Post on 02-Sep-2019
12BIOGRAFIENRONALD KRUSCHAKDANIEL REMSPERGERCARSTEN GUTSCHMIDTHUBERTUS MEYER-BURCKHARDTMICHAEL MENDLCHRISTINA GROSSE
24CHRONIKHELGOLAND 1890—1951
10STAB UND BESETZUNG
ERINNERUNGEN SIND WICHTIG FÜR DIE ZUKUNFT
Wer heute an den Hamburger Landungsbrücken auf einen Katamaran nach Helgoland steigt, freut sich auf ruhige Stunden auf der kleinen Nordseeinsel. Was sich auf diesen 1,7 Quadratkilometern Norddeutschland Ende des Zweiten Weltkriegs für unsere Geschichte Prägendes in verdichteter Form abgespielt hat, wird längst nicht mehr allen Menschen im Norden präsent sein. Mit „Heimat Helgoland“ wollen wir die Ereignisse in Erinnerung rufen, die sich auf und um den „roten Felsen“ abspielten.
Durch seine exponierte Lage vor der deutschen Küste war Helgoland bereits während des Ersten Weltkriegs hart umkämpft. Die Insulaner mussten ihre Heimat verlassen, wie auch während des Zweiten Weltkriegs noch einmal. 1947 schließlich wollten die Briten Helgolands Munitionslager und Militäranlagen für immer im Meer versenken: Mehr als 6700 Tonnen Granaten, Raketen und Sprengstoff gingen bei der „Operation Big Bang“ in die Luft. Doch wie ein Fels in der Brandung trotzte die Insel dem Sprengungsversuch. Das ist jetzt 70 Jahre her.
Das DokuDrama „Heimat Helgoland“ zeichnet Geschichten von Menschen nach, die damals auf Helgoland lebten. Hubertus MeyerBurckhardt führt als Presenter durch „Heimat Helgoland“. Mit ihm reisen wir zu den Orten, an denen heute auf den ersten Blick nicht mehr sichtbar ist, welches Trümmerfeld die riesige Explosion auf Helgoland hinterließ. Durch hervorragende Schauspielerinnen und Schauspieler wie Christina Große und Michael Mendl werden diese Schicksale erlebbar.
Ein Flakturm auf dem Helgoländer Oberland hat die Kriegsjahre und die Sprengungsversuche überstanden. Er dient heute als Leuchtturm. Solch ein Leuchtturm ist für mich das DokuDrama „Heimat Helgoland“ im NDR Fernsehen. Erinnerungen sind wichtig für die Zukunft. Deshalb strahlen wir „Heimat Helgoland“ am 3. Oktober 2017 zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr im NDR Fernsehen aus.
Lutz MarmorIntendant des Norddeutschen Rundfunks
5 HEIMAT HELGOLAND
Helgoland, 18. April 1947. Die Vorbereitungen für eine der größten nicht-nuklearen Sprengungen der Menschheitsgeschichte sind abge-schlossen. Nach 13.00 Uhr soll nichts mehr an die jahrzehntelangen Bestrebungen erinnern, Helgoland in eine waffenstarrende Hoch-seefestung zu verwandeln. Sämtliche Überreste der militärischen Aufrüstung vergangener Jahrzehnte sollen – so der Plan der britischen Besatzer – mit mehr als 6000 Tonnen Sprengstoff in die Luft gejagt werden.
Anlässlich des 70. Jahrestags der „Operation Big Bang“ blickt Hubertus MeyerBurckhardt im DokuDrama „Heimat Helgoland“ auf ein bewegtes Stück deutscher Geschichte zurück. Wie konnte es dazu kommen, dass ein gerade mal ein Quadratkilometer großer Fels in der Weite der Nordsee zum Spielball der Weltmächte wurde? Welchen Einfluss hatte die schleichende Bewaffnung Helgolands auf die Bewohner der Insel, die sich im Lauf der Jahre mit immer neuen Machthabern und politischen Marschrouten arrangieren mussten? Anhand der Erinnerungen von Zeitzeugen und der Lebensgeschichten mehrerer Helgoländer Persönlichkeiten stellt „Heimat Helgoland“ die Schicksalstage einer Inselgemeinschaft vor:
— Im Sommer 1946 wartet der kriegsgebeutelte, von Alpträumen geplagte Helgoländer Fotograf Franz Schensky (Michael Mendl) darauf, auf seine nach einem britischen Großangriff evakuierte Heimat insel zurückkehren zu dürfen. Das Leben im Schleswiger Exil – gemeinsam unter einem Dach mit der ältesten Tochter Margarethe (Christina Große) und dem Rest der Familie – ist von Spannungen und Existenzängsten geprägt. Als Schensky im Juni 1946 von der „Operation Big Bang“ erfährt und er die komplette Vernichtung Helgolands fürchtet, verschärfen sich die Konflikte, die ihren Grund nicht zuletzt in einer lang zurückliegenden „ehelichen Weichenstellung“ des Fotografen haben.
