölkerung. Ende 1794verließ Condé Rastatt in Richtung Ettlingen.Sein Emigrantencorps wurde Anfang 1795 indie Gegend um Müllheim verlegt. Rastatt undseine Umgebung atmeten auf, doch schonEnde 1795 kam das Corps de Condé wieder indie mittelbadische Region, wo der größte Teilim Oberamt Yberg sein Winterquartier bezog.

Schon Ende Juli 1794 hatte die Schre-ckensherrschaft Robespierres ihr Ende gefun-den. Dies löste in Frankreich ein Gefühl derErleichterung aus und brachte auch in dieFlüchtlingsfrage Bewegung. Der Nationalkon-vent befasste sich mit dem Flüchtlingsproblemam Oberrhein und beschloss am 13. Januar1795, dass alle Elsässer, die sich seit dem 1. Mai1793 aus Frankreich entfernt hatten, nicht alsEmigranten behandelt werden sollten, wennsie vor dem 21. März 1795 in ihre Heimatortezurückkehrten. Allein im Oberamt Rastattmeldeten sich laut Amtmann Ruschmann biszum 5. Juli 1795 1582 Rückkehrwillige.26

Als am 24. Juni 1796 die französischeRevolutionsarmee bei Kehl den Rhein über-schritt, wurde das Corps de Condé endgültigaus der Markgrafschaft vertrieben. Rastattselbst wurde am 5. Juli jedoch Schauplatzeines blutigen Gefechts zwischen den Fran-zosen unter General Moreau und einemösterreichischen Heer unter Erzherzog Karl.Erzherzog Karl konnte sich mit seinenTruppen gegen die französische Übermacht –angeblich sollen es 60 000 Soldaten gewesensein – nicht halten. Rastatt wurde aufgegeben,zuvor jedoch die Brücken über die Murg inBrand gesteckt. Die unbefestigte Stadt und dasSchloss wurden von den Franzosengeplündert, die eine Woche lang vor der Stadtihr Lager aufschlugen. Markgraf Karl Friedrichfloh am 6. Juli aus Karlsruhe, das am 11. Julibesetzt wurde. Am 25. Juli kam zwischenBaden und Frankreich ein Waffenstillstandzustande. Ratifiziert wurde der Separatfriedenallerdings erst im November 1797, nach demFriedensschluss von Campo Formio am17. Oktober zwischen Frankreich und KaiserFranz II. Die Bedingungen für einen Gesamt-frieden zwischen den deutschen Staaten undFrankreich sollten auf einem Kongress aus-

gehandelt werden. Bereits am 6. Oktober 1797notierte der Geheime Rat Meier in sein Tage-buch, dass „Frankreich die Stadt Rastatt zumFriedensort vorgeschlagen, der Kaiser solchenacceptiert […] habe“.27

Somit rückte Rastatt nach 1714, als durchden Rastatter Frieden der Spanische Erb-folgekrieg zwischen Frankreich und KaiserKarl VI. beendet worden war, 1797 erneut indas Blickfeld der europäischen Öffentlichkeit.Ab dem 9. Dezember 1797 tagte in Rastatt einFriedenskongress, auf dem Gesandte aus ganzEuropa die Beilegung der Konflikte zwischendem revolutionären Frankreich und dem Reichzu erreichen suchten. Während der Kongressjedoch am 23. April 1799 mit der Ermordungder französischen Gesandten sein Ende fand,bedeutete er für die Rastatter Bevölkerung ver-mehrten Wohlstand, denn die zahlreichenGesandten mit ihrem Gefolge logierten größ-tenteils in Privathäusern. Ende Dezemberbefanden sich durch den Kongress 807 Fremdein Rastatt, darunter das eigentliche gesandt-schaftliche Personal mit 519 Personen. BisMitte 1798 stieg das Gesandtschaftpersonal auf640 Personen und weitere 300 Fremde. ImSeptember 1798 mussten 120 Kutschen- und492 Reitpferde in den Ställen der Stadt ver-sorgt werden.28 Die Stahl- und KutschenfabrikSchlaff durfte sich über eine steigende Nach-frage nach ihren Produkten freuen. Die Preiseallerdings waren in der Kongresstadt ziemlichhoch. „Alles ist hier sehr theuer, besondersaber das Geflügel, 2 Capaunen kosten 7Gulden[,] ist das nicht erschrecklich? Vondiesem kannst du auf das übrige schließen(…)“29, schrieb Ende März 1798 der jungeLeutnant Graf Ferdinand August von Loeben,der seinen Vater, den kursächsischen Ge-sandten Graf Otto Ferdinand von Loeben,begleiten durfte, in einem Brief an seinendaheim gebliebenen Bruder.

BEHÖRDEN UND ÖFFENTLICHEEINRICHTUNGEN

Um den Bedeutungsverlust der ehemaligenResidenzstadt abzumildern, bemühte sich dieKarlsruher Regierung immer wieder, mitAnsiedlungen von verschiedenen Behörden undEinrichtungen diesen Verlust für die Rastatter

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erträglicher zu machen. Die bereits erwähntenPläne zur Errichtung einer Universität, auchwenn sie letztlich nicht verwirklicht wurden,waren ein frühes Beispiel hierfür. Bedeutend fürdie Stadt war jedoch das Jahr 1803, als Rastattneben Freiburg, Mannheim und Meersburg Sitzeines der vier badischen Hofgerichte wurde. DieAnsiedlung bereicherte nicht nur die Hono-ratiorenschicht der Stadt, zogen doch nebenden Hofgerichtsadvokaten zahlreiche Schreiberund andere Angestellte mit ihren Familien nachRastatt. Wohnung fanden sie dabei größtenteilsim Schloss. Erster Präsident des Rastatter Hof-gerichts war der Geheime Rat Carl WilhelmLudwig Freiherr Drais von Sauerbrunn, derbereits 1797 bis 1799 als Direktor der eigens fürden Friedenskongress eingesetzten Polizei-kommission in Rastatt tätig war.30

Neben dem Hofgericht besaß Rastatt seit1808 eine weitere Einrichtung von überregio-naler Bedeutung. Die Rede ist vom Lyzeum,das von Baden-Baden nach Rastatt verlegt undhier mit der ehemaligen Piaristenschule ver-einigt worden war.31 Rastatt war damit nebenKarlsruhe, Mannheim und Konstanz Sitz einesder vier badischen Lyzeen. Während das Karls-ruher Lyzeum ein evangelisches und dasMannheimer ein gemischt konfessionelles

Lyzeum war, waren die beiden Lyzeen inRastatt und Konstanz rein katholische. Erst inspäteren Jahren wurden evangelische undjüdische Schüler zugelassen.

Ende des Jahres 1809 gab der neuebadische Minister Sigismund von Reitzen-stein dem Großherzogtum, das durchfinanzielle Nöte und Schwerfälligkeit derkollegial organisierten Provinzialregierungenin Schwierigkeiten geraten war, einengänzlich neuen Verwaltungsaufbau. An dieStelle des Provinzialsystems traten nach demVorbild der französischen Präfekturen alsMittelinstanz zehn Kreise. Rastatt wurdedabei Sitz des Murgkreises und blieb dies bis1819.32 Der Murgkreis bestand aus denÄmtern Rheinbischofsheim, Oberkirch, Ren-chen, Achern, Bühl, Baden, Gernsbach, Ett-lingen sowie dem Stadt- und Ersten LandamtRastatt, dem vormaligen Oberamt Rastatt undKuppenheim. Am 10. Februar 1819 wurde dasStadt- mit dem Landamt Rastatt vereinigt undführte ab diesem Zeitpunkt wieder denNamen „Oberamt“. Untergebracht war diesesAmt im früheren Franziskanerkloster in derHerrenstraße. Gleichzeitig wurde der Murg-kreis aufgehoben und mit Ausnahme derbeiden Ämter Achern und Bühl mit dem

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Stadtansicht von Rastatt, 1. Drittel 19. Jahrhundert Stadtarchiv Rastatt

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Pfinz- und Enzkreis vereinigt. Der neue Kreismit Sitz in Durlach führte nun den Namen„Murg- und Pfinzkreis“. Durch die Vermin-derung der Zahl der Kreise wurde ein Teil derAufgabengebiete auf die untere staatlicheInstanz, die Ober- bzw. Bezirksämter, ver-lagert. Erst 13 Jahre später wurde Rastattnach einer Neuorganisation wieder Sitz einerMittelinstanz, der Regierung des Mittelrhein-kreises, einem von vier badischen Kreisen.Sowohl das Hofgericht als auch die Mittel-rheinkreisregierung wurden 1847 im Zugedes Ausbaus der Bundesfestung aus Rastattwegverlegt, das Hofgericht nach Bruchsal, dieKreisregierung nach Karlsruhe.

Neben der staatlichen Neuorganisation desdurch Napoleons Gnaden entstandenen Groß-herzogtums (seit 1806) zeigte die badischeRegierung reges Interesse an der Anpassungkirchlicher Strukturen an die staatlichen.Dabei sollte die Kirche die Rolle als system-stabilisierender Faktor einnehmen und diekirchlichen Verwaltungsorgane die Verein-heitlichung des heterogenen badischen Staats-gebildes unterstützen. Zusammen mit anderenRegierungen suchte die badische Regierungnach gemeinsamen Grundsätzen bezüglich derErrichtung neuer katholischer Landesbis-tümer. In den so genannten Frankfurter Ver-handlungen ab 1818 sollte gegenüber demPapst in Rom die staatliche Souveränitätjuristisch fixiert werden.33 In diesem Zu-sammenhang wurden 1818 kurzzeitig Über-legungen angestellt, Rastatt zum Sitz einesneuen Landesbistums zu bestimmen. Dabeisollte das Forstnersche Palais, das damals Sitzdes Murgkreisdirektoriums war, als Wohnungund Kanzlei des Bischofs und die Amtskellereials Wohnung für den Domdekan dienen. Dasbischöfliche Seminar sollte im ehemaligenFranziskanerkloster eingerichtet werden. Dieevangelische Gemeinde, die die Klosterkirchenutzte, sollte im Gegenzug die Bernhardus-kirche für ihre Gottesdienste erhalten.34 Alldies wurde nicht verwirklicht und Freiburg1827 endgültig Bischofssitz.––––––

Mit dem wirtschaftliche Aufschwung durchden Friedenskongress im Rücken ging Rastattdem 19. Jahrhundert entgegen. Mit den An-siedlungen des Hofgerichts 1803 und des

Lyzeums 1808 erweiterte sich die Hono-ratiorenschicht der Stadt beträchtlich. Im Jahr1813 hatte Rastatt bereits 4200 Einwohner und1823 wurde die Zahl von 5000 überschritten.Die Bürger Rastatts hatten sich – um mit demeingangs zitierten Philipp Wilhelm Gercken zusprechen – in die Metamorphose gefunden.

Anmerkungen

1 So schilderte der aus Salzwedel kommende His-toriker Philipp Wilhelm Gercken seinen Eindruckvon Rastatt bei einem Besuch im Jahr 1779. Zit. n.:Bischof, Heinz: Barock in Rastatt und was von ihmin Rastatt noch zu finden ist. Hrsg. v. d. Stadtver-waltung Rastatt. Rastatt 1982, S. 13 f.

2 Siehe hierzu und im Folgenden: Seyb, Adolf: EinPlan zur Errichtung einer Universität in Rastatt.In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins74, N.F. 35 (1920), S. 205–217.

3 Weber, Max: Das Rastatt der Barockzeit. In: UmRhein und Murg. Heimatbuch des LandkreisesRastatt 10 (1970), S. 89–146, hier S. 105 f.

4 Belzer von Albertis, Kurt: Die Geggenau. In: UmRhein und Murg. Heimatbuch des LandkreisesRastatt 3 (1963), S. 23–35, hier S. 27 f.

5 Rödel, Walter G.: Im Schatten des Hofes – dieBevölkerung der frühneuzeitlichen Residenzstadt.In: Andermann, Kurt (Hrsg.): Residenzen. Aspektehauptstädtischer Zentralität von der frühen Neu-zeit bis zum Ende der Monarchie (= Oberrheini-sche Studien. Bd. 10). Sigmaringen 1992, S.83–111, hier S. 94.

6 Thomsen-Fürst, Rüdiger: Studien zur Musik-geschichte Rastatts im 18. Jahrhundert (= StadtRastatt. Stadtgeschichtliche Reihe. Bd. 2). Frank-furt a. M./Berlin/Bern 1996, bes. S. 61–65.

7 Vgl. Weber, Max: Neuentdeckte Gemälde desRastatter Hofmalers Nikodemo. In: Um Rhein undMurg. Heimatbuch des Landkreises Rastatt 3(1963), S. 65–69, hier S. 65 f.

8 Neininger, Albert: Rastatt als Residenz, Garnisonund Festung. Rastatt 1961, S. 65.

9 Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) 220/19, fol.1–7.

10 Zahlen nach: Weber, Das Rastatt der Barockzeit,S. 97 f.

11 Stadtarchiv Rastatt (StRa) B 9, Bevölkerungslistevom 6. Januar 1782. Mit freundlichem Hinweisvon Herrn Stadtarchivar Wolfgang Reiß.

12 Holeczek, Heinz: Rastatter Kongress und Mu-seumsgesellschaft. In: Hank, Peter/Holeczek,Heinz/Schilling, Martina: Rastatt und dieRevolution von 1848/49. Vom Rastatter Kongresszur Freiheitsfestung (= Stadt Rastatt. Stadt-geschichtliche Reihe. Bd. 6). Rastatt 1999,S. 17–66, hier S. 23.

13 Rödel, Im Schatten des Hofes, S. 103.14 Zepf, Markus: 275 Jahre Evangelische Stadtkirche

Rastatt – ehemalige Franziskanerkirche 1717 bis1992. Hrsg. v. Ältestenkreis der ev. Michaelsge-meinde. Rastatt 1992, S. 6 f.

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15 StRa A 4495, Aufnahme der Seelenzahl 1822.16 GLA 74/3691 u. 74/3704.17 Vgl. Rehm, Christoph (Bearb.): Militärstadt Rastatt

– Geschichte einer Garnison. Katalog zur Sonder-ausstellung und zum Vertiefungsraum „Garnisons-geschichte“. Hrsg. v. d. Vereinigung der Freundedes Wehrgeschichtlichen Museums Schloss Rastatte. V. Karlsruhe o. J. [2003].

18 Unter dem Greifen. Altbadisches Militär von derVereinigung der Markgrafschaften bis zur Reichs-gründung 1771–1871. Hrsg. v. d. Vereinigung derFreunde des Wehrgeschichtlichen MuseumsSchloss Rastatt e. V. Bearb. v. Sabine Hermes undJoachim Niemeyer. Karlsruhe 1984, S. 11.

19 Unter dem Greifen, S. 13.20 Unter dem Greifen, S. 14.21 Unter dem Greifen, S. 35.22 GLA 220/370, o. P.23 Vgl. Hoof, Horst: Wagenbau um 1800 – Dargestellt

am Beispiel einer badischen Kutschenfabrik. In:Achse, Rad und Wagen. Beiträge zur Geschichteder Landfahrzeuge 1 (1991), S. 41–51.

24 Bischof, Barock in Rastatt, S. 14 f.25 Diezinger, Sabine: Französische Emigranten und

Flüchtlinge in der Markgrafschaft Baden (1789 bis1800) (= Europäische Hochschulschriften. ReiheIII, Bd. 500). Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris1991, S. 138 ff.

26 Diezinger, Französische Emigranten, S. 118.27 Diezinger, Französische Emigranten, S. 174.28 Holeczek, Rastatter Kongress und Museumsgesell-

schaft, S. 23 f. u. S. 36.29 Zit. n.: Rastatt und der Friedenskongress von

1797/1799 aus der Sicht eines 18jährigen Leut-nants in Briefen an seinen 11jährigen Bruder inDresden. Wolf-Christian von Loeben. Mit Ergän-zungen von Stadtarchivar Wolfgang Reiß. In: Hei-matbuch Landkreis Rastatt 29 (1990), S. 135–142,hier S. 139.

30 Doelfs, Walter: Die Strafjustiz des badischen Hof-gerichts zu Rastatt. In: Um Rhein und Murg. Hei-matbuch des Landkreises Rastatt 7 (1967),S. 116–127, hier S. 116 u. S. 126 f.

31 Vgl. Großkinsky, August: Das Ludwig-Wilhelm-Gymnasium einst und jetzt. In: Um Rhein undMurg. Heimatbuch des Landkreises Rastatt 8(1968), S. 55–75; Lederle, C. F./Neff, Joseph:Grossh. Gymnasium Rastatt. Fest-Schrift zur Jahr-hundert-Feier 1808–1908. Rastatt 1908; Humani-tas. 150 Jahre Ludwig-Wilhelm-Gymnasium Ras-tatt 1808–1958. Rastatt 1958.

32 Vogteien, Ämter, Landkreise in Baden-Württem-berg. Hrsg. v. Landkreistag Baden-Württemberg.2 Bde. Stuttgart 1975, Bd. 1, S. 104; vgl. Strobel,Engelbert: Aus der Geschichte des Murgkreisesund der Mittelrheinkreisregierung in Rastatt1809–1847. In: Heimatbuch Landkreis Rastatt 6(1979), S. 193–198.

33 Braun, Karl-Heinz: Die Erzdiözese Freiburg – Vonder Gründung bis zur Gegenwart (= Das Erzbis-tum Freiburg in seiner Geschichte. Heft 5).Strasbourg 1995, S. 4 f.

34 Vgl. GLA 56/3816.

Anschrift des Autors:Dr. Marco MüllerZeller Straße 16

77833 Ottersweier

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Wer in die Historie des Landkreises Rastatteintauchen will, muß auf der Zeitskala weit,weit zurückgehen. Bereits in der ausgehendenAltsteinzeit (bis etwa 8000 v. C.) wurden in derVorbergzone Zeugnisse menschlicher Präsenzgefunden. In der sogenannten jüngeren Stein-zeit (etwa 8000 bis 5500 v. Chr.) nimmt dieBesiedelung vor allem in der fisch- undwildreichen Kinzig-Murgrinne zu. Erst im frü-hen Mittelalter wird das im Grunde siedlungs-feindliche Rheinauengebiet und im hohenMittelalter werden die Schwarzwaldtälerbesiedelt. Natürlich finden sich auch römischeReste. Rund 80 Münzen aus römischer Zeitwurden gefunden, aber auch römische Kunst-werke, Reliefs, Stauen und Statuetten habensich erhalten.

DIE RÖMER VERLASSEN DENOBERRHEIN

Nachdem die Römer abgezogen waren,schien die Region zunächst einmal verödet zusein. Erst mit Spuren aus der Merowingerzeit(etwa 450 bis 750 n. Chr.) kommt wieder„Leben“ in das Gebiet des Landkreises Rastatt.So fanden sich Gräber in Sinzheim, Bietig-heim, Hügelsheim oder in Rastatt-Plitters-dorf. Ab etwa dem Jahr 1100 bilden sich lokaleHerrschaften heraus. Im nördlichen Kreis-gebiet und vor allem im Murgtal entsteht dieGrafschaft Eberstein, deren Territoriumallerdings schon im 13. Jahrhundert an diemehr und mehr dominierenden Markgrafenvon Baden abgegeben wird. Die Stadt Gerns-bach im Murgtal machten die Ebersteiner zuihrem Hauptort und fassten so den Rahmenfür eine Urbanisierung des Ortes. Nach demAussterben des Geschlechtes im 17. Jahr-hundert erinnern heute nur noch übriggebliebenen Ortsnamen wie Haueneberstein

oder Ebersteinburg an die lange Jahrewährende Präsenz der Grafen.

DIE STAUFISCHE HERRSCHAFTBRICHT ZUSAMMEN

Nach dem Zusammenbruch der staufi-schen Herrschaft im 13. Jahrhundert nimmtdie Geschichte der Badischen Markgrafenihren Anfang. Zunächst entstand ein kleinesTerritorium um Baden-Baden und Pforzheim.Der ursprüngliche Besitz im Neckarraumging zwar nach und nach verloren, abergerade am Oberrhein konnten die badischenMarkgrafen ihre Herrschaft festigen. DieÜbernahme von Teilen der Herrschaft Eber-stein (1283, 1387), von Stollhofen (1309) undder Erhalt der Vogtei über die Klöster Frauen-alb (1387) und Schwarzach (1422) sindMeilensteine des Aufstiegs der Markgrafen inunserer Region. 1503 wurde unter MarkgrafChristoph I. die untere Markgrafschaft(Baden-Baden, Pforzheim) mit der oberenMarkgrafschaft (Sausenberg, Rötteln, Baden-weiler) vereinigt.

RASTATT WIRD RESIDENZ UNDMITTELPUNKT DER REGION

Diese Erfolgsstory währt nicht lange, dennbereits wenige Jahrzehnte kommt es wieder-um zur Teilung in eine evangelische Linie inDurlach und eine katholische in Baden-Baden/Rastatt. 1700 wird Rastatt durch Mark-graf Ludwig Wilhelm zur Residenzstadt undSitz eines nach Versailler Vorbild erbautenResidenzschlosses. Architekt ist der FaneserDomenico Egidio Rossi, dem auch die neueStadtplanung Rastatts zu verdanken ist. Nachdem Aussterben der baden-badische Dynastiewerden beide Landesteile 1773 vereinigt. Die

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Zur Geschichte des Landkreises Rastatt

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Landesverwaltung wird nach Karlsruhe ver-lagert.

INDUSTRIALISIERUNG UNDURBANISIERUNG

Das 19. Jahrhundert wird durch den wach-senden Verkehr, durch die beginnende Indu-strialisierung geprägt. Städte wie Bühl (Stadt-erhebung 1835) und Gaggenau (Stadterhe-bung 1922) gewinnen an Bedeutung. Vor allemdurch das unerschöpfliche Vorkommen desRohstoffes Holz und durch die zur Verfügungstehende Wasserkraft siedelt sich die papierver-arbeitende Industrie im Murgtal an. Danebenentstehen zukunftsweisende Unternehmen wieBergmann oder die Gaggenauer Eisenwerke, indessen Fußstapfen später Mercedes-Benz, bzw.DaimlerChrysler treten wird.

Mit automobilen Produktionsstandorten inRastatt und Gaggenau, mit weltbekanntenZulieferern der Industrie in Bühl und Büh-lertal und mit bedeutenden High-Tech-Unternehmen darf der Landkreis Rastatt heutefür sich in Anspruch nehmen, eine Region mithoher wirtschaftlicher Schlagkraft zu sein, dieaber auch auf eine weit in die Vergangenheitreichende Tradition zurückblicken kann.

Anschrift des Autors:Martin Walter

Landratsamt Rastatt, KreisarchivFortunatstraße 2

76437 Rastatt

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Außenansicht des landkreiseigenen Rossi-Hauses. In ihm fanden vor der Kreisreform die Kreistagssitzungen statt. Heute beherbergt es Einrichtungen des Landkreises, u. a. auch das Kreisarchiv Rastatt. Kreisarchiv Rastatt

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Das Gebiet des heutigen Landkreises istzum überwiegenden Teil aus dem Territoriumder alten Markgrafschaft Baden-Baden und ausder ehemaligen Grafschaft Eberstein ent-standen. Als Baden im Jahr 1803 von derMarkgrafschaft zum Kurfürstentum und 1806zum Großherzogtum aufstieg, erforderte derdamit verbundene, erhebliche Gebietszuwachsorganisatorische Maßnahmen. Die vorherr-schende Verwaltungseinheit in den altba-dischen Landen am Ende des Alten Reicheswar das verhältnismäßig große Oberamt. DieÜbertragung dieses Systems der altbadischenVerwaltung auf die neu erworbenen Gebietewurde 1803 die Aufgabe des Geheimen RatesBrauer. Der Kurstaat Baden gliederte sich nunin drei Provinzen: im Norden die „BadischePfalzgrafschaft“, in der Mitte die „BadischeMarkgrafschaft“ und im Süden das „ObereFürstentum am Bodensee“. Der weitereimmense Länderzuwachs nach dem Preß-burger Frieden 1805 und der Rheinbundakte1806 machte jedoch bald eine grundlegendereReorganisation erforderlich. Bereits 1809übertrug man diese Aufgabe dem MinisterBaron von Reizenstein. Anders als sein Vor-gänger Brauer, der Rücksicht auf lokale Be-sonderheiten nahm, löste er, nach dem Bei-spiel des französischen Verwaltungszentralis-mus, das Provinzialsystem durch die Kreis-einteilung ab. Das Gebiet des ehemaligenOberamtes Rastatt gehörte nun zum Murg-kreis, der seinen Sitz in Rastatt nahm. Mit derAuflösung des Murgkreises am 3. März 1819und der Entstehung des Murg-Pfinzkreisesentfiel die kurzfristige Aufteilung des Ober-amtes Rastatt in das erste Landamt, dassogenannte Stadtamt, und das zweite Land-amt. Im Jahr 1832 kam es erneut zu einer Ver-minderung der Anzahl der Kreise. Das

Bezirksamt Rastatt wurde nun dem Mittel-rheinkreis unterstellt. Durch das Gesetz überdie Organisation der inneren Verwaltung vom3. Oktober 1863 wurden die vier Kreis-regierungen von 1832 erneut aufgehoben unddie Bezirksämter der direkten Kontrolle desInnenministeriums unterstellt. Daneben ent-standen elf neue Kreise mit Selbstver-waltungsaufgaben. Zum Kreis gehörten nundie Amtsbezirke Achern, Baden, Bühl, Gerns-bach und Rastatt. Bereits in den letzen Jahrender Weimarer Republik erwog eine Spar-kommission der Karlsruher Regierung erneuteine grundsätzliche Umgestaltung der Be-

! Martin Walter !

Zur Verwaltungsgeschichte desLandkreises Rastatt

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Große Kreisstädte: Rastatt, Gaggenau, Bühl

Herausgeber: Landkreis RastattKartographie: Ing.-Büro für Kartographie Michael Weiler

76275 Ettlingen, Kronenstraße 2Druck: Greiserdruck GmbH & Co. KG, 76437 RastattNachdruck oder Verfielfältigung nur mit Genehmigung desHerausgebers© Landkreis Rastatt, 2005

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zirksverfassung. 1935 wurde die Kreisver-sammlung aufgehoben und ihre Zuständigkeitauf den Kreisrat übertragen, der als Beschluß-organ 1936 außer Tätigkeit gesetzt wurde. DieLandkreisordnung vom 24. Juni 1939 machtedie vergrößerten staatlichen Verwaltungs-bezirke nun auch zu Selbstverwaltungskör-perschaften. Aus dem Großkreis Baden gingendie Landkreise Bühl und Rastatt hervor.Zusätzlich entstand der Stadtkreis Baden-Baden. Der deutsche Südwesten erhielt mitder Landkreisordnung vom 10. Oktober 1955zum ersten Mal in seiner Geschichte eine ein-heitliche Kreisverfassung. Im Jahr 1969 legtedie baden-württembergische Landesregierungerneut ein Denkmodell zur Kreisreform vor,um die Zahl der Landkreise zu verringern.Alternativmodelle und -vorschläge führten imJuni 1971 zur Entscheidung über eine Ver-waltungsreform, in deren Verlauf aus den 63

bisherigen 35 neue Landkreise gebildetwurden. Der neue Landkreis entstand aus demalten Landkreis Rastatt (ohne die GemeindenWaldprechtsweier, Ebersteinburg, Haueneber-stein sowie Sandweier), den Gemeinden desaufgelösten Landkreises Bühl (mit Ausnahmevon Neuweier, Steinbach und Varnhalt), derStadt Lichtenau mit den Ortsteilen Grauels-baum, Muckenschopf und Scherzheim ausdem ehemaligen Landkreis Kehl und schließ-lich aus der vormals württembergischenGemeinde Loffenau.

Anschrift des Autors:Martin Walter

Landratsamt Rastatt, KreisarchivFortunatstraße 2

76437 Rastatt

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Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein war die alte Amtsstadt Kuppenheim Sitz der Kreisverwaltung. Luftaufnahme um 1915.Kreisarchiv Rastatt

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Zu Beginn der 1840er Jahre gab es mitMainz, Luxemburg und Landau drei Festungendes Deutschen Bundes. Die Bundesfestungenwaren die einzigen militärischen Einrichtun-gen, die direkt der Militärhoheit des DeutschenBundes unterstanden. Durch die Rheinkrisevon 1840 veranlasst, beschloss der DeutscheBund die Schaffung zweier zusätzlicher Bun-desfestungen in Rastatt und Ulm.1 Germers-heim war als weitere Bundesfestung vorge-sehen, wurde aber unter bayerischer Ober-hoheit gebaut, wenngleich mit Bundeshilfe.

Die Entscheidung, Rastatt zur Bundesfestungauszubauen, war in der Sitzung der Bundes-versammlung in Frankfurt am 26. März 1841gefallen.2 Dabei waren Frankreich bereits aufdem Wiener Kongress Kontributionen auf-erlegt worden, die für den Bau von Festungenin Germersheim, Ulm und Rastatt verwendetwerden sollten. Eine Festungsbaukommissionaus badischen, bayerischen, württembergi-schen und österreichischen Ingenieuroffi-zieren nahm 1819 für fünf Jahre ihre Arbeit inRastatt auf und fertigte zahlreiche Pläne der

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! Marco Müller !

Die Bundesfestung Rastatt

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Rastatt vor dem Bau der Bundesfestung. Lithographie von Joseph Durler, um 1840. Stadtarchiv Rastatt

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Stadt und ihrer Umgebung.3 Diese Pläne blie-ben aber bis zur Rheinkrise über zwanzig Jahrelang unverwirklicht.

Im Folgenden sollen die Auswirkungen derBundesfestung auf die Bewohner Rastatts ge-schildert werden. Die Revolutionsereignissevon 1849, als am 11. Mai in Rastatt der Solda-tenaufstand losbrach und Rastatt bis zur Kapi-tulation der in der Festung eingeschlossenenRevolutionsarmee am 23. Juli das letzte Boll-werk der badischen Demokratiebewegung war,sollen in dieser Betrachtung weitgehend außerAcht gelassen werden.4

FESTUNGSBAU

Im September 1842 waren die Vor-bereitungen für den Beginn des Festungsbausin Rastatt so weit vorangeschritten, dass nundie Maßnahmen für die Beschaffung der Bau-materialien und der Werkzeuge getroffenwerden mussten. Die ehemalige Orangerie amRand des Schlossgartens diente als Bauhof fürdie Festung.5 Zum badischen Festungsbau-direktor wurde der österreichische Ingenieur-Obristleutnant Georg Eberle ernannt. Über-haupt bestand fast das gesamte Stabspersonalder Festungsbaudirektion aus österreichischenIngenieuroffizieren, denen nachgeordnetebadische Offiziere zur Seite standen.6 1845wurde in der Festung eine Artillerie-Aus-rüstungs-Direktion eingerichtet, nachdem diesdurch die entsprechenden Fortschritte beimFestungsbau möglich geworden war.7

Zunächst jedoch waren die Behörden vordie Frage gestellt, welche Maßnahmen für dieDauer des Festungsbaus, vor allem in polizei-licher Hinsicht, ergriffen werden mussten. Dienoch in Rastatt ansässige Regierung des Mittel-rheinkreises hielt die Errichtung eines Spitalsfür erkrankte Festungsbauarbeiter, die Über-tragung der Ortspolizei, die Schaffung einerStaatspolizeistelle, außerdem die Verstärkungder Polizeimannschaft und der Gendarmeriefür notwendig. Das badische Innenministe-rium war der Auffassung, dass die Kostendieser Forderungen zumindest teilweise vonden Militärbehörden übernommen werdensollten. Aus diesem Grund sah es sich veran-lasst, in Rastatt eine Kommission aus Militär-und Zivilbehörden einzuberufen, um die erfor-

derlichen Maßnahmen gemeinsam zu beraten.Dieser Kommission gehörten neben dem Ver-treter des Innenministeriums Ministerial-direktor Ludwig Friedrich Eichrodt und demRegierungsdirektor des Mittelrheinkreises KarlBaumgärtner, auch der Rastatter AmtsvorstandTheodor Schaaff und der Referent der Kreis-regierung in Polizeisachen an. Vertreter derMilitärbehörden waren Obrist Freiherr vonFischer als Vertreter des badischen Kriegsmi-nisteriums, der Rastatter Stadtkommandantsowie der Festungsbaudirektor.

In der Sache war sich die Kommissioneinig, bei der Finanzierung indes nicht.Festungsbaudirektor Eberle lehnte alle For-derungen, die an die Festungsbaudirektionbzw. die Festungsbaukasse in polizeilicherHinsicht gemacht wurden, kategorisch ab. DieBaudirektion versprach aber, ein Reglement zuerstellen, das Bestimmungen über die Arbeits-zeit und das Benehmen der Festungsbau-arbeiter enthalten sollte. Außerdem sichertedie Festungsbaudirektion zu, keinen Arbeiteranzunehmen, wenn er nicht einen Erlaubnis-schein von der Polizeibehörde vorweisen konn-te, in dem ihm der Aufenthalt in Rastattgestattet war und er hier um Arbeit nach-suchen durfte. Der Aufsichts- und Sicherheits-dienst auf den Festungsbaustellen sollte vomMilitär wahrgenommen werden. Weitere Zuge-ständnisse konnten die Zivilbehörden von derFestungsbaudirektion nicht erlangen. DasInnenministerium erstellte deshalb einenMaßnahmenkatalog zur Erhaltung der öffent-lichen Ordnung und Sicherheit. Sieben Punkteumfasste die Handhabung der Polizei und desSicherheitsdienstes: erstens, sollte die Orts-polizei von der Stadt auf die Staatspolizeistelle,also das Oberamt, übertragen werden; zwei-tens, sollten am Oberamt zwei zusätzlichePolizeiaktuare angestellt werden; drittens,sollten im Oberamtsgebäude drei Zimmer fürdas Polizeibüro hergerichtet werden. Weiterwurde gefordert, das städtische Polizeipersonalauf einen Wachtmeister und sechs Polizei-diener auszudehnen und sechs weitere Gendar-merieangehörige zweiter Klasse in Rastatt zustationieren. Die Vorsorge für die Aufstellungdes Sanitätspersonals im Spital zunächst aufStaatskosten war ein weiterer Punkt. Schließ-lich forderte das Innenministerium, dass die

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Stadtkommandantschaft in Rastatt und dieFestungsbaudirektion angewiesen werdensollten, die Zivilbehörden bei polizeilichenMaßnahmen wie Patrouillendiensten zu unter-stützen. Zur Errichtung des Spitals fürerkrankte Festungsbauarbeiter sollte das Gast-haus „Fortuna“ angekauft und für die Auf-nahme von 50 bis 70 Personen eingerichtetwerden. Hierfür waren 20 000 Gulden vor-gesehen. Insgesamt erforderten die Maß-nahmen einen außerordentlichen Kredit von25 255 Gulden, der vom Großherzog geneh-migt werden musste.8 Sämtliche Maßnahmensowie der erforderliche Kredit wurden am15. April ohne Abänderungen von GroßherzogLeopold genehmigt.9 Doch schon knapp einJahr später zeigte sich, dass die aus sechsPolizeidienern und einem Wachtmeisterbestehende Rastatter Polizeimannschaft mitder Überwachung von Tausenden von Fes-tungsbauarbeitern hoffnungslos überfordertwar. Das Innenministerium bat deshalbdringend um eine Aufstockung um vier weiterePolizeidiener.10 Auch dies wurde vom Staats-ministerium genehmigt, allerdings mussteauch die Budgetkommission der ZweitenKammer ihre Zustimmung erteilen, da dieKosten in den Nachtragshaushalt aufge-nommen werden sollten. Die Budgetkommis-sion lehnte dies jedoch wider Erwarten ab, sodass Großherzog Leopold nichts anderes übrigblieb, als für die Aufstockung des Polizeiper-sonals erneut einen außerordentlichen Kreditzu bewilligen.11 Die Anstellung des zusätz-lichen Polizeipersonals hatte sich dadurch umüber ein halbes Jahr verzögert, während inRastatt bereits etwa 4000 Festungsbauarbeitertätig waren.

Mit Beginn des Festungsbaus in Rastattstellte sich die Frage, an welchem Ort dieerkrankten Festungsbauarbeiter gepflegt wer-den sollten. Das Bürgerspital war für diesezusätzliche Belastung nicht groß genug, sodass man sich dafür entschied, die ehemaligeReithalle zum Spital für die Festungsbau-arbeiter herzurichten.12 Das zuerst favorisierteFortunawirtshaus fand keine Berücksichti-gung mehr. Bis zur Inbetriebnahme desFestungsarbeiterspitals Mitte November 1843wurden die erkrankten Bauarbeiter im Bürger-hospital auf Kosten der Amtskasse verpflegt.13

Der Gemeinderat wollte den Aufenthalt derbeim Festungsbau beschäftigten Fremdenjedoch nur gestatten, wenn die Festungsbau-arbeiter Beiträge zur Spitalverwaltung leis-teten. Diesen Betrag setzte der Gemeinderatauf die Höhe von einem Gulden für die Zeit vondrei Monaten fest. Wer diesen Betrag nichtleisten wollte, sollte keine Aufenthaltsge-nehmigung von der Polizeibehörde erhalten.14

In Rastatt waren in den Jahren 1843 bis1848 durchschnittlich jährlich rund 4000 derverschiedensten Bauhandwerker, Tagelöhnerund Handlanger mit dem Bau der Bundes-festung beschäftigt.15 Zeitweise betrug ihreZahl gar 6000. Das Oberamt berichtete am28. Juni 1845, dass durch den Festungsbau„die Stadt mit Menschen fast überfüllt“16 sei.Der größte Teil der Festungsarbeiterschaftfand Unterkunft in notdürftigen Wohnba-racken. Aufgrund der hohen Zahl wurde denFestungsbauarbeitern untersagt, ihre Familienmit nach Rastatt zu bringen, da dafür wedergenügend Wohnmöglichkeiten noch die hygie-nischen und gesundheitlichen Vorkehrungenvorhanden waren. Lediglich die Poliere undHandwerksmeister sowie die Arbeiter imFestungsbauhof erhielten eine Sondergeneh-migung und konnten ihre Angehörigen inRastatt wohnen lassen. Während des Festungs-baus waren zahlreiche ausländische Arbeiter inRastatt tätig, darunter vor allem italienischeMaurer, Steinhauer und Sprengmeister. Ge-naue Zahlen sind jedoch nicht ermittelbar.17

Die Löhne der Festungsarbeiter warenäußerst gering, etwa 20 bis 24 Kreuzer pro Tag.Schon bei Beginn der Bauarbeiten 1843 wurdeder schlechte Arbeitslohn beklagt, der vieleArbeiter dazu veranlasste, anstatt am RastatterFestungsbau in Frankreich am Bau der Straß-burger Festungswerke zu arbeiten, weil dortwesentlich höhere Löhne bezahlt wurden.18

Die Klagen über zu niedrige Löhne rissen auchin den folgenden Jahren nicht ab, und sogar dieFestungsbaudirektion machte aus diesemUmstand keinen Hehl. FestungsbaudirektorEberle berichtete am 1. Juli 1846:

„Die Preise dieser einfachsten Nahrungs-mittel sind in einem solchen Grade gestiegen,daß die Taglöhne, welche im Jahr 1844 schonaufgebessert werden mußten, nicht mehrhinreichen, dem Arbeiter ein mäßiges Ein-

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kommen zu verschaffen, weshalb alle Arbeiterdie anderswo einen besseren Verdienst zufinden glauben, entweder nicht zum Festungs-bau kommen, oder denselben wieder verlaßen,was mittelst der Eisenbahn ungemein erleich-tert ist. Der Abgang der Maurer, besonders dergeübteren, welche bei den Eisenbahnbautenfortwährend Beschäftigung und eine bessereBezahlung finden, ist dem Festungsbauenachtheilig. […] Wenn aber die Preise derLebensmittel nicht bald und so weit ermäßigtwerden, daß bei der bisherigen Bezahlung dieerforderliche Anzahl Arbeiter sich einfindenwird, so bleibt wohl nichts andres übrig, alsdurch einen erhöhten Taglohn die nöthigeAnzahl derselben herbeizuführen.“19

Ein soziales Sicherungssystem für dieFestungsarbeiter im Falle ihrer Arbeitsunfä-higkeit aufgrund von Krankheiten oderUnfällen wurde eingerichtet. Die Arbeiterwurden kranken- und unfallversichert. AlleFestungsbauarbeiter zahlten 2/3 Kreuzer proTag in die Krankenkasse ein, die ihren Mit-gliedern unentgeltliche ärztliche Behandlungund die kostenlose Überlassung der nötigenMedikamente im Spital oder bei häuslicherPflege gewährte. Dass dieses soziale Fürsor-gesystem durchaus notwendig war, spiegelt dieTatsache wieder, dass bis 1849 etwa 5000Arbeiter in den Krankenstand fielen. Seuchen-artige Infektionskrankheiten wie etwa die

Blattern grassierten 1844/45 besonders heftig.Hinzu kam, dass etwa 300 Arbeiter durchUnfälle am Arbeitsplatz ernsthaft verletztwurden und die stationäre Unterbringung imSpital beanspruchten. Bis 1848 lag die Zahl derTodesfälle unter den Festungsarbeitern beietwa 20 Personen jährlich. Ohne die Kranken-und Unfallversicherung wäre eine ausreichen-de medizinische Versorgung der Festungs-bauarbeiter kaum möglich gewesen.20

Am Namenstag des Großherzogs, am15. November 1842, konnte mit dem Bau derFestung begonnen werden; die Grundstein-legung erfolgte am 18. Oktober 1844. DieGesamtanlage der Festung Rastatt umfasste dieHauptfestung, zahlreiche Vorwerke und einverschanztes Lager.21 Die Hauptfestung, dieden Ortskern von Rastatt umschloss, bestandim wesentlichen aus drei großen Forts, dienach badischen Großherzögen benannt wur-den. Im Südosten von Rastatt das Fort A, Leo-poldsfeste genannt, im Norden Fort B, Lud-wigsfeste genannt, und nach Südwesten wei-send das Fort C, die Friedrichsfeste. Die dreiForts waren in sich abgeschlossene Einheiten,die unabhängig voneinander verteidigt werdenkonnten. Die Verbindung zwischen den Fortswurde durch so genannte Anschlüsse her-gestellt. Die Festung Rastatt wurde nach demneupreußischen System angelegt, das unterVerzicht auf einen streng geometrischenGrundriss eine Anpassung an das natürlicheGelände vorsah. Die Festungsgräben konntendurch Schleusen mit dem Wasser der Murggeflutet werden. Zur Stadt hin waren dieFestungswerke durch bis zu 6 m hohe und1,30 m dicke Mauern mit Schießschartenabgeschlossen.22

Das Baumaterial für die Festung – vorallem roter Sandstein – wurde aus einem fürdieses Vorhaben eigens eröffneten Steinbrucham Eichelberg im vorderen Murgtal bezogen.Allein im Festungssteinbruch waren zwischen400 und 1200 Mann beschäftigt, je nach Bau-tätigkeit an der Festung. Württemberger,Österreicher, Südtiroler und Italiener arbeite-ten hier zusammen mit einheimischen Arbei-tern. Für die Arbeiter wurden eigens Barackenam Steinbruch errichtet.23 Vom Steinbruch amEichelberg führte eine 14,5 km lange ein-gleisige Pferdebahn nach Rastatt. Zweimal täg-

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Plan der Festung Rastatt, um 1855 Stadtarchiv Rastatt

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lich bewältigten bis zu 150 Fuhrwerke den Wegvom Eichelberg zur Stadt. Die Pferdebahn warbis Ende 1858 in Betrieb und wurde danachabgebaut.24

Obwohl noch in den 1850er und 1860erJahren rege Bautätigkeit an bzw. in derBundesfestung herrschte, wurde das Spital fürdie Festungsbauarbeiter überflüssig. 1853wurde das Festungsarbeiterspital an die Stadt-gemeinde verkauft. Die Festungsarbeiterwurden im Garnisonslazarett mitversorgt.

SOLDATENLEBEN

Gouverneur und KommandantNach mehrjähriger Bauzeit erhielt die Bun-

desfestung Rastatt 1848 erstmals eine ordent-liche Leitung.25 Oberster Befehlshaber derBundesfestung war der Gouverneur. Er hattedas Kommando über alle Truppenteile derFestung, unabhängig davon, ob es sich umbadische, österreichische oder preußischeTruppen handelte. Der Festungsgouverneurerteilte dem Kommandanten die Tagesbefehle.Der Festungskommandant war in allen Dienst-angelegenheiten der Garnison – ohne Rück-sicht auf seinen Rang in der Armee – immerdie zweite und unmittelbar auf den Gouver-neur folgende Person und hatte dabei über dieEinhaltung der angeordneten Befehle undDienste zu wachen.26

Erster Gouverneur der Festung wurdeGeneralleutnant Carl Felix von Lasollaye,erster Festungskommandant Oberst WilhelmHeinrich von Hinckeldey. Beide versahen ihrenDienst nur bis zum Revolutionsausbruch 1849,Lasollaye war bereits seit Sommer 1848 beur-laubt. Seine Stellvertretung übernahm Gene-ralmajor Wilhelm von Cloßmann.27 Hin-ckeldey vertrat Festungsgouverneur v.Lasollaye ebenfalls während dessen zeitweili-ger Abwesenheit.28 Die längste Dienstzeit alsGouverneur versah mit über elf Jahren Frei-herr Wilhelm Gayling von Altheim von 1850bis 1861.

Von den Festungskommandanten ist wohlals bedeutendste Persönlichkeit DamianLudwig zu nennen, der später von 1854 bis1868 Präsident des badischen Kriegsministeri-ums war. Die Festungskommandanten warenbis 1859 ausnahmslos badische Offiziere. Nach

1859 stellte Baden keinen Festungskomman-danten mehr. Generalmajor Carl von Schulz,der am 3. Juli 1866 in der Schlacht bei König-grätz fiel, war der letzte österreichischeFestungskommandant Rastatts. Die großher-zogliche Garnisonskommandantschaft in derBundesfestung wurde am 8. Juni 1861 auf-gehoben. Die Befugnisse und Aufgaben dieserStelle wurden an das großherzogliche Kon-tingentskommando in der Festung über-tragen.29

BesatzungIm März 1848 bestand die Rastatter

Garnison aus zwei Regimentern mit zu-sammen 4462 Mann. Hinzu kamen 298 Artil-leristen und 100 Kavalleristen, so dass imganzen 4860 Soldaten in Rastatt stationiertwaren. In den folgenden Monaten wurde fest-gelegt, dass die Besatzung der Festung inFriedenszeiten 2500 Mann betragen sollte. Diekleine Kriegsbesatzung sollte bei 5000 Mannliegen.30

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Festungsgouverneur Wilhelm Gayling von Altheim, Litho-graphie um 1855 Stadtarchiv Rastatt

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Nach Planungen aus dem Jahr 1850 solltekünftig die vollständige Kriegsbesatzung bei10 500 Mann liegen. Das badische Kontingentsollte im Kriegsfall 6000 Infanteriesoldaten,200 Kavalleristen und 800 Artilleristenumfassen, das österreichische 2800 Infante-risten, 100 Kavalleristen, 400 Artilleristen undschließlich 200 Pioniere.31 Preußische Sol-daten spielten zwar bei den Planungen keineRolle, faktisch waren die preußischen Truppenin Rastatt seit der Einnahme der Bundes-festung am 23. Juli 1849 immer noch präsent.Erst durch den Vertrag von Olmütz zogen diepreußischen Truppen am 28. November 1850aus Rastatt ab. Baden machte nun sein eigenesBesatzungsrecht wieder geltend.32

Noch im Dezember 1850 beschloss manaufgrund der unruhigen Lage in der Schweizund in Frankreich, die Besatzung der Garnisonauf 5000 Mann zu bringen.33 Anlass zu dieserbesonderen Vorsicht bot die zu erwartendeErneuerung des Kaisertums in Frankreichdurch Napoleon (III.), da mit ihm einepolitisch bewegte Zeit zu befürchten war. Dieneue Eisenbahnlinie Paris–Straßburg hieltman in Frankreich für eine strategische Linie,und eine Pariser Zeitung schrieb, Baden seinun nicht mehr als Ausland zu betrachten.34

Die Angst vor einem erstarkten Frankreichbestimmte noch in den nächsten Jahren dieBesatzungspolitik des Deutschen Bundes inder Festung Rastatt. Die Stärke von 5000 Mannhatte die Garnisonsbesatzung noch ein Jahrspäter. Die Besatzung bestand aus dem 1., 2.und 3. Bataillon des k. k. Infanterie-Regimentsvon Benedek mit zusammen 3554 Mann und

72 Offizieren sowie aus dem 4. und 7. Bataillonder badischen Infanterie mit zusammen 1596Mann und 26 Offizieren.35

Im Oktober 1856 kam es zu Verhandlungenzwischen Baden und Österreich um die Neu-regelung der Besatzungsverhältnisse in derBundesfestung Rastatt, insbesondere derMannschaftsstärken, denn Baden wollte seinKontingent verringern. Eine Einigung kam am27. März 1857 zustande. Danach wurde dieFriedensbesatzung der Festung Rastatt auf5000 Mann festgesetzt. Durch die Erhöhungder Friedensbesatzung auf 5000 Mann fiel dieso genannte „kleine Kriegsbesatzung“ ersatz-los weg. Der Vertrag wurde am 24. April 1857in Wien unterzeichnet. Im Vertrag wurde gere-gelt, dass Österreich 2500 Soldaten als eigenesKontingent stellen und zudem als Vertretungeines Teils der badischen Besatzungsstärkeweitere 1500 Mann in Rastatt stationieren soll-te. Die restlichen 1000 Mann Besatzung stelltedie badische Armee. Die Kriegsbesatzung sollte10 500 Mann betragen, wovon Österreich zweiDrittel, also 7000 Mann, und Baden das rest-liche Drittel zu stellen hatte.36

Im Jahr 1859 verlangte das Festungsgou-vernement in Rastatt, die Kriegsbesatzung aufkünftig 16 000 Soldaten zu erhöhen. Die Mili-tärkommission der deutschen Bundesver-sammlung bestimmte in einem Erlass vom17. August 1859 an das Militärgouvernementin Rastatt, dass die Besatzung der Bundes-festung sowohl im Krieg als auch im Friedengemeinschaftlich von den Regierungen vonBaden, Österreich und Preußen gestellt wer-den sollten. Die Friedensbesatzung wurde auf6000 Mann, die Kriegsbesatzung auf ein Mini-mum von 12 000 Mann festgesetzt. Österreichhatte an der Friedensbesatzung 2600 MannInfanterie, 200 Mann Artillerie und 200 Pio-niere zu stellen. Preußen stellte 2000 MannInfanterie, während Baden zukünftig nur noch400 Mann Infanterie, 150 Mann Kavallerie und450 Mann Artillerie stellte. Von der Kriegs-besatzung hatte Österreich insgesamt 5400Mann, Preußen 4000 und Baden 2600 Soldatenzu stellen. Baden ernannte den Gouverneurder Festung und den Artillerie-Direktor. In derErnennung des Festungskommandanten solltezwischen Österreich und Preußen ein fünfjäh-riger Wechsel stattfinden.37 Der erste preußi-

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Offiziere in der Festung Rastatt, 1870/71 Stadtarchiv Rastatt

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sche Festungskommandant trat seinen Postenam 31. Oktober 1859 an. Das preußische34. Regiment und ein Bataillon des 38. Regi-ments rückten im März 1860 in Rastatt ein.38

Diese Neuregelung der Rastatter Besatzunggeschah zu einer Zeit, in der Spannungeninnerhalb des Deutschen Bundes herrschten.Die Verstimmung zwischen den beiden Haupt-mächten des Deutschen Bundes, Österreichund Preußen, war durch die preußische Hal-tung während des Krieges entstanden, denÖsterreich gegen Frankreich und Sardinien-Piemont geführt hatte. Österreich, das um dieLombardei und Venetien fürchtete, hatte dieUnterstützung durch das Heer des DeutschenBundes gefordert. Preußen hatte eine Hilfe-leistung unter Berufung auf das Bundesgesetzmit der Begründung abgelehnt, dass Lom-bardo-Venetien nicht im Gebiet des Bundesläge und der Konflikt keine unmittelbareBedrohung Deutschlands darstelle. Trotzdemhatte der preußische Prinzregent Wilhelm am23. April 1859 ohne vorherige VerständigungÖsterreichs beantragt, die Hauptkontingenteder Bundesarmee in Marschbereitschaft zusetzen. Nach mehreren Niederlagen Öster-reichs wurde zudem in Preußen eine Teil-mobilmachung befohlen. Preußen erhofftesich durch dieses Doppelspiel und von einerNiederlage Österreichs an politischem Anse-hen und Gewicht gewinnen zu können. Zumeinen wollte Preußen als Friedensstifter auf-treten, zum anderen als Wahrer der oberitalie-nischen Interessen Österreichs. Unterdessenhatten sich Frankreich und Österreich am11. Juli 1859 ohne Beteiligung Preußens aufeinen Friedensvertrag geeinigt. Preußen selbsthatte in den Augen der Bundesstaaten an Ver-trauen eingebüßt, da es nicht für dieInteressen eines anderen Bundesstaats einge-treten war.

Inwieweit solche politischen Unstimmig-keiten im Zusammenleben der österrei-chischen, preußischen und badischen Soldateneine Rolle gespielt haben mögen, lässt sichnicht eindeutig beantworten. Der österreichi-sche Major Gideon Günste, der Mitte der 1860erJahre in Rastatt stationiert war, berichtete überdie Rastatter Festungsbesatzung:

„Es war da eine gar selten zusammen-gewürfelte Garnison. Da waren Oesterreicher,

aus 3 verschiedenen Garnisonen zusammen-gesetzt, die im dortigen Volksmunde [d. h. inRastatt, M.M.] nach ihren Aufschlägen ,dieGrauen, die Rothen und die Grünen‘ genanntwurden. Dann war ein Preußisches, und einBaadisches Regiment, je zu 3 Bataillonen,außerdem, ebenso gemischt: Artillerie, Genie-trupp, und Kavallerie, von Jedem ein Bißchen.(…) Das Verhältniß der verschiedenen Contin-gente unter einander war ein durchaus herz-liches, hier und da wohl etwas steifer, beson-ders, wo der Berliner zum Ausdruck kam.Nach Norden zu ist ja alles kühler. Im All-gemeinen war der Verkehr mit unserenbadischen Kameraden ein etwas wärmerer, alssüddeutsche Verwandte hatten wir so mancheEigenthümlichkeiten mit ihnen gemein.“39

DIE AUSWIRKUNGEN DER FESTUNGAUF DIE STADTGEMEINDE

GeländeabtretungDie Entscheidung zum Bau einer Bundes-

festung in Rastatt brachte gewichtige Aus-wirkungen für die Stadt und ihre Bewohnermit sich. Da sich das für die Festung benötigteGelände zumeist in Privatbesitz befand, muss-te eine Kommission die Grundstücke für denDeutschen Bund aufkaufen bzw. gegen Ent-schädigung enteignen. Zahlreiche RastatterEinwohner verloren durch diese Maßnahmenhäufig ihre gesamten Äcker und Wiesen undwaren nur noch vom Einkommen aus ihremHandwerk abhängig. Während die vermögen-deren Bürger ihre Interessen durchaus zuwahren wussten und angemessene Entschädi-gungen erhielten – beispielsweise wurdenBankier Franz Simon Meyer für seinen Garten17 000 Gulden erstattet –, hatten die Neben-erwerbslandwirte wenig Rücksicht von derKommission zu erwarten. Die Stadtgemeindehatte neben dem Verlust an landwirt-schaftlicher Fläche auch den Verlust einesGroßteils des Gemeindewalds zu beklagen.Große Flächen mussten abgeholzt werden, umein ausreichendes Schussfeld für die Festungzu schaffen. Die Folge war eine starkeReduzierung des Bürgernutzens. Neben derZwangsabtretung von zahlreichen städtischenAllmendflächen waren 345 Privateigentümerbetroffen.40

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Auch der herrschaftliche Holzhof wurdevom Bau der Bundesfestung tangiert. Am8. Mai 1843 benachrichtigte Festungs-baudirektor Eberle die Hof- und Domänen-kammer in Karlsruhe, dass für den Bau derFestungsanlagen auch der obere Teil des Holz-hofs benötigt werde.41 Die Festungsbau-direktion, die eine Stockung der Bauarbeitenbefürchtete, drang auf eine rasche Einigung,doch erst ein Besuch des DomänenratsSchmidt und des Assessors Nüßlin am13. März 1844 in Rastatt brachte eine Eini-gung. Nur zwei Tage später wurden die Ver-träge zwischen dem großherzoglichen Forst-domänenfiskus und der Enteignungskommis-sion für den Festungsbau und zwischen demForstdomänenfiskus und der Murgschiffer-schaft unterzeichnet.

MarktwesenDurch die mit der Bundesfestung einher-

gegangenen Zunahme der Einwohnerzahl –1839 waren in Rastatt 6290 Menschen wohn-haft, während es 1875 beinahe 12 000 waren –

musste die Versorgung der Bevölkerung mitausreichend Nahrungsmitteln Schritt halten.Festungsgouverneur von Gayling schrieb 1854an das Oberamt:

„Bekanntlich ist die Zahl der Einwohner inhiesiger Festung während der letzten Jahredurch Verstärkung der Besatzung eine erheb-lich größere geworden, während die Zufuhr[der] für den täglichen Bedarf nöthigenLebensmittel auf den Märkten der Stadt nichtin gleichem Verhältniß zugenommen hat. Dienothwendige Folge davon ist, daß die Lebens-mittel erheblich theuerer als in der nicht sehrentfernt liegenden Residenz-Stadt [Karlsruhe,M.M.] und daß oft in den ersten Stunden desMarkts schon manche Bedürfnisse selbstgegen hohe Preise nicht mehr zu kaufen sind.Es sollte wohl nun anzunehmen sein, daßdurch die hohen Preise der Marktbesuch sichvermehren werde, weil jeder gerne dort ver-kauft, wo er viel erlöst, allein die hier beste-henden Verhältnisse scheinen auswärts nichtso bekannt zu sein, daß sich Verkäufer ausetwas entfernteren Orten z. B. Bühl, Stein-

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Blick vom Paradeplatz in die untere Kaiserstraße mit dem Hauptreduit im Hintergrund, um 1870 Stadtarchiv Rastatt

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bach, Ettlingen, Durlach etc. zum Besuch derhiesigen Stadt veranlaßt sehen könnten.“42

Das Festungsgouvernement wollte durchAufrufe und Bekanntmachungen weiter ent-fernt wohnende Verkäufer zum Besuch derbeiden kleineren Rastatter Wochenmärkte amMontag und Samstag auffordern. Der Haupt-wochenmarkt am Donnerstag war dagegen gutbesucht, da an diesem Tag auch der Frucht-und Schweinemarkt stattfand. Eine Reduzie-rung der Marktgebühren sah das Gouverne-ment ebenfalls für geeignet an, und wünschte,dass „(…) von Seiten der städtischen Behördenalle Mittel, welche zur Hebung des Markt-verkehrs dienlich sein könnten, in Anwendunggebracht werden“43.

Der Rastatter Gemeinderat bestätigte dieTatsache, dass es schon öfters vorgekommensei, dass notwendige Lebensmittel auf demWochenmarkt schon bald vergriffen und auchzu höheren Preisen nicht mehr zu kaufenwaren. Die Ursache erkannte der Gemeinderatallerdings in den „Eheweiber[n] der k. k.oestreichischen Feldwebel, welche in denKasernen Wirthschaft treiben“. Sie würdenschon morgens um 8 Uhr den Markt leerkaufen, ohne lange um den Preis zu feilschen.„Ganze Waschkörbe und Handwägelein“ wür-den sie vom Wochenmarkt forttragen bzw. fort-führen. Die Stadt schob diesem Ausverkauf derWaren einen Riegel vor, indem er die Kanti-nenbetreiberinnen nun als Händlerinnen ein-stufte und sie deshalb erst nach 11 Uhr ein-kaufen durften.44

Gastwirtschaften und BrauereienZwar liefen die Rastatter Gastwirte immer

wieder Sturm, wenn jemand versuchte, eineneue Wirtschaft zu eröffnen, doch wenn mansich auf Rückhalt bei Offizieren berufen konn-te, blieb der Protest der Gastwirte zumeistwirkungslos. So geschah es beispielsweise imFall des Konditors Gustav Nusser, der am13. Mai 1851 um die Erweiterung seiner Kon-ditorei, die in bester Lage Ecke Haupt-/Schloß-straße gelegen war, zu einem so genannten„italienischen Keller“ bat. Als Begründungführte er unter anderem an:

„[…] Es sind besonders die Herren Offiziereder hiesigen Garnison, welche mich fast täg-lich auffordern mein Geschäft zu einem italie-

nischen Keller zu erweitern. […] Wennübrigens das hohe Gouvernement der Festungund die Herren Commandeure der einzelnenTruppenkörper zur Äußerung von großherzog-lichem Oberamte veranlaßt würden, so fändensie hierdurch die gewünschte Gelegenheit,dem allseitigen Bedürfnisse des Offizierscorps,namentlich des kaiserl. oestereichischen,welches solche Einrichtungen seiner früherenGarnisonen gewöhnt ist, eine Fürsprache zuleihen […].“45

Während die Rastatter Handelskammerkeine Einwendungen dagegen hatte, kamerwartungsgemäß der Einspruch der RastatterWeinwirte. Nusser sage in seinem Gesuch dieUnwahrheit, so die Weinwirte. Alle Speisen undGetränke seien in den größeren Gasthäusernder Stadt, namentlich im „goldenen Kreuz“, im„Löwen“, in den „drei Königen“ und in der„Post“ zu haben. Derzeit bestünden 40 Wein-und 21 Bierwirtschaften in der Stadt. Undweiter: „Durch die Einrichtung einer Eisen-bahn haben unsere ersten Gasthäuser einenSchaden und Verlust erlitten, wie kein anderesim Großherzogthum. Während dieselben vor-mals theils mit Güterfuhren auf der Straßevon Frankfurt nach Basel, theils mit Reisen-den aus allen Theilen Deutschlands undanderer Länder zu jeder Jahreszeit angefülltwaren, stehen sie jetzt leer, oder wurden gleichden Privatwohnungen zu Mietwohnungenbenutzt. Ein ebenso harter Schlag war für unsdie Verlegung des Hofgerichts, der Kreis-regierung, der Obereinnehmerei, der Bezirks-bauinspection und der Waßer- und Stra-ßenbau-Inspection von hier nach Bruchsal,beziehungsweise nach Carlsruhe und Baden.(…).“46

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Der alte Rastatter Bahnhof, um 1880 Stadtarchiv Rastatt

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Den Ausschlag für die Genehmigung vonNussers Vorhaben am 25. Juli 1851 durch dieKreisregierung gab jedoch die Stellungnahmedes Festungsgouvernements, in der es hieß,dass die Einrichtung eines italienischen Kel-lers „(…) nicht allein als wünschenswerth,sondern auch als nothwendig bezeichnet wer-den muß“.47

Die Garnison und der Festungsbaubrachten in der Mitte des 19. Jahrhunderts dieRastatter Brauereien und Bierwirtschaften zumErblühen. Dabei verdrängten die kleinen Bier-wirtschaften mehr und mehr die traditionellenWeinwirtschaften. Um 1860 brauten etwa 40Gasthäuser ihr Bier selbst.48 Konkurrenz er-wuchs den einheimischen Wirten und Zäpflernallerdings im Betrieb von Kantinen innerhalbder Kasernen. Die Wirte klagten 1856:

„Die zur Zeit garnisonierende Besatzungbringt den gewerbetreibenden Einwohnernvon hier, namentlich aber den Wirthen keinenNutzen und ihr kann man die Ursache zu-schreiben, daß die Wirthschaften hier werthlosgeworden und in kurzer Zeit mehrere Wirthein Gant gerathen sind, wie dieses im Augen-blick bei den beiden Wirthen zum Engel undLamm der Fall ist. Das österreichische Militär,namentlich die gemeinen Soldaten, besuchennur selten die hiesigen Wirthschaften, da inihren Kasernen sich nicht weniger als 12Wirthschaften befinden, die von Feldwebelnbetrieben werden und die meisten dieserKasernenwirthe beziehen sogar ihren Bier-bedarf von Auswärts und machen dabei so guteGeschäfte, daß einige derselben wöchentlichfür 4 bis 500 fl. Bier auszapfen und ebensoreichen sie auch ihren Gästen Speisen ab.“49

BautätigkeitSchon zu Beginn der 1840er Jahre, noch

vor dem Beginn des Festungsbaus, lag dieFestung wie ein dunkler Schatten über demBauhandwerk. In Gebieten, die als späteresFestungsgelände vorgesehen waren, durftenkeine größeren Baumaßnahmen mehr stattfin-den, damit bei einer späteren Abtretung dieKaufsumme für die Enteignungskommissionmöglichst niedrig war. Sogar die Eisenbahn-linie führte aus militärtechnischen Gründenan Rastatt vorbei. Der Rastatter Bahnhof muss-te weit außerhalb der Stadt aus Holz errichtet

werden, damit er im Fall einer Belagerungschnell abgebrochen oder in Brand gestecktwerden konnte.

Überhaupt hatte paradoxerweise kein ande-res Gewerbe unter dem Ausbau Rastatts zurFestung so zu leiden wie das Baugewerbe. Bei-spielsweise wurden bei öffentlichen Bauvor-haben Überlegungen angestellt, ob man nichtProvisorien aus Holz bauen sollte, die imErnstfall niedergelegt werden konnten. BeimBau einer neuen Fruchthalle kamen von Seitender Mittelrheinkreisregierung Bedenken, ob essinnvoll sei, die Fruchthalle in Stein zuerbauen. Der Gemeinderat und BürgermeisterHammer fanden jedoch deutliche Worte:

„Man wird uns vielleicht entgegen halten,daß die Fruchthalle bei einem Bombardementzerstört werden könnte. Dies ist freilich rich-tig, allein es kann uns von dem Entschluße zubauen, nicht abhalten. Wenn es zu einemernstlichen Bombardement kommt, kann dieFruchthalle zerstört werden, allein mit denandern Gebäuden und Häusern wird es eben sogehen. Wenn man den Grundsatz weiter ver-folgen wollte, so müßte alles Neubauen inRastatt untersagt werden, weil möglicherweisediese Gebäude zerstört werden könnten. Wirsind in der Lage wie die Bewohner um denVesuv; die Zukunft kann für uns sehr traurigwerden, allein wir suchen eben doch dieGegenwart zu benützen, denn in der Gegen-wart müßen wir leben (…).“50

Wenn man erwartet hätte, die RastatterMaurermeister hätten vom Bau der Bundes-festung profitiert, so wird man bei der Durch-sicht der Akten eines Besseren belehrt. DieFestungsbaukommission vergab den größtenTeil der Bauarbeiten an Subunternehmer wiebeispielsweise Johann Belzer aus Weisenbachim Murgtal, der zeitweise 500 Arbeiter inRastatt beschäftigte. Die Rastatter Maurer-meister, deren Personal nur aus wenigenGesellen und Lehrjungen bestand, konntensich dieser übermächtigen Konkurrenz nichtentgegenstellen. Ihnen blieb nur, sich in regel-mäßigen Abständen über die Nichtberück-sichtigung bei Bauaufträgen zu beklagen. EineAusnahme bildete hier nur die Vergabe desBaus der kleineren „Friedenskaserne“ 1845 andie beiden Rastatter Maurermeister GeorgKrieg und Erasmus Dürr.51

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Wie sehr die private Bautätigkeit in Rastattvon den Wünschen des Festungsgouver-nements abhing, zeigt der Fall von JohannKühn. Kühn besaß auf der Rheinau ein miteinem Realwirtschaftsrecht versehenes zwei-stöckiges Haus. Das Gasthaus „zur dickenEiche“ brannte jedoch bei der Belagerung 1849bis auf die Grundmauern nieder. Kühn bat des-halb 1851 um die Erlaubnis zum Wiederaufbauseines Hauses. Da das Haus jedoch im Schuss-feld der Festung lag, wurde ihm vom Festungs-gouvernement nur gestattet, das abgebrannteGebäude allenfalls einstöckig wiederherzu-stellen. Außerdem sollten die neuen Wändenur in Fachwerkbauweise errichtet werdenund einzig die Feuerungsanlagen durftenmassiv ausgeführt werden. Gegen diese Ent-scheidung, die auf einer Verfügung der Bun-desmilitärkommission vom 28. Juli 1851beruhte, legte Kühn Beschwerde ein.52 DieserRekurs wurde vom Staatsministerium am12. Januar 1853 mit der Begründung abge-lehnt, dass jeder, der bauen wolle, sich nachden gültigen Bauvorschriften zu richtenhabe.53 Kühn geriet in der Folgezeit infinanzielle Schwierigkeiten und konnte dieWirtschaft nicht ausbauen, die Zwangsver-steigerung war die Folge.

Von besonderem Nachteil für die RastatterEinwohner war es auch, dass ihre Häusergegen Zerstörungen durch Feindeinwirkungnicht versichert waren. Sowohl das Brandver-sicherungsgesetz aus dem Jahr 1852 als auchdas Festungsreglement schlossen eine solcheEntschädigung aus. Im Juni 1859 machte derRastatter Gemeinderat deshalb erstmals einenVersuch, eine Entschädigung aus Bundes-mitteln für den Fall der Zerstörung der Häuserdurch Kriegseinwirkung zu erhalten. Diefehlende Häuserversicherung sei der Grunddafür, dass in Rastatt die Häuserwerte tiefgesunken seien, sich niemand ein Haus kaufenund auch niemand Kapital auf Häuser in derFestung verleihen wolle.54 Das zuständigebadische Innenministerium lehnte eine Wei-terleitung an die Militärkommission desDeutschen Bundes jedoch ab, da mit einerpositiven Entscheidung der Kommission nichtzu rechnen sei. Am 17. März 1860 unternahmder Gemeinderat unter Vorsitz des neuenBürgermeisters Gustav Wagner einen erneuten

Vorstoß in dieser Angelegenheit. Inzwischengestalteten sich die Aussichten für dasRastatter Ansinnen durchaus positiv, denn einEntwurf eines Verpflegungsreglements für dasdeutsche Bundesheer sah in einem Para-graphen eine solche Entschädigung für alleBundesfestungen vor.55 Großherzog Friedrichunterstützte das Gesuch und wies dasMinisterium für auswärtige Angelegenheitenan, bei der bevorstehenden Beratung des Ver-pflegungsreglements für das Bundesheer aufdie vorgeschlagene Zusicherung der Ver-gütung für Kriegsschäden in Festungen undderen Rayons hinzuwirken56, was schließlichauch von Erfolg gekrönt war.

Die Zahl der Rastatter Ziegelhütten hattesich Ende der 1860er Jahre auf zwei reduziert.Beide erreichten keine bedeutenden Umsätzemehr, was vor allem an der mangelnden Bau-tätigkeit lag, und „(…) das nicht viel gebautwird möcht[e] man in den fortificatorischenVerhältnissen resp. Beschränkungen su-chen“57, so die Rastatter Handelskammer inihrem Jahresbericht für das Jahr 1871.

EinquartierungenEin weiteres Problem der Rastatter

Bevölkerung waren die Einquartierungen vonSoldaten bei Privatpersonen. Zwar kannte mandie Einquartierungen schon aus der Zeit vordem Bau der Festung, doch besonders drü-ckend waren die Verhältnisse im Revolutions-jahr 1849. Das Beispiel des Wohn- undGeschäftshauses des Kaufmanns Johann DavidGall in der Hauptstraße soll dies verdeutlichen.

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Besuch von Kaiser Wilhelm I. in Rastatt anlässlich einesManövers am 22. September 1877 Ingrid Augenstein, Rastatt

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Das Gallsche Haus war eines der im 18. Jahr-hundert erbauten Modellhäuser. Als im Juni1849 die Freischaren Mieroslawskis in RastattZuflucht suchten, waren bei Kaufmann Gall 54Männer der Revolutionsarmee einquartiert.Nach der Kapitulation der Festung waren imAugust 1849 drei preußische Stabsoffiziereund 60 einfache Soldaten im Haus unterge-bracht.58 Ein ähnliches Bild bot sich im Hausvon Bankier Meyer auf der anderen Seite derHauptstraße. Dort waren im Juni 200 Frei-schärler untergebracht, im Juli etwa 100 badi-sche Soldaten und im August zwischen 40 und60 preußische Soldaten, darunter der Fes-tungskommandant Major von Weltzien.59

Zudem mussten in der Stadt immer wiederSoldaten für eine Nacht einquartiert werden,die Sträflinge in die Rastatter Strafkompaniebrachten oder hier Ausrüstungsgegenständeabholten. Da solche Einquartierungen immersehr kurzfristig vorgenommen wurden und beider Bevölkerung wenig beliebt waren, be-schloss der Gemeinderat im April 1855, dieseEinquartierungen an Bärenwirt Franz Beck zuvergeben. Beck erhielt als Entschädigung fürBeherbergung und Verpflegung für jeden ein-quartierten Soldaten 15 Kreuzer von derMilitärbehörde und noch einmal 13 Kreuzeraus der Stadtkasse.60

ProfiteureTrotz der Klagen der Gastwirte und Bau-

handwerker gab es in Rastatt aber auch Berufs-zweige, die aus der Festung Nutzen zogen. Dieswaren zum einen die Kaufleute, die ihr Ange-bot auf die Bedürfnisse der Soldaten um-stellten. Einige Kaufleute spezialisierten sich

auf den Handel mit Militäreffekten. RastatterSchuhmacher, Sattler, Gürtler und Büchsen-macher erhielten regelmäßig Aufträge von derAusrüstungsdirektion der Festung. Hier istbesonders die 1872 gegründete Uniform-schneiderei und Militäreffektenhandlung vonFridolin Hilbert zu erwähnen, die später vondessen Sohn Albert fortgeführt und erweitertwurde. Eine Marktlücke hatte der Möbel-händler Hirsch Löw entdeckt, der in seinemMöbellager nicht nur einzelne Möbelstückeverkaufte, sondern die Möblierung von ganzenWohnungen im gehobenen Stil an Militär-beamte vermietete.61 Die Versorgung der Sol-daten mit Grundnahrungsmitteln bedeutetevor allem für die Bäcker und Metzger ununter-brochen Arbeit. Eine der drei RastatterMahlmühlen mahlte nur Mehl zur Versorgungder Garnison. Schließlich profitierten noch dieHausbesitzer in der Innenstadt, die Woh-nungen an das zahlreiche Offizierskorps ver-mieten konnten.

DIE KRIEGE 1866 UND 1870/71

Bruderkrieg 1866Der heraufziehende Konflikt zwischen

Österreich und Preußen, der auf eine Ent-scheidung entweder zur klein- oder zur groß-deutschen Lösung drängte, brachte die badi-sche Regierung und Großherzog Friedrich ineine schwierige Lage. Zwar war Friedrich I. einAnhänger Preußens, und auch seine Regierungstrebte eine liberal-kleindeutsche Lösung an,doch die öffentliche Meinung in den süd-deutschen Staaten nahm eine überwiegendantipreußische Haltung ein. Die Auseinander-setzung verschärfte sich dadurch, dass Preu-ßen am 9. April 1866 beim Bundestag inFrankfurt einen Antrag einbrachte, der einevöllige Umwandlung des Deutschen Bundesbedeutet hätte. Für Österreich war dies indis-kutabel. Nach dem Einmarsch preußischerTruppen in Holstein forderte Österreich imJuni 1866 die Mobilmachung der sieben nicht-preußischen Armeekorps der Bundesarmee.Dem Antrag Österreichs stimmte eine Mehr-heit zu, Baden enthielt sich der Stimme, trataus Loyalität gegenüber dem Deutschen Bundaber der antipreußischen Koalition bei. Recht-lich gesehen war der Krieg 1866 eine Bundes-

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Einzug der Brigade Degenfeld nach Kriegsende am29. März 1871 Stadtarchiv Rastatt

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exekution gegen ein Mitglied des DeutschenBundes.62

Am 18. Juli 1866 wurde die Bundesfestungin den Kriegszustand versetzt, nachdem sichbereits durch die Schlacht bei Königgrätz am3. Juli die Gesamtkriegslage zugunsten Preu-ßens verändert hatte.63 Die österreichischenSoldaten verließen Rastatt.64 Der Kriegszu-stand wurde bereits am 1. August 1866 wiederaufgehoben, das Festungsgouvernement dembadischen Kriegsministerium unterstellt.65

Die ehemalige Bundesfestung stand damit bisauf weiteres unter großherzoglicher Ver-waltung. Noch am selben Tag wurde Gouver-neur von Seutter ermächtigt, die in Rastattbefindlichen großherzoglich-weimarischenund fürstlich-reussischen Truppen abrückenzu lassen. Die in Mainz befindliche badischeArtillerieabteilung sollte von dort unverzüg-lich zurückberufen werden.66 Einen Tag spätererhielt der Gouverneur den Befehl aus Karls-ruhe, dass er bei etwaiger Annäherungpreußischer Truppen die Festung gegen diesenicht zu verteidigen, vielmehr Rastatt als

offene Stadt zu betrachten und deshalb dasEinrücken preußischer Truppen in dieFestung gleich wie für badische Truppen zugestatten habe.67 Am gleichen Tag meldete derGouverneur an das Kriegsministerium, allefortifikatorischen und artilleristischen Armie-rungsarbeiten eingestellt und die Provi-antierung sistiert zu haben und dass die Stau-ung der Murg abgelassen werde. Der Kriegs-zustand sei aufgehoben worden, die Truppenaus den Vorwerken in ihre Kasernen zurück-verlegt. Die Bereitschaft war auf den gewöhn-lichen Friedensstand zurückgeführt sowie alleBeschränkungen und Überwachungen desFremdenverkehrs zurückgenommen wor-den.68 Am 17. August 1866 kam ein Schutz-und Trutzbündnis zwischen Baden undPreußen zustande. Großherzog Friedrich ließdas badische Heerwesen ganz nach dembewährten preußischen Militärsystem reor-ganisieren. Dazu berief er den preußischenGeneral von Beyer nach Baden.69

Der preußisch-österreichische Krieg hattenaturgemäß auch Auswirkungen auf die

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Luftansicht der entfestigten Stadt, 1910 Stadtarchiv Rastatt

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Bundesfestung Rastatt. Franz Eble beschreibtdie Zustände 1866 aus der Sicht eines Kauf-manns:

„Hier in der Festung sieht es seit demFriedensschluße traurig [aus]. Niemand willdie Festung besetzen helfen und der Bad.Kriegs Minister Ludwig[,] der sich zu dertölpelhaften Ansicht bekennt, die FestungRastatt habe keinen Werth und solle liebergeschleift werden, gibt blos eine Garnison von1700 Mann hie[r]her. Die früher stets über6000 Mann in Garnison zä[h]lende Stadt istleer, die Wohnungen[,] bisher stets besetzt undordentlich beza[h]lt[,] sind geschloßen undalle Geschäfte stehen stille. Bei längerer Dauerdieses Zustandes geht die Einwohnerschaftvon Rastatt einer traurigen Verarmung ent-gegen.“70

Deutsch-französischer KriegAngst herrschte bei Ausbruch des deutsch-

französischen Krieges 1870. Vor allem dieBewohner der Vorstadt Rheinau und desbenachbarten Niederbühl, das bereits bei derBelagerung Rastatts durch die Preußen 1849stark gelitten hatte, rechneten damit, ihreBehausungen – da sie im Schussfeld derFestung lagen – niederlegen zu müssen. Dasbadische Kriegsministerium in Karlsruhe hieltdas Festungsgouvernement unter Generalleut-nant Waag jedoch am 19. Juli 1870 nochzurück. Auch wenn die Verhältnisse einedringende Niederlegung der Siedlungen ver-langten, musste das Festungsgouvernementzuerst einen Antrag beim Kriegsministeriumstellen.71 Bereits im Juli 1866 hatte man fürNiederbühl und die Rheinau Schätzungsproto-kolle des gesamten Häuserbestandes anfertigenlassen, um im Falle einer Niederlegung derHäuser die Summe der Entschädigungszah-lungen sofort greifbar zu haben.72 Am 22. Juli1870 wurde der Belagerungszustand der Fes-tung angeordnet. Alle Befugnisse der Zivilge-walten gingen damit auf das Festungsgouver-nement über. In der ganzen Stadt wurdenFlugblätter mit der Ausrufung des Belage-rungszustands verteilt. Glücklicherweisezeigte sich bald, dass Rastatt und seine Umge-bung nicht zum Kriegsschauplatz werdensollten. Am 13. März 1871 befahl GroßherzogFriedrich die Desarmierung der Festung. Der

Belagerungszustand wurde am 11. Mai 1871aufgehoben.73

In Rastatt wurde nach der Kapitulationder Festung Straßburg am 27. September1870 kurzfristig ein Gefangenenlager einge-richtet, das vom Rheintor bis zur VorstadtRheinau reichte. In diesem Lager waren etwa10 000 französische Gefangene, darunter 200Offiziere, untergebracht.74 Während dasOffizierskorps eine bevorzugte Behandlungerhielt, zu der auch gehörte, Zivilkleider zutragen, bei Bürgern zu logieren und inner-halb der Festung sich frei bewegen zu dürfen,machte den einfachen französischen Soldatender harte Winter und Krankheiten zuschaffen. Insgesamt starben in Rastatt 354französische Kriegsgefangene, vor allem anTyphus und den Blattern. Bis zur Auflösungdes Lagers im Spätsommer 1871 wurden dieKriegsgefangenen vom Rastatter Frauenver-ein und anderen karitativ tätigen Frauenbetreut.75

Noch während des Krieges mit Frankreich,genauer gesagt am 25. November 1870, war eszu einer Militärkonvention zwischen Badenund Preußen gekommen. Alle badischenTruppenteile wurden dadurch als BadischesKontingent der preußischen Armee einver-leibt. Am 3. April 1871 entband GroßherzogFriedrich die badischen Offiziere ihrer Diensteund unterstellte sie dem preußischen König.Das badische Kriegsministerium wurde auf-gelöst. Nur wenig später, am 16. April, wurdein den Artikeln 57 bis 68 der Reichsverfassungdas Reichskriegswesen geregelt. Die sechsbadischen Regimenter reihten sich nun alsRegimenter 109 bis 114 in das deutsche Heerein.76

Das Jahr 1871 brachte für die BewohnerRastatts eine enorme Erleichterung im täg-lichen Leben mit sich. Denn im Juni 1871hatte das Gouvernement entschieden, dieFestungstore in Friedenszeiten nachtsübernicht mehr zu schließen. Zwar war es Ende1866 bis zu Beginn des Jahres 1867 für meh-rere Monate schon einmal dazu gekommen,die ab März 1867 schwelende Krise umLuxemburg und die damit zusammen-hängende Furcht vor einem französisch-preußischen Krieg führten jedoch wieder zurnächtlichen Schließung der Festungstore.

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AUFHEBUNG DER FESTUNG

Nach dem Ende des deutsch-französischenKrieges und der Annexion Elsaß-Lothringensverlor die Festung Rastatt ihre strategischeBedeutung. Die Zahl der in Rastatt stationier-ten Soldaten sank von 4602 im Jahr 1880 auf3964 im Jahr 1890.77

Im Jahr 1887 war in Berlin entschiedenworden, die Festung Rastatt nicht mehr zumodernisieren und aufzugeben. Die FestungenMetz und Straßburg boten dem südwestlichenReichsgebiet genügend Schutz. Die Abbruch-arbeiten an der Festung wurden 1890 be-gonnen.78 Die Erdwälle der Festungswerkedienten als Füllmaterial und Baugrund. DieSteine der Blendmauern waren begehrtesBaumaterial.79 Rastatt blieb allerdings Garni-sonsstandort.

