150 SPIESSER SPEZIAL

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Sportfreunde Eine goldene Zeit Im Härtetest zum Deutschen Sportabzeichen 2 Wir sind Vielfalt Vier Liebeserklärungen an ganz unterschiedliche Disziplinen 4 Sport kann... Was ihr dem Sport alles zutraut 8 spezial Dieses Spezial entstand in Zusammenarbeit mit:

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Sportfreunde machen unterschiedlichen Disziplinen eine Liebeserklärung - und erzählen ganz nebenbei von Integration durch Sport.

Transcript of 150 SPIESSER SPEZIAL

Sportfreunde

Eine goldene Zeit Im Härtetest zum Deutschen

Sportabzeichen 2

Wir sind Vielfalt Vier Liebeserklärungen

an ganz unterschiedliche Disziplinen 4

Sport kann... Was ihr dem Sport alles zutraut 8

spezial

Dieses Spezial entstand in Zusammenarbeit mit:

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1 Auf die Plätze, fertig... keuch! Boxer Melvin entscheidet den Sprint klar für sich. 2 Von allen angefeuert fliegt Melvin in ungeahnte Höhen. 3 Jennifer Oeser und Walter

Schneeloch wählen die Alternative zum Hochsprung: „Seilchenspringen“. 4 Gülbeyaz kämpft sich über 3.000 Meter zum Sportabzeichen. 5 Vorbildlich: Aufwärmübungen. 6 Optische

Täuschung: Sieht knapp aus, ist es aber nicht. 7 Stand... Sprung! Für eine Siebenkämpferin kein Problem.

Treffen sich der Vizepräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, eine Siebenkämpferin und zwei Schüler... für das Deutsche Sportabzeichen. Kein Witz, sondern ein Härtetest. Schweiß und innige Umarmumgen mit der Hochsprungmatte inklusive.

Wir müssen jetzt am Popo messen“, stellt Inge Eisele mit Kennerblick fest. Wer

glaubt, dass ich heute meine Ausbil­dung zur Kinderkrankenschwester beginne, liegt falsch. Ich stehe in der Leichtathletikhalle des TSV Bayer 04 Leverkusen.Frau Eisele ist Prüferin des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und zuständig für die Prüfung und Ver­gabe des Deutschen Sportabzeichens. Mit dabei sind Walter Schneeloch, 66,

der Vizepräsident des DOSB, Sieben­kämpferin und Drittplatzierte bei der Weltmeisterschaft 2011 Jennifer Oeser, 30, Gülbeyaz Akyol, 14, Schülerin und Leichtathletin und Melvin Munusy, 13, Schüler und Boxer. Die vier werden heute gemeinsam das Sportabzeichen ablegen.Dafür müssen sich alle Sportler in ei­nem selbstgewählten Element der vier Kategorien Ausdauer, Kraft, Schnellig­keit und Koordination beweisen. Für die Ausdauer sollen heute 3.000 Meter gelaufen werden, bei der Kraft treten alle zum Standweitsprung an, für die Schnelligkeit bittet Frau Eisele zum 100­Meter­Lauf und in Sachen Koordi­nation steht Hochsprung auf dem Plan.Unsere vier Sportler beginnen mit dem 100­Meter­Lauf. Melvin spurtet vorne­weg und erreicht mit seiner Zeit den Bereich für das goldene Sportabzei­chen. Dicht gefolgt wird er von Jenni­fer und Gülbeyaz – Walter Schneeloch kommt weit abgeschlagen als letzter

ins Ziel. Ihm geht ordentlich die Pum­pe, doch beim Blick auf die Fotos vom eben absolvierten Lauf kann er wieder Scherze machen: „Wieso bin ich auf dem Foto denn verdeckt, da war doch ein Riesenabstand zu den anderen!?“Ihr Weg zum Sportabzeichen führt unsere vier Sportler als nächstes zur Hochsprunganlage. Für Jennifer als Siebenkämpferin ist das kein Pro­blem. Der erste Sprung von Walter Schneeloch sieht eher aus, als würde er nach langer Trennung auf die Hoch­

sprunglatte zustür­men, um dann eng umschlungen mit ihr auf der Matte zu landen.Melvin hüpft wie ein junges Reh über die immer höher gestellte Latte. Alle feuern an – Jennifer

flüstert mir ihren Geheimplan zu: „Ich werd ihn einfach so lange anfeuern, bis er sich gegen das Boxen und für die Leichtathletik entscheidet.“ Für den Standweitsprung geht es an die Weitsprunggrube. Nach dem ersten Sprung von Gülbeyaz greift Profisportlerin Jennifer beherzt zum Rechen und kümmert sich um den zerfurchten Sandkasten. Da ich so­wieso gerade meinen Schreibblock in der Hand halte, ruft mir Frau Eisele ein „Schreib auf!“ zu. Die anderen hüpfen brav einer nach dem anderen aus dem Stand in den Sand. Alle bestehen.Der 3.000­Meter­Lauf spaltet unsere Sportgruppe allerdings doch. Jennifer, die nach einer Verletzung noch nicht ganz fit ist, und Herr Schneeloch ge­ben nach einer Runde auf. Gülbeyaz trotz Knieproblemen nicht – nicht mal, als sie von Melvin überrundet wird. Die beiden schaffen es sicher und un­verletzt ins Ziel. Melvin erreicht auch hier eine goldene Zeit.

