Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße...

38
Das Murgtal Von Friedrich Metz, Freiburg i. Br. Badische Heimat 1937 S. 103 - 141 Unter den großen Schwarzwaldtälern nimmt das Murgtal eine geographische Sonderstellung ein durch seinen Verlauf, durch seine Naturausstattung und die dadurch bedingte geschichtliche Entwicklung. Diesen Zusammenklang von Natur und Kultur empfindet der Einheimische wie der Fremde und auch dann, wenn ihnen die tieferen Einsichten in die naturwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge fehlen. Mit der Vielgestaltigkeit seiner einzelnen Abschnitte ist das Murgtal geradezu ein Muster- beispiel für die engen Zusammenhänge zwischen geologischer Landschaft und Siedlungs- und Wirtschaftsgestaltung. Diese Wechselwirkungen zu deuten und das Bild der Kultur- landschaft zu entwerfen, kann freilich nur in Umrissen geschehen. Auf eine Einzelbeschrei- bung muss verzichtet werden; diese mag den örtlichen Heimatforschern vorbehalten bleiben. Stets fiel der südnördlich gerichtete Lauf der Murg auf, der diese damit grund- sätzlich von anderen Schwarzwaldflüssen wie der Dreisam, Elz, Kinzig, Rench oder der Acher unterscheidet. Tektonische Vorgänge mögen diese Richtung vorgezeichnet haben. Für unsere Betrachtungen ist von Bedeutung, dass die Murg damit den ganzen Körper des Schwarzwaldes durchschneidet und dem Verkehr den Weg bahnen hilft. Allerdings konnte diese Möglichkeit erst in jüngster Zeit technisch ausgenützt werden; jahrhundertelang lag in der wilden Schlucht der Murg zwischen Forbach und Schönmünzach eine der wirksamsten Sperren des Gebirges. Wohl konnte diese Schranke umgangen werden und über die Hochflächen standen Murg- und Enzgebiet miteinander in Verbindung. Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der oberrheinischer Wein ins Schwäbische gebracht wurde. Tatsächlich stellten das obere und untere Murgtal zwei Sackgassen dar, und das ist die tiefste Ursache einer auffallend späten Erschließung. Von besonderer Bedeutung für den Gang der Besiedlung sollte auch die auffallende Tatsache werden, dass das Ge- wässernetz ein durchaus einseitiges ist. Während von Osten her nur kurze Nebenbäche einmünden, sind die von Westen kommenden oft viele Wegstunden lang. Die linken Zu- flüsse der Murg wie deren Quellbäche, Rotmurg und Rechtmurg, folgen der allgemeinen Abdachung des Gebirges und greifen bis zum wasserscheidenden Hauptkamm zurück. Daraus folgert aber auch deren leichtere Erschließung von Westen her, von der Rheinebene und den Vorbergen. Durch die Steigungsregen bedingt sind gerade auch die rechten Nebenbäche außerordentlich wasserreich — an der Schramberghalde und auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der Siedlungsraum der rechten aber ist noch bedeutungsloser als der der linken Zuflüsse. Versuchen wir uns zunächst eine Vorstellung von der Gliederung des Murgtals selbst zu verschassen. Von auffallender Breite ist das unterste Talstück, der Ausmündung von Kinzig oder Elz in die Rheinebene vergleichbar. Während die Eckpfeiler am Taleingang, besonders der Eichelberg, Buntsandsteinklötze bilden, baut eine bunte Folge von weichen und härteren Gesteinen vor allem des Rotliegenden, den untersten Talabschnitt auf. Im ganzen leisteten diese Gesteine der Abtragung wenig Widerstand und so entstanden weiche Geländeformen. Gegenüber dem anschließenden Flussabschnitt

Transcript of Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße...

Page 1: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Das Murgtal Von F r i ed r i ch Me tz , F re ibu rg i . B r .

Bad isc he He ima t 1937 S . 103 - 141

Unter den großen Schwarzwaldtälern nimmt das Murgtal eine geographische Sonderstellung ein durch seinen Verlauf, durch seine Naturausstattung und die dadurch bedingte geschichtliche Entwicklung. Diesen Zusammenklang von Natur und Kultur empfindet der Einheimische wie der Fremde und auch dann, wenn ihnen die tieferen Einsichten in die naturwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge fehlen. Mit der Vielgestaltigkeit seiner einzelnen Abschnitte ist das Murgtal geradezu ein Muster-beispiel für die engen Zusammenhänge zwischen geologischer Landschaft und Siedlungs-und Wirtschaftsgestaltung. Diese Wechselwirkungen zu deuten und das Bild der Kultur-landschaft zu entwerfen, kann freilich nur in Umrissen geschehen. Auf eine Einzelbeschrei-bung muss verzichtet werden; diese mag den örtlichen Heimatforschern vorbehalten bleiben.

Stets fiel der südnördlich gerichtete Lauf der Murg auf, der diese damit grund-sätzlich von anderen Schwarzwaldflüssen wie der Dreisam, Elz, Kinzig, Rench oder der Acher unterscheidet. Tektonische Vorgänge mögen diese Richtung vorgezeichnet haben. Für unsere Betrachtungen ist von Bedeutung, dass die Murg damit den ganzen Körper des Schwarzwaldes durchschneidet und dem Verkehr den Weg bahnen hilft. Allerdings konnte diese Möglichkeit erst in jüngster Zeit technisch ausgenützt werden; jahrhundertelang lag in der wilden Schlucht der Murg zwischen Forbach und Schönmünzach eine der wirksamsten Sperren des Gebirges. Wohl konnte diese Schranke umgangen werden und über die Hochflächen standen Murg- und Enzgebiet miteinander in Verbindung. Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der oberrheinischer Wein ins Schwäbische gebracht wurde.

Tatsächlich stellten das obere und untere Murgtal zwei Sackgassen dar, und das ist die tiefste Ursache einer auffallend späten Erschließung. Von besonderer Bedeutung für den Gang der Besiedlung sollte auch die auffallende Tatsache werden, dass das Ge-wässernetz ein durchaus einseitiges ist. Während von Osten her nur kurze Nebenbäche einmünden, sind die von Westen kommenden oft viele Wegstunden lang. Die linken Zu-flüsse der Murg wie deren Quellbäche, Rotmurg und Rechtmurg, folgen der allgemeinen Abdachung des Gebirges und greifen bis zum wasserscheidenden Hauptkamm zurück. Daraus folgert aber auch deren leichtere Erschließung von Westen her, von der Rheinebene und den Vorbergen. Durch die Steigungsregen bedingt sind gerade auch die rechten Nebenbäche außerordentlich wasserreich — an der Schramberghalde und auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der Siedlungsraum der rechten aber ist noch bedeutungsloser als der der linken Zuflüsse.

Versuchen wir uns zunächst eine Vorstellung von der Gliederung des Murgtals selbst zu verschassen. Von auffallender Breite ist das unterste Talstück, der Ausmündung von Kinzig oder Elz in die Rheinebene vergleichbar. Während die Eckpfeiler am Taleingang, besonders der Eichelberg, Buntsandsteinklötze bilden, baut eine bunte Folge von weichen und härteren Gesteinen vor allem des Rotliegenden, den untersten Talabschnitt auf. Im ganzen leisteten diese Gesteine der Abtragung wenig Widerstand und so entstanden weiche Geländeformen. Gegenüber dem anschließenden Flussabschnitt

Page 2: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

105 —

Im Murgtal bei Forbach

Aus dem Bildarchiv der Reichsbahndirektion, Karlsruhe)

Page 3: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 0 6 —

ist das unterste Talstück abgesunken. Die breiten Talsohlen sind stark aufgeschottert und mit fruchtbarem Lehm überdeckt. Niedrige Hügel begrenzen das Tal, das weite Aus-räumungszonen und damit auch vorteilhafte Siedlungsräume aufweist. Die geringe Erhebung über den Meeresspiegel und das milde Klima bedingen es, dass die Siedlungs-entwicklung mit der der Rheinebene und Vorbergzone übereinstimmt. Siedlungs- und Bevölkerungsdichte sind außerordentlich groß.

Mit einem Blick lässt sich von Schloss Eberstein, diesem unvergleichlichen Aussichts-punkt, der Gegensatz der beiden Talabschnitte erfassen. Abwärts Gernsbach erstreckt sich eine von menschlichen Wohn- und Arbeitsstätten und geschäftiger Unrast erfüllte Tal-landschaft mit einer reichen Fülle der Formen und Farben. Oberhalb Schloss Eberstein ist das Bild stärker vereinfacht und übersichtlicher, aber es ist noch immer ein mannigfaltiges. Aber einem Sockel von undurchlässigem Granit, der eine reiche Zertalung und unruhige Formen schafft, bauen sich gewaltige geschlossene Mauern des Buntsandsteins auf. Ein zweigeschossiges Landschaftsgebäude, jedes Stockwerk jedoch aus anderem Baustoff und nach einem anderen Baustil aufgeführt. Mit der rascheren Eintiefung und jungen Hebungen, wie das Georg Wagner wahrscheinlich gemacht hat, hängt es zusammen, dass die Talwände schroff, die Talsohlen schmal sind. Terrassen begleiten den Fluss. Die Nebenbäche sind steil, manche münden sogar als Hängetäler ins Haupttal. Sie sind daher kurz und kommen nur ausnahmsweise für die Besiedlung in Betracht, selbst die Wiesenflächen sind beengt. Aber überall sprudeln die Quellen und speisen die Bäche. Die Namen der Dörfer bestätigen das: Forbach, Gausbach, Weisenbach, Lautenbach, Bermersbach, Gernsbach.

Dieses Landschaftsbild wiederholt sich in den Nebentälern, die oberhalb Raumünzach einmünden. Schwarzenbach, Raumünzach, Langenbach, Schönmünzach, Tonbach, sie alle haben die mächtige Buntsandsteintafel durchsägt und sind bis auf das Grundgebirge eingetieft. Dem Wanderer bietet sich daher hier dasselbe Bild der Zweigeschossigkeit der Landschaft, wie sie uns Heinrich Schmitthenner so klar geschildert hat.

Im Abschnitt Forbach — Schönmünzach aber wird der Blick begrenzt von den Granitwänden einer engen Schlucht, in der vor Errichtung der Talsperre die Murg in raschem Lauf hinabeilte. Heute begreift man nicht mehr recht, welche Kräfte die gewaltigen Blöcke in das felsige Bett geworfen haben. Die ungeheure Gewalt der Hochwässer, welche die durchschnittliche Wassermenge verhundertfachte, ist heute gebrochen, freilich das Flussbett gleicht bei Niedrigwasser einem Leichenfeld der Natur. In der Murgschlucht tritt die Siedlung völlig zurück, wir treffen dort nur auf die kleinen Häuslein der Holzhackersiedlung Kirschbaumwasen. Die Buntsandsteinwände hoch oben haben einen Abstand bis 5 km, während in der Taltiefe im Granit Straße und Bahn kaum Platz neben dem Flussbett haben. Für die Bahn musste die Strecke gesprengt oder diese in den Felsen verlegt werden.