Obwohl Rastatt weiterhin vom Militärgeprägt blieb, konnte sich die Stadt nun end-lich weiterentwickeln und die weitgehendunterbliebene Industrialisierung nachholen.Einige Industriebetriebe nahmen in ehe-maligen Festungsgebäuden ihre Produktionauf. Ein erstes Industriegebiet entstand aufdem Gelände des ehemaligen alten Bahnhofs,da hier bereits Gleisanschlüsse vorhandenwaren. Wo früher die Festungsanlagen zurStadt hin durch Mauern abgeschlossen waren,entstanden nun Ringstraßen mit aufge-lockerter Bebauung. Das Abbruchmaterial ausSandstein fand nun beim Bau von Wohn-häusern neue Verwendung. Bis zum Beginndes Ersten Weltkriegs befreite sich Rastattmehr und mehr vom starren Korsett derFestungsanlagen. Nach 50jährigem Stillstandin der Stadtentwicklung dehnte sich Rastattnun nach wenigen Jahrzehnten weit über denehemaligen Befestigungsring hinaus aus.

Anmerkungen

1 Lutz, Karl-Heinz: Das badische Offizierskorps1840–1870/71 (= Veröffentlichungen der Kommis-sion für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen. Bd. 135).Stuttgart 1997, S. 171 f.

2 Vgl. Großherzoglich Badisches Staats- undRegierungsblatt 1842, 40. Jg., Nr. XXXII vom28. Oktober 1842, S. 273.

3 Schindhelm, F. W.: Die Festung Rastatt. In: UmRhein und Murg. Heimatbuch des LandkreisesRastatt 2 (1962), S. 85–113, hier S. 85.

4 Vgl. hierzu die grundlegenden beiden Bände in dervon der Stadt Rastatt herausgegebenen Stadt-geschichtlichen Reihe: Hank, Peter/Holeczek,Heinz/Schilling, Martina: Rastatt und dieRevolution von 1848/49. Vom Rastatter Kongresszur Freiheitsfestung (= Stadt Rastatt. Stadt-geschichtliche Reihe. Bd. 6). Rastatt 1999; und:Hank, Peter/Holeczek, Heinz/Jung, Christian/Schilling, Martina: Rastatt und die Revolution von1848/49. Von der Freiheitsfestung zur PreußischenBesetzung (= Stadt Rastatt. StadtgeschichtlicheReihe. Bd. 6,2). Rastatt 2001.

5 Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) 238/479,o. P., Schreiben des Festungsbaudirektors Eberlean den Präsidenten des Kriegsministeriums v.Freydorf vom 24. November 1842.

6 Lutz, Offizierskorps, S. 171.7 Großherzoglich Badisches Regierungsblatt 1845,

43. Jg., Nr. XXVIII vom 30. September 1845, S.234; Lutz, Offizierskorps, S. 171.

8 GLA 233/19670, o. P., Schreiben des Innen-ministeriums an das Staatsministerium vom7. Februar 1843.

9 GLA 233/19670, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 15. April 1843.

10 GLA 233/19670, o. P., Schreiben des Innen-ministeriums an das Staatsministerium vom9. Februar 1844.

11 GLA 233/19670, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 7. November 1844.

12 GLA 236/16242, o. P.13 GLA 236/16242, o. P., Bericht der Kreisregierung

an das Innenministerium vom 15. November 1843.14 Stadtarchiv Rastatt (StRa) B 162, Gemeinderatssit-

zung vom 18. Dezember 1844, Nr. 399.15 Hier und im Folgenden siehe: Hank/Holeczek/

Schilling, Rastatt und die Revolution 1848/49,Bd. 6, S. 221 ff.

16 GLA 220/803, pag. 116, Bericht des OberamtsRastatt an die Kreisregierung vom 28. Juni 1845.

17 Vgl. Walter, Martin: Italienische Spuren im Land-kreis Rastatt (= Sonderveröffentlichung des Kreis-archivs Rastatt. Bd. 2). Rastatt 2002, S. 83 ff.

18 Enzweiler, Hans-Jürgen: Staat und Eisenbahn.Bürokratie, Parlament und Arbeiterschaft beimbadischen Eisenbahnbau 1833–1855 (= Euro-päische Hochschulschriften. Reihe III, Bd. 642).Frankfurt a. M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien1995, S. 234; siehe auch: Ders.: Das soziale Fürsor-gesystem beim Rastatter Festungsbau 1842–1848.Ein unbekannter Vorläufer des Reichsver-sicherungssystems. In: Zeitschrift für die Ge-schichte des Oberrheins 140, N.F. 101 (1992),S. 319–348.

19 Zit. n.: Enzweiler, Staat und Eisenbahn, S. 235 f.20 Hank/Holeczek/Schilling, Rastatt und die Revo-

lution 1848/49, Bd. 6, S. 223 f.21 Das verschanzte Lager sollte als Sammelplatz für

ein Armeekorps dienen. Dafür vorgesehen war dasPlateau der Schlosshöhe, des Röttererbergs unddes Lochfelds sowie das in der Niederung gelegeneZaygelände. Das Lager sollte durch sieben Werkeund diese verbindende Erdwälle geschützt werden,jedoch kamen nicht alle Werke zur Ausführung;vgl. Schindhelm, Festung Rastatt, S. 90; zur Bau-

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geschichte der Festung vgl. Neininger, Albert:Rastatt als Residenz, Garnison und Festung.Rastatt 1961, S. 73 ff.; Wollenschneider, Rainer/Feik, Michael: Bundesfestung Rastatt. In Erinne-rung an die Grundsteinlegung am 18. Oktober1844. Ötigheim 1994, S. 41 ff.; Kaufmann, Rainer:Die Festung Rastatt. Eine Beschreibung derehemaligen Bundesfestung anhand eines Rund-ganges durch die Stadt mittels beigefügter Falt-Karte. Hrsg. v. d. Großen Kreisstadt Rastatt.Rastatt 1977, S. 7 ff.

22 Unter dem Greifen. Altbadisches Militär von derVereinigung der Markgrafschaften bis zur Reichs-gründung 1771–1871. Hrsg. v. d. Vereinigung derFreunde des Wehrgeschichtlichen MuseumsSchloss Rastatt e. V. Bearb. v. Sabine Hermes undJoachim Niemeyer. Karlsruhe 1984, S. 117 ff.; zumAufbau der Festung und die Beschreibung dereinzelnen Werke siehe: Schindhelm, FestungRastatt, S. 90–113; Wollenschneider/Feik, Bundes-festung Rastatt, S. 41–122, besonders S. 41–91; alsBeispiel für die wechselvolle Geschichte einzelnerFestungswerke siehe: Reiß, Wolfgang: Vom Pulver-haus zur Musikschule für Behinderte. Aus derGeschichte des Festungsbauwerks Lünette 42. In:Heimatbuch Landkreis Rastatt 24 (1985), S. 55–64,hier S. 55 ff.

23 Feik, Michael: Die Geschichte der Rastatter Pferde-bahn und des Festungssteinbruches am Eichelbergim nördlichen Schwarzwald. In: Der Bote aus demWehrgeschichtlichen Museum 35 (1996), S. 25–27,hier S. 25; vgl. Rost, Josef: Die Festungseisenbahnund der Festungssteinbruch bei Bischweier. In:Heimatbuch Landkreis Rastatt 33 (1994),S. 89–94.

24 Feik, Rastatter Pferdebahn, S. 27.25 Lutz, Offizierskorps, S. 173.26 GLA 238/478, o. P., Bestimmungen über den

Garnisonsdienst in der Bundesfestung Rastatt, § 1.27 Schilling, Martina: Die badische Revolution

1848/49 aus der Sicht eines großherzoglichenOffiziers. In: Badische Heimat 78 (1998), S. 13–28,hier S. 19 u. 27.

28 Vgl. das Testament Hinckeldeys in: GLA 288/Zug.1933/Nr. 3, Fasz. 240.

29 Großherzoglich Badisches Regierungsblatt 1861,59. Jg., Nr. XXVIII vom 19. Juni 1861, S. 190.

30 GLA 238/479, o. P., Schreiben vom 8. Januar 1849.31 GLA 238/479, o. P., Notizen über die Garnisonsver-

hältnisse in Rastatt vom 29. November 1850.32 Rößler, Karl Josef: Kampf um den Bau und die

Besatzung der Festung Rastatt. In: Die Ortenau 42(1962), S. 264–273, hier S. 266 f.

33 GLA 238/479, o. P., Auszug aus dem Protokoll der21. Sitzung der Bundesversammlung vom 7. De-zember 1850, § 67.

34 Rößler, Kampf um Bau und Besatzung der FestungRastatt, S. 265.

35 GLA 238/479, o. P., Schreiben des Gouvernementsder Bundesfestung Rastatt an das Kriegs-ministerium vom 24. Dezember 1851.

36 GLA 238/480, o. P., Einigungsvertrag zwischenBaden und Österreich vom 27. März bzw. 24. April1857.

37 GLA 238/480, o. P., Erlass der Militärkommissionder deutschen Bundesversammlung, Schreibenvom 17. August 1859.

38 Rößler, Kampf um Bau und Besatzung der FestungRastatt, S. 273.

39 Die letzten Tage von Rastatt. Aufzeichnungen desk. k. Majors Gideon Günste. Nach dem Manuskriptim Stadtarchiv Rastatt übertragen von MarkusZepf 2002, S. 2 f. [im Original StRa C 220, pag. 2 u.4].

40 Hank/Holeczek/Schilling, Rastatt und die Revo-lution von 1848/49, Bd. 6, S. 211.

41 GLA 391/31214, o. P., Schreiben der Baudirektionder Bundesfestung Rastatt an die Badische Hof-und Domänenkammer vom 8. Mai 1843.

42 GLA 371/Zug. 1928/Nr. 4, Fasz. 236, o. P., Schrei-ben des Festungsgouvernements an das OberamtRastatt vom 10. August 1854.

43 GLA 371/Zug. 1928/Nr. 4, Fasz. 236, o. P.,Schreiben des Festungsgouvernements an dasOberamt Rastatt vom 10. August 1854.

44 GLA 371/Zug. 1928/Nr. 4, Fasz. 236, o. P., Berichtdes Gemeinderats Rastatt an das Oberamt Rastattvom 16. August 1854.

45 GLA 371/Zug. 1940/Nr. 29, Fasz. 470, o. P., Gesuchvon Gustav Nusser vom 13. Mai 1851.

46 GLA 371/Zug. 1940/Nr. 29, Fasz. 470, o. P.,Schreiben der Wirte an das Oberamt vom 12. Juni1851.

47 GLA 371/Zug. 1940/Nr. 29, Fasz. 470, o. P., Schrei-ben des Festungsgouvernements vom 1. Juli 1851.

48 Walter, Martin/Zepf, Markus: Rastatt – Bilder einerStadt 1860 bis 1960 (= Die Reihe Archivbilder).Erfurt 1998, S. 93.

49 StRa A 2652, o. P., Schreiben der Rastatter Gast-wirte vom 2. August 1856.

50 GLA 220/360, o. P., Bericht des GemeinderatsRastatt an das Oberamt Rastatt vom 14. März 1853.

51 Vgl. StRa B 162, Gemeinderatssitzung vom 9. April1845, Nr. 1044. Hier ging es um die Verpachtungder städtischen „Eberwiese“ an die beiden Maurer-meister zur Lagerung von Baumaterialien.

52 GLA 233/19683, o. P., Schreiben des Kriegs-ministeriums an das Staatsministerium vom 19.Oktober 1852.

53 GLA 233/19683, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 12. Januar 1853.

54 GLA 233/19683, o. P., Schreiben des GemeinderatsRastatt an das Innenministerium vom 1. Juni1859.

55 GLA 233/19683, o. P., Schreiben des Innen-ministeriums an das Staatsministerium vom 15.Juni 1860.

56 GLA 233/19683, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 28. Juni 1860.

57 GLA 236/10357, o. P., Jahresbericht der Handels-kammer in Rastatt für das Jahr 1871 vom 22.Januar 1872.

58 Eble, Franz: Haus- und Familienchronik1682–1879. Transkribiert von Markus Zepf 1998,S. 8 u. 10 [Seitenzahl der transkribierten Fassungvon Markus Zepf].

59 Reiß, Wolfgang: Franz Simon Meyer (1799–1871):Tagebuchaufzeichnungen 1849. In: Heimatbuch

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Landkreis Rastatt 30 (1991), S. 87–111 und 31(1992), S. 93–120, hier Teil 2, S. 108.

60 StRa B 174, Gemeinderatssitzung vom 18. April1855, Nr. 238.

61 GLA 236/6792, o. P., Bitte des MöbelhändlersHirsch Löw an das Innenministerium vom 26. Juni1857.

62 Unter dem Greifen, S. 149–151.63 GLA 238/459, o. P., Schreiben des Kriegs-

ministeriums an das Staatsministerium vom20. Juli 1866; vgl. Stürmer, Michael: Die Reichs-gründung. Deutscher Nationalstaat und euro-päisches Gleichgewicht im Zeitalter Bismarcks.München (4. Aufl.) 1993, S. 43 ff.

64 Vgl. GLA 238/481.65 GLA 238/459, o. P., Schreiben des Kriegs-

ministeriums an das Festungsgouvernement vom1. August 1866 und Abschrift des großherzog-lichen Befehls vom 1. August 1866, Nr. 117.

66 GLA 238/459, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 1. August 1866, Nr. 682.

67 GLA 238/459, o. P., Beschluss des Staats-ministeriums vom 2. August 1866, Nr. 685.

68 GLA 238/459, o. P., Meldung des Festungsgouver-nements an das Kriegsministerium vom 2. August1866.

69 Das XIV. (Badische) Armeekorps im Reichsheer vordem Ersten Weltkrieg. Sonderausstellung imWehrgeschichtlichen Museum Rastatt. Rastatt[o. J.], S. 4.

70 Eble, Haus- und Familienchronik, S. 20 f. [Seiten-zahl der transkribierten Fassung von Markus Zepf].

71 GLA 238/499, o. P., Schreiben des Kriegs-ministeriums an das FestungsgouvernementRastatt vom 19. Juli 1870.

72 Vgl. GLA 238/491, o. P.73 Vgl. GLA 238/499, o. P.74 Stadtarchiv Baden-Baden D 9/2, Tagebuch von

Franz Simon Meyer, Teil 2, S. 890; vgl. Schweitzer,Jean: Die französischen Kriegsgefangenen inRastatt 1870/71. In: Um Rhein und Murg. Heimat-buch des Landkreises Rastatt 11 (1971), S.114–119, hier S. 114. Schweitzer spricht gar von15 000 Kriegsgefangenen.

75 Schweitzer, Französische Kriegsgefangene1870/71, S. 115 u. 117 f.

76 XIV. (Badische) Armeekorps, S. 4–7.77 Vgl. StRa A 4501 u. A 4503.78 Unter dem Greifen, S. 119.79 Walter/Zepf, Rastatt – Bilder einer Stadt, S. 75.

Anschrift des Autors:Dr. Marco MüllerZeller Straße 16

77833 Ottersweier

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Natürlich stellt sich oft die Frage, was denndie Gründe für die Einwanderung fremderMenschen in andere für sie unbekannte Ländergewesen sein mögen. Dies ist zum einen einewirtschaftliche Frage, denn es sind in derMehrzahl gebildete Kaufleute und Handwer-ker, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts nachBaden strömten. Nach dem DreißigjährigenKrieg war die Bevölkerung der MarkgrafschaftBaden-Baden auf ein Drittel des Vorkriegs-standes zusammengeschrumpft. Weite Land-striche waren verwüstet, die Städte und Ortewaren zerstört. Damit entstand ein Bevölke-rungsdefizit, das überschüssige Bevölkerungs-teile aus anderen Ländern wie auch Italiengeradezu in sich aufsaugen musste. Zumanderen bot der Prozeß des Wiederaufbaus vorallem den gerade angesprochenen Kaufleutenund Handwerkern gute Absatzmärkte, so dasseine nicht unerhebliche Anzahl von italieni-schen Krämern und Handwerkern nach Süd-westdeutschland einwanderte. Eventuell mit-entscheidend dafür, dass gerade in Baden-Baden und in zahlreichen geistlichen Terri-torien Italiener relativ zahlreich nachzuwei-sen sind, war die Konfessionszugehörigkeitder „Einwanderer“-Staaten. Im Gegensatz zuBaden-Baden war die italienische Einwan-derung nach Baden-Durlach vernachlässigbar.Karl Martin zieht als ein gewissermaßen vor-weggenommenes Fazit seiner Untersuchungenzur Einwanderung aus Savoyen nach Süd-baden das Fazit, dass die katholischen savoyar-dischen Einwanderer vorzugsweise in die frü-her vorderösterreichischen und die kirchli-chen Gebiete zogen, und die reformiertenSavoyarden eher in protestantische Länder wiedie Pfalz oder Württemberg wanderten1. Aus-nahmen lassen sich auch hier feststellen.Christina Wagner stellt in ihrer Untersuchung

zur Bevölkerungsgeschichte Karlsruhes im18. Jahrhundert die Anwesenheit katholischerKaufleute im protestantischen Durlach und inKarlsruhe fest. Trotz dieser Feststellung unter-streichen die von Martin gezogenen Schluss-folgerungen den engen Bezug zwischen katho-lischer Religion eines Landes und der relativenHäufigkeit der – katholischen – Italiener. Zuberücksichtigen ist auch, dass es mindestenszwei Arten von Auswanderungsbewegungengegeben hat, die der Künstler und Architektenund die der Kaufleute, der Krämer und derkleinen Handwerker.

Die Art und Weise der Berufsausübung warsehr eng mit dem Faktor Zeit verbunden. DieGruppe der Künstler und Architekten war nurfür einen befristeten Zeitraum im Ausland, dieGruppe der Krämer und Kaufleute beabsichtigtebereits bei der Entscheidung, in andere Länderzu gehen, einen permanenten Aufenthalt inihrer zukünftigen Heimat. Diese unterschied-liche Ausgangsposition stellt den Forschendenvor eine schwierige Aufgabe. Die archivischenQuellen dokumentieren längst nicht alles, wasaus der heutigen Sicht vielleicht wünschens-wert wäre. Denn gerade Italiener, die nur wenigeWochen, Monate oder Jahre wegen der Über-nahme einer zeitlich befristeten Arbeit inRastatt geblieben sind, sind nur schwer inArchivalien zu ermitteln. Beispielsweise sind wirüber die Tätigkeit des Architekten TommasoComacio in Baden-Baden sehr gut unterrichtet,über die italienischen Arbeiter, die in densiebziger Jahren die Jesuitenkirche und dasKolleggebäude bauten, nur wenig. Italiener, dielänger geblieben sind, haben dagegen mehrgreifbare Spuren hinterlassen. So finden sichitalienische Spuren in Bürgermeisterrech-nungen, in Kirchenbüchern, in Hofrats- oderHofkammerprotokollen oder in Zunftbüchern.

! Martin Walter !

Die italienische Kolonie in derMarkgrafschaft Baden-Baden

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Die zahlreich in Baden-Baden und Rastattbeschäftigten italienischen Künstler undArchitekten waren nicht auf Dauer hier.Sondern immer nur so lange, wie es die über-nommene Arbeit erforderte. Kein einzigerdieser Italiener blieb, sei es der RastatterSchloss-Architekt Rossi, der Polier Mazza, derMaler Manni oder andere. Natürlich mag esAusnahmen gegeben haben. So stünde esvielleicht zu vermuten dass der ArchitektVanino in Rastatt seinen dauernden Wohnsitzhatte. Das stimmt auch durchaus, allerdings istVanino nicht nur Architekt, sondern auchZiegler in Rastatt, der sich in der Stadt einebürgerliche Existenz aufbauen konnte. AlsArchitekt hätte er mit Sicherheit an anderenOrten eine Anstellung, einen Auftrag, gesucht.Und damit wird auch ersichtlich, dass derBeruf für das Ob und Wie einer Entscheidungfür den Verbleib in Baden von eminenterBedeutung gewesen war.

Die in Baden-Baden und Rastatt an vielenBeispielen nachweisbare große italienischeKolonie ist in vielen Fällen zwei, drei oder auchvier Generationen lang belegbar. Die frühestenSpuren dieser Einwanderung finden sich in densechziger Jahren des 17. Jahrhunderts undreichen bis etwa 1740. Danach findet keine Ein-wanderung aus Italien mehr statt. Die Namen,die wir mit Italien in Bezug setzen können, sindbis Mitte des 19. Jahrhunderts zu ermitteln.Erst gegen Ende dieses Jahrhunderts setzt eineneue Art der Einwanderung ein.

Neben den Kaufleuten und Krämern gibt esdarüber hinaus eine in der Literatur nur wenigberücksichtigte Gruppe, die der Handwerker.Diese Italiener gelangten ähnlich wie die Kauf-leute nach Baden mit der festen Absicht, sichseßhaft zu machen. In der Hauptsache warenes Schneider, Metzger oder Ziegelbrenner, diesich hier haben nachweisen lassen. Ein großerZweig bestand aber auch in der Gruppe italie-nischer Kaminfeger, die – betrachten wir denStatus ihres Berufes – zu den unterstensozialen Schichten gehörten. Sie waren alsHausierer unterwegs und reisten von Haustürzu Haustür, um Aufträge zu erlangen. ZweiFamilien begründeten regelrechte Kamin-feger-Dynastien. Wie bereits erwähnt ist derBeruf des Kaminfegers innerhalb der gesell-schaftlichen Wertschätzung sehr weit unten

anzusetzen. Umso überraschender ist es, dassauch die Kaminfeger die gesellschaftlicheIntegration sehr schnell geschafft haben.Belegbar ist dies vor allem durch familiäreEreignisse. Dazu zählen Zeitpunkt und„Objekt“ der Verehelichung der männlichenitalienischen Zuwanderer. Die Italiener hei-rateten in die bürgerlichen Oberschichten ein.Vielleicht erfolgte auch mit der Ernennungeiner italienischen Familie zu „Hofkamin-fegern“ eine gewisse gesellschaftliche Aner-kennung in Rastatt. Es lässt sich feststellen,dass die sich hier niederlassenden Italiener inder Regel Kaufleute oder ausgebildete Hand-werker sind.

Die Verflechtung der Italiener durch Heiratmit gutsituierten Baden-Badener und RastatterFamilien wie Weiß oder Sallinger läßt er-ahnen, wie schnell sich die neuen italienischenMitbewohner integriert hatten. Ein Beleg dafürist der große Anteil der alteingesessenenhöheren Bürgerschicht bei der Übernahme derPatenschaft von neugeborenen Kindern. DieEhe wird in vielen Fällen zum Eintrittsbillettin das arrivierte Bürgertum. Nicht unerwähntsollte aber bleiben, dass sich die neuen Mit-bewohner der Residenz durch Fleiß undSchaffenskraft ausgezeichnet hatten. Eingroßer Teil der Italiener verdiente mit demHandel aller Arten von Waren seinenUnterhalt. Nicht wenige davon wurden nichtnur wohlhabend, sondern müssen als reichbezeichnet werden. In den meisten Fällenkonnten sich Italiener sehr schnell das Bür-gerrecht erkaufen. Ein weiteres Indiz für diegehobene Stellung der Italiener in derRastatter Bürgerschaft stellt die Lage ihrerImmobilien in der Stadt selbst dar. Sofern diesermittelbar war, lässt sich eine Häufung derWohnhäuser in der Nähe des Schlosses und ander Kaiserstraße festhalten. Als Beispiel seienhier nur das Anwesen der Ruscas an derHerrenstraße oder das der Familie Massino ander Kaiserstraße angeführt. Ähnliches lässtsich auch in der benachbarten Stadt und vor-maligen Residenz Baden-Baden feststellen,auch hier sind die Erwerbungen vonImmobilien an stadtzentralen Stellen zahl-reich.

Was bleibt als Ergebnis festzuhalten? Ers-tens, die große Mehrheit der seßhaften Italie-

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ner in der Markgrafschaft Baden-Baden sindHändler, „mercatores“ oder Krämer. Einigeschlüpfen in die Rolle von Bankiers und ver-leihen Geld. Zweitens, es gibt eine Gruppe vonHandwerkern und kleinen Händlern, die aller-dings in den Quellen der Zeit kaum anzutreffensind. Drittens, für beide gilt, dass sie per-manent in Baden bleiben. Sie sind oder werdenein Teil der einheimischen Bevölkerung.

Berücksichtigt wurde bisher nur der „bür-gerliche“ Teil der Italiener. Daneben wurdenaber zahlreiche Italiener direkt und mittelbardurch die Hofhaltung nach Rastatt gezogen.

1. ITALIENER AM RASTATTERHOF SOWIE BEI DER HOFVER-WALTUNG BESCHÄFTIGTE BEAMTE

Der Priester Ottavio de Morganti aus FanoRossi war nicht der einzige Bürger der ita-

lienischen Stadt Fano, der um die Wende des

17. zum 18. Jahrhundert Rastatt aufgrundseiner beruflichen Verpflichtungen zu seinemvorübergehenden Wohnsitz machte. DerPriester Don Ottavio Morganti wohntemindestens vier Monate lang in Rastatt, vonDezember 1704 bis März 17052. Don OttavioMorganti in Rastatt war „peinlicher Kaplan“der Markgräfin Sibylla Augusta. Belegt wirddies durch einen archivalischen Fund der ita-lienischen Historikerin Tombari in einerUrkunde der Kongregation „Beneficiati Uffre-ducci“. Laut diesem Dokument stand DonMorganti für eine Messe im Dom von Fanonicht zur Verfügung, weil er „als Kaplan der,Signora Principessa‘“ [d. i. Sibylla Augusta,M. W.] „in Rastatt weilte“. Ein Bruder von DonOttavio war der Notar Giambattista3. Allerdingsverweilte die markgräfliche Familie zu diesemZeitpunkt in Schlackenwerth und übersiedelteerst im Herbst 1705 in das fast fertiggestellteResidenzschloss. Insofern wäre es denkbar, dassMorganti auch einige Wochen in Schlacken-werth zubrachte.

Die Morgantis waren ursprünglich eine ausFano stammende Familie, die einige bekannteMaler, v. a. im 16. Jahrhundert, hervorgebrachthat. Bartolomeo di Morganti oder Bartolomeodi Fano arbeitete zu Beginn des 16. Jahr-hunderts unter anderem im Palazzo del Podestaund im Dom zu Fano. Dessen Sohn GiovanFrancesco war Mitglied der Santa Unione. Ermalte in der Loggia des Palazzo del Podesta. Erübermalte und ergänzte das Altarbild von SanDomenico. 1572 lieferte er für die Mitgliederder Scuola di San Michele vier Bilder. Mitseinem Neffen Ottavio übernahm er die Aus-malung der Loggia des Palazzo dei Priori. 1581malte er sogar im Vatikanspalast in Rom einKartenbild der Stadt Fano und ihres Territo-riums. Die Namensgleichheit des vor dem24. April 1602 verstorbenen Malers Ottavio diMorganti und des in Rastatt weilenden Priestersläßt eine verwandtschaftliche Beziehung sichervermuten, auch wenn sie nicht bewiesenwerden kann. Daneben nennt „Thieme-Becker“einen Maler und Illuminator Pompeo di Mor-ganti aus Fano4.

Italienische OpernsängerSehr wahrscheinlich befand sich um das

Jahr 1705 eine Gruppe von italienischen

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Luca Antonio Colomba sollte als Nachfolger Sanguinettisdie Schloßkirche ausmalen. Nachdem er sich bei einemSturz von einem Pferd Verletzungen zuzog, mußte er denAuftrag ablehnen.

Aus Fueßlin, Johann Caspar:Geschichte der besten Künstler in der Schweiz. Zürich 1774

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Opernsängern in Rastatt, „wo sie auch Auf-führungen veranstalteten.“5 Allerdings konntebis jetzt dafür kein eindeutiger Beleg gefundenwerden. Ein fest engagiertes italienischesOpernensemble war zu dieser Zeit nicht inRastatt. Trotzdem wäre ein Gastspiel denkbar,denn seit 1705 residierte die markgräflicheFamilie wieder in Rastatt. Die Unterhaltungund Anstellung einer Hofkapelle (diese wurdeerst 1715 gegründet) war aufgrund der politi-schen Umstände nicht durchführbar, so dass eszu gelegentlichen Auftritten von reisenden,nicht fest engagierten Künstlergruppen ge-kommen sein könnte. Thommsen-Fürst stelltfest: „Zwar dürfte es schon zu dieser Zeit inRastatt gelegentlich zu musikalischen Auf-führungen gekommen sein, jedoch sind – miteiner Ausnahme – keine Zeugnisse davonerhalten geblieben.“6

Angestellte am Hofe:Der Hofratskanzlist AnselloniJohann Josef Anselloni war Kanzlist beim

Hofrat. Am 25. August 1738 kommt der SohnJoseph Jacob Valentin zur Welt. Anselloni ge-hörte zum gehobenen Rastatter Bürgertum.Das Taufbuch vermerkt „Nobilis dominusJohannes Josef de Anselloni cancellistaaulica …“. Seine Frau war Anna Luisa geb.Schwan7. Die Schwans waren Wildbretmetz-ger am Rastatter Hof. Die Paten des KindesJoseph Jacob Valentin waren der GernsbacherObervogt („satrapa“) und eine Maria AnnaBertram, die möglicherweise aus Savoyenstammte.

Der Regierungskanzlist AgudiDer Regierungskanzlist Jakob Agudi starb

am 6. Februar 1837 im Alter von 75 Jahren.Sein Frau Magdalena, geb. Walter starb am18. Januar 1846 im Alter von 66 Jahren8.

Der Hofmusiker Candela (Cantela)Über den Hofmusiker Anton Candela ist

nur wenig bekannt. Die Informationen überihn beschränken sich auf sein Todesdatum. Erstarb am 2. Januar 1757 in Rastatt9.

Der Hoftenor TonarelliDer Sänger Leopard (Leopold, Lorenzo)

Tonarelli kam möglicherweise über die Station

Mannheim nach Rastatt. Im Staats- undAdresse-Kalender von 1766 wird er als Tenoristund Cammersänger aufgeführt. In der Mann-heimer Hofkapelle ist ein Sopranist (!) LorenzoTonarelli „aus dem romanischen“ in denJahren 1753 und zwischen 1756 und 1766nachweisbar. Tonarelli dürfte zwischen 1766und 1767 in Rastatt ein Engagement besessenhaben. Ein weiterer Beleg für die Anwesenheitdes Sängers in Rastatt findet sich auf einerSeite des Librettos in „Imeneo in atene“. Aufder Vorderseite des Blattes ist die Besetzungfür das Stück verzeichnet und Tonarelli alsSänger der Partie des Augenius vermerkt10.Demnach war Tonarelli in den Jahren 1766und 1768 als „Tenorist“ in Rastatt tätig11. Ersang die Partie des Argenius in „Imeneo inatene“.12 Tonarelli war Mitglied der RastatterHofkapelle. Als Italiener war er einer derwenigen ausländischen Musiker, die am HofBeschäftigung fanden13. Die RastatterHofkapelle wurde 1771 aufgelöst.

2. ITALIENISCHE KAUFLEUTE

Die Handelsfamilie Antoni (Anton, Anthony)Der um das Jahr 1723 im Elsass geborene

Johann Baptist Antoni – sein Vater war Wirt inAltenstadt bei Wissembourg – kam im Altervon etwa 20 Jahren in die baden-badischeResidenz. Seine italienische Herkunft kanndurch keinen Quellenfund belegt werden, wirdaber zwingend vermutet. Denn mindestenszwei Italiener diesen Namens tauchen inMannheim auf. Ein gewisser D. Antonierrichtete um 1800 eine Kaffeefabrik in Mann-heim, ein Kaufmann D’Antoni betrieb dortseine Handelsgeschäfte. Johann Baptist Antoniwar in den ersten Jahren seines ErwerbslebensGastwirt, er übernahm den Beruf seines Vaters.Am 9. November 1744 heiratete er dieRastatterin Katharina Roth14. Am 9. Februar1745 wird der „Würthssohn“ Johann BaptistAntoni in die Handelszunft in Rastatt auf-genommen, nachdem er eine Aufnahmegebührvon 22 Gulden entrichtet hatte15. Schnellscheint Antoni Einfluss innerhalb der Zunftgewonnen zu haben, denn am 13. Februar1748 wurde der etwa 25-jährige zugleich mitdem Italiener Johannes Massino zum Ober-

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meister der Zunft gewählt16. 1752 erhielt erden Betrag von drei Gulden „als wegen das Ett-linger Haardt Bruch Hew gemacht“17. Antonibezahlte im selben Jahr eine Jahrespacht von15 Kreuzern an die Stadtverwaltung für einenGarten in der Ludwigsvorstadt18. Er hatte, wiezahlreiche andere Rastatter auch, ein landwirt-schaftlich genutztes Grundstück, auf dem Obstund Gemüse für den Eigengebrauch angebautwurden. Im Mai 1757 wurde er von LudwigPfleger, einem Leutnant des schwäbischenKreis-Kontingents19, verhaftet und mussteeine Nacht in Gefangenschaft verbringen. Wasgenau passiert war, konnte bedauerlicherweisenicht ermittelt werden. Die Verhaftung scheintaus Sicht des Leidtragenden zu Unrecht vorge-nommen worden zu sein, denn Antoni erhobeine Injurien-, also eine Beleidigungsklagegegen Pfleger2021. Im selben Jahr hatte er dieWirtschaft zum „Goldenen Schwanen“ inne,und fünf Jahre später war er Eigentümer desGasthofes, der sich ursprünglich an der Schiff-straße 2 befand. Dazu kommt die Erwerbungdes „Ochsen“ in der Kaiserstraße 14. 1770, dieletzten Tage der Markgrafschaft Baden-Badenwaren angebrochen, wird Antoni mit einem fürihn votierenden Anteil der Wahlberechtigtenvon über 83%, das sind 211 von 253 Stimmen,zum Oberbürgermeister Rastatts gewählt. Einrecht deutliches Ergebnis. Allerdings sind dieAngaben über seine Tätigkeit für die Stadtrecht spärlich. Bis zum Jahr 1776 führte er dasstädtische Finanzwesen. Der später zum Ober-bürgermeister gewählte Johann Adam Merkübernahm das Finanzressort und stellte fürAntoni eine ersichtliche Erleichterung dar. Bis1778 übte Antoni seine Tätigkeit als„OberbürgerMeister und StadtGefällVerrech-ner“ aus, dann wurde er wegen angeblicherVerfehlungen von seinem Amt suspendiert undzu einer vierwöchigen Haftstrafe verurteilt. Obdies zu Recht geschah, kann im Nachhineinnicht mehr geklärt werden. Bekannt ist aber,dass Antoni zur Zufriedenheit der RastatterBewohner gearbeitet hatte. Dies belegt einePetition der Bürger, die zwar ohne Erfolg blieb,aber ausdrücklich betonte, daß sowohl derMagistrat als auch zwei Drittel der Bürger-schaft mit der erfolgten Wahl des SonnenwirtsNikolaus Klehe unzufrieden sei. Weiterhinspreche für eine „Beybehaltung“ Johann

Baptist Antons, daß „derselbe wegen dergehabten Oberbürgermeistery Bedienstungsein ansehnliches Vermögen aufgeopfert,“ sein„… Amt zu Jedermanns Genugthuung bestenFleißes versehen, zu Tilgung des auf ihmehaftenden Recesses seine Besoldung und gan-zes übriges Vermögen anerbotten.“22

Im Oktober 1773 ersuchte Antoni um dieErlaubnis in Rastatt eine Haarpuder- undStärkefabrik zu eröffnen. In seiner Bittschriftunterstrich er, dass der Wunsch nach einerFirmengründung im Zeichen eines „ehrlichenFortkommens“ stünde. Mit dem Hinweis aufsein mittlerweile beachtliches Vermögen, erbesaß u. a. in Rastatt drei schuldenfreieImmobilien, versuchte er die Entscheidungs-träger für sein Projekt zu gewinnen. Antoniplante seine Fabrik in einem seiner leerstehenden Häuser einzurichten. Er betonteauch, daß „viele seiner Mitbürger einenansehnlichen verdienst“ erhalten könnten.Antoni warb für die Schaffung von Arbeits-plätzen, die gerade in der Umstellungsphasenach dem Aussterben der Baden-Badener Linieso bedeutsam gewesen wären. Allerdingsmachte er zu seiner Unternehmung keinegenauen Angaben. So vergaß er zu erwähnen,auf welche Weise er denn sein geplantesUnternehmen umsetzen wolle oder wie großdie Produktionskapazitäten sein sollten.Antoni legte keinen Augenmerk auf inhaltlicheHinweise. Die Hofkammer bemerkte sehr wohldas Auslassen dieser Komponente und führtein der Replik auf die Eingabe an, dass er seinSchreiben zu „allgemein“ gehalten habe. Sieführte weiter aus, dass der Supplikant dochbesser die „vorhabende Einrichtung dieserFabrique näher bekannt zu machen“ habe.Obwohl Antoni dies versäumt hatte, er be-schränkte sich in seinen Zeilen fast nur aufuntertäniges Bitten, gewährte ihm dieHofkammer im November eine fünfjährigeBefreiung der Akzise auf den Betrieb einerPuder- und Stärkefabrik23. Nähere Angaben zudieser Fabrik sind der Akte nicht zu ent-nehmen. Sie gibt auch nicht an, ob es in derFolge tatsächlich zu einem Aufbau der Fabrikund zu einer geordneten Produktion ge-kommen ist. Der Begriff „Fabrik“ ist nicht zuverwechseln mit dem, was der Leser derGegenwart darunter versteht. Vielmehr ist die

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von Antoni geplante und durchgeführte(?)Unternehmung als eine Art vorindustrielleManufaktur zu betrachten.

Die Jahre bis zu seinem Tod verbleiben imDunkel der Geschichte. Eventuell ging erwieder seiner früheren Tätigkeit als Wirt nach,oder er war tatsächlich als „Fabrikant“ tätig.1790 verstarb seine Frau Katharina. Am 9. Mai1807 schloss Antoni in Rastatt seine Augen fürimmer im Alter von 84 Jahren.

Für das Jahr 1792 ist die Existenz einesKoches Sebastian Antoni belegt. Es könntesich um einen Sohn von Johann Baptist Antonhandeln. Sebastian erwarb 1792 das Haus desItalieners Nicolino, Schlossstraße 4 in Baden-Baden24. Dies indiziert zusätzlich eine italie-nische Herkunft der Familie Antoni.

Johann Baptist Azone (Azoni)(1701–1755)Johann Baptist Azone wurde etwa 1701 in

Lenni (oder Lenno) im Herzogtum Mailandgeboren. Sein Vater war der Bürger undSchneider Josef Azone. Sicher ist, dass JohannBaptist Azone schon 1733 in Rastatt wohnteund arbeitete. In diesem Jahr trat er als Tauf-zeuge für eine Tochter des Handelsmannesund Rastatter Bürgers Simon Rheinboldt auf.Die italienische Herkunft von Azone kannzweifelsfrei nachgewiesen werden: „Italusmercator“ wird im Kirchenbuch der Pfarr-kirche St. Alexander vermerkt25. In den Folge-jahren 1734, 1737 und 1738 tritt er wiederumals Trauzeuge für mehrere Kinder der FamilieRheinboldt auf. Seine Frau Maria AgnesAzone, die er 1738 ehelichte, war in denJahren 1740, 1742 und 1745 Taufzeugin fürweitere Rheinboldt-Kinder. Am 15. Februar1735 wurde Azone in die Handelszunft inRastatt aufgenommen und am gleichen Tagzum Zunft- und Obermeister gewählt26.Wenige Wochen später, am 10. Februar 1738,heiratete er Marie Agnes Schuler, die Tochterdes Karlsruher Bürgers und Gärtners FranzSchuler27. Trauzeugen der Heirat von Azoneund Maria Agnes waren prominente RastatterBürger: Franz Mayer, der „praefecti palatiidomus Aulia“ und der Bürger und KaufmannJohann Schiffmacher28. Am 13. April 1738wurde ein Kind getauft29. Johann BaptistAzone starb 1755.

Franz Azone (n. e. – 1788)Der Wirt und Handelsmann Franz Azone

wurde am 27. August 1766 in „die löblicheHandlungszunfft“ aufgenommen, nachdem erein Einkaufgeld in Höhe von 14 Gulden bezahlthatte30. Bezeugt wurde seine Aufnahme durchdie Zunftmeister Bernhard Birnstill und FranzSimon Meyer.

Wenige Monate später, am 17. November1766, heiratete er die junge Katharina Klehe31

(*1745). Dem Kirchenbucheintrag ist zu ent-nehmen, dass Katharina aus einer gutsituier-ten Rastatter Familie stammte. Ihr Vater,Anton Klehe, war Kaufmann und angesehenerBürger der Stadt; weiterhin erfahren wir vondem „consule civico“ Simon und dem BürgerJohann Klee32, die beide Trauzeugen dieserHeirat waren. Katharina Azone starb in jungenJahren am 1. Juni 1777. Dreieinhalb Jahrespäter heiratete der inzwischen zum Stadtrataufgestiegene Franz Azone in zweiter EheMaria Magdalena Höllmann, eine geboreneKramer aus Ettlingen.

Recht modern mutet es an, wenn bereits im18. Jahrhundert ein Ehepaar auf die Idee ver-fällt, „zur Vermeidung aller dareinst entste-henden … Irrungen“ einen Ehevertrag aufzu-setzen. So geschah es im Fall der zweiten Hei-rat Franz Azones. Ein wichtiger Punkt wardabei die Sicherung der „in dieser Eheerzielenden Kinder“. Die zweite Ehefrau MariaMagdalena Höllmann brachte das Gasthaus„Zum Kreuz“ mit in die Ehe, im Gegensatzhierzu erschien das Vermögen von Azoneunübersichtlicher, so dass eine exakte Auf-stellung als notwendig erachtet wurde. Indiesem Zusammenhang entstand am 28. Juni1780 eine Liste, die der Nachwelt akribisch denBesitz eines italienstämmigen Geschäfts-mannes aufzeigt.

Franz Azone war Besitzer mehrerer wert-voller Immobilien, er besaß „eine ModelmäsigeBehausung in der Schloßgaß wie solche im1ten Inventario beschrieben, und taxiert ad4400 fl“ weiterhin den „15. Theil an einerModelmäßigen Behausung auf der Marktgaßneben Simon Maier ad 100 fl“ und den „15. Teilan einer holzenen Behausung in der GeorgenVorstadt neben Georg Ridel 19 fl.“ Dazu kamenverschiedene Gartengrundstücke und einigeÄcker in der „Augustus-Vorstadt“, in den

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Gewannen Raues Ziegelfeld, Lochfeld undOberreut im Wert von insgesamt 155 Gulden.

Vor der Heirat besaß Azone ein Wohn- undGeschäftshaus in Baden-Baden, das verkauftwurde; die darin sich befindenden Möbel wur-den versteigert. Auch gab Azone seine Handels-geschäfte in Baden-Baden auf, das Unterneh-men wurde ausverkauft, er trennte sich vonjedem unnötigen Ballast.

Die Art und der Umfang der Dinge, die dieListe preisgibt, lassen einige Aussagen zuseiner Person zu. Azone „liebte“ die Bequem-lichkeit, so führt das Inventar u. a. eine großeMatratze und zahlreiches Bettzeug auf. Zudemwar er ein passionierter Leser, zahlreicheBücher „Kirschius, Hübners Lexicon, Wolff-gang Venerony u. a.“ werden aufgeführt.Azone war demnach ein gebildeter Mann, derlesen und als Kaufmann gut rechnen konnte.Der Hausstand war gewaltig, die Aufführungvon Geschirr, wie Schüsseln, Tellern, Töpfenscheint kein Ende zu nehmen. Sein Wohlstandwird zudem durch die Qualität seiner Möbelunterstrichen, deren Auflistung einen genauenBlick auf die Ausstattung einer Wohnung desgehobenen Bürgertums des 18. Jahrhunderts

gestattet. Zahlreiche Schränke und Tischewaren aus Nussbaum gearbeitet. Dazwischenwird auch das ein oder andere „eingelegte“,also mit Intarsien versehene Stück genannt.Ob dem Kaufmann eine gewisse Eitelkeit eigenwar, oder ob er sich in der Pflicht der Repräsen-tation eines erfolgreichen Geschäftsmannessah, wird nie mehr zu klären sein, seineKleiderschränke waren voll, (u. a. besaß Azone40 Hemden)33 der Wert seiner Bekleidungimmens. Die Listen belegen männliche Kleiderim Wert von 213 Gulden, der Gegenwert eines400-tägigen Verdienstes eines Handwerker-meisters.

Zum Zeitpunkt seiner zweiten Eheschlie-ßung 1780 befanden sich „noch mehrereCrahm Waaren bestehend in Cotton, … Zinn,Fischbein, Eisen und … etc. etc. …, welchenicht wohl anzubringen gewesen.“ in den Ge-schäftsräumen. Der Verkauf dieser Dinge gingnur schleppend voran, so dass sich seine neueEhefrau für den Ankauf der Waren entschied:„Da nun hierauf im ganzen 730 fl gebottenworden, dieses aber viel zu wenig erachtetworden, hat sich die Azonische Ehefrau … ver-bindlich gemacht, gesamt sothaner Waaren

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Rastatt vom Luftschiff Schwaben aus. Im Vordergrund die Murg, In der Mitte Schlossstrasse, das Barockschloss mit demdamals als Exerzierplatz genutzten Schlossgarten. Dahinter die Kaserne des Regimentes 111, später Canrobert und heuteu. a. Bauplatz für das neue Landratsamt. 1913. Kreisarchiv Rastatt

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für sich unter Beistand Hern Anton Kramerund in die Maßenn zu übernehmen um 900 fl.“

Beeindruckend ist die Aufstellung über dieGeldmittel, die Azone zu diesem Zeitpunkt anzahlreiche Kreditnehmer verliehen hatte. Da-runter waren nicht nur Privatpersonen undGeschäftsleute, sondern auch Städte undGemeinden wie beispielsweise Bühl, das 1777einen Kredit über 3000 fl aufgenommen hatteund dafür pro Jahr 40 fl Zins zu bezahlen hatte.Die Liste der Kreditnehmer ist auffallend lang,die einzelnen Summen variieren von wenigenGulden bis zu einigen Hundert. Seine Klientelrekrutierte sich aus dem Kerngebiet derehemaligen Markgrafschaft Baden-Baden. DieStädte Baden-Baden, Rastatt, Kuppenheim undGernsbach sind die meistgenannten Orte. DerWunsch nach Krediten „eint“ (fast) alleSchichten der Bevölkerung. Unter den Schuld-nern befinden sich Kammerdiener, Büchsen-macher, Militärs, Beamte und Adlige. Offen zuTage tritt aber das Nichtvorhandensein desgrößten Bevölkerungsteiles der Mark-grafschaft, der Bauern, Taglöhner und kleinenHandwerker. Das Fehlen von Sicherheiten fürdie Gewährung eines Kredites wird hieran aus-schlaggebend gewesen sein.

Azone füllte nicht nur die Rolle einesBankiers aus, sondern trat auch als Groß-händler in Erscheinung, so war ihm derRastatter Franz Anton Haid fast 570 fl für„übernommene Craam Waaren“ oder derOberbürgermeister Klehe für diverse Kauf-mannswaren neun Gulden schuldig.

Azone war zudem selbst Schuldner undKreditnehmer. Nicht geklärt werden kann,warum er annähernd 300 fl an die Kinder vonBenedikt Redolato bezahlen musste. Offensicht-lich hat Azone entweder enge geschäftliche oderaber auch enge private Kontakte zur FamilieRedolato gepflegt. Oder war beides der Fall?Gute geschäftliche Beziehungen hatte er zu Ull-rich Rindeschwender nach Gaggenau. Hierbetrugen seine Außenstände über 150 fl.Vielleicht hatte er für Rindeschwender einenTeil des Verkaufs der in Gaggenau produziertenGlaswaren übernommen. Das Gesamtvermögenim Jahr 1780 wurde auf 14 371 fl und einigeKreuzer beziffert. Azone war ein reicher Mannund gehörte damit ohne jeden Zweifel zur wirt-schaftlichen Oberschicht der baden-badischen

Residenz. Somit wird verständlich, dass er vorder erneuten Eheschließung eine genaue Auf-stellung seines Vermögens fertigen ließ.

Schwierigkeiten traten bei der Festlegungdes Vermögensanteils des Sohnes aus ersterEhe auf. Die erste Ehefrau Magdalena Klehehatte ein nicht unerhebliches Vermögen mit indie Ehe eingebracht. Hinzu kamen die Kostenfür die Ausbildung, die der Sohn JohannSimon Azone in Straßburg genoss. Sein Vaterübernahm Zeit seines Lebens nur widerwilligVerantwortung für seinen erstgeborenen Sohn.Diese Rolle übernahm der Großvater.

Mit der Heirat seiner zweiten Ehefrau über-nahm Franz Azone das Gasthaus zum Kreuz;er starb 1788.

Johann Simon Azone (n. e. – n. e.)Auch wenn Johann Simon zum Mittelpunkt

von wahrscheinlich sehr heftigen Auseinander-setzungen wurde, so ist über ihn so gut wienichts bekannt. Wir wissen weder genaueresüber seine Geburt, noch etwas über sein Lebenoder auch nur, wann er gestorben ist.

Franz Simon Azone (junior) (n. e. – 1804)Die nächsten nachweisbaren Spuren der

Familie Azone datieren aus dem Jahr 1804.Franz Simon Azone starb in den VereinigtenStaaten, in Philadelphia. Das Rastatter Ober-amt ließ im Rastatter Wochenblatt eine Vor-ladung verkünden34. Das Amt forderte etwaigeGläubiger Azone’s oder „diejenigen, welche anseine Verlassenschaft einigen Anspruchmachen zu tun glauben“35 dazu auf sich zumelden, damit die Immobilien, die FranzSimon Azone noch in Rastatt besaß, verteiltwerden konnten.

Walburga Azone (1793–1858)Walburga Azone starb am 7. Juni 1858 im

Alter von 76 Jahren und vier Monaten. Sie warmit dem Rastatter Hofgärtner Enssle verhei-ratet. Walburga Enssle war vermutlich dasletzte Kind des Handelsmannes und KreuzwirtsFranz (senior) Azone und Magdalena Klehe.

Johann Baptist Azone (n. e. – n. e.)Johann Baptist Azone war Oberamtsaktuar

und in dieser Funktion am Oberamt Rastatt be-schäftigt. Verheiratet war er mit Magdalena Heydt.

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Albert Azone (1818 – n. e.)Sein Sohn Albert Azone ergriff den Lehrer-

beruf. 1842 war er Unterlehrer in Au am Rhein,1865 Hauptlehrer in Malsch. Insgesamt war erzweimal verheiratet36.

Hermann Azone (1876–1893)Hermann Azone war von Beruf Schmieds-

gehilfe und blieb Zeit seines Lebens unverhei-ratet. Sein Vater war Wilhelm Azone ausRastatt, die Mutter stammte aus Bischweier37.Mit dem frühen Tod Hermann Azones ver-wischen sich die Spuren dieser Familie inRastatt.

Johann Baptist Balbiano (n. e. – 1724)1701 erwarb Johann Baptist Balbiano aus

dem italienischen Lenno in Heidelberg dieBürgerrechte.38 Es soll sich zu diesem Zeit-punkt auch eine Familie Balbiano in Rastattbefunden haben39. 14 Jahre danach, im Mai1715, kaufte der in Rastatt wohnhafte KrämerJohann Baptist Balbiano einen Teil des „beidem Schloß stehenden Modellhauses“ von demehemaligen markgräflichen Sekretär AndreasHubertus Erbenius40. Am 5. Dezember 1724starb der „Italus“ Johann Baptist Balbiano inRastatt41. Verheiratet war er mit Helena, einegeborene Marinelli. Helena Balbiano starb nurwenige Jahre danach, am 16. Oktober 1727. Obes sich bei den beiden namensgleichenBalbiano’s in Heidelberg und Rastatt um eineeinzige Person handelt, konnte nicht ermitteltwerden und wird daher offen bleiben. Bei derGeburt des Kindes Anna Franziska Balbiano imMärz 1717 waren der Hofbuchdrucker FranzGeorg Tusch und die Frau des HofmusikersFischer, Franziska, Taufzeugen42. 1729 wurdeder Sohn Johann Christian Balbiano in Rastattkonfirmiert43. Eine Tochter von Johann Baptistund Helena Balbiano, Johanna, heiratete imMai 1730 den Hoftrompeter Anton Swoboda.Trauzeugen der Hochzeit waren die beidenHoftrompeter Franz und Anton Zwiffelhoffer44.Anton Swoboda stammte aus Bilgram inBöhmen und kam etwa 1700 dort zur Welt45.Aus der Ehe von Johanna Balbiano und demHoftrompeter („tubicien aulicus“) entstamm-ten 14 Kinder, die alle in den Jahren 1731 und1753 zur Welt kamen, Swoboda starb am9. März 1759 im Alter von 50 Jahren in Rastatt.

Swoboda war nicht nur Trompeter, sondernauch Wirt des Hirschen46 in Rastatt. EineTochter Maria Anna Swoboda war als Sopra-nistin und Kammersängerin am Rastatter Hofbeschäftigt. Sie sang die Partie der Albina im„Scherzo Pastorale“, die Sylvia in der „Isoladisabitata“ und die der Clomyris in „Imeneo inatene“. Im Jahr 1772 wurde sie pensioniert47.Die Patenschaft der beiden Hofbediensteten,sowie die Heirat der Tochter mit dem Hof-musiker vermittelt eine enge Beziehung derBalbianos zum Hofe selbst. Vielleicht lieferteBalbiano Waren für die Markgräfin? Neben derGeschäftstüchtigkeit, die vor allem der ersteBalbiano an den Tag legte, zeichnete sich dieFamilie auch durch einen Hang zur Musikali-tät aus, die in dem Beruf der Enkelin JohannBaptist Balbianos zum Ausdruck gelangt.

Petrus Paulus Berna (n. e. – 1771)Der Bürger Petrus Paulus Berna wurde im

Juli 1771 in Rastatt beerdigt. Er war als Kamin-feger am Rastatter Hof tätig und heiratete dieBürgerstochter Juliana Schmalholz, derenVater im Murgtal und in der Stadt Baden-Baden mehrere Sägemühlen betrieb. ZweiSöhne, Josef Alois und Anton Johann kamen1759, bzw. 1762 auf die Welt. Berna muß dem-nach bereits vor 1759 in der MarkgrafschaftBaden-Baden eingewandert sein, ob er aber indiesen Jahren als Kaminfeger am markgräf-lichen Hofe tätig war, ist nicht belegt, ist aberzu vermuten.

Josef Berna (1759–1832)Der älteste Sohn Josef Berna übernahm das

Geschäft seines Vaters Petrus Paulus underlernte den Beruf des Kaminfegers. Viel istvon diesem Rastatter Bürger nicht bekannt.1811 hielt sich der Teilungskommissär Bernaauf französischem Gebiet auf48. Einzigartig istaber eine von Berna selbst angefertigte weißgehöhte Lithographie der „dicken Eiche“ aufder Rheinau, die 1823 entstand und von dersich ein Exemplar im Stadtarchiv Rastatterhalten hat. Josef Berna besaß ein nichtgeringes künstlerisches Geschick, dies verrätseine Darstellung, die weder laienhaft oderhölzern wirkt. Mit sicherer Hand hielt derKünstler eine natürliche Besonderheit ver-gangener Tage fest und schaffte es somit, der

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Nachwelt einen Eindruck von der gewaltigenGröße des Baumes zu vermitteln, der schonzum Entstehungszeitpunkt der Lithographiezu verfallen drohte. Um die Ausmaße undBesonderheit des Baumes zu unterstreichen,bediente sich Berna eines einfachen aberwirkungsvollen Stilmittels, er bildete auf derrechten Blattseite zwei erwachsene und insGespräch vertiefte Männer ab und betont damitdie Ausmaße des Baumes, er übertrug ge-wissermaßen die natürlichen Größenverhält-nisse auf die bildliche Darstellung. Zehn Jahrenach Entstehen des Bildes wurde in einer 1833erschienenen Februar-Ausgabe des RastatterWochenblattes das Gedicht „Die tausendjäh-rige Eiche bey Rastatt“ veröffentlicht. DerAutor bleibt anonym, nur ein „B…“ gibt einenwagen Hinweis auf den möglichen Autor. Wares vielleicht doch Josef Berna? Sein Todes-datum spricht dagegen, denn im August 1832wurde er begraben. Möglich scheint auch eineUrheberschaft des Verlegers Peter Birk, demHerausgeber des Rastatter Wochenblattes, oderdes Kommissärs Becht, der einen Bericht überden schlechten Zustand der sogenannten„tausendjährigen Eiche“ verfasste49.

Christian Berna (1782–1845)Sein Sohn, der Ratsverwandte Christian

Berna, heiratete in erster Ehe FranziskaKraft50. Christian Berna brach mit der Tradi-tion der Familie und ergriff nicht den Berufseines Vaters oder Großvaters. Er wurde nichtKaminfeger. Das erste Kind kam 1813 zurWelt. Im Kindertotenbuch der Pfarrei St.Alexander ist der Tod des zweiten(?) KindesMaria am 10. August 1818 vermerkt. ChristianBerna entschied sich für ein gänzlich anderesMetier: Durch die Heirat mit seiner erstenFrau Franziska übernahm er das Gasthaus zurBlume. Diese Gastwirtschaft gegenüber demheutigen Rathaus – damals noch Markthalle –hatte bereits der Schwiegervater, der Metzgerund Wirt Karl Kraft, inne gehabt, der denBetrieb nur zu gerne in die Hände seinesSchwiegersohnes übergab. Berna engagiertesich darüber hinaus bis 1830 als „Direktor derKirchenmusik“ und führte auch „die desfall-ßige Verrechnung“51. Seine Nachfolge über-nahm der städtische Organist OberlehrerEkert. Das politische Amt des Stadtrats nahm

er sehr ernst und engagierte sich auch darüberhinaus. Zur Wahl des Badischen Parlaments1842 im Ständehaus in Karlsruhe wurdeBerna als Wahlmann für den ersten Distriktgewählt52. Berna genoss bei seinen Zeit-genossen hohes Ansehen, zudem war er alsintegre Persönlichkeit in der Öffentlichkeitbekannt, denn nur so ist es zu erklären, dass erals Wahlmann zum Zuge gekommen war.Weniger eine Rolle gespielt hat sein eigenesVotum für einen bestimmten Abgeordneten.Bei den Wahlen für das Ständehaus war er inkeinster Weise seinen eigenen Wählern bei derStimmabgabe verpflichtet. Die wahlberech-tigten Bürger konnten zwar ihre eigenenStimmen delegieren, sie hatten aber keinenAnspruch auf das Wahlverhalten ihres Wahl-mannes, die Wahlen waren geheim. Natürlichwäre es interessant gewesen zu erfahren, fürwen Berna stimmte. Seine politische Über-zeugung aber kennen wir nicht.

Nicht zu klären ist, warum Berna erst 1816um das Bürgerrecht ersucht hat, ob es am Ver-mögen scheiterte oder an anderen Umständen,bleibt unklar. Zudem hatte Berna einen Sitz imStadtrat und war als Teilungskommissär, wiesein Vater, für das Oberamt Rastatt(?) tätig.Wahrscheinlich übte Berna dieses Amt schonvor 1813 aus, denn bei der Taufe seines SohnesAlbert übernahm der Amtsrevisor des Bezirks-amts Ludwig Lump die Patenschaft für denBuben. Das Amt des Teilungskommissärs istteilweise mit dem eines heutigen Notars oderNachlassverwalters zu vergleichen und erfor-derte naturgemäß viel Fingerspitzengefühl.Unter großer Anteilnahme der Rastatter Be-völkerung musste Berna seine Frau Franziska,die nach langem Leiden verstarb, zu Grabetragen. Nur ein Kind, eine Tochter, überlebtedie Mutter. Wenig später, im Jahr 1832, hei-ratete Berna ein zweites Mal. Die aus dieserEhe stammende und scheinbar einzige Tochterwird nach der ersten Frau Bernas benannt:Franziska Sophia. Die Heirat dürfte im ge-schäftlichen Interesse Bernas geschlossenworden sein, denn Rosalia Berna, einegeborene Bayer, hatte bereits als Tochter desAdlerwirts in Rastatt genügend beruflicheErfahrung sammeln können, vor allem was dieFührung eines Gasthauses anbetraf. Insgesamtführte Christian Berna mit seinen beiden

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Ehefrauen und wohl auch mit Hilfe der Kinder29 Jahre lang das Etablissement, das nichtzuletzt wegen der großen Anzahl seiner Gäste-zimmer schon zum damaligen Zeitpunkt alsHotel bezeichnet werden durfte. ChristianBerna war kein unvermögender Mann. Im Rah-men der Abwicklung seiner Nachlasssache, die1845 im Rastatter Wochenblatt angekündigtwurde, erfahren wir, dass Berna Eigentümerdes Gasthauses zur Blume war. Weitausinteressanter ist aber – das Gasthaus wurdeversteigert – dass das Anwesen genauestensbeschrieben wird: „Dieses Gasthaus, auf wel-chem die Realwirthschafts-Gerechtigkeit ruht,hat Stallung für 12 Pferde, und enthält imuntern Stock: 1 großes Wirthszimmer, 1 ge-räumiges Speisezimmer, 3 weitere Neben-zimmer und eine geräumige Küche, worin sichein laufender Brunnen befindet. Im obernStock: 11 Zimmer, 1 Küche und 1 großerSpeicher. Unter dem Hause befindet sich eingewölbter und 2 Balkenkeller. Mit diesemWirthschafts-Gebäude wird noch eine gegen-über liegende zwystöckige Scheuer, nebsteinem Pferd- und Kuhstall und einem kleinenGeflügelhof verkauft.“53 Nach dem Tode Bernaserwarb 1845 der Kasernenverwalter Georg

Martin das Wirtshaus, das sich „im bestenZustande“ befand und „wegen seiner vortheil-haften Lage eine sehr bedeutende Frequenz“hatte54. Der auf den 17. Juni 1845 anberaumteerste Versteigerungstermin erbrachte nicht dasgewünschte Ergebnis, so dass Notar Süß fürden 9. Juli einen zweiten Termin ansetzte.Neben der „Blume“ besaß die Familie Bernamehrere Wiesengrundstücke, mit deren Ertragsie Heu für die in der in den Stallgebäuden derGastwirtschaft untergebrachten Pferde anbie-ten konnte55. Nach der Aufgabe der „Blume“war dies nicht mehr notwendig. Die Heuerntewurde versteigert. Bereits im Dezember 1848wird Fidel Frey als Pächter der „Blume“genannt, Frey hatte sich bei den revolutio-nären Ereignissen in Rastatt engagiert undmusste aus politischen Gründen seine Tätig-keit als Wirt aufgeben, er wurde im Juli 1849inhaftiert. Besitzer des Gasthauses blieb wei-terhin Georg Martin, bzw. seine Witwe.Friederike Martin verkaufte das wertvolleAnwesen im März 1848 an Joseph Augenstein,der seinem Sohn Barnabas „die zweistöckigeBehaußung mit Stallungen … in der StadtRastatt gelegen nebst der auf dem Haußeruhenden Realwirtschafsgerechtigkeit zur

Rastatter Marktplatz mit Bernhardusbrunnen und Stadtkirche. Um 1910. Kreisarchiv Rastatt

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Blume“ über ein Jahr später im Juni 1849 fürden Kaufpreis von 15 000 Gulden übertrug56.Christian Berna starb am 23. April 1845 imAlter von „62 Jahren, 5 Monaten und 23 Ta-gen“ in Rastatt.

Albert Berna (1813–1831)Der Sohn Albert, der 1813 auf die Welt kam,

erhielt zusammen mit dem Vater 1816 die Bür-gerrechte, später wurde er auf das RastatterLyceum geschickt. Bis 1830 ist er dort alsSchüler nachweisbar und war in diesem JahrAbsolvent der „Dritte[n] Klasse, Zweite Abtei-lung“. Insgesamt gab es am Rastatter Lyceumacht Klassenstufen, die in vier Klassen und dortwiederum in jeweils zwei Abteilungen gegliedertwaren57. Da Albert Berna 1831 nicht mehr inden Namenslisten auftaucht, muss er das Schul-jahr vorzeitig abgebrochen haben58. Denn dieSchulprogramme nennen nur diejenigen Schü-ler, die die jeweiligen Klassen auch bis zum(Schul-)Jahresende besucht haben. Der Grundfür die Nichtnennung ist schnell gefunden.Albert Ludwig Berna verstarb im Juli 1831 imBeisein eines praktischen Arztes und eines Lei-chenschauers. Anzunehmen ist, dass der jungeMann schon seit längerem an einer Krankheitoder an den Folgen eines Unfalles gelitten hatte.

Albert Berna hatte seit Herbst 1823 – dasSchuljahr war mit den Prüfungen im Septem-ber jeden Jahres zu Ende – das RastatterLyceum besucht. Jahr für Jahr ist er in denSchülerlisten nachweisbar. Er scheint einguter Schüler gewesen zu sein, denn wieder-holt hat er keine Klassenstufe. Der Sterbe-bucheintrag vermerkt, dass Berna „Phi-losophie-Student“ gewesen war. Dies hätteauch bedeuten können, dass der junge Mannzunächst ein Studium an einer der beidenbadischen Landesuniversitäten in Freiburgoder in Heidelberg aufgenommen hatte. Eshandelt sich aber um eine fehlerhafte Schluss-folgerung, denn schon aus der chronologi-schen Abfolge der Geschehnisse war diesesnicht möglich. Die letzten beiden Klassen (ver-gleichbar der gymnasialen Oberstufe) warendem philosophischen Studium vorenthaltenund wurden auch als philosophische Klassenbezeichnet. Insofern war der Begriff „Philo-sophie-Student“, den das Kirchenbuch nennt,durchaus zutreffend. Berna war also nicht an

einer Universität immatrikuliert, sondern tat-sächlich bis zu seinem frühen LebensendeSchüler des Rastatter Lyceums gewesen. Mitseinem Tod starb der italienische Namen Bernain der vierten Generation in Rastatt aus. Nurnoch in Offenburg existiert die Familie.

Eduard Berna (1843–1879)1870 starb der 27 Jahre alte Kaufmann

August Eduard Berna in Offenburg59.

Johann Peter Berna (n. e. – n. e.)Im Kirchenbuch Band der Pfarrei St. Ale-

xander wird ein Johann Peter Berna genannt.In welchem Zusammenhang er zur Familie zusetzen ist, ist unbekannt.

? Balone (1705–1732)1705 bezahlt der Bürger Balone Standgeld

für einen Marktstand in Rastatt, 1709 erscheinter wiederum als Bürger, 1732 starb er.

Josef Adam Bordollo (Bordolo) (n. e. – n. e.)Die Wahl des Hofgerichtsrats Josef Adam

Bordollo zum Wahlmann hielt 1831 nichtstand, weil nicht alle Stimmzettel eigenhändigausgefüllt und nicht alle Einladungen pünkt-lich erfolgt waren60.

Hermann Bordolo (n. e. – n. e.)Der Schüler Hermann Bordolo aus Rastatt

besuchte im Schuljahr 1827/28 die 3. KlasseKlasse des Lyceums (Ludwig-Wilhelm-Gym-nasium), 1829/30 die vierte Klasse.

Marc Aurel Bordolo (n. e. – n. e.)Die Familie Bordolo war zudem in Gengen-

bach nachzuweisen. Der von dort stammendeMarc Aurel Bordolo war im Schuljahr 1929/30Schüler der ersten Klasse 2. Abteilung.

Andreas Brenta (Brentano) (n. e. – n. e.)Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts ist

der italienische Handelsmann Andreas Brentain Rastatt nachzuweisen. Die Stadtrechnungdes Haushaltsjahres 1700 vermerkt, dass Bren-ta die Jahrespacht für seinen Marktstand inHöhe von 9 Kreuzern, das ist der übliche Be-trag, den auch alle anderen Marktbeschickermit Ausnahme der jüdischen Händler ent-

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richten mußten, bezahlt hat. Er gehörte vonBeginn an zum festen Kreis derjenigen Händ-ler, die in Rastatt ein Marktgeschäft betrieben.1702 hatte Andreas Brenta den Status einesHintersassen inne und leistete dafür das „Hin-tersaßengelt nach ordnung und herkommens“in Höhe von einem Kreuzer61. Am 13. Septem-ber 1717 heiratete seine Tochter ClaudiaBrenta einen Josef Wimbör aus Wien. DemHeiratseintrag ist zu entnehmen, dass AndreasBrenta zu diesem Zeitpunkt bereits Bürgerwar. Als Beruf gab er Krämer an. Wenn esvielleicht auch relativ lange gedauert habenmag, bis er die Bürgerrechte übertragenbekam, war Andreas Brenta einer der treiben-den Kräfte innerhalb der Handelszunft inRastatt. Er forcierte ihre Gründung, die er alsGründungsmitglied 1720 erlebte. In einemRechtsstreit des Jahres 1721 wurde AndreasBrenta vom damaligen Bühler BürgermeisterPeter Stoltz auf Zahlung von 113 Reichstalerverklagt. Der Rastatter Amtmann wurde ver-mittelnd eingeschaltet. Ob und wie der Rechts-streit beigelegt wurde, konnte nicht ermitteltwerden62. Es stellt sich berechtigterweise dieFrage, womit Andreas Brenta gehandelt hat.Glücklicherweise nennen die Rechnungs-unterlagen in zahlreichen Fällen akribisch,wozu das städtische Geld ausgegeben wurde.Brenta verkaufte Eisenwaren, wie Nägel, die ervielleicht sogar selbst herstellte. Für die Er-richtung des neuen Marktbrunnens lieferteBrenta 20 Pfund Blei zu acht Kreuzer. DieStadt kaufte bei ihm auch zwei Kalbfelle. „Dashiezu bezihet sich auf einen Trommelkübel“,für einen „tampour“ wie ergänzende Zeilenvermerken. Die Kalbfelle wurden für die Be-spannung einer oder mehrerer Trommeln ver-wendet.

Josef Dessaga (Desaga) (n. e. – 1760)Am 24. Februar 1760 starb der Bürger und

Mercator Josef Dessaga in Rastatt. Sein Todwurde in einem besonderen Kirchenbucheingetragen: im sogenannten Hof-Toten-buch63. Da in diesem speziellen Kirchenbuchnur diejenigen eingetragen wurden, die, inwelcher Form auch immer, für den markgräf-lichen Hof tätig waren, können wir davon aus-gehen, dass Dessaga Hoflieferant gewesen war.Wann Josef Dessaga nach Rastatt gekommen

war, wird Spekulation bleiben. Mit Sicherheitwird er aber zu der Italienerschar gehörthaben, die im ersten Drittel des 18. Jahrhun-derts nach Deutschland gelangten. Sein Erfolgals Geschäftsmann kann nur indirekt bewertetwerden. Ein Jahrhundert später wurde anläss-lich des Ablebens seines Enkels ein Haus in derHerrenstraße verkauft. Dieses Haus könntesich schon im Besitz von Josef befundenhaben.

Sebastian Desaga (n. e. – nach 1769)Oftmals läßt sich die Existenz von Per-

sonen nur über Umwege erschließen. So auchim Fall des Handelsmannes Sebastian Desaga.Mit dem Tod des Sohnes Josef 1848 vermerktein Eintrag im Rastatter Pfarrbuch dieVaterschaft von Sebastian Desaga. Erst dieserHinweis lieferte das Material, um in früherenKirchenbüchern nach Archivalien zu Sebastianzu forschen. Der Handelsmann SebastianDesaga und seine Ehefrau Franziska, einegeborene Müller, bekamen am 6. Juli 1762 eineTochter Maria Magdalena64. Eine Tochter Mag-dalena (dieselbe?) heiratete 1806 den Handels-mann Blasius Bauer aus St. Blasien. 1762wurde Sebastian Desaga gegen eine Entrich-tung von 22 Gulden in die Rastatter Handels-zunft aufgenommen65. Fünf Jahre darauf warer bereits deren Obermeister. Er bestätigte dieAufnahme von Johann Baptist Redolat in dieZunft der Händler66. Vor dem Jahr 1769 tratSebastian Desaga von dem gewählten Amt alsObermeister zurück. Wieder erhalten wirdurch einen indirekten Hinweis Aufschlüsseauf das wirtschaftliche Beziehungsgeflecht vonitalienischen Kaufleuten. Er unterhielt mitgroßer Wahrscheinlichkeit geschäftliche Be-ziehungen nach Lahr, denn 1768 kam dort seinSohn Josef Anton zur Welt.

Josef Anton Desaga (1768–1848)Der im Jahr 1760 geborene Kaufmann und

Bürger Josef Anton Desaga (junior) (sein Vaterwar der oben erwähnte Sebastian Desaga) warmit einer Josefa von Krieg verheiratet, diebereits im Alter von 36 Jahren verstarb (24.November 1806). Josefa kam als Tochter desRastatter Oberamtmannes Georg Christophvon Krieg zur Welt. Im September 1808 wurdeJosef Anton Desaga aus der Rastatter Bürger-

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Reisepaß des Rastatter Kaufmanns Karl Desaga. Desaga benötigte das Dokument aufgrund seiner Handelsbeziehungen v. a.in Frankreich. Ausgestellt am 26. Mai 1852. Stadtarchiv Rastatt. Repro: Walter

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schaft entlassen und nahm seinen neuenWohnsitz in Bad Rotenfels. Dort heiratete erdie Tochter eines großherzoglichen Jägers,Maria Anna Theresia Scherhammer67.Während der revolutionären Ereignisse 1848starb er. Sein Besitz wurde auf seine ErbenWilhelm, Karl, August und Theodor Desagaverteilt. Auf einen bestimmten Verteilungs-modus konnte sich die Erbengemeinschaftnicht einigen. Nur ein Verkauf schien eine füralle Seiten befriedigende Lösung zu ver-sprechen. Das Rastatter Wochenblatt meldete1852 – vier Jahre später – die Versteigerung desDesaga’schen Besitzes, die aufgrund einerrichterlichen Verfügung angeordnet wurde. Esscheint unter den Familienmitgliedern zuheftigen Auseinandersetzungen um das wert-volle Erbe gekommen zu sein. Es handelte sichum folgende Immobilien: „1. Ein zweistöckigessteinernes Wohnhaus sammt Seitenbau undAnhangbau mit Haus- und Hofplatz, nebsteinem kleinen Garten, in der Herrenstr. 54dahier, neben Bierbrauer Eduard Prinz unsAllmendgut, vornen die Herrenstraße und hin-ten Anstößer, Schätzungspreis … 10 000 fl“.Daneben sollte eine zweigiebelige Scheuer inder Ludwigsvorstadt Nr. 68 zwischen Murg-straße und Oosbach für 400 Gulden verkauftwerden. Bei dem für den 7. Septemberanberaumten Termin fand sich kein ernst-hafter Kaufinteressent, der den Schätzpreisgeboten hätte, vier Wochen später musste derNotar Ebbecke eine zweite Versteigerung imRathaus anberaumen. Diesmal war dasErreichen des Schätz- und Mindestpreisesnicht zwingend erforderlich. Das Anwesenwechselte weit unter Wert den Besitzer68.

Georg Wilhelm Desaga (1804 – n. e.)Georg Wilhelm Desaga, mit größter Wahr-

scheinlichkeit ein Sohn von Josefa und JosefDesaga, erblickte am 8. September 1804 dasLicht der Welt. Er studierte Rechtswissen-schaften und heiratete mit 34 Jahren (1836) alsRechtspraktikant und Bürger in Ettlingen dieBürgertochter Katharina Kraft (*1814)69.

Karl Desaga (1812–1879)Der Kaufmann Karl Desaga heiratete am

5. Juni 1849 die Tochter des Waldhornwirts,Karoline Hermann70. 1842 logierte ein Kauf-

mann Desaga in der Herrenstraße. Es handeltesich um das Anwesen mit der Nummer 54, daswenig später zum Verkauf angeboten wurde.Desaga hatte den unteren Stock an den „Wund-arzneydiener“ Karl Störck vermietet, der sichin einer lokalen Anzeige „für die Verrichtungdes Zahn-Ausziehens oder Aderlassens“ inseiner Wohnung empfahl71. Ob es sich bei demVermieter des Wundarztes um Karl Desagaoder dessen Vater handelte, ist nicht eindeutigzu klären. Sicher ist, dass das Haus sich imEigentum der Desagas befand. Neben demfamilientypischen Beruf des Kaufmanns unter-hielt Karl eine Vertretung für eine Versiche-rungsgesellschaft aus Elberfeld. So lesen wirim Rastatter Wochenblatt aus dem Jahr 1854:

„Vaterländische Feuer-Versicherungs-Ge-sellschaft in Elberfeld. Die im Rechnungs-Abschluß pro 1853 bis Ende 1852 laufendenVersicherungen betrugen 146 266 301 Talerund bis zum letzten Dezember 1853 –167 421 273 Taler, mithin Zuwachs im Jahr1853 – 21 154 971 Taler. Bei diesem Anlassedes vortheilhafften Abschlusses dieser Gesell-schaft empfehle ich die ,Vaterländische Feuer-Versicherung in Elberfeld“ zur Versicherungfür Mobiliar und Getreide, und werde gerneüber Alles nähere Auskunft ertheilen. Rastattim September 1854 Karl Desaga Kaufmann,Agent dieser Gesellschaft für den Oberamts-bezirk Rastatt.“72 1854 verkaufte er das Oehmdvon 10 Viertel Wiesen bei Rastatt. Karl starb1879 im Alter von 67 Jahren.

Jakob Giani (1784 – n. e.)Leider gehört Giani auch zu der Gruppe

derjenigen eindeutig nachweisbaren Italiener,über deren Lebensumstände man aber wenigweiß. Der aus Trontano gebürtige und inMühlburg wohnhafte italienische KaufmannJakob Giani heiratete im Mai 1814 in Rastattdie Tochter eines Bäckermeisters FranziskaKamm73. Damit dürfte Giani nicht zur Schichtder reichen oder zumindest wohlhabenderenBürger Rastatts gehört haben.

Johannes Massino (um1680–1746)Der italienische Handelsmann Johannes

Massino ist bereits ab 1707 in Rastatt nach-weisbar. Mit seiner Frau Maria Barbara, die1732 verstarb, hatte er mindestens sechs

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Kinder: die 1707 geborene Maria Magdalena,den zwei Jahre später zur Welt gekommenenJohannes Franziskus Albertus, die 1712 gebo-rene Maria Franziska, den 1715 geborenenFranziskus Antonius, den 1719 geborenenFranziskus Josephus und die 1721 geboreneAnna Margeritha. Am 9. 4. 1746 starb er.

Johannes Massino (1709–1781)Am 9. Juli 1736 heiratete der „Bürger und

Handelsmann in Rastatt“ Johannes Massino,der Sohn des oben genannten Johannes Mas-sino, die Witwe des verstorbenen HofmusikersJohann Christoph Buxbaum. Trauzeuge warenu. a. der in Durlach wohnende Bürger undHandelsmann Franz Massino74. JohannesMassino trat in die Fußstapfen des Vaters undwurde am 9. Februar 1745 in die „EhrsameHantels zunfft [der Stadt Rastatt, M. W.] auff-und angenohmen“75. Am 13. Februar 1748wurde Johannes Massino zusammen mit demItaliener Johann Baptist Anton zum Ober-meister der Zunft gewählt76.

Massino heiratete am 6. Februar 1746 inzweiter Ehe Katharina, eine geborene Traut-mann. Im November 1749 wird Maria Fran-ziska Valentina geboren. Die Paten waren derSenator Schelling und die Handelsfrau(Mercatrix) Franziska Primavas aus Karlsruhe.15 Monate später, im Februar 1751, kam MariaJakobea Josepha Valentina zur Welt. DiePatenschaft übernahmen Senator Schillingerund „die Frau Senatorin Josepha Schwarz“.Die Mutter der Kinder verstarb bereits am12. Februar 1764. Katharina Massino wurdeauf dem Friedhof in Rastatt beigesetzt77. 1747entrichtete Johannes Massino (junior) dasBürgergeld in Höhe von 20 Gulden. DieHandelsgeschäfte von Johannes Massino warensehr einträglich und erfolgreich. Dies bezeugteine von ihm gemachte Spende an das Fran-ziskaner-Kloster. Anlass dafür war die Beauf-tragung des Hofmalers Heinrich Lihl78 durchdie Franziskaner für Ölbilder, die Szenen ausdem Leben des Heiligen Franziskus darstellensollten79. Diese Bilder fanden im geschlossenenKreuzgang an der Wand zur Kirche desFranziskaner-Klosters ihren Platz. Massinobeteiligte sich neun Jahre vor seinem Tod miteinem außergewöhnlich hohen Betrag von 150Gulden. Sein Sohn Johannes spendete noch

einmal 25 Gulden80. Den Stellenwert, denJohannes Massino in der Rastatter Gesellschaftgenossen hatte, mag auch die Bezeichnung„dominus“, die man seinem Namen voran-stellte, verdeutlichen. Weiterhin gaben der„consilarius aulicus“81 de Dürheim, der Amt-mann Lassoley und der Revisor BaumeisterBeträge zwischen zehn und 25 Gulden für dieBeauftragung Lihls hinzu. Lihl selbst spendetedie Leinwand, verlangte aber [als Voraus-zahlung?] zehn Gulden für jedes Bild82. ZweiBilder malte er allerdings kostenfrei. Insge-samt beliefen sich die Kosten für dieses Bild,rechnen wir die einzelnen Spendenbeträge zu-sammen, auf 245 Gulden. Massino besaß meh-rere Häuser, darunter das heute nocherhaltene, aber baulich veränderte GebäudeKaiserstr. 35.

Am 5. 12. 1781 starb er hochbetagt inRastatt, mehrfach mit allen Sterbesakramen-ten versehen83.

Bernhardus Massino (n. e. – n. e.)Über die Lebensdaten und -umstände von

Bernardus Massino ist fast nichts bekannt. Erwar Ordensangehöriger, ein Frater Minores,des Franziskaner-Ordens.

Franz Josef Massino (n. e. – n. e.)Ein Bruder von Johannes Massino (junior),

Franz Josef, heiratete im Alter von 36 Jahreneine Franziska Maria Meyer, eine Kammerfrau(cupicullaria) aus Dinkelsbühl. Franz JosefMassino war Expeditor bei der markgräflichenHofverwaltung84.