Da es mit der Ausdauer bei Jennifer und Herrn Schneeloch leider nicht so gut geklappt hat, dürfen sie heute kein Sportabzeichen mit nach Hau­se nehmen. Für Jennifer ist das nicht schlimm, denn ihre Oma ist Sportab­zeichenprüferin – da kann sie das je­derzeit nachholen. Walter Schneeloch macht heute ohnehin nur zum Spaß mit: Das Sportabzeichen hat er längst.Melvin und Gülbeyaz hingegen dürfen sich bald ihr Sportabzeichen bei Frau Eisele abholen. Vorher müssen sie aber noch ihren Schwimmpass vor­legen. Denn ohne Schwimmnachweis gibt es kein Sportabzeichen – nicht mal von Frau Eisele.

Das Deutsche Sportabzeichen

JEDER kann das Deutsche Sport­

abzeichen ablegen! Es wird vom

Deutschen Olympischen Sportbund

für sportliche Leistungen in den

Leistungsstufen Bronze, Silber und

Gold verliehen.

Die erforderlichen Leistungen sind

in verschiedene Altersstufen und

nach dem Geschlecht unterteilt.

Die individuelle Fitness wird anhand

der vier motorischen Grundfertig­

keiten geprüft: Ausdauer, Kraft,

Schnelligkeit und Koordination. Das

geht in vier Sportarten: Leicht­

athletik, Radfahren, Schwimmen

und Geräteturnen.

Ihr wollt loslegen? Dann erfahrt ihr

hier, wo ihr das könnt:

splink.de/sportabzeichen

von Maria Gramsch, 23 Fotos: Frank Dünzl

„Ich werde ihn so lange anfeuern, bis er sich gegen

das Boxen und für die Leichtatheltik entscheidet.“

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Eine g ldene Zeit

„Ohne meinen Sport wäre ich nichts“

„Ohne meinen Sport wäre ich nichts“ Carlos Manuel Fernandes Marques

Esteves, 53, hätte auch im Profi fuß-ball landen können – oder auf der schiefen Bahn. Ist er aber nicht, sondern im Taekwondo.

D ie fünf olympischen Ringe strahlen im Landesleistungs-stützpunkt für Taekwondo in

Iserlohn von der Wand. „Ist das nicht toll?“, fragt Bundestrainer Carlos Esteves seine Schüler, als er das frisch gemalte Bild zum ersten Mal sieht. Der 53-Jährige stammt aus Lissabon und kommt als Kind nach Deutschland, wo seine Eltern in einer Kofferfabrik arbeiten. „Die erste Zeit war eine Katas-trophe, ich war gera-de fünf und in einer völlig neuen Umge-bung“, erzählt Car-los. Damals knüpft er erste Kontakte beim Sport, spielt regelmäßig Fußball mit Jungs auf der Straße, die „den Portugiesen“ gerne in ihrer Mannschaft haben. „Ich konnte ganz gut Fußball spielen und habe die Sprache schnell gelernt.“

Im Sport – Carlos probiert auch zahlreiche Kampfsportarten aus, da-runter Taekwondo – ist er gut. In der Schule hingegen hat er Startschwie-rigeiten. „Durch den Sport habe ich vieles erlebt. Da habe ich mich toll gefühlt. In der Schule hatten alle eine

andere Sicht auf mich.“ Dort ist er der Fremde und wird wegen seiner dunk-len Haare gehänselt.

1977 kehren seine Eltern zurück in die Heimat, Carlos jedoch will un-bedingt in Deutschland bleiben. Dafür lehnte er sogar einen Vertrag im Inter-nat des portugiesischen Profi -Fußball-vereins Sporting Lissabon ab, wo zum Beispiel Cristiano Ronaldo seine Karri-ere begann. „Ich habe mich gefragt: Wo soll dein Leben hinführen? Kein Schul-abschluss, kein Beruf. Was du kannst, ist Sport. Das war der Anker, den ich hatte.“ Von da an konzentriert er sich voll auf seine Karriere im Taekwondo.