Bei Schönmünzach und Schwarzenbach tritt der Wanderer aus der Enge, die ihn gefangenhielt, heraus in ein Tal von überraschender Breite. Das Murgtal von Schwar-zenberg und Huzenbach bis Klosterreichenbach und Baiersbronn ist weiterhin gekenn-zeichnet durch ein geringes Gefälle und einen regelmäßigen Aufbau der Talhänge. Die Talsohle der Murg liegt im Gneis und Terrassen des Rotliegenden und andere Terrassen begleiten den Fluss. Für die Anlage von Siedlungen, Äckern und Wiesen sind die Ver-hältnisse hier weit günstiger als im Abschnitt Gernsbach—Forbach. Der Name des Dorfes Schönegründ ist dafür ein sprechender Beweis. Die Siedlungsgunst des Ab-schnitts Gernsbach—Kuppenheim wird freilich nicht mehr erreicht und man übersehe auch nicht, dass wir bereits auf der Talsohle in einer Meereshöhe von 500 m angelangt sind. Das Landschaftsbild von Baiersbronn ist das der Grundgebirgslandschaft mit

Page 4: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 107 —

Brücke über die Murg, zwischen Forbach und Raumünzach (Aus dem Bildarchiv der Reichsbahndireltion, Karlsruhe)

Page 5: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Stadtplan von Kuppenheim Nach der Bad. Top. Karte 1:25000

ihrem Auf und Ab. Wir finden es daher auch ganz dem Gelände angepasst, wenn hier die Einzelhofsiedlung herrscht, die sonst im Murggebiet unbekannt ist. Aber hätten in anderen Abschnitten nicht auch Einödhöfe Bestand? Diese Frage kann nur die Siedlungs-geschichte beantworten.

Im Forbachtal, das die Richtung der Murg fortsetzt, verändert sich das Landschafts-bild noch einmal. Das Tal wird wieder enger und steilwandiger, und nicht die Landwirt-schaft, sondern der Bergbau hat hier das Siedlungsbild gestaltet. Freudenstadt, die auf-blühende Fremdenverkehrsstadt, liegt 80 m über dem Murgtal, ähnlich wie Rothenburg nicht an, sondern ob der Tauber gelegen ist. Freudenstadt gehört zum Murggebiet, aber diese Stadt liegt auf der Hochfläche, dem Fluss entrückt.

Die Quellflüsse der Murg greifen ähnlich wie Raumünzach und Schönmünzach bis zum Hauptkamm des Schwarzwaldes, zum Kniebis, Schliffkopf und Ruhestein zurück und münden in scharfem Winkel in das Haupttal. In den Talhintergründen dieser Quell-flüsse und Nebentäler bieten sich Landschaftsbilder von besonders eindrucksvoller Schön-heit dar. Die Eiszeit hat hier ihre Spuren hinterlassen in vielen Karen und sie hat jene märchenhaften Seen hingezaubert, die in der Wäldereinsamkeit doppelt geheimnisvoll er-scheinen: Wildsee, Buhlbachsee, Schurmsee, Huzenbachsee, Ellbachsee. Die Sanken-bachfälle gehören dazu und viele verlandete Seen, manche den bezeichnenden Namen

— 108

Page 6: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Kuppenheim

Luftbild Nr. 7636, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Seeloh tragend. Das Schweigen des Waldes aber herrscht unbestritten auf den weit-gedehnten Hochflächen, in die alle die beschriebenen Täler und Talstücke eingetieft sind. Von zwei Seiten her, von der Rheinebene wie von den schwäbischen Gäuhochflächen, wurde das Murgtal erschlossen. Es wiederholt sich damit das Bild, das man allgemein für die Besiedlung des Schwarzwaldes entwerfen kann. Für das Murggebiet tritt das besonders deutlich in die Erscheinung, es überrascht nur im Gegensatz zum Kinzigtal die außerordentlich späte Besiedlung des untersten Talabschnittes. Hier fehlen, von einigen Münzfunden abgesehen, die römischen Spuren, und nichts erinnert an römisches Leben wie in Baden-Baden oder an der Kinzig. Hier gibt es keine -engen- und -heim-Orte der frühen germanischen Landnahme, es findet aber auch das alte Kloster Gengenbach kein Gegenstück. Mit einer Ungunst von Boden und Klima kann dieser auffallende Gegensatz nicht begründet werden. Wohl mag im Sommer in Ortenberg und Gengenbach die Sonne noch heißer brennen und mag das Klostergut Fremersberg, wo sogar Feigen für den Markt gezogen werden können, noch bevorzugter sein. Aber auch im Murgtal steht die Edelkastanie, die vereinzelt bis hinauf nach Langenbrand und Forbach vorkommt, und ist nicht das „Eberblut" von Schloss Eberstein als guter Tropfen bekannt! Haben nicht die Erdbeeren und Kirschen von Staufenberg sich den Badener Markt erobert! Geschützt durch die mächtigen Buntsandsteinhöhen vor den Nordwinden, entwickelte sich früh ein blühender Obstbau, konnte sich einst der Weinbau ausbreiten. 1274 werden die Rebberge von Staufenberg (vinea Stoufenberc) genannt, Reborte waren

— 109 —

Page 7: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Ebersteinburg Luftbild Nr. 11721, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Michelbach und Sulzbach. Die letzten Weinberge finden wir heute in Obertsrot, Hilperts-au und Weisenbach.

Die späte Erschließung muss daher mit anderen geographischen Tatsachen zusammen-hängen: Neben der starken Waldbedeckung war es vor allem die fehlende Durchgängigkeit. Das untere Murgtal endete blind. Auch das Oostal stellte eine Sackgasse dar, und wir beobachten in Lichtental, in Badenscheuern und Geroldsau dieselbe späte Besiedlung.

Mit dem ihm eigenen Scharfblick hat bereits Eberhard Gothein vor 50 Jahren diese Zusammenhänge erkannt und ein im ganzen zutreffendes Bild vom Gang der so auffallend spät einsetzenden Besiedlung des badischen Murgtales entworfen. In Einzel-heiten mag Gothein geirrt haben; aber er wollte nicht die Besiedlungsgeschichte des Murgtals schreiben, sondern die Entstehung jener eigenartigen Wirtschaftsbildung der Murgschifferschaft aufklären, die die Wirtschaftshistoriker seit langem beschäftigt hatte. And das ist Gothein vollauf gelungen. Er kam rasch zu der Erkenntnis, dass die Murg-schifferschaft nicht aus einer Markgenossenschaft hervorgegangen sein kann, wie diese am Gebirgsrand und in die Täler eingreifend in der Ortenau und im Breisgau bestanden haben. Im Murgtal fehlen alle Merkmale einer Markgenossenschaft, wie sie im nahen Oostal, im Battert, in der „Badenhardt" bestand. Für die jüngere Entstehung der Dörfer spricht auch das völlige Fehlen von Allmenden, wie sie draußen am Gebirgsrand und in den Gemeinden der Rheinniederung eine so große Rolle spielen. Mit Kuppenheim, das noch eine aufgeteilte Allmende von 30 ha besitzt, hören die Allmenden der Rhein-

— 110 —

Page 8: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Schloss Eberstein bei Gernsbach Luftbild Nr. 18 747, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

ebene auf. Au am Rhein besitzt eine Allmendfläche von 96 ha, Steinmauern an der Murgmündung eine solche von 54 ha; Plittersdorf 74 ha, Illingen 73 ha, Iffezheim 204 ha. Allmenden fehlen ebenso im württembergischen Murgtal, dessen Siedlungs- und Flurverfassung durch das Überwiegen der Waldhufendörfer und Einzelhöfe gekenn-zeichnet wird.

Fassen wir zunächst den Gang der Besiedlung im badischen Murgtal ins Auge, so erscheint als älteste Siedlung das Torf Kuppenheim, das urkundlich allerdings erst im 11. Jahrhundert erwähnt wird. Mit der Gründung der Stadt Kuppenheim Ende des 13. Jahrhunderts verliert das frühere Dorf, dessen Name auf die Stadt übertragen wurde, seine Bedeutung. Als „Oberndorf" besteht es mit einer kleineren Gemarkung von 250 ha, die von der der Stadt Kuppenheim umschlossen ist, fort, und während Kuppenheim eine Waldfläche von 858 ha besitzt, beträgt die von Oberndorf nur 30 ha. Die Stadt Kuppenheim, die 1318 als civitas de Eberstein genannt wird, stellt eine planmäßige Anlage mit kreisförmigem Grundriss dar, wie wir das auch bei den Stadtanlagen von Steinbach und Durlach beobachten können. Kuppenheim wurde als Marktstadt errichtet an der Grenze von Ebene und Gebirgstal, das um diese Zeit durch die Besiedlung erschlossen worden war, und gehört damit in die große Reihe der alten Städte an den Gebirgsrändern. Gleichzeitig lag es an der großen Verkehrsstraße, die dem Gebirgsrand entlang zog. Kuppenheim war damit auch der Vorläufer von Rastatt, das erst in späteren Jahrhunderten Bedeutung erlangen sollte, und zwar als Festung und Residenz.

— 111 —

Page 9: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 112 —

Über Rastatt ging von jetzt an auch die Landstraße. Seitdem sank Kuppenheim zum Rang einer kleinen Landstadt von heute 2890 Einwohnern herab. Jüdische Händler machten früher einen nicht ganz unbedeutenden Hundertsatz der Einwohnerschaft aus. Für 1683 werden 10 Judenfamilien genannt, 1925 wurden 137 Juden gezählt; seit 1933 ist diese Zahl wesentlich geringer geworden. So bescheiden sich aber Kuppenheim heute als Stadt ausnehmen mag, in Grundriss und Aufriss verrät es noch immer sein ehr-würdiges Alter, und übersehen darf nicht werden, dass Kuppenheim das Schicksal von Rastatt teilte und 1689 von dem General Duras niedergebrannt wurde.

Für die Besiedlung des Murgtals wurde Rotenfels bedeutsamer, das das Erbe der Mark Kuppenheim antrat. Rotenfels wird erstmals 1041 als bischöflich-speyerisches Dorf genannt. Als Tochtergründung von Rotenfels erscheint Bischweier, das 1288 erwähnt wird; es entstehen Michelbach und Sulzbach, heute noch vom Rotenfelser Gemeindewald umschlossen. Für das höhere Alter von Rotenfels spricht auch die große Gemarkung von 2031 ha und ein Gemeindewald von 1414 ha. Bischweier besitzt nur eine Gemarkungsfläche von 460 ha und keinerlei Wald. Neben Bischweier stehen Ober-weier und Niederweier, Sandweier und Waldprechtsweier als Tochtergründungen auf älteren Gemarkungen. Bischweier aber ist ein Weiler der Bischöfe von Speyer, die auch mit dem Stift Weißenburg über den Rhein herübergreifen, den Zusammenhang der beiden Stromseiten auch an dieser Stelle bezeugend. Mit Weißenburg war vor allem Kuppenheim eng verbunden. Die Häufung der weier-Orte bei Kuppenheim am Tal-ausgang der Murg hat ein Gegenstück in den weier-Orten um Offenburg, dem alten Kinzig-dorf. Lind dasselbe Bild wiederholt sich auf der Ostabdachung des Schwarzwaldes, wo bei Freudenstadt auf der alten Mark Dornstetten Ausbausiedlungen wie Wittlens-weiler und Dietersweiler entstehen. Dass diese Weier und Weiler nicht römische Gründun-gen darstellen können, beweisen ihre Namen wie ihre Lage. Für das Murggebiet aber scheidet eine solche Annahme bei der späten Besiedlung von vornherein aus.