Massino in KarlsruheSelbst mit dem protestantischen Karlsruhe

besaß die Familie verwandtschaftliche Ver-flechtungen. Der Karlsruher Bürger und WirtDominico Massino erhielt in den 20er Jahrendes 18. Jahrhunderts von einem in Frankfurttätigen Landsmann namens Dominico Bren-tano ein Startkapital in Höhe von 180 Gulden.Aus der Schuldverschreibung geht hervor, dassDominico Massino aus Palanzo stammte. DieseVernetzung von italienischen Händlern undKreditgebern, die sich über deutsche Wirt-schaftszentren verteilten, eröffnete einzelnennicht liquiden italienischen Händlern bessereStartchancen bei ihren Bestrebungen, in das

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Handelsgeschäft einzusteigen. Dominicus Mas-sino war der vermögendste Karlsruher Katho-lik der Gründungsgeneration85. 1715 kam eraber erst einmal nach Durlach und lebte dorteinige Jahre. In diesen Jahren baute er in dervon Händlern bevorzugten Langen Straße(heute Kaiserstraße) in Karlsruhe ein Hausund siedelte 1720 nach Karlsruhe über. Inner-halb eines halben Jahres nahm er Kapital inHöhe von 500 fl auf. Er schien sich über-schuldet zu haben und war wohl gezwungen,seine Liegenschaft zu verkaufen. Der KäuferFranz Massino wurde über den Hauskauf zumKarlsruher Bürger. Bereits zuvor schon wurdeFranz Massino 1698 in Durlach als Bürgerangenommen. Diesem war es gelungen, rechtschnell eine sichere Existenz aufzubauen. Erbesaß Haus und Grundbesitz und konnte seineFamilie sowie einen Knecht und eine Magdunterhalten86. Franz Massino war 1736 Trau-zeuge bei der Heirat des in Rastatt wohnendenJohannes Massino. Damit verstärkt sich dieVermutung einer verwandtschaftlichen Bezie-hung der beiden Familienzweige in Karls-ruhe/Durlach und in Rastatt.

Heutige Spuren der Familie MassinoIn Bietigheim ist auch heute noch eine

Familie „Masino“ nachweisbar87. Die von Mit-gliedern, namentlich Reinhard Masino, durch-geführten Recherchen haben ergeben, dass dieAnnahme einer verwandtschaftlichen Bezie-hung der beiden Familien durchaus begründeterscheint. Mitglieder der Familie Masino sindim 19. Jahrhundert in Burbach nachgewie-sen88. darunter befand sich auch ein FranzJosef Masino, dessen Namensgleichheit einefamiliäre Beziehung mit dem bereits oben er-wähnten Franz Josef Massino oder dem Karls-ruher Franz Massino nahelegt.

Johann Georg Nicollai (n. e. – n. e.)1720 wird Johann Georg Nicollai als

Gründungsmitglied im Zunftbuch Rastatterwähnt89. Am 13. Dezember 1800 kam inRastatt der spätere Lyceumsprofessor JosephNicolai auf die Welt90.

Joseph Nicolino (n. e. – n. e.)Im Jahr 1699 erhielt der aus „Vicini may-

ländisch Gebiets“ stammende Joseph Nicolino

die Baden-Badener Bürgerrechte. Ein Jahrzuvor hatte er Magdalena Nesselbach gehei-ratet. Der Ehe entstammten mindestens neunKinder, drei Mädchen und sechs Jungen. 1702erwarb Nicolino einen Bauplatz am Rothenbachvon Conradt Wehrhaim und seiner Frau für denPreis von 85 Gulden. Wortwörtlich heißt es:„Hannß Conradt Wehrhaim zu Baadten unndtAnna Maria deßen Eheliebste verkaufen ahnJoseph Nicolino Burger und Krämer allhier,unndt Maria Magdalena deßen Hausfrau einödter Hausplatz ahn der rothenbach, unddtferner die Stras. So Zinnß frey leedtig undt aigfür, und umb achzig und fünf Gulden solicheSummam biß zur Abloßung landt läufig zu ver-pensionieren.“91 Der Kauf scheint auf Ratenabgewickelt worden zu sein, denn erst imJanuar 1704 wurde der Kaufpreis vollständigbezahlt92. Der italienische Kaufmann hattewohl die Absicht, recht schnell das Grundstückmit einem Wohngebäude zu bebauen.Allerdings gab es Streitigkeiten mit demHosenstricker Jacob Meyer wegen eines schma-len Weges, der zwischen den beiden Grundstü-cken verlief. Dies blieben aber nicht die ein-zigen Zwistigkeiten im Zuge der Bebauung derbeiden Grundstücke. Nicolino bebaute, wis-sentlich oder ohne Absicht, einen kleinen Teildes nachbarlichen Grundstücks, so dass auch indiesem zweiten Streit eine Lösung gefundenwerden musste. Jacob Meyer erklärte sich miteiner Abtretung des Grundstücksteils gegeneine entsprechende geldwerte Entschädigungeinverstanden93. 1705 ersteigerte Nicolino dasAnwesen des verstorbenen Daniel Lamperer füreinen „Kaufschilling“ von 190 Gulden und 30Kreutzern. Das Anwesen umfasste „ein Haus,Scheuer- und Gartenplatz auf dem Markt“. DasGebäude und das dazu gehörende Grundstückwurden nur wenig später dem Krämer undBürger Simon Formo zum gleichen Preis über-lassen. Ein Sohn des Formo war zu diesem Zeit-punkt Pfarrherr in Elchesheim94. 1721 erstei-gerte Nicolino das Wohnhaus von SimonForma für 700 Gulden und brachte es damitwieder in seinen Besitz.

1707 kaufte Nicolino einen Bauplatz an derSonnenstaffel, den das Kloster Gengenbach ausder Erbmasse des Paters Eschenbrenner zuge-dacht bekommen hatte. Es handelte sich hier-bei um einen „abgebrannten Hausplatz hinter

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der Stiftskirche …“.95 Der „ehrsambe JosephNicolino burger und Itallianischer Kramer“ er-warb im selben Jahr noch ein Grundstück ander Sonnenstaffel. Den Preis von 191 Guldenbezahlte er bar96.

Johann Baptist Redolato (Redolat) (n. e. – 1778)Johann Baptist Benedikt Redolat[o] wurde

gegen Bezahlung eines Einkaufgeldes von 22Gulden am 20. Januar 1767 in die RastatterHandelszunft aufgenommen97.

Am 19. März 1778 starb der Bürger undHandelsmann [Johann Baptist] Benedikt Redo-lato in Rastatt, wenige Tage später, am 30. März,seine Frau Theresia98. Der gleichnamige SohnJohann Baptist Redolato wurde, nachdem ereine vierjährige Lehre bei dem HandelsmannJoseph Geiger erfolgreich hinter sich gebrachthatte, 1790 als „ein wirklich gehörend relevatioHandelsmann“ anerkannt.99

Der Schwarzacher Händler Rubolo(Ruboloni) (n. e. – n. e.)Der Bürger und Händler aus Schwarzach

Josef Rubolo verheiratete am 11. Januar 1723seine Tochter Katharina mit dem RastatterWirt und Bürger Johann Jakob Sallinger100.

Joseph Anton Tavola (n. e. – vor 1810)Joseph Anton Tavola wird 1810 anläßlich

der Verehelichung seiner Tochter Louise Tavolaals „gewester Handelsmann dahier“ genannt.Er starb bereits vor dem Jahr 1810. Über seinLeben wissen wir nichts. Nur die Tatsache, dasser mit Magdalena Varaigne verheiratet undeben eine Tochter Louise hatte, konnte er-mittelt werden. Louise Tavola heiratete imübrigen einen 36-jährigen Obristen des 12tenfranzösischen Linien-Infanterie-Regiments101.

Johann Anton Querra (n. e. – n. e.)Einer der frühesten italienischen Einwan-

derer war Anthoni Querra (wohl: JohannAnton), der 1676 als Bevollmächtigter vonBernhardt Bahs bei einem Hauskauf in Baden-Baden auftrat. Der Kaufpreis für diesesGebäude betrug 1200 Gulden.

Johann Anton Querra, der aus Mailandstammte und als Beruf Kaminfeger angab,ersuchte acht Jahre vor der Zerstörung Baden-

Badens (1689) im Jahr 1681 um das Bür-gerrecht, das er noch im selben Jahrzugesprochen bekam. Aus dem Jahr 1682 istüberliefert, dass er Winterzeug, „zutaten fürKleidung“, Stoffe, Spitze, Faden, Fischbein,uvm., verkaufte. Das Geschäft mit diesen Kurz-waren muß lukrativ gewesen sein. Bereits 1687wird er als Hausbesitzer genannt102. JohannAnton Querra war zwischen 1680 und 1689zudem als Kaminfeger tätig.

Peter Maria Querra (um 1665–1736)Im Januar 1701 tritt der Kaufmann und

Kaminfeger Peter Maria Querra103 als Mitgliedeiner Käufergruppe des Hahnhofes in Erschei-nung. Zusammen mit dem Kammerrat unddem „hochedlen und gestrengen“ Bühler Amt-mann Johann Bernhard von Weißenbach unddem Kaufmann Dufart aus Fort Louis kaufte erden Hahnenhof mit allen Wirtschaftsgebäuden,der Kapelle St. Wolfgang, und einem dazugehörenden umfangreichen Grundbesitz, wieder Allmende, dem Altacker, Müllers Gartenund dem sechsten Teil am Falkensteggut104.Der Hahnhof105 kann schon im 16. Jahrhun-dert (1545) nachgewiesen werden. So taucht inder „Ernewerung der Badener Amtbts Gefell“Erhart von Han auf, der einen „Mattenzins“,eine Form der Grund- und Besitzsteuer, zuentrichten hatte. Erhart von Han wird un-mittelbar in Verbindung mit dem Hahnhof zubringen sein. Die einschlägigen Akten des Be-zirksamtes Baden-Baden berichten sogar, dass:„nach einem Bericht von 1751 sich innen ander Wand die Jahreszahl 1490“ befand. Damitreicht die Geschichte des Gutes bis in das späte15. Jahrhundert. Das Bezirksamt stellte weiter-hin fest, dass der Hahnhof 1701 vom „Amt-mann von Weisenbach bei Rastatt und PeterMaria Zuera gekauft“ worden sei. Bei diesenAngaben stimmt allerdings nur die Jahreszahl,der angegebene Amtmann war der Amtmannvon Bühl, der zufälligerweise den Namen vonWeisenbach besaß. Zudem gab es auch keinAmt in Weisenbach zu dieser Zeit. Weiterhinheißt Querra fälschlicherweise Zuera – mansieht, auch damals gab es Lese- und Verständ-nisschwierigkeiten106.

Der Verkäufer war „der hochwohlgeboreneGraf und Herr Antonius de Lacheraine, Grafvon Lechan“ und seine Frau Maria Francisca;

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wie lange de Lacheraine den Hof besessenhaben und wie hoch der Preis gewesen war,wird bedauerlicherweise nicht genannt107.Dass Querra zu jener Zeit einer der wohl-habendsten Bürger von Baden-Baden gewesensein muss, belegt das Einzugsregister der StadtBaden-Baden aus dem Jahr 1702. Peter MariaQuerra bezahlte einen Betrag von fünf Guldenan Steuern. Dies ist die dritthöchste Summe,die in der Schatzungsliste aufgeführt wird108.Knapp ein Jahr später verpfändete der KrämerGervaes Dufart seinen Anteil am Hahnhof anQuerra für 150 Gulden109. Für Querra war derKauf des Gutes ohnehin nur wirtschaftlicherNatur. So belieh er „für sich und im namenseines Schwagers Baaß Baaß“ den Hof 1721mit 900 Gulden. 1716 hatte er sich, mit demHahnhof als Sicherheit, schon einen respek-tablen Betrag von dem Bürgermeister JohannAdolph Stephani geliehen110. 1735 nahm derSchwager Querras, Baaß Baaß, 2000 Gulden zueinem Zinssatz von 5% bei dem „Burger undHandelsmann zu Rastadt“, Johann Massino,auf und belieh den Hahnhof mit diesem Be-trag. Baaß Baaß und sein Sohn Andreaszahlten mit diesem Geld Schulden an das„Gotteshaus Lichtental“ zurück. 1739 mussteder Besitz wiederum für eine „Obligation“herhalten und wurde zusammen mit dem„Haus am Markt“ mit 716 Gulden und 31Kreutzer beliehen. Dieses Stadtgebäude deritalienischen Familie Baaß befand sich zwi-schen den Wohnhäusern von Kammerrat Dyh-lin und dem von Dietrich Straubhar111. Die

Geldgeschäfte erscheinen uns auch heute nochkaum überschaubar und verwirrend.

Peter Maria Querra übernahm im Juni 1703die Aufgabe eines Notars oder Rechtsanwaltes: ertrat als Urkundsperson bei einem Verkauf einesGeschäftes in Baden-Baden in Erscheinung. SeinHonorar betrug 1,5% der Kaufsumme112. DieseTätigkeit begegnet dem Betrachter immerwieder bei der Durchsicht der Bürgermeister-rechnungen. Daneben besaß der italienischeKaufmann ein gutgehendes Kreditvergabege-schäft, denn im Mai 1717 wird ein Vorgang kund,der ihn als Geldverleiher in Erscheinung tretenlässt. Der verstorbene Kammerdiener FrantzArmbruster, er war bei Baron von Plittersdorfbeschäftigt, hatte bei Querra den Betrag von 110Gulden geliehen. Armbruster hatte von dieserSumme 100 Gulden weiterverliehen und zwaran den Moßbacher Apotheker Johann AntonLeon. Die Mutter des „vor etlichen Jahren ver-storbenen“ Armbruster übernahm die Ver-pflichtungen ihres Sohnes. Sie verpflichtete sichdie Summe von 10 Gulden an Querra zurück-zuzahlen. Um die Sache zu einem Abschluss zubringen, erledigte auch der erwähnte ApothekerLeon seine Verbindlichkeiten in Höhe von 100Gulden nebst dem angefallenen Zinsbetrag von22 Gulden113.

In einer Erbsache taucht Querra wiederumals Kreditgeber auf. Ein gewisser AnthonRubbert war Querra 100 Gulden schuldig,Schulden, die dieser ohne Wissen seiner Frauschon in Italien aufgenommen haben soll114.Wiederum belegt ein Sterbefall die Tätigkeit

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Schloss Rastatt. Architekt Domenico Egidio Rossi. Ansicht aus der Historia Zaringo Badensis.Foto: Matthias Hoffmann, Kreisarchiv Rastatt

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Querras in Mittelbaden. Bereits 1709 hatteQuerra an den Seiler Conradt Simon ausAchern Geld verliehen, von dem zum Zeit-punkt des Todes des Simon noch 20 Guldenausgestanden haben sollen. Bereitgestelltwerden sollten diese Mittel, so forderte Querraausdrücklich, aus dem Erlös eines Hausver-kaufes. Querra selbst war es eilig in dieserSache, da er zu diesem Zeitpunkt vor hatte „inItaliam zu verreisen“. Da der Hausverkaufnicht schon zuvor hatte abgewickelt werdenkönnen, setzte Querra seinen Schwager BahsBahsen (d. i. Baß Baß, M. W.) als Bevollmäch-tigten ein115. Querra unternahm mehrereReisen. Das Bürgermeisteramt stellte ihm1722 und 1727 Reisepässe aus. Eine dieserReisen unternahm er mit Josef Nicolini116.Daneben betrieb Querra ein Groß- oder Einzel-handelsgeschäft. Die Stadtverwaltung ordertebei ihm mehrmals Papier, Schreibfedern oderTinte117. Auch verkaufte er Eisenfarbe undBaumaterialien wie beispielsweise Ziegel. DieStadt kaufte bei ihm im Jahr 1705 4000 Ziegelfür das „Bordhaus“118.

Johann Baptist Querra (n. e. – 1721)Von einem weiteren Mitglied der Querra-

Familie wird im Totenbuch der StiftskircheBaden-Baden berichtet: Am 23. März 1721 ver-starb der „ledige Italus“ Johann Baptist Querrain Baden-Baden und wurde dort beigesetzt119.

3. ITALIENISCHE KAMINFEGER

Andreas Baß (n. e. – n. e.)Seit dem Jahr 1669 ist Andreas Baß als

Kaminfeger in der Stadt Baden-Baden tätig.Diese Tätigkeit übte er 10 Jahre lang aus undübergab das Geschäft 1680 dem schonerwähnten Johann Anton Querra120. Die Gebührfür die Reinigung pro Jahr und Haus betrugzwei Gulden. Etwa 10 Mal wurden die Kamineim Verlauf des Jahres gereinigt. Der Preis füreine einzelne Reinigung betrug 20 Kreutzer.

Die Familie Baß gehört neben der FamilieQuerra zu den am frühesten genannten italie-nischen Einwanderern.

Bernhard Baß (Baß Baß) (n. e. – n. e.)Für das Jahr 1676 ist die Anwesenheit von

Bernhardt Baß in der Markgrafschaft Baden-

Baden gesichert. In der Bürgermeisterei-Rech-nung der Stadt Baden-Baden aus diesem Jahrwurde „dem Kaufmann und Caminfeger vonMaylandt“ Bernhard Baß ein Siegelgeld für dieBeurkundung eines Kaufvertrages in Höhe vonzwei Gulden und neun Kreutzern in Rechnunggestellt121. Aus dem selben Band geht hervor,dass Baß Bürger der Stadt wurde und dafüreinen Betrag in Höhe von fünf Gulden be-zahlte. Im selben Jahr kaufte Bernhardt Baßeine „auf dem Markt gelegene Behausung“ für1200 Gulden. Als Verkäufer fungierte dermarkgräflich-badische Kammerrat JohannHeinrich Plückner122. Da der „Handelsmann“Baß zum Zeitpunkt des Vertragsabschlussesauf Reisen war, wurde er von Johann AntonQuerra vertreten; Querra und Baß arbeiteteneng zusammen.

Andreas Baß (junior) (n. e. – n. e.)Im Jahr 1730 übernahmen Andreas Baß

und Salome Nicolini die Patenschaft über dasKind Salome Werner. Andreas Baß studierte zujener Zeit – in Frage kommen hier nur die Uni-versitäten Freiburg und Heidelberg – undbelegte das Fach „Logica“. 1733 übernahm der„Italus“ Andreas wieder die Rolle eines Paten-onkels für ein kleines Mädchen, das aber schonwenige Wochen später als Säugling starb.

Am 22. Oktober 1737 heiratete Andreas Baßdie aus Karlsruhe stammende Kaufmanns-tochter Maria Elisabetha Baumann. Die Ehewurde von Pfarrer Leo aus Sul[z]bach geschlos-sen. Im Dezember 1738 kam der Sohn JohannBernhard zur Welt. Paten waren der „Baltreits-wirt“ und Metzger Anton Huber (Hyber?) undCatharina Krafft, die Ehefrau des Senators undBlumenwirts Ignatz Krafft. Vier Jahre späterwurde das zweite Kind Maria Theresia geboren.Mittlerweile hatte Andreas Baß Karrieregemacht. War er 1738 „nur“ Handelsmann(Mercator), so bekam er in der Zwischenzeit dasbadische Bürgerrecht zugesprochen und warmittlerweile in der Verwaltung der Mark-grafschaft tätig: er übernahm die Funktioneines „Zollbereiters“ (vegtigalium scriba)123.

Johannes Ballas (n. e. – 1731)Im August124 des Jahres 1720 heiratete der

in Rastatt ansässige Kaminfeger JohannesBallas, Margaretha Eberle, die Tochter des

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„faber lignarius“125 David Eberle und dessenFrau Margaretha. Bei dieser Feier war auch derschon bekannte Italiener Petrus Maria Querraanwesend126, den das Ehenbuch der Pfarrei St.Alexander einen „italo-badensi“ also einen„Italien-Badener“ nennt. Weiter waren dieEltern der Braut anwesend, wie auch zahlreicheweitere Rastatter. Vielleicht waren auch Ita-liener aus dem Freundeskreis bei der Heirat vonJohannes und Margarethe Ballas zugegen. Aus-drücklich nennt das Ehenbuch „pluribus alliis“,also „zahlreiche andere“127. Ballas starb 1731;über sein Geburtsdatum ist nichts bekannt128.

Johann Andlon Bisone (Bisoni) (n. e. – n. e.)In den 1730er Jahren ist der Rastatter

Kaminfeger Johann Andlon Bisone nach-zuweisen. Bisone bewies Geschäftstüchtigkeit.Er hatte mindestens zwei weitere italienischeKaminfegergesellen eingestellt: Roman Sympaund Leonhart Rondlon129.

Johann Baptist Bisone (Bissone, Pisone)(n. e. – 1762)Der Kaminfeger Johann Baptist Bisone

war mit einer Witwe Maria Barbara verhei-ratet. 1732 wurde eine Tochter Agnes Barbarageboren und getauft130. Ein Sohn JohannBaptist Anton kam drei Jahre später, am19. November 1735, zur Welt131. Am8. Oktober 1736 wurde das neugeborene KindMaria Franziska Barbara getauft132, im April1738 der Bub Josef Antonius Valentinus133.Patin des Kindes war Marie Agnes Azone. DieBisones stammten sehr wahrscheinlich, wiedie Familie Azone, aus Lenni (Lenno). DerVater Johann Baptist Bisone starb am16. Oktober 1762 als Bürger, seine Frau MariaBarbara am 11. April 1777.

Josef Bisone (1738–1790)Im Januar 1767 heiratete der 29jährige

Josef Bissone Magdalena Krechtler in derRastatter Stadtkirche St. Alexander134. DieAbsicht der beiden sich zu verehelichen, wurdeerst nach besonderer dreimaliger Ausru-fung135, also Bekanntgabe des Heiratstermineslegitimiert. Wenige Tage vor Heiligabend desJahres 1768, fast zwei Jahre waren seit der Hei-rat vergangen, wurde das Kind Maria Agnes

durch den Rastatter Priester Schaeffer ge-tauft136. Bei der Taufe zugegen war auch dieWitwe des verstorbenen Johannes BaptistAzone, die das Kind bei der Taufe in den Armenhalten durfte und die Taufpatin des Mädchenswar137. Wie so häufig, die Kindersterblichkeitwar bis weit in das 19. Jahrhundert hinein sehrhoch, starb das Kind Maria Agnes schon imSäuglingsalter, im Alter von nicht einmal sechsMonaten. Aufgrund dieser hohen Sterberatebei Kindern führte Pfarrer Schaeffer sogar eineigenes Totenbuch speziell nur für verstorbeneKinder. Das kleine Mädchen wurde auf demFriedhof in Rastatt begraben138. Die Begräbnis-feier nahm Pfarrer Schaeffer selbst vor139.Bissone selbst starb 1790, 12 Jahre späterseiner Witwe140.

Die Bisones sind bis zum Ende des aus-gehenden 18. Jahrhunderts in Rastatt und inBaden-Baden nachweisbar. Der aus Rastattstammende Sohn eines herrschaftlichen Werk-meisters Karl Köpple wollte 1797 „die Tochterder Bysonischen Witwe heiraten.“ Die StadtBaden-Baden zeigte sich an einer AnstellungKöpples sehr interessiert141.

Ein Bisone ist noch 1808 in Ettlingen alsKaminfeger nachgewiesen, danach verlierensich die Spuren dieser italienischen Familie.

Joseph Nicolino (Nicolini) (n. e. – n. e.)Die Erstnennung dieses Italieners datiert

aus dem Jahr 1703. Der Kaminfeger JosephNicolino „fegt“ zwei Kamine in Martin VogelsHaus „vor die granken soldaten“142. Dafür be-rechnete Nicolino den üblichen Preis in Höhevon 20 Kreutzern. Nicolino teilte offensicht-lich den Kaminfegerbezirk mit anderen,darunter in der Mehrzahl Italiener: JohannSchabeneth, Dominicus Vidolini und JosephMaria Querra. In den 20er Jahren des 18. Jahr-hunderts übte Johann Bruzetti diesen Berufaus.

3. ITALIENISCHE HANDWERKER

Der Metzger Peter Anton Dita (n. e. – n. e.)Peter Anton Dita heiratete im November

1726 Katharina Birnstill, die Witwe des Metz-gers Nikolaus Birnstill. Der Vater von Dita warein Bürger und Metzger aus Alt-Breisach143.

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Der Schneider Anton Malo (n. e. – 1760)Der Bürger und Schneider Anton Malo

starb im Januar 1760 in der Residenz Rastatt.Malos Spuren haben sich durch einen Eintragim Hofkirchenbuch aufspüren lassen. Mit derNennung dieses Schneiders in diesem für denHof angelegten Kirchenbuch ist belegt, dass erfür den markgräflichen Hof arbeitete. Maloließ sich für längere Zeit in Rastatt nieder,denn am 24. Januar 1785 heiratete der WitwerAnton Malo (wahrscheinlich ein Sohn) dieRastatterin Magdalena Haeg, die Tochter desBürgers und Schneiders Anton Haeg.

Der Mundkoch Matton[i] (n. e. – n. e.)Ein gewisser Mattoni wird in den ein-

schlägigen Quellen als Mundkoch genannt.Legt man dieser zugegebenermaßen wenigaufschlussreichen historischen Informationdie Annahme zugrunde, dass Mattoni seinenBeruf bereits in Italien gelernt hatte, so ließesich daraus folgern, dass auch die italienischeKüche in Rastatt bekannt war oder, was meinesErachtens auch denkbar wäre, dass Italienerschon im 18. Jahrhundert nicht auf ihre eigeneheimatliche Küche verzichten wollten.

Die Ziegelfabrikation in der Region – zum Teil in italienischer HandDie Geschichte der Ziegelfabrikation ge-

rade in Rastatt ist zu einem großen Teil auchdie Geschichte von Menschen aus Italien. Überdie Protagonisten selbst kann nur wenig inErfahrung gebracht werden, wohl aber überihr Tun und ihre Beziehungen zur Stadt, die inden Archivalien dokumentiert sind. Um dieWende vom 17. zum 18. Jahrhundert ent-wickelte sich eine Zweigleisigkeit, was dieUnternehmungen in der Rastatter Backstein-produktion betrifft. Zum einem gab es diestädtischen Ziegler, zum anderen aber diemeist italienischen „Ziegler auf dem RöttererBerg“, die in der Regel für herrschaftlicheProjekte Baumaterialien lieferten.

Die ältesten noch erhaltenen Bürger-meisterrechnungen belegen schon vor derStadtwerdung Rastatts einen Ziegeleibetrieb.Der Ziegler Christian Sachser erhielt im Jahr1696 von der Stadtverwaltung eine Ziegelei„erblehensweise“. Dafür hatte er jährlich 30Gulden zu bezahlen, die Ziegelhütte aber

musste er auf seine eigenen Kosten neuerbauen. Das Vorgängergebäude war – davonmüssen wir ausgehen, auch wenn es dafürkeinen ausdrücklichen Beleg gibt – ein Opferder kriegerischen Ereignisse 1689 geworden.Was das Handwerkszeug betraf, welches derZiegler für seine Arbeit benötigte, zeigte sichdie Stadt großzügig und übernahm nicht nurin einem Fall die Kosten für die Anschaffungvon Ziegelformen, die man unter anderem beidem Juden Koppel von Malsch kaufte. DieZeiten waren aber noch immer unruhig.Sachser konnte seiner Arbeit nicht in demMaße wie gewünscht nachkommen. Immerwieder scheinen militärische Aktionen denProduktionsablauf unterbrochen zu haben.1696 wurden ihm fünf Gulden erlassen, imJahr darauf waren an die Stadt 22 anstatt dievertraglich vereinbarten 30 Gulden abzufüh-ren. Die Begründung des Kämmerers zeigtviel von der Dramatik der Geschehnisse injenen Tagen: „… weilen er aber das ver-gangene Jahr seine handtierung nicht wohltreiben können, alß ist Ihme durch ein ahr-sam Gericht … nachgesehen worden, künff-tighin vor Rechte Georgii 1699 solle er widerdie 30 fl als zuerstatten schuldig seyn.“ Bis1702 lief der Betrieb der Hütte in geordnetenBahnen. Die Stadt beauftragte Sachser mehr-mals in dieser Zeit, u. a. mit der Produktionvon Bauziegeln für den Neubau der städti-schen Hirtenhäuser in den Jahren 1698 bis1700. 1703 verschlechterte sich der Gesund-heitszustand des Stadtzieglers. Der Bürger-meister vermerkte hierzu: „Christian sachßerder Ziegler soll vermög des mit ihm getrof-fenen accords jährlich 30 Gulden [bezahlen],weilen er aber eine ziemliche zeit kranckhgewesen und nicht arbeiten können, auch dieZiegelhütten weg[en] darinn … Ordonnantz[wohnende] … unbrauchbar worden, hath prodieses jahr nur [zu bezahlen] 15 fl“. Die Stadtsah sich einer sozialen Verantwortung gegen-über ihrem Ziegler verpflichtet und berück-sichtigte die gesundheitliche und wirtschaft-liche Lage Sachsers, wovon vor allem letztereim besagten Jahr recht problematisch er-schien. Christian Sachser hatte von der öffent-lichen Hand keinen einzigen Auftrag be-kommen. Zudem wurde ihm die Unter-bringung von Soldaten, der „Ordonnantz“ auf

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seine Jahrespacht angerechnet. Insgesamtaber erscheint der Nachlass der Stadt Rastattum 50% im Vergleich zur vereinbartenSumme angemessen. Sachsers gesundheit-licher Zustand verschlechterte sich zuse-hends. Er starb irgendwann in den Jahren1704 oder 1705. Seine Witwe führte dasGeschäft noch einige wenige Jahre. 1705 wur-den für den Neubau des Rastatter Schulhauses„1 Fudter Kalch und 350 Backensteine“geliefert, dazu kamen 60 Hohlziegel für dasDach des Schulgebäudes. Insgesamt war demBetrieb ein nur mäßiger wirtschaftlicher Er-folg beschieden, denn 1707 musste die Stadtbei dem Baden-Badener Ziegler Anthony Rup-pert Ziegel einkaufen, die Witwe des erstennachweisbaren Stadtzieglers gab das Geschäftauf. Sie hatte mit der schlechten wirt-schaftlichen Lage der Stadt zu kämpfen, diesich im Sterbejahr des Türkenlouis’ und diedaran anschließenden kriegerischen Ereignis-se im Rahmen des spanischen Erbfolgekriegeszusehends verschlechterte. Fünf Monate nachdem Tod des Markgrafen, im Mai 1707, fielendie Bühl-Stollhofener Linien und die (erste)Festung Rastatt in die Hände der Franzosen.

Die Einnahmen der Stadt gingen – nichtzuletzt bedingt durch die damit einhergehendeVerschlechterung der Kaufkraft der Bevöl-kerung – auf ein Minimum zurück. Der Stadt-kämmerer vermerkte neben dem Umfang auchdie Ursache für diese negative Entwicklung:„Bey deren fröhnung ist wegen des gantzenJahr hindurch angehaltenen kriegs und darauferfolgten schlechten Märckh[t]en in beyseindes Staabhalters dem hochherrschaftlichenGerichts mehr nicht dan 14 fl 10 Kr erhobenwordten an Standgelt.“ Diese Hiobsbotschaf-ten ziehen sich durch die gesamte Bürger-meisterrechnung. Die Einnahmen bei denUnterkaufgeldern betrugen verschwindende 1Gulden. Bei Mieteinnahmen und Benutzungs-gebühren mussten spürbare Einbußen in Kaufgenommen werden. So schrieb der Stadt-rechner, dass, „nachdem das baufällige Korn-haus zusammen gefallen und bey jetzigerKonjunktur nichts eingegangen ist“ auchkeine Gebühren erhoben werden konnten. Vonden Zehnteinnahmen konnte die Haushalts-lage ebenfalls nicht profitieren, da „alles vonder französischen Armee fouragiert worden.“Dasselbe Bild bot sich bei den Einnahmen

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Baden-Baden war bereits ab den Jahren um 1670 italienisch „bevölkert“. Zahlreiche italienische Kaufleute hatten in derdamaligen Residenzstadt umfangreichen Grund- und Immobilienbesitz. Marktplatz und Neues Schloss, Postkarte um 1910.

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durch den Heu- und Strohverkauf, alles wurde„durch die französische Armee ruiniert“. ImJuni 1707 musste die Stadt den siegreichenFranzosen annähernd 2500 fl bezahlen. DieStadt Ulm hatte im vergleichbaren Zeitraumeine Million Gulden an die Franzosen ab-führen144. Trotzdem war die in Rastatt zu ent-richtende „Kriegsabgabe“ eine weitaus höhereSumme als die eines normalen städtischenJahreshaushalts.

Die Ziegelbrennerfamilie Ruska (Rusca)Die italienische Familie Ruska betrieb auf

dem Rötterer Berg einen Ziegeleibetrieb. Indieser Ziegelei wurden Ziegel für den Schloss-bau hergestellt. Bereits im Jahr 1698 arbeiteteAntonio Ruska als Ziegler in Rastatt145. SeinSohn Ferdinand Ruska war in erster Ehe miteiner Antonia verheiratet. Im Januar 1723 er-blickte dessen Kind Ludwig das Licht der Welt.Aus der zweiten Ehe mit Anna Maria stammtenmindestens zwei Kinder, die 1736 und 1737geboren wurden (Maria Anna Barbara undJohann Michael Ferdinand)146. Ruskas besaßenKontakte zu anderen Ziegeleibetrieben derRegion. So waren bei der Geburt der TochterMaria Anna Barbara Ziegler aus Kuppenheimund aus Rastatt Paten147. Dass die Ruskas zuden gesellschaftlich anerkannten, und nichtnur zu den wohlhabenden Familien Rastattszählten, belegt die Übernahme der Patenschaftfür das Kind Johann Michael Ferdinand durchden Rastatter Oberbürgermeister Johann Mi-chael Nagel und seine Frau.

Spätestens im Frühjahr 1728 gab Rusca dasgut gehende Ziegelunternehmen auf und ver-ließ die Stadt. Als Nachfolger gilt der ItalienerCarl Vanino, der den Betrieb übernahm und inder Folge auch die horrende Jahrespacht von120 Gulden bezahlte. Vanino hatte den Betragum 10 Gulden – dafür musste ein Handwerks-meister 20 Tage arbeiten – herunterhandelnkönnen. Der Betrieb war die größte Ziegeleider Stadt. Die Stadtverwaltung kaufte die vonRusca noch gefertigten Backsteine auf, eshandelte sich immerhin noch um über 20 000Steine und verrechnete sie mit den noch aus-stehenden Pachteinnahmen. Es stellt sich na-türlich die Frage, warum Rusca seine gut-gehende Firma aufgab, warum er sie an einenanderen Italiener übergab und warum auch die

letzten Baumaterialien verkauft wurden? Erwird ein gutgehendes Angebot erhalten haben,das ihn finanziell und auch gesellschaftlichnicht schlechter als zuvor stellte. Vielleichtging er nach Wien, an den Hof und machtedort Karriere, denn als Unternehmer hat ersehr gute Qualitäten besessen, was die enor-men Produktionsraten seiner Ziegelei belegen.Vielleicht wird er deswegen keine Möglichkeitaußer Acht gelassen haben, seine Tüchtigkeitauch an einem anderen Ort zu beweisen. 1737war Rusca Kaiserlicher Oberhofziegelinspektorund in Rastatt nachweisbar, dies ist derkrönende Abschluß eines beispiellosen Auf-stiegs und belegt einen vermuteten Umzugnach Wien, zumindest zeitweise. Rusca hattein der Markgrafschaft Baden-Baden seinezweite Heimat gefunden, denn sonst wäre erwohl nicht mehr in die Residenz zurückge-kehrt. Vielleicht hat er schon damals das reprä-sentative Kavaliergebäude in der Herrenstraße13 erworben, das heute unter dem NamenRossi-Haus bekannt ist. Sicher ist, dass er 1755Besitzer des in der Folgezeit als RuskaischesHaus bezeichneten hochherrschaftlichenKomplexes war. Man sollte sich auch vergegen-wärtigen, dass die räumliche Nähe der Woh-nung zu einem Residenzschloss – wie amBeispiel Rastatt – auch immer für den Statusdes darin Wohnenden bezeichnend ist: je näheram Schloss, desto höher die Position im Staatund der Wert innerhalb der Gesellschaft. Füreinen nichtadeligen wie Rusca eine erstaun-liche Leistung.

1755 war das heutige Rossi-Haus im Besitzvon [Ferdinand] Ruska. 1762 wurden dieWohnhäuser der Rastatter Bürger einge-schätzt, glücklicherweise, denn so erfahrenwir, dass der Wert des nach seinem damaligenBesitzer genannten Hauses 4800 Gulden be-trug. Mit Abstand war es eine der wertvollstenImmobilien im Stadtgebiet der Residenz.

Die Stuckateur- und ArchitektenfamilieSommazi (Summazis, Summas)Für das Jahr 1702 ist in Rastatt die An-

wesenheit des „peregrinus italus“, des italie-nischen Reisenden, Franz Carl Sommazi doku-mentiert. Am 22. Januar 1702 wurde sein SohnFranz Anton in der Stadtkirche St. Alexandergetauft148. Franz Anton heiratet später eine

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Barbara Brutschi, vermutlich eine Italie-nerin149. Franz Carl hatte noch zwei nachweis-bare Söhne Michael und der am 17. September1716 getaufte Johannes Matthäus. Michaelwurde 1729 in St. Alexander konfirmiert. 1734wurden von Franz [Carl] Sommazi am Giebelder Mahlberger Kirche Stuckateurarbeitenausgeführt, die sich aber nicht bis heute erhal-ten haben150. In der Mahlberger Bürgermeis-terrechnung heißt es wörtlich: „Frantz Som-matzi dem Stuccator von Rastatt vor die nachden von Herrn Baumeister Rohrer verfertigteRiß gemacht vor gemachte Arbeit laut Scheinbeglichen 80 Gulden“. Leider haben sich dieRechnungsbeilagen nicht bis heute erhalten,so dass es keine Hinweise darauf gibt, wasSommazi an der Mahlberger Kirche gearbeitethat. Einige Seiten weiter erfahren wir wenigs-tens etwas über die Dauer des Auftrages:„Joachim Ludighausser Bürger allhier vor 62Täg täglich 15 Kreuzer Taglohn bezahlt, alsderselbe dem Stuccator in seiner Arbeit alsHandlanger zugegeben werden müssen lautSchein beglichen 15 Gulden, 5 Kreuzer.“151

Sommazi war mit der Arbeit an der MahlbergerKirche über zwei Monate lang beschäftigt.Insofern kann davon ausgegangen werden,dass es sich nicht um Reparaturen, sondernum eine Neuanfertigung der Stuckaturengehandelt hat.

Leider lassen sich für die Tätigkeit vonFranz Karl Sommazi nur wenige Belege fin-den. Dafür ist ein anderer Sommazi in Bruch-

sal, der Residenzstadt des Fürstbischöfe vonSpeyer, nachweisbar152. Der vermutlich ausLugano stammende Stuckateur Johann BaptistSomazzi war 1728 und 1738 in Bruchsal tätigund fertigte acht Kapitelle für das Haupt-treppenhaus des Residenzschlosses153.

Über die Familienverhältnisse von FranzCarl Sommazi sind wir dank der Kirchen-bücher gut informiert. Mindestens zweimalwar er verheiratet. 1752 wurde [Franz] CarlSommazi Hintersasse. Er zahlte das Hinter-sassengeld in Höhe von drei Gulden154. Imselben Jahr bezahlte Franz Anton Sommazi füreinen Garten in der Ludwigsvorstadt 15 Kreu-zer155. Am 6. Oktober 1841 starb der letzteSommazi: Michael Summas im Alter von83 Jahren. Summas blieb unverheiratet. SeineEltern waren der bereits erwähnte gleich-namige Michael Sommazi und Katharina geb.Blechner156.

Die Ziegelbrennerfamilie Vanino (Vanini, Vanono)Hans-Georg Vanino war in den Jahren

zwischen 1730 und 1750157 als Ziegelbrennerauf dem Rötterer Berg tätig. 1752 bezahlt er60 Gulden Ziegelhüttenzins158 als Jahrespachtan die Stadt Rastatt. Hans-Georg Vanino hatteeinen Bruder Hans oder Johannes Vanino.159

Eventuell handelte es sich hierbei um JohannAnton Vanini (auch: Vanino), der als Architekttätig war und Entwürfe für den Bau der Stadt-kirche St. Alexander fertigte. Der RastatterBürgermeister Nagel ließ von mehrerenArchitekten Planungen und Kostenvoran-schläge für die Reparatur der alten RastatterKirche anfertigen. Neben dem MannheimerBauingenieur Baumgratz und dem berühm-ten Baumeister Peter Thumb war es auch dererwähnte Johann Anton Vanini, der Pläneanfertigte. Vanini sah einen Betrag von 8196Taler für die Renovierung der Kirche vor.Auch die Planung von Johann Peter ErnstRohrer fußte auf einem hohen Kostenvor-anschlag für eine Reparatur des Gebäudes, sodass ein Neubau zweckmäßiger erschien.Allerdings fanden auch die Entwürfe Vaninisfür einen Neubau keine Berücksichtigung.Baumeister Rohrer gelangte zu einem ver-nichtenden Urteil über die FähigkeitenVaninis. Seine Vorschläge seien voller Fehler,

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Eigenhändig geschriebene Rechnung des in Rastattlebenden italienischen Kaufmanns Carlo Vanino. DieseAufstellung über gelieferte Baumaterialien an „SignorBorgomestro“ (d. i. der Bürgermeister) stammt aus demJahr 1733. Stadtarchiv Rastatt

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gegen alle Bauregeln, undurchführbar undstümperhaft. Vielleicht lag dieser Einschät-zung Rohrers gegenüber Vanini eine generelleVerurteilung der italienischen Bauweisezugrunde. Denn Rohrer hatte wohl schlechteErfahrungen mit der Bauqualität desRastatter Schlosses gemacht, dessen Instand-haltung einen hohen Kostenaufwand erfor-derte160. 1733 handelte der Kaufmann CarloVanino mit Fliesen und edlen Stoffen. DieStadt Rastatt erhielt von ihm Flachziegel(„piastrelle“) und viereckige Wand- bzw.Bodenfließen („quadrelli“). Die Stadt benö-tigte diese Dinge für ein „cassa nel bosco“, fürein Haus im Wald.

Der Uhrmacher Zamponi1834 wurde der Uhrmacher Christian

Zamponi beim Gemeinderat vorstellig und batum das Bürgerrecht. Zamponi war vermutlichkein Ersteinwanderer, denn als Herkunftsortgab der Uhrmacher Engen an. Zamponi war zudiesem Zeitpunkt mit Sophia Magati verlobt,die aus Straßburg stammte161. Am 10. Juli1836 stimmte der Bürgerausschuß der bereitsam 15. Juni erarbeiteten Vorlage des Ge-meinderats zu: Zamponi wurde die bürgerlicheAnnahme gewährt162. Seine Frau Sophia konn-te ihre Bürgerrechte nur wenige Jahre ge-nießen. Sie verstarb bereits im November1841163. Erst im Jahr 1846 gelangte ChristianZamponi in die Annehmlichkeiten des „Bür-gergenusses“164. Zu diesem Recht zählten aberauch einige Pflichten, wie etwa die Teilnahmean der Bürgerwehr, dessen dritten Fähnlein erzugeordnet wurde. Er wurde von seinenKameraden zum Obermann gewählt165. Ins-gesamt wurden in einer Kompanie der Bürger-wehr (etwa 115 Mann) acht Obermännergewählt166. Zamponi unterhielt in Rastatt einLadengeschäft mit einem Reparaturbetrieb.1852 übte Zamponi seine Metier im Meß-becher’schen Haus neben dem Gasthaus zurKrone (1945 zerstört, später Economat) amMarktplatz aus. Im Mai 1853 inserierteZamponi im Rastatter Wochenblatt undmachte mit einer Anzeige darauf aufmerksam,dass er mit seinem Geschäft in die ehemaligenRäumlichkeiten des Schreinermeisters Beckerin der Lyceumstraße Nr. 89 umgezogen sei167.Gleichzeitig sicherte er seiner Kundschaft eine

„gute und billige Bedienung“ zu. Der am24. November 1809 in Engen (Amt Kenzingen)geborene Zamponi starb am 18. April 1854168.

Der Zinngießer Baptist ZanettaInsgesamt dreimal bat Zanetta, der bereits

seit 1820 in Rastatt lebte, um die Bürger-annahme, bis seinem Gesuch stattgegebenwurde. An diesem recht langwierigen Prozesswar er aber nicht unschuldig. Der erste Ver-such datiert vom 16. September 1829. Zanettahatte das Recht auf das Zinngießergewerbe für220 fl von dem Zinngießer Rheinbold abge-kauft und besaß ein Privatvermögen von1045 fl. Gründe genug, so urteilte der Stadtrat,ihm das Bürgerrecht zuzuerkennen. Dazukomme, so die Stellungnahme, dass sichZanetta „immer tadellos betragen“ und dasVersprechen gemacht habe, dass er einen„hießigen BürgersSohn unentGeldlich dasZinngießerhandwerk lehren zu wollen“169. DasGesuch wurde an den Bürgerausschuss wei-tergegeben und schließendlich dem Bezirks-amt vorgelegt. Der weitere Verlauf der Ange-legenheit war für Zanetta zunächst wenig er-freulich, denn er habe, so das Urteil desStadtrats bei der zweiten Eingabe im Oktober1830, gelogen und falsche Angaben zu seinemFamilienstand gemacht.

Das Bezirksamt reichte diese Angelegenheitan den Stadtrat weiter, der allerdings erst ein-mal ein vernichtendes Urteil über den An-tragsteller fällte: „Gegen dieses Gesuch zu be-richten, da Supplicant170 den StadtRath belo-gen, sich als ledig ausgegeben hat, und dochgeheurathet ist, sein Handwerk nicht verstehtund überhaupt die Pflichten eines Bürgersnicht erfüllen kann, indem er immerwährendabwesend ist.“171 Der Stadtrat sah sich in derBeurteilung der Persönlichkeit des italie-nischen Zinngießers vollkommen getäuscht.Zanetta hatte also alle Register gezogen, um inRastatt bleiben zu können. Damit verspielte ersich das Wohlwollen der Entscheidungsträger,denen ohnehin seine „immerwährende“Abwesenheit ein Dorn im Auge gewesen war.Wenige Wochen später, Ende November 1830,gab Zanetta abermals ein Gesuch an den Stadt-rat ein und bat wiederum um das, ihm angeb-lich schon früher schon einmal zugesicherte,Bürgerrecht. Diesmal wurde seinem Antrag

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stattgegeben172. Der Stadtrat befand: „Da Bitt-steller wirklich kein Kind mehr hat und dieStadt verlaßen muß, wenn er nicht auf-genommen wird, ein Zinngießer aber inhießiger Gegend sich nicht befindet, so istBeschluß zu verbleiben, und ihm das Bürger-recht zuzusichern.“173 Innerhalb wenigerWochen revidierte der Stadtrat sein Urteilgrundlegend. Was die Ratsmitglieder zu dieser,für Zanetta positiven Entscheidung, bewogenhat, muß bedauerlicherweise im Verborgenenbleiben. Vielleicht war es der frühe Tod seinesKindes. Wahrscheinlicher aber ist, dass es wirt-schaftliche Gründe gewesen waren, die für dasZusprechen des Bürgerrechts entscheidendwaren, denn der Ratsbeschluß formulierte aus-drücklich, dass sich „ein Zinngieser aber inhießiger Gegend nicht befindet, …“. Damitwurde eine Lücke in der Palette der RastatterHandwerkerschaft geschlossen.

Ein Jahr später, so berichtet ein Erlass desRastatter Oberamts vom 2. Januar 1832, wurdeZanetta aus der italienischen Staatsbürgerschaftentlassen174. Damit wurde er mit Wirkung zum4. Januar 1832 badischer Bürger175. Den„Bürgergenuß“ konnte er am 23. April 1838antreten176. Zanetta war seit Mai 1848 Mitgliedder Rastatter Bürgerwehr und dem ersten Fähn-lein (Kompanie) zugeordnet177. Zanetta vergrö-ßerte seinen Handwerksbetrieb und beschäf-tigte einige italienische Zinngießer, wie der fol-gende im Rastatter Wochenblatt erschieneneStreit zwischen Zanetta und den ZinngießernBurla, Mazetti, Abetti und Malgaroli belegt: „DieZinngießer Gehülfen Pius Burla, GuilianoMazetti, Constantino Abetti und Pietro PauloMalgaroli, sämmtlich in den italienischenStaaten gebürtig, sind nicht mehr bei mir inDienst und hausiren unbefugt in dieser Gegendohne obrigkeitliche Erlaubniß. Daher ersucheich Jedermann, denselben keinerlei Aufträgeoder Gelder für mich zu übergeben, da ich inkeiner Geschäfts-Verbindung mit denselbenstehe. Johann Zanetta Zinngieser“.

Dies konnten die angesprochenen nicht un-kommentiert lassen und inserierten umgehend:

„Erwiderung. In Nro 72 dieses Blattes hatHerr Zinngießer Johann Zanetta zu Rastattunterm 6. dieses Monats ,Anzeige und War-nung‘ bekannt gemacht, dass der Unterzeich-nete mit noch drei Konsorten nicht mehr in

seinen Diensten stehen und Jedermann ge-warnt, keinerlei Aufträge oder Gelder für ihnuns zu übergeben, da wir unbefugter Weise inder Gegend hausiren. Wir sind Gehilfen deshiesigen Zinngießers Ludwig Seyfarth, und eswird diesem sowohl, wie Herrn ZinngießerZanetta in Rastatt erlaubt seyn, Geschäfte aus-wärts zu suchen, und was die Annahme vonGeldern für Herrn Zanetta betrifft, so könnenwir nicht wissen, wo er nun solche zu gut hat,auch uns nicht beigehen lassen, desgleichen fürihn zu erheben, was ich Namens meiner undKonsorten hiermit erkläre und bekannt mache.

Gernsbach den 9. September 1852 Guilia-no Mazetti“178. In der Öffentlichkeit war dieserStreit damit beigelegt.

Wenige Jahre darauf starb der in OllegoCastello geborene Zanetta am 23. März 1855.

Giovanni Zanin(i)Als 18-jähriger junger Mann verlies Zanin

seine italienische Heimat Rivamonte und wan-derte über die Schweiz nach Deutschland ein.Der gleichnamige Vater wurde 1855 inRivamonte geboren (27. November). Zaninjunior arbeitete als Brenner in verschiedenenZiegelbrennereien in Wiesbaden und Biebrich.Danach zog es ihn nach Lauffen am Neckar. Andiesen Orten kamen in den Jahren 1885 und1896 sieben Kinder zur Welt. Ein dreijährigerBub Andreas ertrank 1896 im Neckar. Spätestens1898 siedelte Zanin nach Kuppenheim über undarbeitete in einer Ziegelbrennerei in Bischweier.Danach fand er Beschäftigung bei den FirmenStrohmeyer & Herling, sowie in der Zement-fabrik Kuppenheim. Zanin(i) heiratete Regula,eine geborene Herzog. In Kuppenheim wurdendie Tochter Rosa (25. August 1898 – 26. April1901) und der Sohn August (16. August 1900 –16. April 1919) geboren. Im Geburtseintragseines Sohnes Karl wird er als Brennmeisterbezeichnet. Der ursprüngliche NachnameZanini, dies gab Giovanni Zanin(i) bei denBehörden an, wurde 1908 eingedeutscht. 1908vermerkte der Standesbeamte: „Aufgrund derVerfügung des Amtsgerichts Rastatt vom18. Februar 1908 … welche den Beilagen zumGeburtsregister unter Nr. 5 angeschlossen ist,wird hierher festgestellt, dass der Name in demnebenstehenden Eintrag nicht ,Zanini‘ sondern,Zanin‘ zu lauten hat.“179

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Der Ziegelbrenner Florani PietroDer in Bischweier wohnhafte Ziegelarbeiter

Pietro Florani (*30. 3. 1881 in Gemona) hei-ratete am 10. 5. 1908 eine Angelika Furlano(*3. 3. 1878 in Fagagna). Der ZiegelmeisterJakob Boos sowie der italienische Ziegel-arbeiter Angelo Bataschini, der ebenfalls inBischweier wohnte, fungierten als Trauzeugen.

ITALIENER OHNE BERUFSANGABE

Die Vagabunden Abed und GislanzoneEin zufälliges Produkt ist das Auftauchen

von Dominik Abed und Jakob Gislanzone inNiederbühl. Dominik Abed, ein „vagabun-dierender“ Italiener ist Mitte des 18. Jahrhun-derts in Niederbühl nachweisbar. Seine TochterJohanna starb am 19. April 1737 im Alter vonfünf Jahren. Jakob Gislanzone und seine FrauMaria Mechthild, eine geborene Gegler, über-nahmen die Patenschaft eines Kindes im Mai1749180. Auch Gislanzone könnte ein Italienergewesen sein.

Familie BallasJohann Ballas stammt aus „Dismis“181. Am

1. November 1731 bekam ein Ballas posthumeine Tochter. Die Witwe Margarethe Ballas hei-ratete am 3. November 1732 Johann GeorgSterck182.

Belli di PinoEin Belli di Pino starb in Rastatt183. In

Überlingen ist ein Anton Maria von Belli nach-gewiesen.

Johann Battist Bonzano (1749–1764)Johann Battist Bonzano aus Mailand

ertrank im Alter von 15 Jahren in der Murg.Der Eintrag im Totenbuch datiert vom 10. Sep-tember 1764. Anzunehmen ist, dass der Heran-wachsende Johann Battist nicht alleine nachRastatt gekommen war, sondern dass er mitseinen Eltern in die Residenz gelangte unddort auch wohnte.

Hans BraunAm 11. Januar 1648 heiratete ein Hans

Braun in Stollhofen die aus Söllingen gebür-tige Dorothea Zehe. Dies geht aus den erhalte-nen Stollhofener Kirchenbüchern hervor. Der

„deutsche“ Name Hans Braun läßt natürlichnicht schlußfolgern, dass es sich um einen Ita-liener handelte, Braun wurde aber in Bagga-nato (bei Bergamo?) geboren. Er war damit ita-lienischer Herkunft. Sein italienischer Name,der vielleicht Giovanni Brun oder Bruno (nichtMarone o. ä., denn italienische Namen werdennach dem Wortlaut wiedergegeben, nicht ineiner dem Wortsinn folgenden Übersetzung)lautete, wurde vom Stollhofener Pfarrer ineiner „eingedeutschten“ verballhornten Ver-sion überliefert.

Fast auf den Tag genau 40 Jahre später, am19. Januar 1688, heiratete Jakob Braun, ver-mutlich ein Sohn oder Enkelsohn, MagdalenaStrackin. Der Familienname Braun ist auchheute noch in Stollhofen nachzuweisen.

Ludwig CastelloDer dem Namen nach italienstämmige

Ludwig Castello war Soldat und Bedienter ineinem Regiment des schwäbischen Kreises, dasvon einem Kommandeur von Hornstein befeh-ligt wurde. Castello war mit der Tochter einesam Schloss beschäftigten Dieners, Maria AnnaGoldhamer, verehelicht; im März 1770 kam diegemeinsame Tochter Maria Walburga Valentinazur Welt184.

Amalie Galimberti1845 empfahl sich Amalie Hegele geb.

Galimberti Mädchen im „Häckeln, Sticken,Stricken und dergleichen gründlich zu unter-richten“ und erteilte auf Verlangen „Unterrichtin der französischen Sprache“185.

Familie Sartori1729 wurden zwei Kinder Maria Franziska

und Maria Sartori konfirmiert. Sartori warHintersasse, kein Bürger. Eventuell war ereiner der italienischen Arbeiter, die beimSchlossbau Arbeit gefunden hatten.

Antonius SerwusAntonius Serwus wird 1729 konfirmiert186.

Wenn man ein Konfirmationsalter von 13 bis14 Jahren zugrunde legt, dann muss Serwus1715 oder 1716 geboren sein. Das Künstler-lexikon Thieme-Becker nennt einen MalerAntonius Servi aus Trevieri bei Ancona, der alsWanderkünstler tätig gewesen war. Dabei war

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er unter anderem in Trier und Wien beschäf-tigt. Ob er in eine verwandtschaftliche Bezie-hung mit dem im Kirchenbuch der katholi-schen Pfarrei St. Alexander genannten Anto-nius Serwus zu setzen ist, lässt sich nicht mitSicherheit behaupten, erscheint aber durchausvorstellbar. Der Maler Antonius Servi starb1706 in Luzern187. Leider ließ sich eine Tätig-keit eines Künstlers oder Handwerkers mit die-sem Namen in Rastatt nicht nachweisen.

Karl FingadoDer Rastatter Bürger Fingado war Steuer-

peräquator und Mitglied der dritten Kompanieder Bürgerwehr188.

ABSCHLUSS

Rastatt hatte, so überliefert der Prolog derim Jahre 1830 durchgeführten Bevölkerungs-aufnahme, im Jahr 1829 5591 Einwohner189. Indiesen umfangreichen Listen tauchen italie-nisch klingende Namen wie Matati oder JosephMareli auf. Für das Jahr 1831 ließ sich eineFamilie Bordola ermitteln190. Leider nennenuns diese Aufstellungen keinerlei Zugehörig-keit nach Nationen, so dass davon auszugehenist, dass es sich bei den genannten Personenum Rastatter Bürger handelte, die eventuellitalienische Vorfahren besessen haben könn-ten191. Ob diese Vorfahren mit den beimSchlossbau beschäftigten Italienern in Zu-sammenhang zu bringen sind, kann nichtbewiesen werden, obwohl dies durchaus denk-bar wäre. So bleibt noch anzumerken, dass dieSpuren der eventuellen Enkel und Urenkel deram Schlossbau beteiligten Italiener spätestensab den 1830 folgenden Jahren vollends ver-blassen192. Die Hinweise für den im Anschlussdaran folgenden Zeitraum sind eher spärlicherNatur. Auch wenn der eine oder andere ehe-malige Italiener in Rastatt das Bürgerrechtzugesprochen bekam, so gibt es keinen Hin-weis auf eine dauerhafte ungebrochene Kon-tinuität einer Italiener-Einwanderung seit derStadtwerdung Rastatts bis in unsere Tage.

Anmerkungen

1 Karl Martin: Die Einwanderung aus Savoyen nachSüdbaden, S. 3.

2 Badisches Tagblatt, 10. Juni 1995.

3 Ebenda.4 Thieme-Becker, Band 25, S. 146 bis 147.5 Badisches Tagblatt, 10. Juni 1995.6 Thommsen-Fürst, S. 31. Bei dem erwähnten musi-

kalischen Zeugnis handelt es sich um eine ano-nyme Kantate: Cantate / Francoise sur / La Paix deRazestat / 1714. In: Generallandesarchiv KarlsruheHfk Hs. 102.

7 Pfarrarchiv St. Alexander Taufen 1724–1751,p. 106.

8 Stadtarchiv Rastatt, Datei Reiß.9 Pfarrarchiv St. Alexander, Totenbuch Erwachsene.

Vergl. dazu auch Thomsen-Fürst, S. 251.10 Ebenda, S. 57.11 Markgräflich Baden-Badischer Hof- und Adreß-

kalender 1766 und 1768.12 Thomsen-Fürst, S. 267.13 Ebenda, S. 46.14 Pfarrarchiv Rastatt Ehen Band 2, S. 40.15 Stadtarchiv Rastatt B 287 Handelszunftbuch von

1752, S. 18.16 Stadtarchiv Rastatt B 287: Zunftbuch der Rastatter

Kaufleute seit deren Gründung vom Jahr 1720,S. 19. Der Eintrag lautet: „Anno 1748 Februar den13ten in RastattIst abermahlen der gewöhnliche bruder Tag derEhrsamen Handelszunfft gehalten worden undseyndt durch ordentliche wahl nach angehörter hl.Meß zu und Ober Meister erwählt worden.Johannes MasinoBatist Anthondeßgleichen zu jungeren Dinsten renovirt wordenCarl Zwieffelhoffer“.

17 Stadtarchiv Rastatt, R 54, p. 46r, Bürgermeister-rechnung 1752.

18 Stadtarchiv Rastatt, R 54, p. 8v, Bürgermeister-rechnung 1752.

19 Zum Schwäbischen Reichskreis und seiner Funk-tion vergleiche: Hans-Joachim Harder: Militär-geschichtliches Handbuch Baden-Württemberg,Stuttgart 1987. S. 24 ff. Der Schwäbische Reichs-kreis war u. a. eine militärische Institution, die vorallem zur Sicherung der Rheingrenze gegenüberFrankreich geschaffen wurde. Daneben besaß ereinige nach „innen“ wirkende Hoheitsrechte: dieErhaltung des Landfriedens und die „Vollstreckungder Gerechtigkeit“. Er besaß Hoheitsrechte, die inetwa mit der heutigen Polizei vergleichbar sind.

20 Generallandesarchiv Karlsruhe 61/85 fol. 499r,Hofkammerprotokolle.

21 Der Vater von Ludwig, Franz Pfleger, war Haus-meister im Schloss Favorite und Vertrauter derMarkgräfin Sibylla Augusta. Franz Pfleger lieferteEntwürfe für Intarsienarbeiten für die Schloss-kirche Rastatt. In der Badischen Landesbibliothekin Karlsruhe befindet sich eine Handschrift vonLudwig Pfleger über exotische Pflanzen.

22 Wolfgang Reiß: Rastatter Oberbürgermeister im18. Jahrhundert. In: Badisches Tagblatt, 25. Sep-tember 1991.

23 GLA Karlsruhe 220/392: Das Gesuch des Oberbür-germeisters Johann Baptist Anton von Rastatt,eine Puder und Stärk Fabrique daselbst anlegen zudürfen.

24 Freundlicher Hinweis von Franziska Reynaud.

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25 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch 1724–1751,S. 73.

26 Stadtarchiv Rastatt, B 287, Zunftbuch der Ras-tatter Kaufleute seit deren Gründung vom Jahr1720, S. 14.

27 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch Band 2, S. 32.28 Ebenda.29 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch Band 2, S. 103.30 Stadtarchiv Rastatt B 287, Handelszunftbuch

S. 36.31 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehen 1752–1776, S. 84.32 Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei Klee und

Klehe nur um unterschiedliche Schreibweisendesselben Namens. Dies würde bedeuten, dassSimon und Johann Klee zum Verwandtenkreis vonKatharina Klehe gehören würden.

33 Es handelt sich nicht um Warenbestand aus demAzone’schen Warenlager, sondern eindeutig umprivate Kleidungsstücke.

34 Rastatter Wochenblatt Nr. 44 vom 1. November1804.

35 Es handelt sich um eine Verordnung des Ober-amtes Rastatt vom 26. Oktober 1804.

36 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehen. Albert Azone hei-ratete am 6. März 1842 Luitgarde Jäger. Am12. Januar 1865 heiratete der Witwer in TiefenbachKatharina Magdalena Neuland.

37 Kirchenbuch St. Stephan, Karlsruhe, Totenbuch.38 Ebenda.39 Alfred Lederle, Italienische Einwanderer aus der

Tremezzina (Comer See) im 17. und 18. Jahrhun-dert nach Baden. Hier S. 297. In: Badische Heimat– Mein Heimatland, 38. Jahrgang 1958. Freiburg1958.

40 Generallandesarchiv Karlsruhe 37/160.41 Pfarrarchiv St. Alexander, Toten 1724–1751, S. 1.42 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufen 1648–1723,

p. 237.43 Freundlicher Hinweis von Franziska Reynaud.

Pfarrarchiv St. Alexander, Konfirmanden.44 Pfarrarchiv St. Alexander Ehen 1724–1751, S. 13.45 Vergl. hierzu: Thomsen-Fürst, S. 266.46 Heute das Gebäude des Geschäfts Ertl in der

Kaiserstraße.47 Thomsen-Fürst, S. 267.48 Generallandesarchiv Karlsruhe 236/8824.49 Wolfgang Reiß: Die Dicke Eiche auf der Rheinau –

Stadtgeschichtliche Erinnerungen. In: Heimat-buch Landkreis Rastatt 1987.

50 Freundl. Hinweis von Prof. Franziska Reynaud.51 Stadtarchiv Rastatt: B 155, Ratsprotokoll Nr. 2038

1/2 vom 1. Dezember 1830.52 Rastatter Wochenblatt Nr. 14 vom 2. April 1842.53 Rastatter Wochenblatt Nr. 43 vom 28. Mai 1845.54 Beide Zitate: Wochenblatt für die Aemter Rastatt,

Ettlingen und Gernsbach Nr. 45 vom 4. Juni 1845.55 Wochenblatt für die Aemter Rastatt, Ettlingen und

Gernsbach Nr. 46 vom 7. Juni 1845.56 Irmgard Stamm: Joseph Augenstein, Rebstockwirt

und Revolutionär. In: 1000 Jahre Bietigheim. Ausder Geschichte eines Hardtdorfes, Bietigheim 1991.

57 Ausführlich hierzu: C. F. Lederle, Fest-Schrift zurJahrhundertfeier 1808–1908. GroßherzoglichesGymnasium Rastatt. Rastatt 1908.

58 Historische Bibliothek Rastatt, Schulprogramme.

59 Kreisarchiv Rastatt: Standesbücher, Rastatt Toten-buch 1870.

60 Manfred Hörner: Die Wahlen zur badischenzweiten Kammer im Vormärz (1819–1847), S. 324.Quelle: Protokolle der 2. Kammer 234.1831,Prh. 4, S. 80–99.

61 Stadtarchiv Rastatt, R 11 Bürgermeisterrechnung1702.

62 Generallandesarchiv Karlsruhe HofratsprotokolleNr. 61, S. 149r.

63 Pfarrarchiv St. Alexander, Totenbuch Hof.64 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufen.65 Stadtarchiv Rastatt, B 287 Handelszunftbuch, S. 26.66 Stadtarchiv Rastatt, B 287 Handelszunftbuch, S. 37.67 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehen, Desaga (Desagar)

wird am 25. September 1808 „entlassen“.68 Rastatter Wochenblatt 1852 Nr. 64 und 75.69 Erzbischöfliches Archiv Freiburg, Katholische

Pfarrei Ettlingen Kirchenbücher, Heiratsregister.70 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehen.71 Rastatter Wochenblatt 1842.72 Rastatter Wochenblatt 1854 Nr. 105 (2. 9. 1854).73 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehen.74 Pfarrarchiv Stiftskirche Baden-Baden: Traubuch

1736.75 Stadtarchiv Rastatt, B 287 Zunftbuch Kaufleute

p. 18.76 Stadtarchiv Rastatt, B 287: Zunftbuch der Rastat-

ter Kaufleute seit deren Gründung vom Jahr 1720,S. 19. Der Eintrag lautet: „Anno 1748 Februar den13ten in RastattIst abermahlen der gewöhnliche bruder Tag derEhrsamen Handelszunfft gehalten worden undseyndt durch ordentliche wahl nach angehörter hl.Meß zu und Ober Meister erwählt worden.Johannes MasinoBatist Anthondeßgleichen zu jungeren Dinsten renovirt wordenCarl Zwieffelhoffer“.

77 St. Alexander, TotenE (1752–1776), p. 79.78 Zu Lihl vergl.: Iris Baumgärtner, Wolfgang Reiß:

Überlegungen zu Hofmaler Heinrich Lihl und zumLihlschen Familienbild. In: Heimatbuch LandkreisRastatt 1993. Rastatt 1993. Dort finden sich auchweiterführende Quellen- und Literaturangaben.

79 Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich umdas im Thieme/Becker erwähnte Bild: „Szenen ausden Leben des heiligen Franziskus“, das die StadtRastatt 1985 ankaufen konnte.

80 Generallandesarchiv Karlsruhe 65/222, p. 212Franziskaner-Annalen.

81 Consiliarius aulicus: Hofberater.82 Ebenda.83 Der originale lateinische Text im Kirchenbuch

lautet: „… omnibus morientium s[ancti]s sacra-mentis sepius munitus obiit“.

84 Pfarrarchiv St. Alexander, Schloßkirchenbuch,S. 19.

85 Christina Müller: Karlsruhe im 18. Jahrhundert.Zur Genese und sozialen Schichtung einer resi-denzstädtischen Bevölkerung. Karlsruhe 1991.S. 227.

86 Ebda.: S. 217 und 218.87 Freundlicher Hinweis von Dr. Johannes Werner,

Elchesheim-Illingen.

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88 Familienforschungen von Reinhard Masino,Göppingen. Am 7. Januar 1859 starb Georg Masi-no. Ein Sohn Josef wurde am 16. September 1819geboren. Der Enkel Franz Josef Masino erblickteam 24. Dezember 1869 in Burbach das Licht derWelt.

89 Stadtarchiv Rastatt, B 287 Handelszunftbuch Ras-tatt, S. 6.

90 Vergl. hierzu: Hans Heid: Geschichte der Histori-schen Bibliothek der Stadt Rastatt im Ludwig-Wilhelm-Gymnasium, S. 180.

91 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, Contractenpro-tocolle, S. 10, 20. Oktober 1702.

92 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, Contractenpro-tocolle S. 23, 9. Januar 1704.

93 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, Contractenpro-tocolle S. 50, 24. September 1704.

94 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, Contractenpro-tocolle S. 235r, 23. Mai 1736.

95 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, Contractenpro-tocolle S. 145, 6. Februar 1707.

96 Ebenda S. 146.97 Stadtarchiv Rastatt B 287 Handelszunftbuch S. 37.98 Pfarrarchiv St. Alexander, Totenbuch Erwachsene

1777–1790, S. 8.99 Stadtarchiv Rastatt, B 278, Handelszunftbuch,

S. 51.100 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch.101 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch.102 Notizen Emilie Ruf ohne Signatur, Umschlag Ita-

liener.103 Peter (Petro) Maria Querra stammte aus Oligo/Ita-

lien; er kam um das Jahr 1665 zur Welt und starbam 15. März 1736.

104 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/1, Contracten-Pro-tocolle S. 460b, 20. Januar 1701. Der genaue Textlautet folgendermaßen: Der hochwohlgeboreneGraf und Herr Antonius de Lacheraine, Graf vonLechan und Maria Francisca de Lacheraine geb.von Erolzhausen verkaufen den hochedlen undgestrengen Herrn Johann Bernhard von Weißen-bach, fürstlich markgräflicher badischer Cammer-rat und Amtmann zu Bühl und Petro MariaQuerra, Burger und Krämer dahier und Dufart,Krämer und seßhaft zu Fort Louis Haus, Hof,Scheuer, Stallung, Garten, samt ungefähr 8 Huch(Hufe, M. W.) und bei die 7 lauen Matten, auch alleandere Zugehörde der „Hanenhof“ genannt, bad.bann es. der Stadt Baden Hochwaldas. Allmendgaße, alles beisammen in einemBeschluß.Item eine Behausung beim Capellum gelegen(Kapelle St. Wolfgang, M. W.) es. der Oosbach, as.der Forbacher Straßen oben auf das Beuremer Talunten Käufer selbst. Item ein ahngeröhrte Capellezu St. Wolfgang samt dem Kirchen Ornat. Item einklein lauen Matten beim Falkensteg, die Allmattgenannt, beiderseits und oben Käufer selbst, untenOosbach, item 3//4 Matten so dermalen zu einemAcker gemacht beim falkensteg, die Altmatt ge-nannt. es. neben vorgeschrieb lauen matten, as.Jacob Thiergärtner, oben Allmend, unten Bach.Item ein Stück Acker ungefähr eine (?) Huch groß,der Altacker genannt, beim falkensteg. es. dasfalkensteggut, sonst allenthalben Käufer selbst.

Item 1 Viertel Acker allda zwischen obigen gü-tern … Item 2/4 Matten in der Altmatt. es. und as.Käufer. Oben gemeiner Weg, unten Oosbach. Itemein Baumgarten des Müllers Garten bei demGuntzenbacher Brückhel gelegen. es. die Bach, as.hintere Spitalacker vom Weg sodann den sechstenTeil an dem sogenannten falckenstegergut, undauch den sechsten Teil an der dazugehörigenBehausung, welche sämmtliche Güter … (Der Textist hier zu Ende, obwohl das ganze Blatt sonstunbeschrieben ist).

105 Vgl hierzu: Kunstdenkmäler Badens, Stadt Baden-Baden S. 356.

106 Generallandesarchiv Karlsruhe, 339 Zug. 1899/12Nr. 179.

107 Stadtarchiv Baden-Baden, Cameral-Protokolle 20.Januar 1701.

108 Stadtarchiv Baden-Baden, Einzugsregister 1702,Eintrag vom 4. März.

109 Stadtarchiv Baden-Baden, Contracten-ProtocolleS. 473b, 26. April 1702.

110 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/4, Contracten Pro-tocolle S. 98b, 15. Januar 1721.

111 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/6, Contracten-Pro-tocolle S. 213b, 6. Dezember 1735.

112 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/2, ohne Angabedes Fundortes, S. 11, 3. Juni 1703.

113 Stadtarchiv Baden-Baden, Angabe ohne Signatur,S. 248r.

114 Stadtarchiv Baden-Baden, A 12/6, S. 133r, 10. Feb-ruar 1733.

115 Notizen Emilie Ruf Baden-Baden ohne Signatur,Stiftskirche Baden-Baden Liber mortuorum(?)S. 38r, 17. September 1738.

116 Stadtarchiv Baden-Baden, A 21/2, Bürgermeister-rechnung 1722 und 1727.

117 Stadtarchiv Baden-Baden, A 21-2/157, Bürger-meisterrechnungen 1710, 1720, A 21-2/157, 1721.

118 Stadtarchiv Baden-Baden, Bürgermeisterrech-nung 1705.

119 Pfarrarchiv der Stiftskirche Baden-Baden: Libermortuorum.

120 Stadtarchiv Baden-Baden, Bürgermeister-Rech-nungen 1669 bis 1679.

121 Stadtarchiv Baden-Baden, Bürgermeister-Rech-nung 1676.

122 Stadtarchiv Baden-Baden, Contracten-Protocoll,S. 74b, 1. Januar 1676.

123 Stadtarchiv Baden-Baden, LB, 15. Dezember 1738.124 Die Lesung des Datums ist nicht zweifelsfrei zu deu-

ten. Vermutlich handelt es sich um den 12. August.125 faber lignarius: Schreiner.126 Querra, badischer Bürger und Kaufmann war auch

bei der Heirat von Maria Magdalena Nicolino undFranz Ignaz Bettendorf in der Stiftskirche zuBaden-Baden Trauzeuge. Quelle: Pfarrarchiv,Stiftskirche Baden-Baden, Ehenbuch 1689–1756,p. 87.

127 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch I 1649/60 bis1723, S. 57.

128 Ebenda.129 Stadtarchiv Baden-Baden, Bürgermeisterrech-

nungen 1680 bis 1736.130 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch Band 2, S. 58.131 Ebenda, S. 57.

546 Badische Heimat 4/2005

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547Badische Heimat 4/2005

132 Ebenda, S. 86.133 Ebenda, S. 103.134 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch (1752 bis

1776/7) S. 87.135 Im Original in lateinischer Sprache: „distinctis

proclamationibus“.136 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch (1768 bis

1788), S. 8.137 Ebenda.138 Pfarrarchiv St. Alexander, Kindertotenbuch (1752

bis 1770), S. 97.139 Ebenda.140 Pfarrarchiv St. Alexander Ehenbuch (1752 bis

1776/7) p. 87.141 Generallandesarchiv Karlsruhe 195/251 Bürger-

annahmen 1658 bis 1803, Seite 34.142 Stadtarchiv Baden-Baden, Bürgermeisterrech-

nung 1687.143 Johann Claudius Dita, civis et lanio in veteri

Brisaco.144 Albert Neininger: Rastatt als Residenz, Garnison

und Festung, Selbstverlag Rastatt 1961, S. 82.145 Vergleiche hierzu das Kapitel „Backsteinbrenner“.146 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch 1648–1723,

S. 288.147 Johannes Georg Schindler aus Kuppenheim und

Catharina Gaulin, die Frau eines Rastatter Zieg-lers.

148 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch 1702.149 Eine Familie Brutschin ist bis in die fünfziger

Jahre in Rastatt nachweisbar. Ob es ich um Ita-liener handelt, kann nicht durch Quellenfundebelegt werden. Denkbar wäre auch, dass die Fami-lie Brutschi aus Schlackenwerth stammte.

150 Gemeindearchiv Mahlberg: Bürgermeisterrech-nung 1734/35. Freundl. Hinweis von Herrn DieterWeis (Anfrage an das Stadtarchiv 23. August 1995).

151 Ebenda.152 Thieme-Becker, Band 31, S. 262.153 Hans Rott (Bearb.): Die Kunstdenkmäler des Groß-

herzogtums Baden, Neunter Band Kreis Karls-ruhe, Zweite Abteilung Amtsbezirk Bruchsal,S. 107.

154 Stadtarchiv Rastatt, R 54, p. 4r, Bürgermeister-rechnung 1752.

155 Stadtarchiv Rastatt, R 54 8v, Bürgermeisterrech-nung 1752.

156 Pfarrarchiv St. Alexander, Totenbuch EintragNr. 151, S. 37.

157 Hermann Krämer.158 Stadtarchiv Rastatt, R 54 S. 28, Bürgermeister-

rechnung 1752. Der Originaleintrag lautet:„Hanns Georg Vanino auß der Rötteren gleichfalßseinen ZügelhüttenZinnß bezahlt mit 60 Gulden.“.

159 Stadtarchiv Rastatt, R 54, Bürgermeisterrechnung1752, S. 45.

160 Hermann Kraemer: Gotteshaus und Kunstdenk-mal aus Rastatts Glanzzeit. In: Die Ortenau 1950,S. 79.

161 Stadtarchiv Rastatt, B 156, Ratsprotokoll Nr. 726vom 10. Juli 1836.

162 Ebenda.163 Rastatter Wochenblatt Nr. 45, 6. November 1841.164 Stadtarchiv Rastatt, Bürgerbuch Z, S. 468–469.165 Stadtarchiv Rastatt, C 85, „Die Einteilung der Bür-

gerwehr in sechs Fähnlein …“.166 Vergl. auch: Rastatter Wochenblatt Nr. 90, 8. No-

vember 1848.167 Rastatter Wochenblatt vom 21. Mai 1853, Nr. 41.168 Stadtarchiv Rastatt, Bürgerbuch Z, S. 468–469.169 Stadtarchiv Rastatt, B 155, Ratsprotokoll Nr. 1839

vom 16. September 1829.170 Supplicant: Antragsteller.171 Stadtarchiv Rastatt, B 155, Ratsprotokoll Nr. 2006

vom 6. Oktober 1830.172 Stadtarchiv Rastatt, B 155, Ratsprotokoll vom

24. November 1830.173 Ebenda.174 Stadtarchiv Rastatt, B 155, Ratsprotokoll Nr. 2212

vom 4. Januar 1832.175 Stadtarchiv Rastatt, Bürgerbuch Z, S. 466–467.176 Ebenda.177 Stadtarchiv Rastatt, C 85, Die Einteilung der Bür-

gerwehr in sechs Fähnlein.178 Rastatter Wochenblatt 1853, Nr. 72 und 73.179 KaRa 6/Standesbücher Kuppenheim 1900–1904.180 Heinz Bischof: Heimatbuch Niederbühl und Förch

1057–1988, S. 207.181 Freundlicher Hinweis von Franziska Reynaud.182 Pfarrarchiv St. Alexander, Ehenbuch 1724–1751,

S. 17.183 Pfarrarchiv St. Alexander, Totenbuch 1831–1840.184 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufen (1768–1788),

p. 64.185 Wochenblatt für die Aemter Rastatt, Ettlingen und

Gernsbach Nr. 69 vom 27. August 1845.186 Pfarrarchiv St. Alexander, Taufbuch.187 Thieme-Becker, Band 30, S. 527.188 Stadtarchiv Rastatt, C 85.189 Stadtarchiv Rastatt, A 4496, Die Aufnahme der

Seelenzahl pro 1830.190 Stadtarchiv Rastatt, A 4497, Die Aufnahme der Be-

völkerung dahier betreffend. 1831.191 Stadtarchiv Rastatt, A 4496, Die Aufnahme der

Seelenzahl pro 1830.192 Die Durchsicht der Akten Stadtarchiv Rastatt

A 4497, A 4499 bis A 4503 erbrachte keine ein-schlägigen Hinweise.

Anschrift des Autors:Martin Walter

KreisarchivFortunatstraße 2

76437 Rastatt

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„Karl Kappler sei der Schumi der 1920erJahre“, so urteilt die Auto-Bild über den einstso bekannten Badener. Der Ausnahme-Renn-fahrer war vor einem dreiviertel Jahrhundertmit über 300 Siegen auf so legendären Markenwie Mercedes, Simson Supra, Benz oderBugatti einer der erfolgreichsten deutschenRennfahrer und erzielte auch respektableErfolge im Ausland. Karl Kappler wurde hochgeehrt, er erhielt hohe Auszeichnungen vomADAC (beispielsweise als erster die goldeneVereinsnadel, ihm wurde die silberne und diegoldene ADAC-Kanne überreicht). Der AvDzeichnete ihn für besondere Verdienste aus, derSchnauferlclub Deutschland erhob ihn sogarzum „Ehrenbundesbruder“. Von vielen ande-ren nationalen und internationalen Instituti-onen erhielt er Ehrungen.

JUGEND UND LEHRZEIT

Karl Kappler wurde am Morgen des21. August 1891 als Sohn von August undKaroline Kappler im elterlichen Haus in der

Gernsbacher Igelbachstraße geboren. Derjunge Karl begann 1906 eine Mechanikeraus-bildung bei der Süddeutschen AutomobilfabrikGaggenau (SAF). Nach eigenen Angaben hat erbereits mit 13 Jahren hinter dem Steuer einesWagens gesessen. Im Jahr 1906 erhielt er alseiner der ersten und als jüngster Automobilistin Deutschland seinen Führerschein. Seinenersten „Auftrag“ diesbezüglich bekam er nurwenige Tage darauf übertragen. Von seinemArbeitgeber wurde er gebeten, einen Wagen insferne Berlin zu überführen.

Sein erstes siegreiches Rennen, die Sub-ventionsfahrt Berlin-Stuttgart, bestritt der an-gehende 15 Jahre alte Mechaniker auf einemSAF mit der Startnummer 637 im Jahr 1907.1908 startete er als Beifahrer bei der Her-komerfahrt und 1909 nahm er an der Prinz-Heinrich-Fahrt teil. Karl Kappler arbeitete wei-terhin bei den „Benzwerken Gaggenau“. ZumSommersemester 1913 nahm Kappler dasStudium am „Rheinischen Technikum Bingenfür Maschinenbau und Elektrotechnik“ auf.Während des Krieges war der frisch gebackeneIngenieur in Leipzig verantwortlich für denBau des bis dahin größten Flugzeuges: derviermotorigen Zeppelin Staaken R VI.

DER RENNFAHRER KARL KAPPLER

Das erste Rennen mit dem Kappler an dieÖffentlichkeit tritt, ist das Flach- und Berg-rennen in Baden-Baden, das er 1922 auf einem1909 gebauten, bzw. 1920/21 modernisier-ten Benz-Gaggenau gewinnen kann. Er trium-phiert in diesem Jahr auch beim schwerenBergrennen in Pforzheim-Huchenfeld. Selbstbeim Internationalen Klausenrennen 1923 imSchweizer Kanton Uri belegt er „mit dem alten

! Martin Walter !

Im Donner der MotorenKarl Kappler

Die Geschichte des erfolgreichsten deutschen Rennfahrers der 1920er Jahre

Charlie Kappler gewinnt als 15-jähriger die Subventions-fahrt Berlin–Stuttgart auf einem Produkt der SüddeutschenAutomobilfabrik Gaggenau, 1907 Kreisarchiv Rastatt

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Page 69: Badische Heimat

Kappler’schen Benz-Gaggenau“ in der Sport-wagen-Klasse über 5000 ccm einen hervor-ragenden zweiten Platz.