1989 wird er zum ersten Mal deutscher Meister. Bis zu seinem Karriereende nach einem schweren Autounfall 1998 kämpft Carlos um Ti-tel und züchtet mit seiner Frau, die er beim Taekwondo kennengelernt hatte,

Pferde. Carlos steigt

vom Vereinstrainer bis zum Bundes-trainer auf. Bei den Olympischen Spielen in London holt seine Kämpferin Helena Fromm 2012 Bronze. Dass er in den Trai-ningsgruppen Integ-

rationsarbeit betreibt, ist ihm bewusst – und es ist für ihn eine Selbstverständ-lichkeit: „Integration... Wir nehmen das Wort gar nicht in den Mund.“

Er lächelt, als er mir die wech-selreiche Geschichte seines Lebens erzählt hat. „Ohne meinen Sport“, sagt er, „wäre ich heute nichts.“

VIELFALT IST REICHTUM

Zuwanderung bereichert –

und zwar nicht nur den Sport.

Diese Überzeugung steht hinter

dem Programm „Integration durch

Sport“. Gefördert vom Bundes-

ministerium des Innern (BMI) und

dem Bundesamt für Migration und

Flüchtlinge (BAMF) wird das Pro-

gramm durch die Landessportbünde

getragen. Auf Bundesebene über-

nimmt der Deutsche Olympische

Sportbund (DOSB) die Koordination.

„Durch den Sport habe

ich mich toll gefühlt.“

Ob Sebastian selbst begeisterter

Sportler ist? Fragt ihn auf SPIESSER.de,

Profilname: BastiFantasti

von Sebastian Reith, 23

Fotos: Frank Dünzl

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andere Sicht auf mich.“ Dort ist er der Fremde und wird wegen seiner dunk-andere Sicht auf mich.“ Dort ist er der Fremde und wird wegen seiner dunk-

1977 kehren seine Eltern zurück in die Heimat, Carlos jedoch will un-bedingt in Deutschland bleiben. Dafür lehnte er sogar einen Vertrag im Inter-nat des portugiesischen Profi -Fußball-vereins Sporting Lissabon ab, wo zum Beispiel Cristiano Ronaldo seine Karri-ere begann. „Ich habe mich gefragt: Wo soll dein Leben hinführen? Kein Schul-abschluss, kein Beruf. Was du kannst, ist Sport. Das war der Anker, den ich hatte.“ Von da an konzentriert er sich voll auf seine Karriere im Taekwondo.

1989 wird er zum ersten Mal deutscher Meister. Bis zu seinem Karriereende nach einem schweren Autounfall 1998 kämpft Carlos um Ti-tel und züchtet mit seiner Frau, die er beim Taekwondo kennengelernt hatte,

Carlos steigt vom Vereinstrainer bis zum Bundes-trainer auf. Bei den Olympischen Spielen in London holt seine Kämpferin Helena Fromm 2012 Bronze. Dass er in den Trai-ningsgruppen Integ-

rationsarbeit betreibt, ist ihm bewusst – und es ist für ihn eine Selbstverständ-lichkeit: „Integration... Wir nehmen das Wort gar nicht in den Mund.“

Er lächelt, als er mir die wech-selreiche Geschichte seines Lebens erzählt hat. „Ohne meinen Sport“, sagt er, „wäre ich heute nichts.“

Ob Sebastian selbst begeisterter

Sportler ist? Fragt ihn auf SPIESSER.de,

Sport wäre ich Sport wäre ich Sport wäre ich Sport wäre ich Sport wäre ich

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Sport wäre ich nichts“Sport wäre ich Sport wäre ich Sport wäre ich Sport wäre ich nichts“nichts“nichts“nichts“ Carlos Manuel Fernandes Marques

Esteves, 53, hätte auch im Profi fuß-ball landen können – oder auf der schiefen Bahn. Ist er aber nicht, sondern im Taekwondo.

D ie fünf olympischen Ringe strahlen im Landesleistungs-stützpunkt für Taekwondo in

Iserlohn von der Wand. „Ist das nicht toll?“, fragt Bundestrainer Carlos Esteves seine Schüler, als er das frisch gemalte Bild zum ersten Mal sieht. Der 53-Jährige stammt aus Lissabon und kommt als Kind nach Deutschland, wo seine Eltern in einer Kofferfabrik arbeiten. „Die erste Zeit war eine Katas-trophe, ich war gera-de fünf und in einer völlig neuen Umge-bung“, erzählt Car-los. Damals knüpft er erste Kontakte beim Sport, spielt regelmäßig Fußball mit Jungs auf der Straße, die „den Portugiesen“ gerne in ihrer Mannschaft haben. „Ich konnte ganz gut Fußball spielen und habe die Sprache schnell gelernt.“

Im Sport – Carlos probiert auch zahlreiche Kampfsportarten aus, da-runter Taekwondo – ist er gut. In der Schule hingegen hat er Startschwie-rigeiten. „Durch den Sport habe ich vieles erlebt. Da habe ich mich toll gefühlt. In der Schule hatten alle eine

andere Sicht auf mich.“ Dort ist er der Fremde und wird wegen seiner dunk-len Haare gehänselt.