Die Besiedlung des badischen Murggebiets ist unter der Führung der Grafen von Eberstein erfolgt, deren Rodetätigkeit sich über das Albgebiet bis zur Enz erstreckt, etwa das Oberamt Neuenbürg umfassend. Die Klöster haben dagegen in unserm Gebiet keinen besonderen Anteil am Landesausbau gehabt. Herrenalb und Frauenalb, beides ebersteinische Gründungen, waren ebensowenig als Rodeklöster für den Schwarzwald gedacht wie das Kloster Lichtental, die Grablege der badischen Markgrafen. Als diese Klöster gestiftet wurden – Herrenalb um 1148, Frauenalb zwischen 1158 und 1193, Lichtental 1245 — bestanden die Dörfer und Bauernhufen im Umkreis bereits und wurden den Klöstern teilweise zur Ausstattung gegeben, ein Vorgang, der sich im oberen Murgtal bei der Errichtung des Klosters Reichenbach 1082 wiederholt. Die Siedlungs-forscher haben das auch für das Kloster Alpirsbach und das Mutterkloster Hirsau nach-gewiesen. Weder die benachbarten Höfe im Ehlenbogen noch die Vierzighöfe verdanken dem Kloster Alpirsbach ihre Entstehung. In geringerem Umfang wurden auch von diesen Klöstern Höfe angelegt, so die Reichenbacher Höfe.

Die Verlegung des Sitzes des Grafengeschlechtes von Ebersteinburg nach Schloss Eberstein kennzeichnet den Fortgang der Besiedlung im unteren Flussabschnitt. Im Teilungsbrief von 1219 und auch noch 1272 werden Dörfer oberhalb Gernsbach nicht aufgeführt, was natürlich mit der Gründung nicht gleichzusetzen ist. Die Besiedlung dieses Talabschnittes muss daher erst im 13. und 14. Jahrhundert erfolgt sein. Auch die Gründung der Stadt Gernsbach, die die ebersteinische Rose im Wappen führt, steht im engsten Zusammenhang mit dem Landesausbau. Als Markt wird Gernsbach im Jahre 1219 zum erstenmal genannt (Genresbach vilia quae forensis est), als Stadt (opidum) im Jahre 1272. Kirchlich blieb Gernsbach zunächst eine Filiale von Rotenfels. Die Eber-

Page 10: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 113

Blick von Schloss Eberstein murgaufwärts

Au1n. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

steiner hatten eine gute Wahl getroffen, als sie Gernsbach dort anlegten, wo die verschiede-nen Natur- und Wirtschaftsgebiete zusammentreffen, das der Korn- und Weinbauern und das der Waldbauern. Hier war der Marktort von der Natur vorgezeichnet. Gerns-bach war und wurde aber auch der Mittelpunkt der Wege, die von hier nach Baden über Staufenberg und den Walheimer Hof und nach Herrenalb über Loffenau führten. Von Gernsbach zweigte die Weinstraße ab und führte die Floßstraße der Murg vorbei und der Weg hinauf nach Forbach. Wem Gelände angepasst und der Bedeutung der Murg entsprechend führt die Hauptstraße senkrecht zum Fluss.

Die urkundliche Erwähnung der Dörfer oberhalb Gernsbach erfolgt sehr spät. 1272 wird Langenbrand genannt, aber erst 1386 Forbach mit seinen Tochtersiedlungen Gausbach und Bermersbach. Zunächst blieb Forbach kirchlich nach Notenfels einge-pfarrt, ein Beweis dafür, dass es im oberen Talstück noch lange nach den Dorfgründungen keine Pfarrkirchen und Pfarrdörfer gab. Nun kann ein Torf lange nach seiner Gründung erstmals in einer Urkunde erscheinen, aber es kann kein Zufall sein, wenn viele Dörfer so spät erst erwähnt werden.

Badische Heimat, Jahresheft 1937 8

Page 11: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 114 —

Bermersbach

Luftbild Nr. 4506, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Der Vorgang der Waldrodung wurde festgehalten in manchen Flurnamen und in den Namen der Dörfer Obertsrot und Langenbrand, während Namen wie Rotenfels und Rot mit der Farbe des Gesteins zusammenhängen mögen. In den Wald lockte die Siedler aber wohl nicht so sehr das Holz, das in den unwegsamen Waldgebirgen im Mittelalter noch keinen besonderen Wert hatte. Von einer geordneten Waldwirtschaft konnte hier für viele Jahrhunderte noch keine Rede sein. Vielmehr trieben die Gemeinden ihr Vieh in die Wälder und auf die verheideten Waldblößen und brannten alljährlich die Heide ab. Nach einem „Viehleger" wurde später eine kleine Siedlung bei Biberach genannt. Nach der Beschreibung der Schifferschaftswaldungen durch den schifferschaft-lichen Forstmann C. F. Arnsperger vom Jahre 1818 war damals ein Drittel des Waldes Heide. Dort, wo Buchen und Eichen eine stärkere Verbreitung hatten, spielte die Schweine-mast eine große Rolle. Stellenweise, so in Forbach, hielt sich die Schweineweide bis in die neueste Zeit. Im Grundgebirge, das bis 750 m hinaufreicht, müssen wir uns die Wälder des Murgtals für die ältere Zeit als Mischwälder von Buchen und Tannen vorstellen, die für die Waldweide geeignet waren. In diese Wälder drang die Siedlung ein und, wie wir dank der Forschungen von Gotthold Knödler immer klarer erkennen, in der Form der Waldhufensiedlung. Waren durch die Forschungen von Robert Grad-mann die Waldhufen des nordöstlichen Schwarzwalds in der Umgebung von Pforzheim und Calw bekannt geworden, so konnte Knödler zeigen, dass diese Waldhufenfiedlung ursprünglich bis ins Alb-, Murg- und Oosgebiet hinüberreichte. Damit findet auch der Hinweis von Gothein auf die Hufe eines Bauern in Langenbrand, die bis zum Hohloh

Page 12: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Forbach Luftbild Nr. 11694, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

hinaufreichte, ihre Bestätigung. Waldhufensiedlungen waren Lichtental und Baden-scheuern. Diese Waldhufen sind heute noch deutlich erkennbar im württembergischen Murggebiet, besser auf der Hochfläche wie im Tal. Auch dem ungeübten Auge sollte auf der Schwarzwaldvereinskarte die regelmäßige Anlage der Flur von Besenfeld auf-fallen. Bei den Murgtaldörfern aber muss man die Spezialkarten genauer daraufhin ansehen. Die Bevölkerungsvermehrung und Bodenzersplitterung haben das alte Flur-bild im ganzen Murgtal gründlichst zerstört. Wir können heute nur noch von einer Parzellenflur sprechen, wo früher Weilerfluren und Waldhufenfluren bestanden haben. Im untersten Talabschnitt wirkte das Vorbild der Gewannfluren der Ebene. Dort konnte auch die Dreifelderwirtschaft geübt werden, was im rauhen Wald ausgeschlossen war. Hier spielte der „Wasboden" neben dem Korn- und Haberfeld und später dem Kartoffelacker eine Rolle in einer Art Feldgraswirtschaft. Die Bodenzersplitterung aber erreichte im industrialisierten Murgtal ein unvorstellbares Ausmaß.

Die folgende Zusammenstellung für einige badische Murgtalgemeinden nach dem Stand von 1925 mag diese Verhältnisse veranschaulichen:

Gemarkungsfläche davon Acker Wiese Reben Wald Eigentumsstücke Au ................ 226 ha 38 ha 29 ha — 130 ha 1852 Hilpertsau . . 394 „ 66 „ 58 „ 4 ha 239 „ 2111 Obertsrot . . 833 „ 69 „ 70 „ 5 „ 646 „ 2596

8*

— 115 —

Page 13: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

- 116 —

Klosterreichenbach (Aus dem Bildarchiv der

5Reichsbahndirektion, Karlsruhe)

Gemarkungsfläche davon

Acker Wiese Reben Wald Eigentums-

stücke

Gaggenau . . 687 ha 138 ha , 157 ha 2 ha a 293 ha 2858 Langenbrand . 640 „ 76 „ 76 „ — 441 „ 3018 Korden . . . 401 „ 68 „ 50 „ 9 „ 226 „ 3207 Weisenbach. . 681 „ 96 „ 88 „ 5 „ 439 „ 4118 Notenfels . . 2031 „ 330 „ 195 „ — 1414 „ 4178 Ottenau . . . 561 „ 185 „ 98 „ 21 „ 211 „ 7511 Forbach^. . . 8328 „ 101 „ 236 „ — 7823 „ 7828

Das ganze Ausmaß dieser Bodenzersplitterung erhellt aber erst, wenn man die Verhältnisse der Dörfer mit Gewannflur und Gewannlage im alten Land zum Ver-gleich heranzieht. Als Beispiel seien zwei Ortenauer Gemeinden mit entsprechend kleiner landwirtschaftlicher Fläche aus dem Rebgebirge um Offenburg aufgeführt:

Gemarkungsfläche Ackerland Wiese Reben Wald Eigentumsstücke

Ortenberg 567 ha 150 ha 147 ha 123 ha 78 ha 7216

Zell-Weierbach

729 35 52 155 438 8434

Auch hier ist die Parzellierung aufs äußerste getrieben, findet aber bei dem ausge dehnten Rebbau halbwegs eine Erklärung und Rechtfertigung. In Forbach aber und den Nachbardörfern kann jedoch von einer eigentlichen Landwirtschaft gar nicht mehr

1 1933: 10365

Page 14: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Bauernhaus in Heselbach

(Aus dem Bildarchiv der Reichsbahndirektion, Karlsruhe)

gesprochen werden. Nur noch 13 landwirtschaftliche Betriebe in Forbach weisen eine Fläche von 2 bis 19 ha auf, 365 bleiben unter 2 ha. In Gausbach, in Au, in Hilpertsau, in Weisenbach gibt es nur noch Zwergbetriebe. Auch in den älteren Landesbeschreibungen und Statistiken wird von Forbach bereits berichtet, dass die Mehrzahl der Einwohner von der Waldarbeit lebt. Nicht zufällig führt Forbach zwei Holzbeile im Wappen. Erwähnt werden früher auch einige Waffenschmiede. Die für die Holzarbeit benötigten Werkzeuge wurden hier und in andern Murgtalorten erzeugt.

Die Landwirtschaft wurde im Gegensatz zu dem Talstück abwärts Gernsbach und bei Klosterreichenbach stets als Hackwirtschaft betrieben. An den steilen Granithängen war der Pflug nicht mehr angebracht. Der Boden musste gehackt und alles, nicht nur die Ernte, sondern der Dung, auf dem Rücken mit der „Kitsche" getragen werden. „Kit-sche" wurde daher bei den württenbergischen Nachbarn der Spottname für alle badischen Murgtäler, wie uns Jägerschmid berichtet. Die Granitböden müssen stark gedüngt werden, aber für die Wiesenwässerung ist das mineralreiche Wasser aus dem Grund-gebirge sehr günstig.