Das Highlight 1923 war sicherlich derunerwartete Gesamtsieg des Baden-BadenerAutomobilturniers. 1924 wechselte KarlKappler das Fabrikat und steuerte in dieserSaison einen Mercedes. Mit der jeweilsschnellsten Zeit des Tages gewinnt er dasKasseler Herkules-Bergrennen, ein drittes Malin Pforzheim-Huchenfeld und wird zweiterbeim Baden-Badener Automobilturnier. Unteranderem fährt er im September des Jahresauch ein Rennen in der Region, das „2.Motorrad und Automobilturnier Herrenalb“und startet in der Rennwagenklasse mit einemKompressor-Mercedes.

1925 erwirbt Kappler einen Simson SupraSS, eine Marke die heute nur noch Spezialistenkennen, damals gehörte der Rennwagen aberzu den schnellsten Fahrzeugen in Europa.Erste Erfolge mit dem Simson Supra SS erfuhrsich Karl Kappler bei der Baden-BadenerRobert-Batschari-Fahrt 1925, aber auch beiden Freiburger Rekordtagen, bei denen ereinen Doppelsieg feiern konnte. Einen souver-änen Bergrekord konnte er auch beim II. Berg-rennen in Marburg verbuchen. Insgesamt 32erste Plätze belegten die Simson-Supras indiesem Jahr. 1926 gelang Kappler der 100.Sieg. Bei den „Rekordtagen“ in Freiburg 1927konnte Kappler bereits den 200. Sieg in seiner

Laufbahn als Rennfahrer feiern. Dies brachteihm eine Titelseite in der ADAC Motorwelt ein.Unglaubliche 300 Siege sollten es bis zumEnde seiner Laufbahn werden.

Kappler und Baden-BadenZahlreiche Siege beim Automobilturnier

und bei den Herbstsporttagen verbinden dasAusnahmetalent mit Baden-Baden, das ihmsicher zu einer zweiten Heimatstadt gewordenist. Er siegte in der Weltkurstadt auf den be-rühmten Bugatti Rennwagen vom Typ 35, aufSimson-Supra SS, aber natürlich auch mitdem 1909 in Gaggenau produzierten Renn-wagen Benz-Gaggenau des Typs Prinz Heinrichsowie auf Benz und später auf Mercedes-Benz.Kappler siegt in Bergrennen, bei den Geschick-lichkeitsturnieren vor dem Kasino und erdominiert die Flachrennen zwischen Rastattund Ettlingen, die auf der kerzengeradenheutigen B 3 ausgetragen wurden. Und nicht

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1927 gewinnt der „Schumi der 1920er Jahre“ den Freibur-ger Bergrekord auf einem Simson Supra SS. Dabei zeigtKappler was einen Herrenfahrer ausmacht. Am Steuer desseltenen Rennwagens ist Kappler oft nur mit Jacket,weißem Hemd und Binder zu finden. Kreisarchiv Rastatt

Die Sektion Baden-Baden des Badischen Automobilclubsverlieh Karl Kappler im Juni 1930 diese wertvolleBronzeplatte auf Eichenholz für seine Verdienste um daslegendäre Baden-Badener Automobilturnier. 1930.

Privatsammlung

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Page 70: Badische Heimat

nur einmal schlug er Koryphäen wie RudolfCaracciola. 1930 erhielt er vom Badener Auto-mobilclub für seine Leistungen, aber auch alsFörderer des BAC eine wertvolle Bronzetafelauf Eichenholz (ein Unikat, das sich bis heuteerhalten hat).

1926 siegte Karl Kappler mit dem Bugatti35 T beim Schauinslandrennen, beim Kniebis-Rennen, im August des Jahres beim Oberjoch-Rennen im Allgäu sowie bereits im Mai ’26beim Herkules-Bergrennen bei Kassel. 1927gewann er in das Taubensuhl-Rennen bei Lan-dau und das Krähberg-Rennen im September1927. Dabei stellte er mehrere Strecken-rekorde auf. Bei fast jedem Start war Kapplersiegreich.

Im Hinblick auf die Teilnahme am erstendeutschen Grand-Prix-Rennen 1927 – durch-aus vergleichbar mit der heutigen Formel 1 –auf dem Nürburgring entschloss sich Kapplerzum Kauf eines leistungsstärkeren Bugattisvom Typ 35 C mit Kompressor. In seinem 1932erschienen Buch mit dem Titel „Im Donner derMotoren“ berichtet der Journalist Rolf Marbenu. a. über zwei unerfreuliche Erlebnisse in derRennfahrerkarriere des Gernsbacher Ingeni-

eurs, die er mit diesem Bugatti 35 C, hatte. ImMai 1927 ging Charly Kappler mit seinemneuen 2-Liter Bugatti an den Start. NachdemKappler den Massenstart und die ersten dreiRunden gut überstanden hatte, kam es in dervierten mit dem Rennfahrer Heusser fast zurKollision. Kappler wich seinem Konkurrentenaus und trat mit aller Macht auf das Brems-pedal „und stemmt sich gegen das Steuerrad,daß ihm die Gelenke schwellen“. Kapplerbleibt nichts weiter übrig, als in den Graben zufahren. Das Fahrzeug schoss allerdings da-rüber hinaus, der Bugatti kam ins Schleudernund raste in den Wald. Dabei rasierte derBugatti eine Tanne mit einer Stammdicke von28 cm ab und prallte gegen einen weiterenBaum, den er zunächst wie ein Streichholzumknickte. Kappler fand sich samt Bugatti inder Baumkrone eines Nachbarbaumes wieder.Kappler wurde in das Hospital eingeliefert. Wiesich dort später herausstellte, hatte er eineBeckenquetschung erlitten, die ihn aber nurwenige Tage ans Krankenbett fesselte.Allerdings brachte ihn dieser Unfall fürgeraume Zeit einen Spitznamen ein: „KarlKappler der Rekord-Fäller von Wiesbaden“.1

550 Badische Heimat 4/2005

67 Jahre ist Karl Kappler mittlerweile alt. Hier sitzt er am Volant eines Mercedes Benz anlässlich des Gaggenauer Volksfestes.Auf dem Beifahrersitz sein Schäferhund Ajax. 1958. Kreisarchiv Rastatt

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Page 71: Badische Heimat

Das rennfahrerische Highlight 1927 warsicher der erste Große Preis von Deutschlandauf dem Nürburgring bei Adenau.

Karl Kappler nahm am 17. Juli 1927 mitdem reparierten Fahrzeug am Ersten GroßenPreis von Deutschland teil.2 Der Gernsbacherstartete in der 2-Liter-Rennwagenklasse undhatte 6 Konkurrenten, denen er zunächst sicherdavon gefahren war. Nach der fünften Rundebesaß er bereits einen sicheren Vorsprung vonknapp zwei Minuten. Nach einem Boxenstopp,bei dem das Kühlwasser aufgefüllt wurde, fuhrer weiter, ohne seine Spitzenposition zu ver-lieren. In der sechsten Runde steigerte er seineGeschwindigkeit auf rund 190 km/h und„brauste in die hintere Zielgerade bei denTribünen. Sein Motor donnerte rund 13 000Zuschauern um die Ohren. Kurz vor dem Ziel-richterhaus bremst Kappler ab und will vomvierten auf den dritten Gang zurückschalten. Indem Augenblick, da er das Gas wegnimmt,merkt er, daß das Gas-Pedal, sich festgeklemmthat, daß es ,hängt‘ Das Gehirn kann kaum so

schnell arbeiten, wie der Wagen rast. Kapplerkuppelt aus und zieht die Handbremse. Aber dieGeschwindigkeit läßt nicht nach. Der Wagenfegt in die Kurve hinein“.

Der Bugatti 35 C schießt mit einer viel zuhohen Geschwindigkeit in die Kurve und rastdirekt auf eine grasbewachsene Böschung zu.Der Rennwagen fliegt fast 15 Meter weit durchdie Luft. Kappler wird dabei aus dem Fahrzeuggeschleudert und landet im weichen Lehm-boden. Er verliert das Bewusstsein. DasPublikum hält ihn für tot. Und so wird auchdas Gerücht unter den Zuschauern weiter-getragen: Kappler ist tot!

Aber auch diesmal hat er wieder unsagbaresGlück. Nach 23-stündigem Koma wacht er imAdenauer Krankenhaus auf. Nach wenigen Tageder Ruhe fährt er nach Hause nach Gernsbach,lässt sich in Baden-Baden röntgen, wo man dannfeststellt, dass er „nur“ zwei Rippen gebrochenhatte. Ruhelos wie er ist, startet er acht Tagespäter beim Freiburger Bergrennen und siegtdort überlegen in der Sportwagenklasse.

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Eines der Lieblingsfotos des Rennfahrers zeigt ihn zu Beginn der 1930 Jahre vor einem luxuriösen Mercedes-Benz Cabriolet.Im Hintergrund Schloss Neueberstein im Murgtal. Um 1932. Kreisarchiv Rastatt

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1928 erlebt Kappler wieder die Sonnen-seiten im Leben eines Rennfahrers. ImWiesbadener Automobil-Wettbewerb gewinnter zwei Rennen. Zum einen in der Sportwagen-klasse auf Simson Supra, zum anderen abermit dem damals brandneuen Kompressor-Bugatti.

Die Ära BugattiDa das Leistungspotential des Simson

Supra SS für Grand-Prix-Rennen sicherlichnicht ausreichte, kaufte Kappler bereits 1926einen 120 PS starken Bugatti 35 T. Kapplerkonnte mit dem Rennwagen kaum zu zählendeErfolge erzielen. 1926 siegte er u. a. beim Frei-burger Schauinslandrennen, beim Oberjoch-Rennen im Allgäu, beim Herkules-Bergrennenbei Kassel. 1927 gewann er überlegen dasTaubensuhl-Rennen bei Landau und das Kräh-berg-Rennen im September 1927, um nur zweiErfolge aus diesem Jahr zu nennen.

Kappler’s zweiter Bugatti: Type 35 C und Abschied vom RennsportAuch mit diesem etwa 20 PS stärkeren

Rennwagen nahm der Gernsbacher an zahl-reichen Rennen teil. Im Sommer 1927 starteteer beim Zweiten Großen Preis von Deutsch-land auf dem neu gebauten Nürburgring. Erwar für die 2-Liter-Rennwagenklasse gemeldetund hatte 6 Konkurrenten, denen er zunächstsouverän davonfuhr. Nach der fünften Rundebesaß er bereits einen sicheren Vorsprung vonzwei Minuten. Nach einem Boxenstopp fuhr erweiter, ohne seine Spitzenposition zu ver-lieren. Leider musste er wegen eines tech-nischen Defektes aufgeben und landete, wiezuvor erwähnt, mit dem Wagen im Seiten-graben. Der Bugatti 35 C von Kappler giltübrigens in Fachkreisen bis heute als dererfolgreichste seines Typs. Mit dem Verkauf desteuren Rennwagens im Frühjahr 1930beendete Kappler seine Rennfahrerkarriereund wandte sich einem neuen Kapitel inseinem Autofahrer-Leben zu: den Lang-streckenfahrten. Auch hier war „unser“ Charliewie gewohnt erfolgreich. Er nahm bei allen

bekannten nationalen Rallyes und Lang-streckenfahrten teil und war auch im Auslanderfolgreich. Er startete seit 1928 bei der RallyeMonte Carlo und avancierte dabei zu einem dererfolgreichsten deutschen Piloten. Sein außer-gewöhnlicher Wagemut brachte ihm auch einebesondere Auszeichnung aus der Hand desFürsten von Monaco ein.

Die ruhigen Jahre nach 1945Wenn man heute gerade die ältere Gene-

ration befragt, so erinnert sich mancher an denlegendären Badener: „Rennfahrer Kapplerfährt wieder“ und ähnliches wissen die Murg-täler zu berichten, wenn der „schnelle Charlie“mal wieder auf den engen Kehren zwischenGernsbach und Baden-Baden Staub auf-wirbelte, oder die kerzengerade B 3 zwischenRastatt und Ettlingen als „Hausrennstrecke“beanspruchte. Im Zweiten Weltkrieg stellte erseine Villa in Gernsbach-Scheuern als Ent-bindungsheim zur Verfügung und zog in dieumgebaute Garage. Nach dem Ende desKrieges setzten ihn die Franzosen sogar zeit-weise als Bürgermeister in Scheuern ein.Vielen aber ist Karl Kappler wegen seinesReifenhandels noch in Erinnerung, den er biszu seinem Tode im November 1962 betrieb.

Anmerkungen

1 Rolf Marben: Im Donner der Motoren. 1932.S. 64 ff.

2 Beide Unfälle hat Kappler wohl mit dem 35 C ver-ursacht. Denn Rolf Marben schreibt, dass Kapplerbereits im Mai 1927 mit dem neuen 2 Liter Bugattian den Start in Wiesbaden gegangen ist. Der „alte“35 T hatte rund 300 ccm mehr Hubraum.

Anschrift des Autors:Martin Walter

KreisarchivFortunatstraße 2

76437 Rastatt

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I. ZEITALTER DER REVOLUTION

„Die Geschichte von High-Tech in Kur-orten muss noch geschrieben werden“ stellte1997 Hans-Erhard Lessing in einem Aufsatzüber Karl Drais fest.1 In der Tat fällt es bisheute schwer, das „mondäne“ Baden-Baden mitdem „Zeitalter der Revolutionen“ (Leopold vonRanke) in Verbindung zu bringen. Das giltsowohl für die herausragende Rolle Baden-Badens in der Revolution 1848/49 als auch auftechnischem Gebiet. Die Kräfte der Verände-rung bekamen seit der Französischen Revolu-tion immer mehr geistigen, kulturellen und

politischen Einfluss. Mit der Konstruktion derDampflokomotive wurde der Transport vonMenschen, Tieren und Waren revolutioniert.Heinrich Heine fasste diesen Prozess 1843 infolgende Worte: „Welche Veränderungenmüssen jetzt eintreten in unsrer Anschauungs-weise und in unseren Vorstellungen! Sogar dieElementarbegriffe von Zeit und Raum sindschwankend geworden. Durch die Eisenbah-nen wird der Raum getötet, und es bleibt unsnur noch die Zeit übrig“.

In der Karlsruher Zeitung vom 24. Januar1825 erfahren wir von englischen Aktiengesell-schaften, „welche für die Ausführung von

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! Dieter Baeuerle !

Eisenbahn- und Automobil-Pionierein und aus Baden-Baden

Baden-Baden und High-Tech

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Blick über den Bahnhof zur Stadt Baden-Baden. Farblithographie von C. Pausch um 1850.

Eisenbahn- und Automobil-Pioniere

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Eisenbahnen auf die bedeutendsten Entfer-nungen“ Kapital suchten.2 Die gleiche Ausgabeberichtet von den „Annehmlichkeiten einerGasbeleuchtung“, die der englische GeneralCongreve in mehreren deutschen Haupt-städten einführen wollte sowie von der „Be-quemlichkeit von geruchlosen Abtritten“, dieeine Pariser Gesellschaft anbot. Baden-Badenselbst bekam die erste Gasbeleuchtung 1845,30 Jahre nach der Partnerstadt Karlsbad, aberzeitgleich mit Prag …

II. FRIEDRICH LIST UNDLUDWIG BÖRNETheoretiker in Baden-Baden

Einer der wichtigsten Wegbereiter derdeutschen Eisenbahnen war Friedrich List. Am6. August 1789 wurde er in Reutlingengeboren, 1819 gründete er den Deutschen Zoll-verein für die „Beförderung des deutschenHandels und Gewerbes“. Deutschland litt zuBeginn der 19. Jahrhunderts unter Unfreiheit,Kleinstaaterei und fehlender Handelsfreiheit.Lists ganzes Streben galt der wirtschaftlichenund nationalen Einheit Deutschlands sowie derErrichtung eines Eisenbahnnetzes. Am 5. Mai1819 war der Tübinger Professor bereits zuBesprechungen mit den Badischen Abgeord-neten von Liebenstein und von Lotzbeck inKarlsruhe. Es war sein erstes Treffen mitBadischen Liberalen, deren Aufgeschlossenheitfür die neue Zeit als vorbildhaft zu gelten hat.

Im Mai 1825 veröffentlichte die KarlsruherZeitung eine Meldung zu den Verhandlungenüber einen süddeutschen Zoll- und Handels-

verein: „Mögen die … Verhandlungen bald zudem Resultate führen, das von Millionen fleißi-ger Staatsbürger mit Sehnsucht erwartet wird,mögen die Regierungen Süddeutschlands inder durch einer freien Bewegung des Verkehrsherbeigeführten Vermehrung der innerenKräfte ihrer Staaten sich bald eines beglücken-den Erfolges … erfreuen!“. In diesem Jahrmusste der „Pionier des Reiches“3 nach Ame-rika auswandern, nachdem er bereits am6. April 1822 wegen Verleumdung der Regie-rung, Beschimpfung der Staatsdiener undanderer „Verbrechen“ zu 10 Monaten Fes-tungshaft verurteilt wurde. Er floh über Rhein-bischofsheim nach Straßburg und hielt sich abSeptember in Kehl auf.4

Das Zeitalter der Revolutionen war aucheines der Restauration, es galt alle liberalenAnsätze zu unterdrücken und zu verfolgen.Daher war Börne öfters gezwungen, „dieKampfstätte zu räumen und häufiger seinenWohnsitz zu wechseln“.5 Das „Verzeichnis derim Mai dahier anwesenden Badgäste“ im Bade-blatt Nr. 1 vom 20. Mai 1832 führt Börne mitseiner Freundin Jeanette Wohl im „Au Bade deStéphanie“ (Im Stephanienbad) auf. NachWilhelm Chezy „… erschien Börne ziemlichfrüh im Lenze von 1832 und miethete eineWohnung für den ganzen Sommer“.6 „Gerne“hätte Börne Chezy „für die Partei gewonnen“,ihr Verhältnis beschrieb Chezy als „sehr gut“,Börne selbst als „leberkranken Staatshämor-rhoidarius von unwirscher Gemüthsart; sobalder jedoch warm wurde, … ließ er ein lustigesFeuerwerk in unerschöpflicher Fülle los“.Chezy berichtet, dass Börne zur Massenkund-gebung des süddeutschen Liberalismus inHambach Mitstreiter werben wollte. „Inscherzhaftem Tone“ drohte er mit einemFreunde, und dass er „nicht wüsste, ob icheuch vor dem Wütherich retten kann, … wennihr nicht nach Hambach geht“.

Im vorangegangenen Jahr 1831 besuchteLudwig Börne auch schon Baden-Baden. Nacheinem Gespräch mit Friedrich List schreibtBörne: „Diese Eisenbahnen sind meine undLists Schwärmereien wegen ihrer ungeheurenpolitischen Folgen. Allem Despotismus wäredadurch der Hals gebrochen, Kriege ganzunmöglich“. Nach Bernt Engelmann lernteBörne List in Baden-Baden kennen.7 Diese

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Bahnhof Baden-Baden mit Lokomotive. Bildausschnitt ausC. Pausch.

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Behauptung widerlegt ein Brief vom 8. Okto-ber 1831 aus Paris, in dem Börne über denAbschied von List schreibt: „Es gibt nichtsKomischeres als die Verzweiflung diesesMannes, wieder in den deutschen Kerkereingesperrt zu werden und nicht in Parisbleiben zu können“.8 Im Alter von 57 Jahrenschied List freiwillig aus dem Leben, eindeutsches Schicksal wie wir es auch beimnächsten Pionier feststellen müssen.

III. KARL DRAISMit dem Fahrrad in die Kurstadt

Baden-Baden bot nicht zuletzt wegenseines internationalen Publikums eine Platt-form zur Kommunikation und Demonstrationneuer Ideen. Den ersten Nachweis einer tech-nischen Pioniertat in Baden-Baden lieferteKarl Drais – als bekennender Demokrat hatteer 1848 auf seinen Adelstitel verzichtet – Ende

Juli 1817 mit seiner „Fahrmaschine LODA“, alser „den steilen, zwey Stunden betragendenGebirgsweg“ von Gernsbach nach Baden-Baden in „ungefähr 1 Stunde“ bewältigte.9

Weiter heißt es: „Die Haupt-Idee der Erfindungist dem Schlittschuhfahren genommen undbesteht in dem einfachen Gedanken, einen Sitzauf Rädern mit den Füßen auf dem Boden fort-zustoßen“. Praktischerweise gehörten auchReisetaschen zum Zubehör.

In dieser Anzeige erfahren wir von dervorangegangenen Fahrt in der Rheinebene vonMannheim zum Schwetzinger Relaishaus (nichtRebenhaus), „die als die früheste bekanntgewordene Zweiradfahrt der Welt zu geltenhat“.10 Im Sommer 1818 berichtete das Bad-wochenblatt von einer „noch größeren Kunstbei der Behandlung dieser Maschine, indem eröfter – auf etliche Stöße, die er sich an dem Pro-menadenhaus gab – durch die ganze Länge derHaupt-Allee des Promenadeplatzes und alsdann

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Erste Nachricht über die Fahrt von Gernsbach nach Baden-Baden im Juli 1817 mit der Fahrmaschine LODA

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noch links um das Eck herum seitwärts nochüber 100 Schritte weiter (im Ganzen also über230 Schritte) balanciert hat, ohne dazwischeneinen Fuß auf den Boden zu bringen“.11

Krank und für „blöd“ erklärt starb dasGenie 1851 verarmt in Karlsruhe, ein Jahr zu-vor war der Sohn eines Polizeidirektors von derPolizei aus der Kurstadt „entfernt worden“. Dienach ihm benannte – von Hand oder Fuß fort-bewegte – Draisine auf Eisenbahnschienenkündet noch heute von dem Erfindergeist des„Freiherrn von Sauerbronn.“

IV. GEORG MUHLSchriftsteller pro Bahn

Im Mai 1838 erschien eine bei G. Scotz-niovsky in Baden-Baden gedruckte Schrift vonGeorg Muhl über seine Eindrücke der Eisen-

bahn in Belgien.12 Die Schrift erschien nachdem sog. „Eisenbahnlandtag“ vom Februarund März und vor den ersten Bauarbeiten ander Eisenbahntrasse zwischen Mannheim undHeidelberg. Damals herrschte im ganzen Landeine Eisenbahneuphorie.13 So erhoffte sichMuhl eine erhebliche Zunahme von Gästennach Baden-Baden, dem „Eldorado aller Tou-risten und Reisenden“: „… statt der 16 000Fremden, die es während der schönen Jahres-zeit besucht haben, sechszehnmahl sechszehn-tausend zählen können“.

Neben der ausführlichen Darstellung desSchienen- und Wagenmaterials beschreibtMuhl auch das Fahrerlebnis, nicht zuletzt umdie zahlreich vorhandenen Vorurteile zu wider-legen: vor allem dem Rückwärtsfahren wurden„Beklemmung oder Schwierigkeiten im Atem-holen“ nachgesagt. Der letzte Abschnitt mitseinem optimistischen Ausblick auf ein einigesund friedliches Europa lautet: „Nationen undStädte werden sich näher rücken; Feindselig-keiten und Kriege müssen der Civilisationweichen; Völkerschaften werden mit Völker-schaften in einem Verhältniß leben, wie einNachbar zum andern; die allgemeine Wohl-fahrt befördert, denn ein Theil der Erde istreicher an Natur-, ein anderer an Industrie-und Kunstproducten; der gegenseitige Verkehrund Austausch wird so erleichtert werden, dasssich Alles gleichmäßig vertheilen kann; dieMenschen unter einander werden sich alsBrüder kennen lernen und freundschaftlich dieHand bieten; – ja, was schon Viele geahnet,Wenige ausgesprochen haben, das wird einenicht mehr ferne Zukunft vielleicht schon demkommenden Geschlechte offenbaren; die euro-päischen Staaten werden durch dieses groß-artige Bindungsmittel das Bild einer großenStaatenfamilie, das Bild eines einzigen undfriedlichen Ganzen darbieten“.14

Veit Valentin bezeichnete in seinem Werküber die Revolution 1848/49 die Eisenbahn als„beste Revolutionsmacherin“. „In der Revo-lution selber, die ohne die Eisenbahn in dieserForm gar nicht denkbar gewesen wäre, ver-doppelte sich dann noch einmal schlagartig dasgesamte Aufkommen im Bereich des Personen-verkehrs.“15 „Hofrath Dr.“ Muhl wirkte zehnJahre nach dem Erscheinen seiner 38seitigenSchrift selbst aktiv an der Verwirklichung

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Georg Muhl. Die westeuropäischen Eisenbahnen in ihrerGegenwart und Zukunft. Baden-Baden 1838.

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seiner Vision mit. Baden-Baden wurde amMorgen des 14. Mai 1849 Zeuge einer „Sonder-fahrt“ mit der Eisenbahn: Nachdem LorenzBrentano vom Gasthaus zum Geist abgeholtworden war, bestieg er im Bahnhof Baden-Baden zusammen mit Gustav Struve einen„Extrazug“, der ihn zur Regierungsübernahmenach Karlsruhe brachte. Struve selbst blieb inOos und schildert die damalige Situation inseiner 1849 in Bern erschienenen Geschichteder Badischen Revolution wie folgt: „In Baden-Baden wurden die erforderlichen Befehle zurBewirkung einer allgemeinen Volkserhebungerlassen. Bis Oos reisten Brentano und Struvezusammen. Dort blieb Letzterer zurück, umdie schon von allen Seiten herbeiströmendenVolkswehren zu organisieren …“.

Der Großherzog Leopold war in der Nachtzuvor aus dem Karlsruher Schloss geflohen,die Eisenbahn ermöglichte einen „reibungs-losen“ Machtwechsel.

Muhl repräsentiert einen der vielen zuge-zogenen Bürger dieser Zeit, denen die größ-tenteils wohlhabenden Kur- und Dauergästevielfache Verdienstmöglichkeiten boten. Dergebürtige Westfale kam nach dem Abschlussseines Theologie- und Philologiestudiums inHeidelberg als Hofmeister einer englischenFamilie nach Baden-Baden, wo er um 1835 einUnterrichtsinstitut für alle Fächer mit beson-derem Schwerpunkt in deutscher Sprachegründete.16 Er integrierte sich rasch in derStadt und nahm in der Revolution nichtzuletzt als Herausgeber der Allgemeinen Bad-zeitung (ab April 1849 MittelrheinischeZeitung) eine führende Stellung ein. Dabei ver-trat er „die Richtung des wahren Fortschrittesin entschiedener Weise“. Er war Mitglied in derBürgerwehr, 1849 wurde er im demokrati-schen Volksverein und in den neu entstan-denen politischen Ausschüssen aktiv. EndeJuni 1849 musste er über Straßburg undNancy in die Schweiz flüchten, danach hielt ersich in Frankreich und London auf.17

Baden-Baden war zu Beginn des 19. Jahr-hunderts ein beliebter Aufenthaltsort von Eng-ländern. In welchem Zusammenhang der imJuli 1838 erwähnte Baillie18 mit dem 1841 zumLokomotivbau in der Karlsruher Maschinen-fabrik angestellten John Baillie (1806–1859)steht, ließ sich nicht nachweisen. Fest steht,

dass der Mitbegründer dieser Fabrik, EmilKeßler, in Baden-Baden geboren wurde.

V. EMIL KESSLERDer Eisenbahnpionier aus Baden-Baden

Der Eisenbahnpionier der Kurstadt wurdeam 20. August 1813 in Baden-Baden geboren.Sein gleichnamiger Vater wurde 1769 in Mar-burg geboren und kam 1803 nach Baden. Ausgesundheitlichen Gründen zog er mehrmalsnach Baden-Baden, in den Jahren nach 1812ist er auch als Vermieter und Hauseigentümernachzuweisen. 1820 finden wir den Vater inKarlsruhe, der Sohn aber verbrachte die„Saison“ mit seiner Mutter in Baden-Baden.19

Ab dem Jahr 1821 wohnte Keßler sen. wiederin Baden-Baden u. a. beim Färber Siefert, wo erauch 1824 starb. Im Taufbuch der Stiftskirchewird er als „Großherzoglich badischer Majorund Ritter des Großherzoglich BadischenMilitärverdienstordens“ bezeichnet.

Durch seine zwei Heiraten in einflussreicheund vermögende badische Familien schuf ergünstige Startbedingungen für die Karriereseines Sohnes. Sein Schwiegervater GottfriedPosselt20 gründete durch seine vielen Kindereine „neue badische ,Dynastie‘ von Hofräten,Amtmännern, Räten und Amtsverwaltern, aberauch Ärzten, Professoren und weiteren Geist-lichen, die sicherlich über nicht geringen Ein-

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14. Mai 1849 Bahnhof Oos. Von G. Struve, K. Blind und G. Metternich unterzeichnetes Schreiben an denBürgermeister von Oos.

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fluss beim badischen Hof und bei der badi-schen Regierung verfügten“.21

1809 ehelichte der pensionierte MilitärCarolina Schübler aus Lichtenau, Tochter desAmtmannes Johann Daniel Schübler. Ihr SohnEmil Julius Karl wurde am 22. August in derStiftskirche katholisch getauft, da eine evan-gelische Gemeinde noch nicht existierte undPfarrer Lorenz ein Beispiel für die damals herr-schende Toleranz darstellte.22 Emil jun. hat inBaden-Baden seine Kindheitsjahre verbracht.In allen Publikationen ist zu lesen, dass erseine erste Schulbildung am Pädagogium, derNachfolgeschule des 1809 nach Rastatt ver-legten Lyceums, erhielt. Im Nachlass findetsich eine Notiz, dass Emil im Jahr 1826 seineSchulbildung am Pädagogium abgeschlossenhabe.23 Im selben Jahr finden wir ihn dann auf

einer Schülerliste der Polytechnischen Schulein Karlsruhe, 1835 bis 1837 war er dort selbstals Lehrer tätig. 1832 errichtete der nur4 Jahre ältere Lehrmeister von Emil, JakobFriedrich Messmer (1809 in Karlsruhe gebo-ren), eine mechanische Werkstatt in Karls-ruhe, die Keßler 1836 mit 23 Jahren über-nahm.

Die Heirat am 22. Dezember 1837 mitCaroline Sachs, Tochter des Karlsruher Stadt-apothekers, behinderte seine Karriere aufkeinen Fall. Im selben Jahr wurde sein Antragauf Gründung seiner Maschinenfabrik vomInnenministerium genehmigt und er begannmit seinem Kompagnon Theodor Martiensendie Produktion von mechanischen Gerät-schaften. 1838 wurde die erste Dampfmaschineproduziert. Nach dem Beitritt Badens zumZollverein im Jahre 1835 – 16 Jahre nach demersten Besuch Lists in Karlsruhe in dieserSache – entstanden im Großherzogtum Badendrei große Unternehmen: Spinnerei undWeberei Ettlingen und Zuckerfabrik Wag-häusel als Aktiengesellschaften und die Ma-schinenfabrik Keßler & Martiensen als Privat-unternehmen (Keßler brachte 18 000 Gulden,Martiensen 2000 Gulden ein). Im Dezember1841 war die erste Lokomotive BADENIA fer-tiggestellt, Karlsruhe war zu diesem Zeitpunktnoch nicht an das Eisenbahnnetz angeschlos-sen. Die ersten sechs Lokomotiven der Badi-schen Staatsbahn wurden aus England im-portiert.

Ab Dezember 1847 stellte der bisherigeGeldgeber, das Karlsruher Bankhaus Haber &Söhne, alle Zahlungen an Keßler ein. NachStemmermann zog das Frankfurter BankhausRothschild seine Kredite an Haber zurück, weilKeßler „Erzeugnisse herstellte, für welche diebritische Industrie bisher eine Monopol-stellung genoß.“24 Am 14. März 1846 hatteKeßler die „Maschinenfabrik Emil Keßler, Ess-lingen“ gegründet, was nicht nur von Max vonHaber mit Skepsis bedacht wurde. Nachzahlreichen Rettungsversuchen (sog. Drei-Fabriken-Frage) wurde die Fabrik 1852 in eineAktiengesellschaft umgewandelt. Keßler kon-zentrierte sich auf seine Fabrik in Esslingenund zog nach Stuttgart: „Ich gebe die Früchtemeiner Arbeit dahin, um den Vergleich nachBilligkeit zustand bringen zu können, und so

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Emil Keßler. Ölgemälde von Johann Grund, 1858.

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glaube ich getan zu haben, was nur immer mitRecht von mir erwartet werden kann“.25

Emil Keßler war einer der wichtigsten süd-westdeutschen Industriellen mit guten undselbstbewussten Beziehungen zum Badischenwie Württembergischen Hof. Auch die standes-gemäßen Ehen von Vater und Sohn schufenwichtige Kontakte. Seine gute Schulbildung inBaden-Baden26 und Karlsruhe und die vielenAuslandskontakte (Paris, England, Alpenlän-der) befähigten ihn zum Unternehmer imvollsten Sinn des Wortes. Der Badische Staatunterstützte ihn diplomatisch und finanziell,wobei er selbst ein großes kaufmännischesWagnis (in jungen Jahren) einging. Er zeigteein großes Selbstbewusstsein, sein AngestellterNiklaus Riggenbach27 bezeichnete ihn sogarals „selbstherrlich, überheblich und skrupel-los“, aber auch als „dankbar“. Riggenbachselbst schreibt, dass er „bei guter Bezahlung …sehr gut aufgenommen“ wurde.28 Sein nebendem Ettlinger Tor in Fabriknähe gebautesHaus wurde nach seinem Umzug nach Basel1853 an die Chistofle-Fabrik verkauft.

Im Alter von nur 54 Jahren erlag er am 16.März 1867 einem Herzschlag, einhundertJahre später ging die Keßler’sche Maschinen-fabrik Esslingen AG zum Mercedes-Benz-Konzern über. Carl Benz, dessen Vater aus demAlbtal stammte und als Lokomotivführerarbeitete, war nach seinem Studium von 1864bis 1866 für die Maschinenfabrik Karlsruhetätig. Auch Wilhelm Maybach und GottliebDaimler waren in der von Keßler gegründetenFabrik beschäftigt. Von beiden wird noch zumThema High-Tech im Kurort die Rede sein.

V. FRIEDRICH EISENLOHREisenbahn- und Kirchenarchitekt inBaden-Baden

Eisenlohr wurde am 23. November 1805 inLörrach geboren und war 1824, zwei Jahre vorKeßler, Schüler an der Karlsruher Polytech-nischen Schule. 1832 folgte ein Lehrauftrag,zusammen mit Heinrich Hübsch (1795–1863)übernahm er die Leitung der höheren Baufach-schule. Bis zu seinem frühen Tod im Jahre1854 prägte er als Leiter des Hochbauwesensdas Erscheinungsbild der Badischen Staats-bahn bis in die heutigen Tage. Sein Mottolautete: „Der Baustil soll einfach und beschei-den, würdig, überall sparsam, aber nirgendsärmlich sein …“.29 Er hat sämtliche Hoch-bauten der Badischen Staatsbahn projektiert:von den Entwürfen zu Bahnhöfen (einschließ-lich der Inneneinrichtung mit Stühlen undLampen) und Bahnsteighallen über Schuppen,Barrieren bis zu den Stationstafeln hat ermodernste Bauaufgaben mit Mitteln der his-torischen Architektur, neben klassizistischerOrnamentik und mittelalterlichen Zierformen,errichtet. Im damals selbständigen Oos hat erden Bahnhof an der Rheintalstrecke entworfen.Die am 6. Mai 1844 „mit Sang und Klang undFahnen und Kränzen und dem obligaten Fest-mahl“30 offiziell eröffnete Bahnstation wurdeim Rundbogenstil errichtet und lag zur da-maligen Zeit weiter südlich. 1900 wurde dasneue Stationsgebäude in Oos eröffnet, vomehemaligen Eisenlohr’schen Gebäude istnichts mehr erhalten.

Das Gebäude besaß neben einer Wagen-halle auch ein Maschinenhaus, Kohlen-magazin, Waschküche und einen Pferdestallmit Eilwagenremise. In der Mitte des steiner-nen Gebäudes wurde ein kleiner Turm miteiner Glocke für den Fahrbetrieb errichtet.Rechter und linker Flügel waren zweistöckig,natürlich unterkellert und neben Wohnungenauch mit einer „Restauration“ versehen. Ander ehemaligen Stichbahntrasse ist heutenoch das Bahnwärterhäuschen Oosscheuernerhalten. Baden-Baden wurde eine der erstenStationen, die nach erfolgreichen VersuchenEisenlohr’s 1851 einen Bahntelegraphen, derauch von Privatpersonen benutzt werdenkonnte, erhielt.31

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Die Lokomotive EXPANSION. Keßler 1843, Karlsruhe

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Im Juli 1845 wurde der im Schweizerhaus-Stil – mit den charakteristischen Sägearbeiten– erbaute Sackbahnhof „Baden“ mit einemFürstensaal der Öffentlichkeit übergeben.Auch dieser Bau musste dem gesellschaftlichenStellenwert Baden-Badens gerecht werden, daMitglieder regierender Häuser – oft unter gro-ßem Publikumsandrang – empfangen wurden.Der Mannheimer Liberale Friedrich DanielBassermann „sprach sich nachdrücklich gegendie Neigung zu ,Prunkbauten‘ und gegen Ver-suche aus, mit besonderen Aufenthaltsräumenfür ,Standespersonen‘ Prinzipien der Ver-gangenheit in die moderne Welt zu schmug-geln“.32 Der westlich angebaute fürstlicheWartesalon wurde dennoch „nobel aus-gestattet“.33 Die Bahnsteighalle wurde ineinem Novembersturm 1870 zerstört; imStadtwald selbst wurden ungefähr 10 000große Bäume umgeworfen. Im Laufe der Zeitgenügte der Stadtbahnhof nicht mehr denBedürfnissen, obwohl er mehrfach erweitertworden war. Der „alte“ Bahnhof Eisenlohr’sstand bis zur Eröffnung des neuen Betriebs-gebäudes im März 1895. Der heutige sog. „AlteBahnhof“ dient als Vestibül des Festspiel-hauses.

1853 entschied sich der evangelische Kir-chengemeinderat mit Zustimmung des Ober-kirchenrats unter 5 Entwürfen einer Kirche fürdie Planung von Professor Eisenlohr. DieGrundsteinlegung im Jahr 1855 hat er nichtmehr erlebt, Eisenlohr starb bereits 1854 in

Karlsruhe. Die beiden Kirchtürme wurden erst1876 aufgesetzt, deren Architekt Lang wichjedoch erheblich von dein Entwurf Eisenlohr’sab.

VI. GOTTLIEB DAIMLER1887 zu Wasser und auf Schienen im Kurort

Am 13. Oktober 1887 kam der „Ingenieur“Gottlieb Daimler, „dem Wunsche einiger hie-sigen Herrn entsprechend“, mit einem neuerfundenen 1,5-PS-Motor in die Kurstadt ander Oos.34 Im Beisein von OberbürgermeisterGönner und Bürgermeister Seefels „machte erauf dem Waldsee eine halbstündige Fahrt miteinem kleinen Schiff und später mit einerDraisine Fahrten auf den Geleisen des hiesigenBahnhofes“. Am Baden-Badener Bahnhofhatten sich auch „Ihre Hoheiten“, die PrinzenHerrmann und August zu Sachsen Weimar,eingefunden „und ließen sich dieselben vondem Erfinder die (D. B.) Konstruktion desneuen Fahrzeuges erklären“. Daimler logierteim Hotel Goldener Stern, in Begleitung vondem „Ingenieur Wilhelm Maybach aus Cann-statt“.

Das Badener Wochenblatt berichtete wei-ter, dass 2 Tage später „Ihre KöniglicheHoheiten der Großherzog und die Großherzo-gin … geruht haben, … den neu erfundenenMotor des Herrn Ingenieur Daimler in Augen-schein zu nehmen und den überraschendenExperimenten beizuwohnen, welche der Erfin-

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Bahnhof Oos. F.-G. Delkeskamp, 1852.

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der auf dem Waldsee in der prägnantestenWeise ausführte“.35 Großherzog Friedrich I.hatte gerade eine Fahrt mit einem Kursschiffauf dem Bodensee erlebt. Durch den wiederumanwesenden Oberbürgermeister Gönner wurdeder Vertreter der „Eßlingen’schen Maschinen-fabrik, Herr Baurath Groß“ dem Großherzogvorgestellt. Vermutlich handelt es sich dabeium die 1846 von Emil Keßler gegründeteMaschinenfabrik Esslingen, die auch die erstenMotorlokomotiven der „Daimler-Motoren-Gesellschaft Bad Cannstatt“ herstellte.

Der Ettlinger Unternehmer WilhelmLorenz berichtete 1888 seiner Tochter Addaüber Gottlieb Daimler („merke dir den Na-men“), dass „ein kerniger Schwabe“, dem es an„Geld fehlt“, mit seinem Motor „die ganze Welterobern“ werde: „wir werden ohne Pferdefahren, wir werden die großen Schiffe damittreiben, die Maschinen laufen lassen, wirwerden fliegen und die Luft erobern!“36

VII. JOSEPH VOLLMERDer Automobil-Pionier aus Baden-Baden

Seit Pfingstmontag 2005 erinnert einSchild am Geländer der Oosbrücke zwischenFeuerwehr und Tourist-Information an dengroßen Baden-Badener Automobil-PionierJoseph Vollmer.37 Der Sohn eines Schlosser-meisters wurde am 13. Februar 1871 in Baden-Baden geboren. Als im Jahr 1886 Baden-Badenelektrische Bogenlampen der Marke Siemenserhielt, stand sein Berufswunsch fest: er wollteElektrotechniker werden, sein Vater soll jedochfür eine solide Ausbildung als Feinmechanikerin der Maschinenfabrik Esslingen plädierthaben. In der Literatur wird auch „eine Aus-bildung zum Elektromonteur in Cannstatt“38

angeführt. Beide Orte verbindet seltsamer-weise ein Zeitungsartikel über Vollmer ausdem Jahre 1942: hier heißt es „Maschinen-fabrik Esslingen zu Cannstatt“.39 Da Vollmerzu dieser Zeit nachweislich „vor allem Apparatefür die Eisenbahn“40 baute, spricht vieles fürdie Keßler’sche Maschinenfabrik in Esslingen.

Die Nähe der beiden Fabriken im Neckartalermöglichten Vollmer auf jeden Fall einenBlick über den Zaun zum „Kollegen“ Daimlerin Bad (!) Canstatt, dessen zwei Demon-strationen seines neuen Motors 1887 in Baden-

Baden der technologiebegeisterte Vollmer aufjeden Fall „mitgekriegt“ hatte.

Nachdem Vollmer u. a. den gesamten Stutt-garter Güterbahnhof mit Beleuchtungsanlagenversehen hatte, studierte er Maschinenbau. ImAugust 1894 erhielt Vollmer von TheodorBergmann aus Gaggenau den Auftrag fürWerkzeichnungen. Damit begann die KarriereVollmers, „den die Fachwelt zu den zehn wich-tigsten Automobilpionieren der Welt rech-net“.41 Vollmer beschreibt die Ereignisse imSommer 1894 so: „Im August des Jahres 1894habe ich mich zu Fuß über Ebersteinburgnach Gaggenau begeben und bei dem Fabri-kanten Theodor Bergmann höchstpersönlichvorgesprochen. Ich schlug ihm vor, die Fabri-kation von Motorfahrzeugen nach den vor-gelegten, von mir gefertigten Konstruktionenaufzunehmen. Der Mann und die Zeichnungenhaben Bergmann wohl imponiert, und wirwurden schnellstens einig, dass ich den folgen-den Tag die Werkzeichnungen bei meinenEltern in Baden-Baden beginnen sollte, diedann nacheinander in den Bergmann-Indus-triewerken zur Ausführung gelangten“.42

Im Sommer 1897 trifft er bei einer Fahrtmit seinem Erfolgsmodell „Orient-Express“den in Baden-Baden zur Kur weilenden

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Joseph Vollmer, Automobil im Hintergrund

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Wagenbauer Eduard Kühlstein. Er wurde Teil-haber an dessen Berliner Fabrik, danach Chef-konstrukteur in einem Automobilwerk undbaute 1903 den ersten Automobil-Lastzug derWelt mit dem programmatischen Namen„Durch“. 1900 erhielt er auf der Weltaus-stellung in Paris den Grand Prix für seinenPostbus mit Elektroantrieb.

Der bei Keßler schon erwähnte Carl Benzübernahm im Jahre 1910 endgültig die Berg-mann’schen Industriewerke. Die Unternehmender beiden gebürtigen Baden-Badener Keßlerund Vollmer wurden also von den fusioniertenBenz- und Daimler-Fabriken übernommen.Vollmers Entwicklungsarbeiten und Patentefür Personen- und Lastwagen erwiesen sich alsKonkurrenz zu der von Keßler mitbestimmtenEisenbahn. Beide sind das Paradebeispiel fürdie eingangs erwähnte „High-Tech“ aus einerKurstadt. Während ihrer Jugendzeit in derinternationalen Kurstadt kamen sie in Kontaktmit interessanten Theoretikern und Praktikernund den in Baden-Baden präsentierten tech-nischen Neuheiten.

Über Vollmer, der auf einer Reise zumVolkswagenwerk 1955 verstarb, lesen wir im

Heimatbuch des Landkreises Rastatt zu diesemThema: „… und stammt ausgerechnet aus demBaden-Baden der Belle Epoque, das man ehermit seinem Savoir-vivre als mit der Entwick-lung technischer Innovationen in Verbindungbringt“.43

Anmerkungen

1 Lessing, Hans-Erhard: Technik im Weltbad in:Mannheimer Geschichtsblätter 1996, Seite 304.

2 „In allen diesen öffentlichen Anzeigen berufen sichdie unterzeichneten Direktoren der verschiedenenGesellschaften, auf die bereits allgemein aner-kannten überwiegenden Vortheile der nach denneuesten Erfindungen verbesserten Eisenbahnen,in Hinsicht auf den möglichst wohlfeilen, sicherenund schnellen Transport von allen Arten vonWaaren und Produkten, so wie auch von Reisen-den, Diligencen, Briefposten u. dgl., und überallsoll die mächtigste und wohlfeilste aller bewe-genden Kräfte: der elastische Wasserdampfmittelst wandelnder, oder noch besser, mittelststehender Dampfmaschinen, statt der bishergebrauchten Pferde, zum Fortschaffen der auf deneisernen Geleisen mit der größten Leichtigkeit rol-lenden Wagen angewendet werden“. KarlsruherZeitung vom 24. 1. 1825.

3 Buchtitel von K. A. Meißinger.4 Dittler, Erwin: Friedrich List als Flüchtling in Kehl

und im Hanauerland in: Die Ortenau 1964, Seite126.

5 Hinderer, Walter (Hrsg.): Ludwig Börne. Samm-lung Insel o. J., Seite 11.

6 Chezy, Wilhelm: Erinnerungen aus meinemLeben. Zweites Buch: Helle und dunkle Zeit-genossen. Schaffhausen 1864, Seite 138 f.

7 Engelmann, Bernt: Trotz Alledem. DeutscheRadikale 1777–1977. Reinbeck 1979, Seite 136.Für einen Aufenthalt Lists habe ich keinen Beleggefunden.

8 Rippman, Inge und Peter (Hrsg.): Ludwig Börne –3. Band. Düsseldorf 1964, Seite 283 f. Das Zitatstammt aus dem „Brief“ vom 8. 10. 1831.

9 Badwochenblatt für die Großherzogliche StadtBaden vom 24. 7. 1817, Seite 188 und 189.

10 Lessing wie Anmerkung 1, Seite 302. Vgl. BadischeStaatszeitung 1817, Blatt 211.

11 Badwochenblatt 1818, zitiert nach Karl Jörger:Baden-Baden in der Geschichte des Fahrrades in:Badisches Tagblatt 19. 7. 1955.

12 Muhl, Georg: Die westeuropäischen Eisenbahnen inihrer Gegenwart und Zukunft. Baden-Baden 1838.

13 Landesmuseum für Technik und Arbeit Mannheim(Hrsg.): Eisenbahn-Fieber. Ubstadt-Weiher 1990,Seite 291 ff.

14 Muhl wie Anm. 12, Seite 32.15 Gall, Lothar: Bürgertum in Deutschland. Berlin

1989, Seite 544.16 Perkow, Ursula: Residents and Visitors. Baden-

Baden 1990, Seite 103 ff und 180.17 Arbeitskreis für Stadtgeschichte Baden-Baden

(Hrsg.): AQUAE 98. Baden-Baden 1998, Seite 77 f.

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18 Perkow wie Anm. 16, Seite 52. Der KöniglichBritische Geschäftsträger E. P. Montagu Baillie„und dessen Verwandtschaft … selbst jahrelang inBaden-Baden Sommerquartier nahm.“

19 Enzweiler, Hans-Jürgen: Emil Julius Karl Kessler(1813–1867). Ansätze zu einer Biographie in: Zeit-schrift für Unternehmensgeschichte Heft 4/1992,Seiten 221–253. Keßler schrieb sich immer mit„ß“, auf den Fabrikschildern finden wir jedoch dieGroßbuchstaben „SS“.

20 „Neben Keßler stand der Prokurist ,Carl Posselt‘als Zeichnungsträger zu dieser Zeit (1851, D. B.)der Firma vor“. Willhaus, Werner: Lokomotivbauin Karlsruhe. Die Geschichte der Maschinenbau-gesellschaft Karlsruhe und ihre Vorgänger.Freiburg, 2005, Seite 14.

21 Enzweiler wie Anm. 19, Seite 225. Diese Heirat war1805.

22 Pfarrer Lorenz zählte auch zu Emils Lehrern amPädagogium. Laut Enzweiler, Seite 230 Anm. 45findet sich im Nachlass auch das Erbauungs-büchlein „Schule der Weisheit und Tugend“ miteiner Widmung von 1820.

23 Enzweiler wie Anm. 19. Seite 229/230 mitAnm. 45.

24 Stemmermann, Hans Paul: Die badisch-pfälzischeFamilie Buhl in: Oberrheinische Studien II. Bret-ten 1978, Seite 304.

25 Willhaus wie Anm. 20, Seite 12: „…, wohlwissend,dass er mit diesem Schritt praktisch sein gesamtesPrivatvermögen verlor“. Dieses Buch aus demEisenbahnkurier-Verlag führt neben hervorragen-den Fotos auch weitere Badische Eisenbahn-unternehmen auf.

26 Der Baden-Badener Maler und Zeichner (!) JohannStanislaus Schaffroth (1766 Baden-Baden 1851)zählte zu seinen Lehrern.

27 1817 in Gebweiler (Elsass) geboren, Tätigkeit inder Montage 1840 bis 1842, zuletzt als technischerBetriebsleiter. Erfinder des gleichnamigen Zahn-stangensystems.

28 Zier, Hans-Georg: Die Industrialisierung des Karls-ruher Raumes in: Oberrheinische Studien II.Bretten 1978. Seiten 340 und 347 ff.

29 Roth, Erik: Offenburg–Freiburg. Die Bauten derBadischen Staatsbahn und der viergleisige Ausbauder Rheintalbahn in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg.

30 Badeblatt vom 7. 5. 1844.31 Carganico, Walter: Vor 150 Jahren fuhr die erste

Eisenbahn nach Baden-Baden. In: AQUAE 95, Seite79.

32 Gall wie Anm. 15, Seite 538.33 Findeisen, Peter: Baden-Baden, Bahnhof in: Denk-

malpflege in Baden-Württemberg, Heft April–Juni1988.

34 Badener Wochenblatt Nr. 124 vom 15. 10. 1887.35 Badener Wochenblatt Nr. 125 vom 18. 10. 1887.36 Stemmermann, Hans Paul: Wilhelm Lorenz. Sein

Ettlinger Werk und die Daimler-Motoren-Gesell-schaft in: Oberrheinische Studien II. Bretten 1978,Seite 377.

37 Seiter, Roland: „Ein Bugatti brüllt auf, als wolle erzum Mond starten!“: die außergewöhnliche Auto-mobilchronik Baden-Badens. Baden-Baden 2002.Ders. in: Badisches Tagblatt vom 12. und 14. 5.2005.

38 Zincke, Gisela/Hundt, Michael: Vergessener Pio-nier, Joseph Vollmer: Einer der bedeutendstenKonstrukteure aus der Frühzeit des Automobils in:Oldtimer 9/98, Seite 202.

39 Badische Presse vom 9. 4. 1942. Vgl. dazu meineAusführungen im Kapitel VI.

40 Heinemann, Sven: Mit knatterndem „Orient-Express“ durch die Allee in: Badisches Tagblattvom 16. 9. 1998.

41 Karcher, Martin: Wegbereiter der Murgtäler Auto-mobilindustrie in: Landkreis Rastatt (Hrsg.): Hei-matbuch 2001, Seite 150.

42 Zitiert nach Zincke wie Anm. 38.43 Karcher wie Anm. 41, Seite 149.

Dieter BaeuerleStadtmuseum Baden-Baden

Küferstraße 376530 Baden-Baden

Telefon: 0 72 21/93-22 73E-Mail: [email protected]

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Versuche, Kunst aus den Justizvollzugs-anstalten hinaus ins Publikum zu tragen, gibtes seit langem – da zeigen Gefangene Werke,die sie während ihrer Haftzeit geschaffenhaben. Einen umgekehrten Weg aber beschrittman kürzlich in Baden-Baden – in ein ehe-

maliges Gefängnis wurde Kunst hineinge-tragen.

In der Bäderstadt hatte man bis zur Mittedes 19. Jahrhunderts die Delinquenten in denVerliesen der alten Stadttürme oder im Kellerder Polizeiwache, vorübergehend auch in

einigen Verschlägen imalten Rathaushof ver-wahrt. Um 1847/48 wardann hinter dem Bezirks-amt ein zweistöckigesGefängnisgebäude er-richtet worden. Es ist imJahre 1938, als die Haft-plätze nicht mehr aus-reichten, durch einendreistöckigen Bau ersetztworden, für damaligeVerhältnisse modern aus-gestattet mit Wasch-becken, Toiletten undZentralheizung in jederder 42 Zellen. Diese Ein-richtung musste im Jah-re 1990 auf Betreiben derBaden-Badener Stadtver-waltung geschlossen wer-den, vorgeblich stand dieAnstalt den Planungenim Bäderviertel im Wege.Doch heute, fünfzehnJahre später, grüßt dasleerstehende Bauwerkunverändert zur damp-fenden Caracallathermehinüber.

Im Sommer 2000entdeckte die ortsan-sässige Gesellschaft derFreunde junger Kunstdas Vakuum. Der Planreifte, es mit Kunst-

! Reiner Haehling von Lanzenauer !

Der Kunst-Knast von Baden-Baden

Degand, Margot; lebt und arbeitet in Freiburg/Brsg.

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schöpfungen zu füllen. Vorweg musstegründlich gesäubert, Strom und Wasser ange-schlossen werden. Dann rückten 138 Künst-lerinnen und Künstler aus dem In- und Aus-land an, um Zellen, Diensträume, Treppen-haus, Gänge und Hof auszugestalten. Fresken,Skulpturen, Balken und Gestänge wurden ein-gesetzt, um den alltäglichen Zwängen und demunerfüllten Freiheitsstreben bildliche Form zuleihen. Ausgeschnittene Vögel und Blumen amZellenfenster versinnbildlichten den Drangnach draußen, dunkel bemalte Wände erinner-ten an die öden täglichen Abläufe, ins Raum-innere ragende Objekte verstärkten das drü-

ckende Enge-Gefühl. Ineinem der Hafträumekauerte eine zwergen-hafte Figur am Zellen-boden, das Unterwor-fensein des Gefangenendarstellend. Das be-pflanzte Waschbeckeneiner anderen Zelle gau-kelte eine Schrebergar-tenidylle vor, nebenanblickte ein riesiges Augefragend durch die geöff-nete Essensklappe derZellentür. Drüben ließenperspektivisch an dieWand konterfeite Land-schaften den Blick in dieunerreichbare Naturschweifen, in der Zellenebenan wiesen einfacheStreifenmuster nachdraußen. Oder die schierendlose Wortkette war-ten-warten-warten pla-katierte die banale Ein-tönigkeit des Haftvoll-zugs an die Zellenwand.Und vor dem Verwal-terbüro wartete einHandkoffer mit zweimenschlichen Beinen –vollgepackt mit all denHoffnungen und Erwar-tungen des zu Entlassen-den. Träume und Alb-träume sind da fest-

gehalten. Mochten die vorgestellten Arbeitenunterschiedliche Qualität aufweisen, gemein-sam schufen sie eine ganz eigentümlicheAtmosphäre, die diesen musealen Knast alseine Art Gesamtkunstwerk erscheinen ließ.

Randveranstaltungen verstärkten die An-ziehungskraft der ungewöhnlichen Aus-stellung: Die Baden-Badener Oberbürgermeis-terin eröffnete mit einfühlsamen Worten, als-dann trug der Schriftsteller Otto JägersbergBesinnliches über hinter Gitter gerateneKünstler vor. Einige Tage danach fand imGefängnishof eine Podiumsdiskussion stattüber das Gefängnis als Kunstgehäuse. Ein

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Rosenstiel, Eva; lebt und arbeitet in Freiburg/Brsg.

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ehemaliger Gefangener sowie Kunstmaler,Betreuer, ein Strafverteidiger und Vertreter derJustiz berichteten von dem Leben in derfrüheren Anstalt, von den Sorgen und Nötender Insassen. Im Zuge des offenen Gesprächskam auch die Frage hoch nach der Recht-fertigung von Freiheitsentzug. Schließlichleitete die Debatte über auf Möglichkeitenkünstlerischen Gestaltens durch Gefangene.An einem nachfolgenden Tag veranstaltete dieTurgenev-Gesellschaft in der Vollzugsanstalteinen literarisch-musikalischen Abend. Beglei-tet von einer Schlagzeugperformance wurdenbeklemmende Texte aus Straflagern und Ker-kern rezitiert. Den Abschluss der Veran-staltungsreihe brachte ein Vortrag des ehe-maligen Kunsthallendirektors Dietrich Mah-low zum Thema Das sich verändernde Denkensucht sich ein Bild in der Kunst.

Etwa 6700 Besucher haben die anderthalbMonate währende Ausstellung aufgesucht. Diemeisten hatten noch nie ein Gefängnisbetreten. Die Kälte des Baus ließ sie dasSpannungsfeld zwischen Eingesperrtsein undFreiheit erspüren. Gerade hier erfüllten diehaftbezogenen Werke eine wichtige Brücken-funktion: Angeregt durch die Sichtweisen derKünstler hat so mancher Bürger erstmals überFreiheitsstrafe und Resozialisierung nach-gedacht.

Anschrift des Autors:Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer

Hirschstraße 376530 Baden-Baden

Weitz, Peter; lebt und arbeitet in Baden-BadenWolkenhauer, Alex; lebt und arbeitet inGueberschwihr/Frankreich

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Im Zuge des anbrechenden 19. Jahr-hunderts war der bescheidene Badeort Baden-Baden aufgestiegen zum angesehenen Welt-bad. Wehrmauern und Stadttürme fielen, umParks und Promenaden Platz zu machen. Dasneue Konversationshaus, ein Theaterneubauund die klassizistische Trinkhalle wurden er-stellt, Hotelpaläste überragten nunmehr dieUfer der Oos. Rasch wurde es Mode, die Ur-laubszeit hier in der Schwarzwaldlandschaftund an den heißen Quellen zu verbringen.Bürger und Adlige, Finanzleute und Mätressen,Künstler und Spieler aus vielen Ländernquartierten sich während der Sommermonatein der Stadt ein. Den Mittelpunkt allen gesell-schaftlichen Lebens bildete die Spielbank derfranzösischen Pächterfamilie Benazet/Dupres-soir im Konversationshaus.1 Hier rollte dieRoulettekugel, hier konnte man erlesen spei-sen, hier spielten die Orchester zum Tanz auf.Die Gelder der internationalen Gästescharbedeuteten für viele Einwohner Arbeit undBrot, zudem konnten aus den hohen Spiel-bankerlösen viele städtische Anliegen finan-ziert werden. Da empfand man das unerwarteteVerbot von Spielbanken2 nachgerade alsSchicksalsschlag. Nach einer Gnadenfristmusste im Jahre 1872 auch die Baden-BadenerSpielbank schließen. Das Versiegen der Mittelaus dem Glücksspiel wirkte sich auf dengesamten Fremdenverkehr und damit auf diewirtschaftliche Situation der Stadt und ihrerBewohner hemmend aus. Versucht wurdedaher, neue Schwerpunkte zu schaffen, manbesann sich wieder auf die heilendenThermalquellen. So wurde im Jahre 1877 dasmoderne Friedrichsbad erstellt, einige Jahredanach entstand das kunstvoll ausgestalteteAugustabad. Daneben gelang es, durch Grün-dung des Internationalen Clubs die beliebten

Iffezheimer Pferderennen fortzuführen. Nurschleppend erholte sich der Kurort, ganzschrittweise begann sich jener Wiederaufstiegabzuzeichnen, der mit dem Namen von Rein-hard Fieser eng verbunden bleiben wird.

Fiesers Vater war Oberbaurat, er wirkte amAusbau des Rheinbetts und des Eisenbahn-netzes mit.3 Die Familie hatte somit häufigerden Wohnsitz zu wechseln. Eher zufällig er-blickte daher Reinhard am 30. Mai 1867 inWertheim das Licht der Welt. Am LörracherGymnasium legte er das Abitur ab. Dann absol-vierte er seinen Wehrdienst beim Infanterie-Regiment Nr. 110 in Freiburg. Sein Onkel,nachmals Freiburger Landgerichtspräsident,4

mag ihn zum Studium der Rechtswissenschaftermuntert haben. So studierte Reinhard inFreiburg, Berlin und Heidelberg, 1888 legte erdie erste, 1891 die zweite juristische Staats-prüfung ab. Er wurde in den badischen Ver-waltungsdienst übernommen und sah sich beiverschiedenen Bezirksämtern eingesetzt. Baldheiratete er Margaretha geb. Riemerschmidt,aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Toch-ter hervor. Im Juli 1892 wurde der Baden-Badener Oberbürgermeister Gönner5 auf dentüchtigen Verwaltungsjuristen aufmerksam, erwollte ihn zum Bürgermeister machen. DochFieser hatte noch nicht das erforderlicheMindestalter von 26 Jahren. So begann er sei-nen Dienst im Rang eines Amtsgehilfen,obgleich er fortan den Oberbürgermeister zuvertreten hatte. Im darauffolgenden Jahrekonnte er vom Stadtrat zum Bürgermeistergewählt werden. Eine große Arbeitslast kamauf ihn zu. Gönner gehörte nämlich als Mit-glied der Nationalliberalen Partei und Abgeord-neter der Zweiten Kammer dem KarlsruherLandesparlament an, zudem hatte man ihn imJahre 1893 zum Kammerpräsidenten gewählt.

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! Reiner Haehling von Lanzenauer !

Reinhard FieserEin tatkräftiger Oberbürgermeister in Baden-Baden

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Dies brachte es mit sich, dass er oft überWochen in der Landeshauptstadt tätig seinmusste und dort in seiner Zweitwohnung imLandtagsgebäude verblieb. So hatte der jungeBürgermeister vor Ort selbständig die wichti-gen Entscheidungen zu treffen und die Kon-takte zu Dienststellen und Persönlichkeitenwahrzunehmen. Man wusste, er war dieSchlüsselperson, an die man sich in allenAnliegen zu wenden hatte. Erhebliche Unruhemachte sich daher breit, als im Jahre 1907 derKarlsruher Oberbürgermeister den dynami-schen Mann als Ersten Bürgermeister in dieResidenzstadt holen wollte. Eilig erhöhte derBaden-Badener Stadtrat Fiesers Gehalt. Oben-drein sagte man ihm zu, dass er ohne Stellen-ausschreibung als Kandidat für den Ober-bürgermeistersposten aufgestellt werde. Dazukam es schon bald, denn bereits im Juli ver-starb Gönner. Fieser wurde mit überwältigen-der Mehrheit zum Nachfolger gewählt,6 zwei-mal sollte er wiedergewählt werden.

Fieser hatte schon mit seinem Dienst-antritt die Zügel fest in die Hand genommen,stets der Zustimmung Gönners gewiss – soweit

dieser überhaupt befasst worden war. In seineDienstgeschäfte ließ er sich von Anbeginnnicht gerne hineinreden. Als durch sein Auf-rücken zum Oberbürgermeister die Bürger-meisterstelle freigeworden war, wollte dasKarlsruher Innenministerium den dort tätigenAmtmann Fecht7 zum Nachfolger machen. Beidem Vorstellungsgespräch spürte der Kandidatjedoch gleich, … daß Fieser hinter dem Ein-treten der Regierung für meine Person beson-dere Absichten witterte als ob man gewisser-maßen in mir ihm einen Aufpasser an die Seitesetzen wolle.8 Angesichts der misstrauischenHaltung Fiesers verzichtete Fecht auf dieBewerbung um den Bürgermeisterstuhl. Fieserhat bei seinem weiteren Wirken an Gönnersfrühere Bemühungen angeknüpft und dieseerfolgreich fortgeführt. Vorweg ging es umeine vergrößerte Infrastruktur, denn man woll-te wohlsituierte Zuwanderer in der Stadtansässig machen. So wurde das Straßennetzmitsamt der Kanalisation erweitert, die Gas-versorgung modernisiert, das Elektrizitätswerkgebaut und auf der benachbarten SandweiererGemarkung ein Grundwasserpumpwerk er-stellt. Auf der Friedrichshöhe am Hang desMerkurberges entstand das neue StadtviertelParadies. Dort baute der Oberbürgermeistersein eigenes Wohnhaus, geschmückt mitJugendstilornamentik. Das Schulangebot wur-de um eine Oberrealschule erweitert, unterge-bracht in einem geräumigen Neubau mitgroßen, hellen Klassenzimmern. In der Lich-tentaler Allee entstand nach Plänen des Karls-ruher Architekten Billing9 der Kunsthallenbaumit neoklassizistischen Elementen. Im Jahre1908 konnte das Dorf Lichtental mitsamt dengleichnamigen Klosteranlagen eingemeindetwerden, 1928 folgte das in der Rheinebenegelegene Dorf Oos. Damit war das gesamteOostal zu einer städtischen Verwaltungseinheitzusammengewachsen. Bereits im Jahre 1910waren Straßenbahnlinien angelegt worden,wichtig für die Anbindung der Außenstadtteile.Wenige Jahre später hat man eine Drahtseil-bahn zum Merkurgipfel erbaut, die auf steilerTrasse einen Höhenunterschied von 370 müberwindet.

Rasch reagierend vermochte Fieser einneues Verkehrsmittel für die Kurstadt zu er-schließen. Er erinnert sich: Ich werde nie den

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Reinhard Fieser Zeichnung von Arthur Grimm

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Eindruck vergessen, welchen der Anblick desersten Zeppelinluftschiffs auf seiner großenVersuchsfahrt entlang dem Rhein auf michgemacht hat; damals wurde der Gedanke inmir wach, den Versuch einer Verbindung derStadt mit dem Werke des Grafen Zeppelin zumachen.10 Unverzüglich reiste Fieser nachFriedrichshafen zum Grafen und bot einenLandeplatz in Baden-Baden an. Das Angebotwurde angenommen. Nunmehr betrieb Fieserdie Gründung der Luftschiffahrts-AG Delag inFrankfurt, die wiederum Mittel für die Er-stellung einer Halle bereitstellte, während dieStadt das Gelände westlich des Ooser Bahnhofsunentgeltlich einbrachte. Da viele Grund-stückseigentümer sich gegen die Abtretunggesträubt hatten, mussten umständlicheEnteignungsverfahren durchgeführt werden.Schließlich konnte während der IffezheimerRennwoche im August 1910 der Flugplatzfeierlich eröffnet werden, der Zeppelin LZ 6landete erstmals und wurde in die neue Luft-schiffhalle eingebracht. Dank Fiesers Ein-greifen war Baden-Baden zum ersten Zeppelin-landeplatz außerhalb des Werftorts Friedrichs-hafen geworden. Fortan fanden Passagier-Rundfahrten und auf Bestellung auch Ziel-fahrten zu anderen Landeorten statt – eineganz außergewöhnliche Attraktion für Gästeund Einwohner. Nach dem Ersten Weltkriegemusste die Halle laut Versailler Vertrag abge-rissen werden, ab 1925 kam es mit Förderungder Stadtverwaltung zur Aufnahme fahrplan-mäßiger Anflüge durch Verkehrsflugzeuge, dieBesucher und Geschäftsleute in die Stadtbrachten.11

Mannigfache Bemühungen Fiesers galtender Förderung des kurörtlichen Charakters,wodurch man neue Gästescharen in die Hotelsund Pensionen zu ziehen hoffte. Ein städti-sches Verkehrsamt wurde gegründet, das regeWerbung für Stadt und Bäder entfaltete. In derZeit von 1909–1912 entstand auf dem rechtenOosufer nach Plänen des Karlsruher KünstlersLaeuger12 die großzügige Gönneranlage alsHeckengarten, überragt vom Josefinenbrun-nen. Am Hang des Fremersberges wurdeinmitten der malerischen Landschaft einhügeliger Golfplatz angelegt. Von 1912 an hatman den Eingangsbereich des Kurhausesumgestaltet und den Bühnensaal im Ober-

geschoss angefügt. Um das benachbarteTheater regelmäßig bespielen zu können grün-dete der Gemeinderat, veranlasst durch Fieser,ein städtisches Schauspielensemble mit ange-stellten Schauspielern und Intendanten. In derNotzeit nach dem Ersten Weltkriege zeigteFieser großes soziales Engagement: Ausge-dehnte Wohnungsbauten für weniger bemittel-te Bürger wurden erstellt wie etwa die Oos-winkel- und die Maiersbach-Siedlung, zudemhat man eine Volksküche, Kindergärten undein Altenheim eingerichtet. Die Brückenwerkevor dem Kurhaus und unter dem heutigenHindenburgplatz wurden erneuert und ver-breitert.

Kaum war die Geldinflation überstanden,da reiste internationales Publikum wieder an.Bälle, Konzerte, Ausstellungen, Pferderennen,Blumenkorsos, Autorallyes und Tennisturnierebelebten die Atmosphäre – jetzt war derBadeort zum Schauplatz der goldenenzwanziger Jahre geworden. Dieser neuerlicheAufschwung spiegelt sich in einer ungewöhn-lichen Erfolgszahl: Trotz der Weltwirtschafts-krise konnte das örtliche Beherbergungsge-werbe im Jahre 1929 etwa 680 000 Über-nachtungen verbuchen.13 In seiner zu-packenden Art hat sich Fieser in jenen Nach-kriegsjahren um den Zufluss finanzieller Mittelfürs leere Stadtsäckel verdient gemacht. In denVereinigten Staaten war als Kriegsfolge dasbeträchtliche Dollarlegat eines ehemaligenMäzens der Stadt eingefroren worden. Um denJahreswechsel 1921/22 reiste Fieser daher indie USA. Mit diplomatischem Geschick ver-

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New York 1922: In der Mitte Oberbürgermeister Fieser,rechts der New Yorker Bürgermeister Hylan

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stand er es, das beschlagnahmte Guthaben zu-gunsten der Stadt auszulösen. Auf dieser Ame-rikareise empfing der US-Präsident WarrenHarding persönlich den Baden-Badener Ober-bürgermeister.14 Auch zu Hause engagiertesich Fieser allemal an vorderer Stelle. Er besaßSitz und Stimme in der staatlichen Bäderver-waltung, er fungierte als Vertreter des Badi-schen Städteverbands, er gehörte dem Auf-sichtsrat der Delag an, er sorgte als Vorsitzen-der der Ortsbaukommission für die Wahrungdes überkommenen Stadtbilds. Bei all demzeigte Fieser stets eine leutselige, offeneWesensart, allzeit zu Rat und Hilfe bereit. Großwar daher das Bedauern aller Einwohner, alsder populäre Oberbürgermeister Ende 1929aus Gesundheitsgründen seinen Rücktritt an-kündigte. Der Bürgerausschuss ernannte ihnzum Ehrenbürger und beschloss, die Brückevor dem Kurpark nach ihm zu benennen.

Der Pensionär zog sich zurück nachMünchen. Nach der braunen Machtergreifungkam es zu verleumderischen Presseattacken.Man warf Fieser vor, ein überhöhtes Ruhe-gehalt zu beziehen, forderte sogar die Sper-rung seines Reisepasses.15 Schließlich mussteer dem öffentlichen Druck nachgeben und sichmit einer geringeren Monatspension begnü-gen. Die Fieserbrücke wurde damals umbe-nannt nach einem SA-Rabauken. Nach Kriegs-ende erhielt sie ihren früheren Namen zurück.1953 wurde Fieser das Bundesverdienstkreuzverliehen, 1956 wurde er von Oberbürger-meister Schlapper16 in Baden-Baden emp-fangen und geehrt. Damit sah sich der ver-diente Mann rehabilitiert. Am 28. April 1960 istReinhard Fieser in Kempten verstorben, bei-gesetzt wurde er auf dem Münchner Ost-friedhof.

Rückblickend hat Fieser festgehalten, dasses in den Jahrzehnten nach Aufhebung desGlücksspiels um die Umstellung vom Ver-gnügungs- und Luxusbad zu einem Heilbadging. Dabei sah er seine Auffassung bestätigt,dass nur die Kombination zwischen Thermal-wassertherapie und Unterhaltungsfaktor (Kul-tur-, Gesellschafts- und Sportveranstaltungen)

wirtschaftlichen Erfolg bringen kann.17 Nachdiesem Rezept sind denn auch seine Amts-nachfolger bei der Wiederbelebung des Frem-denverkehrs nach dem Zweiten Weltkriege ver-fahren. Seither wird es mit Erfolg angewandt.Gleichwohl sind heutzutage neue Ideen undInitiativen gefragt: Vor allem bedroht ein jähr-lich anschwellendes, hausgemachtes Verkehrs-gedränge das Flair des Traditionsbads.

Anmerkungen

1 Ab 1910 als Kurhaus bezeichnet.2 Gesetz v. 1. 7. 1868; vgl. Karl Stiefel, Baden

1648–1952, Bd. 1, 1977, S. 810.3 Otto Fieser (1836–1908), BB VI, 1935, S. 86.4 Emil Fieser (1835–1904), BB VI, 1935, S. 171.5 Albert Gönner (1838–1909), BB VI, 1935, S. 270.6 Staatl. Dienerakte: GLAK 236/17741 und 276/

17742; städt. Dienstakte: StadtA Baden-Baden, 11-6-50.

7 Dr. Hermann Fecht (1880–1952), später badischerJustizminister, BadH 2003, S. 96 und Lebensbilderaus BW, Bd. XXI, 2005, S. 520.

8 Fecht, Aus den Lebenserinnerungen einesbadischen Beamten, Manuskript in GLAK 65/11887, AS 234.

9 Prof. Hermann Billing (1867–1946), BBNF II,1987, S. 40.

10 Erinnerungen aus dem amtlichen Leben vonOberbürgermeister i. R. Reinhard Fieser, Mün-chen, Juni 1934, S. 24, Manuskript in StadtAB.-Baden, 26-9-018.

11 Manfred Koch u. a. (Hg.), Von Graspisten zumBaden-Airport, 1999, S. 13.

12 Prof. Max Laeuger (1864–1952), BBNF I, 1982,S. 195.

13 Rolf Gustav Haebler, Geschichte der Stadt und desKurortes Baden-Baden, Bd. II, 1969, S. 178; zuFieser vgl. S. 152 ff.

14 Zur Amerikareise: StadtA B.-Baden 26-10/9.15 Führer Nr. 73 v. 14. 3. 1933.16 Dr. h.c. Ernst Schlapper (1887–1976), BadH 2001,

S. 721.17 Masch.-schr. Manuskript in StadtA B.-Baden 11-6-

50.

Anschrift des Autors:Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer

Hirschstraße 376530 Baden-Baden

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Capitale d’été – Sommerhauptstadt Euro-pas, so nannte man im 19. Jahrhundert denBadeort an der Oos. Gekrönte Häupter hattendamals Baden-Baden zu ihrem Feriendomizilauserkoren. Da wurden Teile des Gefolges unddes Hofes mitgeführt, Stäbe eingerichtet,unaufschiebbare Regierungsgeschäfte überKuriere und schon bald per Telefon oderTelegramm vom Urlaubsort aus erledigt. Pro-minente Dauergäste waren der König vonPreußen und seine Frau Augusta, alljährlichlogierten sie in der Maison Messmer nebendem Kurhaus. Natürlich hatten beide einebedeutende Rolle bei dem Fürstenkongressvom Juni 1860 gespielt, der in Baden-Badenden Kaiser Napoleon III. mit den deutschenLandesfürsten zusammenführte. Im darauf-folgenden Sommer des Jahres 1861 wollte sichdas preußische Königspaar1 an der Oos geruh-samer als im Kongresstrubel des Vorjahreserholen. Königin Augusta reiste vorweg mitihrem Gefolge an. Bald darauf traf KönigWilhelm I. am Bahnhof von Baden-Baden ein,wo ihn der badische Großherzog Friedrich I.mit seiner Frau Luise erwartete und zum Hotelgeleitete. Ehrerbietig empfingen die WirtsleuteWilhelm und Luise Messmer ihre hohen Gäste.Zwischen ihnen und dem Königspaar hattesich im Laufe der Zeit ein derart freundschaft-liches Verhältnis herausgebildet, dass Augustadie Patenschaft über die älteste Tochter derMessmers übernahm.2

Am frühen Morgen des 14. Juli 1861 begabsich die Königin mit ihren Hofdamen auf einenSpaziergang hinaus zum Kloster Lichtenthal.Gegen 8 Uhr machte sich der König über diebaumbestandene Lichtentaler Allee auf denWeg, um beim Kloster mit den Damenzusammenzutreffen. Unterwegs begegnete ernahe der Kettenbrücke dem Grafen Flemming,preußischer Gesandter am badischen Hofe in

Karlsruhe. Er forderte ihn auf, ein StückWeges mitzugehen. Ins Gespräch vertieftschritten die beiden zwischen 8.30 und8.45 Uhr etwa 150 Meter jenseits der Brückeam Oosufer entlang. Sie achteten nicht auf dendunkel gekleideten jungen Mann mit Hut undBrille, der sie überholte. Plötzlich drehte dersich um und gab aus einer Pistole zwei gezielteSchüsse auf den König ab. Der König griff mitbeiden Händen an Kopf und Hals. Der Täterstand blass und regungslos da, die Waffe hatteer weggeworfen. Graf Flemming schrie ihn an,ob er geschossen habe. Der Schütze rief: Ja, ichhabe auf den König geschossen! Da packte derGraf den Mann am Halse, gleichzeitig stürzteder junge Rechtsanwalt Julius Süpfle herbei,der mit dem Amtsverweser Carl Schill auf dergegenüber liegenden Alleeseite entlang gegan-gen war. Süpfle warf den Täter zu Boden, hieltihn fest und rief: Du Schandbube, du Hund voneinem Hund hast auf den König geschossen!Er drückte den Schützen weiter zu Boden,damit der nicht eine etwa verborgene Waffeziehen könne. Der König näherte sich undsagte, man solle dem Liegenden kein Leidantun. Unterdessen fand der Zeuge Schill dieTatwaffe nur wenige Meter entfernt im Grase.Ein hinzukommender Franzose namensBlanquet machte den König darauf aufmerk-sam, dass sein Überrock an der linken Schulteraufgerissen sei. Der König hat dazu erklärt,dass er auf den Schuss hin sofort einenSchmerz an der linken Halsseite fühlte undeine Dröhnung im ganzen Kopf empfundenhabe. Wie man feststellte hatte die Kugel dieHalsbinde gestreift und eine Rötung der Hautverursacht. Die zweite abgefeuerte Kugel hattenicht getroffen. So setzte der Monarch nachkurzer Zeit seinen Weg in Richtung Lichtentalfort. Gleichwohl hält sich in der Literaturhartnäckig die Legende, er sei in das kleine

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! Reiner Haehling von Lanzenauer !

Schüsse auf den KönigDas Attentat in der Lichtentaler Allee

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Hirtenhäuschen gegenüber der Kettenbrückeverbracht und dort versorgt worden. Dafür ge-ben aber die sorgfältig geführten Ermittlungs-akten nicht den geringsten Anhalt.

Zufällig näherte sich eine Kutsche dem Tat-ort. Man hielt sie an, auf Anordnung des GrafenFlemming wurde der Festgenommene durchSüpfle, Schill, Blanquet und den hinzukom-menden Zeugen Carl Wilhelm Brandt in dieDroschke befördert. Alle vier Zeugen stiegenzu, während Graf Flemming auf den Kutsch-bock kletterte. Unterwegs befragte man denTäter, warum er geschossen habe. Er ant-wortete: Das werden Sie in meiner Brieftaschefinden. Die Fahrt ging zum Bezirksamt in deroberen Sophienstraße, in dessen Dienstge-bäude zugleich das Amtsgericht untergebrachtwar. Dort vernahm der Referendar Dr. Gerstnerden Beschuldigten. Der gab an, Wilhelm OskarBecker zu heißen, 22 Jahre alt, Student inLeipzig. Die Tat gestand er ohne Umschweife.

Zum Motiv erklärte er, dass der König vonPreußen seiner politischen Aufgabe einer deut-schen Einigung nicht gewachsen sei. Deshalbhabe er sich entschlossen, ihn zu töten. Voreiniger Zeit habe er im Leipziger Schützen-haus das Scheibenschießen erlernt, danachzwei Terzerole und ein Foto des Königserworben. Als er in der Zeitung gelesen habe,der König sei zum Urlaub nach Baden-Badengefahren, sei er ebenfalls dorthin gereist undim Hotel Blume abgestiegen.3 In der Stadthabe er sich durchgefragt nach dem HotelMessmer. Einen Mann, der dem Porträtfotoähnelte, habe er beobachtet und sich voneinem Kellner bestätigen lassen, dass dies derKönig sei. Am nächsten Morgen habe er sichauf eine Bank nahe der Lichtentaler Alleegesetzt, um den Monarchen bei seinem übli-chen Morgenspaziergang abzupassen. Als die-ser gegen 8 Uhr erschien, sei er ihm gefolgtund habe das Zusammentreffen mit dem

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Sérénade aux flambeaux donnée par la municipalité de Bade au roi de Prusse, dans la soirée du 14 julliet

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Grafen Flemming gesehen. Jetzt habe er sichrasch den beiden genähert und geschossen.Becker schloss seine Schilderung mit den Wor-ten: Ich hatte dabei keine andere Absicht, alsdie längst vorausbedachte, den König zu töten.Ich zielte nicht lange, sondern hielt dasTerzerol ungefähr nach der Gegend der Brustzu … In seiner Tasche fand sich ein Zettel, aufdem er am Vortage den Beweggrund für seineTat schriftlich festgehalten hatte: Ich habemich entschlossen zur That, die ich begehenwerde, deßhalb, weil ich der Meinung bin, daßSeine Majestät der König von Preußen, trotzvielfältiger anerkennungswerther Bestrebun-gen, nicht im Stand sein wird die Umstände zubemeistern, die sich der Lösung der Aufgabeentgegensetzen, die er als König von Preußenin Bezug auf die Einigung Deutschlands zuerfüllen hätte. Ich weiß, daß Viele meine Thatmißverstehen werden, Viele werden sie daherreprobieren oder sogar lächerlich finden, ichkenne die bedauerlichen Folgen, die diese Thatfür meine Person haben wird, – aber michträgt die Hoffnung, daß sie von wohlthätigerWirkung für die Zukunft Deutschlands seinwerde. Mögen doch endlich die Deutschen vomfruchtlosen Hin und Herreden sich zur Thatwenden! Geschrieben zu Baden am 13. Juli1861. Oskar Becker Student der Rechte inLeipzig. Jetzt erließ der Richter Haftbefehl,Becker wurde in den Gefängnisbau hinter demBezirksamt verbracht.

