Gallusfest "Aufgetischt!" im St.Galler Tagblatt

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Gallusfest "Aufgetischt!" im St.Galler Tagblatt

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Bild: Benjamin Manser

Man unterhält sich prächtig: Der lange Tisch der «Tavolata» am Gallusfest.

Ein Dorf sitzt am langen TischDie «Tavolata» vor dem Kloster-platz ist gefühlte 150 Meter lang.Doch nicht Italienisches wird hierverköstigt, sondern Bratwürste,Mexikanisches und Glace. DerHauptzweck des «langen weissenTisches» besteht darin, sich spon-tan mit Unbekannten zu treffen.Das Erstaunliche daran: Es funk-tioniert.

Kommen Sie nur!

Ist hier noch frei? Tatsächlichsind am Freitag kurz vor 20 Uhrfast alle Plätze belegt. «Natürlich,kommen Sie nur!» Alex Toma-schett rückt ein wenig zur Seite.Der Oberstufenlehrer hat wie vieleim Tagblatt von diesem Tisch ge-

lesen, manche auf der Gallusfest-Homepage. Wieder andere habendie Sitzgelegenheit «en passant»entdeckt. Doch alle finden dieIdee toll. Tomaschetts GattinChristine ist sich noch nichtschlüssig, ob der «Hype um Gal-lus» angemessen sei. Aber dieserAbend der Gemeinschaft macheSinn, ebenso die Diskussion umGallus’ Herkunft.

Ein paar Bierbecher und Plas-tikteller weiter oben erfreut sichMarius Bänziger, wie er sagt, «amSchmatzen und Rülpsen». Schonnimmt Claudio Nold die Gelegen-heit wahr: «Das ist wie im Mittel-alter.» Bald sind alle per Du. Auchdie Begleiterinnen der beiden,

Valentina und Katharina, habensich vorher nicht gekannt, dochMarius und Valentina gehen zurgleichen Coiffeuse, die just auchnoch erscheint. «St.Gallen isteben ein Dorf», sagt Valentina.

Etwas für Kontaktfreudige

Von wegen spröden Ost-schweizern. «Wir sind gar nicht sozurückhaltend», findet Katharina.Eine ältere Frau am andern Tisch-ende meint jedoch: «St.Galler sinddistanziert, aber freundlich. BeimSpazieren sagen sie immer Grüe-zi.» Vielleicht ist der Tisch auchdeshalb ein Erfolg: Er lockt dieKontaktfreudigen an, nicht dieeinsamen Herzen. Fredi Kurth

Laszives Spiel mit dem FeuerEin Blick auf die Uhr, ein Blicknach oben. Die ersten Zuschauerwerden ungeduldig. «Sie soll an-fangen, bevor der Regen kommt»,murrt ein älterer Mann. Es istSamstag, wenige Minuten nach21 Uhr, auf dem Gallusplatz. Undsie – Feuerkünstlerin Jay Toor –will noch ein bisschen warten mitihrer Show «Fire Fingers». Bis esnoch ein bisschen dunkler ist.

Wirbeln, räkeln, klimpern

Zwölf Minuten später brenntdie erste Flamme. Die Israeli ziehtihr rotes Jäckchen aus, den Hutmit der roten Feder. Langsam, las-ziv. «Jetzt wird’s mir auch schonganz warm», flüstert ein junger

Mann seiner Gattin zu. «Ms.Flames» Spiel mit dem Feuer be-ginnt. Sie wirbelt brennende Seiledurch die Luft, tanzt mit dem ent-flammten Gerippe eines Regen-schirms, räkelt sich auf den Pflas-tersteinen, zwischen den Lippeneinen Feuerstab. Immer wiederlachend, die Plättchen an ihrenKleidern klimpern. Sie löschtFlammen mit ihrem Mund, zeich-net mit einer Giesskanne bren-nende Kreise aufs Pflaster. «Ou,weisch wie vil hät da gchoschtetzum Pflaschtere», entfährt es ei-ner grauhaarigen Dame.

Jay Toor verdient mit ihrer Feu-erkunst seit sieben Jahren ihrenLebensunterhalt. Sie reist damit

um die halbe Welt: Von Korea bisKroatien, Malta bis Mazedonien.Mit der Show «Fire Fingers» ist sieseit drei Jahren unterwegs.

Staksige Tänze und Feuerwerk

Gegen Ende ihrer Darbietungholt die Feuerkünstlerin zweiMänner aus dem Publikum, ani-miert sie zum staksigen Tanz mitden brennenden Stäben, setzt ih-nen Käppli mit silbernen Paillet-ten auf. Verhaltenes Lachen beiden Zuschauern, Applaus. Sekun-den später zündet sie ein kleinesFeuerwerk. Funken sprühen, Kin-deraugen glänzen, Köpfe reckensich nach oben. Und der Regenbeginnt zu fallen. Malolo Kessler

Bild: Urs Bucher

Spiel mit dem entflammten Schirm: Die Feuerkünstlerin Jay Toor aus Israel.

Grüne Weiden auf grauen GassenEs hat etwas Ironisches, als TheGreen Socks den Klassiker «DirtyOld Town» anstimmen. Dennpünktlich zum ersten grossen Festin der neugestalteten südlichenAltstadt präsentiert sich St.Gal-lens «Old Town» alles andere als«dirty». Und die fünfköpfigeGruppe um den Peruaner Hector«Tito» Plaza trägt ihren Teil dazubei, die nagelneue graue Pfläste-rung mit einem warmen Klang-teppich zu bedecken.