Noch wirkt die alte Flurverfassung im Erbrecht nach. Im Vereich der früheren Waldhufen und auf den Einzelhöfen von Baiersbronn sucht man den Besitz ungeteilt beisammenzuhalten. Dem Anerbenrecht im obersten Murgtal steht die Freiteilbarkeit und der ewige Besitzwechsel im unteren Murgtal gegenüber. Zäh verteidigt aber auch die Arbeiterfamilie ihren kleinen Besitz, ihr Stückchen Heimaterde.

— 117 —

Page 15: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

- 118

Schönmünzach Luftbild Nr. 23270, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. !. L.M.

Die verhältnismäßig frühe Besitzergreifung des Murgtals bei Freudenstadt gegen--über dem Talabschnitt Gernsbach—Forbach mag zunächst überraschen. Das Bistum Konstanz erreichte von Osten mit seinen Pfarreien 200 Jahre früher die Murgschlucht wie das Bistum Speyer von Westen her. Diese Tatsache wird durch die Nähe der alten offenen Landstriche des Heckengäus im Muschelkalk erklärt. Dort liegen die alten Dörfer und Kirchspiele von Urnagold, Altensteig und Dornstetten. Als 1082 das Kloster Reichenbach errichtet wurde, war wohl um Schwarzenberg noch keine Siedlung, aber wir erfahren, dass im Murgtal andere Siedlungen bereits bestanden und viele Hufen dem Kloster geschenkt wurden. Der Name des Klosters stammt von einem Dorf, das vorher schon bestand. Das breite, fruchtbare, wasserreiche, aber nicht sehr gefällreiche Talstück war ein denkbar günstiges Siedlungsland. Der Name des Dorfes Schönegründ ist dafür ein sprechender Beweis. Mit viel geringerem Arbeitsaufwand ließen sich hier Äcker und Wiesen anlegen. Auch für die Fischzucht eignete sich dieses Talstück besser. Dass aber auch weiter unten der Fischfang eine Rolle gespielt hat, beweist der Name von Forbach, das nach der Forle, der Forelle, benannt ist. Die Pfalzgrafen von Tübingen haben für die Besiedlung des oberen Murgtals eine ähnliche Bedeutung wie die Grafen von Eberstein im unteren. 1292 wird Baiersbronn urkundlich genannt; Gründungen sind die Reichenbacher Höfe, die als Viehhöfe, als Schweighöfe angelegt wurden. Dorf und Kloster Reichenbach sind wohl nach dem starken Klosterbrunnen benannt, der wie die zahlreichen anderen Quellen dieses Talstücks an der Basis des

Page 16: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Baiersbronn Luftbild Nr. 1919, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Buntsandsteins austritt. Die feuchte und kalte Talsohle selbst wird von den Siedlungen gemieden, sämtliche Dörfer und Höfe liegen auf Fluss-- und Gesteinsterrassen. Heute stehen neben den Bauernhöfen die Heimstätten der Holzhacker und Tagelöhner. And viele Bauern sind eigentlich als Holzfuhrleute zu bezeichnen.

Über die Siedlungsgeschichte von Baiersbronn, das mit 14048 da und 142 Einzel-siedlungen die größte und eigenartigste Gemeinde in Württemberg darstellt, sind wir durch I. Hartmann gut unterrichtet. Im badischen Schwarzwald findet Baiersbronn zahlreiche Gegenbeispiele. Aber die Siedlungsvorgänge bei der Gründung von Baiersbronn sind wir durch I. Hartmann gut unterrichtet. Er verweist zum Anhalt auf das Schenkungsbuch des Klosters Reichenbach aus dem 12. Jahrhundert, wo es von einem Hof am Thonbach heißt, er sei „teils zum Gebrauch als Wiese bebaut, teils noch mit Wald bedeckt". Von Waldhufen kann hier nicht die Rede sein, denn die Hofgüter stellen ganz verschieden geformte und ungleich große Rodungen dar. Die Bauern der Einödhöfe wohnten „in den Behausungen zwischen ihren selbst Gütern und der Allmeind gelegen, zwischen ihren selbst Wiesen und Mäheveldern", sie hatten ihre „Waldgründe und Wald-guter" zum Weiden und Bebauen, „machten Allmeinden, Hölzer, Steinriegel oder andre hievor unfruchtbare Orte zu Äckern", bauten Korn und Hafer — ein Hof trägt den Namen Haberland —, lebten aber wie heute von der Viehzucht und dem Wald. In den unbe-siedelten Tälern und Forsten aber spielte die Jagd noch lange eine bedeutsame Rolle. Noch in der Ortsverkündigung von Baiersbronn von 1607 wird das Schussgeld für

— 119 —

Page 17: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 120 —

Page 18: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 2 1 —

Bären, Wölfe, Wildschweine festgesetzt. Es sei in diesem Zusammenhang auch an die frühere Verbreitung des Bibers erinnert. Davon erhielten Biberach und der Biberkessel ihre Namen.

Mit dem 14. Jahrhundert dürfte die Besiedlung des Murgtals selbst ihren Abschluss gefunden haben. Unbesiedelt blieben nach wie vor die Granitschlucht und die Nebentäler. Deren Erschließung setzt erst im 18. Jahrhundert ein und findet im 19. Jahrhundert ihren Fortgang und ihren Abschluss im 20. Jahrhundert.

Wohl wird bereits 1538 ein „Herrenwieser Lehen" genannt, von Gebäuden und einer Kapelle ist aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Rede. Die Herren, denen diese Wälder und Lehengüter gehörten, waren die Herren von Windeck im Kappeler Tal. Es war eben viel leichter über den wasserscheidenden Hauptkamm von den „Büheln" der Vorberge her in die oberen Talstücke von Raumünzach und Schönmünzach zu ge-langen als von der Murgseite, wo Wasserfälle und enge Schluchten den Weg versperrten. Die abgesonderten Waldgemarkungen führten daher zutreffend die Bezeichnung Windeck-Herrenwies und Windeck-Hundsbach.

Erst mit der Wertsteigerung des Holzes, einer wirtschaftlichen Nutzung der Wälder und deren Erschließung durch Straßen und Abfuhrwege konnten diese Siedlungen entstehen. Vor den „Kolonisten" waren Köhler und Harzer, Pottaschensieder und Glasmacher in die entlegenen Wälder gekommen. Daran erinnern noch viele Siedlungs- und Wald-namen, so der Siedlungen Aschenplatz im Hundsbachtal und Kohlwald im Tonbachtal. Vorübergehenden Bestand hatte eine Glashütte bei Herrenwies, deren Gebäude, wie so viele anderer Hütten, verschwunden sind. Bis 1900 bestand dagegen die ansehnliche Glashütte von Schönmünzach, für die 1734 auf kirchenrätlichem Boden des Klosters Reichenbach für den Schaffhauser Beatus Wilhelm Goßweiler die behördliche Ge-nehmigung erteilt worden war. Im Murgbett unterhalb Schönmünzach findet man noch abgerollte Glasstücke, die von der aufgelassenen Hütte herrühren. Bis in die Gegen-wart hielt sich die 1758 errichtete Glashütte in Buhlbach. Die Glashütte Rinden-schwenders in Gaggenau gründete sich allerdings auf andere Standortsbedingungen Ihre Lage ist aber bezeichnend für das Hinauswandern der Glashütten aus den Wäldern, wo sie vielfach gar keinen festen Standort hatten. Der Name des Glaswaldsees über dem Renchtal bezeugt das.

Von dem Leben der Waldleute in den Nebentälern der Murg um 1800 hat der markgräflich-badische Oberforstrat in Gernsbach K. F. V. Jägerschmid in seinem wertvollen Werk über das Murgtal ein anschauliches Bild entworfen.

„Auf dem Erbersbrunn, überhaupt in dem ganzen Thale der Raumünzach, befinden sich, wie schon bemerkt, viele Waldsassen, welche ihre Wohnungen zerstreut an den Hängen der Berge und Felsen aufgeschlagen haben. Die einfachste Blockhütte dient diesen Berg-bewohnern zum Schutz gegen strenge Witterung. Das ganze Hausgeräthe ist meistens ihrer eigenen Hände Arbeit; ihre Kleidung ist einfach, ihre Kost frugal. Glücklich zu-friedene Menschen! — vergnügt mit dem, was sie durch ihren Schweiß erwerben. Sie kränkt kein Lauf der Zeit, kein Wechsel des Glücks — keine Sucht der Neuheit — dies alles hat für sie kein Interesse. Diese Leute sind auch noch weniger verdorben, als hie und da auf dem glatten Lande; man findet an ihnen redliche und herzgute Menschen. Ihre gewöhnliche Nahrung besteht in Milch und Mehlspeisen, Kartoffeln, Speck, und die so häufig von den Bergen herabrieselnden Quellen, die öfters kleine Wasserfälle bilden, dienen zu ihrem Trank. Jahraus und -ein beschäftigen sie sich im Walde; Sommers mit Fällen und Aufmachen des Holzes, Winters mit Herbeibringung und Verflößung desselben. Bei jeder Hütte trifft man einige Grundstücke an, die zum Theil durch gut eingerichtete Wässerungen an Wieswachs ergiebig sind, andere, die von den Eigen-

Page 19: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 2 2 —

thümern zum Kartoffelbau benützt werden. Mit großem Vortheil wird auch hier die Bienenzucht betrieben, ohngeachtet sie noch weit stärker und nützlicher sein könnte. In der Raumünzach befinden sich wenigstens zwei- bis dreihundert Bienenstöcke, die ihren Besitzern eine reiche Honig- und Wachserndte jährlich erlauben... ."

Noch lange führten diese „Kolonisten" in der Waldeinsamkeit ein Leben für sich. Heute sind auch diese einst in der Wildnis gelegenen Siedlungen mit der Welt enger verbunden und vieles von der alten Urwüchsigkeit und Unberührtheit ist verlorengegangen.

Die Ansiedlung der Kolonisten von Herrenwies, Erbersbronn, Hundsbach, Biberach, Schwarzenbach, Aschenplatz, Viehläger, Seebachhof erfolgte auf herrschaftlichem Grund, und der Staat behielt sich das Obereigentum, auch an den Gebäuden, vor. Dafür wird ein mäßiger Erbzins entrichtet, hat doch der Staat das größte Interesse an einem zu-friedenen Waldarbeiterstand und brauchbaren Holzfuhrleuten. Die Siedlungsplätze sind gut gewählt, überall dort, wo der Granit mitten im Buntsandstein zutage tritt. Aber wenn sich die Kolonisten auch Bauern nennen, so hängt doch ihr Leben in erster Linie mit dem Wald und der Waldwirtschaft zusammen. Eine „Bauernbefreiung" konnte nicht in Frage kommen und wäre ein törichtes Beginnen gewesen. Für die Ansiedlung der Holzhauer im Vereich der Gemeinde Baiersbronn, in Obertal, im oberen Tonbach, im Vorder- und Hinterlangenbach gilt dasselbe. Mit der Bildung der Calwer Holz-kompagnie und dem Aufschwung dieses Unternehmens und der Murgschifferschaft und den vermehrten Holzhieben hängt der Zustrom von Arbeitskräften, vor allem aus Tirol, zusammen. Von 1768 bis 1808 wurde im Gebiet von Baiersbronn, und dasselbe gilt für das Waldgebiet der Murgschifferschaft, sehr viel Geld verdient und es setzt eine letzte energische Besiedlung im Murggebiet ein. Nach den Untersuchungen von Hartmann bestanden von 70 Parzellen in Baiersbronn nach Ausweis des Lagerbuchs von Dorn-stetten von 1590 nur 25. Ottingens Handbuch von 1624 zählt in ganz „Baiersbronn Dorfs und Thal" nicht mehr als 84 Untertanen — was einer Einwohnerzahl von 500 See-len entsprechen mag. Damals bestand in Baiersbronn auch nur eine einzige Säge. Seitdem ist die Einwohnerzahl um ein Vielfaches gestiegen, bedingt vor allem durch die Ansiedlung der Holzhauerfamilien. Die Landesherrschaft stellte gerne Waldboden und Wiesfelder zur Verfügung und alle Einsprüche der Bauern, die sich in ihren Weide-und Holzbezugsrechten geschädigt sahen, wurden von der Negierung abgewiesen. 1933 zählte die politische Gemeinde Baiersbronn 6836 Einwohner.