Am Abend dieses denkwürdigen Tages ver-sammelten sich die Baden-Badener Bürger amLeopoldsplatz und zogen mit flammendenFackeln hinüber zum Hotel Messmer. Der Bür-germeister und eine Gruppe von Honoratiorenbegaben sich hinauf in das Hotelzimmer, umden Monarchen zu seiner Rettung zu beglück-wünschen, während unten auf der Straße derGesangverein einige Stücke vortrug, gefolgtvon den Vivatrufen der Menge. ReinholdSchneider, der aus der Hoteliersfamilie Mess-mer stammende Baden-Badener Dichter, schil-dert uns späterhin die Szene: Seine Majestätsteht auf dem Balkon, aufrecht, mit einemleichten Verband um den Hals statt derkorrekten Binde, Ihre Majestät steht daneben,als müsse sie den Gatten beschützen, stolz,bleich und schmal und nicht gewillt, IhreEmpörung zu verbergen. Und ein jeder Recht-

schaffene, und dazu gehören die 48er gewiß,hat eine Fackel ergriffen …4

Der Anschlag auf Wilhelm I. hatte in ganzEuropa großes Aufsehen erregt. Lebte mandoch inmitten einer Epoche, die durch dasAnwachsen und Abgrenzen von Machtzentrengekennzeichnet war. Im deutschsprachigenRaum war eine Nationalbewegung entstanden,getragen von dem Wunsch nach staatlicherGeltung und wirtschaftlicher Einheit. Offenblieb damals noch, ob Österreich oder aberPreußen die Führungsrolle in dem ange-strebten deutschen Staatswesen zukommensollte. In diesem Spannungsfeld richtete sichdas Medieninteresse natürlich auf die Persondes preußischen Königs und dessen Schicksal.So berichtete etwa der Moniteur Universel ausParis, dass göttliche Gnade die Majestät vorschwerer Verletzung bewahrt habe und dassder jetzige Gesundheitszustand voll zufrieden-stellend sei. Die Leipziger Zeitung merkte an,dass die Verantwortung für das Verbrechenallein den Täter treffe, was wir im Interesseunserer Universität besonders hervorhebenwollen. Und das lokale Badener Wochenblattkonstatierte in allen Schichten der Bevölke-rung den tiefsten Abscheu und die Verfluchungeiner ruchlosen Bluttat, wozu nur der tiefste

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Oskar Becker, Stud. jur. aus Odessa Nach einer Photographie

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verbrecherische Wahnsinn ein menschlichesGemüth hinzureißen vermag.5

Unterdessen hatte die zuständige Karls-ruher Staatsanwaltschaft die Ermittlungeneingeleitet. In Beckers Hotelzimmer stellte diePolizei verschiedene Schriftstücke, Schreib-zeug, einen Stadtplan von Baden-Baden, einzweites doppelläufiges Terzerol, ein Pulver-horn, Pulver, Zündhütchen, Kugeln und einenKugelgießer sicher. Die an verschiedenen an-deren Orten durchgeführten polizeilichenNachforschungen führten zu folgendem Er-gebnis: Der aus Sachsen stammende VaterBeckers war als Schulprofessor nach Odessagezogen, wo er Direktor des Lyzeums Richelieuund russischer Staatsrat wurde. So kam es,dass Becker am 18. Juni 1839 in Odessageboren wurde. Er hatte noch einen jüngerenBruder.6 Oskar Becker besuchte zuerst in Russ-land die Schule, später kam er auf die Kreuz-schule in Dresden, wo er 1859 das Abitur ab-legte. Danach immatrikulierte er sich an derUniversität Leipzig, er wollte Rechts- undCameralwissenschaften studieren. Da er dierussische Sprache beherrschte, verdiente ersich neben dem Studium ein Zubrot durchÜbersetzungen und Sprachunterricht. Er warein eigenbrötlerischer Einzelgänger. Geselli-gen Umgang mit Kommilitonen pflegte erkaum, er gehörte weder einer Studentenver-bindung noch einer politischen Vereinigungan. Gleichwohl zog ihn die große Politik an,stundenlang konnte er sich in die Lektüre vonTageszeitungen vertiefen. Er verfasste auchArtikel zu tagespolitischen Fragen, die er inder Presse unterzubringen suchte. Mehr undmehr konzentrierten sich seine Ideen auf einenZusammenschluss der verschiedenen deut-schen Einzelstaaten. Dabei glaubte Becker,Preußen unterlasse es, diese Sache wirksamvoranzutreiben. Fortan befasste er sich mithistorischen Fällen von Fürstenmord und ver-stieg sich in die Vorstellung, ein derartigerAnschlag könne als Fanal wirken. Bei der rich-terlichen Vernehmung unmittelbar nach derTat erklärte er mit Bezug auf König Wilhelm:So kam ich auf den Gedanken, dass ein Atten-tat auf das Leben desselben der EinigungDeutschlands förderlich sein werde. Nach undnach fing ich an, mich mit dem Gedanken zubeschäftigen, ich selbst solle mich zu diesem

Zweck aufopfern … Das Tatmotiv entsprangsomit der schwärmerisch-romantischen Ge-dankenwelt eines einzelnen, Mittäter oder Mit-wisser hat es nicht gegeben.

Schon im Laufe der in Sachsen ange-stellten Ermittlungen hatten mehrere Zeugenangedeutet, dass Becker recht exaltiert daher-komme, vielleicht sei er nicht recht im Kopfe.Es ging auch der Hinweis ein, wegen der vielenzwischen Blutsverwandten geschlossenenEhen bestehe eine Anlage zu Geisteskrank-heiten, die Großmutter sei in einer Irren-anstalt untergebracht worden. Nun hat man infrüherer Zeit dem Geisteszustand eines Straf-täters kaum Beachtung geschenkt, Maßstabfür die Strafe war die äußere Tat. Erst gegenMitte des 19. Jahrhunderts richteten die Ge-richte ein verstärktes Augenmerk auf die Täter-psyche.7 So erklärt sich, dass im vorliegendenFalle die Staatsanwaltschaft beschloss, einenSachverständigen zu beauftragen. Der Baden-Badener Medizinalrat Dr. Julius Füßlin, alsGerichtspsychiater weithin bekannt, unter-suchte den Delinquenten. Er stellte fest, dassBecker aus Überstürzung und Ehrgeiz miteinem Fürstenmord ein Beispiel geben wollte,das Gleichgesinnte zu Nachahmern macht,ihm selbst aber die Märtyrerkrone erringensollte. Im Ergebnis sei Becker daher uneinge-schränkt schuldfähig und für seine Hand-lungen verantwortlich. Ob man aus heutigerSicht noch zu solch einer fachlichen Diagnosekommen würde, sei dahingestellt.

Ende August 1861 erhob die Staatsanwalt-schaft Anklage wegen versuchten Mordes beimSchwurgericht des Hofgerichts in Bruchsal.Die Schwurgerichte waren im Zuge der Demo-kratisierung der Rechtspflege um die Jahr-hundertmitte im Großherzogtum eingeführtworden, um der 1848/49 erhobenen Forderungdes Volkes auf Teilhabe an der Rechtsprechungzu genügen. Sie tagten damals in einer Beset-zung von zwölf Geschworenen unter Vorsitzeines Berufsrichters. Die Hauptverhandlunggegen Oskar Becker begann am 23. September1861 um 8 Uhr morgens in dem vollbesetztenSitzungssaal des Bruchsaler Schlosses. Vorwegwurde der Angeklagte vernommen. Zur all-gemeinen Verwunderung behauptete er plötz-lich, er habe nur ein Scheinattentat verübenwollen. Mit einem Terzerol, das er lediglich mit

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Pulver, aber ohne Kugel geladen habe, sei erauf dem Wege zu Schießübungen gewesen. Alser dem König begegnete, habe er mit dieserblind geladenen Waffe einen Schuss abge-geben, um mit einem derartigen Scheinangriffeine moralische Wirkung in Deutschland zuerzielen und das Land aus seiner Schlaffheitaufzurütteln. Jetzt aber habe er mit großerBestürzung bemerkt, dass er im Hotel ver-sehentlich sein zweites, scharf geladenesTerzerol eingesteckt und damit geschossenhabe. Den Irrtum habe er unmittelbar nach derTat nicht einräumen wollen, da er sich sonstlächerlich gemacht hätte. Diese Darstellungschien allen Anwesenden von vornhereinunglaubhaft, obendrein wurde sie in den Ver-nehmungen der elf Zeugen eindeutig wider-legt. Sodann trug Dr. Füßlin die Ergebnisseseines Gutachtens zur Zurechnungsfähigkeitvor. Nach den Plädoyers von Anklage und Ver-teidigung erhielt Becker das letzte Wort.Beredt breitete er erneut seine Version vomvorgetäuschten Attentat aus, dann zog sich dasGericht zur Beratung zurück. Das anschlie-ßend verkündete Urteil lautete auf Zuchthaus-strafe von zwanzig Jahren wegen einesbeendigten Mordversuchs, ferner auf Landes-

verweisung und Kostentragung. Die Sitzungendete noch am selben Tage um 22.30 Uhr.8

Am Tage nach der Hauptverhandlung ver-zichtete der Verurteilte auf Rechtsmittel. Erräumte jetzt ein, dass das Vorschützen einesScheinattentats lediglich aus prozesstakti-schen Gründen geschehen sei, um einen Frei-spruch zu erreichen. Seine Strafe, von derwährend der ersten neun Jahre sechs in Einzel-haft zu vollstrecken waren, verbüßte Beckerim Männerzuchthaus in Bruchsal. Das Ge-bäude war etwas mehr als ein Jahrzehnt zuvornach modernen vollzugspädagogischen Er-kenntnissen erstellt worden.9 Der Straf-gefangene Becker arbeitete dort in derSchreinerwerkstatt. Im Laufe der Zeit ließ sichein erheblicher körperlicher und geistiges Ver-fall beobachten. Gleichwohl führte der Straf-gefangene eine umfangreiche Korrespondenz,versandte Heiratsanträge und reichte immerneue Gnadengesuche ein. Im Oktober 1866erließ der badische Großherzog einen Gnaden-erweis zur Freilassung unter der Auflage, dassder Entlassene zukünftig nicht mehr deut-schen Boden betreten dürfe. Vater Becker holteseinen Sohn in Bruchsal ab und kündigte an,man wolle sich nach Namur in Belgien bege-

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Das Attentat auf den König von Preußen in der Lichtenthaler Allee bei Baden-Baden am 14. Juli 1861

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ben. Oskar Beckers Spur verliert sich im Aus-land, angeblich soll er später in Ägypten ver-storben sein.

Sinnieren darf man, ob die Entwicklung inDeutschland einen anderen Verlauf genommenhätte, wenn der König durch Beckers Schüssegetötet worden wäre. Der als Nachfolger bereit-stehende liberale Kronprinz Friedrich Wilhelmhätte wohl kaum Bismarck zum Ministerprä-sidenten ernannt, machtpolitischen Ambitio-nen hätte er sicherlich eher widerstanden alssein Vater.10 Vielleicht wäre unserem Landeeine friedvollere Zukunft vorbehalten gewesen.Allemal lässt sich das Rad der Geschichte nichtzurückdrehen …

Anmerkungen

1 Prinzregent Wilhelm übernahm nach dem TodeFriedrich Wilhelms IV. die Königswürde, dieKrönungsfeier fand erst am 18. Oktober 1861 inKönigsberg statt.

2 Augusta Messmer (1865–1956) ehelichte denBaden-Badener Hotelier Camill Brenner.

3 Heute Haus Langestraße 34.4 Reinhold Schneider, Der Balkon, 1957, S. 67.5 Moniteur Universel v. 18. 7. 1861; Leipziger

Zeitung Nr. 169 v. 18. 7. 1861; Badener Wochen-blatt Nr. 85 v. 16. 7. 1861.

6 Der Bruder Karl Waldemar Becker (1841–1901)wurde später Architekt, er erstellte zahlreicheEisenbahnbauten.

7 Silviana Galassi, Kriminologie im DeutschenKaiserreich, 2004, S. 12, 136.

8 Strafakten in GLAK 250/8 bis 250/17, dort auchFundstelle der Zitate aus dem Verfahren. Berichtüber die Hauptverhandlung in: Hitzig/Häring/Vollert, Der neue Pitaval, 32. Teil, der 3. Folge8. Teil, 1862, S. 1–60.

9 Paul Freßle, Die Geschichte des Männerzucht-hauses Bruchsal, Diss. Freiburg 1970.

10 Vgl. dazu Reiner Haehling von Lanzenauer, DasBaden-Badener Attentat, 1995, S. 43.

Anschrift des Autors:Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer

Hirschstraße 376530 Baden-Baden

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Fast hätte er es geschafft, der eindrucks-vollen Galerie von Literaten, die in Baden-Badengelebt oder sich doch hier regelmäßig zur Kuraufgehalten haben, die Reihe der FjodorDostojewski, Justinus Kerner, ReinholdSchneider, Werner Bergengruen – um nur diebekanntesten Namen zu nennen – um eineleichtfüßige, zumindest in vielfachen Farbenschillernde Figur zu bereichern.1 Dr. EugenSchmidt (1892–1939) wäre der richtige Manngewesen, Joachim Ringelnatz in das pulsierendekulturelle Leben der Kurstadt in den DreißigerJahren hinein zu ziehen. Als Erscheinung ein-drucksvoll, im gesellschaftlichen Umganggewandt und liebenswürdig, an Kunst undLiteratur interessiert, fiel es ihm leicht, Kon-takte zu knüpfen.2 Die erste Begegnung mitRingelnatz fand in mondänem Milieu statt,1929, am 11. Dezember, in der Bar des PavillonsExcelsior in Stuttgart. Ringelnatz war mitseiner Frau, Muschelkalk genannt, auf Gast-spielreise. Der Baden-Badener Arzt Schmidtwollte mit seiner Gattin Gertrud den virtuosenReim- und Verseakrobaten Ringelnatz kennen-lernen und schaffte es, ihn nach der Abendvor-stellung in der Hausbar des Excelsior zusprechen. Man war sich sympathisch, so läßtsich der Verbrauch von neun Whiskys an diesemAbend – das meiste dürfte auf RingelnatzesKonto gegangen sein – deuten.3 Jedenfallsbehielt Ringelnatz die sympathischen Baden-Badener in Erinnerung und übersandte ihnenseine gerade erschienenen „Flugzeuggedanken“mit der Widmung:

„Dr. Gertrud und Eugen Schmidt wünschtfrohes WeihnachtenJoachim Ringelnatz München. Dez. 1929“

Eugen Schmidt bedankte sich seinerseitsmit Zigaretten. Soviel geht aus einem Brief

vom 17. Dezember 1929 hervor, in dem Ringel-natz in knappen Sätzen – Briefe schreiben, warnicht sein Metier – wiederum Dank sagte (Obdas das richtige Geschenk für Ringelnatz war,der fünf Jahre später an Tuberkulose starb, seidahingestellt).

Die Bekanntschaft wurde zu einer dauer-haften Verbindung, ja zur Freundschaft. Imnächsten Jahr 1930 lud Heinrich Burkhard,einer der beiden künstlerischen Leiter desrenommierten Festivals für neue Musik, der„Deutschen Kammermusik Baden-Baden“,Eugen Schmidt zur „Neuen Musik Berlin1930“ mit der die Baden-Badener Musiktagefortgeführt werden sollten, nach Berlin ein. Indiesen Berliner Tagen besuchte EugenSchmidt auch Ringelnatz, der am Sachsenplatzim Stadtteil Westend wohnte.4 Bei dieserBegegnung schenkte Ringelnatz eine seinerälteren Lyriksammlungen, ein Exemplar der„Schnupftabakdose“, die schon 1912 erschie-nen war. Nun war für Eugen Schmidt der Zeit-punkt gekommen, den Dichter von „KuttelDaddeldu“, der mit lebhafter Mimik seine See-mannsgedichte den Landratten vorzutragenpflegte, für ein Gastspiel in Baden-Baden zugewinnen. „Lieber Herr Ringelnatz“ – sobeginnt ein Brief Schmidts vom 6. Dezember1930 –

„Ich finde, da Sie so nah von Baden-Badenweg sind, daß Sie jetzt sehr leicht hierherzu uns kommen können, wenn am 15. IhreTätigkeit in Stuttgart zu Ende ist. Daßmeine Frau Gertrud und ich uns sehrdarüber freuen würden, wissen Sie wohl.[…] Ich habe mit dem neuen Kurhaus-pächter gesprochen, der z. Zt. immerwieder Kabarettabende veranstaltet. Erwürde sich freuen, wenn während IhrerAnwesenheit hier ein Abend mit Ihnen zu

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! Walter E. Schäfer !

Joachim Ringelnatz als Baden-BadenerKasperlefigur von Eugen Schmidt

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Stande käme. Der 20. Dezember (Samstag)wäre dafür frei und geeignet. Was meinenSie dazu? Dann könnten Sie doch demlieben guten Muschelkalk auch noch wasbesonderes zu Weihnachten mitbringen.Was bekommen Sie denn allemale für einenderartigen Abend? Der Mann sprach wasvon ungefähr 15 M. Schreiben Sie mirdarüber. Aber bitte bald.Und wenn zufällig – oder auch nicht zufäl-lig – Muschelkalk in der Nähe ist, bringenSie ihn mit.Das ist doch selbstverständlich! nicht?Wir freuen uns, wenn Sie so bald wiemöglich kommen.“

Es wurde nichts daraus. Ringelnatz, der soviele Jahre von zu Hause ausgerissen als See-mann, als Hausmeister einer Pension in Eng-land, als Angestellter in einem Reisebüro einentbehrungsreiches und verworrenes Lebengeführt hatte, wußte inzwischen – er warsiebenundvierzig Jahre alt – welchen Wert erals Kabarettist hatte. Mit Datum vom 9.Dezember schrieb er zurück:

„Sehr lieber Doktor!Nehmen Sie vielen Dank für Ihre liebenZeilen. Leider aber kann ich nicht nachBaden-Baden kommen, da ich von hier ausnoch Abende in Sachsen gebe, es ist mirsehr leid. Ich wäre gar zu gern wieder ein-mal mit Ihnen und Ihrer verehrten Frauzusammen gekommen.So billig bin ich übrigens nicht, sondernich erhalte für einen derartigen Abend jenachdem ca. M. 200.–/500.–.Ich danke Ihnen aber herzlichst für Ihreliebenswürdigen Bemühungen und grüsseSie vielmals und ebenso Frau Gertrud alsIhr ergebenerJoachim Ringelnatz“

Ob Dr. Eugen Schmidt noch weitere Ver-suche unternahm, ist unbekannt. Jedenfallswar das Kurleben Baden-Badens um eineAttraktion gekommen, die sehr wohl in dasstädtische Winterprogramm gepaßt hätte.Ringelnatz hätte sich sicher zu Versen gereiztgefühlt, die über Baden-Baden nicht ganz soboshaft wie über Stuttgart, woher er schrieb,ausgefallen wären:5

Stuttgart„Ich kam von Düsseldorf, dort sah ich

Radschläger.Ich kam nach Stuttgart, dort trank ich

Steinhäger.Denn mit dem schwäbischen WeinScheint mit nicht allzuviel los zu sein,Wenigstens nicht mit dem billigen.Doch ich wohnte in dem Olgabau,Einem Schlosse einer hohen Frau,Die mir auch die besten Sorten tat

bewilligen.…“

Nach Erscheinen von Ringelnatz „Kinder-Verwirrbuch“ (Berlin 1931) ergab sich für Dr.Schmidt eine Möglichkeit, seine Kinder undvor allem seine Tochter Gertrud in das freund-schaftlich gewordene Wechselspiel mit ein-zubeziehen. Mit dieser neuesten Veröffent-lichung hatte Ringelnatz sozusagen ein Vater-erbe aufgenommen. Sein Vater Georg Bötti-cher war unter anderem als Jugendschrift-steller und Herausgeber von „AuerbachsDeutschem Kinderkalender“ hervorgetreten.6

Das „Verwirrbuch für Kinder“ hatte freilichvöllig anderen Charakter als die Jugend-schriften des Vaters. Ringelnatz parodierte denlehrerhaften Ton pädagogisch bemühterKinderschriften.7

„Der Spanier lebt in fernen ZonenFür die, die weitab davon wohnen.“

„Die Guh gibt Milch und stammt ausLeipzig

Wer zuviel Milch trinkt, der bekneipt sich.“

Und er provozierte aufrührerische Gedan-ken gegen Familienautoritäten:

„Kinder, ihr müßt euch mehr zutrauen!Ihr laßt euch von Erwachsenen belügenUnd schlagen. – Denkt mal: fünf Kinder

genügen,Um eine Großmama zu verhauen.“

Es zeugt von einer sehr liberalen Gesin-nung des Vaters, daß er das „Kinder-Verwirr-buch“ in der Vorweihnachtszeit 1931 seineretwa achtjährigen Tochter in die Hand gab. Erhatte es von einem erneuten Besuch beiRingelnatz, der wieder einmal in Stuttgart

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gastierte, mitgebracht, mit einer Widmungvom 6. Dezember 1931

„Was ist hier schon hineinzuschreibenVon ,alt‘ bis ,Kind‘So, wie wir lieb zunander sindSo sollten wir auch bleiben.Joachim Ringelnatz. Stuttgart, 6. Dez. 31.“

Das Bändchen fand nicht volles Gefallen beiseiner Tochter. Denn diese quittierte daszuletzt zitierte Gedicht in einem Brief anRingelnatz vom 18. Februar 1932:8“

„Aber Du schreibst das unrecht, seineGroßmutter zu verhauen“.

Das letzte Jahr der Freundschaft vomDezember 1933 bis zum 17. No-vember 1934, an dem Ringelnatzin seiner Berliner Wohnung anTuberkulose starb, stand schonim Schatten der Machter-greifung durch die Hitler-Parteiund verfestigte doch, vielleichtgerade deshalb, die Bindungzwischen dem Badener Arzt unddem Berliner Improvisator skur-riler Verse und Kabarettist.Ringelnatz erhielt schon baldein Auftrittsverbot in Deutsch-land. Durch einen Brief von Dr.Schmidt vom 5. Dezember 1933zieht sich politische Düsternis.

„Lieber und guter Ringel-natz.Seit Monaten liegt einangefangener Brief an Dichauf meinem Schreibtisch,der nicht zu Ende gebrachtwerden konnte, weil es soschwer ist, das richtig zusagen, was ich sagen wollte.Es geht wohl auch nur ganzeinfach. Es hat mich jedenTag bedrückt, und jeden Tagirgendwie gequält, daß diejetzige Zeit Dir vielleichtEnttäuschungen an DeinenFreunden gebracht hat. Undich wollte Dir irgendwiezum Ausdruck bringen, daßwir immer sehr herzlichund in Freundschaft undDankbarkeit an Dich denkenund daß ich nichts weiß,das dieses Denken irgend-wie ändern könnte. Und daßwir Dir und Muschelkalk –ich darf wohl so sagen –sehr viel Gutes wünschen.

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Eugen Schmidt: Joachim Ringelnatz in Kuttel-Daddeldu-Montur als Kasper-lefigur. Aquarell über Bleistift auf Papier. 29 x 22,5 cm, 1933.

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Es geht uns eigentlich nicht sehr gut. Auchwirtschaftlich und sonst. Man soll immerschwimmen und muß immer innerlichanderen helfen, die nicht mehr schwimmenkönnen und wird selbst oft recht müde.Aber an Dich denke ich sehr oft. Du mußtauch schwimmen und paddeln und dabeinoch anderen helfen.“

Aus dem gleichen Brief geht hervor, daß Dr.Schmidt seinem Dichterfreund schon Geldgeschickt hatte. Nicht ohne eine Gegenlei-stung zu erwarten. Es zeigte sich, daß er inRingelnatz’ Gedichten das oft berührte Themader Kunst des rechten Schenkens beachtethatte. In Gedichten wie:9

Ich habe dich so lieb!Ich würde dir ohne BedenkenEine Kachel aus meinem OfenSchenken.

Im selben Brief fährt Schmidt fort:„Du wirst Dir überlegen müssen, was Dunun tust. Es gibt mancherlei Möglich-keiten … Z. Beispiel habe ich 12 Kasper-lefiguren geschnitzt und auch abgemalt.Das sind 12 Blätter und Du könntest zujedem Blatt ein paar Worte schreiben etwaso, wie solche Kasperlefiguren vor einerVorstellung sich mit ein paar Worten selbstvorstellen.“

Ein origineller Einfall, um Ringelnatz dieBeschämung durch ein Geldgeschenk zu er-sparen. Schmidt nämlich hatte eine künst-lerische Ader. Er aquarellierte, vor allen aufReisen, und verstand es offenbar auch, mitdem Hohleisen zu schnitzen. Die Kasper-lefiguren waren als Weihnachtsgeschenk fürseine drei Kinder gedacht. Ringelnatz gingohne zu zögern auf den Vorschlag ein underhielt mit einem Brief vom 13. Dezember1933 auf vierzehn Blättern die Aquarell-zeichnungen von 1. dem Kasperle, 2. seinerMutter, 3. dem Schutzmann, 4. dem Lehreroder Pfarrer, 5. einem Strolch, 6. einemBauernmädchen, 7. dem Teufel, 8. einemZauberer, 9. dem König, 10. der Prinzessin,11. einem Wirt, 12. einem ungeheuren Kroko-dil, 13. dem Tod und 14. einem Matrosennamens Ringelnatz.10

Der Kasperle zum Beispiel stellte sich dannso vor:11

„Seid ihr alle da?Ja??Dann schreit einmal Hurra.Denn, geliebte Kinder,Ich bin derKasperle und bin wieder da.Bin vergnügt, seid ihr es auch.Lacht ein Loch euch in den Bauch,Aber gebt dabei recht acht,Daß ihr nicht danebenlacht.Wer hier stört und wer nicht gutAufpaßt, kriegt eins auf den Hut.“

Schmidts Porträt von Ringelnatz, das hierreproduziert ist, zeigt in seiner expressiv kari-kierenden Art die zupackende AuffassungsgabeDr. Schmidts.12

Die Verdienste Dr. Eugen Schmidts um dieStadt Baden-Baden und ihre Kurbäder sind zugroß und vielfältig, als daß man sie übergehendürfte. Er zog 1924 mit seiner Familie hierherund war zunächst, bis 1928, im SanatoriumQuisisana beschäftigt. Danach eröffnete er eineeigene Praxis im Bad-Hotel Badischer Hof inder Langen Straße 47, der Hauptader derStadt. Inzwischen hatte er ein Einfamilienhausin der Maximilianstraße 1 erwerben können.

Seine Tätigkeiten in öffentlichen Ange-legenheiten waren vielseitig. Im August 1933wurde er zum Stadtrat ernannt.13 Er über-nahm dieses Amt bis zu seinem Tod am22. November 1939 und war einige Zeit Mit-glied des Kulturausschusses des Stadtrats unddes Verwaltungsrats der Spielbank.

Schmidts weit gestreuten künstlerischenInteressen kamen den StadtgeschichtlichenSammlungen Baden-Baden zugute, derenehrenamtlicher Betreuer er lange Zeit war. AlsVorsitzender des Ärztevereins gab er immerwieder Anregungen für die Entwicklung derKurbäder. Kein Wunder, daß ein Besucher, dersich in Schmidts Bibliothek umgesehen hatte,in die Worte ausbrach: „Sie verschwenden sichunglaublich.“14

Anmerkungen1 Einen kompakten Überblick über die literarische

Vergangenheit Baden-Badens gab Reiner Haehlingvon Lanzenauer: Die Literaten von Baden-Baden.In: Badische Heimat 1996, H. 2, S. 179–195.

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2 Für die Biographie Eugen Schmidts stütze ichmich auf: Helmut Heintel (Hg.): Das Kasperle-Bilderbuch mit Versen von Joachim Ringelnatzund Figuren von Eugen Schmidt. Zürich 1994,Nachwort S. 43–51. Helmut Heintel (Hg.):Joachim Ringelnatz, Eugen Schmidt, GertrudSchmidt. Briefwechsel. Zürich 1994, EinleitungS. 5–9. Ich konnte zusätzlich die Akten A 26/9-36und A 26/19 des Stadtarchivs Baden-Baden ein-sehen und danke der Stadtarchivarin DagmarKicherer für den Hinweis auf diese Akten. Diezitierten Briefe finden sich in dem an zweiterStelle genannten Titel.Zur Biographie von Ringelnatz: Herbert Günther:Joachim Ringelnatz mit Selbstzeugnissen undBilddokumenten. Reinbek 1964 (rororoNr. 50096).

3 Über die wenig zimperlichen Trinkgewohnheitenvon Ringelnatz Herbert Günther (wie Anm. 2),S. 120–121. H. Heintel: Joachim Ringelnatz (wieAnm. 2), S. 5.

4 Zum Wohnsitz Herbert Günther (wie Anm. 2),S. 51.

5 Joachim Ringelnatz: und auf einmal steht es nebendir. Gesammelte Gedichte. Berlin 1951, S. 165.

6 Herbert Günther (wie Anm. 2), S. 13.7 J. Ringelnatz (wie Anm. 5), S. 359, 362, 366.8 H. Heintel: Das Kasperle-Bilderbuch (wie Anm. 2),

S. 42. Ders.: Joachim Ringelnatz (wie Anm. 2),S. 15.

9 J. Ringelnatz (wie Anm. 5), S. 199.10 H. Heintel: Das Kasperle-Bilderbuch (wie Anm. 2),

S. 46.11 Ebd., S. 612 Ich danke Schmidts Tochter Gertrud, die

gleichfalls Ärztin geworden ist, für die Zusendungdes „Kasperle-Bilderbuchs“ und für die Erlaubnis,das Ringelnatz-Porträt von der Hand ihres Vatersreproduzieren zu dürfen.

13 Ernennungsurkunde des Landeskommissärs desKreises Karlsruhe vom 29. August 1933 (Stadt-archiv Baden-Baden A 26/9-36).

14 H. Heintel: Kasperle-Bilderbuch S. 44. Ein Nach-ruf für Schmidt fand sich im Neuen Badener Tag-blatt vom 24. November 1939 und in „Der Führer“vom 24. November 1939.

Anschrift des Autors:Prof. Dr. Walter E. Schäfer

Horhaldergasse 1776534 Baden-Baden

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Von der Grundschule bis zur InternationalUniversity in Germany: In Bruchsal gibt esüber dreißig verschiedene Bildungsein-richtungen und daher kann man die Stadtsicherlich als Stätte der Schulen und derBildung bezeichnen. Eine dieser zahlreichenSchulen, das Schönborn-Gymnasium, feiert indiesem Jahr ihr 250jähriges Bestehen undkann somit immerhin auf ein Vierteljahr-tausend bewegte Geschichte zurückblicken.Der folgende kleine Aufsatz soll dazu dienen,

den Schülerinnen und Schülern, der Lehrer-schaft und allen interessierten Bürgerinnenund Bürgern einen kurzen Einblick in dietraditionsreiche Geschichte dieser Bildungs-einrichtung zu geben.

Perpetuo et irrevocabiliter – also fürimmerwährend und unwiderruflich – wollteFürstbischof Franz Christoph von Hutten seineSchulstiftung verstanden wissen, als er am30. Juli des Jahres 1757 seine Unterschriftunter die Gründungsurkunde zum heutigenSchönborn-Gymnasium setzte. Dies erfolgtemit vierjähriger Verspätung, denn bereits 1753hatten Patres aus dem Jesuitenorden ihreTätigkeit als Lehrer aufgenommen. Doch dieGeschichte der Schule beginnt schon früher.

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt hattesich Huttens Vorgänger, Damian Hugo vonSchönborn dem Schulwesen zugewandt. So istbeispielsweise eine allgemeine Schulpflicht füralle Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahrenvom 4. November 1722 überliefert. Ebenso istbekannt, dass er das von ihm errichtetePriesterseminar durch ein Gymnasium ergän-zen wollte. Der Plan scheiterte jedoch, da es anden hierfür erforderlichen finanziellen Mittelnfehlte. Immerhin gelang es ihm, einen Fondszu stiften, der nach Aussagen seiner Nach-folger für die Gründung eines öffentlichenGymnasiums bestimmt war. Schönborn selbstwar es allerdings nicht mehr vergönnt, dasEntstehen der Schule zu erleben, er starb am19. August des Jahres 1743.

Fünf Jahre nach seinem Tode wandte sichder Bruchsaler Stadtrat an den nun regieren-den Fürstbischof Hutten und machte den„unterthänigsten, unmaßgeblichen Vorschlagwegen Fundirung eines perpetuirlichengymnasii in Bruchsal“. Die Stadt war auchbereit, ein Schulhaus „in behörender Größe“zu erstellen und auch anderweitig finanzielle

! Thomas Moos !

Das Schönborn-Gymnasium in BruchsalEine Schule und ihre Geschichte (1755–1955)

Erstes Schulgebäude: Das Alte Schloss. Unterkunft desGymnasiums von 1753–1773.

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Mittel für das Gelingen des Vorhabens bei-zusteuern. Ob Hutten sich zu diesem Vor-schlag geäußert hat, ist nicht überliefert.

Bekannt ist jedoch, dass sich der Stadtratzwei Jahre später in gleicher Angelegenheitwieder an den Fürstbischof wandte. Nun nahmHutten den Vorschlag auf, obgleich wiederumzwei Jahre vergingen, bis er am 21. Januar1752 seine Antwort folgen ließ. Er war bereit,Gelder aus Schönborns Stiftung zur Verfügungzu stellen, erhöhte die Summe durch Zuwen-dungen aus seiner eigenen Schatulle und legtedarüberhinaus einen Baufonds an, in den alledurch den Fiskus vereinnahmten Strafgelderfließen sollten. Also kann man sagen, dass dieGründung des Gymnasiums sowohl von denBürgern der Stadt als auch durch den Landes-herrn getragen wurde.

Uneinigkeit herrschte allerdings bei derBerufung des Lehrpersonals. Der BruchsalerRat tendierte zu Vertretern des Augustiner-ordens, die als Lehrer gewonnen werdensollten, Hutten jedoch war mehr dem Jesuiten-orden zugeneigt und konnte sich letztendlichauch durchsetzen.

Seine erste Unterkunft bezog das Gym-nasium in Räumlichkeiten des sogenannten

Alten Schlosses von dem heute nur noch derBergfried aus dem 14. Jahrhundert übriggeblieben ist. Dort wurden die „Schuhl- undLehrstuben“ sowie eine „aula academica“eingerichtet, den Lehrern wurde das benach-barte städtische Spital als Wohnung zuge-wiesen. In seinen Anfangszeiten gab es imGymnasium fünf Klassen, wenige Jahre späterwurde es um zwei Klassen erweitert, was aucheine Erhöhung der Lehrerzahl zur Folge hatte.Für das Jahr 1764 werden neben dem da-maligen Präfekten (= Schuldirektor) P. Igna-tius Stiber vier weitere Professoren erwähnt.

Als die Schule gerade mal zwanzig Jahre altwar, kam es zu einer ersten einschneidendenVeränderung. Im Jahre 1773, zwischenzeitlichregierte in Bruchsal Huttens NachfolgerDamian August von Limburg-Stirum, verfügtePapst Clemens XIV. die Aufhebung des Jesu-itenordens. Dies hatte zur Folge, dass dieOrdensleute sich als sogenannte Weltgeistlichein das Bruchsaler Priesterseminar begebenmussten und somit das Gymnasium quasi überNacht seine Lehrkräfte verloren hatte. DerUnterricht musste daher zwangsläufig einge-stellt werden. Nur durch eine organisatorischeÄnderung war es möglich, den Unterricht

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Ehemaliges Gymnasium im Schlossraum Bruchsal

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sechs Wochen später wieder aufzunehmen.Limburg-Stirum ließ die Schule und dasPriesterseminar zusammenlegen und dieSeminargeistlichen waren ab diesem Zeitpunktauch für die Unterrichtung der Gymnasiums-schüler zuständig. Dem SeminarregensBernhard Alth wurde zusätzlich das Amt desGymnasiumspräfekten übertragen. Durch dieZusammenlegung der beiden Einrichtungenstand für die Schule auch ein räumlicherWechsel bevor. Sie war ab diesem Zeitpunkt imsüdlichen Flügel des Seminargebäudes an derheutigen Wilderichstraße untergebracht.

In den folgenden Jahren gab es wohl öftersUnstimmigkeiten zwischen dem Fürstbischofund dem Lehrkörper. Bekannt sind einige Ent-lassungen in der Lehrerschaft und ein häufigerWechsel bei den Schul- und Seminarleitern.Limburg-Stirum war nicht zufrieden mitdiesen Zuständen und er erkannte, dass die Ver-einigung der beiden Einrichtungen nicht zumgewünschten Erfolg geführt hatte. Es ist über-liefert, dass er ein Jahr vor seinem Tod über den„augenscheinlichen Verfall des Schulwesens“klagte und man kann davon ausgehen, dass erdas Gymnasium gerne wieder unter der Leitungdes zu seinem Bedauern nicht mehrbestehenden Jesuitenordens gesehen hätte.

Damian August von Limburg-Stirum starbam 26. Februar 1797 und auf ihn folgte mitPhilipp Franz Wilderich von Walderdorff dervierte und letzte Bruchsaler Fürstbischof.Auch ihm missfiel die Vereinigung von Schuleund Seminar. Daher wollte er schnellst-möglich wieder für eine Trennung der beidenEinrichtungen sorgen. Er wandte sich an denProvinzial der Augustiner in Münnerstadt mitder Bitte um Bereitstellung von Lehrern undbereits im Winter 1797 war die Schule wiedereine selbständige Einrichtung, die von Ver-tretern des Augustinerordens betreut wurde.Aber auch in dieser Zeit herrschte nicht nurFreude und Zufriedenheit. Einerseits klagtedie Lehrerschaft über die in ihren Augenschlechte Bezahlung, andererseits hatte manauf fürstbischöflicher Seite den Eindruck, dassden Ordensleuten die rechte Erfahrung undKenntnis zur Ausübung des Lehrerberufesfehlte.

So stellte sich also die Situation der Schuleam Ende des 18. Jahrhunderts dar und wenige

Jahre später sollte es wieder einen bedeuten-den Einschnitt in ihrer Geschichte geben.Durch die Säkularisation kam es zur Auf-hebung des bisherigen Fürstbistums Speyerund Bruchsal verlor seinen Status als Resi-denzstadt, ab dem 1. Oktober 1802 gehörte eszur Markgrafschaft Baden. Das Gymnasiumexistierte glücklicherweise auch unter denneuen Landesherren weiter. Hinsichtlich derLehrerschaft sollte es den Charakter eineskatholischen Gymnasiums behalten, dieSchüler konnten jedoch auch eine andere Kon-fessionszugehörigkeit besitzen. In der Folge-zeit gab es natürlich auch Änderungen imLehrplan und in der Organisationsstruktur. Sowurde beispielsweise Griechisch für alle ver-bindlich gelehrt und das Erlernen derfranzösischen Sprache wurde als neues Fach inden Lehrplan aufgenommen. Bekannt ist auch,dass es eine strenge Schulordnung gab. So warbeispielsweise den Schülern das Spazieren-gehen nur in Begleitung ihrer Eltern erlaubt.Verstöße gegen die Schulordnung wurden mitStrafarbeiten, Arrest und – im schlimmstenFall – sogar mit Verweis von der Schulegeahndet. Beklagenswert war zu jener Zeit dieAusstattung der Schule mit Lehrmitteln: Sogab es beispielsweise keine Schulbibliothekund keine Gerätschaften für den natur-wissenschaftlichen Unterricht.

Bei den Räumlichkeiten und beim Lehr-personal gab es zunächst keine Änderungen.Die Schulaufsicht lag nun bei der badischenGeneralstudienkommission und in den folgen-den Jahren war man bemüht, bestehendeMängel zu beheben und vorhandene Miss-stände abzuschaffen. Es wurden neue Lehrereingestellt und es erfolgte auch eine Erhöhungihrer Besoldung. Im Jahre 1808 wurde derbisherige Präfekt Müller durch Prof. Sprattlerabgelöst. Dieser leitete die Schule bis zumJahre 1815 und während seiner Amtszeitwurden auch Fächer wie Musik, Zeichnenund Schönschreiben in den Lehrplan auf-genommen. Auf ihn folgte der aus Trierstammende Professor Moritz Huberti(1815–1824) und die in diesen Jahren erfolgtenVerbesserungen haben auch wieder zu einemAnstieg der Schülerzahlen geführt. Im Jahre1820 besuchten 91 Schüler das Gymnasium,eine beachtliche Steigerung, wenn man

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bedenkt, das zwei Jahrzehnte zuvor mit nur 38Schülern ein historischer Tiefstand erreichtwar.

In diesen Zeitraum fiel auch eine weitereNeuerung. Ab 1821 findet man im Lehrer-kollegium auch staatlich geprüfte Lehrer, alsoweltliche Lehrkräfte, die keinem Ordenangehören. Gleichzeitig wurden die geistlichenLehrer verpflichtet, eine Prüfung für dashöhere Lehramt abzulegen. Außerdem wur-den die Dienstwohnungen vergrößert und„familiengerecht“ ausgebaut.

In jenen Tagen hatte das Gymnasium einenSchüler, der später ein hohes Amt bekleidensollte. Es handelt sich um Johann BaptistOrbin, der von 1817 bis 1824 die Schulebesuchte und nach einem langen Berufslebenim Dienste der Kirche schließlich zum Erz-bischof von Freiburg gewählt wurde. Nach nurvierjähriger Amtszeit starb er am 8. April 1886,in Bruchsal erinnert heute noch eine Straße anihn.

Nach Professor Hubertis Pensionierungfolgte Prof. Becker im Amt des Präfekten(1824–1830). Und auch in diesen sechs Jahrengab es wieder wichtige organisatorischeÄnderungen. Der Klassenunterricht wurde

durch den Fächerunterricht ersetzt und dieLehrer unterrichteten fortan nur noch in ver-wandten Fächergruppen. Ab 1828 war ein jähr-liches Schulgeld zu zahlen, lediglich begabteund bedürftige Schüler waren hiervon befreit.Sie wurden durch verschiedene Stipendiengefördert, die teilweise noch auf Stiftungen ausfürstbischöflicher Zeit zurückgingen. Im Jahre1837 forderte die Stadtverwaltung, dass alle inBruchsal geborenen Schüler vom Schulgeldbefreit sein sollten, allerdings konnte sie sichmit dieser Forderung nicht durchsetzen.

Doch es gab auch eine Entlastung für dieSchüler und ihre Eltern – die Druckkosten fürdie Jahresberichte des Gymnasiums wurden ab1829 von der Schule übernommen. Neben denstatistischen Daten zur Schule enthielten dieBerichte in den späteren Jahren auch wissen-schaftliche Publikationen von einzelnenLehrern, erwähnenswert ist an dieser Stelle einAufsatz aus dem Jahre 1856 in dem derdamalige Direktor Heinrich August Schermausführlich „Zur Geschichte und Statistik desGrossherzoglichen Gymnasiums in Bruchsal“berichtete.

Nach Professor Becker übernahm Profes-sor J. Kupferer die Leitung der Schule

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Nach dem Krieg: Notunterkunft im St. Paulusheim, dem Missionshaus der Pallottiner (1946–1950)

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(1830–1835). Er war der letzte Vorstand, derdie Amtsbezeichnung „Präfekt“ führte, seinNachfolger Anton Nokk (1835–1848) wurdebereits als „Direktor“ bezeichnet. Nokk warnicht nur Lehrer und Wissenschaftler, imJahre 1848 hat er als Abgeordneter der2. Badischen Kammer auch die politischeBühne betreten.

Während Nokks Amtszeit gab es wiedermehrere Veränderungen im Schulbetrieb. Dietraditionellen Klassenbezeichnungen wurdendurch neue ersetzt, die erforderliche Anzahlder Lehrer wurde neu bestimmt und in denLehrplan wurde ab dem Jahre 1839 nun auchdas Turnen als Unterrichtsfach aufgenommen.Hier hatte das Bruchsaler Gymnasium einewirkliche Vorreiterrolle, denn der obliga-torische Turnunterricht an den sogenannten„Gelehrtenschulen“ wurde erst 30 Jahre später,im Oktober 1869, durch eine Ministerialver-fügung eingeführt.

Nachdem die Schule seit 1773 im Südflügeldes Seminargebäudes untergebracht war, standnun auch wieder ein Umzug ins Haus. ImFrühjahr 1845 bezog man die frisch reno-vierten Räumlichkeiten im Nordflügel desSeminargebäudes. Dieses neue Zuhause dientebis zum 1. März 1945 der Schule alsUnterkunft, dann wurde es wie das Schloss undviele weitere Gebäude in Bruchsal ein Opferdes 2. Weltkrieges.

Der bereits oben erwähnte DirektorScherm wurde im Oktober 1849 zum Leiterdes Gymnasiums berufen und bekleidete dasAmt bis zum Jahre 1865. Unter den Schul-leitern des Schönborn-Gymnasiusm sticht erhervor, da er sich wohl besonders durchGewissenhaftigkeit, Gründlichkeit, Ordnungs-sinn und Pünktlichkeit auszeichnete. Wäh-rend seiner Amtszeit florierte der Schulbetriebund die Beschäftigung mit der Geschichte derSchule war ihm ein besonderes Anliegen.Auch die genaue und kontinuierliche Auf-listung der „statistischen Verhältnisse“ desSchulbetriebs betrachtete er als eine wichtigeSache. Er sorgte auch dafür, dass währendseiner Zeit als Direktor regelmäßig wissen-schaftliche Beiträge der Lehrerschaft in denJahresberichten der Schule erschienen. Wersich hierfür interessiert, erfährt näheres imVerzeichnis der „Programmbeilagen der badi-

schen höheren Lehranstalten“, das im Jahre1888 von Professor Jakob Köhler aus Rastatterstellt wurde.

1862 wurde durch eine Verfügung diegesamte Schulverwaltung in staatliche Obhutgenommen und sieben Jahre später standenwieder neue Organisationsstrukturen bevor.Künftig sollten nur noch 9-klassige Lehr-anstalten als „Gymnasium“ bezeichnet werden.Somit wurde die Bruchsaler Schule als sieben-klassige Lehranstalt nun zum „Progym-nasium“ erklärt. Gleichzeitig wurden die heutenoch gängigen Klassenbezeichnugen Sexta,Quinta, Quarta, Tertia, Secunda und Prima mitden üblichen Unterteilungen eingeführt. NeueLehrpläne erhöhten die Stundenzahlen fürbestimmte Fächer und das Turnen wurde, wiebereits erwähnt, für alle ein Pflichtfach. Abdem Jahre 1870 sah man die Schule auch nichtmehr als katholisches Gymnasium, dies hattezur Folge, dass nun auch Lehrer andererGlaubenszugehörigkeit angestellt werdenkonnten.

Der Vollständigkeit halber sollen an dieserStelle auch die Nachfolger von DirektorScherm nicht unerwähnt bleiben. Es warendies Cyriak Duffner (1865–1875) und JakobAmmann (1875–1895). Letzterer war bekanntfür seine besonderen Kenntnisse auf demGebiet der alten und neuen Sprachen.

In Ammanns Dienstzeit fiel ein Vorgang,der für die Schulgeschichte von großerBedeutung ist: Durch eine Ministerialent-schließung vom 31. Juli 1879 wurde der Aus-bau vom Progymnasium zum 9-klassigenGymnasium genehmigt. Im „Staatsanzeigerfür das Großherzogtum Baden“ vom 29. Au-gust 1879 war zu lesen:

„Seine Königliche Hoheit der Großherzoghaben mit allerhöchster Staatsministerialent-schließung … auf den unterthänigsten Vor-trag des Ministeriums des Innern … gnädigstzu genehmigen geruht, daß das Progym-nasium zu Bruchsal in ein Gymnasium umge-wandelt werde.

Dies wird mit dem Bemerken zuröffenlichen Kenntniß gebracht, daß dieerweiterte Anstalt, und zwar mit beidenAbtheilungen der Prima, auf Beginn desnächsten Schuljahres eröffnet werden wird.“

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Ein Jahr später, am 18. und 19. Juli 1880,wurde unter dem Vorsitz des Oberschulrats Dr.Ernst von Sallwürk die erste Abiturprüfungabgenommen – ein Ereignis, das man 50 Jahrespäter mit dem ersten überlieferten undschriftlich dokumentierten Schuljubiläumgebührend feierte.

Für die folgenden Jahre sind keine beson-deren oder bemerkenswerte Geschehnisse über-liefert. Geleitet wurde die Schule vonDr. Adolf Büchle (1895–1907), Dr. Ferdi-nand Rösinger, der nur kurz in Bruchsalweilte (1907–1909) und Dr. Alfred Hilgard(1909–1916). Das Jahr 1912 markiert denBeginn einer neuen Ära – erstmals erscheint imVerzeichnis der Abiturienten eine Schülerin:Emma Bürk. Seither gab es an der Schule ge-mischte Klassen, der Anteil der Abiturientinnenwar jedoch immer gering. Erst nach dem2. Weltkrieg begann die Entwicklung, dass auchimmer mehr Schülerinnen das Gymnasiumbesuchten und die Reifeprüfung ablegten.

Eine Zäsur bedeutete der 1. Weltkrieg, dervon 1914 bis 1918 wütete. Schüler aus denoberen Klassen wurden zum Wehrdienst ein-berufen und 21 von ihnen haben auf denSchlachtfeldern ihr Leben verloren. Auch zweiLehrer gehörten zu den Gefallenen, Prof. EmilPfeifer und Lehramtspraktikant Karl Hund.Der Schulleiter Alfred Hilgard verstarb 1916während der Ausübung seines Berufes, auf ihnfolgte Dr. Emil Wolf (1916–1924), dessen Auf-gabe es war, die Schule durch die bewegteNachkriegszeit zu führen. Unter seinem Nach-folger Albert Kreuzer (1924–1934) wurdeschließlich das bereits erwähnte großeSchuljubiläum gefeiert: 50 Jahre Abitur amBruchsaler Gymnasium.

„Einen freudigen, einen herzlichen Will-komm!“

So lautete die Überschrift einer Sonderaus-gabe, die der „Bruchsaler Bote“, die lautEigenwerbung „größte und gelesenste Zeitungin Bruchsal-Stadt und Land“, anläßlich desSchuljubiläums am 29. Juli 1930 heraus-gegeben hat. Aber auch die „BruchsalerZeitung“ veröffentlichte eine „Festausgabe“,die „den Festbesuchern zum Andenken anihren Aufenthalt in Bruchsal gewidmet“ war.Im „Boten“ hieß es weiter:

„Nicht nur vom See bis zu des Maines-strand, auch von weitab der rotgelben Grenz-pfähle kommt ihr aus Ost und West, austieferem Süden und fernerem Nord, ihr ehe-maligen Bruchsaler Gymnasiasten, um an derStätte, die für euch verklärt ist durchfreundliche Bilder der Erinnerung aus euerersorglosen Jugendzeit, freudig am erstmaligenJubiläumsfest euerer humanistischen Lehr-anstalt Anteil zu nehmen und wieder mit deralten selbstverständlichen Unbekümmertheiteuerer Bruchsaler Scholarenzeit fröhlich mitden ehemaligen Mitschülern Stunden zu ver-leben, die der alten Freundschaft undSchulkameradschaft gewidmet sind.“

An der überschwänglichen Sprache er-kennt man, dass dieses Schuljubiläum einebesondere Sache gewesen sein muss. Immer-hin erschien eine sechsseitige Sonderbeilagezur Tageszeitung und auch im regulären Teildes „Bruchsaler Boten“ wurde ausführlich überdie einzelnen Veranstaltungen berichtet.

Glücklicherweise haben diese Zeitungs-berichte zusammen mit einer kleinen Fest-schrift den 2. Weltkrieg unbeschadet über-standen, so dass wir uns heute noch ein Bildüber die Festtage im Juli des Jahres 1930machen können.

Begonnen haben die Feierlichkeiten miteinem Begrüßungsabend im Hotel Keller. DerEinladung waren über 500 ehemalige Schülergefolgt und laut Zeitungsbericht „verlief derAbend in fidelster und herzlichster Weise undbildete einen glänzenden Auftakt für deneigentlichen Festtag.“

An diesem Abend wurde auch erstmals dasvon Otto Oppenheimer verfasste „Gym-nasiumslied“ vorgetragen. Interpret war derehemalige Schüler Dr. Hans Ebbecke.

Der folgende Tag begann um 8.30 Uhr mitFestgottesdiensten für die verschiedenenKonfessionen, es folgte um 9.30 Uhr der Fest-akt im Saal des Bürgerhofes. Hier sprachender Schuldirektor Prof. Albert Kreuzer, derOberbürgermeister der Stadt Bruchsal, Dr.Karl Meister, sowie verschiedene Vertreter ausdem kirchlichen und schulischen Bereich.Nach dem Frühschoppen und einem gemein-samen Mittagessen traf man sich nachmittagszu einer Theateraufführung von Aristophanes’

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„Die Frösche“ und der Tag klang schließlichmit einem Fackelzug durch die Stadt undeinem Festkommers im Bürgerhof aus.Bezüglich des letzten Programmpunktes ver-merkte der damalige Chronist, dass „die Fest-gäste mit einem ausgiebigen Durst behaftet“waren.

Am letzten Tag der Feierlichkeiten, dem31. Juli 1930, wurden auf dem Sportplatz desTurnerbundes Turn- und Sportvorführungengezeigt, da „bei einer Gymnasiumsfeier auchdie Gymnastik nicht fehlen dürfe“.

Der Tag endete schließlich mit einemgemütlichen Beisammensein im Gasthaus zurReserve.

Mit der wenig später anbrechenden Zeit desNationalsozialismus begannen auch für dasSchönborn-Gymnasium schwere und un-ruhige Zeiten. Die Lehrer Dr. Dreifuß und Dr.Marx wurden wegen ihres jüdischen Glaubensaus dem Schuldienst entfernt und nach undnach zwang man auch die israelitischenSchüler, die Schule zu verlassen. Über dasLeben an der Schule zu jener Zeit ist nicht vielüberliefert, Zeitzeugen berichten uns jedochim Rahmen einer Jubiläumsschrift über ihrepersönlichen Erlebnisse und ihre Erfahrungen,die sie als Schüler während der Herrschaft derNationalsozialisten gemacht haben.

Als am 1. März 1945 die Stadt BruchsalOpfer eines alliierten Bombenangriffs wurde,sank auch das Schulgebäude in Schutt undAsche. Der Angriff erfolgte mittags gegen14.00 Uhr und glücklicherweise konnten sichdie Lehrer und die Schüler noch in den Kellerdes Gebäudes retten, so dass keine Todesopferzu beklagen waren. Allerdings wurde die imLaufe der Jahre aufgebaute wertvolle undmehrere tausend Bände umfassende Schul-bibliothek ein Opfer der Flammen.

Die Zerstörung des Schulgebäudes und dienachfolgende Besatzungszeit durch fran-zösische und amerikanische Truppen hattenzur Folge, dass der Unterricht für ein ganzesJahr zum Erliegen kam. Die Zeit war soschlimm, dass man nicht einmal wusste, ob dasGymnasium überhaupt noch einmal als selb-ständige Schule aus den Ruinen erstehenwürde. Doch Prof. Franz Bläsi, ehemals Lehreran der Schule und zwischenzeitlich Bürger-meister der Stadt Bruchsal, setzte sich für den

Fortbestand der Schule ein und am 15.Februar des Jahres 1946 konnte der Unterrichtwieder beginnen.

Untergebracht war das Gymnasium nun imOstflügel des St. Paulusheim, das den Welt-krieg unbeschadet überstanden hatte. Für dienächsten vier Jahre sollte nun das Missions-haus der Pallottiner die Unterkunft sein. ZumDirektor wurde Prof. Karl Kurz berufen undseine bis 1949 dauernde Amtszeit war geprägtvon Not und Mangel. Die Räumlichkeitenwaren begrenzt, durch die angeordneteEntnazifizierung herrschte ein großes Lehrer-mangel, es gab kaum verwendbare Lehrbücherund zeitweise war nicht mal mehr die not-wendige Tafelkreide verfügbar.

Im Januar 1950 stand ein erneuter Orts-wechsel bevor. Für die nächsten 1½ Jahre wardie Schule nun im Westflügel des heutigenJustus-Knecht-Gymnasiums untergebracht.Doch die Stadtverwaltung hatte bereits einenweiter in die Zukunft gehenden Beschlussgefasst: Das Gymnasium sollte wieder seineigenes Schulhaus bekommen. Auserwähltwurde hierfür das 1750 erbaute Reservege-bäude im Stadtgarten, das seit 1888 im Besitzder Stadt war. Nach den erforderlichenUmbaumaßnahmen und der Beschaffung derInnenausstattung konnte das Gymnasium am30. Mai 1951 in sein neues Domizil einziehen.Es war der mittlerweile fünfte Umzug seit derSchulgründung vor 200 Jahren. Drei Jahrespäter folgte ein weiteres erwähnenswertesDatum in der Schulgeschichte: Am 18. März1954 erhielt die Schule, einem Vorschlag desLehrerkollegiums folgend, den Namen„Schönborn-Gymnasium“.

Im folgenden Jahr feierte die Schule erneutein glanzvolles Jubiläum. Man erinnerte sichan das 200jährige Bestehen des Gymnasiumsund an den 75. Jahrestag der ersten Abitur-prüfung. Dokumentiert wurde das Jubiläummit einer Festschrift und einer Chronik überden Verlauf der Festtage. Dass es sich hierbeinicht nur um ein einfaches Schuljubiläumhandelte, sondern um eine große dreitägigeVeranstaltung, in die die ganze Stadt involviertwar, zeigt uns das gedruckte, 28 Seiten starkeProgrammheft. Da sowohl die Festschrift alsauch das Programmheft selbst im Antiquariats-buchhandel kaum noch zu finden sind, soll der

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jetzige Anlass dazu dienen, eine kurze Rück-schau auf die 200-Jahr-Feier zu geben.

Das Jubiläum begann am Morgen des14. Juli 1955 mit einem musikalisch umrahm-ten Festakt, bei dem zahlreiche prominenteGäste begrüßt werden konnten, darunter auchKultusminister Wilhelm Simpfendörfer, der alsVertreter der Landesregierung nach Bruchsalgekommen war. Am Nachmittag folgte eineAufführung von Sophokles’ Antigone in einerdeutschen Übertragung von Berthold K. Weis,dem damaligen Direktor des Schönborn-Gymnasiums. Der erste Tag endete spät miteinem großen Treffen ehemaliger Schüler undLehrer in der Turnhalle des Gymnasiums.

Der Vormittag des folgenden Tages galt derBesinnung. In der Lutherkirche und in derHofkirche fanden Festgottesdienste für diejeweiligen Konfessionen statt, daran an-schließend wurde im Lichthof des Gym-nasiums eine Gedenktafel enthüllt, die an dieüber 100 Lehrer und Schüler erinnern sollte,die im Ersten und im Zweiten Weltkrieg umsLeben gekommen waren. Eine Stadtrundfahrtam Nachmittag und ein abendliches Sere-nadenkonzert im Stadtgarten waren weitereProgrammpunkte. Den Abschluss des zweitenFesttages bildete ein großer Fackelzug mitüber 400 Fackelträgern, der die Teilnehmervom Stadtgarten hinunter zum Schloss undzum früheren Gymnasiumsplatz beim Hof-kirchenturm führte. Dort intonierten diebegleitenden Musikkapellen das „Gaudeamus“,das „als imposanter Schlusschor den Abend,doch nicht das Zusammensein der Festgästebeendete“.

Am Morgen des dritten und letzten Fest-tages fanden Schwimmwettkämpfe statt, die

unter der Leitung von Studienrat Albert Loeweim Städtischen Schwimmbad durchgeführtwurden. Nachmittags traf man sich zu einemKonzert im Kammermusiksaal des Schlosses.Zum Vortrag kamen Werke aus der Musik-bibliothek der Grafen von Schönborn-Wiesent-heid. Der Tag – und somit auch die 200-Jahr-feier – endete mit einem großen Festball zudem sich über 600 Gäste in der Aula desJustus-Knecht-Gymnasiums eingefunden hat-ten. Die Chronik vermerkt: „In dyonisischerDaseinsfreude klangen die Tage der 200-Jahr-feier aus, die Besinnung auf große Traditionenund Bekenntnis zur umfassenden Weite huma-nistischer Lebensart und Weltansicht ingelöster Weltoffenheit vereinigt hatte.“

Nach dem prächtig gefeierten Jubiläumbegann nun wieder der Schulalltag.

Anschrift des Autors:Thomas Moos

Stadtarchiv BruchsalPostfach 2320

76613 [email protected]

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250 Jahre Schönborn-Gymnasium Bruchsal.Hrsg. vom Schönborn-Gymnasium Bruchsal.144 S. m. 116 s/w- u.13 Farbfotos. Ubstadt-Weiher, 2005,ISBN 3-89735-410-1, € 19,80.

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Die dem 200-jährigen Schuljubiläumfolgenden Jahre waren durch stabile bis stei-gende Schülerzahlen gekennzeichnet. Sokonnte OStD Dr. Bertold K. Weis 1959 beiseinem Wechsel auf die Schulleiterstelle amReuchlin-Gymnasium in Pforzheim ein wohlgeordnetes Haus hinterlassen. Bis zum Amts-antritt seines Nachfolgers OStD Dr. BrunoSchwalbach führte OStR Dr. Heinrich Unruh,der spätere Präsident des Oberschulamts Nord-

baden, die Amtsgeschäfte. Die weiterhin er-freuliche Zunahme der Schülerzahl kon-frontierte Dr. Schwalbach jedoch mit einemneuen Problem: Die Zahl der Klassenräumereichte nicht mehr aus.

Zunächst half die Schule sich selbst, indemFachräume als Klassenzimmer genutzt wur-den. Eine Klasse konnte in das benachbarteHaus der Jugend verlegt werden.

Das Jahr 1964 war reich an Entscheidungen,die sich unmittelbar auf die innere und äußereStruktur des Schönborn-Gymnasiums aus-wirkten. Am 12. Februar beschloss der Eltern-

beirat des Schönborn-Gymnasiums – dem Bei-spiel mehrerer bisher rein altsprachlicher(humanistischer) Gymnasien folgend – bei denzuständigen Stellen den Antrag auf Einrichtungeines zusätzlichen neusprachlichen Zugs zustellen, der den Schülern die Möglichkeit bot,zwischen Griechisch und Französisch als dritterFremdsprache zu wählen. Der Antrag derElternschaft wurde genehmigt und dieEinführung des neusprachlichen Zugs auf dasSchuljahr 1968/69 festgelegt.

Ebenfalls 1964 rief Georg Pichts Artikel-serie über die deutsche Bildungskatastrophe –das Schlagwort war unglücklich gewählt, dennnicht die Qualität der an deutschen Gymnasienund Hochschulen vermittelten Bildung, son-dern die Quantität der höheren Bildungsab-schlüsse wurde kritisiert – in einer großendeutschen Illustrierten einen gewaltigenöffentlichen Sturm hervor. Als politischeReaktion auf diese Medienkampagne schlossendie Ministerpräsidenten der Bundesländer dasHamburger Abkommen zur Vereinheitlichungdes Schulwesens, durch das u. a. der Beginndes Griechischunterrichts von Klasse 8 (Unter-tertia) auf Klasse 9 (Obertertia) verlegt wurde.Außerdem erhielten die Schüler die Möglich-keit, die erste Fremdsprache nach Klasse 11 ab-zuschließen.

Um den Schulbeginn in den deutschenBundesländern anzugleichen, wurde in Baden-Württemberg der Anfang des Schuljahrs vonOstern auf den Herbst verlegt. Die Umstellungerfolgte auf dem Weg über zwei Kurzschul-jahre, die von April bis November 1966 und vonDezember 1966 bis Juli 1967 dauerten.

Gleichzeitig sah sich die Schulleitung voreine weitere große Herausforderung gestellt.Mit Beginn des ersten Kurzschuljahres wurdedem Schönborn-Gymnasium ein Aufbauzug

! Rudolf-Manfred Hagelstein !

Das Schönborn-Gymnasium und seinejüngste Geschichte (1955–2005)

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angegliedert, eine dreiklassige, ursprünglichfür Realschulabsolventen gedachte Oberstufe,die zur fachgebundenen Hochschulreife führte.

Die Summe dieser Neuerungen ließ dieSchülerzahl erheblich ansteigen. Lehrer-mangel und Raumnot waren die Folge. Obwohldie Stadt Bruchsal als Schulträger dem Schön-born-Gymnasium weitere Räume des Hausesder Jugend und einige Zimmer der Freiherr-vom-Stein-Schule zur Verfügung stellte, warenNotregelungen nicht zu umgehen, die Schülerwie Lehrer gleichermaßen belasteten. Dazugehörten Wanderklassen, Fünftagewoche fürein Drittel der Schüler, Schicht- und Nachmit-tagsunterricht.

Als Dr. Schwalbach im Herbst 1969 dieLeitung des Bismarck-Gymnasiums in Karls-ruhe übernahm, dauerte es fast ein ganzes Jahrbis zur Ernennung eines neuen Schulleiters.StD Karl Rudisile führte kommissarisch dieAmtsgeschäfte, bis mit OStD Georg Purrmannein langjähriges Mitglied des Kollegiums an dieSpitze der Schule berufen wurde. 1973 über-nahm Regierungsschuldirektor Dr. RudolfSchmich, Referent für Alte Sprachen am Ober-schulamt Nordbaden und ehemaliger Lehrerdes Schönborn-Gymnasiums, die Schulleitung.

Der kontinuierliche Rückgang der Schüler-zahl an der Freiherr-vom-Stein-Schule erleich-terte es der Stadt, der dringenden Bitte vonSchulleitung und Elternbeirat zu entsprechenund die verbliebenen Grundschüler nach undnach in die Hebelschule auszulagern. Die freiwerdenden Räume konnten vom Schönborn-Gymnasium übernommen werden. Dies unddie Aufstellung eines Holzpavillons mit zweiweiteren Schulräumen verhinderte eine wei-tere Verschlechterung der Raumsituation.

Im Hinblick auf die Lehrerlage bahnte sichebenfalls eine Wende an. Die Zahl der Lehr-amtskandidaten hatte erheblich zugenommen;da fast alle in den Schuldienst übernommenwurden, verbesserte sich die Lehrerversorgungauch an unserer Schule zusehends.

Ein Problem harrte aber nach wie vor einerLösung. Es herrschte Mangel an Fachräumenfür Naturwissenschaften, Bildende Kunst undMusik. Deswegen beschloss der Gemeinderat1975, einen Erweiterungsbau neben denRemisegebäuden zu errichten. Von früherenPlänen, einen völligen Neubau zu erstellen,hatte man Abstand genommen.

Für die Schulgeschichte wurde 1979 einbesonderes Jahr. Das Schönborn-Gymnasium

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Eingang zum Gymnasium auf dem Belvedere

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feierte ein doppeltes Schuljubiläum: sein 225-jähriges Bestehen und 100 Jahre Erhebungzum 9-klassigen Gymnasium mit Abitur.Gleichzeitig konnte der Erweiterungsbau fürdie mathematisch-naturwissenschaftlichenund musisch-technischen Fachbereiche feier-lich eingeweiht und seiner Bestimmung über-geben werden.

Auch in der inneren Entwicklung derSchule gab es eine Zäsur. Zum letzten Malwurde die Reifeprüfung alter Art durchgeführt.Da für den Aufbauzug in der Konzeption derneugestalteten Oberstufe kein Platz mehr war,wurden bereits seit dem Schuljahr 1977/78keine neuen Klassen mehr aufgenommen. Mitdem Abitur des letzten Jahrgangs lief 1979dieser Schulzweig aus.

Im folgenden Jahr konnte auch der Lehrer-und Verwaltungsbereich im Hauptgebäude ent-sprechend dem Wachstum der Schule und derdamit verbundenen Zunahme der Aufgaben ver-größert und zweckmäßiger gestaltet werden.

Im Herbst 1981 erreichte die Schülerzahldes Schönborn-Gymnasiums mit 906 Schülernden höchsten Stand seit seinem Bestehen. Inder Folgezeit sank die Zahl der Neuan-meldungen beständig. Der daraus resul-tierende Rückgang der Schüler- und Klassen-zahl war kein spezifisches Problem des Schön-born-Gymnasiums, sondern betraf alle Gymna-sien mit grundständigem Latein in unseremBundesland. Dies war offensichtlich eine Folgeder Änderung der Elterninformation in denvierten Grundschulklassen, von der die Ver-treter der Gymnasien ausgeschlossen wurden.

Indessen nagte am Hauptgebäude der Zahnder Zeit. Deshalb stellten Schulkonferenz, Per-sonalrat, Elternbeirat und SMV am 13. 5. 1988den Antrag zur Behebung dringender bau-licher Mängel sowie zur Einleitung einerumfassenden Sanierung des Altbaus an dieStadt. Trotz des guten Willens aller beteiligtenStellen – da der gesamte Altbaubereich eindenkmalgeschütztes Ensemble darstellt, war

Blick auf das „Schönborn-Gymnasium“ aus der Vogelperspektive (am 30. Mai 1951 bezogen)

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und ist stets auch das Landesdenkmalamteingebunden – dauerte es vier Jahre, bis dieGeneralsanierung beginnen konnte.

Mit dem Schuljahr 1992/93 wurde amSchönborn-Gymnasium ein mathematisch-naturwissenschaftlicher Zug zusätzlich zu denbestehenden Zügen (altsprachlich und neu-sprachlich I) eingeführt. Dieser Schritt warerforderlich, weil die Neuanmeldungen für dieEingangsklassen 5 in den vorangegangenenJahren (wie bei den anderen Gymnasien mitLatein als 1. Fremdsprache) um etwa einDrittel zurückgegangen waren. Der neue Zugsollte dazu dienen, das (von der Schülerzahlabhängige) Kursangebot der Oberstufe aufDauer zu sichern.

Dass diese Entscheidung richtig war, be-wiesen die von nun an kontinuierlichsteigenden Schülerzahlen. Ende Januar 1996trat OStD Dr. Schmich nach 22½ Jahren Tätig-keit als Schulleiter in den Ruhestand. Am1. Februar übernahm OStD Manfred Becker dieAmtsgeschäfte. Wie sein Vorgänger hatte erzuvor im Oberschulamt Karlsruhe die AltenSprachen als Fachreferent vertreten. DerRaummangel, die Kehrseite der erfreulichenSteigerung der Schülerzahlen, erzwang in derFolgezeit die Umwandlung weiterer Fach-räume in Klassenzimmer. Die schwierig wer-dende Finanzlage der Kommunen verschonteauch Bruchsal nicht und führte zu einerzeitlichen Streckung der Generalsanierung.

Im Schuljahr 1998/99 wurden anstelle derbisherigen „Züge“ für alle Klassen das sprach-liche und das naturwissenschaftliche Profileingeführt. Ende Juli 2002 trat OStD Becker inden Ruhestand.

Mit seiner Nachfolgerin, OStD MonikaJung, übernahm zum ersten Male in der Schul-geschichte eine Frau die Leitung des Schön-born-Gymnasiums. Zu Beginn des Schuljahres2003/04 wurden im sprachlichen Profil dasBiberacher Modell, das „Europäische huma-nistische Gymnasium“ und Spanisch als spätbeginnende Fremdsprache ab Klasse 11 ange-boten. Die Vorbereitungen für die Bildungs-planreform 2004 forderte von allen am Schul-leben Beteiligten eine gewaltige Kraftan-strengung. Eltern, Schüler und Lehrer hattendie Vorarbeiten für das Schulprofil, das Leitbildund das Schulprogramm zu leisten, die Kon-

tingentstundentafel war zu beschließen, dieLehrkräfte mussten sich in Tagungen undschulinternen Konferenzen in die neuen Bil-dungsstandards einarbeiten, die die bisherigenLehrpläne ablösen sollten.

Im Jahre 2004 konnten wir die erstenFünftklässler aufnehmen, die nach der Regel-zeit von acht Jahren das Abitur ablegenwerden. Die Arbeiten am Schulprofil wurdenweitergeführt; gleichzeitig liefen die Vor-bereitungen für das 250-jährige Schuljubiläuman. Als Jubiläumsgeschenk erhofft sich dieSchule den erfolgreichen Abschluss der Gene-ralsanierung.

Das ehrwürdige Alter, das unsere Schuleerreicht hat, ist Anlass, innezuhalten und sichZeit für einen Rückblick und einen Ausblick indie Zukunft zu nehmen. Das Schönborn-Gymnasium setzt sich die Vermittlung einerallgemeinen, gleichermaßen an Natur- undGeisteswissenschaften orientierten Bildungzum Ziel. Hat es die Werte bewahrt, die es nachdem Willen seiner Gründer der Jugend ver-mitteln sollte? Ist es den Herausforderungen,die das 21. Jahrhundert stellen wird, ge-wachsen?

Eine mögliche Antwort bietet die Präambeldes Leitbilds unserer Schule, die von allen amSchulleben Beteiligten erarbeitet wurde. Hierheißt es u. a.: „Bildung am Schönborn-Gym-nasium soll junge Menschen in ihrer ganzenPersönlichkeit fördern. … Der humanistischeGedanke hat eine Leitfunktion. Humanität alsBildungsziel bedeutet Orientierung an derMenschenwürde, an der antiken Gesellschaftund dem Christentum als Wurzeln unserKultur. Auf dieser Basis bereiten wir unsereSchüler darauf vor, sich den Anforderungendes zusammenwachsenden Europa zu stellen.“

Diese Leitsätze stellen für alle, die demSchönborn-Gymnasium verbunden sind, Ver-pflichtung und Ansporn für die Zukunft dar.

Anschrift des Autors:Rudolf-Manfred Hagelstein

Weiherbergstraße 8F76646 Bruchsal

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Zum Schuljahr 1938/39 hat ein Lehrer desDurlacher Gymnasiums ein selbst verfaßtesund in Loseblattform gedrucktes Geschichts-buch für seine Klasse vorgelegt und im Unter-richt benutzt. In einem Aktenordner ge-sammelt, ist dieses Werk erhalten gebliebenund beweist eine beachtliche Distanz des Au-tors zum Geschichtsbild der Nationalsozia-listen, dessen Beachtung von den Schulbe-hörden damals zur Pflicht gemacht wurde. DerLehrer – es handelte sich um den Stellver-tretenden Direktor Professor Rudolf Imgraben– hat mit seinem Vorgehen freiheitlicheGesinnung und Unabhängigkeit des Denkensbewiesen. Er genoß das Vertrauen seiner Schü-ler und der Eltern und bekam ebensowenigSchwierigkeiten mit der Partei wie die Dur-lacher Druckerei, deren Namen auf dem Titel-blatt vermerkt ist. Im Rückblick erscheint dasalles höchst erstaunlich, und es stellt sich dieFrage, inwieweit das Handeln Imgrabens, derim Kollegenkreis als Parteigegner bekannt war,eine Tat des Widerstands gegen den National-sozialismus gewesen ist. Um einer Antwort da-rauf näher zu kommen, ist es notwendig, dasUmfeld der nationalsozialistischen Bildungs-politik im Hinblick auf das Fach Geschichte zuskizzieren und einige Spuren der Schulwirk-lichkeit jener Zeit zu verfolgen.

Die Formung der Jugend im Sinne dernationalsozialistischen „Weltanschauung“ warfür die Hitlerbewegung von ihren Anfängen anein wichtiger Programmpunkt. Schon 1923wandte sich der Parteiführer in einer Redegegen „Überbildung“ und forderte, die Bedeu-tung von „Instinkt und Wille“ in der Erziehungstärker zu gewichten. In einer Proklamation anden Parteitag vom 31. 8. 1933 gab er die Parole

aus, „jenes unverdorbene Geschlecht zuerziehen, das mit klarem Verstande die ewigeGesetzlichkeit der Entwicklung erkennt unddamit bewußt wieder zurückfindet zum pri-mitiven Instinkt“.1 So wird die Wissenschaftauf den Vulgärdarwinismus des Kampfes derRassen fixiert, und die Erziehung wird in denDienst dieses Kampfes gestellt.

Im Juni/Juli 1933 forderten dieNationalsozialisten die Schulen auf, anstelle

des lehrplanmäßigen Geschichtsunterrichtsfür einige Wochen eine „Einführung in dieBedeutung und Größe des historischen Ge-schehens der nationalen Revolution“ zugeben.2 Eine Umorientierung des SchulfachesGeschichte im Sinne jener Revolution wurdein weiten Kreisen erwartet. Der Berufsverbandder Geschichtslehrer löste sich im Juni 1933auf und verwies seine Mitglieder auf den NS-Lehrerbund.3 Mit einer raschen Revision derSchulbücher konnte gerechnet werden: Soschrieb der Heidelberger Ordinarius derGeschichte und Rektor der Universität WillyAndreas schon im April 1933 an das badischeMinisterium des Kultus und Unterrichts:

! Klaus P. Oesterle !

Zwischen Improvisation undWiderstand

Anmerkungen zum Geschichtsunterricht der 30er-Jahre in BadenDas Beispiel Rudolf Imgraben

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„Wenn eine Revision der Lehrbücher vor-gesehen ist, wäre wohl, wie mir nach Durch-sicht einiger gebräuchlicher Lehrwerkeerscheint, eine stärkere Berücksichtigung desgroßdeutschen Gedankens seiner nationalenZukunftsbedeutung wegen und der österrei-chischen Geschichtsentwicklung im Hinblickauf ihre volksdeutsche Bedeutung zu wün-schen.“ Als Gegengewicht zu einer „rein indivi-dualistisch – literarische(n) Geisteshaltung“empfiehlt er nationale Historiker wie Treitsch-ke und Giesebrecht als Schullektüre und er-klärt sich bereit, das Ministerium bei derRevision zu beraten.4

Nach der „Gleichschaltung“ der Länder(30. 1. 1934) konnte die Partei über die Reichs-regierung administrativ auf die Schulen inganz Deutschland einzuwirken. Reichsinnen-minister Dr. Frick kritisierte in einer Anspra-che vor den Kultusministern am 9. 5. 1933 diebisherige „Bildung der freien Einzelperson“und formulierte als Erziehungsziel den „volks-verwurzelten, dem Staat verpflichteten deut-schen Menschen“.5 Das Reichsinnenministeri-um setzte einen Ausschuß für das Unterrichts-wesen ein, der reichseinheitliche Richtlinienerstellte, die von den Kultusministerien derLänder im Wortlaut publiziert und für dieSchulen verbindlich gemacht wurden.

Die „Richtlinien für die Geschichtslehr-bücher“ des Reichsinnenministers Dr. Frickwurden für das Land Baden durch den Kultus-minister Dr. Wacker im Amtsblatt vom 20. 2.1934 verkündet.6 Zugleich wurde angeordnet,daß der Geschichtsunterricht „unter Berück-sichtigung der in diesen Richtlinien hervor-gehobenen Gesichtspunkte zu erteilen ist,wenn auch die entsprechenden Lehrbüchernoch nicht vorliegen“.

Bei diesen „Gesichtspunkten“ handelte essich im wesentlichen um folgendes: Durch-gehend zu berücksichtigen ist „die Bedeutungder Rasse“. Zu betonen ist der „völkischeGedanke“ gegenüber dem „internationalen“,„dessen schleichendes Gift …. die deutscheSeele zu zerfressen droht“. Es soll gezeigtwerden, daß „Kultur eine Schöpfung der Rasseist“ und daß die nordische Rasse als Urheberinaller Hochkulturen anzusehen ist von denSumerern über Ägypter, Griechen und Römer.Bei jedem Kapitel der antiken Geschichte hat

der Unterricht daher von Mitteleuropa anzu-setzen. Dabei ist der „heldische Gedanke inseiner germanischen Ausprägung, verbundenmit dem Führergedanken unserer Zeit“, her-vorzuheben. „Die Bedeutung der germa-nischen Völkerwanderung“ ist „zutiefst“ darinzu sehen, „daß sie dem in seinem Rassen-mischmasch entarteten römischen Weltreichfrisches Blut zuführte“. Das Mittelalter gilt als„Zeit größter deutscher Machtentfaltung“,wobei die „Wiedergewinnung der ostelbischenGebiete“ besonders wichtig ist. Zu beklagen istder internationale Charakter der europäischenGeschichte des Mittelalters und der frühenNeuzeit. An der neueren Geschichte kann end-lich die „Entwicklung zum völkischen Staat“gezeigt werden.

In welchem Umfang, mit welcher Intensitätund mit welcher Geschwindigkeit diese Ge-schichtsideologie in den Schulunterricht Ein-gang gefunden hat, ist nicht einfach zuerkennen. Durch die vorliegende Unter-suchung soll auf lokal- und regionalgeschicht-licher Basis ein Beitrag zur Erhellung diesesBereiches versucht werden. Der Blick richtetsich dabei auf das Land Baden und auf dasbereits erwähnte Gymnasium in Durlach, dasdamals den Namen „Markgrafen-Oberschulefür Jungen“ zu führen hatte, obwohl es auchvon Mädchen besucht wurde.

Zum Stichtag 10. Januar 1935 veranstaltetedas badische Kultusministerium eine Umfrage,bei der alle Gymnasien und beruflichenSchulen angeben mußten, welche Lehrbücherfür den Geschichtsunterricht sie eingeführthatten.7 Die Antworten ergeben für die Berufs-schulen, daß dort in der Regel keine Ge-schichtslehrbücher eingeführt waren. Mannannte dem Ministerium als Grundlage desUnterrichts linientreue Werke für die Hand desLehrers, die in der Lehrerbibliothek zur Ver-fügung standen. So berichtet die Gewer-beschule Durlach, daß für das Fach „Deutsch-kunde“ u. a. Hans Henning Freiherr Grote –„Das Schicksalsbuch des deutschen Volkes vonHerrmann dem Cherusker bis Adolf Hitler“verwendet wird. Die Gewerbeschule Villingenmeldet als Grundlage des Unterrichts schlicht„das Standardwerk ,Mein Kampf‘ von AdolfHitler“, in dem die Ansichten des Verfasserszum Geschichtsunterricht tatsächlich breiten

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Raum einnehmen.8 Die Gymnasien benutzten1935 durchweg noch die in der Zeit derWeimarer Republik eingeführten Unterrichts-werke. Am meisten genannt werden die Büchervon Karl Lang (Altertum), Gerhard Bonwetsch(Mittelalter/Neuzeit) und Franz Schnabel(Neueste Zeit). Diese Werke waren auch amGymnasium in Durlach eingeführt.9 IhreBenutzung im Unterricht galt bis gegen Endeder 30er Jahre noch als legal, obwohl sie dennationalsozialistischen Vorgaben für den Ge-schichtsunterricht nicht entsprachen. In Neu-drucken von Büchern aus dem Teubner-Verlag,die in der NS-Zeit ausgeliefert wurden, sindAbschnitte über die Weimarer Republik ersteinmal ersatzlos herausgenommen worden10.Es blieb also dem Lehrer allein überlassen, wieer diese selbsterlebte Zeit im Unterricht dar-stellte. Im Sinne des Nationalsozialismus ver-wendbar war Walter Gehls „Geschichte fürhöhere Schulen“, die beim ersten Erscheinen1924 vom preußischen Kultusministeriumwegen ihrer republikfeindlichen Tendenzzunächst nicht genehmigt worden war.11 Die-ses Buch verdrängte mancherorts die anderenLehrwerke aus der Zeit vor 1933.