— Mit der Ankündigung des „Big Bang“ sehen sich auch Anna und Hans Carl Rickmers (Felicia Spielberger, Peter Sikorski) in ihrer Existenz bedroht – und das bereits zum wiederholten Male. Nach dem Ersten Weltkrieg macht das Ehepaar das Hotel „Empress of India“ zu Helgo lands bester Adresse, sieht sich jedoch nach der Machtübernahme der NSDAP mit neuen Repressalien und Schikanen konfrontiert. Besonders Ortsgruppenleiter Dr. Karl Meunier (Christoph Jacobi) ist die internationale und weltoffene Ausrichtung des Hotels ein Dorn im Auge.
DREHZEIT15. — 25.5.17
& 26.6. — 1.7.17
DREHORTEHELGOLAND
WRISBERGHOLZENBANTELN
LÄNGE90 MINUTEN
6 HEIMAT HELGOLAND
— Helgoland vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren: Dieses Ziel haben sich in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs auch mehrere mutige Männer gesetzt. Zwei Jahre vor dem Big Bang 1947 sieht eine Widerstandsgruppe um den Helgoländer Gastronom Erich Friedrichs (Harald Burmeister) und den aus Süddeutschland kommenden Dachdecker Georg Braun (Thomas Ziesch) nur einen Weg, die Insel zu retten: Unter Einsatz ihres Lebens nehmen sie Kontakt zu den Engländern auf, um eine kampflose Übergabe der Insel zu verhandeln. Eine mit dem Mut der Verzweiflung geplante Aktion, die am Morgen des 18. April 1945 ihr tragisches Ende findet.
„Heimat Helgoland“ führt eindrücklich die Konsequenzen machtpolitischer Entscheidungen für das Individuum vor Augen. Wo eben noch Zukunftspläne geschmiedet wurden, steht in der nächsten Sekunde kein Stein mehr auf dem anderen, sind Menschen auf der Flucht, begeben sich Väter auf Himmelfahrtskommandos, schwinden Hoffnungen und Gewissheiten und müssen sich brüchig gewordene familiäre Bande neu sortieren und zusammenraufen.
„Heimat Helgoland“ erzählt aber auch von der Hoffnung auf Neuanfang und der generationsübergreifenden Wertschätzung für eine Insel von einzigartiger Schönheit. Neben den Spielsequenzen kommen Insulaner, Experten und Zeitzeugen in Interviews und Gesprächen zu Wort, u. a. die Biografin Astrid Friederichs, der Hotelbesitzer Detlev Rickmers und seine Tochter Helena Rickmers sowie der Leiter des Museums Helgoland, Jörg Andres. Sie alle lassen die Zuschauerinnen und Zuschauer eindrucksvoll an einem Abschnitt atemloser Nordseegeschichte teilhaben.
9 HEIMAT HELGOLAND
MUSIK GEORGE KOCHBECK
MONTAGE KLAUS EICHLER
SCHNITTASSISTENZ ANNEKATRIN HARTUNG
CGI / GRAPHIK EIKE WICHMANN
MISCHUNG DANIEL WULF
GRADING PAVEL LAVROV
ARCHIVRECHERCHESTEFANIE RENNER
REGIEASSISTENZ MO JÄGER
AUFNAHMELEITUNG (SZENISCH)ANDREA GIESELMELANIE HEILIG
AUFNAHMELEITUNG (DOKUMENTARISCH) MATHIAS STRUVE
PRODUKTIONSASSISTENZ NORA GRÄWE (DOKFILM)
PRODUKTIONSLEITUNG REGINA KOWALSKI
HERSTELLUNGSLEITUNG JOST NOLTING (NDR) FRANK SCHMUCK (DOKFILM)
PRODUZENT JOST-AREND BÖSENBERG
REDAKTION MARC BRASSE
STAB
REGIE DANIEL REMSPERGER
CARSTEN GUTSCHMIDT
BUCH RONALD KRUSCHAK
DANIEL REMSPERGER
CASTING GITTA UHLIG
BILDGESTALTUNG THOMAS BRESINSKY
DROHNEN-KAMERA / EB-TON MICHAEL GASSNER
KAMERAASSISTENZ (SZEN. / DOK.) FLORIAN HOFF
MAX MEYER
DIT ANDREAS MELCHER
OBERBELEUCHTERGEORGE STEFFENS
TON (SZENISCH) DIRK DIEDRICH
KOSTÜM SANDRA FUHR
MASKE (NIEDERSACHSEN)AMALIE HASTMANNN
AMAL BOULOS
MASKE (HELGOLAND)YVONNE OPPERMANN
SZENENBILD KAY KULKE
10 HEIMAT HELGOLAND
HEIMAT HELGOLAND IST EINE PRODUKTION DER DOKFILM FERNSEHPRODUKTION GMBH IM AUFTRAG DES NDR, GEFÖRDERT MIT MITTELN DER NORDMEDIA FILM- UND MEDIENGESELLSCHAFT NIEDERSACHSEN / BREMEN MBH.
DANK AN DAS MUSEUM HELGOLAND FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG DER ARCHIVRECHERCHE.