In die Reihe dieser jungen Siedlungen gehört auch die Holzhackerkolonie auf dem Kniebis. Zum Schutz der Reisenden und zu deren Beherbergung, namentlich im schnee-reichen Winter, war auf der Passhöhe 1200 ein Klösterlein errichtet worden, das aber mehrfach durch Brand zerstört wurde und schließlich in der Reformationszeit aufgehoben wurde, ähnlich wie das 1595 mit Klosterreichenbach und 1538 mit Alpirsbach erfolgte.

Das Leben der Holzhackerkolonie auf dem Kniebis hat Heinrich Hansjakob in seiner Geschichte „Der Fürst vom Teufelstein" meisterhaft geschildert. Unerlaubterweise trieben die Harzer meist nächtlicherweile ihr Gewerbe, und die Grenzverhältnisse waren dafür recht günstig, geht doch mitten durch die Siedlung die Landesgrenze. Mit den Förstern gab es endlose Auseinandersetzungen, die oft böse endeten. Meistens aber konnten die Übeltäter un-erkannt entkommen und mit bescheidenem Gewinn verkauften sie Pech und Kienruß nach Straßburg. Auch auf die Darstellung der Harzer aus der Feder des badischen Landes-forstmeisters Gretsch in den Blättern des Badischen Schwarzwaldvereins sei hingewiesen.

Es waren stets wetterharte und rauhe Menschen, die der Waldarbeit und Flößerei nachgingen. Die Wildflößerei auf der Murg aber reicht bis ins Mittelalter zurück. Für den Betrieb der Flößerei schließen 1342 Markgraf Rudolf IV. von Baden und Graf Ulrich von Württemberg einen Vertrag ab. Von einer herrschaftlichen Säge

Page 20: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 123 —

Haupt» und Schwartenzeichen der Schiffer (Aus „Das Murgthal" besonders in Hinsicht auf Naturgeschichte und Statistik von K. F. V.

Jägerschmid. Nürnberg, 1800)

Page 21: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

124 —

Horden Luftbild Nr. 11713, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. l. L. M.

in Notenfels hören wir schon im 11. Jahrhundert. Mit der Flößerei und dem Holz-Handel im Murgtal ist aber für alle Zeiten der Name der Murgschifferschaft verbunden. Die Auffassung von A. Emminghaus, dass die Murgschifferschaft sich aus einer Mark- und Waldgenossenschaft entwickelt habe, wurde von Eberhard Gothein in klarer Beweisführung widerlegt. Wie überall in den geschlossenen Waldgebieten war auch im Murggebiet der Wald zunächst Reichsgut und Königsgut und wurde als Jagdforst betrachtet. Der in Trümmern liegende Burgstall Königswart über der Murg bei Schöne-gründ hält die Erinnerung an diese Zeiten fest. Er wurde 1209 als „Obdach für die Jagd-freunde in jenen unwirtlichen Waldbezirken" von dem Pfalzgrafen Rudolf errichtet und dem König zu Ehren benannt. Der badische Staatsforst Kaltenbronn, der dem Großherzog bei seinem Thronverzicht zur Nutzung auf Lebenszeit überlassen wurde, ist der letzte Nest dieser aus dem Mittelalter stammenden Waldeigentumsverhältnisse, so auch der staatliche „Lehenwald". Der Königswald kam in die Hände der Grafen und als „Heiligenwald" und „Klosterwald" in die Hände der Kirche. Auch die Gemeinde-Wälder sind hier so entstanden. Im einzelnen mag die Entstehung der 5000 da umfassenden Schifferschaftswälder ungeklärt bleiben, die sich auf der linken Murgseite bis zur Drei-länderecke erstrecken, wo einst Straßburg, Baden und Württemberg zusammen-stießen. Aus einer Markgenossenschaft aber kann die Schifferschaft unmöglich entstanden sein. Sie stellt sich vielmehr als einen Zusammenschluss der „Waldschiffer, Murgschiffer und Rheinschiffer", der Waldbesitzer, Holzhändler, Säger und Flößer auf kapitalistischer

Page 22: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 2 5 —

Grundlage dar. Die Schifferschaft ist eine auf den Waldbesitz begründete Genossenschaft. Der Wald ist dabei ungeteilter Besitz und der jährliche Reinertrag wird nach Maßgabe der übrigens sehr verschiedenen Anteile unter die Genossen verteilt. Die Genossenschaft besteht heute aus 22 Teilhabern. Von den Bezugsrechten hat der badische Staat rund 51"/) erworben, wodurch aber der privatrechtliche Charakter der Genossenschaft nicht verändert wurde.

Für die Murgschifferschaftswaldungen wurde in Forbach ein besonderes staatliches Forstamt (Forbach II) errichtet. Sitz der Murgschifferschaft war stets das schmucke Städtlein Gernsbach, dessen Wohlstand sich auf den Holzhandel und die Holzverarbeitung von jeher gegründet hat. Unter den Gewerben spielten früher auch Gerber und Leim-sieder eine Rolle. Noch immer ist das Wahrzeichen der Stadt der Schifferherren das aus Buntsandstein ausgeführte Renaissancehaus der Murgschifferfamilie Käst. Aber auch in Horden erinnert ein Kastenhaus an das große Unternehmergeschlecht.

Bereits 1481 werden „die Markgrefschen schifhern und rynfiötzer in Gernsbach und im Murgentale" genannt. Als kapitalistische Bildung gehört die Murgschifferschaft aber wohl dem 16. Jahrhundert an. Für den Anfang des 19. Jahrhunderts teilten sich in die 360800 Gerechtigkeiten die folgenden Personen: Katz (Kaz), Johann Jakob Käst, Rindenschwender Senior, Weiler<k Sohn Erben, Kas.Kast Erben, Görger Erbl., Schickart, Kas. Lemmerich, Jakob Hennehofer, Ettlinger, Ulrich Rindenschwender. Dazu kommen

Horden, Das Kastenhaus Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

Page 23: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 126 —

Ottenau, Bauernhäuser an der Murg

Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

Spengers Erben, Wölper, Frau Wieland, Gebrüder Lemmerich, Frau Schwarz leibliche Erben, Pfarrer Holzhauer, Math. Hennehofer Erben, Stadtschreiber Neusing. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass die kapitalistische Bildung der Waldgenossenschaften und Holzkompagnien in den protestantischen Städten Gernsbach und Calw erfolgte, wie überhaupt die Industrialisierung des ganz überwiegend katholischen unteren Murgtals immer stark unter protestantischem Einfluss stand.

Die Schifferschaft besaß um 1800 9 Sägmühlen mit 22 Gängen. Damit war die Murgschifferschaft die größte Wirtschaftsmacht im Hinteren Murgtal und der Holländer Floßhandel das Rückgrat des Unternehmens. Aber von einer rationellen Nutzung der entlegenen Wälder lesen wir erst von 1740 ab. Die einzige Abfuhrstraße war bis ins 19. Jahrhundert hinein die Murg. Die Flößerei wurde in dem gefahrvollen Betrieb der Wildflößerei betrieben; ein Floßkanal, den die Calwer Holzkompagnien um 1750 in zehnjähriger Arbeit mit einem Aufwand von 125000 Gulden hatte bauen lassen, wurde durch das Kochwasser des Jahres 1824 wieder zerstört. Die riesigen Felsblöcke, die im Murgbett liegen, stammen, soweit sie nicht beim Bau der Murgtalstraße und Eisen-bahn als bequemes Baumaterial benutzt wurden, von diesem Katastrophenhochwasser her. In den Seitentälern der Murg stößt man noch auf alte „ Schwankungen", wo das Wasser gestaut und durch die Flutwelle die aufgestapelten Sägeklötze und Langhölzer zu Tal verfrachtet wurden, z. V. bei Hundsbach-Biberach. An den Wasserfällen, so beim Eulfelsen, wo die Hölzer donnernd herabstürzten, bot sich ein besonders großartiges

Page 24: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 127

Gaggenau (Im Hintergrund der Eichelberg) Luftbild Nr. 18 755, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Schauspiel, das vor einem Jahrhundert manche Besucher nach Forbach führte. Viel Holz ging bei diesem Betrieb verloren, nicht weniger verfaulte bei der Anlage der Holz-riesen. Aber Wert hatte das Holz erst, wenn es der Waldschiffer dem Murg- und Rhein-schiffer anvertrauen konnte. In Steinmauern wurden die Flöße eingebunden, die am Mittelrhein zu gewaltigen „Prinzipalslößen" für den Weitertransport nach Holland zusammengeschlossen wurden. Viele Wochen und Monate waren die Schwarzwälder Flößer unterwegs und der Verkauf der gewaltigen Holzmassen dauerte oft noch länger. Für das Kinzigtal galt Ähnliches. Dieser Holländerfloßhandel aber brachte Geld in das Murgtal, ihm ist die Verbesserung der Waldwirtschaft, die Anlage von Straßen, die Ansiedlung und Beschäftigung vieler Menschen zu verdanken.

Die Murgwälder erfuhren dadurch auch in ihrer Zusammensetzung eine Verände-rung. Fichte und Weißtanne gewannen an Bedeutung und Verbreitung, das Laubholz aber trat entsprechend zurück. Nach den Untersuchungen von Oberforstrat K. Stephani müssen wir uns die Schifferschaftswaldungen im Granit ursprünglich als Tannen- und Buchenmischwald vorstellen. Durch die starke Ausdehnung der Scheiterholzschläge und durch die Verheidung großer Flächen verlor die Buche jedoch immer mehr an Bedeutung. Für die Entwicklung des Zeitabschnittes 1876 bis 1924 machte Stephani folgende An-gaben über den Anteil der einzelnen Holzarten:

Tanne Fichte Forle Buche und Nebenholzarten 1 8 7 6 4 5 % 3 5 % 5 % 1 5 % 1 9 2 4 4 2 % 4 4 % 9 % 5 %

Page 25: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 128 —

Hilpertsau Luftbild Nr. 11702, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

Dieser Holzartenwechsel dürfte auch für die anderen großen Waldungen, Staatswald und Heiligenwald, zutreffen. Im württembergischen Murggebiet herrscht die Fichte noch unbedingter vor. Der ehemalige Urwald ist verschwunden, für die Wälder gilt heute eine Umtriebszeit von 100 bis 120 Jahren. Auf den höchsten Höhen, wo der Boden moorig ist und durch Ortsteinbildung und Vermissung die Lebensbedingungen für den Waldwuchs ganz ungünstig werden, stirbt auch die Fichte ab. Wo aber Boden und Klima günstig sind, stehen stolze Tannen, die eine Höhe von 45 und 50 m erreichen.