Nach den Stundentafeln von 1935 wurdedas Fach Geschichte auf der Mittelstufe derhöheren Schulen durchgehend mit zwei, aufder Oberstufe mit drei Wochenstunden unter-richtet; die Dauer der einzelnen Unterrichts-stunde betrug seitdem 45 Minuten.12 Mit derEinführung neuer Schulbücher begann manbei der Unterstufe. Sie dauerte trotz desgroßen Eifers der Nationalsozialisten für dieGleichschaltung des Geschichtsunterrichtserstaunlich lange.

Daher wurden besonders in der Oberstufedie alten Bücher bis zum Ende der 30er-Jahreweiterbenützt. Bei den Verlagen waren – auch wegen des durch die Wirtschaftskrisestockenden Verkaufs – wohl noch Rest-bestände verfügbar, so daß Neudrucke nichtsofort benötigt wurden. Laut Auskunftehemaliger Schüler unterrichtete Prof. Dr.Max Steidel seine Durlacher Abiturklasse1938/39 nach dem Schulbuch von FranzSchnabel, dessen berühmtes Hauptwerk, die„Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ invier Bänden, zu derselben Zeit vom Regimeunterdrückt wurde.13 Schnabels Geschichts-

buch für die Oberstufe der Gymnasien ent-sprach den Intentionen der Nationalsozia-listen ebensowenig wie sein wissen-schaftliches Werk. Es enthält zustimmendeWerturteile über die Demokratie der Wei-marer Republik und über die „Männer von1848“. Die Schüler finden Friedrich Heckererwähnt, aber nicht den „heldischen Gedan-ken“ im Sinne der amtlichen Richtlinien. DasRegime hatte es nicht geschafft, den jungenMännern, die als erste gleich nach dem vor-gezogenen Abitur in den Krieg ziehenmußten, ein linientreues Schulgeschichts-buch vorzulegen. Die nationalsozialistischeUnterrichtsverwaltung begnügte sich einigeZeit damit, für die vorhandenen LehrwerkeEinlegeblätter zu liefern, die allgemeineGrundsätze der amtlichen Geschichtsauf-fassung wiedergaben, ohne schon eine durch-gehend rassistische und antisemitische Dar-stellung zu bieten.14 Weiter gingen „Ergän-zungshefte“, die aber in Baden nur für daseingeführte Lesebuch des Faches Deutschbelegt sind.15 Förmlich verboten wurde dieBenutzung der älteren Lehrwerke jeweilsdann, wenn neue vorlagen und eingeführtwurden. So hieß es bei der Einführung eines„Heimatatlas der Südwestmark Baden“ imJahr 1935: „Die Benutzung eines anderen Hei-matatlas ist nicht zulässig.“16

Der Einsatz neuer Lehrwerke für denGeschichtsunterricht der Oberstufe, durch dendie Bücher der Republik endgültig aus denSchulstuben verbannt wurden, erfolgte erst inden Jahren 1939 und 1940. Es handelte sichum: „Volk und Führer“ (Diesterweg-Verlag,Frankfurt), „Führer und Völker“ (Velhagen undKlasing, Bielefeld) und „Volkwerden derDeutschen“ (Teubner, Leipzig). Den einzelnenSchulen wurde durch einen Verteilungsplanvorgeschrieben, welches Verlagswerk sie ein-zusetzen hatten. Abweichungen warenuntersagt. Die Geschichtsbücher für dieKlassen der gymnasialen Oberstufe – Klasse 6,7 und 8 nach damaliger Zählung – wurdendurch das Amtsblatt vom August 1940 „vorläu-fig zugelassen“; sie konnten also erst vomKriegs-Schuljahr 1940/41 im Unterricht ver-wendet werden.17 Der Krieg hat in der FolgeProduktion und Lieferung dieser Bücherzunehmend behindert.

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Mit der Verwendung seines eigenen Ge-schichtsbuchs für den Unterricht in einer ein-zigen Klasse im Schuljahr 1938/39 hat Pro-fessor Imgraben am Gymnasium in Durlach informaler Hinsicht nicht gegen behördlicheRichtlinien verstoßen und insofern keinenoffenen Widerstand gegen den Nationalsozia-lismus geleistet. Die Mißachtung eines ver-bindlich eingeführten Lehrwerkes wäre imnationalsozialistischen Führerstaat trotz gro-ßen Vertrauens von Schülern und Eltern undtrotz deutlicher Sympathie des ebenfalls liberaldenkenden Direktors Dr. Schnitzler nichtmöglich gewesen. Die Nationalsozialistenzeigten durch Erlaß und Durchführung ihresGesetzes zur „Wiederherstellung des Berufs-beamtentums“ deutlich, wie sie mit beamtetenLehrern umgingen, die in Veröffentlichungeneine oppositionelle Einstellung gezeigt hat-ten.18 Sie wurden ebenso aus dem Dienst ent-fernt wie Beamte jüdischer Herkunft. Durchdie Entlassung des jüdischen Studienrats JosefHausmann sah sich das Durlacher Lehrer-kollegium 1935 unmittelbar mit derstaatlichen Repression konfrontiert. Imgra-bens Verfahren in Sachen Geschichtsbuchkonnte keine offene Opposition sein, es stellteine aufwendige Improvisation dar, mit der erzunächst einmal einen Notstand bei der Ver-sorgung mit Unterrichtsmitteln überbrückte.

Der Verfasser war im Schuljahr 1938/39Klassenlehrer einer 6. Klasse des Gymnasiums,was der früheren Untersekunda und der heuti-gen Klasse 10 entspricht. Da das Gymnasium1937 von neun auf acht Jahrgangsstufen ge-kürzt worden war, begann mit dieser Klasse dieOberstufe. Für das Fach Geschichte bedeutetedies den Beginn des zweiten chronologischenDurchgangs; Der Stoff umfaßte die Zeit vonder Praehistorie bis ins 15. Jahrhundert. Nebendem dreistündigen Fach Geschichte erteilteImgraben Griechisch mit fünf Wochen-stunden. Die Klasse bestand in diesem Schul-jahr aus 29 Schülern, davon 21 evangelischerKonfession, darunter fünf Mädchen, achtJungen waren katholisch. Alle gehörten einerGliederung der Staatsjugend an, wie es nachdem „Jugendpflichtgesetz“ von 1938 vor-geschrieben war. Unter den Mädchen befandensich die Stieftochter des Klassenlehrers Edel-traud Fels und die Tochter des Oberbürger-

meisters von Pforzheim Inge Kürz.19 IhrerFamilie gehörte die Verlagsdruckerei A. Dups,die das „Durlacher Tagblatt“ und den „Pfinz-täler Boten“ herausgab. Durch diese Firmawurde Imgrabens außerordentliche Fleiß-arbeit „als Manuskript“ gedruckt. Ihr Titellautet: „Der Geschichtsunterricht der sechsten(Gymnasial) Klasse der MarkgrafenoberschuleDurlach“.

Das Werk enthält den gesamten Stoff desSchuljahres, beginnend mit einem erdge-

schichtlichen Vorspann. Die insgesamt 238jeweils einseitig eng bedruckten Blätter imFormat DIN A4 wurden augenscheinlich imLaufe des Schuljahres ausgeteilt. Ein voran-gestelltes Inhaltsverzeichnis ermöglicht denÜberblick. Das heute in Unterrichtswerkenenthaltene Rüstzeug von Quellentexten, Bil-dern und Arbeitsaufträgen war damals nichtüblich und wird nicht geboten. Man verwandteausschließlich darstellenden Text. Dieser istbei Imgraben von unterschiedlicher Machart:Auflistungen von Fakten in chronologischerReihenfolge nach Art einer Stoffsammlungwechseln mit sorgfältig ausformulierter Fach-prosa mit umsichtig begründeten Sach-urteilen. Die Texte zeigen ein energisches

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Der Geschichtsunterricht dersechsten (Gymnasial) Klasseder Markgrafenoberschule

Durlach

von

Rudolf Imgraben

Gedruckt als Manuskript – Durlach, 1938/39

Druck: A. Dups K.-G., Verlag „Durlacher Tageblatt“ – „Pfinztäler Bote“

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Bemühen um die Klärung von Zusammen-hängen. Besonders wichtig erscheint demklassischen Philologen die sprachlich korrekteDeutung von Begriffen. Gelegentlich sindLücken im Gedruckten gelassen, wo dieLernenden eine altgriechische Vokabel hand-schriftlich einzufügen hatten. Das vorliegendeExemplar zeigt auch sonst handschriftlicheZusätze und Bemerkungen am Seitenrand, diebeweisen, daß mit der Vorlage gründlichgearbeitet wurde. Eine vollständige Durch-nahme der in diesem Buch ausgebreitetenStofffülle dürfte indes auch bei drei Wochen-stunden nicht möglich gewesen sein. Deminteressierten Schüler wurde noch reichlichMaterial zum Selbststudium und zum Nach-schlagen geboten.

Wie verhält sich nun der Imgraben-Textzum amtlich vorgeschriebenen Geschichtsbilddes „Dritten Reiches“? Der Lehrer verwendetdurchaus die Sprache seiner Zeit, zu derenWortschatz der Begriff „Rasse“ selbstverständ-lich gehörte; er ist infolge der nationalsozia-listischen Verbrechen erst in der Nachkriegs-zeit zu einer Art Unwort geworden. In Imgra-bens „Geschichtsunterricht“ wird von derEntstehung der „nordischen Rasse“ im Neo-lithikum gesprochen. Die Ägypter nennt ereine „Mischrasse der Hamiten, Semiten undNubier“. Die Sumerer sind im Unterschied zuden Babyloniern keine Semiten, haben abervon Semiten die Keilschrift übernommen. Die„Arier in Asien – Meder, Perser, Inder“ werdenhervorgehoben.20 Von den Römern wird gargesagt, daß ihr Proletariat durch die vielenfreigelassenen Sklaven „rassisch zersetzt“wurde.21 Die vom Regime gewünschte Bot-schaft von einer Überlegenheit der Nordleutefindet sich jedoch bei Imgraben nirgends.22

Der Rassebegriff bezieht sich für denLehrer, wie er deutlich hervorhebt, nur aufkörperliche Merkmale des Menschen.23 EineUnterscheidung zwischen mehr oder wenigerwertvollen Rassen gibt es für ihn nicht. Die„Arier“ sind eine Rasse unter anderen; der Par-teiglaube an ihre Überlegenheit und Sonder-rolle wird an keiner Stelle vertreten. Mittel-europa spielt bei der Geschichte des altenOrients richtigerweise keine Rolle. Die Völker-wanderung behandelt Imgraben im Rahmeneiner äußerst faktenreichen und differenzier-

ten Darstellung der Spätantike. Während diebehördlichen Richtlinien „die neue Kultur-blüte des Mittelalters“ ausschließlich durch diein das römische Reich eingedrungenen Ger-manen verursacht wissen wollen, erfahren dieSchüler Imgrabens zunächst einmal von einem„Umsichgreifen der Naturalwirtschaft“. Diekulturellen Eigenheiten der europäischenVölker, einschließlich der Slawen, werdensodann sachlich dargelegt. Die Rolle Frank-reichs für die Entstehung der romanischenund der gotischen Kunst wird stark hervor-gehoben: „Die Gotik in Deutschland ist Aus-druck einer allgemein herrschenden euro-päischen Kultur.“24 Die amtlich geforderteDeutung des Mittelalters als Zeit der größtendeutschen Machtentfaltung findet bei Im-graben nicht statt.

Der Begriff „Cultur“ ist für den Verfasservon herausragender Wichtigkeit. Das „Volk“wird als „kulturelle Gemeinschaft“, verstanden.Die Definition dieses Begriffs auf rassischerGrundlage wird ausdrücklich abgelehnt25. DerPhilologe betont die Bedeutung der Sprache fürden Zusammenhalt des Volkes, er denkt kultur-geschichtlich und nicht „völkisch“. Die Rang-folge der einschlägigen Fachbegriffe bei Im-graben wird besonders deutlich durch seineBewertung des Ausgangs der Perserkriege. Ernimmt die Siege der Griechen bei Marathon(490) und Salamis (480) als Entscheidung, „daßes eine eigene und höhere europäische Cultur,auch eine andere höhere Form von Staat undGesellschaft geben wird, als der Orient besaß,seine Arier ebensogut wie seine Semiten“. DerKampf der Rassen als Motor der Geschichte unddie These von der Überlegenheit der Arierwerden damit klar abgelehnt. Da Imgrabensicher weiß, auf welches gefährliche Terrain ersich hier begibt, kennzeichnet er diese Aussageals Lehrmeinung des berühmten und aner-kannten Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf.26

Eine weitere Autorität nimmt der Verfasserzu Hilfe bei seiner Würdigung der christlichenReligion, die im Rahmen eines Schulge-schichtsbuchs – auch im Vergleich mit heuti-gen Büchern – recht ausführlich und – fürdamalige Verhältnisse – bemerkenswert positivausfällt. Imgraben bemüht Richard Wagner,der mit seinen wütenden antisemitischen Aus-

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fällen in den theoretischen Schriften der Nazi-partei ebenso gefiel wie mit der Darstellunggermanischer Helden in seinen Musikdramen.Das Schulbuch geht darauf nicht ein, sondernzitiert aus Wagners religionsphilosophischemSpätwerk, das Christi Erlösungstat über Ras-sengegensätze stellt. Imgraben zieht eine Text-stelle Wagners über „Sokratik“ und „Christen-tum“ heran, deren Schlußsatz lautet: „Beidewirken vereint zum Segen der Menschheit biszum heutigen Tage fort.“27 Diese Aussage ent-spricht jenseits aller Taktik augenscheinlichauch dem persönlichen Credo des Griechisch-lehres und Pfarrersohnes Rudolf Imgraben. MitRichard Wagner teilt er darüber hinaus, ohnediesen Zusammenhang ausdrücklich zu zitie-ren, die hohe Wertschätzung des Buddhismus,den er als „Religion der Menschenliebe“ demHinduismus gegenüberstellt, dessen „Kasten-geist“ vom Kampf gegen „Rassenvermischung“herrührt.28 Den Aufstieg des Christentums zurWeltreligion führt Imgraben auf dessen Ver-bindung mit der griechisch-römischen Phi-losophie zurück, in der nach seiner Meinung„Ideen von der Gleichheit aller Menschen undder allgemeinen Menschenrechte schon Fußgefaßt hatten“.29 Damit ist der Lehrer himmel-weit von der herrschenden Staatsideologie ent-fernt. Dazu paßt, daß die Kirchengeschichtebei ihm insgesamt in erstaunlich großem Um-fang berücksichtigt ist.

Unabhängig vom Zeitgeist zeigt sich Im-graben auch, wenn er an den Spartanern den„Militarismus“ kritisiert, der das Familienlebenstört und zu geistiger Unbeweglichkeit führt.Eher nach dem herrschenden Geschmackgerät sein Lob des römischen Bauerntums mitseiner „Wehrhaftigkeit“ im Unterschied zumIndividualismus der hellenistischen Stadt-kultur. Während die amtlichen Richtliniendem römische Patriziat „nordische“ Herkunftzusprechen, die Ständekämpfe des alten Romals „Rassenkampf“ verstehen und das Unter-richtsziel aufstellen, daß „die rassische Ver-wandtschaft gefühlt wird“, bietet Imgrabeneine von höchstem Sachverstand geprägte,ausführliche Erläuterung der römischen Ver-fassungsgeschichte, deren Lektüre zu einemdifferenzierten Geschichtsurteil anleitet undden Leser gegen rassistische Legendenbildungimmunisieren kann.30 Allerdings liest sich Im-

grabens Text streckenweise so, als sei er nichtfür Schüler einer zehnten Klasse, sondern fürein Fachpublikum geschrieben. Ohne didak-tische Reduktion wird von den Untersekun-danern verlangt, daß sie auch schwierige Zu-sammenhänge ohne kindgemäße Aufbereitunggeistig durchdringen.

Damit vertritt der Lehrer eine traditionelleAuffassung von den Zielen und Methoden desGymnasiums. Seine Schülerinnen und Schüleraus dem „humanistischen Zweig“ der Schulemit Latein, Griechisch und Französischmußten sich diesen Ansprüchen stellen.Welche Wirkung die Inhalte des eigenwilligenGeschichtsunterrichts von Rudolf Imgrabenauf den geistigen Haushalt der Jugendlichenhatten, läßt sich nicht rekonstruieren. Grund-sätzlich ist zu beachten, daß die Hitlerjugendals vom Regime bevorzugter Erziehungsfaktormit dem Bildungsangebot der Schule konkur-rierte. Von den Jungen der Klasse gingen zehnim Herbst 1940 mit dem „Reifevermerk“ imZeugnis freiwillig zur Wehrmacht, fünf wurdennach dem schriftlichen Abitur Anfang 1941eingezogen, nur zwei absolvierten mit den fünfMädchen im März 1941 die mündlichePrüfung. Fünfzig Jahre danach beim „Gol-denen Abitur“ bekundeten die Überlebendenhöchste Wertschätzung für ihren früherenLehrer.

Von dessen Eigenart und von dem durchihn gepflegten Lehrer-Schüler-Verhältnis legtein Brief Zeugnis ab, den er 1941 einem Abi-turienten, „dem Matrosen Curt Müller“, anseine Feldpostnummer unter Beifügung einerPackung „Cigaretten“ sandte. Darin heißt esunter anderem: „Hier in Durlach geht allesseinen gewohnten, d. h. seinen kriegsgewohn-ten Gang … Das Abitur ist auch schlecht undrecht vorübergegangen, zumal die Koryphäender Classe alle schon abgerückt waren. DieMädchen sind ebenfalls jetzt eingezogen beimArbeitsdienst und schruppen Böden, machenFeuer an, waschen in der Waschküche etc. Alsohat jeder sein Vergnügen, während wir nochmunter mit allen Ränken und SchwänkenLatein lehren und in Durlach ,Cultur‘ ver-breiten. Im übrigen warten wir der Dinge, dieda kommen sollen.“31

Der Verfasser dieser Zeilen identifiziert sichmit seinem Lehrerberuf sowohl in der Zuwen-

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dung zum Schüler als auch in der Vermittlungder Lehrinhalte. Zugleich zeigt er ironischenAbstand von sich selbst und seiner Tätigkeit.Er verrät Skepsis gegenüber der Vereinnah-mung der Jugend durch das politische Regimeund über den Fortgang des Krieges.

Der 1887 geborene Rudolf Imgraben hatnach seiner Schulzeit am Karlsruher Gymna-sium in Heidelberg, München, Berlin undFreiburg studiert und sein wissenschaftlichesExamen 1912 abgelegt. Seit 1917 war er Lehrerin Durlach. 1945 wurde er Direktor des Gym-nasiums. Er trat Ende März 1953 im66. Lebensjahr in den Ruhestand und starb am29. April 1955.32 Wie viele aus seiner Alters-gruppe war er vom Bildungsbürgertum derZeit vor 1933 geprägt. Durch Menschen seinerArt wurde die Alleinherrschaft der national-sozialistischen Staatsideologie auf behutsameund doch nachhaltige Weise in Frage gestellt.Zum Wiederaufbau einer Demokratie inDeutschland unter Betonung der europäischenKulturtradition, die durch den Ausgang desZweiten Weltkriegs möglich wurde, haben sienicht nur in der Nachkriegszeit persönlich bei-getragen, sondern bereits durch ihre Lehr-tätigkeit in der Zeit des Nationalsozialismusbei der Schülergeneration den Boden bereitet.Ein Geschichtsunterricht, wie er in ImgrabensBuch für seine „Sechste(Gymnasial) Klasse derMarkgrafenoberschule Durlach“ dokumentiertist, darf daher eindeutig als eine Aktion desgeistigen Widerstands angesehen werden.

Anmerkungen

1 Beide Zitate nach „Geschichte in Quellen“, Bd. V,München 1961, S. 296.

2 Horst Gies, Geschichtsunterricht und national-politische Erziehung im NS-Staat. In: PaulLeidinger (Hrsg.), Geschichtsunterricht undGeschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zurGegenwart. Stuttgart 1988.

3 Leidinger a. a. O. S. 35.4 Schreiben vom 6. 4. 1933 auf Briefbogen des histo-

rischen Seminars der Universität. GLA 235.35436.5 Geschichte in Quellen a. a. O. S. 302.6 „Kultus und Unterricht“ Heft 4/1934, S. 27 f.7 Akten im GLA unter 235.35314.8 Vgl. Paul Leidinger (Hrsg.), Geschichtsunterricht

und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zurGegenwart. Stuttgart 1988, S. 110 ff.

9 Der handschriftlich gefertigte Genehmigungserlaßdes Ministeriums datiert vom 2. 2. 1925. GLA235.31992.

10 Falk Pingel, Geschichtslehrbücher zwischenKaiserreich und Gegenwart. In: Paul Leidinger,a. a. O. S. 249.

11 Horst Gies, Geschichtsunterricht unter derDiktatur Hitlers. Köln 1992, S. 63.

12 Amtsblatt K. u. U. 1935, S. 45 u. 46.13 Vgl. Schnabels Vorwort zur dritten Auflage von 1947.14 Falk Pingel, Geschichtslehrbücher zwischen

Kaiserreich und Gegenwart. In: Leidinger, a. a. O.S. 242–260.

15 „Von Soldaten, Bauern und Arbeitern“, Ergän-zungsheft zum Lesebuch des 8. Jahrgangs. K. u. U.1935, S. 27. Dort auch Ankündigung eines„Reichslesebuchs“, das später das badische Lese-buch ersetzen soll.

16 Amtsblatt K. u. U. 1935, S. 19.17 Amtsblätter K. u. U. vom Juni und August 1939

und vom August 1940.18 Beispiele bietet Horst Gies a. a. O. S. 101.19 Herrmann Kürz wurde 1933 von den National-

sozialisten als OB eingesetzt; er starb 1941. Vgl.Hans Georg Zier, Geschichte der Stadt Pforzheim.Stuttgart 1982, S. 362.

20 Imgraben S. 7, 19, 13, 16.21 A. a. O. S. 91.22 Ganz anders später „Führer und Völker“, hg. von

Paul Schmitthenner und Friedrich Fliedner, Biele-feld und Leipzig 1943, S. 20: „Eine gewaltigeschöpferische Kraft lag in diesen Nordleuten, dieüberall, wo sie hinkamen neue Völker ins Lebenriefen.“

23 A. a. O. S. 9.24 A. a. O. S. 238. Imgraben erwähnt für die Gotik den

Terminus „Opus Francigenum“.25 Dagegen heißt es in dem Mittelstufen-Geschichts-

buch „Volk und Führer“ von Paul Vogel, Frankfurt1939 schon in einer Kapitelüberschrift des Inhalts-verzeichnisses: „Völker bilden sich aus Rassen.“

26 Imgraben S. 30, vgl. S. 9.27 Imgraben S. 150. R. Wagner, Das Judentum in der

Musik (1850). Religion und Kunst (1880). Vgl. Ri-chard Wagner, Mein Denken. Eine Auswahl derSchriften. Einleitung von Martin Gregor-Dellin. 1982.

28 Imgraben S. 18.29 Imgraben S. 151.30 Vgl. Amtsblatt wie Anm. 4, S. 28 und Imgraben

S. 60 bis 68.31 Brief vom 22. 5. 41 (Kopie). Zum „Goldenen Abitur

1941/1991“ vergleiche den Jahresbericht des Mark-grafen-Gymnasiums Durlach 1989 bis 1991, S. 28.Eine anschauliche Würdigung Imgrabens durchPeter Güß findet sich in der Festschrift zur 400-Jahr-Feier der Schule 1986, S. 90–97.

32 GLA 235, Zg. 1967/41 Nr. 2062, PersonalakteImgraben.

Anschrift des Autors:Dr. Klaus P. Oesterle

Paul-Klee-Straße 476227 Karlsruhe

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Der Modebegriff „Wellness“ meint eigent-lich eine altbekannte Sache. Es geht um denaufmerksamen Umgang mit sich selbst, derGesundheit, Wohlbefinden und ein langesLeben befördern soll. Kurz, Wellness ersetztden alten Begriff der Hygiene, der für das 1955eröffnete, damals hochmoderne und in derjungen Bundesrepublik allseits bewunderteTullabad noch so grundlegend gewesen war.Aber damals war mit Hygiene nicht nur dieSauberkeit der Bürger, sondern auch ihre all-gemeine körperliche Gesundheit gemeint.

Doch schon nach drei Jahrzehnten war derNimbus des Tullabades verspielt, zum Jubi-läum von 1985 verloren sich trotz Freibier nurwenige Unentwegte in der Halle, auch befan-den sich die Zuschauerzahlen schon seit Jah-ren im Sinkflug. Was war geschehen? Einer-seits war das junge und hochmoderne „Fächer-bad“ seit 1982 zum harten Konkurrentengeworden, andererseits hatten sich auch derAlltag und damit die Einstellung der Menschendeutlich gewandelt. Denn in der frühen Nach-kriegszeit mussten die Menschen noch wesent-lich häufiger körperlich schwer arbeiten. Inder Industriegesellschaft baute man damals aufLeistungsstärke und die Kraft der Einzelnen.In unserer heutigen, nachindustriellen Dienst-leistungsgesellschaft ist der hart arbeitendeKörper unwichtiger geworden. Die Arbeit er-fordert seltener physischen Einsatz, zuneh-mend aber psychische Disziplin, um die gefor-derte Bewegungsarmut auszuhalten zukönnen. Ärzte, Krankenkassen, Medien undFitnessindustrie soufflieren uns deshalb heuteunablässig: Bewegungsarmut ist schädlich, sieprovoziert Unausgeglichenheit und Stress, siefügt uns psychischen Schaden zu. Hier ist eineregelrechte Propagandamaschinerie entstan-den, die uns zum körperlichen „Ausgleich“

nötigen will. Eine mächtige, stetig wachsendeKosmetik- und Sportindustrie steht im Hinter-grund, deren Produkte von Fitness-, Atem- undEntspannungstrainings bis zu Ayurveda-Kurenreichen. Für die Arbeit muss der Leib alsonicht mehr allzu leistungsfähig sein – fit undschön wird er erst durch seine physischeModellierung in der Freizeit. Sport wird nichtgeübt, um fit für die Arbeit zu sein, sondernum im Büro besser still halten zu können unddabei eine gute Figur zu machen.

Der gesellschaftliche Umbruch kam in derBundesrepublik Ende der 1970er Jahre, als derKörperarbeiter endgültig vom Kopfarbeiterabgelöst wurde. Das ist ein Paradox: der leis-tungsfähige Körper wird in der Arbeitsweltimmer weniger gebraucht, wird aber für dieFreizeitindustrie immer begehrenswerterer. Esüberrascht daher nicht, dass das einst sobewunderte, allseits gerühmte Tullabad Mitteder 1980er Jahre erstmals existenziell in Fragegestellt wurde. Damals verlangte man erstmalsnach einem neuen „Freizeit- und Erlebnisbad“– 1986 im Bäderkonzept der Stadt so bezeich-net. Mit dem schon 1982 eröffneten „Fächer-bad“, eine topmoderne, heute ebenfalls schonin die Jahre gekommene Sportstätte, war demTullabad harte Konkurrenz erwachsen. Trotz-dem begann der Niedergang des Bades uner-wartet rasch, zumal die lokale Presse noch1969 von einem heillos überlaufenen Tullabadberichtete.

Als überragendes und lange vorbildlichesSportbad ist das Tullabad heute ein Kultur-denkmal von besonderer Bedeutung, es wurdebereits 1990 in das Denkmalbuch des LandesBaden-Württemberg eingetragen. Doch wasmacht diesen auf den ersten Blick nüchternerscheinenden Beton-Glas-Bau so erhaltens-wert? Ist er nicht vielmehr ein Kind seiner Zeit,

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! Clemens Kieser !

Hygiene, Sport oder einfach nur „Spaß“?Glanz und Elend des einst stolzen Karlsruher Tullabades

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das seine besten Jahre lange gesehen hat? –Tatsache ist, dass heute nur noch aller-notwendigste Dinge repariert werden, da schonseit zwei Jahrzehnten ein „Spaßbad“ an an-derer Stelle geplant ist. Mit dem nun vor-liegenden Beschluss des Gemeinderates stehtso gut wie fest, dass dieses neue „Wellness- undErlebnisbad“ nahe der Europahalle zu bauenund das Tullabad dann spätestens 2007 zuschließen sei. Abbruch oder neue Nutzung, dieZukunft des alten Bades erscheint düster.

Viele Karlsruher erinnern sich an dieglanzvolle Eröffnung des damals hochmo-dernen Neubaus im Jahre 1955. Im nochdeutlich von Kriegszerstörungen gezeichnetenKarlsruhe war dies ein weiteres Signal zurNormalisierung der Lebensumstände. Dennnach der Zerstörung des Friedrichsbades 1944war nur noch das Vierordt-Bad nutzbargewesen, das aber für sportliches Schwimm-training, Wasserball, Turmspringen oder dienoch junge Disziplin des Kunstschwimmensschlecht geeignet war. Das Becken war zuseicht und mit 28 m zu lang, bei Wettbewerbenmusste stets mühselig eine Holzwand einge-baut werden. Bald platzte die alte Schwimm-halle aus allen Nähten, welche 1900 als

Erweiterung der schon 1873 durch Josef Durmerrichteten Badeanstalt entstanden war. ImJahre 1954 drängelten sich hier über 390 000Besucher. Zur Entlastung musste also drin-gend ein neues Bad her, das schon bald inunmittelbarer Nachbarschaft, auf dem Geländedes Stadtgartens empor wuchs, unter der auf-merksamen Leitung von Oberbaurat HelmutStephan vom Städtischen Hochbauamt.

Der Baukomplex knüpfte formal an diekurz vorher entstandene Schwarzwaldhallevon Erich Schelling an und führte deren kühneBauform in eigenständiger Weise weiter. DasTullabad war zwar nicht das jüngste, aber dasmodernste Hallenbad der Nachkriegszeit undkonnte mit einigen Superlativen aufwarten.Das Sportbecken war nun an jeder Stellemindestens 2,10 m tief und damit für alleSchwimmsportarten geeignet. Einer abstrak-ten Baumskulptur gleich, ragte der Sprung-turm empor, damals der erste in der Bundes-republik mit hydraulisch regelbarer Höhenein-stellung. Der Zehnmeterturm ist allerdingsnur 9 Meter hoch, eine schon in den 1960erJahren nicht mehr zulässige Abweichung. ZweiUnterwasserfenster ermöglichen den Trainernbis heute die Bewegungsanalyse der Schwim-

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Tullabad, Große Schwimmhalle mit Sprungturm und Tribüne, Postkarte um 1960

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mer. Nach wie vor besitzen wenige Schwimm-stätten eine Tribüne für 550 Zuschauer mitKabinen für Presse und Funk, sogar anzukünftige Fernsehübertragungen war damalsbereits gedacht worden. Hochmodern ausge-stattet, konnten hier 1958 und 1965 deutscheMeisterschaften im Schwimmen abgehaltenwerden, nach wie vor werden hier Kurz-bahnmeisterschaften ausgetragen. Schon 1956konnte mit einem Länderkampf ein deutsch-französischer Neubeginn im Schwimmsportstattfinden, dessen Austragung Oberbürger-meister Günter Klotz als „hohe Ehre“ emp-fand. Die für Ausscheidungen im Kunst-schwimmen vorgeschriebene Wassertiefe wirdim weiten Umkreis nach wie vor nur durch dasWettkampfbecken des Tullabades erfüllt.

Mit einer 610 m2 großen Glasfläche, sechsWettkampfbahnen und einem beheizten Nicht-schwimmer- und Lehrschwimmbecken, dasakustisch von der großen Schwimmhalle abge-trennt war, verfügte man viele Jahre über einesder modernsten und komfortabelsten Sport-bäder Europas. Noch heute beeindrucken dieingenieurbautechnischen Leistungen: Die gro-ße Halle wird durch neun vorgespannte, 29 mlange Binder überbrückt, die auf der Tribü-nenseite eingespannt sind und zur Fensterseitehin ansteigen, wo sie auf Pendelstützen ausSichtbeton aufliegen. An ihrer Unterseite hängteine dünne Betondecke, die einen bis zu 2,30 mhohen Dachraum abtrennt, wo sich die Ent-lüftung sowie Kalt- und Warmwasser-Hoch-behälter befinden. Das große Schwimmbeckensteht warmluftumspült in einer mächtigenGrundwasserwanne aus Stahlbeton, eine nichtmehr neue aber sehr moderne Konstruktion.

Nicht ohne Stolz notierte der verantwort-liche Architekt Helmut Stephan im Eröff-nungsjahr 1955: „Karlsruhe hat nach Fertig-stellung des Tullabades eine Anlage, die tech-nisch, lage- und ausstattungsmäßig zu denbesten des Bundesgebietes zählt.“ Und wirk-lich, mit dem Tullabad formte man einenarchitekturkünstlerischen Prototyp, der zu denPionierbauten dieser Bauaufgabe gehört. Dasklar gegliederte und darin elegant geformteGebäude vermittelt noch heute den optimisti-schen Elan der Wiederaufbaujahre und ver-körpert dabei die geglückte Wiederanknüpfungan das internationale Architekturgeschehen

nach dem verhängnisvollen Sonderweg desnationalsozialistisch geprägten Bauwesens.Obwohl die Betonkonstruktion deutlich sicht-bar ist, überrascht in der Schwimmhalle derEindruck von Leichtigkeit und Transparenz.Auch die weit geschwungene Hallendeckebedeutet ein Aufatmen, ein Lebewohl vonnationaler Protzästhetik. Auch konnte derGegensatz zum benachbarten Schwimm-tempel des Historismus, dem dunklen Vier-ordtbad, kaum deutlicher ausfallen. Hier warein lichtdurchflutetes Glashaus entstanden,das man über eine helle Eingangshalle miteiner sich elegant leicht emporschwingendenTreppe betreten konnte.

Auch die innere Organisation des Badeswar neuartig. Hinter den großen Tribünen derSchwimmhalle befanden sich die Umkleiden,die für Männer und Frauen geschossweiseabgetrennt waren. Die Duschen unterschiedenwiederum sorgfältig zwischen Erwachsenenund Jugendlichen. In der Schwimmhalleherrscht eine ruhige Atmosphäre, denn Glas-wände schirmen den Kinderlärm vom Nicht-schwimmerbecken ab. Von behaglichen Wär-mebänken aus kann man sich vom Schwim-men erholen, im Sommer ist sogar einSonnenbad im kleinen Freibereich möglich.Die hohen Glasflächen heben den Unterschiedzwischen Innen und Außen optisch auf undgewähren einen ungehinderten Blick auf dasGrün des Stadtgartens. Vorher waren dieSchwimmhallen deutlich introvertierter ange-

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Tullabad, Grundriss Erdgeschoss. Eingang von derEttlinger Straße unten rechts.

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legt. Sie waren zwar natürlich belichtet, dasLicht drang jedoch meist von oben herein.Schon Wasmuths Baulexikon hatte 1931hinsichtlich der natürlichen Beleuchtunggefordert: „Es kann in einer Schwimmhalle niehell genug sein“. Ein Grundsatz, der beimTullabad damals eine konsequente Verwirk-lichung fand. Für Begeisterung sorgten bei derEröffnung aber auch die achtzehn Unter-wasserstrahler, die bei eintretender Dunkelheitnoch immer für eine festliche Atmosphäresorgen. Die hervorragende Gestaltung desTullabades blieb freilich nicht unbemerkt.Schon 1956 wurde das Projekt auf der BerlinerAusstellung INTERBAU als beispielhaftpräsentiert.

Die Eingangshalle wird durch eine zeit-typisch gestaltete Putzkeramik nach Ent-würfen von Bräuninger und Trust geziert.Bräuninger erhielt später eine Professur an derFachhochschule Karlsruhe, den Brand über-nahm die heute nicht mehr bestehendeRüppurrer Fayence. Mit der Hilfe der Denk-malpflege konnte das Kunstwerk 1990 gefestigtund gerettet werden, es hatte sich bereits vomUntergrund gelöst. Der Wandschmuck beimNichtschwimmerbecken und an der Außen-wand der früheren Milchbar beim Eingangstammt aus der Staatlichen Majolikamanufak-tur.

Die letzten größeren Sanierungsmaß-nahmen am Tullabad fanden 1988 statt undliegen damit lang zurück. Leider wurdengebrochene Originalkacheln in der Schwimm-halle immer wieder durch farblich nichtpassende Ersatzkacheln ersetzt, wodurch eintrauriger – hoffentlich nicht gewünschter –dennoch überaus provisorischer Eindruck ent-steht. Katastrophal erscheint die Eintrübungder großen Glasscheiben zum Stadtgartendurch die weit fortgeschrittene Glaskorrosion.Teilweise sind die Fenster völlig undurch-sichtig geworden, auch von außen ergibt sichein ungepflegter, baufälliger Eindruck, der denursprünglichen Anspruch des Gebäudes ge-radezu verhöhnt. Innen ist die einst berühmte,weltoffene Glashalle so verkommen, dass derRaumeindruck heute an stets von innen

beschlagene Gewächshäuser gemahnt. DasWeiterbestehen des einst heiteren, angenehmunaufgeregten und zweckmäßigen Tullabadesneben einem zukünftigen vergnügungs-süchtigen Planschbad ist mehr als ungewiss.Die bauliche Vernachlässigung des einststolzen, heute nicht mehr in Ehren gehaltenenalten Bades verheißt nichts Gutes. Dennoch –bis heute ist das Tullabad eine ideale und orts-nahe Trainings-, Wettkampf- und Erholungs-stätte. Vielleicht kann das alte Bad durchMenschen gerettet werden, die seine erhol-same Nüchternheit als Alternative zu denlärmenden Planschbädern wieder schätzen.Auch Spaßbäder haben ihre Zeit.

Literaturauswahl

Dietrich Fabian: Moderne Schwimmstätten der Welt.Bremen 1963 (5. Auflage), erstmals 1957.

Ilse Hess: Die Neuorientierung im Bäderbau 1970 bis1985 unter besonderer Berücksichtigung der his-torischen Entwicklung. Hamburg 1989.

Sport- und SchwimmClub Karlsruhe e. V. (Hrsg.):100 Jahre Schwimmen in Karlsruhe, 1899–1999.Karlsruhe 1999 (Privatdruck).

Frank Werner: Der Karlsruher Festplatz und seineRandbebauung unter besonderer Berücksichtigung desTullabades. Erarbeitet im Auftrag der Stadt Karlsruhe1988 (Unveröffentlichtes Typoskript).

Helmut Stephan: Tullabad – Karlsruhes neueSchwimmhalle. Zur Eröffnung des modernsten deut-schen Hallenbades am heutigen Tag. In: BadischeNeueste Nachrichten, 16. Juli 1955 (Nr. 163).

Stadtverwaltung Karlsruhe (Hrsg.): Das Tullabad derStadt Karlsruhe. Herausgegeben zur Eröffnung im Juli1955 von der Stadtverwaltung Karlsruhe. Karlsruhe1955.

Phillip Sarasin: Reizbare Maschinen – Eine Geschichtedes Körpers 1765–1914. Frankfurt a. M. 2001.

Anschrift des Autors:Dr. Clemens Kieser

Regierungspräsidium KarlsruheRef. 25, Denkmalpflege

76279 Karlsruhe

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„Wilde Maus“ und„Calypso“, so hießeneinst die Fahrgeschäf-te, die das Familien-unternehmen Mackaus Waldkirch imBreisgau baute. DieFamilie Mack stehtmaßgeblich hinterdem Erfolg und denVeränderungen imEuropa-Park Rust.Heute hat man esdort mit Attraktionennamens „Silver Star“und „Atlantica SuperSplash“ zu tun. Die

Zeiten haben sich geändert. In den ver-gangenen 30 Jahren hat sich der Europa-Parkvon einem einfachen Freizeitpark hin zu einemHigh-Tech-Vergnügen entwickelt.

WIE ALLES BEGANN

Die Firma Heinrich Mack Waldkirch (heuteMack Rides GmbH & Co KG) war schon im18. Jahrhundert bekannt für ihre Fertigkeitenim Wagenbau. Zunächst im Schausteller- undKarussellbaugeschäft tätig (seit 1870), stellt sieab 1920 Fahrgeschäfte für Jahrmärkte her. EinJahr später baut Mack die erste Achterbahn ausHolz.1 Seit 1930 spezialisiert sich der Fa-milienbetrieb auf Schaustellerwagen, Karus-sells, Geister- und Achterbahnen.

Franz Mack, eines der sechs Kinder in derFamilie Heinrich Mack, übernimmt 1958 denväterlichen Betrieb. Er wagt den Sprung in dasUS-Geschäft, unter ihm wird die Firma Mackzu einem Weltunternehmen. Seine Einstellungund Haltung („Ich hatte dauernd neue Ideenund wollte Neuheiten auf den Markt bringen“2)

verhelfen ihm zum Aufstieg: die Produkt-palette umfasst mittlerweile sowohl trans-portable Fahrgeschäfte, als auch stationäreParkeinrichtungen und Wagenbau, wie z. B.Wohnwagen, Verkaufswagen und Mannschafts-wagen.

Ein Besuch 1971 in Disneyland hinterlässtbleibenden Eindruck bei Mack und seinemSohn Roland. Walt Disney hat 1955 seinenUnterhaltungspark in Kalifornien ins Lebengerufen. Zwar gibt es in Europa auch schon im18. und 19. Jahrhundert3 Vergnügungsparkswie z. B. den 1766 gegründeten Wiener Prateroder das Tivoli in Kopenhagen (eröffnet 1843).Der Vorreiter des modernen Freizeitparkskommt allerdings aus den USA, wo mit dem1903 entstehenden „Luna Park“ (ein Synonymfür Vergnügungspark) „in moderner Weise dasganzheitliche Erleben von Natur, Kultur undTechnik“4 verbunden werden. In Anlehnungdaran entwickelt Disney sein neues Konzept,bei dem er Wert legt auf technische Perfektionund Qualität. Er schafft einen Park, der nichtbloß Fahrgeschäfte aneinander reiht, sondernpräsentiert gezielt ausgewählte Themen-bereiche, in denen die Fahrgeschäfte harmo-

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! Anne-Katrin Becker !

30 Jahre Europa-Park RustStationen einer Erfolgsgeschichte im Südwesten Deutschlands

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Gerüstet für die Erlebnis-reise: der Europa-Park-Pass für die 12 dar-gestellten Länder Foto: privat

Die Anfänge in Waldkirch Foto: Europa-Park

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nisch integriert sind. Von diesem ame-rikanischen Modell beeindruckt und inspiriertsteigen Vater und Sohn Mack in das Freizeit-parkgeschäft ein und eröffnen am 12. Juli 1975den Europa-Park. Mit ihrem Entschluss liegensie im Trend der Zeit. Die ersten modernenFreizeitparks in der Bundesrepublik entstehenMitte der 1960er Jahre und ab 1970 ist einregelrechter Boom zu beobachten. So gibt esbeispielsweise seit 1967 das Phantasialand inBrühl bei Köln oder den Heide-Park in derLüneburger Heide (1978).

Bei der Frage nach dem Standort fällt dieWahl der Schwarzwälder auf das ehemaligeFischer- und Bauerndorf Rust im DreiländereckDeutschland–Frankreich–Schweiz. Eine 16Hektar große Fläche mit historischem Baum-bestand, Bachläufen und der aus dem Jahr 1442stammenden Wasserburg „Schloss Balthasar“bildet den Anfang. Zunächst wird der Park als„Schaufenster“ für die von der Firma Mackgefertigten Fahrgeschäfte genutzt. Dazu gibtes, anfangs vergleichsweise beschaulich, in demFamilien- und Freizeitpark u. a. Minigolf-flächen und das Angebot zu einer Mississippi-Dampfer-Fahrt. Das erste schnelle Fahrgeschäftist 1978 die Tiroler Wildwasserbahn, die ineinem Prospekt aus der Zeit als „das neue Aben-teuer“ dargestellt wird. Mit „neuen Über-raschungen“ und „Spaß ohne Grenzen“ wirbtder Europa-Park im Laufe der Jahre für sich –und verändert sich zusehends: Nach und nachwerden Parkanlage, Shows und Varieté mit demNervenkitzel der immer rasanteren Fahr-

geschäfte zu dem kombiniert, was er heute ist:Deutschlands größter Freizeitpark. Die Ge-samtfläche umfasst mittlerweile 70 Hektar. Undkamen im ersten Jahr schon beachtliche250 000 Besucher so wurde bereits drei Jahrenach der Eröffnung die erste Besuchermillionerreicht. 2004 besuchten 3,7 Millionen Gästeden Europa-Park Rust. Zahlreiche Preise undAuszeichnungen unterstreichen den Erfolg: Seies der Umweltpreis 2001 des Landes Baden-Württemberg, der die umweltorientierte Unter-nehmensführung würdigt, die AuszeichnungRoland Macks zum „Südbadener des Jahres“2003 in der Kategorie Wirtschaft oder die Best-note bei einer Untersuchung des B.A.T.-Frei-zeitforschungsinstituts 2004 zur Qualität derFreizeitparks in Deutschland.5

EUROPA AUF EINEN BLICK – DIE THEMENBEREICHE

Der Name des Parks geht zurück auf denEuropa-See, der an ein zunächst anvisiertesGelände grenzte. Die Kennzeichen des Europa-Parks sind heute die europäischen Themen-bereiche. Ab 1979 fand diese Neukonzeption inRust hin zu einem Themenpark statt. Ent-scheidender Gestalter war der Filmarchitektund Bühnenbildner Ulrich Damrau, nach demsogar eigens ein Platz im Europa-Park benanntworden ist, die „Plaza de Ulrico Damrau“. Erbrachte wertvolle Erfahrungen mit: Sein erstesgroßes eigenes Projekt war 1971–74 der Bauder amerikanischen Westernstadt „Hot GunTown“ in Grafrath bei München, die als Kulissefür Wild-West-Filme diente. Das war eine will-kommene Voraussetzung, um in Rust mitzu-wirken, ging es doch auch hier um eine gestal-terische Herausforderung: der Bau einer Archi-tekturlandschaft Europa. Damraus Arbeitenladen ein zu einem „Spiel von Traum undWirklichkeit“6. In einem Interview formulierter worum es für ihn dabei geht: „Wir wollenbeileibe kein ortsfester Rummelplatz sein, wirwollen nicht belehren (…). Wir wollen unsereBesucher auch nicht in eine Traumwelt ent-führen (…). Wir möchten unseren BesuchernEntspannung und Erholung bieten.“7 Ab 1981entstehen die architektonisch zusammenhän-genden Bereiche in Rust: Der italienischeStadtteil mit seiner Piazza macht den Anfang

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Franz Mack mit amerikanischen Geschäftspartnern 1960Foto: Europa-Park

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(1982), gefolgt von Holland (1984) und demenglischen Teil mit der Victoria Square (1988).Bistros und Crêperien kennzeichnen das seit1990 existierende Quartier français; Skandi-navien lädt mit seinen farbenfrohen Holz-häusern zu einem Besuch ein (1992) und dasSchweizer Dorf gibt sich urig-gemütlich.

„Ach ja, hier ist Spanien, mit diesenmaurischen Fliesen“, so der Wiedererken-nungseffekt bei einer Besucherin im Europa-Park (das spanische Dorf existiert seit 1993). Esist erstaunlich: Die Länder werden durch„typische“ Merkmale repräsentiert, dazu gibtes landesübliche Gastronomie – und dieseInszenierung funktioniert. Der Besucherorientiert sich daran, taucht ein in dieAtmosphäre eines Landes und durchläuft soein Gebiet nach dem anderen. Da muss es nichtdie kyrillische Schrift im russischen Dorf(1998) sein, die verrät wo man sich geradebefindet; weiß getünchten Wände, steinigeGässchen und dazu ein wolkenloser badischerHimmel – natürlich ist man gerade inGriechenland (2000) …

Mittlerweile laden 12 Länder zu einerErlebnisreise ein, bis 2007 soll der BereichPortugal fertig gestellt sein.

Eine „Deutsche Allee“ gibt es seit 1997. Hierist z. B. ein Teil der Berliner Mauer zu besich-tigen und damit ein weiteres Merkmal des Kon-zeptes im Europa-Park angeschnitten: Originalezu integrieren, das hat man sich in Rust auf dieFahnen geschrieben. Originale Trachten undhistorische Gebäude, wie z. B. die Chalets von1785 aus der Schweiz im Wartebereich desMatterhorn-Blitzes sind fester Bestandteil undmachen den Besuch zu einem abwechslungs-reichen Erlebnis. Die Palette der Angebote undIdeen lässt sich noch weiter fortführen: Enpassant lernt man auf einem Lehrpfad etwasüber die „10+“, die neuen Mitgliedsstaaten derEU. Verteilt auf den Grünflächen sind Arbeitenjunger Künstler ausgestellt. Und wie in einembotanischen Garten, verraten kleine Schilderetwas über die Pflanzen und ihren Lebensraumam See. Auch bei den Attraktionen im Park istfür jeden Geschmack etwas dabei: sei es dienostalgische Märchenlandschaft mit den liebe-vollen Details, das 4D-Kino Magic Cinema oderdie spektakuläre Fahrt in der Euro-Mir.

Der Europa-Park Rust hat in der Fülle derUnterhaltungs- und Vergnügungsangeboteseinen Platz gefunden – die Besucherzahlensprechen für sich.

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Themenbereich Skandinavia: die einen arbeiten, dieandern vergnügen sich Foto: privat Einblick in den Themenbereich Schweiz Foto: privat

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Doch wo Erfolg herrscht, da gibt es auchkritische Stimmen. Sie stören sich an Konsumund Kommerz. Selbstverständlich ist es eineheile Welt, die präsentiert wird. Aber ist dasdenn verwerflich, wenn man unterhalten(werden) will? Mit der selbstgesetzten Maximedes Europa-Parks „Historie zum Anfassen,anschaulich dargestellt, bilden und infor-mieren“8 schaffen sie vermeintlich denschwierigen Spagat zwischen Erkenntnis-gewinn und Unterhaltung.

Und unabhängig von Geschmacksfragenund Kulturkritik darf man nicht vergessen: Inder strukturschwachen Region im SüdwestenDeutschlands bietet der Europa-Park zahlreicheArbeitsplätze. Im Jahr 2001 fielen laut BadischerZeitung mehr als 80 Prozent der Investitionendes Europa-Parks auf hiesige Handwerks-betriebe. Durch den Europa-Park ist der NameRust ein Begriff geworden. Die Besucher vonfern und nah beleben zudem den Tourismus inder Region. Allein 2004 hat der Park, seineeigenen Hotels nicht mitgerechnet, zu einerhalbe Million Übernachtungen verholfen.9

JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Bei einem Rückblick auf die vergangenen30 Jahre des Europa-Parks wird deutlich: es istein Geschäft. Ein Geschäft, das ständig neubelebt und erfunden werden will. Das zeigenauch die jüngsten Beispiele:

Mit den 2001 eingeführten „Winterwochen“öffnet der Freizeitpark beispielsweise nun ganz-jährig seine Pforten. Vorträge finden heute imEuropa-Park genauso statt wie Science Days.Und man hat die Qualitäten als Medienstandortentdeckt. Präsenz zu zeigen (z. B. wird dieARD-Show „Immer wieder sonntags“ regel-mäßig aus Rust übertragen), gehört heutedazu, wenn man (wirtschaftlich) überleben will.

Der neueste Trend und zugleich der größteEinschnitt in der bisherigen Geschichte desEuropa-Parks: das Angebot von Erlebnishotels.Was einst als Tagesausflugsziel in Rust begann,soll jetzt als Kurzurlaub in einem der Hotelsim Europa-Park münden. 1995 hat das Erleb-nishotel „El Andaluz“ eröffnet, kurz gefolgtvon dem Burghotel „Castillo Alcazar“. Mitt-lerweile kann man sich auch „wie die altenRömer“ betten: 2003 ging das Hotel „Colosseo“

an den Start. Preise und Auszeichnungenbelegen auch hier, einen Schritt in die richtigeRichtung getan zu haben.10 In den wirt-schaftlich schlechten Zeiten ist für viele einKurzurlaub das einzig Machbare, das Angebottrifft damit den Nerv der Zeit.

Bei all diesen Entwicklungen und Ver-änderungen in den vergangenen 30 Jahren imEuropa-Park wird am Ende klar, was RolandMack, der zusammen mit seinem Bruder Jürgenheute geschäftsführender Gesellschafter in Rustist, einmal in einem Interview mit der „Welt amSonntag“ über seine Tätigkeit zum Ausdruckgebracht hat: „Spaß ist Schwerstarbeit“.

Anmerkungen

1 Ch. Wenz/K. Hauss/M. Röck (Redaktion): Park-Guide. Eine Reise durch den Europa-Park. RustSommer 2005, S. 4.

2 Herbert Klein: Von der Illusion und ihrer Wirk-lichkeit. 25 Jahre Europa-Park. Rust 2000, S. 69.

3 Uwe Fichtna/Rudolf Michna: Freizeitparks. All-gemeine Züge eines modernen Freizeitangebots,vertieft am Beispiel des Europa-Park inRust/Baden. Freiburg i. Br. 1987. Die Autorenweisen hin auf erste Beispiele im Hochmittelalter,s. S. 183.

4 Brigitte Heck: Freizeitpark und Museum – DerEuropapark Rust als Fallbeispiel. In: Landesstellefür Volkskunde Freiburg/Landesstelle für Volks-kunde Stuttgart (Hrsg.): Beiträge zur Volkskundein Baden-Württemberg, 1986, S. 39–57, hier S. 42.

5 Medien-Information Europa-Park Rust.6 Willi Thoma: Faszination Karussell- und Wagen-

bau. 200 Jahre Heinrich Mack Waldkirch. Wald-kirch 1988, S. 345.

7 Ebd., S. 269.8 Aussage Roland Mack im Jubiläumsfilm anlässlich

des 30. Geburtstags des Europa-Parks, zu sehen inder Mack-Ausstellung auf dem Gelände.

9 Jürgen Ruf: Der Europa-Park entstand auf ei-nem Bierdeckel. In: htpp://www.stimme.de/reisen/heimweh-reiseberichte/deutschland-reise/art363,506450.html?fCMS=d64eb1674d09cc7406be6e5d5188f55a

10 U. a. Auszeichnung Roland Mack im Jahr 2000zum „Hotelier des Jahres“; 2004: das „Colosseo“wird zur „Hotelimmobilie des Jahres“ gewählt.Quelle: Fakten zum Europa-Park.

Anne-Katrin Becker M.A.Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Referat VolkskundeSchloss

76131 Karlsruhe

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Albert Finck wurde am 9. Juli 1895 inBretten geboren. Sein Vater hatte eine Aus-bildung an der Landesbauschule abgeschlos-sen, konnte aber seinen Beruf als Baumeisterwegen der wirtschaftlichen Verhältnisse nichtaufnehmen.

Seine schulische Ausbildung beendeteAlbert Finck in Bretten und seine seminaristi-sche Ausbildung in Villingen und Freiburgschloss er mit einem staatlichen Zeichen-lehrerexamen ab. In dieser Zeit erlernte er dieenglische und französische Sprache. Er pflegtedas Klavierspiel und war ein begeisterter Fuß-ballspieler. Seine Eltern zweifelten an seinenkünstlerischen Fähigkeiten und hätten esgerne gesehen, wenn er Theologie studierthätte. Er fühlte sich hierzu aber nicht geeig-net. „Ich habe die Kunst in mein Herz gefasst“,sagte er. Nach einem vierzehntägigen Kriegs-einsatz (1914) in Frankreich kehrte er von dortals „Schwerkriegsverletzter“ in seine Heimat-stadt Bretten zurück. Sein Lazarettarzt warProf. Dr. Karl Jaspers (1883–1969), mit dem ernoch viele Jahre in Verbindung stand und demer zwei Bilder zueignete. Nach den schreck-lichen Kriegserlebnissen war er gerne allein

und bewegte sich viel in der freien Natur.Damals schärfte er sein Auge für das, was dieNatur einem Künstler zu bieten hat.

Es folgte nun eine künstlerische Weiter-bildung an der Kunstakademie in Karlsruhe undder Akademischen Hochschule für BildendeKunst in Berlin. Hier beteiligte er sich unteranderem an Seminaren von Professor Sörensen(Architektur) und Professor Jünkel (KirchlicheKunst). Während seiner Berufsausübung alsKunsterzieher an Gymnasien in Pforzheim,Bruchsal, Mannheim und Karlsruhe wurde erwegen „überdurchschnittlicher künstlerischerLeistungen“ Meisterschüler bei Professor Bühleran der Kunstakademie in Karlsruhe. Diesemfielen seine herausragenden Fähigkeiten in derLandschaftsmalerei auf, die er dann auchbewusst förderte. Vorlesungen und Seminare ander Technischen Hochschule – heute Universität– Karlsruhe bei Professor Wulzinger (Institut fürKunst- und Baugeschichte) erweiterten seinekünstlerischen Erkenntnisse. Bei Professor Hub-buch, der an der Kunstakademie in Karlsruhelehrte, verfeinerte er sein Können im figürlichenZeichnen. In dieser Zeit wurde er Mitglied imVerein für kirchliche Kunst.

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! Klaus Finck !

„Kunst muss dienen“Das Werk des Malers Albert Finck (1895–1958)

Badische Heimat 4/2005

„Schwarzwaldlandschaft“ (Titisee); Öl Kapelle im Schwarzwald; Aquarell

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Neben seiner künstlerischen Tätigkeit warer immer auch sozial engagiert und dies ins-besondere in der kirchlichen Jugendarbeit.1932/1933 war er Stadtverordneter in Karls-ruhe, verlor aber nach der Machtübernahmeder Nationalsozialisten dieses Amt. Anfangs desDritten Reiches stand er, nach manchenunerfreulichen Erlebnissen in der WeimarerRepublik, dem neuen System nicht aktivablehnend gegenüber. Nach der „Sportpalast-kundgebung“ der Deutschen Christen imNovember 1933 wurde er Mitglied der Beken-nenden Kirche. 1943 versuchte er eineBewegung zur Beendigung des Krieges zu

starten. Er meinte, es müsse möglich sein, alleam Krieg beteiligten Christen dazu zu bewe-gen, dieses grausame Geschehen aus ihrerchristlichen Verantwortung heraus zu been-den. Aus diesem Grunde führte er Gesprächemit dem Erzbischof von Freiburg Dr. Gruber,dem Landsbischof von Württemberg Dr.Wurm, dem Ministerpräsidenten von BadenKöhler u. a. Bald musste er die Aussichtslosig-keit seiner Bemühungen als Einzelperson er-kennen. Nach massiven Bedrohungen undeiner Anzeige bei der Geheimen Staatspolizeidurch einen eigenen Schüler war diese Aktionbeendet.

Von 1928 bis1958 war er Profes-sor am Staatstech-nikum in Karlsruhe(heute Hochschulefür Technik). 1928unternahm AlbertFinck mit Geneh-migung und Unter-stützung des Mini-steriums für Kultusund Unterricht eineStudienreise nachItalien. Hierbei be-suchte er vor allemFlorenz und Rom.

1935 schrieb Al-bert Finck: „… Mei-ne künstlerische Tä-tigkeit befasst sichhauptsächlich mitreligiöser Kunst,unter der Verwen-dung des christli-chen Gedankengu-tes. Kunst ist nichtSelbstzweck, son-dern sie will dienen.K ü n s t l e r i s c h e sSchaffen ist einunermüdliches Ar-beiten an sich undseiner Kunst, das zukeinem Zeitpunktabgeschlossen ist.In letzter Zeit habeich mich besonders

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„Auferstehung“Glasfenster in der Kirche von Graben-Neudorf

„Gedächtnisfenster“Glasfenster

in der Stadtkirche Durlach

„Diakoniefenster“Glasfenster

in der Stadtkirche Durlach

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der Glasmalerei gewidmet, ich wurde auch da-zu gedrängt, weil sich kein Künstler in derjetzigen Zeit dieser stark gebundenen Kunstwidmen wollte.“ So gesehen ist es verständlich,dass er selbst wenig „abstrakt“ künstlerischgearbeitet hat. Zu dieser „abstrakten“ Malereisagte er: „… Wenn der Mensch schwer arbeitet,die Unruhe des Alltages ihn umgibt und er indiesen Bildern einen Ruhepunkt sucht, wird erdiesen nicht finden …“. Die Jahre nach 1935und die Kriegszeit haben ihn sehr bedrückt.Das malen in der freien Natur gab ihm Kraftund innere Stärke: „… Es reizt mich immerdie universelle und zeitlose Natur in ihrer ver-klärten und inneren Schönheit und Größe zuzeigen. Wie froh wird das Herz, wenn es Sonnesieht, Himmel, in die Ferne träumt, über Bergeund Täler hinwegeilt, wie von unsichtbarenFlügeln über unsere schöne Heimat ge-tragen …“.

Das künstlerische Schaffen von AlbertFinck war breit gefächert: Landschaftsmalerei,Stilleben und Portraits in Öl und Aquarelltech-nik. Eine Sammelmappe mit Farbdrucken vonAquarellen herausragender Objekte badischerStädte, wie Karlsruhe, Straßburg, Freiburg,Heidelberg, Bretten u. a. entstand. Teilweisewaren die Auftraggeber die Städte selbst. Lin-

oldrucke (Serie mit Motiven des MaulbronnerKlosters), Stiche und Zeichnungen rundetendas Werk ab. Bildhafte Wandgestaltungen mitMajolikafließen hat er u. a. in Baden-Baden,Bretten und Karlsruhe gefertigt. Fresken schufer in Schwetzingen, Helmstadt-Bargen, Angel-bachtal-Eichtersheim, Sinsheim-Eschelbach,Bretten und Flinsbach. Nur das Letztere istnoch vorhanden. Bilder, die nicht in das politi-sche Bild (1933–1945) passten, wie „Muttermit gefalteten Händen über der Bibel“, oderAntikriegsbilder wie „Zerschossener Stahlhelmin durchwühltem Gelände“ mit einem Vogel(Meise) als Hoffnungsträger u. a. wurden vonAusstellungsveranstaltern zurückgewiesen.

Eine wissenschaftliche Arbeit (1936) über„Bodenständiges Bauen im Schwarzwald undin der Baar“ wurde auch in Kurzfassungen ver-öffentlicht („Die Gewerbeschule“, „Die badi-sche Schule“ 1937); im Verlag Dr. Max JäneckeLeipzig wurde ein Werk „Das Freihandzeich-nen an den Bauschulen“ herausgebracht(1942). Eine überarbeitete Kurzfassung hier-von erschien in „Baden“ – Monographie einerLandschaft Verlag G. Braun Karlsruhe (1953).

Während seiner Lehrtätigkeit am Staats-technikum Karlsruhe (Hochschule für Tech-nik) baute er dort eine einmalige Modellsamm-

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„Schwarzwaldhaus“; Öl„Der Weg“; Öl

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lung „Badische Bauernhaustypen“ und eineSammlung von Gipsabdrücken von „Schluss-steinen“ bedeutender Gebäude im Land Badenauf. Beide Sammlungen wurden 1944 währendeines Luftangriffes vernichtet. Nach einemLuftangriff auf Karlsruhe wurde die Familiedes Künstlers schwer getroffen. Danach sagteer: „… Mir ist so viel zugrunde gegangen anBildern und Studien, die nicht mehr zu erset-zen sind. Man muss es lernen, einen Strichunter die Vergangenheit zu ziehen und vonNeuem beginnen …“.

Künstlerische Projekte verbanden ihn mitVerlagen wie Hans Pusch – Berlin, F. Bruck-mann – München, Herm. A. Wiechmann –München, Brend’ Amour – München,R. Oldenbourg – München, Julius Manias –Karlsruhe, Kunstdruckerei Künstlerbund –Karlsruhe, Ernst Kaufmann – Lahr, Schauen-burg – Lahr, Fingerl – Eßlingen, E. Brockhoff –Baden-Baden u. a.

Den Auftrag eines Künstlers, wie AlbertFinck ihn verstand, „… Kunst ist nicht Selbst-zweck, sie muss dienen“, konnte er naturge-mäß besonders in der kirchlichen Glasmalereiverwirklichen. Immer wiederkehrende The-men sind bei ihm die Geburt von JesusChristus / Weihnachten (z. B. Bruchsal,Oberderdingen-Flehingen, Helmstadt-Bargen-Flinsbach; in Symbolen: Stutensee-Blanken-loch, Hemsbach/Bergstraße), der Tod / Kar-freitag (z. B. Bruchsal, Rheinau-Diersheim,Neulingen-Göbrichen), die Auferstehung /Ostern (z. B. Graben-Neudorf, Mosbach-Nüstenbach, Schönbrunn-Haag, Leimen/Ba-den, Pforzheim-Büchenbronn). Darüber hi-naus stellte er gern die Verhaltensweisen der

Menschen mit und ohne Christlichen Glaubendar: „Die gute Tat – Die böse Tat“ (z. B.Durlach, Angelbachtal-Michelfeld, Bretten –im 2. Weltkrieg zerstört).

Die Glasfensterentwürfe von Albert Fincksind angefüllt mit Symbolen, verdeckten Hin-weisen auf biblische Aussagen, vielfach unter-strichen durch die Farbgebung. Für den Be-trachter erfordert dies oft ein längeres Stille-halten, ein Betrachten und Suchen. Mancheserkennt man erst bei besonderem Lichteinfalloder beim Studium entsprechender Bibel-stellen. Der Künstler regt den Betrachter derKirchenfenster zum Nachdenken an und zurBeschäftigung mit den christlichen Glaubens-aussagen. Dies kann verständlicherweise nichtmit „abstrakten“ Bildern geschehen. AlbertFinck sagte in diesem Zusammenhang: „… Inunserer modernen Kunst, in der die ,Unform‘die Hauptsache ist, wird etwas hineingeheim-nisst, das der gewöhnliche Sterbliche nichtsucht … Der durch Bilder Angesprochenemuss ihm Vertrautes auch erkennen können.Ihm ist nicht zuzumuten, erst die Abstraktionübersetzen zu müssen, wenn sie überhauptetwas ,darstellen‘ soll und nicht nur durchFarbe und Form ,wirken‘ will …“. Albert Finckversteht seine kirchliche Kunst neben derWortverkündigung (Predigt), der Musik (Cho-ral, Kantaten, Oratorien u. a.) als dritte Säuleder Verkündigung. Der Mensch soll in derBetrachtung mit den Augen seine Gedanken,sein Inneres dem zuwenden, was die christ-liche Religion verkündigt. Er soll gestärkt imGlauben die Kirche verlassen.

Die besonders intensive Beschäftigung mitder Glasmalerei und der Kunstverglasungs-

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Wallfahrtskirche bei St. Peter; Aquarell Garten im Winter; Aquarell

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technik war der Auslöser dafür, dass AlbertFinck von der Glasmaler- und Porzellanmaler-innung Baden zum „Künstlerischen Beirat“ernannt wurde.

Viele seiner Werke (Kirchenfenster, Kir-cheneinrichtungen, Fresken und Tafelbilder)sind besonders in Kirchen der EvangelischenLandeskirche in Baden zu finden. Hier kannman auch gut seine künstlerische Entwicklungverfolgen.

Seine Verbindung zur Göttlichen Schöp-fung, der Natur, findet sich in jedem seinerWerke, meist in Form einer Blume, realistischoder stilisiert dargestellt. Deshalb ist es nichtverwunderlich, dass Albert Finck in seiner Zeitauch ein gefragter Landschaftsmaler war.

Schon immer beschäftigte ihn die Fragedes „Lichtes“ in der Kunst. Das „Licht“ war jaauch wesentlicher Bestandteil der Malerei derfranzösischen Impressionisten. Das „Licht“war aber für Albert Finck nicht „Zweck“ son-dern „Mittel zum Zweck“. Schon 1920 alsMeisterschüler von Professor Bühler in Karls-ruhe hatte er das „Lichtproblem“ für sich ent-schieden. Das beste Licht fand er dort wo eswar, in der freien Natur. Dort konnte er auchseine Gedanken ordnen, Licht hineinbringen.Dies wirkte vor allem auch befruchtend fürseine Kirchenfensterentwürfe. Seine Land-schaftsbilder sind nicht im Atelier gefertigtworden, seine Stilleben hatten natürliche Vor-lagen. Portraits erforderten von dem Por-traitierten, für diesen oft nicht sehr ange-nehme längere „Sitzungen“.

Aufträge für Ölbilder nach der Natur ge-malt kamen aus ganz Deutschland. Viele sind

leider verschollen und oft durch Kriegsverhält-nisse zerstört worden. Die Landschaftsbilderwurden gerne von Privatleuten gekauft, auchals Erinnerung an schöne Urlaubstage imSchwarzwald oder dem Allgäu. Diese Bilderbrachten das „Licht“ aus der Natur in dieWohnungen. Darüber hinaus haben öffentlicheEinrichtungen wie das Ministerium für Kulturund Unterricht Baden, die EvangelischeLandeskirche Baden, die Badischen Kabel-werke – Metallwerke Mannheim, der BadischeJugendherbergsverband, Kunstverlage und an-dere Institutionen Werke von Albert Finckerworben.

Das Aquarell war für Albert Finck gewisser-maßen Ersatz für die Farbfotografie, die sichdamals erst zögerlich ausbreitete. Auf Reisenwar es ihm während einer kurzen Rast möglich,ein Motiv auszusuchen und treffend wieder-zugeben. Hierbei konnte er auch seine Fähig-keiten zur Abstraktion in der Malerei unterBeweis stellen. Für ihn war die Landschafts-malerei ein Erleben der Schöpfung und eineVertiefung der Schöpfungserkenntnis. Sie warMeditation und Weiterbildung. Aus Sicht vonAlbert Finck war für den Erwerber eines Bildes

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Der Zaunweg; Aquarell

Dorfstraße (Stein); Aquarell

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dieses ein Erinnerungsstück, das diesem eben-falls die Möglichkeit bot, inne zu halten, sichzurückzubesinnen, zu „träumen“. Also warauch hier die Kunst Mittel zum Zweck, nichtSelbstzweck: „Die Kunst muss dienen“. AlbertFinck blieb seinem Verständnis von Kunst treu.

Er beschickte, außer Galerien (in Karls-ruhe, Mannheim, Heidelberg, Baden-Baden,Straßburg u. a.) auch Ausstellungen wie imMarkgräflichen Palais in Karlsruhe, dem Karls-ruher Kunstverein, im Haus der Kunst inMünchen, der Kunsthalle Baden-Baden, demKunstverein Heidelberg.

Im Anschluß an eine Ausstellung mitBildern von Albert Finck urteilte ein Kunst-kritiker in den „Badischen Neuesten Nach-richten“ am 4. 6. 1949: „… Albert Finck ist einmeisterhafter Techniker und verantwortungs-bewußter Künstler …“.

Nach dem oben erwähnten schweren Luft-angriff musste die Familie Karlsruhe verlassen.Albert Finck kehrte wieder in seine Geburts-stadt Bretten zurück. Dort stand er menschlichund künstlerisch in hohem Ansehen bei derBevölkerung und nach 1945 auch bei den da-maligen amerikanischen Besatzungstruppen.Er hatte entscheidenden Anteil daran, dass

wertvolle Teile der Bibliothek des Melanch-thonhauses nicht mit den abziehenden fran-zösischen Besatzungstruppen von Brettenweggebracht wurden. Einige von Albert Finckgemalte Portraits amerikanischer Soldatenund Offiziere kamen nach Amerika.

Bald nach Kriegsende 1945 war AlbertFinck in der kulturarmen Zeit Mitbegründereines „Kulturbundes Bretten“, der nicht nurKulturelles (Konzerte, Ausstellungen, Vor-träge) veranstaltete, sondern auch kulturelleAktivitäten für die Bürger anbot und förderte.

Die finanzielle und künstlerische Not warnach Kriegsende bei allen, für die die Kunst ihrLeben war, sehr groß. 1945 wurde deshalb aufLandesebene eine „Notgemeinschaft der Deut-schen Kunst“ gegründet, deren Mitglied AlbertFinck wurde. Diese Notgemeinschaft wollteKünstlern beistehen, war aber auch eine Ein-richtung der Hilfe zur Selbsthilfe. Albert Finckbeschickte verschiedene Kunstausstellungendieser Vereinigung.

In den Nachkriegsjahren übernahm er ei-nen Lehrauftrag an einer Ausbildungsstätte fürErzieherinnen in Kindergärten. Seine Lehr-tätigkeit erstreckte sich hierbei auf alle künst-lerischen Bereiche der Kindergartenarbeit.

Nachdem 1953 die „Hans Thoma Gesell-schaft“ gegründet wurde, trat Albert Finckdieser Gemeinschaft bei. Er hatte noch per-sönlichen Kontakt mit dem Maler Hans Thoma(1839–1924) und fertigte von diesem ein Por-trait an, das er in einen Linolschnitt übertrug.Diesen versah Hans Thoma handschriftlich miteiner Widmung.

1951 kehrte die Familie Finck wieder nachKarlsruhe-Durlach zurück. Den beruflichen„Ruhestand“, für den er sich viel Künstleri-sches vorgenommen hatte und in dem er hoff-te, sich ganz seiner Kunst widmen zu können,konnte er nicht mehr erleben. Albert Finckstarb am 15. Januar 1958.

Anschrift des Autors:Dr. Klaus Finck

Kraichgaustraße 2a74889 Sinsheim

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Im Schlaf; Zeichnung

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Er gehört nicht zu den Künstlern, die sichjeder auch auf dem Gebiet der bildenden Kunstschnell wechselnden Mode anschließen, er istein Künstler, der sich lieber abseits hält vom„visuellen Entertainment“ – ein Ausspruch vonihm –, dabei doch nicht als ein rückständigerTraditionalist gelten darf, sondern mitten inseiner Zeit steht. „Keiner entrinnt seinerEpoche“, sagt er. Die Rede ist von Hans MartinErhardt, der, geboren in Emmendingen, am28. Oktober seinen 70. Geburtstag feiern konn-

te, ein Anlass, dem er allerdings keine allzugroße Bedeutung zumessen mochte.

Sein ursprünglicher Berufswunsch lauteteIngenieur. Aber kurz vor dem Abitur stieß erauf Robert Jungks Buch „Die Zukunft hatschon begonnen“, ein Bericht über die Erfor-schung des Atomkerns und die Entwicklungder Atombombe; er war tief beeindruckt. Vonden Naturwissenschaften und einem von derTechnik bestimmten Beruf wollte er vondiesem Augenblick an nichts mehr wissen.

Erhardt orientierte sich anderweitig; er wolltenun seinen Lebensweg außerhalb jeder Zweck-bestimmung suchen, und das hieß für ihn, erwollte Künstler werden.

BEGEGNUNG MIT SAMUEL BECKETT

So schrieb er sich 1954 an der StaatlichenKunstakademie in Karlsruhe ein, an der erschließlich sieben Jahre geblieben ist. SeineLehrer waren die Professoren WilhelmSchnarrenberger und HAP Grieshaber.Während vier Jahren, von 1956 bis 1960, warErhardt Stipendiat der Studienstiftung desDeutschen Volkes, und in diesem Rahmenerhielt er 1959 einen Studienaufenthalt inParis. Frankreich sollte denn auch seine zweiteHeimat werden; in Marseillan am Mittelmeererwarb er sich mit seiner Frau ein kleinesHaus. Seit 1961 lebte er dann als freischaffen-der Maler in Karlsruhe und abwechselnd inSüdfrankreich. 1964 fand in Paris die für ihn sowichtige Begegnung mit dem irischen Schrift-steller Samuel Beckett statt.

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! Berthold Hänel !

Hans Martin ErhardtZum 70. Geburtstag des Malers und Grafikers

Badische Heimat 4/2005

Porträt des Künstlers

Abend über der Rheinebene, Pastell

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1968 weilte er erneut in FrankreichsHauptstadt, in der dortigen Cité Internationaledes Arts als Stipendiat der Bundesregierung,wo er seine schon fundierten Kenntnisse fürdie druckgrafischen Techniken weiterhin ent-wickeln konnte. 1970 nahm Erhardt einenzweisemestrigen Lehrauftrag an der Kunst-akademie in Stuttgart wahr. 1971 erhielt ereinen Preis auf der Biennale de l’Estampe inEpinal und 1973 den Hans-Thoma-Staatspreisdes Landes Baden-Württemberg in Bernau. DieStaatliche Kunsthalle Karlsruhe beauftragteden Künstler, für die Rotunde in ihrem Hauseinen Bilderzyklus zu schaffen zum ThemaLandschaft; 1979 lieferte er sodann neun Tafelnab, wobei er die Serie, düstere endzeitlicheLandschaftsvisionen, „Topographie einesSchweigens“ nannte. Von 1980 bis 2001 beklei-dete Erhardt eine Professur an der UniversitätKarlsruhe (TH) als Leiter des Instituts fürBildende Künste. Er ist Mitglied im DeutschenKünstlerbund sowie im Künstlerbund BadenWürttemberg. Zahlreich sind seine Ausstel-lungen und Ausstellungsbeteiligungen im In-und Ausland. Wichtige Arbeiten von ihmbefinden sich in öffentlichem Besitz.

CURRICULUM VITAE

Wenn der Künstler sein Curriculum vitaeallerdings selbst in Kurzform erzählt – inechtem Alemannisch – klingt es höchsthumorvoll und originell:

Wo-n-i hätt müesse,hab i nit könne.Wo-n-i hätt könne,hab i nit solle.Wo-n-i hätt solle,hab i nit welle.Wo-n-i hätt welle,hab i nit derfe.Wo-n-i hätt derfe,hab i nit müesse.Gschafft hab ieinewäg.Wie oben schon bemerkt, hält sich Erhardts

Werk geradezu störrisch von Modetrends fern.Das Laute und Lärmige, das Plakative und Markt-schreierische, das Großformatige und um jedenPreis auffallen Wollende, das Oberflächliche undschnell Hingefetzte hat sich heute im Kunst-betrieb – oft mit Erfolg – in den Vordergrundgedrängt. Nichts von alledem bei Erhardt. Inseinem Werk dominiert der Trend zu Stille undSchweigen. Seine Bilder eignen sich nicht für einschnelles, flüchtiges Hinschauen, sie verlangenim Gegenteil ein genaues, ein geduldiges Hin-sehen, sie laden zum Meditieren ein.

LANDSCHAFT, STILLEBEN,TROMPE L’OEIL

Mit geradezu altmeisterlicher Technik fin-den sich die Themen akribisch gestaltet: Land-schaft, wobei der Mensch ausgespart bleibt,Stilleben oder Trompe l’oeil – Augentäuschung

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Fischstilleben, Pastell Äpfel, Pastell

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– ein alter, gerade in der Barockzeit häufigangewendeter Kunstgriff, den Erhardt immerbewundert hat. Im Gegensatz doch zu denMalern des 18. Jahrhunderts, so stellte KlausGallwitz, ehemaliger Direktor des Städel inFrankfurt fest, würden Erhardts Trompe l’oeilsnicht mehr die Augen täuschen, sondern sievermöchten sie zu schärfen.

Farbe findet sich relativ sparsam einge-setzt, gedeckt, gedämpft, aber in wunderbarsubtilen Übergängen brillierend. Erhardt be-sitzt ohne Zweifel eine höchst individuellemalerische Handschrift, deren charakteristi-sche Züge unpathetisch und sparsam im for-

malen Bereich versuchen, das Wesentliche desgestellten Themas heraus zu kristallisieren.

Erhardt – auch das ist typisch für seinekünstlerische Ehrlichkeit – arbeitet vorwie-gend in nur schwierig zu handhabenden künst-lerischen Techniken. Das ist zum Beispiel diePastellmalerei. Pastellfarben haften nur leichtauf der Fläche und können zu feinstenSchattierungen verrieben werden – wenn manes kann! Erhardt kann es. Bei der Druckgrafikwäre der Linolschnitt zu nennen, ein völligneutrales Material, das dem Künstler in keinerWeise durch Zufallsergebnisse – wie zum Bei-spiel die Maserung des Holzes beim Holz-

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Blumen, Pastell

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schnitt – zu Hilfe kommen mag. Beim Li-nolschnitt ist des Künstlers ganze Kreativitätgefordert, um zu einem gültigen Ergebnis zukommen: Hans Martin Erhardt hat auf diesemGebiet Maßstäbe gesetzt.

LANDSCHAFTEN ABSEITS DESTOURISTEN-PROSPEKTES

Seine Landschaften, gemalt oder gedruckt,wirken unauffällig. Sie liegen abseits desTouristen-Prospektes. Eine verschwiegene,doch keine heile Welt breitet der Künstler aus;diese Berge, Hänge und Felder bewahren unterdünner Oberfläche eine eigentümliche Ver-letzlichkeit. Die Landschaften sind – wie obenschon erwähnt – menschenleer. Sie verströ-men Lautlosigkeit, Schweigen. „Nie erlebte icheine solche Stille, die Erde könnte unbewohntsein“, sagt Krapp in Samuel Becketts Spiel„Das letzte Band“. Und in der Tat: ErhardtsBeziehungen zu dem Schriftsteller lassen sichnicht übersehen. Die Linolschnitte und Ra-dierungen zu Becketts Werken, bei denen essich nicht um Illustrationen herkömmlichenSinnes handelt, sind Umsetzungen ganz eige-nen Stils und Charakters vom Medium des

Schriftstellers in das Medium des bildendenKünstlers. Sie stellen eigenwillige Produktedar, die aber der Welt Becketts, der von ihmbeschworenen Endzeit des Menschen, sehrentsprechen.

In seinem jüngsten Gemäldezyklus befasstsich Erhardt mit dem Phänomen „Heimat?“.Er selbst äußert sich so dazu: „Ausgehend vonder seit alters unabweisbaren Tatsache, dass dieZeit alles der Veränderung unterwirft,reflektiere ich die Sehnsucht nach Blei-bendem: nach Heimat. Die Heimat meinerKindheit: nur noch eine Erinnerung, also eineinnere, traumhafte Bilder-Wirklichkeit. DieHeimat meiner Gegenwart: Suche, Erwartung;Stationen dieser Suche sind diese Bilder, ihreMotive aufgefunden in der heimatlichen Umge-bung, gemalt aber nicht ,devant la nature‘,sondern im Atelier: Erinnerung also auch sie.“

Seinen künstlerischen Standpunkt defi-niert er: „Meine Gegenstände ebenso wiemeine Mittel gehören der Tradition unsererAlten Welt an, der ich mich völlig zugehörigfühle und die ich, dies meine künstlerischeMöglichkeit, in einer zeitgenössischen Aus-drucksform weiterzuführen versuche, bar jederVerpflichtung gegenüber einer etabliertenSchule.“

Hans Martin Erhardt, der Eigenwillige, hatein gültiges Werk geschaffen, das längst nichtabgeschlossen ist. Mit seinen 70 Jahren wirkter lebendig und voller Ideen wie eh und je.Möge es noch viele Jahre so bleiben!