BESETZUNG
PRESENTER HUBERTUS MEYER-BURCKHARDT
FRANZ SCHENSKY (74) MICHAEL MENDL
MARGARETHE JESSEN CHRISTINA GROSSE
ERICH FRIEDRICHS HARALD BURMEISTER
GEORG BRAUN THOMAS ZIESCH
KARL MEUNIER CHRISTOPH JACOBI
FRANZ SCHENSKY CHRISTIAN AUMER
ANDREW CUNNINGHAM MICHAEL EPP
ANNA RICKMERS FELICIA SPIELBERGER
HANS CARL RICKMERS PETER SIKORSKI
GEORG JESSEN BERND PANZER
MARIA SCHENSKY ELISA POSKY
FRANZ SCHENSKY (19) LUKAS HASENBEIN
PAUL MÜNSTER MAURIZIO MICKSCH
U.V.A.
11 HEIMAT HELGOLAND
Z U M E R S T E N M A L S O L L D I E I N S E L Ü B E R
D I E G E S C H I C H T E N I H R E R M E N S C H E N E R Z Ä H L T W E R D E N
12 HEIMAT HELGOLAND
RONALD KRUSCHAK BUCH
„Weißt Du eigentlich, was für ein unglaublicher Stoff in der Geschichte der Insel Helgoland liegt?“ Es ist rund fünfzehn Jahre her, dass mein guter Freund, der Filmemacher Peter Braun, mir diese Frage stellte. Es bedurfte nur weniger Stichworte und ich begriff: Alle Katastrophen des 20. Jahrhunderts spielten sich hier auf 1,7 Quadratkilometer in kürzester Zeit ab. Die Helgoländer, eigentlich Nachkommen eines unabhängigen kleinen Friesenvolks, wurden immer wieder besetzt – von den Dänen, von Schleswigern, von England (1807 bis 1890) und schließlich ab 1890 von Wilhelms (II) Kaiserreich. Zwei Weltkriege mussten sie unter einer deutschen Militärbesatzung durchleben, zweimal zwangsweise ihre Insel verlassen: während des Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Flüchtlinge, über Norddeutschland verstreut, versuchten sie stets, untereinander im Kontakt zu bleiben und eine Rückkehr zu planen. Nach der Totalzerstörung ihrer Ortschaften im April 1945 rangen die Helgoländer weitere sieben Jahre um das Recht der Rückkehr. „Es hat in der Geschichte der Menschheit niemals ein so kleines Fleckchen Erde gegeben, das so eine große Rolle gespielt hat“, resümierte ein britisches Parlamentsmitglied, als die Engländer 1952 über die Rückgabe der Insel an Deutschland entscheiden sollten.
Und so spiegelt sich in der deutschen Geschichte Helgolands nicht nur Weltgeschichte und eine vertrackte Beziehung zwischen Deutschland und England – schließlich gehörten Wilhelm und seine Mutter ja auch indirekt zum britischen Königshaus , es spiegeln sich darin auch drei verschiedene deutsche Staaten: das Kaiserreich, die Weimarer Republik und NaziDeutschland. Die Dramatik der helgoländischen Geschichte kulminierte im 18. April 1945, als rund 1000 englische Bomber das Ober und Unterland geradezu einäscherten. Dabei hatte es noch einen kleinen Kreis UrHelgoländer und Soldaten gegeben, die Helgoland in letzter Minute retten wollten. Sie hatten mit den Engländern Funkkontakt aufgenommen und wollten die Insel kampflos übergeben. Bis 12 Uhr an jenem 18. April sollten sie die weiße Fahne am Leuchtturm gehisst haben, dann wäre Helgoland
Ronald Kruschak (geb. 1962) ist freier Autor,
Dozent und Producer mit den Schwerpunkten Family
Entertainment und Dokumentarfilm/Dokudrama.
Der gebürtige Hamburger studierte Drehbuch, Regie
und Stoffentwicklung an der School of Theater, Film
and Television der University of California, Los Angeles,
sowie Anglistik, Germanistik, Politik und Pädagogik am
King’s College London und an der GeorgAugustUniver
sität Göttingen.
Kruschak arbeitete als Producer, Dramaturg und
Autor für Spiegel TV / a + i Filmproduktion,
Aspekt Telefilm, Studio Hamburg Produktion, Studio
Hamburg International Production, UFA Fernsehpro
duktion, Polyphon. Zu seinen erfolgreichsten Produktionen gehören die
Kinofilme „Die Drei ???“ und „Die rote Zora“ sowie der
Dokumentarfilm „Gold – du kannst mehr als du denkst“.
13 HEIMAT HELGOLAND
verschont geblieben. Doch die Gruppe um den Restaurantbesitzer Erich Friedrichs wurde verpfiffen, die Rebellen wurden am Morgen des 18. April festgenommen, mussten die Bombardierung mit ansehen und wurden drei Tage später in Cuxhaven noch exekutiert.