Heute bedeuten die unendlichen Forsten erst recht die Lebensgrundlage für viele Dörfer und ein gewaltiges Kapital für die Volksgemeinschaft. Überall ist der Wald durch Straßen erschlossen und für den Abtransport steht eine Eisenbahn zur Verfügung, deren Baugeschichte sich dank der früheren Ländergrenzen zeitweise zu einem Trauerspiel zu gestalten drohte. Wo aber einst die Ochsengespanne die Langhölzer aus dem Walde herausbrachten, begegnet uns heute um so häufiger der Traktor.

Seit dem Mittelalter bestanden Sägen an der Murg, die Bretter und Balken schnei-den. Am 1800 standen Sägemühlen in Baiersbronn, Kesselbach, Röth, Schwarzenberg, Forbach, Bermersbach, Langenbrand, Reichental, Lautenbach, Obertsrot, Gaggenau, Notenfels, Kuppenheim und in Rastatt — den Gemeinden gehörend, ausgenommen die herrschaftliche Mühle in Notenfels, die Rindenschwendersche bei der Glashütte von Gaggenau und 3 weitere Privatsägen in Keselbach und Rastatt. Dazu kamen die 9 Schifferschaftssägen, die Kinmühle bei Weisenbach, die Schleifmühle unter Gernsbach,

Page 26: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

129 —

Weisenbach Luftbild Nr. 7623, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. l. L.'

die Schillenmühle ober Korden, die Kastenmühle und Sandmühle in Korden, die Kaselbach-mühle unter Korden, die Dillersmühle vor Ottenau, die Neu- und Althilfurthmühle zwischen Ottenau und Gaggenau. Dass sich bei Korden die Sägen häuften, hängt mit dem großen Holzfang, der „Esse", zusammen, der dort in die Murg eingebaut war. Die Holzverarbeitung und Holzveredelung nahm jedoch seit der Erfindung des Holz-schliffs und der Zellulose einen ungeahnten Aufschwung. Diese Industrie wurde 1886 begründet durch die Fa. Holzmann & Co. in Weisenbach, die mit ihren Werken Wolfs-heck, Breitwies und Schlechtau 700 Arbeiter und Beamte beschäftigen. Die Jahres-leistung dieser drei Papierfabriken beträgt im Durchschnitt 50000 KZ. Es entstanden weitere Pappe- und Papierfabriken in Obertsrot und Gernsbach. Mit der Herstellung feinster Papiere, besonders von Zigarettenpapieren, beschäftigen sich die Unternehmungen der Fa. Schoeller & Koesch in Gernsbach. Kamen die ersten Unternehmer für die Zellstoff-und Papierindustrie, die vor allem Zeitungspapier erzeugt, aus Sachsen und Württem-berg, so stammten sie hier vom Niederrhein, wo in Düren und Krefeld nach holländischem Muster die Herstellung feiner Papiersorten sich eingebürgert hatte. Gewaltige Stapel von Papierholz, aus den Murgwäldern stammend, sind neben den Werken aufgeschichtet. Vor dem Kriege konnte man die merkwürdige Beobachtung machen, dass große Mengen sibirischen, schwedischen, finnischen Papierholzes in das waldreiche Murgtal eingeführt wurden. Heute muss der Schwarzwald selbst die Rohstoffe liefern.

Die Industrialisierung hatte zunächst den Abschnitt Gernsbach—Forbach erfasst. Dort konnte überall das starke Gefälle der Murg ausgenützt werden und es gab billige

Badische Heimat, Jahresheft 1937 9

Page 27: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 130 —

Stadtplan von Freudenstadt Nach der Württemberg. Top. Karte 1:25000

und mit der Holzarbeit vertraute Arbeitskräfte. Im untersten Talstück war seit langem Gaggenau ein Ansatzpunkt für die Industrie. Den Grund dazu hatte der Industriepionier Rindenschwender gelegt mit einer Glashütte. Die billigen Arbeitskräfte im übervölkerten Dorf und die Wasserkraft waren auch hier die wichtigsten Vorbedingungen. Die Glas-hütte ging ein, aber an ihre Stelle trat die Eisenindustrie, die wiederum mannigfache Wandlungen durchmachte. Es wurden Öfen und Herde in Gaggenau gebaut. Der große Aufschwung aber setzt mit der Anfiedlung der Benzwerke von Mannheim im Jahre 1905 ein. In den gewaltigen Werkstätten von Daimler-Benz von Gaggenau werden schwere Lastkraftwagen, vor allem auch Gebirgs- und Spezialwagen gebaut, die in alle Welt gehen. Tausende von Menschen finden in den Betrieben in Gaggenau Brot und Verdienst. Allein Daimler-Benz beschäftigen in ihrem Gaggenauer Werk mehrere tausend Beamte und Arbeiter. Die Belegschaft der Daimler-Benz A.-G. Gaggenau verteilt sich auf nicht weniger als 29 Orte. 28,6 v. H. entfallen auf Gaggenau-Ottenau selbst. Es folgen mit Anteilen von 8,6 bis 1,1 v. K. Notenfels, Michelbach, Korden, Kuppenheim, Sulzbach, Bischweier, Selbach, Gernsbach, Oberweier, Staufen-berg und Oberndorf. Aber auch in den folgenden Orten wohnen Arbeiter des Industrie-unternehmens: Loffenau, Scheuern, Haueneberstein, Freiolsheim, Elchesheim, Eber-steinburg, Weisenbach, Lautenbach, Obertsrot, Hilpertsau, Moosbronn-Bernbach, Forbach, Reichental, Langenbrand, Au, Bermersbach und Gausbach.

Aus den früheren Bauerndörfern Gaggenau und Ottenau wurden große moderne Industriegemeinden, die allerdings ihren dörflichen Ursprung niemals verleugnen können. Heute ist das Tal abwärts Gernsbach bis Notenfels eine zusammenhängende Siedlungs-

Page 28: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Freudenstadt

Luftbild Nr. 1S00, Urheberrecht bei Luftverkehr Strähle, Schorndorf i. Wttbg. Freigegeben d. R. L. M.

zeile und Industriegasse. Ottenau wurde bereits nach Gaggenau eingemeindet und dieses zur Stadt erhoben. Mit 7000 Einwohnern übertrifft es heute das alte Städtlein Gerns-bach recht erheblich, und immer mehr verschiebt sich der Bevölkerungsschwerpunkt in das unterste Talstück der Murg. Aber auch in den anderen Talabschnitten gibt es kaum noch ein Dorf, das nicht Fabrikarbeiter beherbergte. Auf der Strecke Forbach—Gernsbach sind die Abstände zwischen den Dörfern ebenfalls geringer geworden und dazwischen schalteten sich Fabrikanlagen, Werkswohnungen und Bahnhofsanlagen ein, das Bild eines Industrietales im Gebirge aufweisend. Inmitten eines Arbeitsdorfes ist das Idyll des Schlosses Notenfels und der Elisabethenquelle erhalten geblieben.

Vor einem Jahrhundert hatten die Murgdörfer durchschnittlich einige hundert Einwohner. Nur wenige erreichten 1000. Heute gibt es im Murgtal bis Forbach

2 Dörfer mit über 3000 Einwohnern, 3 „ „ „ 2000 5 „ „ „ 1000

11 „ „ ,. 500

und nur noch ein Dorf bleibt unter 500 Einwohnern. Während in unfern rein land-wirtschaftlichen Gebieten die Einwohnerzahl der Dörfer überall abnahm und im günstig-sten Falle unverändert blieb, gibt es im badischen Murgtal kein Dorf, das nicht eine starke Zunahme aufzuweisen hätte. Bei vielen Dörfern ist die Entwicklung geradezu sprunghaft erfolgt. Eine Abersicht mag das für eine Anzahl Gemeinden beweisen:

— 131 —

Page 29: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 3 2 —

um 1800 1933Gernsbach . . . 1400 4121Kuppenheim . . . 1050 2838Ottenau. , . 900F o r b a c h . . . . 700 2769N o t e n f e l s . . . . 700 2305K o r d e n . 600 1624G a g g e n a u . . . . 500 6478

Weisenbach . . . 460 1477Bischweier . . . 350 958Gausbach . . . . 300 1061

Bermersbach . . 280 870Obertsrot. 240 969Hilperts au . . . 200 808Langenbrand. . . 170 767Reichental . . . 170 1008Au 160 504

Am wenigsten von der modernen Industrieentwicklung erfasst wurde das Murgtal von Baiersbronn bis Schönmünzach. Wohl gibt es auch dort große Sägewerke wie Klosterreichenbach und Baiersbronn und Möbelfabriken. Eine Leinenspinnerei entstand an der Forbach-Sankenbach-Mündung bei Baiersbronn. Aber es fehlen die Großbetriebe des unteren Murgtales, das auch früher den Anschluss an das Eisenbahn-netz und den Rhein hatte. Das kommt wieder dem Fremdenverkehr zugute, der einen wirtschaftlichen Ersah bietet. Im stilleren Tal bei Klosterreichenbach mit seiner herrlichen romanischen Kirche, die 1845 erneuert wurde, bleiben die Fremden, während sie die anderen Talstücke durchwandern und im Kraftwagen und mit der Bahn durcheilen.

Alle Siedlungen von Schönmünzach bis Baiersbronn haben sich zu stark besuchten Sommerfrischen entwickelt. Baiersbronn sieht wie Freudenstadt auch im Winter Gäste. Der ländliche Charakter dieser Gemeinden blieb im ganzen gewahrt, was auch in den Einwohnerzahlen zum Ausdruck kommt: Klosterreichenbach 1021 Einwohner, Schwarzen-berg 650, Hutzenbach 538, Not 524, Heselbach 137, Baiersbronn selbst nimmt eine Sonderstellung ein.

Völlig abweichend von allen anderen Abschnitten des Murgtales und seiner Neben-täler ist das Bild der Kulturlandschaft im Forbachtal. Auch die Natur hat ein anderes Gesicht in dem engen Tal, an das die Buntsandsteinhochflächen dicht herantreten. Hier herrscht nicht das Dorf und der Bauernhof, auch nicht die Holzhauersiedlung, vielmehr sind es Fabriken und andere gewerbliche Werkstätten und mehrstöckige Arbeitersied-lungen, die das Kulturbild bestimmen. Manches erscheint daher zunächst weniger boden-verwurzelt als sonst im Umkreis, und doch ist auch dieses Bild entstanden aus den Natur-gegebenheiten heraus.