1977 kehren seine Eltern zurück in die Heimat, Carlos jedoch will un-bedingt in Deutschland bleiben. Dafür lehnte er sogar einen Vertrag im Inter-nat des portugiesischen Profi -Fußball-vereins Sporting Lissabon ab, wo zum Beispiel Cristiano Ronaldo seine Karri-ere begann. „Ich habe mich gefragt: Wo soll dein Leben hinführen? Kein Schul-abschluss, kein Beruf. Was du kannst, ist Sport. Das war der Anker, den ich hatte.“ Von da an konzentriert er sich voll auf seine Karriere im Taekwondo.

1989 wird er zum ersten Mal deutscher Meister. Bis zu seinem Karriereende nach einem schweren Autounfall 1998 kämpft Carlos um Ti-tel und züchtet mit seiner Frau, die er beim Taekwondo kennengelernt hatte,

Pferde. Carlos steigt

vom Vereinstrainer bis zum Bundes-trainer auf. Bei den Olympischen Spielen in London holt seine Kämpferin Helena Fromm 2012 Bronze. Dass er in den Trai-ningsgruppen Integ-

rationsarbeit betreibt, ist ihm bewusst – und es ist für ihn eine Selbstverständ-lichkeit: „Integration... Wir nehmen das Wort gar nicht in den Mund.“

Er lächelt, als er mir die wech-selreiche Geschichte seines Lebens erzählt hat. „Ohne meinen Sport“, sagt er, „wäre ich heute nichts.“

VIELFALT IST REICHTUM

Zuwanderung bereichert –

und zwar nicht nur den Sport.

Diese Überzeugung steht hinter

dem Programm „Integration durch

Sport“. Gefördert vom Bundes-

ministerium des Innern (BMI) und

dem Bundesamt für Migration und

Flüchtlinge (BAMF) wird das Pro-

gramm durch die Landessportbünde

getragen. Auf Bundesebene über-

nimmt der Deutsche Olympische

Sportbund (DOSB) die Koordination.

„Durch den „Durch den „Durch den Sport habeSport habeSport habe

ich mich toll ich mich toll ich mich toll gefühlt.“gefühlt.“gefühlt.“

Ob Sebastian selbst begeisterter

Sportler ist? Fragt ihn auf SPIESSER.de,

Profilname: BastiFantasti

von Sebastian Reith, 23

Fotos: Frank Dünzl

„Boxen hat mir die Angst genommen“

Von ihrem Bruder lässt sich Elvira Müller, 20, vor zehn Jahren mit dem Box-Fieber anstecken – und verdankt dem Sport heute ihre Selbstsicherheit.

Gummisohlen quietschen, das Boxsack-Gewinde ächzt – in der kleinen Halle des BC Vo-

gelheim in Essen, Stützpunktverein des Programms „Inte gration durch Sport“, trainieren Grundschüler an der Seite von Berufstätigen. Mitten-drin: Elvira. Die blonden Haare hat sie zurückgebunden, die viel zu großen Boxhandschuhe wirken grotesk an ihrem zierlichen Körper, mit dem sie sich durch die Gewichtsklasse »Flie-gengewicht« kämpft. Auf den ersten Blick sieht die 20-jährige Elvira wirk-lich nicht wie eine Boxerin aus, son-dern: harmlos. Dann aber schlägt sie los. Und alles, was mir durch den Kopf schwirrt, ist: Der arme Boxsack...

Angefangen hat Elvira mit zehn Jahren, vermutet sie. So genau weiß sie es nicht mehr. Ihr Bruder habe zuerst geboxt, erzählt sie, und sie mit dem Box-Fieber angesteckt. Dafür ist sie ihm noch heute dankbar, denn der Sport habe ihr Leben bereichert. Nicht nur um große Erfolge wie bei der Deut-schen Meisterschaft U21, bei der sie 2012 den dritten Platz belegt. Auch

um Selbstsicherheit. „Boxen hat mir die Angst genommen“, sagt Elvira.

Ihre Mutter stammt aus der Ukraine, Elvira ist dort gebo-

ren. Mit drei Jahren kommt die Familie nach Deutschland,

„bessere Perspektiven“, erinnert sich Elvira.

Doch der Start fällt ihr schwer. Sie wird mit

einem Jahr Verzöge-rung eingeschult, weil ihr

Deutsch noch nicht gut genug ist. Und auch auf der Realschule läuft nicht al-

Ob Peter schon mal geboxt hat?