Wenige Wochen nach meinem ersten Treffen mit Peter Braun befand ich mich in Peters kleinem CessnaFlugzeug auf dem Weg nach Helgoland. Unter uns die glänzende Nordsee, wie ein Tuch aus Seide. Da unten fuhr ein Katamaran, zogen die Möwen vorbei und erschienen große Containerschiffe am Horizont auf ihrem Weg zum Hamburger Hafen. Ich dachte an meine Kindheitserinnerungen an Helgoland. Meine Familie stammt aus den stadtnahen östlichen Elbvororten Hamburgs – Bergedorf und Geesthacht. Ich bin selber gebürtiger Hamburger, in Niedersachsen in den Siebzigerjahren aufgewachsen. Für Kinder des Nordens in dieser Zeit war Helgoland einer der ganz großen Ausflugsorte. Natürlich war ich auch mehrere Male dort gewesen, auf großer Fahrt mit der „Wappen von Hamburg“, mal mit den Eltern, mal mit der Schulklasse. Aber von der dramatischen Geschichte dieser Insel hatte ich als Kind wenig mitbekommen.
Auf Spurensuche mit Peter war alles anders. Wir überquerten die Düne, die Seehunde und Robben sahen zu uns auf. Peter schaltete den Motor aus und wir segelten hinab zu Europas „kleinster Landebahn“ auf der vorgelagerten Düne. Peter stellte mich Freunden vor, die ihr ganzes Leben auf der Insel verbracht hatten. Wir liefen durch die Bombenkrater auf dem Oberland, hin zur langen Anna, wir stiegen hinab in die Tunnel der Schutzbunker, wir kletterten auf den Leuchtturm, der einst Flakturm war, und wir gingen ins Museum, wo ich staunend vor den kunstvollen Fotos eines Mannes namens Franz Schensky stand. Ich staunte darüber, wie prachtvoll und romantisch Helgoland einst ausgesehen hatte. Ich war ergriffen von den Bildern der Zerstörung und den Schnappschüssen der ersten Aufbauarbeiten. Ich lernte bei einem Vortrag im Förderverein mehr über die Geschichte und staunte immer wieder über diese Impressionen vergangener Jahrzehnte, der blühenden 20er Jahre, der unschuldigen 1890er, die von einer Vergangenheit zeugten, in der die Zukunft eigentlich großartig ausgesehen haben musste.
Seit mehr als zehn Jahren unterrichtet Kruschak
für diverse europäische Programme Drehbuch,
Stoffentwicklung sowie „Filmproduktion – Von der Idee bis zur Abrechnung“. Kruschak ist Mitglied der
Deutschen Filmakademie. Er lebt in Potsdam, ist aber Norddeutscher und Helgo
land seit seiner Kindheit verbunden. Die Verfilmung der Inselgeschichte ist ihm
eine Herzensangelegenheit.
14 HEIMAT HELGOLAND
Ich hatte längst begriffen, dass da draußen, 60 km vor der deutschen Küste, ein Schatz liegt, ein Schatz von einer Historie, einer Geschichte, die darauf wartet, gehoben zu werden. Die Geschichte Helgolands ist die Geschichte einer Bevölkerung mit Überlebenswillen, die alle Katastrophen mitgemacht hat, die auch heute noch aktuell sind. Ja, die Helgoländer waren auch Flüchtlinge, sie flüchteten vor Krieg, Verfolgung und Zerstörung. Einige haben für ihre Heimat ihr Leben gelassen.
Zum ersten Mal ergibt sich hier die Gelegenheit, die Geschichte Helgolands nicht nur an der losen Abfolge von historischen Ereignissen zu erzählen, zum ersten Mal soll die Insel über die Geschichten ihrer Menschen erzählt werden. Dafür habe ich über Jahre recherchiert. Damals schon für das erste Projekt und jetzt wieder. Ich habe viele Tage in den Archiven der Insel verbracht, die Autoren getroffen, die sich bereits um die Aufarbeitung der Inselgeschichte verdient gemacht haben, die Literatur und Zeitungen der Zeit studiert. Ich habe mich durch die typischen Fotokartons von Privatarchiven gewühlt, noch lebende Zeitzeugen gesucht und gefunden.
Es ist mir ein Anliegen, endlich einen Gegenentwurf zu der bisherigen Geschichtsschreibung zu bieten. Nein, es war nicht das Schicksal, das über die Insel und ihre Menschen rollte, nein, die Weltkriege „kamen nicht“, sie wurden gemacht von Menschen. Menschen agieren und reagieren. Die deutsche Geschichte Helgolands ist ein Stoff von internationaler Relevanz und Größe. Ich halte es für wichtig, ihn über Helgolands Menschen zu erzählen. Peter Braun ist inzwischen leider verstorben, aber „unser“ Filmprojekt lebt und bleibt eine Herzensangelegenheit.