Während sonst im ganzen Murggebiet dem Bergbau keine Bedeutung zukommt und alle Versuche, wie solche bei Schloss Eberstein, bald als aussichtslos erkannt wurden, erlebte der Bergbau im Forbachtal wenigstens für eine kurze Zeitspanne eine Blüte. Für den Bergbau und die Hüttenwerke lieferten die großen Wälder, insbesondere der „Kohlwald", Holz und Holzkohle in reichem Maße. Ohne diesen Bergbau auf Silber und Kupfer und andere Erze wäre das Forbachtal nicht so dicht mit Siedlungen bedeckt, wäre es nicht zur Entstehung von Freudenstadt gekommen. Lage, Grundriss und Aufriss

Page 30: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 133 —

Bei der „Roten Lache" Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

Page 31: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

134

Schwarzenbach, Alte Schwallung Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

und die ganze Entwicklung dieser Stadt stellen etwas Besonderes dar und Freudenstadt hat im Schwarzwald und im schwäbisch-alemannischen Land kein Gegenstück.

Nachrichten über den Bergbau reichen ins Mittelalter bis 1542 zurück. Herzog Ullrich eröffnete eine Silbergrube im Forbachtal; aber erst mit dem ^Regierungsantritt des Herzogs Friedrich 1593 setzt der Aufschwung des Freudenstädter Bergbaues ein. Vorher bestand aber schon eine Schmelzhütte, ein Pochwerk und ein Wasserwerk. Jetzt werden die „Gebäue" errichtet, in dem Tal, das nach dem Wirtshaus „Zum großen Cristoph" St. Christophstal benannt wurde. Hier sollte auch im unmittelbaren Anschluss an die Gruben eine Bergstadt entstehen. Aber dieser Plan wurde bald aufgegeben und die „Neue Stadt im Schwarzwald bei St. Christophstal" wurde 80 m über dem Tal auf der Buntsandsteinhochfiäche und auf der Wasserscheide zwischen Rhein und Neckar gegründet. Die Friedrichsstadt oder Freudenstadt, wie sie seit 1601 heißt, ist daher von Haus aus keine eigentliche Murgtalstadt, sie wurde aber immer mehr der wirt-schaftliche und kulturelle Mittelpunkt des oberen Murggebiets.

Als Geburtstag von Freudenstadt kann der 22. März 1599 bezeichnet werden. Freudenstadt ist eine Fürstenschöpfung und der Herzog griff entscheidend in die gesamte Planung und Entwicklung der Stadt ein. Der eigenartige geometrische Grundriss, der an das Mühlespiel erinnert, wurde von dem Baumeister Heinrich Schickhardt aus Herrenberg entworfen, der auf einer Reise in die Alpen und nach Oberitalien die Vorbilder für die neue Schwarzwaldstadt gesehen hatte. Von Bozen, Innsbruck und Bern wurden die Lauben übernommen, die die Straßen um den Markt zieren. Der eigenartige Grundriss

Page 32: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Schwarzenbachtalsperre, Blick vom rechten Hang (Aus dem Bildarchiv der Reichsbahndirektion, Karlsruhe)

aber stammt aus der oberitalienischen Ebene, wo die Baumeister der Renaissance ähnliche Anlagen geschaffen hatten. Im engen Forbachtal aber wäre für eine solche regelmäßige und große Anlage kein Raum gewesen. Man muss auch schon nach Sudetendeutschland, etwa nach Iglau gehen, um einen ähnlich großen Marktplatz zu finden. Es sollte nach dem Willen des Landesfürsten eine große Stadt entstehen mit einer stattlichen Kirche und einem Schloss. Die schöne, im Winkel gebaute Kirche ist heute noch die größte Sehenswürdigkeit der Stadt. Meister Schickhardt aber konnte wohl das große Schloss und die lutherische Kirche von Mömpelgard errichten, das Schloss von Freudenstadt aber wurde nicht vollendet. Auch von den geplanten 5 Zeilen wurden zunächst nur 3 Straßenreihen gebaut. Das Versiegen der Bergschätze, vor allem der furchtbare Brand von 1632 brachten Freudenstadt an. den Rand des Abgrunds. Von 500 Bürgern im Jahre 1609 waren 1648 noch 72 übrig. Aber die Stadt behauptete sich aller Ungunst der Natur zum Trotz. Mit der Gründung dieser Stadt bekam die Straße über den Kniebis so recht erst ihre Bedeutung, gehörte doch zeitweise auch das straßburgische Renchtal zu Württemberg. Straßburger werden unter den Freudenstädter Bürgern genannt. Aber den Kniebis kamen nach Freudenstadt die Weinfuhren aus dem Elsaß und der Ortenau und gingen die Getreidefuhren aus dem Neckarland an den Oberrhein. Die Weine vom Oberrhein waren billiger und geschätzter. Unter Eberhard III. wurde Freudenstadt Festung, woran heute freilich nichts mehr erinnert, und es wurde Etappe für das Schwäbische Kreis-regiment, das zeitweise in Kehl lag. 1701 wurde unter Karl Eugen das Werk in Friedrichs-tal errichtet. Freudenstadt wurde eine Gewerbe- und Handelsstadt und zählte um 1800

— 1 3 5 -

Page 33: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

- 1 3 6 —

2500 Einwohner, 1850 gegen 5000; es wurde Oberamtsstadt und an das Eisenbahnnetz angeschlossen und erreichte 10575 Einwohner (1937). Freudenstadt ist heute der Mittel-Punkt für zahlreiche Ausflüge in den Schwarzwald hinein. Mit dem Namen des hervor-ragenden Stadtschultheißen Hartranft ist die jüngste sprunghafte Entwicklung zum großen Kurort verbunden. Die Zahl der Übernachtungen betrug allein für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1937 218536! Die ehedem wenig geschätzte Lage auf der rauhen „Heide und im Wald" wurde der größte Vorzug der Stadt. So versteht man, dass in 730 m Höhe eine Stadt Bestand haben kann, für die erst mühsam eine Lebens--grundlage und eine Gemarkung geschaffen werden musste. Ihren bodenständigen schwä-bischen Charakter hat die Stadt aber trotz des Fremdenstromes nicht verloren.

Die Industrialisierung des Murgtales erhielt einen entscheidenden Anstoß auch durch den Ausbau der Wasserkräfte. Dafür lagen die Naturvoraussetzungen denkbar günstig. Auf der 13 km langen engen Talstrecke von Schönmünzach bis Forbach besitzt die Murg ein Gefälle von 171 m. Das ist mehr als der Höhenunterschied der 143 km langen Rheinstrecke Basel—Mainz. Für die Anlage eines Staubeckens mit 13 Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen waren ebenfalls alle Vorbedingungen erfüllt. Der un-durchlässige Granit bildet in etwa 750 in Höhe den Sockel des Gebirges und liefert gleichzeitig die besten Bausteine für die gewaltige Staumauer und die Hochbauten. Der Querschnitt des Tales des Schwarzenbachs ist sehr günstig, das Tal wenig besiedelt. Nur einige wenige Häuser sielen dem Staubecken zum Opfer; sie wurden abgebrochen und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Das durch den Stau beinahe trockengelegte Stück der Murg war so gut wie unbesiedelt, die Rechte der Anlieger und die Fischereirechte waren leicht abzulösen. Allerdings mussten große Schädigungen der Natur in Kauf genommen werden, so verschwand auch der schöne Raumünzachfall. Mit dem Stausee entstand dagegen eine neue große Wasserfläche. Versöhnt aber werden wir letzten Endes durch den Gedanken, dass Zehntausenden eine Arbeitsstätte geschaffen wurde und Tausen-den die Waldheimat erhalten blieb. Man wird auch billigerweise zugeben müssen, dass die Ingenieure und Baumeister alles versucht haben, um die Bauten in Einklang mit der Natur zu bringen. Unbarmherzig aber zerschneiden die Masten und Drähte der 100000-Volt-Leitung das schöne Gebirgstal. Heute würde wohl die Gesamtlage in manchem anders gestaltet werden, wo früher die Landesgrenzen eine Zusammenarbeit und eine noch glücklichere Lösung erschwerten.

Der Siegeszug der Industrie hat naturgemäß in allen Siedlungen seine Spuren hinterlassen. Die Dörfer, die mit ihren kleinen Feldmarken früher die Menschen nicht ernähren konnten, sind gewachsen. Zahlreiche neue Häuser wurden gebaut, die alte Bauweise dabei oft aufgegeben. Wenn es im gesamten Murgtal, die Gemeinde Baiers-bronn ausgenommen, Dörfer und nicht Einzelhöfe gibt, so ist das nicht in der Natur begründet, wie wir sahen, sondern im Gang der Besiedlung. Die dörfliche Siedlungs-und Bauweise der Ebene und der Gäuhochfläche wurden übernommen und der Enge des Siedlungsraumes oder dem rauhen Klima angepasst. Auf engstem Raum müssen sich die Häuser vor allem im Granit zusammendrängen. 5lnd es ist von Interesse, dass hier sich nicht nur in Gernsbach, sondern auch auf dem Lande das Stockwerkseigentum findet, das sich sonst nur in engverbauten Städten wie Konstanz erhalten hat. Darin kommt aber auch die Armut des Tales zum Ausdruck und die Tatsache, dass in diesen Dörfern neben den Bauern Fabrikarbeiter, Waldarbeiter, Taglöhner wohnen, die keine Ställe und Scheunen brauchen. Große Scheunen aber sucht man auch bei den rein bäuerlichen Wirtschaften vergebens. Hier gibt es keine Erntevorräte wie bei den Getreidebauern im Gäu. Auch für das Heu muss oft anderwärts Raum geschaffen werden. In manchem Seitental sind die steilen Wiesengründe mit Heuschopfen übersät, — ein Bild, das an

Page 34: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 137 —

Loffenau Äufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

das Hochgebirge erinnert. Das fiel schon Jägerschmid auf und er nannte aus diesem Grunde die Gegend von Forbach eine „kleine Schweiz". Wie in den Alpen sind diese Stadel aus Balten und Brettern gefügt und hierorts mit Schindeln gedeckt. Zum Schutz gegen die Bodenfeuchtigkeit und die Mäuse werden sie auf Steinplatten gesetzt. Aus solchen Heuschopfen und Scheuern sind in vergangenen Jahrhunderten allmählich feste Siedlungen geworden, wie wir aus den Namen der Siedlungen Scheuern bei Gerns-bach, Oosscheuern und Badenscheuern schließen dürfen.

Im badischen und württembergischen Murggebiet herrscht das sogenannte fränkische, das mitteldeutsche Gehöft und das Fachwerk in gleicher Weise vor. Die fränkische Hof-anlage in ihrer reinen Ausprägung ist natürlich bei dem Vorherrschen halbbäuerlicher Betriebe sehr selten anzutreffen. Im höheren Gebiet wird beim Hausbau mehr Holz verwandt und es tritt zum Schutz gegen das Wetter eine Verschindelung auch der Wände ein. Das Bild von Freudenstadt mit den buntbemalten Schindeln ist ein recht eigenartiges. Schöne Fachwerkhäuser gibt es noch allenthalben, besonders geschlossen ist das Bild von Loffenau. Gerade auch die Enge des Siedlungsraumes erzeugt manches malerische Dorfbild. Meist drängen sich die Häuser in hochwasserfreier Lage auf Terrassen zusammen, hier und da ist eine Häuserzeile am Wasser selbst aufgereiht. Die stattlichsten Höfe stehen im obersten Murgtal; freilich, an die mächtigen Höfe des Kinzigtals reichen sie nicht heran.