Anschrift des Autors:Dr. Berthold Hänel

Rosenfelsweg 679540 Lörrach

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Landschaft, Pastell

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Im vergangenen Herbst war ich im MünsterSt. Stephan in Breisach um dieses ehrwürdigeBauwerk einmal näher von innen zu betrach-ten, und dabei stieß ich am Zeitschriftenstandauf eine Ausgabe der Zeitschrift „unser Müns-ter“ des Münsterbauvereins, Ausgabe 1/96 undauf Seite 9 war ein Artikel über 3 Wappen, am

Lettner im BreisacherMünster abgedruckt.

Was meine Auf-merksamkeit erweckte,war die Beschreibungdes alten BreisacherStadtwappens – demSechsberg. Hier war zulesen das linke der 3Medaillons zeigt das inBreisach noch an vie-len anderen Stellengegenwärtige Motivdes Sechsbergs. Dieserwurde auch in dasStadtwappen unserer

Tage übernommen und symbolisiert die sechsBerge und Hügel, die Breisach bis ins Mittelalterhinein prägten. Von ihnen sind nur noch derMünsterberg und der ihm gegenüberliegendeEckartsberg übrig. Die anderen [Berge] wurdenim Lauf der Zeit abgetragen oder eingeebnet.

DOCH WAS SIND DIES FÜRNEUIGKEITEN?Ich habe selbst einmal das Orakel (Ge-

schichtsquellen) befragt und hier – meinErgebnis.

Seit Menschengedenken gab es in und umBreisach nur 3 Berge. Der mons brisiacus(erste Erwähnung Breisachs um 300 n. Ch.),

also der Münsterberg mit der civitas – Stadt,dem Eckartsberg, welcher in alter Zeit Augahieß, dieser Name rührt von röm. Augia, dt. –Feuchtgebiet, von dem er ja auch umgebenwar, nämlich „der Au“ und den Eisenberg oderÜsenberg. Der Eisenberg hatte seinen Namenvom Bächlein Jsen, welcher unterhalb des ehe-maligen Augustiner-klosters am Brei-sachberg entsprangund in RichtungNorden, am Eisen-berg vorbei in denlinken Rheinarmfloß. In vergangenenJahrhunderten än-derte der Rheinmehrfach seinenLauf, zeitweise um-spülte er den Brei-sachberg, wie auchden Kaiserstuhl undfloss links und rechts vorbei. Auch warBreisach über sehr lange Zeit hinweg einelinks-rheinische Stadt und dem Elsass ange-hörend (siehe hierzu Rosmann Bd. 1 43 f.). Eserfuhr kein Ort, sagt die Kolmarer Chronik,die Unbeständigkeit des Rheins so sehr, wieBreisach, so dass in den Zeiten der RömerBreisach mit dem Elsass zu einem festen Landverbunden war. Erst ab dem 13. Jh. nahm derRhein seinen heutigen Lauf und ab dieser Zeithat der Breisgau von Breisach seinen Namen.Den Eisenberg erwählte ein Geschlecht ausRimsingen, welche zu Reichtum und Ansehengekommen, aber einst Köhler waren zu ihremSitz und erbauten darauf eine Burg – dieÜsenburg. Ab da nannten sie sich die Herrenvon Üsenberg.

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! Stefan Schmidt !

Das vergessene Wappen der StadtBreisach am Rhein

Badische Heimat 4/2005

Wappenbuch Meister IK –Cyriacus Jakob 1545,Frankfurt/M.

Üsenberger SiegelStadtarchiv Endingen a. K.

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ZWISCHEN DER AUFBLÜHENDENSTADT

Breisach und derer von Üsenberg kam esaber immer wieder zum Streit, wegen der Aus-bürger. Jene kehrten der Herrschaft denRücken und zogen in die Stadt Breisach –Stadtluft macht frei!, hieß es. Irgendwann im10. Jh. (Krauss sagt vor 1255) brachen dieBreisacher die Burg, der Platz nördl. der Fran-zosenkasernen heißt auch heute noch Eisen-berg. Jedoch war mit dem Eisenberg einGrafentitel verbunden und so begingen dieBürger Breisachs mit der Zerstörung derStammburg im Rhein, derer von Üsenberg eineschwere Tat. Die Üsenberger zeigten dies ihrenHerren, den Herzögen von Zähringen an undBreisach wurde hart bestraft, sie musstenunter anderem das Schloß Höhingen beiAchkarren den Üsenbergern erbauen.

Auf dem Eisenberg, aber war vor demdreißigjährigen Krieg eine Schanze errichtetworden. Der Berg selbst wurde im 17. Jh. vonden Franzosen (als die Stadt zu Frankreichgehörte) abgetragen, weil er zu entfernt lag,um in die Verteidigungslinien der Stadt ein-bezogen zu werden, aber nahe genug, um dem

Feind nützlich werden zu können. Auf demEisenberg spielt auch ein Stück deutscherHeldensage, zur Zeit der Harelungen solldarauf einst das Kloster gestanden haben, inwelchem sich der grimmige Mönch Ilsan vonseinen Abenteuern ausruhte. Im Jahr 1320kaufte die Stadt Breisach den Eisenberg um 50Mark (Krauss sagt 60) Silber von den Gebrü-dern Burkhard und Gebhard von Üsenberg.

Wie kommen aber nun 6 Berge ins Wappenvon Breisach? Nun – sie sind das Wappen derHerren von Grünenberg, und seit Ende des14. Jh. fester Bestandteil des Stadtwappens. DieHerren von Grünenberg bekleideten erblich,über Jahrhunderte das Oberschultheißenamtder Stadt Breisach. Mit diesem Amt war gleich-zeitig die Führung und Erhaltung der Burgverbunden. Sie gehörten zu jener verschwore-nen Gemeinschaft von 40 Ritterfamilien, dieseit Altersher von Kaiser und Reich den Auf-trag hatten, als castrenses – Burghüter, desReiches Schild und Ruhekissen – den monsbrisiacus mit ihrem Blute zu verteidigen. Starbder Kaiser, so nahm der Oberschultheiss dieSchlüssel der Burg an sich und wurde einneuer gewählt, so wurden sie ihm bei derHuldigung symbolisch überreicht.

WER WAREN NUN DIESE HERRENVON GRÜNENBERG?

Am 6. Juni 1390ist der Junker HansGrymen von Grü-nenberg Oberschult-heiß in Breisach undam 11. August 1427hören wir von Wil-helm v. G. Ober-schultheiß, ebensoim Jahr 1428, sicherfinden sich im Stadt-und Münsterarchivnoch zahllose Ur-kunden der Ober-schultheißen vonGrünenberg. IhreStammburg stand bei

Melchnau an der Roth zwischen Bern undZürich. 1386 in der berühmten Schlacht vonSempach, in der die Eidgenossen ihre Unab-

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Obenstehend ein Karte aus dem Jahr 1632, sie zeigt dieStadt mit der Burg (rechts), die nördl. Vorstadt undanschließend daran den Eisenberg, darauf erkennbar nochein Gebäude

Wappen: auf silbernemGrund, ein grüner Sechsberg

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hängigkeit erstritten,und 4 Breischer Ritterden Tod fanden, warauch Ritter Johann v.Grünenberg, Freiherrund Burggraf zuRheinfelden unter denGefallenen.

Etwas vorher istvon Hermann v. G.,Vogt und Pfandherr zuRotenburg 1385 zu le-

sen, als dieses Städtchen von den Luzernerneingenommen wurde. Sie sind 1450 aus-gestorben und stehen nicht im Zusammen-hang mit dem berühmten Konstanzer Bürger-meister und Wappenmaler, der von Grünen-berg bei Radolfzell den Namen hat. Da beideGeschlechter aber redende Wappen (also dengleichen Grünberg) führen ist eine gleicheAbstammung in grauer Vorzeit wohlmöglich.Der Vollständigkeit halber will ich auch nochauf das Wappentier im heutigen Stadtwappeneingehen. Eine Version besagt es sei ein Adler,welcher auf die Zeit von 1278 zurückgeht, alsBreisach freie Reichsstadt war. Andere Quellensehen in ihm einen Kolkraben, welcher seitAltersher als Wappentier des Breisgaus gilt, erhat wohl seinen Ursprung durch seinezahllosen Artgenossen, welche alljährlich seitewigen Zeiten hier am Oberrhein, ausWeissrußland und Polen kommend überwin-tern. Breisach war während des ganzen Mittel-alters Münzstätte und stets war der SechsbergMünzzeichen. Warum hat aber das Stadt-wappen seine Farben verändert? Dazu ist zulesen: Der weiße Sechsberg im roten Feld, istdas alte Stadtwappen Breisachs. Es wurde

1793 dahin abgeän-dert, dass in goldenemGrund der schwarzerotbewehrte Reichs-adler auf den silber-nen Sechsberg zu ste-hen kam. Dieses Wap-pen geht auf einekaiserliche Wappen-verbesserung zurück.

Abschließend ver-mute ich, dass die

Herren von Grünenberg als Oberschultheißenihr privates Siegel verwendeten, in einer Zeitals es die zivile Heraldik noch gar nicht gab,oder erst im Entstehen war, und so dürfte sichdieser Sechsberg langsam ins BreisacherWappen eingeschlichen haben.

Quellen

Das Bächlein Isen; Rosman I, S.: 43, 200; Pusikan – DieHelden von Sempach; Naeher & Maurer – Die Alt-Badischen Burgen und Schlösser des Breisgaus, 1884;Martin – Die Stadtbanner am Oberrhein, Straßburg1942; Kreis- und Gemeindewappen in Baden-Württem-berg Band III, Theiss-Verlag Stuttgart 1989; Fahrer Uwein Breisach 2004/2005 S. 22 f; Franz Xaver Krauss –Kunstdenkmäler am Oberrhein 1904; Heinrich Huss-mann – Über deutsche Wappenkunst, Wiesbaden 1973;Josef Schmidlin: Breisacher Geschichte, 1936 S. 11;Cyriacus Jacob – Meister IK Wappenbuch, 1545 Frank-furt/Main.

Anschrift des Autors:Stefan SchmidtGuldengasse 34

79369 Wyhl

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Ältere Wappenform abEnde 14. Jh. – Reichsadlerauf weissem Grund

Abbildung nebenstehendzeigt das Wappen wie esheute Verwendung findet

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Im Oktober 2005 jährt sich zum fünftenMal die Eröffnung der neuen OffenburgerKulturstätte namens „Reithalle“ auf dem groß-flächigen Gelände des städtischen Kultur-forums. Am 21. Oktober 2000 war das zuvormit rund 7,4 Millionen Mark sanierte histori-sche Gebäude als Veranstaltungs-, Theater-,und Konzerthalle offiziell der Öffentlichkeitübergeben worden. Schon nach drei Jahrenhatte sich die Offenburger „Reithalle“ mit ins-gesamt weit über 100 000 Besucherinnen undBesuchern zu einem der bedeutendstenKulturzentren in der Ortenau und im mittel-badischen Raum entwickelt.1

Das imposante Bauwerk gehört zumGesamtensemble einer ehemaligen groß-flächigen Kasernenanlage, die im Herbst 1898von den Soldaten des 9. Badischen Infanterie-regiments Nr. 170 als neu errichteter Standortbezogen wurde.2 Damit hatten die Offenburger

Stadtväter seinerzeit den lang gehegtenWunsch erfüllt bekommen, Garnisonsstadt zuwerden. Ein privilegierter Status, von demman sich seitens der lokalen Politik und Wirt-schaft zahlreiche Impulse und Vorteile erhoff-te.3

Nahezu alle Gebäude dieser früherenKaserne sind erhalten geblieben. Ihre Instand-setzung und architektonische Erneuerung imRahmen eines umfassenden städtebaulichenKonversionsprojekts haben der Stadt an derKinzig inzwischen ein bemerkenswertesQuartier beschert, in dem sich neben mehre-ren Wohngebäuden auch offizielle Einrich-tungen wie die Stadtbibliothek, Musikschuleoder Kunstschule befinden. Mit dieser Konver-sion von militärischer in eine sinnvolle zivileNutzung steht Offenburg in einer Reihe mitzahlreichen anderen innovativen Projekten inLand und Bund.4

! Uwe Schellinger !

VergangenheitsverschönerungZur Neubenennung der „Reithalle“ in Offenburg

Die Offenburger „Reithalle“ 2004, Aufnahme: Uwe Schellinger

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Im gleichen Maße wie sich in der gesamtenEntwicklung dieser ehemaligen Kasernen-anlage an der Offenburger Weingartenstraßedie deutsche Geschichte der letzten hundertJahre widerspiegelt, kann man die historischenWandlungsprozesse auch an jedem einzelnender dort gegen Ende des 19. Jahrhundertserrichteten Militärbauten ablesen. Das ehe-malige Exerzierhaus ist diesbezüglich zweifels-ohne eines der bemerkenswertesten Gebäudeauf dem gesamten Areal. In einem bewusstenhistorisierenden Rückgriff haben die lokalenVerantwortlichen dem nunmehr umfunk-tionierten Gebäude vor einigen Jahren dengriffigen Namen „Reithalle“ verliehen.

Damit wurde allerdings eine Terminologiegewählt, die keinerlei Rückbindung an dietatsächlichen historischen Nutzungsarten desGebäudes vorweisen kann. Diese haben sichüber die Jahrzehnte hinweg zwar mehrfachgeändert, eine explizite Nutzung als „Reithalle“ist jedoch für keine Epoche feststellbar oderquellenmäßig zu belegen. Im OffenburgerStadtarchiv sind neben vielen anderen Unter-lagen zur Kasernengeschicte auch die his-torischen Baupläne aufbewahrt. Nach mehre-ren Jahren der Bewerbung hatte die Stadt 1896endlich den Zuschlag erhalten, Garnisonwerden zu dürfen. Mit der Errichtung derneuen Kasernenanlage wurde im Juni 1897begonnen. Die Bauarbeiten nahmen etwasmehr als ein Jahr in Anspruch und ver-schlangen Kosten in Höhe von fast zweiMillionen Reichsmark. Als Architekten für denKasernenbau hatte die Stadtverwaltung KarlJoseph Wacker (1855–1918), den Vater desspäteren badischen NS-Kulturministers OttoWacker, angestellt. Auf dessen Bauplänen istdas heute als „Reithalle“ bezeichnete Gebäudeals „Exerzierhaus“ an der westlichen Seite desKasernengeländes eingezeichnet.5 Den Sol-daten des 9. Badischen InfanterieregimentsNr. 170, die am 30. September 1898 alsGarnisonstruppe die neu errichtete bezogen,diente das fast fünfzig Meter lange und überzwanzig Meter breite Bauwerk in denfolgenden zwei Jahrzehnten als Exerzierhaus.Von einer Reithalle war bei einem Infanterie-regiment selbstverständlich nicht die Rede,stellten solche doch nur bei berittenen Ein-heiten eine Notwendigkeit dar. Wenngleich

sich die jeweiligen Bauausführungen für der-artige Ausbildungseinrichtungen durchausähnelten, unterschied der zeitgenössischeArchitekturstandard bzw. die entsprechendeTerminologie sehr genau zwischen den beidenFunktionen „Exercierhäuser“ und „Reithäu-ser“, wie im Handbuch der Architektur ausdem Jahr 1887 nachzulesen ist: „Damit dasHeer zeitig in jedem Frühjahr in voller Stärkeschlagfertig sei, erfolgt die Ausbildung derRekruten in der Regel während der Winter-monate. So lange als möglich wird dieselbeselbstverständlich im Freien betrieben; dochnöthigt die Witterung nicht selten zum Auf-suchen geschlossener Räume, wenn die

Gründlichkeit der Ausbildung nicht leiden unddie Gesundheit der Mannschaft nicht nutzlosgefährdet werden soll. Exercierhäuser sind des-halb in Deutschland und in den nordischenLändern als nothwendige Bestandtheile derCasernen – wenigstens derjenigen für Fuß-truppen – zu betrachten.“ Über die „Reithäu-ser“ heißt es dementsprechend: „Reithäuser,auch gedeckte Reitschulen genannt, sinderforderlich für Casernen der Cavallerie, der

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Die Kaserne an der Weingartenstraße, rechts ist die Exer-zierhalle zu erkennen Vorlage: Uwe Schellinger

„Reithalle“ 2004, Aufnahme: Uwe Schellinger

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Feld-Artillerie und des Trains, so wie beiden meisten der verschiedenartigen Militär-Bildungs-Anstalten.“6 Zu den Reithäuserngehörten in der Regel angebaute Kühl- bzw.Warteställe für die Pferde, sollten die eigent-lichen Stallungen zu weit entfernt sein. Folge-richtig waren und sind solche Zusatzbauten imOffenburger Fall nicht vorhanden. Über Pferdeverfügten im Offenburger Infanterieregimentnur die höheren Offiziere, die größtenteils Pri-vatwohnungen außerhalb der Kaserne bezogenhatten. Sie kamen morgens mit dem Pferd zumDienst, das dann in einem eigens errichtetenOffizierspferdestall untergestellt wurde.7 Spe-zielle Reitkurse absolvierten die Offiziere desRegiments auf einem dafür eigens ange-mieteten Abschnitt in der Städtischen Aus-stellungshalle. Ansonsten gehörte das regel-mäßige Ausreiten in der Offenburger Umge-bung zum Privatvergnügen.8 Das lang-gezogene Exerzierhaus innerhalb der Kasernewar hingegen für militärische Übungen undAufmärsche der einfachen, unberittenenInfanteristen errichtet worden.

Für diese Zweckbestimmung spricht auchdie Existenz eines (noch bis 1998 existenten)niederen Nebenbaus: im so genannten „Pat-ronenhaus“ war die Munition des Regimentsaufbewahrt, welche dann bei der Ausbildunggleich zur Hand war.

Das Offenburger Regiment, das zweiBataillone á vier Kompanien und damit etwa1200 Soldaten umfasste, war ein nicht zuunterschätzender Wirtschaftsfaktor für diegesamte Stadt und wurde während eineinhalbfriedlicher Jahrzehnte zu einem selbstver-ständlichen Bestandteil des Offenburger

Lebens. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegsim August 1914 forderte auch von den„170ern“ den schweren Gang auf die Schlacht-felder an der Westfront. Ihre Heimatkasernewurde während der Kriegsjahre zum Nach-schubreservoir für Soldaten und Kriegsma-terial. Bald waren die Folgen des Kriegesunmittelbar in der Kaserne zu erkennen: Imgroßen Exerzierhaus musste für die zahlrei-chen von der Front zurückkehrenden ver-wundeten Soldaten eines von mehreren Laza-retten der Stadt eingerichtet werden.

Nach dem verloren gegangenen ErstenKrieg und der Auflösung der kaiserlichenArmee wurde die Kasernenanlage zum erstenMal in ihrer Geschichte für zivile Zweckegenutzt. Voraussetzung dafür war der Über-gang der Besitzverhältnisse von der staatlichenArmeeverwaltung an die Stadt Offenburg. Dieehemaligen Mannschaftsunterkünfte der Sol-daten wurden nun als Wohnungen genutzt.Weiterhin siedelten sich eine ganze Reihe vonBetrieben und Werkstätten aus den unter-schiedlichsten Branchen auf dem Areal an.9 Indiesem Zuge übernahm im Jahr 1921 dieOffenburger Kraftfahrzeugfirma Dierks &Wroblewski von der Stadt das einstigemilitärische Exerzierhaus. Ein Jahrzehnt langwurden dort nun Karosserien produziert undAutos repariert. Die Mechaniker von Dierks &Wroblewski stellten in dem Gebäude darüberhinaus sogar eine eigene Automarke mit demNamen „Certus“ her: einen 5-Sitzer mit 55 PS.Die Kühlerhaube dieser Automobile soll laut

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Infanteristen des Offenburger Regiments Nr. 170Vorlage: Uwe Schellinger, Freiburg

Das „Patronenhaus“ im Zustand von 1997, heute nichtmehr vorhanden Aufnahme: Michael Marks

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Zeitzeugenberichten das Offenburger Stadt-wappen geziert haben. Nach dem Wegzug vonDierks & Wroblewski in Werkstätten außerhalbder Kaserne übernahm im Jahr 1931 die vonRaphael Scheirmann gegründete Firma Elek-tromotoren Scheirmann & Co. das Gebäude.Das kleine „Patronenhaus“ nebenan dientedem Lackierer Christoph Schmitt als Werk-statt. In seiner gut florierenden und expan-dierenden Firma auf dem Kasernengeländebeschäftigte Raphael Scheirmann zeitweisemehr als 30 Arbeiter, die sich der Reparaturund Neuentwicklung von Motoren, Genera-toren und Transformatoren sowie sonstigentechnischen Apparaten widmeten.10

Im Jahr 1936 nahm die zivile Nutzung desGeländes und der Exerzierhalle im speziellenein plötzliches Ende. Reichskanzler AdolfHitler ließ Anfang März die bis dahin entmi-litarisierte Rheinlandzone in bewusster Verlet-zung des Versailler Vertrages in einer Blitz-aktion durch wieder aufgerüstete Wehrmachts-verbände besetzen. Auch in Offenburgmarschierten nun wieder Soldaten ein. Ab dem7. März 1936 war die Stadt erneut Militär-garnison. Nicht nur die nationalsozialistischenStadtoberen mit Oberbürgermeister Dr. Rom-bach an der Spitze zeigten sich begeistertdarüber, dass in der Kaserne nun die Haken-kreuzflagge wehte. In den folgenden Wochenwurden nach und nach sämtliche Kasernen-gebäude für die Zwecke der Wehrmachtgeräumt. Auch die Firma Scheirmann & Co.,durch ihre jüdischen Besitzer ohnehin dis-kreditiert, musste aus ihren Räumlichkeitenweichen, um dem seit Oktober 1936 in derKaserne stationierten Maschinengewehr-Bataillon Nr. 5 der Wehrmacht Platz zumachen. Die jüdische Firma wurde im Februar1939 „arisiert“. Wie ein Übersichtsplan derWehrmachtskaserne in den Beständen desStadtarchivs11 sowie Berichte von ehemaligenAngehörigen des motorisierten Bataillonsbelegen, fungierte das Gebäude auch für dieSoldaten der Wehrmacht als „Exerzierhaus“,das heißt zu Ausbildungszwecken oder als Auf-marschplatz bei schlechtem Wetter. Erneutist von einer „Reithalle“ nicht die Rede. ImMai 1939 wurde die vorher namenlose Kasernevon der Wehrmachtsführung „Ihlenfeld-Kaserne“ benannt. Namenspatron war der

letzte Kommandeur der kaiserlichen Truppen,Oberst Otto Richard Ludwig von Ihlenfeld(1865–1928). Obwohl das Gelände dessenNamen offiziell nur sechs Jahre bis 1945 trug,hat sich die auf die Nationalsozialisten zurück-gehende Bezeichnung bis zum heutigen Tageim Offenburger Sprachgebrauch scheinbarunverrückbar festgesetzt.

Während des Zweiten Krieges stand dieKaserne so gut wie leer, da sich die Soldatendes Offenburger MG-Bataillons im Kriegsein-satz zuerst in Frankreich und später in Russ-land befanden. An der Ostfront wurde die Ein-heit schließlich fast vollständig aufgerieben.Ihre Offenburger Heimatkaserne wurde gegenEnde des Krieges wiederholt das Ziel vonBombenangriffen sowie Granatbeschüssen deralliierten Truppen. Deshalb erlangten die dreigroßen Löschteiche der Kaserne besondereWichtigkeit, von denen einer nur wenige Metervor dem Exerzierhaus angelegt war. GegenKriegsende bekam das Exerzierhaus noch ein-mal eine besondere Funktion. Als die alliiertenTruppen immer näher rückten, wurden seitEnde September 1944 die Wehrmachtssoldatensowie die Männer des „Volkssturms“ für den sogenannten „Endkampf um das Reich“ aus-gebildet.12 Wie dem Bericht eines damals ver-antwortlichen Offiziers zu entnehmen ist13,bekamen die verantwortlichen Offiziere undMannschaften dazu in der Halle speziellenUnterricht in der Handhabung der Panzer-faust. Mit dieser Waffe sollten im Falle direkterKampfhandlungen die Fahrzeuge des Gegnersnoch einmal zurück geschlagen werden. DerAugenzeuge berichtet:

Frage Uwe Schellinger (US): Können Siesich neben der Gewerbeschule und den Kan-tinen auch noch an andere Gebäude erinnern?

Zeitzeuge: Hier an dieses Exerziergebäude.Ich mußte nämlich auch alle Unteroffiziereund Offiziere, die in der Kaserne stationiertwaren, die mußte ich in der sogenannten„Panzerfaust“ ausbilden. Die Panzerfaust, daswar ein handliches Panzerabwehrgerät. IstIhnen das ein Begriff? Es gab die sogenannte„Panzerfaust“ und den „Panzerschreck“. Alsozwei von Leuten, von einem Mann zu hand-habende Panzerabwehrwaffen. Die Offiziereund die Unteroffiziere dieser Stammeinheit,

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die hier in der Kaserne gewohnt haben, diewurden von General Ronicke – daher kenneich den – kommandiert zu einer Ausbildung,zu einer Einweisung in dieser Panzerfaust.

Frage US: Hat es diese Ausbildung schonvor Ihrer Zeit in der Kaserne gegeben?

Zeitzeuge: Nein, nein. Ich weiß jedenfalls,daß [für] die Leute, die sich in der zweitenHälfte 1944 und Anfang 1945 in der Kasernebefanden, die Panzerfaustausbildung nochnicht stattgefunden hatte. Und die Leutewußten überhaupt nicht Bescheid. Das wareigentlich eine Panzerabwehrwaffe, die bishernur an der Front eingesetzt wurde. Und weildie so billig und einfach herzustellen war, istdie in riesigen Mengen hergestellt worden undnachdem die Kaserne als eventuelles Kampf-gebiet vorgesehen war, wenn wir von denAlliierten angegriffen worden wären, dannmußte jeder mit dieser Panzerfaust umgehenkönnte.

Frage US: Zur Verteidigung also?Zeitzeuge: Ja, ja. Damit man die Leute

eventuell kämpferisch einsetzen konnte.Frage US: Und was hatte dies nun mit der

Exerzierhalle zu tun?Zeitzeuge: Da ist immer die Ausbildung

gewesen, die Ausbildungslehrgänge für diesePanzerfaust. […] Das ist einmal ein sehrdummer Schießunfall passiert. Da hat so einSchreibstubenhauptmann einem anderen Ar-tilleriehauptmann die Hand abgeschossen.Der hat die Panzerfaust in der Hand gehabt,hat die entsichert, hat damit rumgespielt, hatauf den Auslöser gedrückt, den Abzug, unddann ist das Ding losgegangen und hat demdie Hand abgeschossen. Und zwar – das war inder Nähe der Türe – derjenige, der den Unfallverursacht hat, hatte sich da an die Türgestellt und praktisch nach außen gezielt. Undder andere Hauptmann, der stand in der Türund da kam jetzt … die „Führungseinheit“[Teil der Panzerfaust], und diese Führungsein-heit hat dem die Hand an den Türrahmeneiner dieser Blechtüren gedrückt und da wardie Hand ab.

Frage US: Und wann war das ungefähr?Zeitzeuge: Das war Anfang 1945.Frage US: Dieser Unterricht war also keine

ungefährliche Sache, da mußte man schonaufpassen?

Zeitzeuge: Aber sicher.Frage US: Und was hat sonst noch in dieser

Exerzierhalle stattgefunden?Zeitzeuge: Da haben diese Nachschubein-

heiten bei schlechtem Wetter exerziert. Sonstwar eigentlich das Exerzieren hier auf demKasernenhof, aber wenn es geregnet hat oderSchnee lag, dann sind die zum Exerzieren hierrein. Bloß wenn man die richtig durch denDreck ziehen wollte, fronteinsatzfähig, das istdann hier gemacht worden.

Frage US: Und andere Gebäude auf demGelände, z. B. dieses Gebäude [gemeint ist dasnachträglich erbaute Gebäude hinter demMaschinengewehrgebäude entlang der Brach-feldstraße]?

Zeitzeuge: Das weiß ich nicht […] Wir sindmit diesen Leuten überhaupt nicht in Berüh-rung gekommen. Und ich bin nur durch meineTätigkeit als Ausbilder auch mit dem GeneralRonicke in Berührung gekommen.

Frage US: Und mit Ihren Schülern …Zeitzeuge: Die wurden mir dann zugeteilt.

Die wurden von der Stammheit wurdenbenachrichtigt: ,In der Exerzierhalle um so-undsoviel Uhr am Dienstag morgen, um achtUhr, antreten. Unterricht in der „Panzerfaust-handhabung.“ Nicht „Panzerfaustschießen“:„Panzerfausthandhabung“.

Doch es kam in Offenburg nicht mehr zuden erwarteten ernsthaften militärischen Aus-einandersetzungen mit den gegnerischenTruppen. Am 15. April 1945 wurde die Stadtohne größeren Widerstand von französischenTruppen besetzt. Im Löschteich vor dem Exer-zierhaus fanden sich später die Waffen der Halsüber Kopf geflüchteten deutschen Soldaten.Die Wehrmacht hatte jedoch wenige Tage vorihrem Abzug in einer gezielten Aktion nochheimtückische Fallen in der Kaserne in-stalliert, um den Alliierten noch im Nach-hinein Schaden zuzufügen. In den frühenMorgenstunden des 4. Mai 1945 explodiertenin der Kaserne mehrere mit Langzeitzündernversehene mächtige Sprengladungen. Durchdie Detonationen wurden drei der ehemaligenMannschaftsgebäude auseinander gerissen. Indiesen Häusern waren zu diesem Zeitpunktjedoch nicht, wie von der Wehrmacht eigent-lich gedacht, französische Soldaten unterge-

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bracht. Vielmehr befanden sich in der Offen-burger Kaserne zahlreiche inzwischen befreiteausländische Zwangsarbeiter/innen aus dergesamten Ortenau, die man dort provisorischeinquartiert hatte. Durch dieses Attentatkamen noch einmal unschuldige Zivilisten, imganzen 114 russische Frauen, Männer undKinder, ums Leben, was wutentbrannte Aus-schreitungen der kasernierten „displaced per-sons“ gegen die Offenburger Bevölkerung zurFolge hatte.14 Denn man vermutete, dass essich bei den Sprengungen um einen Sabo-tageakt einheimischer Täter gehandelt habe.Daraufhin entschloss sich der französischePlatzkommandant Dejean zu einem hartenVorgehen gegen die deutsche Bevölkerung. Am7. Mai 1945 meldete er seinem Oberkommandoin Freiburg: „Als Bestrafungsmaßnahmen habeich vorgeschlagen, daß dieselbe Anzahl Naziswie die der ermordeten Russen hingerichtetwerden solle. Es ist vonnöten, daß ich denBefehl für diese Hinrichtung so schnell wiemöglich erhalte. Die Russen sind äußerst auf-gebracht gegen die Deutschen. Wenn Ihnennicht sofortige Genugtuung gewährt wird, istzu befürchten, daß es zu Exzessen in der Stadtkommt und unschuldige Einwohner umge-bracht werden. Ich habe hier aber nur 20Nazis, die erschossen werden könnten. Des-wegen möchte ich, falls die Hinrichtunggenehmigt wird, darum bitten, mir schnellst-möglichst 80 Nazis aus anderen Gefangenen-lagern zu schicken.“15 Das von der Wehrmachtverübte Attentat hatte also eine völlig andereWendung genommen und wurde nun zurGefahr für die eigenen Landsleute. Tatsächlichberichtete zehn Jahre später der OffenburgerPublizist Franz Huber von arretierten Deut-schen, die man von Karlsruhe in die Stadtgebracht hatte und die von den Franzosen inder ehemaligen Exerzierhalle festgehaltenwurden: „Kurz nach der Besetzung kam vonKarlsruhe her ein Trupp Zivilisten an. Siewurden nach der Kaserne verbracht und hattenin der zerschossenen Exerzierhalle not-dürftiges Quartier. Warum die Leute, Männerund auch Frauen, aufgegriffen worden warenund den Weg von Karlsruhe nach Offenburg zuFuß machen mußten, wußten sie nicht zusagen. Waren einige ausgerissen, so wurdenandere von der Straße weg einfach dem Zug

eingegliedert, um die Zahl wieder voll zumachen. Ueber den Zaun hinweg brachtenOffenburger den Inhaftierten Eßwaren undWolldecken.“16 Möglicherweise handelte essich bei den in der Exerzierhalle festgehaltenenDeutschen um die von Kommandant Dejeanvon auswärts angeforderten Personen. Esliegen allerdings keine Hinweise darüber vor,ob die geplanten Vergeltungsexekutionentatsächlich auch ausgeführt wurden.17

Von 1946 bis 1992 war das Kasernen-gelände – nun von den Franzosen „QuartierMontalègre“ genannt – von sich abwechseln-den motorisierten Einheiten der französischenStreitkräfte belegt. Während über die Nutzungdes ehemaligen Exerzierhauses in den Jahrender Besatzung von 1945 bis 1955 noch keinegenauen Belege vorliegen, kann für die späte-ren Jahrzehnte durchaus eine Aussage ge-troffen werden: die französischen Soldaten ver-wendeten das Gebäude in dieser Zeit als Sport-und Turnhalle. 1964 soll der bekanntefranzösische Sänger Johnny Halliday, der inOffenburg seinen Militärdienst absolvierte,dort ein Konzert gegeben haben.18

Der Abzug der französischen Truppen inden Jahren 1991/1992 und die Planspiele fürdie zukünftige, sinnvolle Nutzung des Gelän-des gingen schließlich nahtlos ineinanderüber. Der Schwerpunkt der städtischen Kon-zeptionen lag seit 1991 eindeutig in derErrichtung des neuen Offenburger Kultur-forums auf dem einstigen Militärareal. DerWille zu dieser Konversion in eine zivile Nut-zung wurde am 6. Oktober 1995 durch einevielbeachtete Konzertveranstaltung im ehe-maligen Exerzierhaus mit dem Titel „50 JahreKriegsende – Für den Frieden und gegen alleKriege dieser Welt“ eindrucksvoll unter-strichen. Bei dieser Gelegenheit wurde offen-bar zum ersten Mal öffentlich die Bezeichnung„Reithalle“ verwendet, nachdem in den voraus-gegangenen vier Planungsjahren in selbstver-ständlicher Weise von der „Exerzierhalle“ dieRede war.19 Woher diese „Umtaufe“ desGebäudes letztlich herrührt, ist noch unklarund muss der Analyse späterer zeitgeschicht-licher Forschung unterliegen. Jedoch gibt esHinweise darauf, dass die Wahl dieser ebensoneuen wie in die Irre führenden Bezeichnungmit der Intention der Projektverantwortlichen

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– der Offenburger Stadtverwaltung sowieWohn- und Stadtbau GmbH – zusammen-hängen dürfte, aus Gründen einer besserenVermarktungsmöglichkeit den dem Gesamt-gelände und somit dem Gebäude anhaftenden„Kasernengeruch“ aus der Welt zu schaffen.20

Diesem Konzept fiel schließlich das offenbarebenfalls nicht in dieses Konzept passendefrühere „Patronenhaus“ nebenan zum Opfer,das 1998 abgerissen wurde.21

Das Exerzierhaus selbst diente noch einigeZeit einem ortsansässigen Kaufhaus als Lager-halle, bis schließlich der zweite Bauabschnittfür das Kulturforum einsetzte.

Exerzierhaus, Lazarett, Werkstatt, Gefäng-nis, Sporthalle, Warenlager – die heutige„Reithalle“ auf dem Offenburger Kulturforumhatte in ihrer inzwischen mehr als hundertjäh-rigen Geschichte viele Funktionen. Nur ebennicht die einer Reithalle, wie heutzutage diemoderne Namensgebung vorspiegelt. Selbst-verständlich steht es jedem Träger einer Ein-richtung zu, einen ihm angemessenen Namenfür das von ihm unterhaltene Gebäude zuwählen. Im Fall der Verwendung der historischfalschen Bezeichnung „Reithalle“ kann manjedoch von einem bewussten und zielgerichte-ten geschichtspolitischen „Täuschungsma-növer“ sprechen.22 Die Begrifflichkeit solleinerseits einen interessanten historischenZusammenhang präsentieren und das Gebäudebewusst als historisches Bauwerk kennzeich-nen, andererseits ignoriert und verschweigtman damit jedoch gänzlich diese historischenGrundlagen.23 Mit einer solchen Vergangen-

heitsverschönerung durch eine unverfänglicheTerminologie – „Reithalle“ hat nun einmaleinen viel besseren Klang als „Exerzierhaus“ –wird an einem speziellen, aufgrund seinerregionalen Bekanntheit aber bedeutsamen his-torischen Ort die jahrzehntelange lokaleTradition eines allzu oft unheilvollen Militaris-mus ausgeblendet. Das militärische Denkenmit seinen Ausformungen und Folgen hat dieStadt Offenburg allerdings mindestens ebensosehr geprägt wie die gerne und vielbesungenenliberalen oder demokratischen Traditionen. Obund inwieweit sich deshalb der hier am Bei-spiel der Neubenennung des ehemaligen„Exerzierhauses“ geschilderte Umgang mit his-torischen Gegebenheiten in ein spezifischesgeschichtspolitisches Gesamtkonzept der StadtOffenburg einfügt, wäre eine interessanteFrage. Es gibt zumindest Hinweise darauf, dassdie seit über einem Jahrzehnt für Offenburg zubeobachtende „Gedächtniskonzeption, die denKampf um die Demokratie in den Mittelpunktder historischen Bemühungen der Stadtstellt“24 mit einer Marginalisierung der zahl-reichen antidemokratischen, nationalistischenSchattenseiten in der Stadtgeschichte – alsoauch des Militarismus – einhergeht.25 Alsterminologisches Symbol für den Unheil

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Gelände vor dem Exerzierhaus im Sommer 1997. Im Hin-tergrund ist noch das niedrige Gebäude des ehemaligen„Patronenhauses“ zu sehen 1997, Foto: Michael Marks

Eingangsseite der Halle im Zustand von 1997Foto: Uwe Schellinger

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bringenden deutschen Nationalismus des20. Jahrhunderts war der eindeutig militäri-sche und damit diskreditierte Begriff „Exer-zierhaus“ für die selbsternannte „Stadt derFreiheit“26 kulturpolitisch nicht mehr tragbarund musste infolgedessen der falschen „Reit-halle“ weichen.

Anmerkungen

1 Pressemeldungen der Stadt Offenburg vom 19. 10.2000 und vom 2. 2. 2004.

2 Die folgenden Ausführungen zur OffenburgerExerzierhalle und zum umgebenden Kasernena-real beruhen überwiegend bzw. wo nicht gesondertvermerkt auf einer breiter angelegten Arbeit überdie Geschichte dieses Ortes. Siehe Schellinger,Uwe: Eine Kaserne und ihre Menschen. Doku-mentation zu einem Ort Offenburger Geschichte(Werkstattberichte aus dem Stadtarchiv OffenburgIII), Offenburg 1998.

3 Siehe zu diesem Thema Hofmann, Hanns Hubertu. a.: Stadt und militärische Anlagen. Historischeund raumplanerische Aspekte, Hannover 1977;Sicken, Bernhard (Hg.): Stadt und Militär1815–1914: wirtschaftliche Impulse, infrastruktu-relle Beziehungen, sicherheitspolitische Aspekte,Paderborn 1998; ders.: Kasernenbau – Impulse fürdie Stadtentwicklung im Kaiserreich und im„Dritten Reich“. In: Mainzer, Udo (Hg.): Militär-bauten und Denkmalpflege. Vortragstexte zurFachtagung Militärbauten und Denkmalpflege am8. und 9. Dezember 1998 in Mülheim an der Ruhr,Essen 2000, 23–33.

4 Siehe ebd. die verschiedenen Beiträge im Kapitel„Umnutzung und Bestandserhaltung vonMilitärbauten“ (125–180) sowie die Vorstellungvon einigen Konversionsprojekten in: Denkmal-pflege in Baden-Württemberg. Nachrichtenblattdes Landesdenkmalamts 27, 1998, H. 2, 97–115.Vgl. als weiteres Projekt in der Region die Umge-staltung der Freiburger „Vauban-Kaserne“: Selbst-organisierte Unabhängige Siedlungsinitiative(Hg.): Kasernen zu Wohnraum: Quartier Vauban,Freiburg 41995; Schnabel, Bernd/Selle, Klaus/Schirin, Yachkaschki: Einen „nachhaltigen Stadt-teil“ gemeinsam entwickeln? Kooperationen undlernende Planung für die Wiedernutzung desVauban-Areals in Freiburg im Breisgau. In: Müller,Heidi (Hg.): Stadtentwicklung rückwärts! –Brachen als Chance? Aufgaben, Strategien, Pro-jekte. Eine Textsammlung für Praxis und Studium,Dortmund 2003, 241–266.

5 Ein Plan der Infanteriekaserne ist abgebildet beiSchellinger: Kaserne (wie Anm. 2) 33.

6 Richter, Friedrich: Gebäude für militärischeZwecke. In: Durm, Josef u. a. (Hg.): Handbuch derArchitektur, Vierter Theil: Entwerfen, Anlage undEinrichtung der Gebäude, 7. Halb-Band: Gebäudefür Verwaltung, Rechtspflege und Gesetzgebung;Militärbauten, Darmstadt 1887, 464–588, zit. 569u. 574. In der zweiten Auflage dieses Werkes von

1900 ist der Wortlaut identisch geblieben. Sieheauch Kaiser, Stephan: Das deutsche Militärwesen.Untersuchungen zur Kasernierung deutscherArmeen vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zumZweiten Weltkrieg, Lahnstein 1994, 116–121. Fürdiesbezügliche Hinweise danke ich WolfgangSchmidt vom Militärgeschichtlichen Forschungs-amt in Potsdam.

7 Abbildung des Offizierspferdestalls bei Schellinger:Kaserne (wie Anm. 2) 39.

8 Generallandesarchiv Karlsruhe: 456 E.V.129/Bund127. H. 2, 291–296. Siehe auch Schellinger, Uwe:Art. „Des Leutnants Sektkübel“, in: OffenburgerTageblatt vom 16. 4. 1998.

9 Für die Einordnung der Kasernenbetriebe in denallgemeinen stadtgeschichtlichen Zusammenhangsiehe Hermani, Dorothee: Die wirtschaftliche Ent-wicklung der Stadt Offenburg 1919 bis 1933.In: Eisele, Klaus/Scholtyseck, Joachim: Offenburg1919–1949. Zwischen Demokratie und Diktatur,Konstanz 2004, 103–134.

10 Siehe Ruch, Martin: „Ich bitte noch um ein paarSterne …“ Jüdische Stimmen aus Offenburg,Bd. 2, Offenburg 2002, 102–104 (dort Aussagenvon Familienmitgliedern).

11 Abgebildet bei Schellinger: Kaserne (wie Anm. 2),83.

12 Siehe hierzu jetzt Syré, Ludger: Von der Machter-greifung bis zum Kriegsende. In: Eisele/Schol-tyseck: Offenburg 1919–1949 (wie Anm. 9),359–413, bes. 397.

13 Interview vom 27. 4. 1998 mit Herrn S.aus Gengenbach. Die Tonaufnahme sowie dasTranskript des Interviews wurden im StadtarchivOffenburg in der Materialsammlung zum For-schungsprojekt Die Geschichte der Kaserne an derWeingartenstraße (1997/1998) als „Interview VIII“deponiert.

14 Die Verhältnisse in diesem bis September 1945bzw. Februar 1946 bestehenden displaced-persons-Lager in Offenburg sind noch immer unzu-reichend unerforscht. Eine nähere Auseinander-setzung mit dem Thema fehlt auch in einerneueren Studie. Vgl. Borgstedt, Angela: Nach-kriegsalltag in Offenburg 1945–1948/49. In:Eisele/Scholtyseck: Offenburg 1919–1949 (wieAnm. 9) 463–498. Die Autorin betont im Gleich-klang mit der älteren Literatur einseitig die Plün-derungen und Ausschreitungen der ehemaligenZwangsarbeiter/innen, ohne hingegen auf ihreLebensverhältnisse im DP-Lager einzugehen.

15 Archives d’Occupation d’Allemagne et d’AustricheColmar: BADE 1102 (Übersetzung aus demFranzösischen).

16 Huber, Franz: Art. „Offenburg vor zehn Jahren“, in:Offenburger Tageblatt vom 16. 4. 1955.

17 Borgstedt: Nachkriegsalltag (wie Anm. 14) geht aufdiese Episode nicht ein, die m. E. beispielhaft daslabile Gleichgewicht in der Zusammenwirkenzwischen Besatzungsmacht und Stadtbevölkerungzum Ausdruck bringt.

18 Pressemeldung der Stadt Offenburg vom 2. 2.2004.

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19 Offenburger Tageblatt vom 10. 10. 1995; BadischeZeitung vom 10. 10. 1995. Später existierte auchder Arbeitstitel „Kulturhaus“.

20 Siehe einen entsprechende Artikel im OffenburgerTageblatt vom 27. 6. 1995.

21 Das Gebäude ist auf einem Luftbild des „QuartierMontalègre“ noch gut sichtbar. Siehe Schellinger:Kaserne (wie Anm. 2) 119.

22 Ich beziehe mich hier auf den instruktiven Beitragvon Hoffmann, Arnd: Klios „doppeltes Herz“. ZurBedeutung von Lüge und Fälschung in derGeschichtswissenschaft. In: Bendikowski, Till-mann (Hg.): Geschichtslügen: vom Lügen undFälschen im Umgang mit der Vergangenheit,Münster 2001, 15–53, Zit. 21.

23 Irreführend ist auch die Aussage, das Gebäude sei„im Stil einer typischen Reithalle“ erbaut worden,wie nunmehr auf einer Informationstafel am Ein-gang kundgegeben wird. Wie das oben erwähnteHandbuch der Architektur zeigt, gab es 1897/98keinen expliziten „Reithallenstil“, sondern Exer-zierhäuser und Reithäuser unterlagen als Aus-bildungszweckbauten beide den ungefähr gleichenStilvorgaben, die sich aus der jeweils vorgesehenenNutzung ergaben.

24 Mietzner, Thorsten: Art. „1919–1949: Geschichteeiner Stadt von oben“, in: Badische Zeitung vom2. 4. 2004. Es handelt sich hierbei um eine eben-so kritische wie schlüssige Besprechung desneuesten stadtgeschichtlichen Werkes Offenburg1919–1949. Zwischen Demokratie und Diktaturvon 2004. Der Rezensent setzt sich hier mit denFolgen auseinander, die das „erkenntnisleitendeInteresse ,Demokratie‘“ für die Konzeption undAussage dieses Sammelbandes hat.

25 Noch in der ersten Hälfte der 1990er Jahre befass-te sich die offizielle Offenburger Stadtgeschichts-schreibung verstärkt mit den drängenden Fragen

zur Geschichte des Nationalsozialismus. Dochschon seit 1993 wurde mit zunehmenderIntensität der stadthistoriographische Schwer-punkt gewechselt und nunmehr gezielt auf dieForschung zur Geschichte der deutschen revo-lutionären Bewegungen im 19. Jahrhundert aus-gerichtet, in denen man die Vorläufer derdeutschen Demokratiegeschichte sah. Offenburg,das einstige „badische Revolutionszentrum“,beanspruchte hier eine Vorreiterrolle bei der Auf-arbeitung dieser positiven Seite der deutschenGeschichte. Als nachträgliche Programmschrift zudiesem neuen stadtgeschichtlichen Leitthema istanzusehen Fliedner, Hans-Joachim: Eine Stadterinnert sich. Versuch einer lokalen Aufarbeitungdes Erinnerns an die Demokratiebewegung 1847bis 1849, Offenburg 1998. Symptomatisch ist indiesem Zusammenhang das entliehene Motto imersten Satz des vorangestellten Vorworts desdamaligen Oberbürgermeister Dr. WolfgangBruder: „Geschichte kann man nicht verändern.Tradition kann man wählen.“ (ebd. 5). Nur wenigins Gewicht fällt als gewisser Gegenpol zu dieserForschungspolitik Schellinger: Kaserne (wieAnm. 2).

26 Schreiner, Edith: Offenburg – die Stadt derFreiheit. In: Badische Heimat 2/2004, 180 f. Beider Autorin handelt es sich um die Oberbürger-meisterin der Stadt Offenburg.

Anschrift des Autors:Uwe SchellingerMozartstraße 2979104 Freiburg

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„Was eine jahrhundertalte Geschichte imbadischen Raum bildete, wirkt fort.“

Karl Stiefel, Baden 1648–1952, Vorwort

Liebe Mitglieder der Badischen Heimat,liebe Freunde der Zeitschrift Badische Heimat,

älteren Lesern ist noch das Ekkhart-Heftder Publikationsreihe der Badischen Heimatmit seinem badischen Kalendarium in Erinne-rung. Den Tagen und Monaten waren jeweilszwei Seiten zugeordnet, die an den ent-sprechenden Tagen an Geburts- oder Todestagevon Persönlichkeiten im badischen Raumerinnerten. 1988 entschied sich der Vorstanddes Landesvereins, das Ekkhart-Heft in einviertes Jahrgangsheft umzuwandeln. Damitkam der 24 Seiten starke sogenannte badischeKalender auch in Wegfall. Hätte man dasKalenderprogramm fortführen wollen, hätte eslängst umgearbeitet werden oder auf denaktuellen Stand gebracht werden müssen.Diese Aufgabe wollte selbstverständlich nie-mand übernehmen.

Nach nun über 50 Jahren Baden in Baden-Württemberg griff der derzeitige Vorsitzendeder Badischen Heimat, Adolf Schmid, die Ideeeines badischen Kalenders wieder auf, um anPersönlichkeiten zu erinnern, die in Badengelebt und gewirkt haben. Schmid dachtezunächst daran, nach einer Überarbeitung deskalendarischen „Personalbestandes“ an dasPrinzip der Geburts- und Todestage des frühe-ren Kalenders anzuknüpfen.

Schriftleitung und Verlag schlugen im Ver-lauf der Diskussion des Projektes zwei Neue-rungen vor. Da die Nennung bloßer Namen für

den heutigen Leser ohne Bedeutung bleibenmuss, schlugen wir vor, die Namen mit einer„biographischen Notiz“ zu bereichern. Zumzweiten meinten wir, dass nach 50 JahrenBaden-Württemberg der Kalender an beson-dere historische Daten der badischenGeschichte erinnern sollte. Der Erinnerung anPersönlichkeiten in Baden sollte gleich-gewichtig die Erinnerung an die badischeGeschichte an die Seite gestellt werden. So hatsich das Projekt zu einem Kalendarium „Per-sonen und Ereignisse“ entwickelt. Zur An-schaulichkeit und zur Auflockerung werdenden einzelnen Monaten entsprechendes Bild-material beigegeben. Die politischen Ereig-nisse der badischen Geschichte werden über-dies zur leichteren Orientierung mit Signetsversehen. Man sieht, aus dem ehemaligen badi-schen Kalender im Ekkhart-Heft mit 24 Seitenist inzwischen eine respektable Buchpro-duktion geworden! Deshalb ist der BraunBuchverlag auch bereit, das neue Kalendariumsowohl als Doppelheft der SchriftenreiheBadische Heimat wie als Buch herauszu-bringen.

Kosten und Umfang des aufwändigen Vor-habens innerhalb der Heftproduktion desLandesvereins machen es notwendig, im Jahre2006 das Kalendarium als Doppelheft 2/3 imMonat Mai 2006 erscheinen zu lassen. DieMitglieder der Badischen Heimat erhalten dasDoppelheft im Rahmen ihres Mitglieder-beitrages. Wir würden es natürlich begrüßen,wenn die Mitglieder – im Sinne der badischenErinnerungskultur – auch das als Buch vomBraun Buchverlag publizierte Kalendarium fürGeschenke erwerben würden!

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IN EIGENER SACHE

VoranzeigePublikation der Badischen Heimat im Monat Mai 2006:

Von Tag zu Tag, von Jahr zu JahrKalendarium zur badischen Geschichte

Ereignisse und Personen

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ERINNERUNG AN DIEGESCHICHTLICHE „SUBSTANZ“BADENS

Karl Stiefel hat im Vorwort zu seinem zwei-bändigen Werk „Baden 1648–1952“ ge-schrieben:

„Mit seiner Konstituierung hat das Bundes-land Baden-Württemberg die Gesamtnachfolgein alles angetreten, was das Staatsvolk alsTräger der Staatsgewalt durch sein Votum anvorhandener Substanz, an materiellen undimmateriellen Gütern, an geschichtlichenWerten und an Traditionen in das neue Bun-desland einbrachte.“

Die Gesamtnachfolge „in alles“, was anSubstanz, geschichtlichen Werten und Tradi-tionen in das neue Bundesland eingebrachtwurde, ist das eine, eine Gedächtniskultur, diean Substanz und geschichtliche Werte desLandes Baden erinnert, ist das andere. Aus-gezeichnete wissenschaftliche Aufarbeitungender badischen Geschichte liegen inzwischenvor, die neue Folge der Badischen Biographienarbeiten daran, das Gedächtnis an bedeutendeBadener zu bewahren, aber diese anerkennens-werten Bemühungen schaffen von sich ausnoch keine kollektive Erinnerung, keineGedächtniskultur. Helmut Engler meinte zwarin dem Buch „Große Badener. Gestalten aus1200 Jahren“ (1994), dass seit 1952 „dasSelbstbewusstsein und das Gemeinschafts-gefühl der Badener eher gestärkt als ge-schwächt“ worden sei. „Denn ein Land, dasnicht mehr real existiert, unter dessen Namen

keine ,Staatsgewalt‘ ausgeübt wird, hat es ohnedies leichter als ein Land, in dem man lebenmuss.“ Das mag richtig sein, es bleibt abertrotzdem die Aufgabe, die kollektive Erinne-rung an die „Substanz“, die geschichtlichenWerte und Traditionen des Landesteiles Badenzu gestalten und zu pflegen, in dem Wissen,dass Gedächtniskultur „sich nicht selbst orga-nisiert, sondern organisiert werden muss“(Aleida Assmann). Im Normfall wird die Ge-dächtniskultur durch den Staat und die gesell-schaftlich relevanten Gruppen organisiert. Weraber organisiert die Gedächtniskultur in einemLand, das keine eigene staatliche Kultur mehrbesitzt?

Bis zu einem endgültig gemeinsamenGeschichtsbewusstsein der beiden Länder, indas beide Landesteile ihre Anteile an geschicht-licher Substanz selbstbewusst und dauerhafteingebracht haben, muss wohl ein Landesver-ein wie die Badische Heimat die Erinnerungs-kultur übernehmen.

„Was eine jahrhundertealte Geschichte imbadischen Raum bildete, wirkt fort“. Aufgabeder Gedächtniskultur ist, den geschichtlichenUrsprung eines solchen Wirkens und die Fort-dauer dieser Wirkung in die Gegenwartbewusst zu machen und für die Zukunft zusichern.

Um Ihnen, liebe Leser, einen Eindruck vonArt und Umfang der Textbeiträge zu den kalen-darischen Positionen zu vermitteln, haben wirim Folgenden zwei Textbeiträge – einen per-sonenbezogenen und einen geschichtsbezo-genen – ausgewählt.

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23. 2.

1883 Karl Jaspers, Philosoph, in Oldenburg geboren, gestorben am26. Februar 1969 in Basel. Seine Universitätslaufbahn vom Medizinerund Psychiater zum Philosophen bezeichnete Jaspers selbst als„merkwürdig“ und „abnorm“. 1913 habilitierte er sich für Psychologieund war von 1916–1921 Extraordinarius für Psychologie. 1921 wurdeer Professor für Philosophie in Heidelberg, obwohl er nie Philosophiestudiert hatte. So kam er erst „in vorgerückten Jahren“ an das eigent-liche Studium der großen Philosophen. Das philosophische Denken anden Universitäten entbehrte für ihn der existentiellen Relevanz. Unterallen Fachgenossen fand er nur einen, der die Notwendigkeit einerradikalen Erneuerung der Philosophie ebenfalls teilte: Heidegger. Einepersönliche Verbindung der beiden Philosophen bestand in den Jahren Ehepaar Jaspers um 1911

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1920–1933, um dann wegen Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus zu enden. DenGegensatz zu Heideggers Philosophie hat Jaspers in seinen Notizen so formuliert: „Der Gegen-satz zu Heidegger: er beansprucht etwas völlig Neues – und ich lebe in der Auslegung der phi-losophia perennis, lege keinen Wert auf Neuerung.“ Für wohl kaum einen anderen Philosophenspielte die Ehefrau des Denkers – die Jüdin Gertrud Mayer – eine so große Rolle für die Sub-stanz seiner Philosophie: „Die Wahrheit beginnt zu zweit“. „Meine Philosophie wurde inBegriffen von mir ausgearbeitet. Aber in der Substanz ist sie uns gemeinsam“. Bestimmen Zeit,Kontingenz und Endlichkeit das heutige Philosophieren, so sucht Jaspers „das in allen ZeitenZeitlose“. Philosophieren ist für ihn „das Denken, das Leben trägt“. Heidelberg war durch40 Jahre die Heimat des Ehepaares Jaspers. 1948 nahm Jaspers einen Ruf nach Basel an. DasAusbleiben einer Konsequenz des Massenmordes an den Juden, der radikale Abschied vomtotalen Verbrecherstaat, die Isolierung an der Universität vertrieben sie aus Heidelberg.

27. 2.

1848 Bürgerversammlung im Aulasaal des alten Jesuitengymnasiums in Mannheim. Am26. Februar erreichte Mannheim die Nachricht von der Revolution in Paris.Die Bürgerversammlung am 27. Februar beschloss die Absendung einerPetition mit vier Forderungen an den Landtag nach Karlsruhe: Volksbewaff-nung mit gewählten Offizieren, Pressefreiheit, Geschworenengerichte undVolksvertretung beim Bundestag in Frankfurt. Die Bürgerversammlung inMannheim gilt als „erstes Ereignis der deutschen Revolution“ (P. Blastenbrei).Am 29. Februar beschloss eine neue Bürgerversammlung die Übergabe derForderungen in Karlsruhe durch eine Massendelegation.

Heinrich Hauß,Schriftleiter

Kalendarien der Badischen Heimat von 1935 und 1969

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Aktuelle Informationen

SchillerZeit in MannheimSchiller lebte rund ein Jahr und neun

Monate in Mannheim

Ausstellung vom 17. September 2005 bis29. Januar 2006

I. Warum reüssierte Schiller nach dem vielverspre-chenden Anfang der „Räuber“ nicht in Mannheim?

Die Uraufführung von Schillers „Die Räuber“ am13. Januar 1782 war ein überwältigender Erfolg, ein„Paukenschlag“, dass man sich in Anbetracht derfolgenden Jahre Schillers in Mannheim wünschte, „DieRäuber“ hätten nicht den Anfang, sondern das Endeseines Aufenthaltes in Mannheim markiert. „Denn sohat es den Anschein, als habe sich die Erfolgskurve vondiesem theatralischen ,Superevent‘ an nur noch nachunten bewegt, als habe sich das Schicksal gleichsamgeschworen, Schiller in Mannheim beinahe nur nochHindernisse in den Weg zu legen.“ (S. IX). Schiller hatdem Erfolg der „Räuber“ für seine Laufbahn alsDramatiker natürlicherweise große Bedeutung bei-

gemessen, schreibt er dochim Januar 1782 an Dalberg:„Beobachtet hab ich sehrvieles, sehr vieles gelernt,und ich glaube, wennTeutschland einst einenDramatischen Dichter inmir findet, so muß ich dieEpoche von der vorigenWoche zählen“.

„Durch den frühenErfolg seiner Räuber ver-wöhnt, überforderteSchiller mit seiner Hoff-nung, die er in Mannheimund sein Theater setzte, diepolitische und theater-praktische Situation vonStadt und Bühne“ (S. 105),fasst L. Homering dieSituation zusammen. Zu

viel erwartet hatte Schiller auch von Dalberg. „Er soll-te ihn nicht nur aus der Karlsschule und der GewaltKarl Eugens befreien, sondern ihn auch in Mannheimals Theaterdichter anstellen“ (S. 56). Nach SchillersVater Johann Kaspar und Herzog Karl Eugen sah er einneuer Übervater im Intendanten Dalberg (AngelikaWendt, Auf der Suche nach dem verlorenen Vater,S. 53 ff.).

Schillers Mannheim war so ein „Ort des Freiheits-gefühls“ (S. 105), aber auch ein Ort „unrealistischerEuphorie“ (S. 104), „Ort der Emanzipation und desschmerzlichen Erwachsenwerdens“ (S. 103). SchillersZeit in Mannheim ist, abgesehen vom Höhepunkt derRäuber-Aufführung, alles andere als unproblematischfür Schiller. Die Aufsätze des Begleitbuches zur Aus-stellung scheinen uns u. a. sagen zu wollen, dass dasnicht Mannheim anzulasten ist.

Sieht man von der Uraufführung der Räuber undgelegentlichen kürzeren Aufenthalten Schillers inMannheim ab, dann ist die Zeit zwischen dem 23. Juli1783 und dem 9. April 1785 die eigentliche SchillerZeitin Mannheim. Die Aufführung der Räuber war zwar eintriumphaler Erfolg und machte Schiller mit einemSchlage bekannt, die Mannheimer Zeit der Jahre1783/85 ist aber auch von vielerlei Enttäuschungengekennzeichnet.

Schiller hält sich vom 27. Juli 1783 bis zum9. April 1785 durchgehend in Mannheim auf, also etwa20 Monate. Am 1. September 1783 erhält er einen Ver-trag als Theaterdichter am Mannheimer National-theater, der bis zum 31. August 1784 befristet ist undnicht verlängert wird. Schillers Verbindung mit demMannheimer Nationaltheater „begann hoffnungsvollund endete voller Bitternis und Enttäuschung“ (S. 21).Ausstellung und Buch beschäftigen sich deshalbintensiv mit der Frage: „Warum reüssierte Schiller

Das neue Museum Schiller-Haus in B 5,7 –Mannheims erste literarische Gedenkstätte

Foto: Heinrich Hauß

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nach einem so vielversprechenden Anfang nicht inMannheim?“

II. „Glücklich ist Schiller in Mannheim nichtgeworden“ (H. Mayer)

Da war der „ewig am Fiesko herummäkelndeIntendat“ (S. IX) Wolfgang Heribert von Dalberg, eswar derselbe Dalberg, der Schiller riet, „das Schreibenaufzugeben und zur Medizin zurückzukehren“(S. 55). Die Malariaerkrankung im Jahre 1783hinderte Schiller, „seinen Vertragbedingungen alsTheaterdichter im vollen Umfange nachzukommen“(IX). Dazu kam, dass sich Schiller „einem Kreis vonIntellektuellen gegenübersah, die ihre eigenenInteressen verfolgten“ und schließlich wurde Schillerauch noch Opfer „eines unter der Oberfläche bro-delnden Ringens zwischen Freimaurern undIlluminaten“ (S. IX).

Das alles baute sich zu einer „persönlichen und all-gemeinen Konstellation“ auf, die für Schiller schließ-lich so uneinschätzbar wurde, dass seine MannheimerJahre bei genauem Hinsehen fast so spektakulär miteiner Flucht – diesmal zu seinen Gönnern in Leipzig(Christian Gottfried Körner, Ludwig Ferdinand Huberund ihre Verlobten Minna und Dora Stock) endeten,wie sie mit einer Flucht begann. Dabei sah Schilleranfangs in „Mannheim nicht nur ein Stück Freiheit“,sondern das Nationaltheater in Mannheim „als dienotwendige Schule seiner Kunst“ (R. Buchwald).„Glücklich ist Schiller in Mannheim trotzdem nichtgeworden“ (Hans Mayer). „Krankheit, Entbehrungen,Sorgen, Enttäuschungen Erfolge und Hoffnungen“bilden, wie könnte es anders sein, ein vertracktesGanzes. 1765 wird er schreiben: „Ich kann nicht mehrin Mannheim bleiben“. Es ist zum Lobe von Aus-stellung und Buch hervorzuheben, dass sich Aus-stellungsmacher und Autoren bemüht haben, dieSchillerZeit in Mannheim differenziert zu doku-mentieren.

III. Die negativen Umstände können nicht dievielen positiven Erfahrungen schmälern

„All diese Umstände können aber nicht die vielenpositiven Erfahrungen schmälern, die Schiller auch inMannheim gemacht hat“ (S. X). Die Ausstellung unddas Buch „SchillerZeit“ gehen den Spuren nach undbeleuchten Schillers Mannheimer Jahre von unter-schiedlichen Seiten. Als besonderer Beitrag zumSchillerjahr zu werten, ist der Ankauf des Garten-hauses im Quadart B 5,7 der Stiftung für die Reiss-Engelhorn Museen, in dem das „Museum Schiller-Haus“ am 16. September 2005 eröffnet wurde. DieStadt erhält dadurch „erstmals in ihrer Geschichteeine literarische Gedenkstätte“. Das Haus soll inZukunft die „konkrete und dauerhafte Vergegen-wärtigung eines entscheidenden Stücks europäischerTheater- und Literaturgeschichte“ (S. VIII) ermög-lichen.

„Unter den wenigen noch erhaltenen barockenWohnensembles in Mannheim“ nimmt der Komplexeine singuläre Stellung ein. Es lassen sich aber keineBeweise dafür erbringen, dass Schiller in B 5,7 ge-wohnt hat. Das Gartenhaus kann aber „einen authenti-schen Eindruck von den Lebenssituationen in Alt-Mannheim vermitteln“ (S. 181).

SchillerZeit in Mannheim17. September 2005 bis29. Januar 2006Reiss-Engelhorn-MuseumD 5Museum SchillerHaus B 5,7Di.–So. 11.00–18.00 Uhr

Begleitbuch: Schiller-Zeit in Mannheim

Herausgegeben von Al-fred Wieczorek und Lise-lotte Homering. Publikation

der Reiss-Engelhorn-Museen Bd. 16, 2005. VerlagPhilipp von Zabern, Mainz. Preis: 24,80 Euro.

Heinrich Hauß

Johannes Werner

Wilhelm Hausenstein.Ein Lebenslauf

I. „Eine Grundschicht, der ich treu bin“

Seit der Ausstellung „Wilhelm Hausenstein. Wegeeines Europäers“ im Münchner Stadtmuseum 1967und dem dazugehörenden Katalog des DeutschenLiteraturarchivs ist kein Lebensbild des Schriftstellersmehr entwickelt oder präsentiert worden. JohannesWerner, der eine Reihe Aufsätze zum Thema Hausen-stein veröffentlicht hat, hat nun, fast fünfzig Jahrenach dem Tode Hausensteins, einen „Lebenslauf“ des„homme de lettres“, vorgelegt. „Er wurde zum Typ desfreien Schriftstellers, des homme des lettres, wie es ihnin dieser vollendeten Form selten in Deutschlandgegeben hat“, so charakterisierte Robert Minder diebesondere Stellung Hausensteins.

Er war ein letzter Vertreter jener Generation, dienoch im 19. Jahrhundert geboren, bis zur Mitte deszwanzigsten Jahrhunderts aus einer Substanz herauslebte und schrieb. Die lebensprägende Substanz ver-dankte sich im wesentlichen der Verortung in einerLandschaft, dem Schwarzwald, und in zwei Städten,Karlsruhe und München. Sie stärkten in ihm die„Gewissheit, als ein Mensch aus dem deutschen Süd-westen durch die Welt zu gehen“ (Lux Perpetua). Dasklassizistische Karlsruhe seiner Gymnasialzeit (1892bis 1900) gab seinem „Leben eine Grundschicht, derich treu bin“, schreibt er in „Badische Reise“. Was wirverkürzend mit dem Begriff der Substanz bezeichnethaben, ist das, was einem „trägt“ „und täglich,stündlich zur Dankbarkeit stimmt“ (AbendländischeWanderungen). Diese naturwüchsige, selbstverständ-liche Verortung, die wir gemeinhin Heimat nennen,bleibt für Hausenstein ein Leben lang maßgebend, erwar deshalb „in seiner Substanz auf die liebens-würdigste Weise altmodisch“, wie Theodor Heuss ineinem anderen Zusammenhang schrieb, und Heussfügt hinzu: „Denn er war eine noble Natur“ (3. Juni1957). Hausenstein repräsentiert ein „Heimatver-ständnis“, das aus der Verortung eine Lebenssubstanzgewinnt, die sich aber nicht heimattümelnd verengt,sondern offen bleibt für weitere Verortungen. Gegen-wart von Orten, Landschaften verwandelt in Substanz,

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Mannheim hat nach langer Zeitwieder eine

„Kleine Stadtgeschichte“

Wenn ich richtig sehe, dann sind die Publikationenvon Friedrich Walter „Aufgabe und Verantwortungeiner deutschen Stadt“ (1952), Gustav Jakob, „Mann-heim einst und jetzt“ (1959) und Reinhold Rolands„Mannheim“ im Verlag Hermann Emig, Amorbach(1966) die letzten kurgefassten StadtgeschichtenMannheims gewesen. Angesichts des vierhundertstenJahrestages der Stadtgründung Mannheims am27. Januar 2007 ist eine kurzgefasste StadtgeschichteMannheims überfällig gewesen. Eine kleine Stadt-geschichte hat nach dem Verfasser den Vorteil, dass der„exemplarische Charakter Mannheims wie unter einemVergrößerungsglas“ deutlich hervortritt. Denn „dieseStadt hat wie kaum eine andere eine auffällige Vor-reiterrolle in Politik, Wirtschaft und Kultur desdeutschen Bürgertums gespielt“ (S. 9). Der exempla-rische Charakter der Stadt wird deshalb, so kann derAutor mit Recht argumentieren, „nicht nur dasInteresse der geschichtsbegeisterten Mannheimer undKurpfälzer, sondern auch vieler anderer Leser“ wecken.Der Autor, Hansjörg Probst, hat eine zweibändigeGeschichte Neckaraus (1988) geschrieben und ist alsHerausgeber der „Mannheimer Geschichtsblätter.

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die einem trägt, ist eigentlich das, was Heimat meint.Und Hausenstein hat davon in seinen PublikationenZeugnis gegeben. Kein Wunder, dass die Badische Hei-mat Hausenstein schon immer zu den badischenPenaten gezählt hat.

II. Ein Lebenslauf

Johannes Werner hat schon zum hundertstenGeburtstag und fünfundzwanzigsten Todestag Hausen-steins im Jahre 1982 einen Anriß seines Lebenslaufes imEkkhart-Heft 1981 publiziert. Er sah damals den Aufsatzals „eine Vorarbeit zu der fehlenden und längst fälligenHausenstein-Biographie“. Nach fast fünfundzwanzigJahren hat der Autor nun die „Vorarbeit“ einmündenlassen in das Buch „Wilhelm Hausenstein. Ein Lebens-lauf“. Warum Lebenslauf und nicht Biographie?Vielleicht hat Franz Bleis Einschätzung Hausensteinsals „des schnellsten derzeit lebenden Schnellläufers“(„Großes Bestiarium der Literatur“, 1924) eine Rollegespielt? Wie auch immer, „Lebenslauf“ scheint denBlick vornehmlich auf Abläufe und deren schnelle Folgerichten zu wollen (Am Ende des Buches auf Seite 226spricht der Autor von der „vorgelegten Biographie“).Dafür mag sprechen, dass Hausenstein nach der Dar-stellung des Autors „vieles nacheinander oder sogarnebeneinander her“ war: „Historiker, Literaturhis-toriker, Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Kunstsoziologe,Kunstschriftsteller, Reiseschriftsteller, Journalist, Essay-ist, Erzähler, Herausgeber, Übersetzer, Diplomat“ (Seite174). Ebenso vielfältig sind seine literarischen undpolitischen „Erscheinungsformen“ als „Außenseiter,Entdecker, Vorgänger, Vorkämpfer, Schrittmacher,Bahnbrecher, Wegbereiter, Brückenbauer, Grenzgänger,Gratwanderer, Wanderer zwischen den Welten“ (Seite174). Das Leben Hausensteins war so „ein bewegtesLeben“, und man ist versucht, zu sagen „schnellläu-figes“ Leben, auch weil es sich über viele, schnell auf-einanderfolgende Epochen erstreckte: Vom Kaiserreichüber den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, dassogenannte Dritte Reich, den Zweiten Weltkrieg bis indie Bonner Bundesrepublik. Der Vers Saint-John Perse:„Se hâter, se hâter! Parole de vivant!“ („O rasch sein,rasch sein! Wort des Lebendigen“) scheint auf Hausen-steins Karriere zu passen. „In 15 Jahren rund 40 Bücher,um von den unzähligen Aufsätzen, Artikeln usw. nichteinmal zu reden“ (Seite 104).

Die Lebensgeschichte Hausensteins ist imwesentlichen eine Geschichte seiner Buchpublika-tionen. Und so müssen denn die Stationen des Lebens-laufes weitgehend zu einem curriculum librorumwerden. „Er war immer und vor allem einer, derschrieb, der viel schrieb und gut schrieb“ (S. 174), aberer lebte auch vom Schreiben. Es ist einigermaßenschwierig, zwischen der möglichst vollständigenAnführung der Publikationen und einer eingehendenWertung der einzelnen Werke die Balance zu haften.Da es aber galt, die für einen Lebenslauf vorgesehenen„Proportionen“ (S. 226) einzuhalten, musste aufDetailstudien zu Themen und Stil der Kunstbücherverzichtet werden. Erschwerend für eine RezeptionHausensteins ist die Tatsache, dass nach dem VLB(Verzeichnis aller lieferbaren Bücher) kein BuchHausensteins heute im Buchsortiment erhältlich ist.Werner sah es deshalb als eine „Absicht dieser Dar-stellung, den Schriftsteller Hausenstein selber zu Wortkommen zu lassen“ (S. 174).

Woran liegt es, dass die Bücher Hausensteins aufdem Buchmarkt nicht mehr präsent sind? Mit Hausen-steins eigenen Worten gefragt, was ist nach dem„Bruttobilde des Subjektiven“ der Bücher im „Netto-bilde des Objektiven“ der Nachwelt (EuropäischeHauptstädte) übriggeblieben? Hängt es damit zu-sammen, dass Hausenstein vor allem einer war, deretwas bewirkte, bewegte, dabei selbst „fast unsichtbar“blieb (S. 173)? „Von den vielen Namen derer, die mitihm Umgang hatten, wird sein eigener verdeckt oderdoch verdunkelt“, schreibt Werner. Wenn dieseBeobachtung richtig ist, dann müsste eine Arbeit zum„kulturpolitischen“ Einfluss Hausensteins in denzwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahr-hunderts geschrieben werden!

Mit dem Autor sind wir der Meinung, dass die „vor-gelegte Biographie“ nicht so zu verstehen ist, als wollesie die Forschung zu Wilhelm Hausenstein ab-schließen, sondern vielmehr als Anstoß, sie auf ver-

schiedenen Ebenen mitverschiedenen Mitteln fort-zusetzen. Wer wäre fürdieses Vorhaben geeigneterals Johannes Werner?

Johannes Werner, Wilhelm Hausenstein. Ein Lebenslauf, 227 Seiten, 19 Abb.Iudicium Verlag – 81310 München, Postfach 701067. Preis: Euro 18.00.

Heinrich Hauß

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Neue Folge“ der kompetente Autor für das Unter-nehmen. Die verschiedenen Epochen der GeschichteMannheims ordnet der Autor in überschaubarenKapiteln an, die durch Quellen (Aus den Quellen S. 37),historischen Informationen (S. 64) oder Zusatz-informationen (Mannheimer Schloss, S. 75) auf-gelockert werden. Die Glanzzeit Mannheims – Mann-heim: Pfälzische Residenz und Hauptstadt (1720–1778)nimmt mit ca. zwanzig Seiten einen ihr zustehendenPlatz ein. Gehörte doch Mannheim in diesen Jahr-zehnten „zu den europäischen Städten, die manbesucht haben musste“. 1802/03 verliert Mannheimseine Hauptstadtfunktion und rückt an den äußerstenRand des neugebildeten Großherzogtums Baden, sodass bis heute seine Gemarkungsgrenze größtenteilsauch die Landesgrenze bildet.

In der „Zeit der Revolution von 1848/49“ in Mann-heim kann die Bürgerversammlung am 27. Februar1848 im Aulasaal des alten Jesuitengymnasiums als„erstes Ereignis der deutschen Revolution“ (P. Blasten-brei) gewertet werden. Nach der ResidenzverlegungCarl Theodors nach München (1778) erlebt Mannheimerst wieder in der Zeit zwischen 1860 bis 1914 ein„zweites goldenes Zeitalter“. Die „Kleine Stadtge-schichte“ schließt mit der „Entwicklung der Stadtnach 1945“ und den Leistungen der Oberbürger-meister Hermann Heimerich (1949–1955), HansReschke (1955–1972) und Ludwig Ratzel (1972–1980).

Die neueste Zeit unter den BürgermeisternWilhelm Varnholt (1980–1983) und Gerhard Widder(seit 1983) sieht der Autor „von sehr wider-sprüchlichen Tendenzen geprägt“ (S. 144): Rückgangder Einwohnerzahl (325 000), hoher Ausländeranteil(67 000 aus 150 Nationen), Abnehmen der industri-ellen Produktion, überdurchschnittlich hohe Arbeits-losigkeit (22 000).

Dieser düsteren Bestandsaufnahme steht aberpositiv gegenüber der Bahn-Verkehr (Fahrgastauf-kommen über 700.000 täglich), der S-Bahn-Verkehr desRhein-Neckar-Dreiecks, die Entwicklung Mannheimszu einem überregionalen Einkaufszentrum, die „glän-zende kulturelle Entwicklung“ (S. 147) und die„Errichtung einer Pop-Akademie“. So bietet Probstnicht nur einen historischen Überblick über die Ver-gangenheit Mannheims, sondern bezieht auch diegegenwärtige „Umbruchsituation“ in seine Betrach-tungen mit ein. Mannheim wurde in seiner relativkurzen Geschichte viermal zerstört (1644, 1689/94,1795 und 1943) und wieder aufgebaut. Das gibt Hoff-nung für die Zukunft, denn wenn man in die „Ver-

gangenheit blickt“, so derAutor, war sie „nie leichterals der Gegenwart“ (S. 150).

Für die „Kleine Stadt-geschichte“ hat Probst eineZeittafel erarbeitet. Orts-und Personenregister ver-vollständigen die Publika-tion.

Hansjörg ProbstKleine Mannheimer Stadt-geschichteVerlag Friedrich Pustet,Regensburg2005, Preis: 12,90 Euro.

Heinrich Hauß

Kürnbach/Baden –und die „badische Kelter“

Eine beispielhafte denkmalpflegerischeLeistung

Die Gemeinde Kürnbach in der NachbarschaftBrettens wurde um 1287 erstmals urkundlich erwähnt,hatte eigenen Adel (Liebenstein, Sternenfels, Balz-hofen) und eine selbständige Pfarrei. Von den Grafenvon Katzenellenbogen kam der Ort 1479 teilweise andie Landgrafen von Hessen, teilweise an Württemberg,das aber 1810 seinen Anteil an das GroßherzogtumBaden abtrat; es blieb also das Kondominat, diegemeinsame Souveränität über die beiden Staaten,gemeinsam „gehöriges“ Gebiet – bis 1904: Per Staats-vertrag wurde die badische Gemeinde Kürnbach kon-stituiert.

Die letzten Zeugen dieser politischen Ausnahme-situation sind Keltern, große Fruchtpressen, in denenWeintrauben und andere Früchte verarbeitet wurden.Kürnbach hatte früher mindestens 4 Keltern, übriggeblieben sind eine „Hessenkelter“ und die „badischeKelter“. Die Gemeinde ist heute stolz darauf, dass imRahmen der Dorfentwicklungsmaßnahmen 1965 die„Modellgemeinde“ begonnen hat. Programm zur Ent-wicklung des ländlichen Raums (ELR) eine Finan-zierungsgrundlage zu schaffen für wichtige Aus- undUmbaumaßnahmen. 1999 wurde das alte Anwesen mitder alten Kelter vom Landesdenkmalamt als „bedeu-tendes Kulturdenkmal“ eingestuft; statt der Abbruch-genehmigung verfügte die Behörde ein Erhaltungs-gebot.

Erhaltung oder Abbruch?

Lange war überlegt worden, ob Erhaltung oderAbbruch dieses ortsgeschichtlich bedeutsamen Bau-werks zu vertreten sei. Die Entscheidung des Landes-denkmalamtes zeigte der Gemeinde Kürnbach den ein-zig richtigen Weg. Der Gutachter und Planer, Dipl. Ing.Konieczny, stellte fest: „Die zentrale architektonischeAufgabe besteht darin, dass auf einer sehr be-schränkten Nutzfläche, unter Berücksichtigung derbauhistorischen Gegebenheiten, eine gute funktionelleund kostengünstige Lösung erhalten werden soll.“

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Das „Deutsche Nationalkomitee für Denkmal-schutz“ hat ihre Linie eindeutig fixiert: „Jedes Kultur-denkmal, das heute zu Grunde geht, ist verloren. Waswir jetzt nicht erhalten, kann nie mehr gerettetwerden. Was wir jetzt versäumen, kann keine künftigeGeneration nachholen. Für diese Aufgabe gibt es keinAusweichen.“

Kürnbach erhielt Beihilfen aus dem ELR-Pro-gramm, einen Zuschuss aus dem Ausgleichsstock undvom Landesdenkmalamt, insgesamt 363 820 Euro. ImOktober 2003 begannen die Erd- und Maurerarbeiten,die Erschließung von Wasser/Abwasser, Dachdecker-arbeiten, Innenausbau, Außenanlagen. Im Januar 2005war die „Badische Kelter“ hergestellt bzw. vorbildlichsaniert, mit einem Foyer in Metall-Glaskonstruktionund einen ca. 100 m2 großen Saal, der gut 100 PersonenPlatz bietet und eine angenehme Atmosphäre dazu.

Herzlichen Glückwunsch!

Die „Badische Kelter“ prägt das Ortsbild, hält denOrtskern, die Ortsgeschichte lebendig, bietet vielekommunale Nutzungsmöglichkeiten. Die KürnbacherBürger haben beachtliche Eigenleistungen beim Aus-bau dieses Baudenkmals erbracht, ihr bürgerlichesEngagement hat dies möglich gemacht, beispielhaftwurde so ein Zentrum des Miteinanders einer aktivenDorfgemeinschaft geschaffen. Die Kürnbacher habennun ihr Bürger- und Kulturhaus – dank ihrer Verant-wortung gegenüber dem geschichtlichen Erbe ihrerHeimatgemeinde. Adolf Schmid

„Alemannentag“ in Wittnau, einNachbarschaftstreffen

Es war nicht historisch zwingend, was der aus demSudetenland stammende Bürgermeister Pache alsBürgermeister von Wittnau vor Jahrzehnten inszenierthat: Ein jährlicher „Alemannentag“ in traditionellerGestaltung, ein besinnlich froher Volkstumstag undmit Vorträgen in alemannischer Mundart – inzwischendurch eine sympathische, stabile Tradition verwurzelt!Dafür sorgten schon der ehemalige BürgermeisterErich Birkle, in Sachen Folklore und „Muettersproch“und Heimatgefühl sehr aufmerksam und dienstwillig –

und sein heutiger Nachfolger Enrico Penthin. Der Tagin Wittnau begann mit einem gemeinsamen Gottes-dienst in der St. Gallus Kirche mit sehr schönenSzenen und Gedanken zum Erntedankfest. Daranschloss sich eine bunte Mundart-Matinee an – mitGedichten und Geschichten der Gruppe „Schirmberg-Batzeberg-Hexetal“ der Muettersproch-Gesellschaft,fröhlich umrahmt von der Wittnauer Trachtenkapelle.Nach einem guten „badischen Mittagessen“ wurde denGästen ein vielseitiges Programm geboten, sehrerfreulich präsentiert von der Trachtengruppe des„Verkehrs- und Trachtenvereins“ unter dercharmanten Leitung von Silvia Steiert.