15 HEIMAT HELGOLAND
DANIEL REMSPERGER BUCH, REGIE DOKUMENTARISCH
Wenn das Leben – Forrest Gump gemäß – eine Pralinenschachtel ist („Man weiß nie, was man kriegt“), dann ist das Drehen dokumentarischer Sequenzen auf Helgoland analog dazu wie eine Schatzkiste, die vor einem an den Nordseestrand gespült wird. Man glaubt (oder hofft) zu wissen, was drin ist, wird aber sofort nach dem Öffnen faustdick überrascht, je tiefer man sich durch die in der Truhe enthaltenen Preziosen gräbt. Die Überraschungen bestehen zum Beispiel aus zahllosen, neuen Schilderungen zur Geschichte Helgolands, die in keinem Buch der Welt stehen und die kein noch so gutes Rechercheteam vorab am Telefon herauskitzeln kann. In persönlichen Gesprächen erinnerten sich alle Insulaner, mit denen wir während der Dreharbeiten im Mai zu tun hatten, so plastisch und lebendig an ihre Schicksalstage auf und mit dem roten Felsen, als sei all das Schöne und Großartige, aber auch das Traurige und Bestürzende in der Historie der Insel erst gestern passiert. Selten zuvor hat unser Drehteam so viele kleine und große Geschichten rund um einen gerade mal einen Quadratkilometer großen Handlungsschauplatz zu Gehör bekommen – und dazu musste manchmal noch nicht einmal Kamera und Ton aufgestellt werden. Es reichte, mit der Drehtechnik (auf Bollerwagen geladen oder per Hand über den Klippenrandweg geschleppt) auf der Insel unterwegs zu sein, auf den Wegen des Ober und Unterlandes, um mit Helgoländerinnen und Helgoländern ins Gespräch zu kommen und von ihrer Sicht auf die bewegte und bewegende Geschichte ihrer Heimat zu erfahren. Fast alles aus unserer Truhe war Gold, was glänzte, vielleicht mit Ausnahme des Wetters, das sich eher von seiner „beschlagenen“ Seite zeigte. Aber wie sagt man so schön: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung.
Ich bin froh, dank der detailgenauen Vorbereitungen des gesamten Teams diesen einzigartigen Schatz mit gemeinsamen Anstrengungen gehoben zu haben. Möge er strahlen und die Erinnerung an Mut und Aufrichtigkeit in dunklen Zeiten wachhalten.
Daniel Remsperger ist Producer, Regisseur und
Autor für die Dokfilm Fernsehproduktion GmbH in Potsdam. Während des
Studiums der Filmwissenschaft, Publizistik und
Politikwissenschaft in Mainz, Amsterdam und New York
war er freier Mitarbeiter in der Redaktion Gesellschaftspolitik des ZDF. Im Anschluss
langjährige Arbeit als Autor, Redakteur und CvD im KIKA,
dem Kinderkanal von ARD und ZDF. Seit 2007 ist Daniel
Remsperger in unterschiedlichen Funktionen bei der
Dokfilm Fernsehproduktion tätig, u. a. als Autor und
Regisseur für Reihen („Band Camp Berlin“, „Die Haupt
stadtpraktikanten“) und Dokumentationen / Doku
Dramen („Mein Sommer 88“, „Nerven und Nerven
lassen“, „Ungelogen“) bzw. als Producer („Friedrich – Ein
deutscher König“, „Dieses bunte Deutschland“, „Berlin und Brandenburg von oben“,
„Geheimakte Pontifex“). Remsperger lebt in Berlin.
17 HEIMAT HELGOLAND
CARSTEN GUTSCHMIDT REGIE SZENISCH
Wo dreht man die Szenen für einen Film, der zum Großteil auf Helgoland spielt? Nun, jedenfalls nicht auf Helgoland.
Durch die Zerstörung der gesamten Insel und dem darauf folgenden – modernen – Wiederaufbau, konnte uns die Insel leider keine historische Kulissen für unseren Film bieten. Mit einer Ausnahme: Zu den Stränden Helgolands, mit ihrem roten Felsen, gab und gibt es keine Alternative. Und so fanden wir uns eines schönen Tages im Morgengrauen am Nordstrand Helgolands ein, um die Szenen mit Michael Mendl als fotografierendem Franz Schensky zu drehen. Nachdem wir den Wettlauf gegen das Wetter, die Jogger, Ornithologen und Robbenbeobachter gewonnen hatten, teilten wir das Schicksal vieler Insulaner: Wir emigrierten aufs Festland um dort unser Glück – unsere weiteren Drehorte für die FictionSzenen – zu suchen.
Fündig wurden wir dann in Niedersachsen, in Wrisbergholzen, einem Ort, noch kleiner als Helgoland. Das dort leerstehende Schloss konnte zu einer prima Hotellobby umgestaltet werden und auch sonst trafen wir auf offene Ohren und fanden nahezu vergessene Orte, die es uns ermöglichten, ein Fenster ins alte Helgoland zu öffnen. Wobei, besser keine Fenster öffnen, denn dort lag eine weitere Tücke dieses Drehs versteckt. Auf Helgoland gibt es kaum Bäume und schon gar keine größere Straßen. Jede Einstellung in Richtung Fenster und Türen musste daher wohl überlegt, exakt komponiert und im richtigen Winkel gedreht werden. Und wo es gar nicht anders ging, hat uns der Computer geholfen und quasi das Meer vor die Tür gezaubert.
Carsten Gutschmidt Carsten Gutschmidt (geb.
1975) ist freier Regisseur mit den Schwerpunkten History und DokuDrama. Nach dem
Abitur durchlief er diverse Spielfilmproduktionen (u. a. Beleuchter bei Tom Tykwers „Lola rennt“). 1996 bis 1998
war er Regieassistent von Philipp Stölzl („Der Medicus“,
„Winnetou“) bei der DoRo Berlin Filmproduktion. 1998 erfolgte die erste eigenstän
dige Regiearbeit.