Page 35: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 3 8 —

Mit die schönsten Holzbauten aber waren die zahlreichen Holzbrücken, von denen die von Forbach als Denkmal erhalten blieb. Aber auch manche granitene Eisenbahn-brücke ist eine Zierde der Landschaft geworden. Neue Schul- und Nathäuser sind da und dort lobend zu erwähnen und für die Kirchen wurden beherrschende Plätze ausgesucht, so in Forbach für die katholische und in Gausbach für die evangelische Kirche. Auch manches neue Bahnhofsgebäude hält der Kritik stand.

Die Bevölkerung selbst erlebte mit der Umschichtung tiefgreifende Veränderungen. Das rassenmäßige Bild der Murgtäler Bevölkerung war schon vor der Industrialisierung ein recht einheitliches und wurde es jetzt erst recht. Immer wieder kamen neue Menschen in das gewerbetätige Tal. Der Dreißigjährige Krieg und andere Kriege gingen auch am Murgtal nicht spurlos vorüber. Die Menschenverluste wurden durch Zuwanderung ersetzt. Auch in das Murgtal wanderten Leute aus den Alpenländern ein, Bauern, Bergleute und vor allem Holzknechte. So gibt es einen Tirolerberg bei Schönmünzach. Aus den Ostalpen mögen teilweise auch die Kolonisten von Hundsbach, Biberach, Erbers-bronn usw. stammen. Dasselbe gilt für die Holzhauer von Baiersbronn, Obertal, im Tonbach usw. Familiennamen wie die der Wein und Ling weisen deutlich nach Tirol.

Ein besonderes Interesse beansprucht die Frage nach der Herkunft der ersten Ansiedler von Freudenstadt. Die ersten Einwohner waren nicht Bergleute, sondern Handwerker, Wirte, Kaufleute, Beamte. Die Bergleute, die „Laboranten" des 1606 errichteten Messingwerkes, die Sensen--, Sichel-, Messer- und Kupferschmiede im Christophstal behaupteten noch lange ihre Selbstständigkeit neben der Bürgerschaft von Freudenstadt und trugen auch ihre eigene Tracht. Woher aber kamen die Ansiedler für die Stadt, die in der „Wildnis" errichtet wurde? Sie waren in der Nachbarschaft nicht zu gewinnen und die allgemeine Ansicht war bisher die, dass Freudenstadt von flüchtigen Salzburgern besiedelt worden sei. Es ist das Verdienst von Manfred Eimer, hier Klarheit geschaffen zu haben. Schon Merian hatte es deutlich gesagt, dass die Bewohner aus Steiermark, Kärnten und Krain stammten. Die Kirchenbücher bestätigen dies in vollem Umfang und am stärksten erscheint Kärnten vertreten. Den geschichtlichen Hintergrund für die Auswanderung aus den Ostalpen hat Ludwig Mahnert in Innsbruck in seinem Roman „Der Predikant" gezeichnet. Zwischen Württemberg und Kärnten bestanden bereits manche Beziehungen, wurden doch in Arach sogar windische Bibeln gedruckt. Die Namen der Paumgartner, Högl, Pacht, Pichler, Klingbacher, Schoppa, Khelbl, Wastl, Mayer beweisen die österreichische Herkunft. Es erscheint ein Gerichtsverwandter Hans Hann aus Kärnten, eine Edelfrau Elisabeth Vürkingerin mit 2 Töchtern aus Mitschitz in Kärnten. 1605 wird Bürgermeister von Freudenstadt der Junker Stefan Schönberger aus Steinfeld in Kärnten. Als herzoglicher Obervogt wird im gleichen Jahr eingesetzt der Junkherr Hans Seyfridt Galt zum Rudolfseck und Lichteneck. Seine Gemahlin war eine Anna Rosina von Reischach. Die Burg Rudolfseck und die Besitzung Lichteneck liegen in der Nähe von Laibach. Ein Salzburger war der Bürgermeister Schwenkt), als Salzburger aber werden vor allem Holzhacker genannt, so die Kolonisten auf dem Kniebis. Diese Holzknechte hatten aus den Alpen auch die Anlagen der Holzriesen in den Schwarzwald gebracht. Auch die Berg- und Hüttenleute waren großenteils aus den österreichischen Alpenländern geholt worden und als Generalinspektor der Berg-werke wird 1596 der Tiroler Otto Mann genannt.

Die Namen zweier Männer aber seien im Zusammenhang der Ein-- und Aus-Wanderungsgeschichte besonders hervorgehoben: Rindenschwender und Bleyer. Beide sind für das deutsche Volksschicksal so recht bezeichnend. Der aus dem österreichischen Alpenland stammende Josef Rindenschwender hat sich im Amalienberg und den Industriegründungen von Gaggenau selbst ein bleibendes Denkmal gesetzt. Im kleinen

Page 36: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

- 139 —

Forbach, Alte Murgbrücke Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

Dörflein Au steht ein Denkstein für den Vorkämpfer des Deutschtums in Ungarn, Exzellenz Professor Dr. Jakob Bleyer, dessen Vorfahren im 19. Jahrhundert nach der Batschka zogen. Diesem deutschen Führer wurde auf dem Friedhof in Budapest ein Denkmal aus Schwarzwälder Granit errichtet, das am 21. August 1937 eingeweiht wurde. In Au aber steht noch das Heimathaus der Familie Bleyer und der Name dieses Geschlechts ist dort sehr verbreitet. Aber hundert Jahre vor der Auswanderung nach Ungarn waren die Bleyer aus Tirol in das Murgtal eingewandert. So wächst das deutsche Volk zu einer großen Familie und Blutsgemeinschaft zusammen. Auch mancher Soldat der Bundesfestung Rastatt mag im Murgtal ansässig geworden sein.

Der stärkste Zustrom aber erfolgte durch den Einzug der Großindustrie. Damit wurde auch die konfessionelle Zusammensetzung verändert. Evangelisch war seit der Deformation das württembergische Murgtal. Das Kloster Reichenbach wurde damals schon säkularisiert wie die anderen Hirsauer Gründungen. Evangelisch wurde auch das Gebiet von Herrenalb und die Grafschaft Eberstein. Durch den Übergang an die katholi-sche Linie der badischen Markgrafen wurden die ebersteinischen Orte katholisch oder ge-mischt konfessionell. Zu den altprotestantischen Bewohnern von Gernsbach, Scheuern, Staufenberg, Loffenau kamen neue protestantische Einwanderer im Zuge der modernen Industrie- und Verkehrsentwicklung. Besonders in Gaggenau, Notenfels, Weisenbach und Forbach ist das zu beobachten. Damit wird auch der alte konfessionelle Gegensatz des oberen und unteren Murgtals etwas verwischt. Dass wir im Murgtal keine Volks-

Page 37: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

Aufn. Ed. v. Pagenhardt, Baden-Baden

Jakob Bleyers Geburtshaus in Au

tracht mehr finden, kann nicht wundernehmen. Und altes Brauchtum sucht man vergebens in den Industriedörfern.

Es mögen im Murgtal noch so viele Werkstätten der Industrie und technische Anlagen entstanden sein, die Natur bleibt doch Herrin. Sie ist hier zu groß und reich, als dass sie völlig zurückgedrängt und zerstört werden könnte. Auch die Arbeiterdörfer sind in Obst-Haine gebettet und der Wald spannt seinen Nahmen um Stadt und Fabrik, Frühling und Herbst zaubern ihre Farben über die Talhänge der Murg. Das Gefühl der Natur-verbundenheit kann daher im Murgtal niemals verlorengehen und die Arbeiterschaft wird stets einen ländlichen Charakter tragen, mögen manche Dörfer jetzt auch mehrere tausend Einwohner zählen.

In seiner Gesamtheit umfasst das Einzugsgebiet der Murg einen erheblichen Teil des nördlichen Schwarzwaldes und es birgt mit dessen landschaftlich schönsten Punkte. Der Wanderer kann hier für viele Stunden und Tage in ein schier unermessliches Wäldermeer eintauchen, in Tannenforsten, die ihresgleichen suchen. Rauschende Bäche begleiten ihn und es locken ihn weltabgeschiedene, sagenumwobene Seen. Die Siedlungen bieten die altertümlichsten und modernsten Bilder, jüngste Industriegemeinden und einsame Höfe und Forsthäuser. Alle Jahreszeiten sind schön im Murggebiet, nicht zuletzt aber auch der Winter mit seiner mächtigen Schneedecke auf den Höhen von Hornisgrinde und Badener Höhe und Hohloh. Zehntausenden, die dort Erholung suchen, wurde diese Gebirgswelt durch die Höhenstraßen erschlossen. Sie bleibt vor allem Heimat den Bauern

— 140 —

Page 38: Das Murgtal - Badische Heimat - der Verein für Baden · Bei Gernsbach zweigt eine alte Weinstraße ab, auf der ... auf dem Hohloh betragen die Niederschläge mehr als 1300 mm. Der

— 1 4 1 —

und Arbeitern, die hier wohnen. Durch das Wissen um die Heimat aber wird diese erst recht fester Besitz. Es wächst damit auch der Stolz und der Glaube an die angestammte deutsche Heimaterde, deren Erbe zu wahren und zu mehren unsere heiligste Aufgabe stets sein soll.

S c h r i f t t u m K. F. V. Jägerschmid, Das Murgthal, besonders in Hinsicht auf Naturgeschichte

und Statistik. Nürnberg 1800. — C. F. Arnsperger, Erneuertes Lagerbuch über die schifferschaftlichen Waldungen im Murgthal. Karlsruhe 1818. — Krieg von Hochfelden, Die Grafen von Eberstein. Karlsruhe 1836. — A. Emminghaus, Die Murgschifferschaft in der Grafschaft Eberstein. Jena 1870. — E. Gothein, Die Entstehung der Murgschiffer-schaft. Ztschr. f. Gesch. d. Oberrheins, 1889. — I. Hartmann, Über die Besiedlung des württembergischen Schwarzwaldes. Württ. Jbb. f. Stat. u. Landskd. 1893. — H. Schmitt-henner, Die Oberflächenformen des nördlichen Schwarzwaldes. Karlsruhe 1914. — F.Metz, Die ländlichen Siedlungen Badens. Karlsruhe 1926. — F. Metz, Zur Kulturgeographie des nördlichen Schwarzwalds. Geogr. Ztschr. 1927. — G. Knödler, Nagolder Heimatbuch. Abschnitt: Zur Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte. Öhringen 1925. — G. Knödler, Die Besiedlung des nördl. Schwarzwalds in Verhandl. des 22. O. Geogr. Tags, Karlsruhe 1927. Leipzig 1928. — Fr. Pfrommer, Der nördliche Schwarzwald. 1929. K. Ste-phan i, Vorschlag zu einer forstlichen Betriebsstatistik. Hannover 1929. — Manfred Eimer, Geschichte von Freudenstadt. 1937. — Die Veröffentlichungen des Badischen und Württembergischen Statistischen Landesamts.

Geologische Spezialkarte von Baden und Württemberg: Blätter Enzklösterle—Forbach und Baiersbronn von K. Negelmann, Freudenstadt, 2. Aufl., von M. Schmidt und K. Nau, Obertal—Kniebis, von A. Sauer, Baden-Baden von A. Bilharz, N. Brill und H. Thürach.

Inschrift auf dem Gedenkstein für Jakob Bleyer in Au