Fragt ihn auf SPIESSER.de, Profilname:

Peter.Andre.

von Peter Andre, 19

Fotos: Sascha Kreklau

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Sport heute ihre Selbstsicherheit.

Gummisohlen quietschen, das Boxsack-Gewinde ächzt – in der kleinen Halle des BC Vo-

gelheim in Essen, Stützpunktverein des Programms „Inte gration durch Sport“, trainieren Grundschüler an der Seite von Berufstätigen. Mitten-drin: Elvira. Die blonden Haare hat sie zurückgebunden, die viel zu großen Boxhandschuhe wirken grotesk an ihrem zierlichen Körper, mit dem sie sich durch die Gewichtsklasse »Flie-gengewicht« kämpft. Auf den ersten Blick sieht die 20-jährige Elvira wirk-lich nicht wie eine Boxerin aus, son-dern: harmlos. Dann aber schlägt sie los. Und alles, was mir durch den Kopf schwirrt, ist: Der arme Boxsack...

Angefangen hat Elvira mit zehn Jahren, vermutet sie. So genau weiß sie es nicht mehr. Ihr Bruder habe zuerst geboxt, erzählt sie, und sie mit dem Box-Fieber angesteckt. Dafür ist sie ihm noch heute dankbar, denn der Sport habe ihr Leben bereichert. Nicht nur um große Erfolge wie bei der Deut-schen Meisterschaft U21, bei der sie 2012 den dritten Platz belegt. Auch

um Selbstsicherheit. „Boxen hat mir die Angst genommen“, sagt Elvira.

Ihre Mutter stammt aus der Ukraine, Elvira ist dort gebo-

ren. Mit drei Jahren kommt die Familie nach Deutschland,

„bessere Perspektiven“, erinnert sich Elvira.

rung eingeschult, weil ihr Deutsch noch nicht gut genug ist. Und auch auf der Realschule läuft nicht al-

mir die Angst genommen“

Von ihrem Bruder lässt sich Elvira Müller, 20, vor zehn Jahren mit dem Box-Fieber anstecken – und verdankt dem Sport heute ihre Selbstsicherheit.Sport heute ihre Selbstsicherheit.

Ggelheim in Essen, Stützpunktverein des Programms „Inte gration durch Sport“, trainieren Grundschüler an der Seite von Berufstätigen. Mitten-drin: Elvira. Die blonden Haare hat sie zurückgebunden, die viel zu großen Boxhandschuhe wirken grotesk an ihrem zierlichen Körper, mit dem sie sich durch die Gewichtsklasse »Flie-gengewicht« kämpft. Auf den ersten Blick sieht die 20-jährige Elvira wirk-lich nicht wie eine Boxerin aus, son-dern: harmlos. Dann aber schlägt sie los. Und alles, was mir durch den Kopf schwirrt, ist: Der arme Boxsack...

Angefangen hat Elvira mit zehn Jahren, vermutet sie. So genau weiß sie es nicht mehr. Ihr Bruder habe zuerst geboxt, erzählt sie, und sie mit dem Box-Fieber angesteckt. Dafür ist sie ihm noch heute dankbar, denn der Sport habe ihr Leben bereichert. Nicht nur um große Erfolge wie bei der Deut-schen Meisterschaft U21, bei der sie 2012 den dritten Platz belegt. Auch

um Selbstsicherheit. „Boxen hat mir die Angst genommen“, sagt Elvira.

der Ukraine, Elvira ist dort gebo-ren. Mit drei Jahren kommt die

Deutsch noch nicht gut genug ist. Und

les reibungslos. Doch jetzt ist sie ge-rade im Endspurt zum Abitur, möchte danach Lehrerin werden – und hat keinen Zweifel daran, dass das Boxen einen großen Anteil daran hatte.

Beim Boxen lerne man Men-schen kennen und schätzen, die man sonst gemieden hätte – und umge-kehrt. „Man fi ndet zueinander. Wenn die Hände zur Waffe werden, muss man Verantwortung lernen. Ohne Rücksicht und Respekt geht beim Bo-xen gar nichts.“

Das Training ist vorbei, Elvira zieht ihre Boxhandschuhe langsam aus. Jetzt sehe ich den Schriftzug dar-auf: „Invincible“ – unbezwingbar.

Über 1,4 Millionen Menschen

sind jährlich bei „Integration durch

Sport“ aktiv, und zwar in allen er-

denklichen Sportarten. Darunter sind

auch der russische Mannschafts-

sport Gorodki oder der Kampfsport

Sambo zu finden.

Am beliebtesten sind Tanzen und Fit-

ness (bei den Mädchen und Frauen)

sowie Fußball und Kampfsportarten

(bei den Jungen und Männern).