Seit mehr als zehn Jahren hat sich Carsten Gutschmidt
auf historische HighEndDokuDramen spezialisiert.
Seine erfolgreichsten Arbeiten waren „Die Deut
schen“ (2010), „Weltenbrand“ (2012), „Wir – Geiseln der
SS“ (2015) und „Leningrad Symphony“ (2017).
19 HEIMAT HELGOLAND
HUBERTUS MEYER-BURCKHARDT PRESENTERHubertus MeyerBurckhardt studierte zunächst Geschichte und Philosophie in Berlin und Hamburg, danach an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Nach zwei Jahren als Produzent für die neue deutsche Filmgesellschaft (ndF) wechselte er 1988 als Creative Director, Head of TV und Mitglied der Geschäftsleitung zur Agentur BBDO nach Düsseldorf. 1993 gründete er gemeinsam mit der ndF die Akzente Film und Fernsehproduktion in München und produzierte dort unter anderem Filme wie „Das Urteil“, für den er als erster deutscher Produzent eine EmmyNominierung erhielt.
Von 1999 bis 2004 war Hubertus MeyerBurckhardt Vorsitzender der Geschäftsführung der Multimedia Hamburg, einem JointVenture der Axel Springer AG mit der Studio Hamburg GmbH. In dieser Zeit produzierte er Filme wie
„Tödliches Vertrauen“ sowie das preisgekrönte Werk „Mein letzter Film“ mit Hannelore Elsner. Ab Juli 2004 verantwortete er dann als Vorstandsmitglied der ProSiebenSat.1 Media AG den Bereich Corporate Development.
Im Juni 2006 wurde Hubertus MeyerBurckhardt Vorsitzender Geschäftsführer der Polyphon Film und Fernsehgesellschaft mbH in Hamburg. Im Mai 2013 verließ er die Geschäftsführung auf eigenen Wunsch und unterschrieb einen FünfjahresVertrag als Produzent bei der Polyphon. Hubertus MeyerBurckhardt saß in der Jury des Deutschen Fernsehpreises, gehört zum Autorenteam des Musikmagazins
„Rolling Stone“. Seit Januar 2016 ist er Aufsichtsratsmitglied des Ernst Deutsch Theaters in Hamburg. Zwischen Oktober 2007 und Juli 2013 war er lehrend „Professor in Teilzeit“ an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) tätig.
Seit 2008 ist er an der Seite von Barbara Schöneberger wieder Gastgeber der „NDR Talk Show“ im NDR Fernsehen, die er bereits von 1994 bis 2001 an der Seite von Alida Gundlach moderierte. Zudem gehört er seit 2014 zu dem Rateteam der NDR Quizsendung „Kaum zu glauben“ im Dritten.
2016 ist Hubertus MeyerBurckhardts dritter Roman „Meine Tage mit Fabienne“ – nach „Die kleine Geschichte einer großen Liebe“ (2014) und „Die Kündigung“ (2011) – erschienen.
20 HEIMAT HELGOLAND
MICHAEL MENDL FRANZ SCHENSKY
Michael Mendl gilt als einer der markantesten Schauspieler Deutschlands. Nach seiner Ausbildung an der Essener Folkwang Schauspielschule war der aus Lünen stammende Michael Mendl lange Jahre am Theater engagiert, darunter am Schauspielhaus Hamburg, bei den Kammerspielen München, beim Residenztheater München, bei den Salzburger Festspielen und an der Volksbühne Berlin.
Der Durchbruch beim Fernsehen gelang dem Schauspieler 1989 mit seiner ersten Hauptrolle als Koslowski im „Tatort – Die Neue“ unter der Regie von Peter SchulzeRohr. Mendls „Charakterkopf“ und seine feinnervigen Porträts von Ganoven, Ehemännern, Liebhabern, tragischen Outlaws und historischen Persönlichkeiten prägen seit den 80erJahren viele Fernsehspiele und Filme. 1995 verkörperte er Götz Georges Knastkumpel Korda in „Das Schwein
– Eine deutsche Karriere“. Nach Dieter Wedels Mehrteiler „Der Schattenmann“ (1996) folgten Hauptrollen in Martin Enlens „Andrea und Marie“ (1998), Dominik Grafs „Bittere Unschuld“ (1999), im „Deutschlandspiel“ von HansChristoph Blumenberg (2000) und in Andreas Kleinerts Film „Kelly Bastian“ (2001).
2002 stand Michael Mendl unter der Regie von Oliver Storz als Willy Brandt für den Zweiteiler
„Im Schatten der Macht“ (2003) vor der Kamera: 2004 erhielt er dafür die Goldene Kamera. Unter anderem konnte man Michael Mendl auch in Ariane Zellers „Der zweite Blick“ (2005), Marco Serafinis „Sterne über Madeira“ (2005) und Joseph Vilsmaiers Mehrteiler „Die Gustloff“ (2008) sehen. Zudem trat er immer wieder sowohl in deutschen als auch in internationalen Kinoproduktionen auf, so etwa in „14 Tage lebenslänglich“ (wofür er 1998 den Bayerischen Filmpreis erhielt), in dem polnischen Film „Weiser“ (2001), in „Amen. Der Stellvertreter“ (2002) von CostaGavras oder in der Oscarnominierten Produktion „Der Untergang“ (2004). Auch in den Kinofilmen „Schlafes Bruder“ (1995), „Der Henker“ (2005), „Barfuß“ (2005), „Halbe Brüder“ (2014) und in der internationalen Produktion „A Cure for Wellness“ (2015) überzeugte der vielseitige Schauspieler.