Einen besonderen Höhepunkt brachte das pro-grammatische, wohl durchdachte Konzert vonRobert-Frank Jakobi, der willkommene Chansonnieraus dem Elsass, der schon vor Jahren von einer fach-kundigen Jury zum besten deutsch-französischenChansonnier gewählt wurde. Zusammen mit AnitaPirman am Akkordeon zeigte er ein weites, sehransprechendes Repertoire, dem wir gerne bestätigen:„Seine Lieder und die Art, wie er sie vorträgt, sindvoller Wärme, voller Menschlichkeit und voller Hoff-nung. Sie regen zum Mitfühlen und zum Mitdenkenan; sie zeigen jungen Menschen den Weg, und stärkenjeden, der positiv denkt“. Die französische Zeitung„France-Soir“ brachte es auf den Punkt: „Unser besterBotschafter in Deutschland“.

Jakobi hat schon viel Applaus und Anerkennunggefunden, weil er mit seiner Musik, die er liebens-würdig und engagiert vorträgt, Brücken zu bauen ver-steht – vor allem über den Rhein hinweg, mit eigenenLiedern oder mit Musik von Moustaki, Brassens,Ferrat, mit den schönsten Liedern von Jacques Brel.Er weiß, wie stark Musik verbindet, wie Musik dieWege zur Freundschaft ebnen kann. „Les DernièresNouvelles d’Alsace“ bestätigten ihm: „Es gibt keinenZweifel, in ihm schlagen zwei Herzen, eines für Frank-reich, das andere für Deutschland“. Jakobi ist wirklichein begeisternder Sänger, ein sympathischer Botschaf-ter für den Frieden in Europa – und sein Konzert warein geistreicher Ohrenschmaus.

Der Freiburger Regierungspräsident Dr. Sven vonUngern-Sternberg hatte die Schirmherrschaft überden „Alemannentag“ mit diesem außergewöhnlichenbadisch-elsässischen Freundschaftskonzert aus vollerÜberzeugung übernommen. Seine Anerkennung fürsolche Begegnungen, die speziell der badisch-elsässi-schen Nachbarschaft breitere Brücken bauen können,galt den Veranstaltern, natürlich in besonderer Weiseden sympathischen Gästen aus dem Elsass.

Adolf Schmid

Albert Finck wurde am 9. Juli 1895 in Bretten ge-boren. Sein Vater hatte eine Ausbildung an der Landes-bauschule abgeschlossen, konnte aber seinen Beruf alsBaumeister wegen der wirtschaftlichen Verhältnissenicht aufnehmen.

Seine schulische Ausbildung beendete Albert Finckin Bretten und seine seminaristische Ausbildung in

Biographie von Prof. Albert Finck9. Juli 1895 – 15. Januar 1958

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Villingen und Freiburg miteinem staatlichen Zeichen-lehrerexamen. Nach einemvierzehntägigen Kriegs-einsatz (1914) in Frankreichkehrte er von dort als„Schwerkriegsverletzter“ inseine Heimatstadt Brettenzurück.

Es folgte nun einekünstlerische Weiterbil-dung an der Kunstakademiein Karlsruhe und der Aka-demischen Hochschule fürBildende Kunst in Berlin.

Hier beteiligte er sich unter anderem an Seminarenvon Professor Sörensen (Architektur) und ProfessorJünkel (Kirchliche Kunst). Während seiner Berufsaus-übung als Kunsterzieher an Gymnasien in Pforzheim,Bruchsal, Mannheim und Karlsruhe wurde er wegen„überdurchschnittlicher künstlerischer Leistungen“Meisterschüler bei Professor Bühler an der Kunstaka-demie in Karlsruhe. Vorlesungen und Seminare vonProfessor Wulzinger (Psychologie und Geschichte)erweiterten seine künstlerischen Erkenntnisse. Indieser Zeit wurde er Mitglied im Verein für kirchlicheKunst.

Von 1928 bis 1958 war er Professor am Staatstech-nikum in Karlsruhe (heute Hochschule für Technik).1930 unternahm Albert Finck mit Genehmigung undUnterstützung des Ministeriums für Kultus und Unter-richt eine Studienreise nach Italien. Hierbei besuchteer vor allem Florenz und Rom.

Das künstlerische Schaffen von Albert Finck warbreit gefächert: Landschaftsmalerei, Stilleben und Por-traits in Öl und Aquarelltechnik (z. B. auch eineSammelmappe mit Farbdrucken von Aquarellenherausragender Objekte badischer Städte); Linol-drucke (Serie mit Motiven des Maulbronner Klosters);Stiche und Zeichnungen rundeten das Werk ab. Bild-hafte Wandgestaltungen mit Majolikafließen hat eru. a. in Baden-Baden, Bretten und Karlsruhe gestaltet.

Eine wissenschaftliche Arbeit (1936) über „Boden-ständiges Bauen im Schwarzwald und in der Baar“wurde in Kurzfassungen in Fachblättern veröffentlicht(„Die Gewerbeschule“, „Die badische Schule“ 1937), imVerlag Dr. Max Jänecke Leipzig ein Werk „Das Frei-handzeichnen an den Bauschulen“ herausgebracht(1942). Eine überarbeitete Kurzfassung hiervonerschien in „Baden“-Monographie einer LandschaftVerlag G. Braun Karlsruhe (1953).

Künstlerische Projekte verbanden ihn mit Verlagenwie F. Bruckmann – München, Kunstdruckerei Künst-lerbund – Karlsruhe, Ernst Kaufmann – Lahr u. a.

Eine besonders intensive Beschäftigung mit derGlasmalerei und der Kunstverglasungstechnik war derAuslöser dafür, dass Albert Finck von der Glasmaler-innung Baden zum „Künstlerischen Beirat“ ernanntwurde.

Viele seiner Werke (Kirchenfenster, Kirchen-einrichtungen, Fresken und Tafelbilder) sind beson-ders in Kirchen der Evangelischen Landeskirche inBaden zu finden. Hier kann man gut seine künst-lerische Entwicklung verfolgen.

Seine Verbindung zur Göttlichen Schöpfung, derNatur, findet sich in jedem seiner Werke, meist inForm einer Blume, realistisch oder stilisiert dar-

gestellt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass AlbertFinck in seiner Zeit auch ein gefragter Landschafts-maler war. Seine Bilder entstanden überwiegend infreier Natur und nicht im Atelier. Er beschickte, außerGalerien (in Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg, Baden-Baden u. a.) auch Ausstellungen wie im MarkgräflichenPalais in Karlsruhe, dem Karlsruher Kunstverein undim Haus der Kunst in München. Er war nach 1945 Mit-glied der „Notgemeinschaft der Deutschen Kunst“ undseine Bilder wurden in Ausstellungen dieser Ein-richtung gezeigt.

Albert Finck starb am 15. Januar 1958 in Karls-ruhe-Durlach Klaus Finck

Prof. Dr. Wolfgang E. Stopfelwurde 70

Der ehemalige Amts-leiter des Landesdenkmal-amtes Baden-Württembergin der Außenstelle Freiburg,feierte am 23. 9. 2005 sei-nen Siebzigsten Geburtstag.Nach einem Studium derKunstgeschichte in Eisen-ach und Jena war er 34Jahre in der FreiburgerDienststelle erfolgreich fürdie Denkmalpflege tätig.Viele Freiburger kennenund schätzen den ehemali-

gen praktischen Denkmalpfleger als engagiertenExperten für das Freiburger Münster oder als Gut-achter beim Wiederaufbau der ehemaligen Deutsch-ordenskommende in Freiburg. Zu seinen herausra-gendsten beruflichen Erfolgen gehörte die Ernennungder Klosterinsel Reichenau zum UNESCO-Welterbe.Seine außerordentliche Sachkenntnis kommt heutenoch den Studenten der Albert-Ludwigs-Universität zuGute, wo er in regelmäßiger Lehrtätigkeit am Kunst-historischen Institut Kunsthistoriker zum ThemaDenkmalschutz und -pflege ausbildet. Es bleibt zuwünschen, dass Prof. Stopfel weiterhin in Gesundheitund mit wissenschaftlichem Elan für die Belange derDenkmalpflege wirbt.

Joachim Müller-Bremberger

Das Adelsprädikat für Bad Krozingen: Stadterhebung

Ministerpräsident Günther Oettinger überbrachteam 30. September 2005 persönlich Bad Krozingen dieErnennungsurkunde zur Stadterhebung; der ent-sprechende Kabinettsbeschluss der Stuttgarter Lan-desregierung stammte vom 1. September. Bad Kro-zingen, diese rasch gewachsene Gemeinde (1966: 5100Einwohner) an der Schnittstelle zwischen Breisgauund Markgräflerland mit ihren jetzt 16 000 Einwoh-nern, wurde erstmals genannt 807 als „Scrozzinca“,

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war im 12. Jahrhundert im Besitz des Klosters St.Trudpert und dessen Klostervögte von Staufen, später(1325) kam die Vogtei an die Snewlin von Landeck unddie Freiherren von Pfirt. Auch St. Blasien besaß hiereinen Propsteihof (1578 erbaut), in dem z. B. der großeHistoriker Marquard Herrgott als St. BlasianischerPropst 1762 gestorben ist.

Die Gemeinde entwickelte sich langsam, ent-sprechend ihren ländlichen Strukturen und Möglich-keiten. Die Eisenbahn brachte dem Dorf neue Kon-takte, aber der Aufschwung von Gewerbe oder Indus-trie ließ auf sich warten. Die Geologen der groß-herzoglichen Verwaltung verbreiteten aber um dieJahrhundertwende vom 19. zum 20. neuen Optimis-mus, dass man – wie im Nachbarland Elsaß –Bodenschätze gewinnen könne: vielleicht sogar Öl oderKali wie im benachbarten Buggingen. Am 25. Novem-ber 1911 geschah es fast als Wunder, in Krozingen roches auf einmal nach Thermalwasser. Und einigeKrozinger Bürger verstanden dieses Naturphänomensehr rasch als Chance. Die Anfänge waren naturgemäßnoch bescheiden, immerhin aber standen 1938 bereits400 Gästebetten in Krozingen, 60 000 Übernachtungenwurden gezählt, über 100 000 Bäderanwendungen. Derfolgende Krieg stoppte die Entwicklung.

Nach Kriegsende entwickelte sich ein neuesGesundheitsbewusstsein, die „Zivilisationskrankhei-ten“, schleichende Folgen ungesunder Lebensweisenverstärkten sich. Die Heilbäder vermittelten die Hoff-nung, Kranke wieder in Arbeit und soziales Leben zuvermitteln. Als Thermalwasser gegen Fehlernährungund Bewegungsmangel und Stress.

1951 wurde in Bad Krozingen das St. Theressen-bad als erstes großes Kursanatorium gebaut. Derdamalige Bürgermeister Herbert Hellmann freute sich:„Es wuchsen in bewußter Reihenfolge das neue Kur-mittelhaus, das Quellsprudelbad, balneologische For-schungsinstitut, der kleine Kursaal, die Trinkhalle undder weit angelegte Kurpark …“. Eine völlig neueEpoche begann in Bad Krozingen mit dem Bau einesRehabilitationszentrums für Herz- und Kreislauf-kranke. Alle verfügbaren Disziplinen von der koronar-ärztlichen Betreuung bis zum psychologischen undsozialen Dienst sollten am Bett des Patienten koordi-niert werden.

Das heutige Herz-Zentrum Bad Krozingen unterder Leitung von Prof. Neumann mit 850 Mitarbeiternwurde zu einem „Modell auf hohem wissenschaftlichenund technischen Niveau, das in ganz Europa Wir-kungen zeigte. Es setzte aber vor allem auch für dieweitere Entwicklung in Bad Krozingen Maßstäbe“. Soblieb Bad Krozingen – trotz aller „Kostendämpfungs-maßnahmen“ – optimistisch: „Wir sind in Deutschlandführend. Und das wollen wir auch bleiben, und zwar imSinne unserer Patienten“. Im Übrigen wuchs auch dieVernetzung zwischen dem Herz-Zentrum und denübrigen Kliniken und Einrichtungen in Bad Krozingen,etliche Personalstellen wurden freilich doch gestrichen.Natürlich beeinflusst dieser medizinische Erfolg dieganze Gemeinde, „Natürlich“ hat Bad Krozingen auchein Gymnasium, der Badepalast „Vita Classica“ erhältim Frühjahr ein weiteres Außenbecken. BürgermeisterDr. Ekkehart Meroth kann sich einen hauptamtlichenWirtschaftsförderer leisten. Keine andere Gemeinde imUmland weist einen höheren Zuzug in die Kurstadt aus.Diese Attraktivität ergibt sich auch aus dem hohen Frei-zeitwert, dem erstaunlich guten kulturellen Angebot

(wie z. B. den Schlosskonzerten). Das „Festwochen-ende“ 30. September – 2. Oktober 2005 mit Festreden,Ausstellungen, Bürgerempfang, kulinarischem Marktund ökumenischem Gottesdienst war eine Labsal fürKörper und Geist. Man spürte auch den Krozinger All-tag, dass „aus dem einstigen reinen Kurort heute einvielfältiger Erholungsort“ geworden ist. „Das Beste aberist das Wasser“, behauptete der griechische DichterPindar vor 2½ tausend Jahren. In Bad Krozingen gibt’sdazu keinen Widerspruch. Adolf Schmid

Straßburg 1605Geburtsort des Journalismus

in Europa

Die erste Zeitung, die in der Welt gedruckt wurde,erschien in Straßburg. 1434 war Johann Gensfleisch,gerade 30 Jahre alt geworden, aus seiner VaterstadtMainz geflohen vor Bürgerkriegsunruhen – um sich inStraßburg in der Nähe der Kirche St. Arbogast ein-zurichten. Und um dort – unter dem geheimnisvollenDecknamen „Kunst und Adventur“ – eine „künstlicheSchrift“ zu entwickeln.

Natürlich gingen viele auf Spurensuche nach denAktivitäten des Zugewanderten. Eine Frau klagte z. B.vor dem Kirchengericht, er habe sein Eheversprechennicht gehalten. Eine Rechnung belegt, dass er pro Jahran die 2000 Liter Wein bestellt hat usw. Viel folgenreicherwar es, dass in Straßburg die Kunst mit den beweglichenLettern immer weiter entwickelt wurde. Gewiss, die erstegedruckte Bibel erschien 1454 in Mainz. Aber die erstengroßen Bucherfolge wie z. B. „Das Narrenschiff“ vonSebastian Brant fanden statt in Straßburg. Straßburgwurde zu einem Zentrum für das Druck- und Verlags-wesen und das Interesse an Gedrucktem wuchs.

Die Zeit war reif: 1605 veröffentlichte der Straß-burger Drucker Johann Carolus die erste Zeitung mitBerichten aus Europas großen Städten: 4 Seiten, 20 x15 Zentimeter im Format. (Leider sind uns heute nur

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noch als früheste Ausgaben, die von 1609 erhalten).Und dies Woche für Woche.

Jean-Pierre Kintz, emeritierter Straßburger Pro-fessor, hat die Geschichte der ersten Wochenzeitungder Welt aufgezeichnet, dabei auch die Entwicklung imübrigen Deutschen Reich geschildert:1609 wurde z. B.in Wolfenbüttel bei Braunschweig eine Zeitungpubliziert. Erstaunlich war die Kürze der Postwege –und damit der Zeiten, die für den Transport von Nach-richt und Zeitung einzukalkulieren war.

Französischer Originaltitel: Relation – et Stras-bourg inventa la presse. Ed.: Ville de Strasbourg. Textede Jean-Pierre Kintz, Préface de Fabienne Keller etRobert Grossmann. Edition François Miclo: Strasbourg2005, 62 Seiten.

J.-P. Kintz ist Prof. em., F. Keller ist die Bürger-meisterin von Strasbourg und Robert Grossmann istder Präsident der Communauté urbaine de Strasbourg.

Adolf Schmid

Denkmalschutzpreis 2005

Der Denkmalschutzpreis 2005, den die BadischeHeimat, der Schwäbische Heimatbund und dieDenkmalstiftung Baden-Württemberg ausgelobt ha-ben, geht an Preisträger in Stuttgart „Gesindehaus“,Baujahr 1800; in Schwäbisch Hall „Hohes Haus“, Bau-jahr 1396; „in Kressbronn“ Bäuerliches Einhaus, Bau-jahr 1824.

Im Bereich Baden werden ausgezeichnet: a) dasHermann-Hesse-Haus, Baujahr 1907 in Gaienhofen,b) der Gasthof „Goldene Krone“, Baujahr 1757 in SanktMärgen.

Die Preisverleihung findet am 7. November inSchwäbisch Hall statt.

Kunst der 20er Jahre in Karlsruhe10. Dezember 2005 – 12. März 2006

Karlsruhe avancierte in den 20er Jahren zu einemweithin ausstrahlenden Zentrum des kritischenRealismus und der Neuen Sachlichkeit. Darüber hinausblieben hier jedoch auch andere, tradierte Strömungenlebendig, insbesondere am Naturalismus und Impressio-nismus orientierte Richtungen, vereinzelt auch expres-sive Tendenzen. In der Ausstellung werden zum erstenMal die unterschiedlichen Facetten der KarlsruherKunst in diesem spannungsvollen, von Widersprüchengeprägten Jahrzehnt in einem repräsentativen Überblickvorgestellt. Die mehr als 350 Exponate umfassendeSchau zeigt herausragende Werke der Malerei, Grafikund Bildhauerei sowie zeitgenössische Fotokunst.Städtische Galerie Karlsruhe, Lichthof 10Lorenzstraße 27, 76135 KarlsruheTel. 07 21/1 33-44 01, www.staedtische-galerie.deMi 10–20 Uhr, Do–Fr 10–18 Uhr, Sa–So 11–18 UhrEintritt 7 €

Carsten Höller, Y, 2003, Installation View „Delays and Revo-lutions“, 50th Venice Biennale, 2003, Thyssen-BornemiszaArt Contemporary, Vienna, © VG Bild-Kunst, Bonn 2005

Foto: Attilio Maranzano/Thyssen-Bornemisza, Art Contemporary, Vienna

Georg Scholz Wilhelm Schnarrenberger

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In Memoriam

Otto Bernhard RoegeleUniv.-Prof. Dr. med. Dr. phil. Dr. h.c.

Otto Bernhard Roegele, am 6. August 1920 in Heidelberg geboren, ist am7. September 2005 in Bergisch Gladbach gestorben.

Seit 1950 war Professor Roegele, der überzeugter Badener war und der trotzseiner beruflichen Tätigkeit in anderen deutschen Regionen immer engeBeziehungen zu seiner Heimat unterhielt, auch Mitglied unseres Landesvereins„Badische Heimat“. Es waren insbesondere die Nachkriegsjahre, als in dendeutschen Besatzungszonen vor allem im Südwesten die föderalistische Neuglie-derung so heftig umstritten war, wo Otto B. Roegele vehement und mit demganzen Einsatz seiner journalistischen Möglichkeiten die Wiederherstellung desalten badischen Staates wieder erreichen wollte.

Wenige Badener haben so wie Roegele gekämpft, um der badischen Traditionauch nach der Zäsur von 1945 wieder eine sichere – badische – Zukunft zu geben.Durch Vermittlung von Professor Paul-Ludwig Weinacht hat Otto B. Roegele dasganze historische Material der Auseinandersetzungen um den „Südweststaat“ – essind acht dicke Ordner! – unserem Archiv in Freiburg anvertraut; dort wartet derRoegele-Nachlass auf kompetente Bearbeitung (dies sei als Angebot verstanden!)

In vielen Nachrufen wurde Roegeles beeindruckende Biographie gewürdigt. Dergebürtige Heidelberger studierte nach dem Abitur Philosophie, Geschichte undMedizin in München, Heidelberg, Erlangen und Straßburg. Nach dem Kriegpraktizierte er zunächst als Arzt, aber sein kulturpolitisches Engagement drängteden leidenschaftlichen „Kommunikationswissenschaftler“ mit dem ausgeprägtenGespür für die große publizistische Verantwortung rasch zum Journalismus. Erwurde 1949 Chefredakteur, 1963 Herausgeber des „Rheinischen Merkur“. Erwurde auch Mitbegründer des Instituts zur Förderung des publizistischen Nach-wuchses in München, wurde Berater der Öffentlichkeits-Kommission derdeutschen Bischofskonferenz. 1963 übernahm Otto B. Roegele an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Professur für Zeitungswissenschaft. SeineInitiative war entscheidend, dass der (katholisch orientierte) „Rheinische Merkur“mit der (protestantisch geprägten) „Deutschen Zeitung – Christ und Welt“ koope-rierte. Auch nach der Emeritierung (1985) blieb Roegele den Problemen undMöglichkeiten des Journalismus zutiefst verbunden, es ging ihm dabei vor allemum die ethischen Fragen, die mit der bunten Welt der publizistischen Meinungs-macher verbunden sind.

Wir werden unserem Mitglied, unserem Landsmann, der die kulturpolitischeDiskussion in Deutschland in beachtlichem Umfang mitbestimmt hat, einehrendes Gedenken bewahren. Adolf Schmid

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WÜSTENDSCHUNGELFOTOGRAFISCHE IMPRESSIONEN AUS DEN TROPEN9. Oktober 2005 – 5. Januar 2006

Staatliches Museum für Naturkunde KarlsruheMuseum am FriedrichsplatzErbprinzenstraße 1376133 KarlsruheTel. 07 21/1 75-21 52www.naturkundemuseum-karlsruhe.deDi–Sa 10–16 UhrSo 10–18 UhrEintritt 2,50 €

Die Mitarbeiter der Naturkundemuseums forschen nicht nur hierzulande, sondern auch in dentropischen Regenwäldern Brasiliens, im Dschungel Neuguineas oder in der lebensfeindlichen WüsteNamibias. Deren Fotomotive zeigen stimmungsvolle Landschaftsbilder, scheinbar leblose Wüsten,immergrüne Regenwälder und skurrile Felsformationen. Auch die Tier- und Pflanzenweltpräsentiert sich mit exotischen Bildern.

HISTORISCHER UND MODERNER WEIHNACHTSSCHMUCK AUS GLASWEIHNACHTSAUSSTELLUNG UND WEIHNACHTSBASAR27. November 2005 bis 6. Januar 2006

Glasmuseum WertheimMühlenstraße 2497877 WertheimTel. 0 93 42/68 66www.glasmuseum-wertheim.deDi–Do 10–12 und 14–17 UhrFr–Sa 13–19 UhrSo 13–17 UhrEintritt 3,50 €

Diese Ausstellung hat in Wertheim eine lange Tradition. Sie erinnert andie Herkunft der Wertheimer Laborglasindustrie aus Thüringen und zeigteine enorme Vielfalt an gläsernem Christbaumschmuck. Historische

Glasfiguren, hohl geblasene Rehe und Fische, bunt bemalte Engel und ein vier Meter hoher„Thüringer Baum“, geschmückt mit Glasschmuck aller Art, erwarten den Besucher. Ebenso werdenhistorische Herstellungsmethoden, Bräuche und Symbolgehalte weihnachtlicher Schleckereien inder Ausstellung vermittelt. Auf Wunsch kann man auch seine eigene Weihnachtskugel blasen.

Ausstellungen in Baden

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PICASSO – VON MOUGINS NACH BADEN-BADEN: DER SPÄTE PICASSO24. September 2005 – 8. Januar 2006

Museum Frieder BurdaLichtentaler Allee 8b76530 Baden-BadenTel. 0 72 21/3 98 98-0www.museum-frieder-burda.deDi–So 11–18 UhrMi 11–20 UhrEintritt 8 €

Picasso verbrachte seine letzten zwölf Lebensjahre von 1961 bis 1973 imsüdfranzösischen Mougins. In der Ausstellung werden über 30 Gemälde undsechs Skulpturen gezeigt. Die Werke haben alle ein gemeinsames Thema: dasder Selbstbefragung. Picasso studiert den Greis, das Alter an sich, und gibt esin lächerlichen, verzerrten und melancholischen Posen wider. Subjekte undGegenstände unterwirft er seinen persönlichen Bedürfnissen. Seine spätenWerke kennzeichnen sich durch eine Fülle des Materials, der Aus-schweifungen und eine große Freiheit der künstlerischen Darstellungsmittel.

BILDERWECHSEL III – AMERIKANISCHE MALEREI24. September 2005 – 8. Januar 2006

Museum Frieder BurdaLichtentaler Allee 8 b, 76530 Baden-BadenTel. 0 72 21/3 98 98-30www.museum-frieder-burda.deDi–So 11–18 Uhr, Mi 11–20 UhrEintritt 8 €

Der Bilderwechsel III widmet sich einer weiteren zentralen Werkgruppe aus der SammlungFrieder Burda. Mit Arbeiten u. a. von Mark Rothko, Willem de Kooning, Clyfford Still und Alex Katzbietet die Ausstellung einen Einblick in die amerikanische Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts, in der sich Amerika von der europäischen Dominanz in der Malerei zu emanzipierensuchte. Trotz aller programmatischer Abgrenzung verraten die malerischen Positionen der ame-rikanischen Künstler eine fortwährende Auseinandersetzung mit der europäischen Tradition.

AUTOMATISCHE MUSIKINSTRUMENTEAUS FREIBURG IN DIE WELT – 100 JAHRE WELTE-MIGNON17. September 2005 – 8. Januar 2006

Augustinermuseum, Augustinerplatz79098 Freiburg im BreisgauTel. 07 61/2 01-25 31www.augustinermuseum.deDi–So 10–17 UhrEintritt 4 €

Die 1832 in Vöhrenbach gegründete und seit 1872 in Freiburg ansässigeFirma M. Welte & Söhne war bereits durch ihre Entwicklungen auf demGebiet der Musikwiedergabe mit Programmträgern weltberühmt, als sie1905 das „Welte-Mignon“-Reproduktionsklavier auf den Markt brachte. Mitdiesem technischen Wunderwerk war es möglich, das Spiel eines Pianistenweitestgehend originalgetreu wiederzugeben. Später wurde diese Technik

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Pablo PicassoJeune fille assiseÖl auf Sperrholz21. 11. 1970

Paris, Musée National Picasso

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auch auf Orgeln angewendet. In der Ausstellung wird die Firmengeschichte erstmals umfassend dar-gestellt. Alle Instrumente von der Flötenuhr über das Orchestrion bis hin zu Glockenspielen undLichttonorgel werden gezeigt.

„WIR KOMPONISTEN SIND DOCH KEINE WARE“MAX REGER IN DER KINDERZEIT DES URHEBERRECHTSAUSSTELLUNG DES MAX-REGER-INSTITUTS19. Oktober 2005 – 14. Januar 2006

Badische LandesbibliothekAusstellungsraumErbprinzenstraße 1576133 KarlsruheTel. 07 21/1 75 22 22www.blb-karlsruhe.deMo–Fr 9–18 UhrSa 9.30–12.30 UhrEintritt frei

In dieser Ausstellung wird das problematische Verhältnis des Komponisten Max Reger(1873–1916) zu seinen Verlegern thematisiert. 1902 trat das erste deutsche Urheberrecht in Kraftund Reger konnte die neuen Möglichkeiten nicht adäquat nutzen. Das Max-Reger-Institut in Karls-ruhe sammelt seit 1947 Autographen und persönliche Erinnerungsstücke des Komponisten. So sindhier u. a. die Brautbriefe zwischen Max Reger und Elsa von Bercken, Gemälde und signierteFotografien berühmter Zeitgenossen, darunter Joseph Joachims und Albert Einsteins, zu sehen.

DER SCHREI DER MEISEFOTOGRAFIEN VON ALFRED DOTT8. November 2005 – 19. Januar 2006

Volkshochschule Karlsruhevhs galerie, StudienforumKaiserallee 12 e76133 KarlsruheTel. 07 21/9 85 75-12www.vhs.karlsruhe.deMo–Fr 9–20 UhrSa 9–14 UhrEintritt frei

Die Impressionen des elsässischen Fotografen Alfred Dott zeigen in einer Serie von Schwarz-weiß-Fotografien die Ansichten von „wund gewordenen Bäumen“. Die Bilder wurden im Herzen desElsass aufgenommen und verdeutlichen den Kampf ums Überleben der geschundenen Weiden-stümpfe.

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FIGUR UND ABSTRAKTIONDAS KÜNSTLEREHEPAAR HERMANN UND GISELA BACHMANN18. Dezember 2005 – 22. Januar 2006 in der Orgelfabrik Durlach18. Dezember 2005 – 19. Februar 2006 im Pfinzgaumuseum

OrgelfabrikAmtshausstraße 1776227 Karlsruhe/DurlachTel. 07 21/40 14 43www.orgelfabrik.deDo–Fr 17–20 Uhr, Sa–So 11–16 UhrEintritt frei

Zwei zeitlich parallele Ausstellungen, in der Orgelfabrik und im Pfinz-gaumuseum, sind dem Werk des Künstlerehepaares Hermann und GiselaBachmann gewidmet, das sich in verschiedenen künstlerischen Gattungen

der Darstellung der Figur verschrieben hat.Im Mittelpunkt stehen Arbeiten, die im Lauf der letzen 20 Jahre in Karlsruhe-Durlach ent-

standen. Während in der Orgelfabrik vor allem großformatige Gemälde Hermann Bachmanns zusehen sind, werden im Pfinzgaumuseum kleinformatige, stark farbige Gouachen präsentiert, die imDialog mit den Plastiken seiner Frau, der Bildhauerin Gisela Bachmann, stehen.

SCHILLERZEIT IN MANNHEIM – AUSSTELLUNG MIT RAHMENPROGRAMM17. September 2005 – 29. Januar 2006

Reiss-Engelhorn-MuseenMuseum für Archäologie, Völkerkunde und Naturkunde D5Zeughaus · C5, 68159 Mannheim, Tel. 06 21/2 93 31 50www.rem.mannheim.deDi–So 11–18 Uhr, Eintritt 7 €

Mannheim spielt eine bedeutende Rolle in Leben und Werk Friedrich Schillers. Am 13. Januar1782 fand hier die Uraufführung seines ersten Dramas „Die Räuber“ statt. Dies ist der Beginn vonSchillers Karriere als Dichter. Er verbrachte zwei Jahre in Mannheim. Obwohl zunächst als Thea-terdichter engagiert, war Schillers Leben in Mannheim immer von Geldsorgen bestimmt. Bald nachseiner Ankunft infizierte er sich mit der Malaria, die in Mannheim wütete. Die Ausstellung zeigtauch neue spannende Forschungsergebnisse zu der Frage, ob Schiller in Mannheim zwischen dieFronten der Freimaurer und Illuminaten geriet. Auch auf die Rezeptionsgeschichte von SchillersWerken in Theater und Film wird eingegangen. Die Ausstellung widmet sich der Zeit von 1782 bis1785 mit 400 Objekten, die Schillers Spuren in Mannheim zeigen.

KÖRNER, KULT & KÜCHE – GETREIDE IN NATUR UND KULTUR26. Juni 2005 – 29. Januar 2006

Adelhausermuseum Natur- und VölkerkundeVölkerkundeGerberau 3279098 Freiburg im BreisgauTel. 07 61/2 01-25 41Di–So 10–17 UhrEintritt 2 €

„Körner, Kult und Küche“ – ein grundlegendesThema der Menschheit: Getreide. „Körner“berichten über die Biologie der Getreidepflanzen

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Hermann Bachmann,Ohn’ Unterlass III, 1990,Acryl auf Nessel, 180 x 220, Privatbesitz

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und ihren Anbau. Gleichzeitig werden die Körnerfrüchte der Welt am Beispiel von Hirse in Afrika,Reis in Asien, Mais in Amerika und Weizen in Europa vorgestellt. „Kult“ steht für die religiöseBedeutung der Getreidepflanzen und ihren Einsatz als altägyptische Grabbeigaben oder die Hostiein der christlichen Kultur. Auch „Küche“ darf nicht fehlen, wenn es um Nahrung geht. Beispiele ausder japanischen Esskultur und die Küche der afrikanischen Senufo, in der Hirsebier hergestelltwird, zeigen einige der vielfältigen Möglichkeiten von Getreideprodukten.

50 JAHRE MALER DER NATURAQUARELLE VON FRIEDHELM WEICK8. November 2005 – 30. Januar 2006

Staatliches Museum für Naturkunde KarlsruheMuseum am FriedrichsplatzErbprinzenstraße 1376133 Karlsruhewww.naturkundemuseum-karlsruhe.deTel. 07 21/1 75-21 52Di–Sa 10–16 UhrSo 10–18 UhrEintritt 2,50 €

Vor allem der Tiermalerei ist das umfangreiche Schaffen des MalersFriedhelm Weick gewidmet. Ein Querschnitt jüngerer Bilder in Aquarell-technik zeigt einheimische Vogelarten wie Laubsänger, Meisen, Würger,

Greifvögel und Eulen. Hinzu kommen Landschaftsaquarelle aus dem Kraichgau. Weitgehend unbe-kannte Skizzenbücher runden die Ausstellung ab.

RAINER MÜRLE: DIE KUNST DER ACHTSAMKEIT.ARBEITEN AUF PAPIER23. Oktober 2005 – 5. Februar 2006

Pforzheim Galerie e. V.Gebäude „Kollmar & Jourdan“Bleichstraße 8175173 PforzheimTel. 0 72 31/39 20 79Mi–Sa 14–17 UhrSo 11–17 UhrEintritt frei

Rainer Mürle studierte von 1949–56 an der Kunst- und WerkschulePforzheim. Ein entscheidendes und durchgängiges Merkmal seiner Kunst

ist der radikale Verzicht auf Symbolik. Der Betrachter wird dazu herausgefordert, die schlichtenErscheinungen dieser Welt als wohltuend und bemerkenswert zu empfinden. Den jeweiligen Zeit-strömungen gegenüber blieb er stets aufgeschlossen, jagte aber nie den modischen Verführungenhinterher.

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BAARTRACHTKONFESSION UND MODE2. Oktober 2005 – 19. Februar 2006

Museum AldingenHauptstraße 6978554 AldingenTel. 0 74 24/8 22-0www.Aldingen.deSo 11. 12. 05 / So 18. 12. 05 / So 1. 1. 06So 15. 1. 06 / So 5. 2. 06 / So 19. 2. 06Jeweils von 14–17 UhrEintritt frei

Die Geschichte der Baartracht wird mit Textilien, Objekten, Schrift-quellen und Bildern aus verschiedenen Jahrhunderten in dieser Aus-

stellung thematisiert. Sie spürt konfessionellen und modischen Einflüssen im Wandel der Baar-tracht nach. Welche Zeitbilder, Vorstellungen und Einflüsse begleiteten oder prägten diesen Wegvon der ländlichen Kleidung bis hin zu der heute noch gepflegten Form der Tracht? Die Ausstellungfindet anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte derBaar statt.

BRUNO EPPLE – DER POET22. November 2005 – 19. Februar 2006

Hermann-Hesse-Höri-MuseumKapellenstraße 878343 GaienhofenTel. 0 77 35/8 18-37www.hermann-hesse-hoeri-museum.deFr–Sa 14–17 UhrSo 10–17 UhrEintritt 3 €

Bruno Epple gilt weit über den Bodenseeraum hinaus als Beispiel einerkennenswerten Doppelbegabung: seit vielen Jahren ist er ein internationalbekannter Maler, doch mindestens ebenso lange veröffentlicht er Prosa,Szenen und Hörspiele, vor allem aber Gedichte in der Mundart des Hegau. Die

Ausstellung bietet zum ersten Mal die Gelegenheit, anhand von Entwürfen und Manuskripten, Büchernund Fotos, Rezensionen und Korrespondenzen Epples literarische Entwicklung kennen zu lernen.

DAVID TENIERSALLTAG UND VERGNÜGEN IN FLANDERN5. November 2005 – 19. Februar 2006

Staatliche Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Straße 2–676133 KarlsruheTel. 07 21/9 26-33 59www.kunsthalle-karlsruhe.dewww.teniers.deDi–So 10–18 UhrEintritt 4 €

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Zusammen mit Peter Paul Rubens, Anthonis van Dyck und Jacob Jordaens gehört David Teniersd. J. zu den bedeutendsten flämischen Meistern des 17. Jahrhunderts. Berühmt und zu einem dermeistgefragten Genremaler der südlichen Niederlande wurde er mit seinen rustikalen undhumorvollen Schilderungen von Alltag und Vergnügen in Flandern. Die Staatliche KunsthalleKarlsruhe zeigt in der Ausstellung einen Überblick über das vielfältige Werk dieses Künstlers. Sieveranschaulicht die Entwicklung des Künstlers und den Facettenreichtum seines Schaffens. FürKunstfreunde und auch für Kenner verspricht die Ausstellung aufregende Entdeckungen, denn vieleder ausgestellten Gemälde wurden bisher noch nie öffentlich gezeigt.

IMPERIUM ROMANUMRÖMER, CHRISTEN, ALAMANNEN – DIE SPÄTANTIKE AM OBERRHEIN22. Oktober 2005 – 26. Februar 2006

Badisches Landesmuseum, Schloss76131 KarlsruheTel. 07 21/9 26-63 89www.landesmuseum.deDi–Do 10–17 Uhr, Fr–So 10–18 UhrEintritt 4 €

Die Ausstellung widmet sich der Spätzeit der römischen Herrschaft(Mitte des 3. bis zum Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr.) in den nordwestlichen Grenzgebieten desRömischen Reichs. Rund 500 eindrucksvolle Objekte lassen die wechselvolle Epoche lebendigwerden, in der die Alamannen über den Limes drängten, die Römer sich schrittweise aus dem Ober-rheingebiet zurückzogen und das Christentum aufkam. Die Ausstellung setzt dem weit verbreitetenBild vom Einzug roher Barbarei in das hoch entwickelte Römische Reich ein komplexes Bild ent-gegen. Denn diese spannungsreichen Jahrhunderte waren keineswegs nur von kämpferischen Aus-einandersetzungen zwischen Römern und Germanen geprägt. Zahlreiche Exponate illustrieren dasfriedliche kulturelle Miteinander der benachbarten Völker. Kostbare Leihgaben geben in acht Aus-stellungsbereichen mit Themen wie Handel und Wirtschaft, Militär, Bestattungskultur und demfrühen Christentum einen repräsentativen Querschnitt durch die vielfältigen Lebensformen derBewohner Obergermaniens. Der weltberühmte „Silberschatz von Kaiseraugst“, der erstmals außer-halb der Schweiz zu sehen ist, bildet einen Höhepunkt der Ausstellung.

STADTGESCHICHTE IN PLAKATEN: NS-ZEIT26. November 2005 – 26. Februar 2006

Stadtmuseum Karlsruhe, Prinz-Max-PalaisKarlstraße 10, 76133 KarlsruheTel. 07 21/1 33-42 34Di, Fr, So 10–18 Uhr, Do 10–19 Uhr, Sa 14–18 UhrEintritt 2 €

Plakate sind wie kaum ein anderes Medium geeignet, Geschichteanschaulich zu vermitteln. In zwei Abteilungen behandelt die Ausstellungeinen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der beiden größten badischenStädte im 20. Jahrhundert, Mannheim und Karlsruhe: im ersten Bereich„Leben unter dem Hakenkreuz“ zeigen die Plakate anschaulich die Gleich-schaltung, den Hitlerkult und nationalsozialistische Propaganda, die Volks-

gemeinschaft sowie die Judenverfolgung. Die zweite Abteilung „Der Zweite Weltkrieg“ behandelt dieThemen Kriegsverlauf und Kriegspropaganda, Luftkrieg, Heimatfront und das Kriegsende.Ergänzend zu den Plakaten sind Fotos von Mannheim und Karlsruhe zu sehen.

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Buchbesprechungen

ORTE

Die Basler Volkskund-lerin Edith Schweizer-Völ-ker und der Fotograf MartinSchulte-Kellinghaus ausGrenzach haben einen neu-en reich bebilderten Aus-flugsführer herausgebracht,der 40 Ausflüge zu mythi-schen Orten in Südbaden,im Elsass und in der Nord-westschweiz beschreibt.

Was sind mythischeOrte? Der Elsässer AdolphLandsburg, war einer derersten, der sich mit geheim-nisumwitterten Plätzen undsagenumwobenen Natur-denkmalen beschäftigte.Vor gut 20 Jahren gab erseinem Buch den Titel „Orteder Kraft“.

Diese Orte könnenQuellen sein, deren sym-bolische Kraft Klostergrün-dungen und Wallfahrtska-pellen mit sich brachten –diese Orte, wie merkwür-dige Felsformationen oderMoore können Handlungs-ort schauerlicher Sagensein.

Übernatürliche Kräftetreten in Spukgestalt auf, Wiedergänger, die eine böseTat nicht ruhen lässt und zu Unrecht Geköpfte erschre-cken nächtliche Wanderer. Aber sehr oft sind diese Orteauch Quellen des Trostes und der Zuflucht und werdenzur Meditation und Fürbitte aufgesucht. ZahlreicheVotivtafeln zeugen von Heilungen und Gehör in großer,menschlicher Not. Edith Schweizer-Völker und MartinSchulte-Kellinghaus zeigen aber auch die Ausrichtungz. B. des Basler Münsters nach einem kalendarischenRichttag, hier der Sommersonnenwende am 21. Juni,die eindrucksvoll in der Krypta verfolgt werden kann.Zumal christliche Kirche wurden auf Stellen errichtet,die schon den Kelten und später den Römern als Kult-und Opferstätten dienten. Alle 40 Ausflüge sind mitwertvollen praktischen Tipps versehen, die die Anfahrt,Öffnungszeiten und weiter notwendige Hinweise, wiedie Internetadressen der Orte enthalten. Feste und Ver-

Mythische Orte am OberrheinEdith Schweizer-Völker, Martin Schulte-Kelling-haus: Mythische Orte am Oberrhein, ChristophMerian Verlag, 236 Seiten, Basel 2005.Roland Kroell: Magischer Schwarzwald und Voge-sen, AT Verlag, 304 Seiten, Baden 2004.

anstaltungen sind jahreszeitlich gegliedert, ein Lite-raturverzeichnis erleichtert eigene Recherchen.

Der Schwerpunkt der besuchten und beschrie-benen Orte liegt im Dreiländereck um Basel herum.Schönheit und Bedeutung der Orte kann sich derBesucher mit diesem Buch ohne Zweifel erschließen.

Weitaus mehr Orte auf der badischen Seite listetder Sänger und in Waldshut-Tiengen geborene RolandKroell auf. Sein Buch mit dem Titel „MagischerSchwarzwald und Vogesen“ beschreibt thematischgegliederte, meditative Wanderungen zu den Orten derKraft. Sein Einstieg ist ein völlig anderer – Kroell istauf der Suche nach der mythischen Komponenteseiner ausgesuchten Orte. Das Forschen in keltischenWurzeln und „anderen Dimensionen“ hat ihn zu diesenOrten gebracht. Anfahrtshinweise und eine Karte mitjeweils einer vorgeschlagenen Wanderung und ihreDauer ergänzen die historischen und volkskundlichenAusführungen. Wer Interesse am geheimnis- undwundervollen Hintergrund unserer gesamten Regionhat, wird an beiden Büchern als sich ergänzende Werkeseine Freude haben. Adolf Schmid

Waghäusel hat sich zur30-jährigen Gemeindefu-sion ein Geschenk gemacht,und man darf sich fragen,welche „Danaer“ steckenwohl dahinter. Es mag einRegalbauer darunter gewe-sen sein, um mit dem über-höhten Format des Bild-bandes zu beginnen, dasherkömmliche Stellhöhensprengt und damit eine pro-blemlose Unterbringung inder heimischen Bücher-

wand verhindert. Nun gibt es natürlich immer jenenRegalmeter, der für herausragende Fotokunst reser-viert ist und in dem sich manche Perle der Bücher-kunst versammeln lässt. Aber dort wird man den ange-zeigten Bildband kaum unterbringen wollen. Offenbarwar die Redaktion mit der Auswahl geeigneter Bilderüberfordert, so dass eine solche erst gar nicht ernsthafterwogen wurde. Vielmehr quellen die Seiten über vorFotos, die zwar alle hübsch anzusehen sind, aber nurselten einmal Postkartengröße erreichen. Das Ganzegemahnt zudem an die Beliebigkeit mancher privaterFotoalben vom letzten Urlaub: bei den meisten Auf-nahmen weiß man nach einigen Jahren auch nicht

Hofmann, Artur J. / Disson, Peter / Schwabenland,Klaus: Waghäusel. Kirrlach, Waghäusel, Wiesental.Hg. von der Stadt Waghäusel. Verlag Regionalkultur,Ubstadt-Weiher, 2005, 96 S., Format 33,5 x 24 cm,ISBN 3-89735-250-8, € 22,–.

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mehr, wozu sie eigentlich einmal gemacht wurden.Und wieder stellt sich zwangsläufig die Frage nach demSinn des Buchformates, wenn es doch offensichtlichnicht genutzt werden sollte, um die Fotos inansprechender Größe abzubilden. Stattdessen sehenwir entsetzten Auges, wie einige, viel zu viele der Bilderauch noch im Buchfalz ertrinken, die Seiten immerunterlegt mit blassen Hintergrundfotos, die fürzusätzliche Unruhe im Satzaufbau sorgen. Dass einigeder Textblöcke dabei in den „Genuss“ jener „Hinter-grundbelebung“ kommen, andere hingegen nicht –geschenkt. So bleibt nur Bedauern für den durchauseinnehmenden Text übrig, der auf schier verlorenemPosten gegen die lieblos zusammen „designte“, so sagtman wohl, Umgebung ankämpfen muss. Auch dasBuchmachen ist eine Kunst: schöne Fotos und einguter Text allein reichen dazu leider nicht, sie wollenauch ansprechend präsentiert sein. Wie sehr so etwas,auch (und gerade?) auf Hochglanzpapier, scheiternkann, ist hier bedauerlicherweise zu besichtigen.

Karl Heinz Kees

St. Märgen im Schwarz-wald 1118 errichtete derStraßburger DomprobstBruno von Hohenberg einChorherrenstift, das bis ins15. Jahrhundert St. Maria-zell hieß und in der Abge-schiedenheit des Schwarz-walds sich auseinanderset-zen musste (aus Mariazellentwickeln sich die Varian-ten St. Märijen, St. Mergen,Sankt Märgen). Walter Ber-schin/Heidelberg hat diefatale Nachbarschaft von St.Märgen zu St. Peter gutdokumentiert („das agonale

klösterliche Landschaftsbild“: she Berschins „mittel-lateinische Studien“ Mattes Verlag Heidelberg 2005).Dieser gut präsentierte Band lässt teilnehmen an zehnBegegnungen in einem „Ort mit Geschichte“, folgt denSpuren von Künstlern und Gelehrten, „deren Lebens-wege sich hier kreuzten“. Und es sind hier großeNamen zu nennen: Matthias Faller, der hervorragendeBildhauer, von dessen Kunst St. Märgen und St. Peterprofitieren. Ferner Hermann Dischler, der Maler undDokumentarist, geboren am 25. 9. 1866 in Freiburg,der sich ab 1908 in sein legendäres Künstlerhaus inHinterzarten zurückzog. Auch Karl Biese, Karl Haupt-mann, Gustav Traub und Ruth Schaubmann, „diemalende Dichterin“ 24. 8. 1899–13. 3. 1975). Undnatürlich Edmund Husserl, der epochale Genius, dervon 1916 bis 1937 in Freiburg lehnte und seine Ferienimmer wieder in St. Märgen verbrachte. Peter Dreherfand in St. Märgen den „Ort, den ich ein Leben langgesucht habe“.

Adolf Schmid

Nocke, Ulrich / Bütow, Kerstin / Rombach, Sieg-fried: Sankt Märgen. Eine Spurensuche/Zehn Begeg-nungen. DesignConcepts-Verlag, St. Märgen. 1. Aufl.2003. 253 S., 94 s/w-Abb. u. 56 Farbabb.,ISBN 3-9807059-3-5, 32,00 Euro

HEITERE LANDESKUNDE

„Sage mir, worüber dulachen kannst, und ich sagedir, wer du bist“. Nachdiesem bewährten Motto hatWolfgang Hug seine Ge-schichten über die badische„Volksseele“ ausgesucht undniedergeschrieben, witzigund immer unterhaltsamund mit sicherem Gespürfür die kulturelle und sozialeVielfalt zwischen Weinheimund Konstanz, wo ja nichtnur der SchwarzwälderWeltbürger Wilhelm Hau-senstein eine „zähe, vertrau-

liche und etwas verzwickte Familie“ ausgemacht hat.Wolfgang Hug hat mit einer Fülle von Anekdoten, mitgeistreich-deftigen Witzen, mit liebenswürdigemHumor sehr gut „badische Lebensart“ ausgemalt unddabei „die Schwaben“ mit ihrem bürgerlichen Kontrast-programm recht schonend behandelt. Obwohl die„schaffige Schwaben“ sich u. a. immer wieder anhörenmüssen: „Schwobe schaffe, mir denke“.

Natürlich gilt auch für den Badener Wolfgang Hugvorneweg: „Das schönste Land in Deutschlands Gau’ndas ist das Badner Land“ – schön und eine natürliche„Wohlfühlregion“; dazu gibt es keinen Widerspruch.Auch was so unter dem Stichwort „Landeskunde“ vor-getragen wird, ist überwiegend heiter, leicht, einladendzu freundlichem Schmunzeln und herzhaftem Lachen,auch zum „Dampfablassen“. Sicher, „darf’s auch wasReligiöses sein“; denn „im katholisch dominiertemBaden gehe es auf einer Beerdigung noch immer lusti-ger zu als im protestantisch geprägten Alt-Württem-berg an Fasnacht“. Sicher der eine oder andere Witz istetwas verdächtig als „Wanderwitz“, nicht alle dieseTexte und Geschichten sind „Volkseigentum derBadener“; Quellenkritik ist wohl noch angebracht. Essind hier aber tatsächlich charakteristische Streif-lichter zusammengetragen, die „einiges Typische“badischer Lebensart und Gemütlichkeit deutlich ma-chen. „Überflüssig auch zu sagen, dass in Baden nichtnur die Sonne scheint mit purer Heiterkeit. Es gibtwohl ebenso viele Schatten, Finsternis und Bosheit indem Land. Dem sollte freilich der Humor ein Stück-chen weit Paroli bieten“. Diese Mischung hat W. Hugsehr überzeugend dargeboten. Adolf Schmid

Hug, Wolfgang: Von Badischen und Unsymbadischen.Eine heitere Landeskunde. Theiss-Verlag, 1. Aufl.2005. 144 Seiten, ISBN 3-8062-1986-9, 12,90 Euro.

KATHOLIZISMUS

Heitz, Claudius: Volksmission und BadischerKatholizismus im 19. Jahrhundert. Band 1:Forschungen zur oberrheinischen Landes-geschichte. Alber-Verlag Freiburg/München, 1. Auf-lage 2005. 456 Seiten, ISBN 3-495-49950-4, 38,00 €.

„Das 19. Jahrhundert war eine Epoche des Über-gangs: Aufklärung, Säkularisation und wirtschaftliche

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Modernisierung erschütte-rten ganz Mitteleuropa undstellten die Menschen vorimmense intellektuelle, le-benspraktische und sozialeHerausforderungen“. DieReaktionen auf diese Ent-wicklungen waren gerade inder katholischen Kirchevielfältig, sehr unterschied-lich. Claudius Heitz unter-suchte in seiner DissertationPhänomene wie die „Organi-sierung der Massenreligiosi-tät“ und die „Verkirchli-

chung der Volksreligion“. Im Mittelpunkt seiner Stu-dien stehen die „Volksmissionen“ vor allem derkatholischen Orden, die „auf das Innere, das Gemüth,das Herz“ der Kirchenmitglieder einzuwirken versuch-ten – vor allem durch Jesuiten und Redemptoristen, dieals besonders „antimodern“ und „romtreu“ galten. Diewissenschaftliche Untersuchung von Heitz widmet sichhier einem bisher noch unbearbeiteten Thema. Erschöpft dabei aus reichen Quellen, profitiert von denBerichten von Ordenshistorikern wie BernhardDuhr/SJ, der feststellte, dass „das ganze katholischeDeutschland durchmissioniert wurde und wohl kaumein bedeutender Ort eine Mission entbehren musste“,systematisch im 18. Jahrhundert beginnend. Dass dieseForm von Seelsorge nicht allgemein geschätzt undgefördert wurde, zeigt das päpstliche Jesuitenverbotvon 1773 oder die Feststellung Wessenbergs, des Ver-wesers des Bistums Konstanz, von 1808, dass „im Bis-tum Konstanz kein Bedürfnis für Missionen“ bestehe.Mit der Gründung des Großherzogtums Baden kam dieSäkularisierung der Klöster, die Aufhebung der Ordenim Zusammenhang mit dem Reichsdeputationshaupt-schluss; es überlebten nur wenige Frauenklöster, dieder Staat im Unterrichtswesen durchaus brauchenkonnte. Faktum: „Bis 1918 war es keinem einzigenmännlichen Orden möglich, sich im GroßherzogtumBaden niederzulassen“. Heitz schildert sehr eindrucks-voll, wie in der Folgezeit die Idee der „Volksmission“wieder belebt werden konnte, wie die „Organisierungder Massenreligiosität“ möglich wurde.

Eine eindrucksvolle Schilderung, mit vielen Bele-gen des Wandels im „Katholischen Milieu“.

Adolf Schmid

Diesem kirchengeschicht-lichen Werk geht es darum,Klaus Wurth, den letzten Kir-chenpräsidenten der Evan-gelischen Landeskirche inBaden, ins angemessene Lichtzu setzen. Gestützt auf um-fangreiches Quellenmaterialstellt der Autor das Wirkendieses Theologen dar. Dasflüssig zu lesende Buch wecktfür die Schilderungen aus denJahren 1919–1933 besonderes

Finck, Klaus: Klaus Wurth (1861–1948). Ein Lebenfür die Kirche. Verlag Books on Demand, Norder-stedt, 1. Auflage 2004. 376 Seiten, ISBN 3-8334-1145-7, 33,90 Euro.

Interesse. Von 1924 bis 1933 hatte Wurth das damalshöchste Amt der Landeskirche inne. Dabei geht der Autorder Frage nach, wie sich die Kirchenleitung in der Zeitzwischen landesherrlichem Kirchenregiment und Beginndes „Dritten Reiches“ verhalten hat.

Auch Nichthistoriker können dem Inhalt desBuches folgen, zumal der Autor immer wieder Ab-schnitte einfügt, die den größeren geschichtlichen undkirchengeschichtlichen Gesamtzusammenhang ver-ständlich machen.

Das Buch ist mit einer umfangreichen Anlage –großteils mit unveröffentlichten Dokumenten – sowiezahlreichen Fotos ausgestattet. Es ist all denen zuempfehlen, die sich für die Geschichte der BadischenLandeskirche interessieren und sich kritisch damitauseinandersetzen können. Wolfgang Meuret

JÜDISCHE OPFER DESNATIONALSOZIALISMUS

Im November 2003wurde in Mannheim dasMahnmal zur Erinnerungan die jüdischen Opfer desNationalsozialismus derÖffentlichkeit übergeben.Die Gedenkskulptur inForm eines gläsernen Ku-bus trägt mehr als 2000Namen der jüdischen, ausMannheim stammenden

Menschen, die 1933–45 in den Tod getrieben oderdeportiert und in den Lagern ermordet wurden.

Anderthalb Jahre nach der Enthüllung der Geden-kskulptur auf den Planken fand das Projekt „Mahnmal“mit dieser Dokumentation seinen krönenden Ab-schluss. Das Buch schildert den schmerzhaft langenund mühseligen Gedanken- und Entscheidungsprozessfür diese Gedenkskulptur, die historischen Grundlagenseiner Notwendigkeit sowie die Gestaltungskriterienund Überlegungen des Künstlers Jochen Kitzbihler.

Die vollständige Liste (einschließlich derbisherigen Nachträge) der auf dem Mahnmal benann-ten jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mann-heim begleitet den Haupttext als eindrucksvollesNamensband. Dieses Band macht das Buch in einerweiteren Dimension zu einer wertvollen Dokumenta-tion, die jedem Interessierten das Suchen „seiner“Namen erleichtert.

Die reichhaltige Bebilderung illustriert nicht nurdie kurzgefasste Geschichte der Juden in Mannheim,sondern auch den Umgang der heutigen Menschen mitder Gedenkskulptur. Sie dokumentiert zugleich ein-zelne Aspekte der Ästhetik dieses Kunstwerks.

60 Jahre nach Kriegsende wurde in Mannheim einweiterer Mosaikstein gesetzt, ein würdiges Zeugnis derhistorischen Auseinandersetzung mit der national-sozialistischen Gewaltherrschaft. Volker Keller

Hans-Joachim Hirsch: „Ich habe Dich bei DeinemNamen gerufen“. Die Gedenkskulptur für diejüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Mann-heim. Mit Beiträgen von Peter Kurz, JochenKitzbihler und Helmut Striffler. 120 Seiten, Verlags-büro v. Brandt, Mannheim, 2005, 15 €,ISBN 3-926260-65-3.

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Hans-Josef Wollasch, Gertrud Luckner. Botschaf-terin der Menschlichkeit. Verlag Herder, Freiburg2005, 144 S., 28 Abb., ISBN 3-451-26085-9, 14,90 €.

Die meisten Deutschenhaben die nationalsozialisti-schen Verbrechen an unse-ren jüdischen Mitbürgernwiderstandslos hingenom-men. Ursache war Angst,wurden doch allein schonregimekritische Worte hartgeahndet. Gleichwohl gabes Menschen, die furchtlosversuchten, den Bedrängtenbeizustehen. Zu ihnen ge-hörte die CaritashelferinGertrud Luckner. Schonbald nach der braunenMachtergreifung unter-stützte sie bedrängte Judenund beriet sie in Auswan-

derungsfragen. Nach Kriegsausbruch bemühte siesich, die verfolgten Menschen vor Deportation zu be-wahren, zu verbergen oder heimlich über die Grenzezu lotsen. Als 1941 die Juden zum Tragen eines auf-genähten gelben Davidsterns gezwungen wurden,begleitete sie ihre Schützlinge demonstrativ aufGängen durch das Stadtgebiet, … damit sie nicht dasGefühl hatten, allein zu sein. Im März 1943 wurde FrauLuckner von der Gestapo verhaftet, über Monate ver-hört und sodann ins Konzentrationslager Ravensbrückverschleppt. Nach unsäglichen Leiden erlebte sie imMai 1945 ihre Befreiung.

Gertrud Luckner war im Jahre 1900 in Liverpoolgeboren worden, mit sechs Jahren kam sie nachDeutschland, legte in Königsberg das Abitur ab,studierte Volkswirtschaft in Frankfurt und in Freiburg.1933 war sie zum katholischen Glauben übergetreten.1936 ging sie als Angestellte zum Caritasverband inFreiburg, damit konnte sie aus einer geschützterenPosition heraus helfen. Nach Kriegsende stellte sichDr. Luckner ganz in den Dienst der Fürsorge für Ver-folgte jeder Art. Um Aussöhnung bemüht gab sie miteinigen Gleichgesinnten fortlaufend den FreiburgerRundbrief heraus, der Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung brachte. Wiederholt ist sie nachIsrael eingeladen worden. Hoch geehrt verstarb Dr.Gertrud Luckner im August 1995 in Freiburg.

BIOGRAPHIE

Es ist wohl wahr, Süd-westdeutschland hat denRömern vieles zu verdan-ken, in Baden mag damancher nicht zuletzt anden Weinanbau und dieThermalbäder denken. Dieaktuelle Landesausstellung„Imperium Romanum“, imKarlsruher Schloss und inStuttgart zweigeteilt unter-gebracht, zeigt eine Vielzahlan Exponaten; römischeHinterlassenschaften, dievon regem Kulturaustauschund zivilisatorischer Ent-

wicklung zeugen. Auf die befruchtende Wirkungsolcher Völkerbegegnungen und -bewegungen hin-zuweisen, ist sicher eine der vornehmsten Aufgabenhistorischer Ausstellungen. Es sollte darüber abernicht vergessen werden, dass überall dort, wo Neuesentsteht, auch ein bereits währendes Altes beiseitegeschoben wird. Man muss dabei ja nicht sofort inBegriffe wie „Zerstörung“ und „Auslöschung“ verfallen,um kenntlich zu machen, dass die Römer, als sie ihrenMachtbereich in Europa weiter und weiter dehnten,nicht in menschenleeren und kulturell verödetenRaum vordrangen. Freilich, glaubt man den römischenGeschichtsschreibern, hausten an den Rändern des„Imperium Romanum“ vornehmlich die „Barbaren“,mehr oder weniger „kulturlose Gesellen“ allesamt; sowie eben seit jeher Eroberer ihre Feldzüge zu rechtfer-tigen pflegen: als Verbreitung „höherer Kultur“ oderals präventive Abwehr einsickernder „Verfalls-erscheinungen“.

Bei einer Bilanz dessen, was „wir“ den Römern anErrungenschaften historisch zu verdanken haben, soll-te daher nicht vergessen werden, was dies „uns“ auf deranderen Seite gekostet hat. Um sich darüber ein Bildzu verschaffen, bietet sich nach einem Gang durchKarlsruhe und/oder Stuttgart, der ergänzende Besucheiner Ausstellung an, die seit dem 6. Okt. wieder inDarmstadt zu sehen ist. Bereits 2002 vermittelte „derKeltenfürst vom Glauberg“ in der Frankfurter Schirndem interessierten Besucher einen gelungenen Ein-blick in Lebenswelt und Kultur jener Menschen, dievor den Eroberungszügen der Römer weite TeileEuropas bevölkert hatten und deren Rudimente sichnoch heute in Sprachinseln (Irland, Schottland, Walesund Bretagne) bewahrt haben. Der informative Katalogzur Ausstellung, auf den ausdrücklich hingewiesen sei,räumt bereits in seiner von Karl Weber verfassten Ein-leitung mit dem Vorurteil auf, die Schriftlosigkeit derkeltischen Kultur belege eine gewisse Inferioritätgegenüber der römischen. Angesichts einer heute umsich greifenden Illiterarität in Zeiten digitaler Medien,in denen uns das schleichende Ende der eigenen Buch-kultur zu blühen scheint, ist es ja nur folgerichtig, dieSchrift nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal höherer

Kultur zu werten. Vor diesem Hintergrund erschließtsich auch Kunst, Alltag und Mythologie der Kelten alseine reiche, hoch entwickelte Zivilisation. (Abzulesenist dies an einem anwachsenden Fundus materiellerZeugnisse, die wir vor allem den verbessertenMethoden der Archäologie zu verdanken haben.) Unddemjenigen, der eben noch in Baden die römischeKultur bewundern durfte, und dies mit vollem Recht,das sei überhaupt nicht geleugnet, enthüllt sich hierim benachbarten Hessen, welche Fülle an keltischer„Lebensart“ dafür eben auch sich hatte anpassen bzw.ganz hatte weichen müssen. Und welch ein Glückwiederum, sich als Mitteleuropäer mit seinen Wurzelnin diesen beiden großen Geschichts- und Kultur-trägern verankert zu wissen. Karl Heinz Kees

Das Rätsel der Kelten vom Glauberg. Glaube,Mythos, Wirklichkeit. Ausstellungskatalog. Heraus-geber: Hessische Kultur GmbH, Wiesbaden. 344 S.,Stuttgart 2002. ISBN 3-8062-1592-8 (Buchhandels-ausgabe), € 39,90, ISBN 3-8062-1832-3 (Museums-ausgabe), € 19,90.

GESCHICHTE

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Die schon länger erwartete umfassende Biographieliegt jetzt vor. Sie enthält zugleich eine Sammlung vonLebenszeichen aus den Jahren im KZ und ein erstmalsim vollen Wortlaut veröffentlichtes Notizen- undTagebuch für die Zeit von April bis Juli 1945. Aus-gestattet ist die Schrift mit reichhaltigem Bildmaterial,das ebenso wie die gezeigten Dokumente dem Autor,ehemals Leiter des Caritasarchivs, auf kurzem Wegezugänglich war. Es ist die ergreifende Geschichte einermutigen Frau, die aus christlicher Nächstenliebeimmer wieder ihr Leben für andere eingesetzt hat.

Reiner Haehling von Lanzenauer

ARCHIVWESEN

Die Turbulenzen undpolitischen Umwälzungenin Europa der Napoleon-Zeit betrafen u. a. auch dieArchive Mitteleuropas, diedurch die Säkularisationund die Vielfalt der terri-torialen Neuordnung „ar-chivorganisatorische Prob-leme ersten Ranges“ beka-men. Selten war die Aufgabeder Neuordnung so großwie im so überraschend ver-größerten Baden. Im 200.Jahr, nachdem das General-landesarchiv Badens per

Organisationsedikt entstand, war es angebracht, dieseit der napoleonischen „Flurbereinigung“ vorge-nommene Expansion des Landes Baden, vor allemauch die verwaltungsmäßige Vereinheitlichung desalten „Flickenteppichs“ in neue Organisationssche-mata begreifbar, erfassbar zu machen. Damals einmutiges Vorhaben von Johann Nikolaus FriedrichBrauer, mit Registraturen und Archiven das Ver-waltungsgeschehen kontrollierbar, auffindbar zumachen. Natürlich haben wir heute so beste Quellender Forschung und Geschichtsschreibung.

Adolf Schmid

Rödel, Volker (Hrsg.): Umbruch und Aufbruch. DasArchivwesen nach 1800 in Süddeutschland und imRheinland. Werkhefte der staatl. ArchivverwaltungBa-Wü, Serie A, Heft 20. Kohlhammer-Verlag, Stutt-gart. ISBN 3-17-018762-7, 39,00 Euro.

KOCHBUCH

Der Verlag preist dieses neue Buch mit Überzeu-gungskraft an: „Ein Buch für alle, die in Baden leben,die Baden mögen oder die Baden kennen lernen wol-len“. Hier wird ein neuer Baden-Wegweiser präsentiert,der Badens schönste Landschaften zeigt, lebendige

Käflein, Achim / Hegar, Martin / Nies, Hildegard:Baden Schlemmerland. Die besten Rezepte. Dieschönsten Impressionen. Verlag edition-kaeflein.de,Freiburg, 1. Auflage 2005. 216 Seiten, 575 farbigePhotos, 100 Rezepte, ISBN 3-9810093-1-2, 24,80 €

Städte portraitiert, vielfäl-tige Sehenswürdigkeitenrühmt, Schlösser und Bur-gen, Kapellen und Kathe-dralen würdigt. Er doku-mentiert Bräuche undTraditionen, vermittelt sym-pathisch badisches Lebens-gefühl. Baden ist in der Tatviel mehr als ein geogra-phischer Begriff: Baden hatso viele Gesichter wie esLandschaften hat, feiert vonJanuar bis Dezember die

verschiedenartigsten Feste mit den unterschiedlichs-ten Ansprüchen an kulturellem Niveau, ist sicher „dasgesegnetste Land der Welt“. Ganz einverstanden!

Baden ist vor allem geliebt für seine Lebenskultur– und für sein kulinarisches Paradies. Die schmuckenbadischen Städte – alle haben ihre traditionellen Ge-richte, aber auch interessante leichte und vegetarischeAlternativen: Wir wär’s z. B. mit Bärlauchsuppe undBärlauchpesto, Spargel mit Sauce Hollandaise undKrazete, Kutteln mit Sauerampfer und Weißwein,Kohlrabischeiben und Brägele, Waldmeister-Wein-creme mit frischen Erdbeeren, Tomaten-Bohnensalatmit roten Zwiebeln, Ochsenbrust mit Bouillonkar-toffeln. Natürlich ist die Schwarzwälder Kirschtortenicht zu vergessen, Schäufele im Brotteig, gefüllteKalbsröllchen mit Quark-Spätzle. Zur badischenKüche gehört aber natürlich auch der badische Wein –„von der Sonne verwöhnt“, mit einer wirklichbeneidenswerten vielfältigen Palette der Rebsorten.Dass auch „süße Verführungen“ überall in badischenGasthäusern und Cafés serviert werden, gehört zurselbstverständlichen badischen Gastlichkeit, wie sieüberall zwischen Weinheim und dem Bodenseepraktiziert wird – z. B. in Staufen mit der Schladerer-Williams-Torte oder mit Kuchen und Pralinen aus demCafé Decker.

Dieses gelungene Baden-Buch breitet eine Füllezuverlässiger landeskundlicher Informationen, z. B. inder Präsentation einiger badischer Städte und unver-wechselbarer Regionen, kenntnisreich und liebevollbeschrieben von Hildegard Nies. Höchst anregend undaufschlussreich sind die 575 bestens gelungenenPhotos von Achim Käflein; sehr hilfreich 250 aus-gesuchte Adressen von Restaurants, Winzern, Erzeu-gern – und die vielen Schwarzwald-Rezepte von MartinHeger. Sie belegen, dass sich das gastronomischeNiveau gut etabliert hat im „schönsten Land inDeutschlands Gau’n“. Prosit und guten Appetit!

Adolf Schmid

DIVERSES

Die Heidelberger Universitätsbibliothek hat ein-malige historische Sammlungen – und sie ist vorbildlichin der Art, wie sie erschlossen und zugänglich gemachtwerden. Zuletzt waren es die mittelalterlichen Codicesder ehemaligen Bibliotheca Palatina und die Salem-Sammlung. Zur Zeit stehen 65 Codices über das

Schlechter, Armin (Bearb.): Die Edelkunst der Tru-ckerei. Schriften der Universitätsbibliothek Heidel-berg. Band 6. Universitätsverlag Winter/Heidelberg.Ausstellungskatalog. ISBN 3-8253-5059-2, 16,00 €.

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Internet zur Verfügung.Zusätzlich bietet die UB imJahresrhythmus Ausstel-lungen, bereichert um gutillustrierte Kataloge. DieAusstellung 2005 umfasstnun 1800 Inkunabeln, er-innert eindrucksvoll an Jo-hannes Gutenberg. Sebas-tian Münster (1488–1552)rühmte 1544 in seiner Kos-mographie: „Von dem jarChristi 1440 biß zuo dem jar1450 ward zuo Metz die edelKunst der truckerey erfun-den …“. In diesem Band

wird die Entstehungsgeschichte der HeidelbergerInkunabelsammlung klar und sympathisch beschrieben,eine schöne Einladung zur Ausstellung. Adolf Schmid

Anita Büscher’s phan-tastische Illustrationen mitMotiven aus Mannheim undder Pfalz erzählen vomGleichlauf des Jahres mitder Natur, den Gestirnen,den Traditionen unsererKultur. In zwölf Geschich-ten und meist surreal ge-malten Bildern gibt sie denMonaten „ihre Seele zu-rück“ haucht ihnen Lebenein. 54 heiter-besinnlicheVignetten verzaubern denAlltag, Woche für Woche.

Die Darstellungen erinnern mit ihrer märchenhaftenPrachtentfaltung an die Miniaturmalerei des Mittel-alters.

Die träumerische Bilderwelt Anita Büschers isteingebettet in eine klare Kalenderstruktur. DieArchitektin Tanja Büscher gestaltete das Layoutgeschmackvoll und einfühlsam.

Das „Phantastische Jahrbuch 2006“ ist eineliebenswerte künstlerische Rarität unter den Kalen-dern des neuen Jahres mit kurpfälzisch-nord-badischem Ambiente. Volker Keller

Anita Büscher: Phantastisches Jahrbuch 2006 –Künstler-Jahrbuch mit Kalendarium. B & B VerlagKönigsbach NW 2005, 176 Seiten, 28,50 €

1988 war das Staufener Flurnamenbuch erstmalserschienen, im Frühsommer 2005 kam nun die 2. Auf-lage: „Flurnamen, Straßennamen und Sagen vonStaufen, Grunern und Wettelbrunn“. Schäffner gibtdabei plausible Erklärungen für die alte Namens-gebung. Es weckt Interesse, wie der Autor auch his-torische Persönlichkeiten in ihrer Bedeutung für diekommunale Geschichte verständlich macht – ein gutesBeispiel für zuverlässige heimatgeschichtliche Infor-mationen. Ganz spannend natürlich, was WernerSchäffner zu Dr. Faust in Staufen erzählt.

Adolf Schmid

Schäffner, Werner: Flurnamen, Straßennamen,Sagen und Erzählungen von Staufen, Grunern undWettelbrunn. Selbstverlag, 2. Aufl. 2005, 128 Seiten,3 Karten, 9,50 Euro.

Dieser 456 Seiten umfassende Band enthält 38Studien des Heidelberger Mediävisten Walter Ber-schin, dabei 33 Aufsätze, die sachlich oder methodischneue Ergebnisse vermitteln. Berschin hat dieses Buch„allen Freunden der ,Vatersprache‘ Latein und un-

Berschin, Walter: Mittellateinische Studien. Mattes-Verlag, Heidelberg, 1. Aufl. 2005, 456 Seiten, 31schwarz-weiß Abbildungen, ISBN 3-930978-75-X,75,00 Euro.

mittelbar erfahrbarer euro-päischer Geschichte“ ge-widmet.

Berschin erinnert anErnst Robert Curtius undsein Werk „EuropäischeLiteratur und lateinischesMittelalter“, 1948 in Bernerschienen. Curtius stelltedie lateinische Literaturdes Mittelalters in den Zu-sammenhang der europäi-schen Literatur und er-reichte so ein großes Publi-kum für sein Anliegen, seinBuch wurde zur „Bibel der

Mittellateiner“. Berschin setzte dagegen seine eigenepersönliche Erfahrung – 1948: „Das Familienproblemwaren nicht Buchneuerscheinungen des Jahres 1948,sondern die Frage der Mutter, ob man die Kinder imSommer 1948 nochmals barfuß ins Gymnasium schi-cken könnte, oder ob man von den 40 DM ,Kopfgeld‘,die man am 20. VI. 1948 in einem von Amerikanernschwer bewachten Gasthaus (in Augsburg) abholendurfte, Schuhe kaufen müsse …“.

Walter Berschin hat nun mit diesen Studien,2005 vorgelegt, die Beziehung, den Zusammenhangwieder klargestellt. Die „Bibliographie W. Berschin“(S. 433–456) belegt eindrucksvoll, wie groß seineVerdienste um die Rückgewinnung mittellatei-nischer Literatur sind. Jedes der 38 Kapitel enthältGlanzpunkte, zeigt souveräne Meisterschaft. Sieberechtigt Berschin auch zu saftiger Kritik anmanchen Kollegen; denn „weniger selbstverständlichsind in der Mediävistik Kenntnisse der (alten)Sprachen und Wille oder Fähigkeit, sich in den Stileines Autors einzuarbeiten. Das verführt mancheEditoren dazu, handschriftlich breit dokumentiertenNonsens zu drucken, ohne sich zu fragen, obsolcherlei möglich und dem Autor zuzutrauenwäre …“.

Viele Themen dieses Buches sind auch regional-geschichtlich besonders wichtig: Gallus, St. Gallen,Reichenau, auch die „topoi paralleloi“ am Beispiel vonSt. Peter und St. Märgen. Walter Berschin ist hier eingroßer Wurf gelungen, ein wissenschaftliches Meister-stück. Adolf Schmid

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Mit dem vorliegenden Band erschien 2003 das 10.Jahrbuch „Der Enzkreis“, das in zweijährigem Turnusherausgegeben wird und sich wiederum durch einefreundliche Aufmachung mit durchweg farbigenAbbildungen empfiehlt.

Hervorzuheben ist, dass auch in diesem Band dieThemen weit über die klassischen Felder der Landes-geschichte hinausgehen. Der Bogen wird gespannt vonhistorischen Themen bis hin zur Landschaftsgeschichteund Naturschutz, setzt aber auch einen besonderenSchwerpunkt auf das Thema soziale Fürsorge.

Dieser Band erfüllt seinen Anspruch als Chronistder Gegenwart weit über die turnusmäßig erscheinen-de Chronik der vergangenen beiden Jahre (2001–2003)hinaus. Hierzu zählt der Rückblick auf 30 Jahre Enz-kreis durch den ehemaligen Landrat Werner Burckhart,eine Darstellung des Umbaus eines Weinbrennerhauseszum Archivgebäude der Stadt Neuenbürg (Lolita undBernd Säubert), er enthält aber auch eine Rückschauauf die Partnerschaft zwischen dem Enzkreis und derProvinz Reggio Emilia in Norditalien oder einen Rück-blick auf die Kulturtage des Landkreises 2002.

Die Redaktion hat das „Europäische Jahr derMenschen mit Behinderungen“ 2003 dazu genutzt,dieses Thema zu einem besonderen Schwerpunkt ihresJahrbuchs zu machen. Hierfür konnten Autoren ge-wonnen werden, die mit der Behindertenarbeit beruf-lich zu tun haben. Nach einem allgemeinen Artikel zurIntegration von Menschen mit besonderen Bedürf-nissen und Begabungen von Hans-Peter Böhringerfolgt ein Überblick über das Sonderschulwesen inPforzheim und dem Enzkreis (Petra Gassauer).Beginnend mit den 1960er Jahren, legt der Artikel denSchwerpunkt auf die aktuelle Situation der Gustav-Heinemann-Schule in Pforzheim und der Schule amWinterrain in Ispringen. Es folgen dann die Darstel-lungen zweier Träger der freien Wohlfahrtspflege imEnzkreis, nämlich der „Lebenshilfe“ und der Caritas,die ihre Arbeit in den letzten Jahrzehnten vorstellen.Eine bemerkenswerte Ergänzung bildet der Beitragvon Olaf Schulze über Joseph Dannhauser(1731–1803) aus Neubärental, Gemeinde Wurmberg,der ohne Vorderarme und Füße zur Welt kam, abertrotzdem schreiben und allerlei akrobatische Kunst-stücke vollbringen konnte. Er lebte als „der Wurm-berger Bettelbube“ in einer selbst gebauten Hüttemitten im Wald zwischen Wurmberg und Pforzheim.Der Autor weitet jedoch seinen Blick auf das Schicksaleiniger berühmter Behinderter der Frühen Neuzeit,wie z. B. Sabina Amelthau aus Schlesien oder demarmlosen Ratsschreiber Thomas Schweicker ausSchwäbisch Hall. Sein Resümee bleibt allerdings, dassdas Thema Behinderung von der Geschichts-schreibung noch weitgehend vernachlässigt wurde.

Einen besonderen Aspekt der Medizin- bzw. Sozial-geschichte behandelt Konstantin Huber in seinem sehrmaterialreichen Aufsatz über die „Pest und andereSeuchen im Pforzheimer Umland“, und zwar in derZeit von 1560 bis 1645. Quellengrundlage sind dieTotenregister von 14 Pfarreien, die 25 Dörfer (!)umfassen, teilweise aber auch über das Kreisgebiethinausgehen (Weissach und Flacht). Er konnte fest-stellen, dass in den Jahren 1560 bis 1600 etwa im 10-Jahres-Abstand immer wieder Wellen von Epidemien

Der Enzkreis. Jahrbuch 10. Hrsg. vom LandratsamtEnzkreis. Pforzheim und Ubstadt-Weiher 2003, 352Seiten, mit 170 Abb.; ISBN 3-9806682-5-8, € 12,80.

die Dörfer erfassten. Häufig waren jedoch nur einzelneDörfer von Seuchen betroffen, während benachbarteSiedlungen unberührt blieben. Einen gewissen Rück-gang gab es in den Jahrzehnten vor dem dreißigjäh-rigen Krieg, um dann in den Jahren 1634–36 zu einerungeheuren Katastrophe zu kommen. Die durch Plün-derungen und Hunger geschwächte Bevölkerungwurde zu einem Viertel bis zur Hälfte Opfer der Pest.Huber sieht damit – ähnlich wie von Stefan Benningfür das Gebiet Metter und Zaber festgestellt – auch dasUmland von Pforzheim als einen besonderen Schwer-punkt innerhalb des Herzogtums Württemberg.

Martin Geier nimmt die Sage über eine Gräfin, dieauf der Schlosssteige von Neuenbürg spukt, zum Aus-gangspunkt für verschiedene Studien über den Neuen-bürger Obervogt Christoph v. Haugwitz (und dessenHerkunft südlich von Bautzen). Der Sage nach soll seineEhefrau Marie umgehen, da ihr Ehemann das Ver-sprechen gebrochen hatte, sie in ihrer Heimat zubestatten – tatsächlich wurde sie in Neuenbürg und nichtin ihrer Heimat Degenfeld zu Grabe getragen. Vonbesonderem aktuellen Interesse ist, dass im Jahr 2000 imZuge der Inventarisierung von Kleindenkmalen tatsäch-lich ein Gedenkstein aufgefunden wurde, der identischmit dem in der Sage erwähnten Stein sein könnte.

Eine bemerkenswerte Verbindung von Natur- undKulturgeschichte liefern einige weitere Beiträge. Ilseund Johannes Häge stellen die Geschichte des „Maul-bronner Closterweinbergs“ dar. Das Thema erhielt vorallem dadurch Aktualität, dass seit Ende der 1990erJahre wieder Weinbau betrieben wurde, nachdem dieWeinberge in den 1920er Jahren aufgegeben wordenwaren. Ebenfalls um das Thema Kulturlandschaft undihre Geschichte geht es in einem Aufsatz von Fritz-Gerhard Link, der die historischen Ortsränder im Enz-kreis untersucht. Aus den früher meist von Obst-baumgürteln geprägten Ortsrändern wurden „Einfami-lienhaus-Steppen“ mit Hausgärten. Thematisch direktdaran anschließend weist Gerhard Vögele auf die öko-logische Bedeutung der Streuobstwiesen als gefährdeteRefugien der Tier- und Pflanzenwelt hin. Obwohl ausdem Enzkreis noch keine großflächigen Untersuchun-gen vorliegen, lassen sich auch hier die Streuobstwie-sen als vielfältige Rückzugsgebiete von bedrohten Tie-ren und Pflanzen nachweisen. Von Interesse ist auchder Beitrag von Heinz Haug über die Direktvermark-tung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Enzkreis, einVersuch der Landwirte, sich in Zeiten des fort-dauernden Preisverfalls für Agrargüter zu behaupten.

Abgerundet wird der Band durch weitere Beiträgeüber einzelne Kreisorte wie die ReformgemeindeEngelsbrand (Carlo Burkhardt) oder Wimsheim ausAnlass der Verzeichnung des Gemeinderarchivs (HeikeSartorius), aber auch eine Hausgeschichte über dasheutige Archivgebäude von Neuenbürg (Karl Mayer)sowie zwei kleinere Biografien über Jakobina Friede-rika Lutz (Fritz Barth), eine Wirtin, die 1796 ihreGemeinde Calmbach vor einer Zerstörung durchfranzösische Truppen rettete, indem sie die geforderteBrandschatzungssumme von 20 000 fl. in ihrer Schür-ze brachte, und über Hermann Heinrich Frey (GüntherMahal), einen in Dürrmenz 1549 geborenen Pfarrer,der als Verfasser so genannter „Teufelbücher“ inErscheinung trat, in der streng protestantisch-ortho-dox die „Welt voll Teufel“ differenziert und nachbestimmten Lastern dargestellt wurde. Kurzum, derBand liefert wieder ein breites und ideenreiches Spek-trum von Themen aus Geschichte und Vergangenheitdes Enzkreises. Nikolaus Back

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