Über 2.200 freiwillig Engagierte

beteiligen sich in 764 Stützpunkt-

vereinen am Programm.

„Boxen hat mir die Angst genommen“

„Nur deshalb hab ich Abi gemacht“hab ich Abi gemacht“

„Nur deshalb hab ich Abi hab ich Abi gemacht“

Damit „Integration durch Sport“

klappt, werden alle Zielgruppen

sozial, kulturell, sprachlich und

räumlich in ihrem Lebensumfeld

abgeholt. Hier helfen sogenannte

Brückenbauer – engagierte Per-

sonen, die sich in den deutschen

Vereinsstrukturen und den kultu-

rellen Gegebenheiten der Migranten

auskennen und dort akzeptiert

werden. Sie können sowohl sprach-

lich als auch kulturell den Zugang

erleichtern.

Die St. Peter Grundschule liegt in einer ruhigen Straße mitten im rheinland-pfälzischen An-

dernach. Die Turnhalle ist erleuchtet, ein paar Jungs kommen mir mit dem Fahrrad entgegen, andere kicken. Je-den Sonntag spielen etwa 50 Jugend-liche hier Fußball.

Hier treffe ich Milorad. Der 37-jährige Jugendsozi-alarbeiter ist seit Jahren für „Integration durch Sport“ aktiv. Ehren-amtlich trainiert er Kinder und Jugend-liche in Fußball und Basketball, organisiert Sportcamps in ganz Eu-ropa. Begonnen hat all das in Andernach.

„Für uns Kinder war Sport das Ventil. Weg von zuhause, weg vom Stress in der Schule, einfach Fußball spielen, Tore schießen.“ 1981 kommt er mit seiner Familie aus dem ehe-maligen Jugoslawien nach Deutsch-land. In Andernach besucht Milorad Kindergarten und Fußballverein. „Es war schwer, dort Anschluss zu fi nden, denn das waren alles deutsche Trai-ner, deutsche Jungs und wir waren Ausländerkinder.“ Die Alternative ist ein Verein, in dem kein einziger deut-scher Junge spielt. „Dort nimmt dich jeder an, so wie du bist, hieß es. Aber Integration war das auch nicht.“

Bald darauf entdeckt er auch Basketball für sich. Mit 17 wird Milo-

„Nur deshalb hab ich Abi gemacht“

Milorad Vlajnic, 37, trainiert Kinder und Jugendliche im Fußball und Basketball. Dabei geht es ihm um mehr als sportlichen Ehrgeiz.von Bebero Lehmann, 27

Fotos: Maya Claussen

rad selbst Trainer, weil es im Verein an Personal für die Jüngeren fehlt. „Damals hab ich mir gesagt, ich will ein Trainer sein, der die Kids wirklich so annimmt wie sie sind. Ich hab mich selbst in ihnen wiedererkannt.“

Zum Studieren geht er nach Köln an die Sporthochschule. „Nur

deshalb hab ich Abi gemacht.“ Unter der tief sitzenden Müt-

ze beobachtet Milorad, was auf dem Spielfeld passiert. „Gerade sind 15 Leute da, aus 13 Nationen“, sagt Milo-rad. „Integration durch

Sport ist ja jetzt ein politischer Begriff. Wir

machen das seit 15 Jah-ren. Damals sind wir mit nem

Fußball losgezogen, um die Kinder von der Straße zu holen.“

In seinem Training geht es um mehr als die sportliche Leistung: „Ein-fache menschliche Werte, wie Fürsor-ge, Hingabe, Miteinander statt Gegen-einander lassen sich zum Beispiel beim Passspiel vermitteln.“

Die ersten Jungs schauen un-geduldig zu uns rüber. Heute steht ein Turnier auf dem Plan. Höchste Zeit, dass Milorad die Trikots verteilt und das erste Spiel anpfeift.

Welcher Sport Beberos Leidenschaft ist?

Fragt sie auf SPIESSER.de, Profilname:

Bebero

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deshalb hab ich Abi gemacht.“ Unter der tief sitzenden Müt-

ze beobachtet Milorad,

Hier treffe ich Milorad. Der 37-jährige Jugendsozi-alarbeiter ist seit Jahren

Sportcamps in ganz Eu-ropa. Begonnen hat all das

was auf dem Spielfeld

politischer Begriff. Wir machen das seit 15 Jah-

ren. Damals sind wir mit nem

„Integration durch Sport“

machen Menschen mit freiwilligem

Engagement möglich – oft nachdem

sie selbst positive Erfahrungen mit

„Integration durch Sport“ gemacht

haben. Sie füllen als Übungsleiter,

Betreuer von Sportmobileinsätzen,

Ansprechpartner in den Vereinen,

Netzwerkkoordinatoren, Multiplika-

toren oder Integrationsbeauftragte

das Programm mit Leben.