2014 und 2015 konnte man Michael Mendl in „Sirenen“ und „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ auch erstmals in der Oper Frankfurt erleben, wo er neben seinem schauspielerischen auch sein gesangliches Talent eindrucksvoll präsentierte. 2016 und 2017 stand der Schauspieler mit dem Stück „Haus auf dem Land“ in Hamburg und Berlin wieder auf der Theaterbühne.
Zuletzt wirkte Michael Mendl in Filmen wie „Katie Fforde“ (2016) als auch in einigen Serienformaten wie beispielsweise „In aller Freundschaft“ (2016) mit.
21 HEIMAT HELGOLAND
CHRISTINA GROSSE MARGARETHE JESSEN
Christina Große gehört zu den vielseitigsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Den Zuschauern ist sie sowohl aus historischen DokuDramen bekannt („Friedrich – Ein deutscher König“, „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“) als auch aus zeitgenössischen Stoffen („Letzte Ausfahrt Jena – Acht Stunden mit Beate Zschäpe“) sowie aus Krimis, Komödien („Die Könige der Nutzholzgewinnung“), Kino und TVProduktionen.
Große erlernte zuerst den Beruf der Psychiatriediakonin, bevor sie von 1990 bis 1994 an der Filmhochschule Babelsberg Schauspiel studierte. Im Jahre 1992 erhielt sie den Förderpreis für Schauspielstudenten. Während des Studiums hatte sie ihr Debüt am Deutschen Theater in Berlin.
Nach ihrem Kinodebüt „Ein Schiff wird kommen“ (2003) verlegte sie ihren Arbeitsschwerpunkt auf Film und Fernsehen. Sie war im „Tatort“ und in weiteren Krimis zu sehen, aber auch in TVSerien wie z. B. der Comedyreihe „Der kleine Mann“. Diese war 2009 für den Deutschen Comedypreis nominiert.
2014 erhielt Christina Große von der Deutschen Akademie für Fernsehen die Auszeichnung für die beste Hauptrolle im Film
„Neufeld, mitkommen!“.
2015 war sie für „ihre herausragenden schauspielerischen Leistungen“ in den Produktionen
„Neufeld, mitkommen!“ (WDR), „Spreewaldkrimi – Mörderische Hitze“ (ZDF), „Be my Baby“ (ZDF) und weiteren Produktionen aus dem Sendejahr 2014 für den GrimmePreis Spezial nominiert.
22 HEIMAT HELGOLAND
1890 wurde Helgoland deutsch, zuvor war es in englischem Besitz. Vor 1807 gehörte es zu Dänemark. Als idealer Marine und Handelsstützpunkt in der Nordsee war es schon über Jahrhunderte Gegenstand des Streites europäischer Staaten. Die Helgoländer selber, ein etwa rund 2000 Seelen starkes Friesenvolk mit eigener Sprache und sehr eigenem Kopf, mussten immer wieder Besetzungen über sich ergehen lassen und erdulden. So waren die Helgoländer keineswegs begeistert, als ihre Insel deutsch wurde. Es war ihnen sehr gut gegangen in den letzten Jahrzehnten mit den Engländern. Man hatte über achtzig Jahre Frieden erlebt, man führte regen Handel mit England und Deutschland und entwickelte sich zu einem sehr beliebten Urlaubs und Ausflugsziel für betuchte Gäste.
1890, als der deutsche Kaiser Wilhelm II die Insel den Engländern aus ihrem Besitz verhandeln ließ, hatte dies militär und machtstrategische Gründe – und es war eine Familienangelegenheit. Wilhelm II war selber zur Hälfte englischer Abstammung. Seine Mutter Victoria, Ehefrau des „99TageKaisers“ Friedrich III, war die Tochter von Queen Victoria und Wilhelm damit ihr Enkel. Heute weiß man, dass Wilhelm in seinem eigenen Streben, Deutschland zu einer konkurrenzfähigen Kolonialmacht aufzubauen, es nicht dulden konnte, dass nur 70 Kilometer vor der Elbmündung und der Küste SchleswigHolsteins die Engländer einen Stützpunkt hatten. Sie hätten jederzeit den Schifffahrtshandel Deutschlands blockieren und in militärischer Hinsicht gefährlich werden können. Gleichzeitig wollte Wilhelm II seiner geliebten Großmutter Queen Victoria imponieren. Es ist bezeichnend, dass die englischen Unterhändler des sogenannten HelgolandSansibarVertrags, dessen Wortlaut nach Deutschland Ansprüche auf Gebiete in Ostafrika zugunsten Englands aufgab und dafür Helgoland bekam, sehr aufpassten, dass Queen Victoria nichts von dem Deal erfuhr, bis er unterzeichnet war. Es heißt, sie soll getobt haben. Am 2. Dezember 1890 schließlich wurde Helgoland offiziell Teil der preußischen Provinz SchleswigHolstein.