Sonnig und warm

Die gute Laune der Band über-trägt sich schnell aufs Publikum:Mit traditionellen irischen Lie-dern und bekannteren Stücken

wie «Whiskey In The Jar» odereben «Dirty Old Town», die durchGruppen wie The Pogues, TheDubliners oder Metallica ein brei-tes Publikum erreichten, verfüh-ren The Green Socks die Zuschau-er zum Tanzen und Mitsingen. Diesonnige Musik der St.Galler Irish-Folk-Gruppe duftet nach grünenWeiden und klingt nach weitenLandschaften. So scheint es auchkein Zufall zu sein, als bei ihremAuftritt am Samstagnachmittagvor der St.Laurenzenkirche beimletzten Stück die Sonne durch dieWolken bricht. Und wer noch län-ger über saftige Wiesen spazierenund irischem Folk lauschen woll-te, der war auch bei der Zürcher

Gruppe Pigeons On The Gate bes-tens aufgehoben.

Dem Regen und Geläut getrotzt

«Die Konzerte haben Spass ge-macht», sagt Sängerin und Flötis-tin Lea Messmer am Samstag-nachmittag. Dies trotz Nässe undGlocken: Am Mittag mussten TheGreen Socks die Bühne in derSpisergasse vom Wasser befreien,das der Regen gebracht hatte. Undam Abend übertönt das Abend-geläut der Kathedrale nicht nur ihrKonzert im Klosterhof, sondernbringt auch die Veranstaltungenin den umliegenden Gassen füreinige Minuten zum Verstum-men. David Gadze

Bild: Urs Bucher

Macht Grün aus Grau: Die St.Galler Irish-Folk-Gruppe The Green Socks.Bild: Urs Bucher

Überzeugt auch als Entertainer: Diabolokünstler Djuggledy aus Berlin.

Höher als die HandelskammerEinige Besucher haben denSchirm noch aufgespannt. Ebenhat es aufgehört zu regnen. AmSamstag, kurz nach 14 Uhr, ertöntReggaemusik vor der Industrie-und Handelskammer an der Gal-lusstrasse. Ein Gaukler in einemgrünen enganliegenden Trainerund Rastahaaren läuft umher. All-mählich bildet sich ein Halbkreisaus Neugierigen um ihn.

«Wisst ihr, worum es geht?»

Der Künstler Djuggledy ausBerlin bedankt sich für die Stan-ding Ovations. «Bei meiner Showsitzt man aber normalerweise»,sagt er. Die Zuschauer bleibentrotzdem stehen. Der Berliner ruft

ihnen zu: «Wisst ihr, worum esgeht?» Die Menge bleibt ruhig. «Esgeht um Sonnenschein und Reg-gae.» Mittlerweile säumen über100 Zuschauer die mit einerSchnur abgesteckte «Bühne». DerEntertainer und Diabolokünstlerzeigt nun, was er mit seinem Spiel-zeug drauf hat. «Jut, dann kann’slosgehen»: Das gelbe Diabolospringt zwischen den Stecken aufund ab. Mal auch zwischen seineBeine und um seinen Kopf.«Wahnsinnig», sagt ein Zuschaueraus der hinteren Reihe. Ein ande-rer sagt: «Er cha scho öppis, aber erschnoret z’viel.» Der Künstler ist indie Gänge gekommen, und seinPublikum hat er mittlerweile auf-

gewärmt. Zeit für den Entertainer,sich auszuziehen.

«Schlägt ein wie ein Stein»

Die Perücke mit den Rastahaa-ren hat er abgelegt. Der Berlinerträgt mittlerweile nur noch roteShorts und ein bauchfreiesT-Shirt. Er ist jetzt richtig in Fahrt.Die Zuschauer werden gewarnt:«Das Diabolo steigt auf wie eineRakete und schlägt ein wie einStein.» Das Diabolo schiesst inden Himmel. Es steigt über dieHandelskammer und fällt zurück.Djuggledy fängt es mit der Schnurauf. Die Buben in der ersten Reiheapplaudieren begeistert.

Sebastian Schneider

Schauplätze 65 Künstlerinnen und Künstler aus 13 Ländern sind am Freitag und Samstag im Klosterviertel aufgetreten.An der «Tavolata», dem langen Tisch, wurden aus Unbekannten rasch Bekannte. Unter den Artisten fieleneine Feuertänzerin aus Israel, eine Irish-Folk-Gruppe aus St.Gallen und ein Diabolo-Spieler aus Deutschland besonders auf.Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï Ï

MONTAG, 7. MAI 2012 gallusfest 2012 38

Mit Klamauk, Witz, Musik und PoesieEin Gauklerfestival hat St.Gallen bisher noch nicht. Das Gallusfest hat am Wochenende gezeigt, was der Stadt damit alles entgeht.Die 25 Formationen aus aller Welt, die am Freitag und Samstag im Klosterviertel auftraten, deckten nicht nur das ganze Spektrumder Strassenkunst ab, sondern kamen beim Publikum auch noch ausgezeichnet an. Mit der Kamera unterwegs war Urs Bucher.

MONTAG, 7. MAI 2012 gallusfest 2012 39