Ziel ist die Integration, im Klartext:

die gleichberechtige Teilhabe vom

Migranten am gesellschaftlichen

Leben – und am Sport.

Mittwochnachmittag, 16 Uhr in Bochum-Wattenscheid. Wäh-rend ich Maral Feizbakhsh,

23, in der Mensa des Olympiastütz-punktes treffe, laufen unzählige Sport-lerinnen und Sportler an uns vorbei. Maral kennt sie alle und hält für jeden ein freundliches Wort bereit. Seit sie 13 ist, ist sie Leichtathletin. Dass sie da steht, wo sie ist, hat sie auch der mutigen Entscheidung ihrer damals 28-jährigen iranischen Mutter zu ver-danken.

„Als ich auf die Welt kam, hat sich meine Mutter fürs Auswandern entschieden, weil sie nicht wollte, dass ich in einem frauenfeindlichen Land aufwachse“, erzählt Maral. So kam sie im Alter von vier Monaten nach Mainz. Marals Vater blieb zurück. „Er ist nicht mitgekommen, weil meine Eltern damals bereits ge-trennt waren. Zu ihm habe ich keinen Kontakt mehr“, sagt sie nachdenklich.

Von Anfang an habe ihre Mutter alles dafür getan, dass sich Maral in Deutschland gut einlebt. „Sie musste selbst erst mal Deutsch lernen, hat es aber nach 23 Jahren echt gut drauf“, so Maral. Sie selbst lernt die Sprache mit 18 Monaten in der Kinderkrippe. „Es ist verrückt, wie einfach die Ver-

Die 400-Meter-Läuferin Maral Feizbakhsh, 23, kam mit vier Monaten aus dem Iran nach Deutschland. Mit Vorurteilen hatte sie nie zu kämpfen – daran hat auch ihr Sport großen Anteil.

von Laura Konieczny, 20

Fotos: Sascha Kreklau

ständigung für Kinder ist“, sagt sie, „einfach so beim Spielen“. In ihrem Freundeskreis fi ndet sich heute nur eine Iranerin, ihre Mutter habe stets

Wert darauf gelegt, dass sie sich mit deutschen Kindern umgibt – auch beim Sport.

„Im Sport ist jeder gleich“, sagt Maral. Nach Versu-chen im Rollschuh-laufen und Schwim-men fängt sie im

Alter von 13 mit Leichtathletik an. Der Sport habe sie vor der pubertären Ein-samkeit gerettet. Besonders mit den Mädels aus ihrer 400-Meter-Staffel verbindet sie viel – das wird spätes-tens klar, wenn sie mit glänzenden Augen den Teamgeist beschwört: „In der Staffel hat man plötzlich Reserven, von denen man nichts wusste. Zusam-men ist man viel stärker, im Team lau-fen alle füreinander.“

Sechs bis acht Mal pro Woche trainiert sie, war 2012 bei den Olym-pischen Spielen in London dabei. 2014 möchte sie auf 400 Metern in 52 Sekun-den ihre persönliche Bestzeit schlagen. Täglich macht sie nach der Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Industrie- und Handelskammer ihre Kilometer. „Es ist stressig, aber macht Spaß – das ist mein Leben.“

„Zusammen ist man viel stärker“

„Zusammen ist man viel stärker“

Ob ein Leben für den Sport auch was für

Laura wäre? Fragt sie auf SPIESSER.de

Profilname: Laura...

„Es ist verrückt, wie einfach die Verständigung für Kinder ist.“

Sport habe sie vor der pubertären Ein-samkeit gerettet. Besonders mit den Mädels aus ihrer 400-Meter-Staffel verbindet sie viel – das wird spätes-tens klar, wenn sie mit glänzenden Augen den Teamgeist beschwört: „In der Staffel hat man plötzlich Reserven, von denen man nichts wusste. Zusam-men ist man viel stärker, im Team lau-fen alle füreinander.“

Sechs bis acht Mal pro Woche trainiert sie, war 2012 bei den Olym-pischen Spielen in London dabei. 2014 möchte sie auf 400 Metern in 52 Sekun-den ihre persönliche Bestzeit schlagen. Täglich macht sie nach der Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Industrie- und Handelskammer ihre Kilometer. „Es ist stressig, aber macht Spaß – das ist mein Leben.“

Ob ein Leben für den Sport auch was für

Laura wäre? Fragt sie auf SPIESSER.de

Profilname: Laura...

samkeit gerettet. Besonders mit den Mädels aus ihrer 400-Meter-Staffel verbindet sie viel – das wird spätes-tens klar, wenn sie mit glänzenden Augen den Teamgeist beschwört: „In der Staffel hat man plötzlich Reserven, von denen man nichts wusste. Zusam-men ist man viel stärker, im Team lau-

Sechs bis acht Mal pro Woche trainiert sie, war 2012 bei den Olym-pischen Spielen in London dabei. 2014 möchte sie auf 400 Metern in 52 Sekun-den ihre persönliche Bestzeit schlagen. Täglich macht sie nach der Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Industrie- und Handelskammer ihre Kilometer. „Es ist stressig, aber macht Spaß – das ist mein Leben.“

Ob ein Leben für den Sport auch was für

Laura wäre? Fragt sie auf SPIESSER.de

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Sport kann euch fürs Leben bilden und dabei unglaublich viel Spaß machen.