Kaum war Helgoland in deutschen Besitz gelangt, ließ Wilhelm sie zur Marinefestung aufrüsten. Die Bebauung mit UBootDocks und SchiffPiers, mit Tunneln und Kanonen lief ununterbrochen – bis in den Ersten Weltkrieg hinein. Gleichzeitig aber ließ Wilhelm auch Gebäude errichten, die der Gemeinde zugutekommen sollten. Er wusste, wie er die Helgoländer ruhig stellen konnte. Doch wenn es denen nicht passte, was der Kaiser für ihre Insel „stiftete“, nahmen sie einfach das Geld und bauten etwas anderes. Als Wilhelm zum Beispiel – mit Gedanken an mögliche militärische Konflikte – Geld für ein Krankenhaus gab, nahmen die Helgoländer das Geld und bauten ein Schwimmbad damit, denn ihnen ging es um das gute Geschäft mit den Urlaubern und Kurzbesuchern und den weiteren wirtschaftlichen Aufstieg ihres Seebades. Die Geltung, die man heute Sylt zuschreibt – im 19. Jahrhundert, bis zum Ersten Weltkrieg und auch zwischen den Weltkriegen, hatte sie Helgoland. Die schnelle Schiffsverbindung ließ auch Tagesausflüge auf die Insel immer beliebter werden.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde die gesamte Helgoländer Bevölkerung zwangsevakuiert. Die Helgoländer mussten die Insel innerhalb von 24 Stunden verlassen, Wohnungen und Hotels offen stehen lassen und den Soldaten zur Verfügung stellen. Die Helgoländer wurden auf den Norden Deutschlands verteilt und sich selbst überlassen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und Jahren der Not konnten die Helgoländer im Dezember 1918 zurück auf ihre Insel. Sie fanden ihre Häuser, Wohnungen und Hotels verwohnt, heruntergekommen und ausgeraubt vor.
Während in Konsequenz des Versailler Vertrages die militärischen Anlagen demontiert wurden, machten sich die Helgoländer an den Wiederaufbau. Im Sommer 1919 konnten wieder die ersten Badegäste empfangen werden. Helgolands neue Blüte hielt bis wenige Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges an.
CHRONIK HELGOLAND 1890—1952
24 HEIMAT HELGOLAND
Der Wendepunkt kam mit der Machtergreifung Hitlers. Der ließ Helgoland sofort wieder zu einer noch größenwahnsinniger angelegten Militärfestung ausbauen, die auf die Verlegung von 6000 Soldaten eingerichtet war, mit Bunkern, UBoot Liegeplätzen, FlakAbwehr… Helgolands Existenz als Seebad endete. Bald schon wurden Düne und Hauptinsel gesperrt
– „Betreten verboten“. Die Insel sollte das Fünffache seiner Fläche an Militäranlagen bekommen. Doch ganz so weit kam es nicht mehr. In den Mittagsstunden des 18. April 1945 wurde Helgoland geradezu eingeäschert. Rund eintausend englische Flugzeuge ließen kein Haus, kein Baum und keine Kanone stehen. Zum Glück konnten sich die meisten Helgoländer kurz vor Beginn der Bombardierung in die Bunkeranlagen des Felsens retten, wo sie überlebten. Mehrere hundert Soldaten und Zivilisten aber kamen ums Leben – die meisten von ihnen Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren, die als Flakhelfer abkommandiert waren. Wieder wurde Helgolands Bevölkerung zwangsevakuiert und wieder wurde Helgoland von England in Besitz genommen.
Doch dieses Mal wollten sie Helgoland nicht wieder hergeben. In einer sinnlosen Dauerbombardierung, die bis in das Jahr 1952 anhielt, versuchten die Briten, die Insel vollständig zu
zerstören und von der Meeresoberfläche verschwinden zu lassen. Höhepunkt dieser Unternehmungen war der sogenannte „Big Bang“ im Jahre 1947. Sinnigerweise wieder an einem 18. April hatte man 6700 Tonnen Sprengstoff in den Bunkeranlagen und an den Felsen angebracht und sprengte diese von einem Schiff per Fernzünder – live übertragen im Radio und in Anwesenheit von Pressevertretern, Militärs und Politikern. Es bleibt eine der größten nichtnuklearen Sprengungen der Menschheitsgeschichte. Eine Ecke des Oberlandes fiel ins Meer, das sogenannte „Mittelland“ entstand, doch Helgoland blieb – als Fels in der Brandung des Nordens.
Am 21. Dezember 1951 besetzen zwei Freiburger Studenten die zum Sperrgebiet erklärte Insel, um die Weltöffentlichkeit durch eine friedliche Demonstration auf das Schicksal der Helgoländer aufmerksam zu machen. Neun weitere Expeditionen von jungen Studenten, Friedensaktivisten, Kirchenmitgliedern, Jungsozialisten und Jungkommunisten folgen. Es kam tatsächlich zu Verhandlungen und im März 1952 wurde die erneute Freigabe der Insel verkündet. Im Sommer 1952 begannen die Arbeiten zur Räumung und Entschärfung der Bomben.