Walter Schneeloch, DOSB-Vizepräsident

Breitensport und Sportentwicklung

Sport kann dich schneller von A nach B bringen. Durch

häufi ges Fahrradfahren etwa tust du was für deine Bewe-

gung und wirst dadurch immer ausdauernder. Markus, 22 aus Koblenz

Sport kann Spaß machen. Beim Trampolinspringen habe ich ge-

merkt, wie ich meinen Körper immer besser kennengelernt habe. Figuren, die erst schwer und frustrierend waren, gelingen mir

jetzt viel leichter. Ein Erfolgserlebnis!Anne, 21 aus Zwickau

Sport kann Grenzen überwinden, weil es da keine

Vorurteile gibt. Hier ist egal, wo du herkommst, wie du aussiehst oder was für eine Sprache du sprichst. Es zählt einzig der Mensch und seine

sportliche Leistung. Alexander, 19 aus Freiburg

Sport kann glücklich machen. Wenn ich

mich beispielsweise erfolgreich gegen meine

kein-Bock-auf-Sport-Stim-mung wehre und dann wirklich

rausgehe, um mich zu bewegen, fl ießen die Glückshormone nur so durch meinen Körper. Christina, 26 aus Dresden

Sport kann Gemeinschaft schaffen: Sportvereine sind Orte des Miteinanders und der aktiven Teilhabe für alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft. Die Bundesregierung unterstützt

deshalb Vereine vor Ort durch das Programm „Integration durch Sport“.

Dr. Manfred Schmidt, Präsident des

Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Sport kann euch stark machen, und im Verein fi ndet ihr neue Freundinnen und Freunde.Ilse Ridder-Melchers,

DOSB-Vizepräsidentin

Frauen und Gleichstellung

Sport kann...?

www.integration-durch-sport.de

Julius hat sich umgehört, was ihr dem Sport alles zutraut – lest selbst!von Julius Wußmann, 24 Fotos: Frank Grätz

Sport kann euch fürs Leben bilden und dabei unglaublich viel Spaß machen.

Walter Schneeloch, DOSB-Vizepräsident

Breitensport und Sportentwicklung

Sport kann dich schneller von A nach B bringen. Durch

häufi ges Fahrradfahren etwa tust du was für deine Bewe-

gung und wirst dadurch immer ausdauernder. Markus, 22 aus Koblenz

Sport kann Spaß machen. Beim Trampolinspringen habe ich ge-

merkt, wie ich meinen Körper immer besser kennengelernt habe. Figuren, die

Sport kann Grenzen überwinden, weil es da keine

Vorurteile gibt. Hier ist egal, wo du herkommst, wie du aussiehst

Sport kann glücklich machen. Wenn ich

mich beispielsweise erfolgreich gegen meine

kein-Bock-auf-Sport-Stim-mung wehre und dann wirklich

Sport kann Gemeinschaft schaffen: Sportvereine sind Orte des Miteinanders und der aktiven Teilhabe für alle Menschen, unabhängig von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft. Die Bundesregierung unterstützt

deshalb Vereine vor Ort durch das Programm „Integration durch Sport“.

Sport kann euch stark machen,

Freundinnen und Freunde.Ilse Ridder-Melchers,

DOSB-Vizepräsidentin

Frauen und Gleichstellung

ImpressumHerausgeber:

Deutscher Olympischer SportbundOtto-Fleck-Schneise 12 60528 Frankfurt am Main

Redaktion und Layout:

SPIESSER GmbHSchandauer Straße 6401277 Dresden

Projektleitung: Caroline Jeschke

Redaktion: Peter Andre, Maria Gramsch, Laura Konieczny, Bebero Lehmann, Luise Mundhenke, Sebastian Reith, Eva Weber, Julius Wußmann

Fotos: Andrea Bowinkelmann, Maya Claussen, DOSB, Frank Dünzl, Thomas Geiger, Frank Grätz, Sascha Kreklau, ANSA Alessandro di Meo / dpa

Layout: Ronny Pietsch

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Ihr wollt in einem Stützpunktverein dabei sein? Hier erfahrt ihr mehr: