Post on 12-Sep-2019
Benediktbeurer Gesprächeder Allianz Umweltstiftung 2016
„Laudato si – die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus – rasch gelesen, geschwind kommentiert, schnell vergessen?“
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Pater Karl Geißinger,
Rektor des Zentrums für Umwelt
und Kultur im Kloster Benediktbeuern,
Benediktbeuern
Dr. Klaus Wehmeier,
Vorsitzender des Kuratoriums
der Allianz Umweltstiftung,
Berlin / München
Dr. Lutz Spandau,
Vorstand der Allianz Umweltstiftung,
Berlin / München
Dr. Gregor Maria Hanke OSB,
Diözesanbischof des Bistums Eichstätt,
Eichstätt
Bärbel Dieckmann,
Präsidentin der Deutschen Welt-
hungerhilfe e.V.,
Bonn
Prof. Dr. Joachim Fetzer,
Mitglied des Vorstands des
Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik –
EBEN Deutschland e.V.,
Berlin
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim
Schellnhuber,
Direktor des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung,
Potsdam
Diskussion des Tagungsthemas
Impressum
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DI E BE N E DI KTBE U R E R G E S P R ÄCH E DE R ALL IANZ
U MWE LTSTI F TU NG
am 29. April 2016 hatten zum Thema: „Laudato si –
die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus – rasch gelesen,
geschwind kommentiert, schnell vergessen?“
I N H A L T
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Die Benediktbeurer Gespräche.
Alljährlich treffen sich auf Einladung der
Allianz Umweltstiftung streitbare und neu-
gierige Geister im Kloster Benediktbeuern.
Die Benediktbeurer Gespräche sollen
den Blick weiten für die Fragestellungen
von morgen.
Leitmotiv der Benediktbeurer Gespräche ist,
die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu
fördern, starre Konfrontationen aufzulösen
und die umweltpolitischen Diskussionen zu
versachlichen.
Mit ihrer Streitkultur haben sich die Be ne-
diktbeurer Gespräche zu einem Forum des
kontinuierlichen Neu-, Anders- und Weiter-
denkens entwickelt. Damit tragen sie dazu
bei, den Boden für eine nachhaltige Zu kunft
zu bereiten, denn die kann „in Zeiten, in
denen es keine linearen Handlungsanweisun-
gen mehr gibt, nur im kontinu ierlichen
gesellschaftlichen Lernprozess entstehen“,
so Dr. Lutz Spandau, Vorstand der Allianz
Umweltstiftung.
„Laudato si – die Umwelt-Enzyklika von
Papst Franziskus – rasch gelesen, geschwind
kommentiert, schnell vergessen?“ war das
Thema der zwanzigsten Benediktbeurer
Gespräche am 29. April 2016.
Die Referate und aus ihnen resultierende
Schlussfolgerungen werden mit diesem
Band der Schriftenreihe „Benediktbeurer
Gespräche der Allianz Umweltstiftung“
publiziert.
„Mitwirken an einem lebenswerten Dasein
in der Zukunft.“ Diese Maxime für Schutz,
Pflege und Entwicklung von Natur und
Umwelt hat die Allianz Umweltstiftung in
ihrer Satzung verankert. Anlässlich ihres
100-jährigen Jubiläums im Jahr 1990 über-
nahm die Allianz mit Gründung der Um welt-
stiftung in einem neuen Bereich gesell -
schaftliche Verantwortung.
Bei allen Projekten bindet die Allianz
Umweltstiftung den wirtschaftenden
Menschen ein. Dabei ist das wesentliche
Ziel aller Förderprojekte der Schutz des
Naturhaus haltes unter Berücksichtigung
der wirtschaftlichen Entwicklung.
Ökologisch und ökonomisch, sozial und
kulturell – jedes Projekt leistet auf seine Art
einen Beitrag zur praktischen Umsetzung
eines aktuellen Zukunftsthemas. Denn immer
geht es um die Idee des „Sustainable De -
vel opment“, die beispielhafte Realisierung
nachhaltigen Wirtschaftens – also um die
Förderung einer dauerhaft umweltgerechten
Entwicklung, die auch künftigen Generatio-
nen ein lebenswertes Dasein ermöglichen
soll.
Ausgehend von der Überzeugung, dass
grundlegende Umweltfragen nur im gesell-
schaftlichen Konsens zu lösen sind, hat die
Allianz Umweltstiftung ein unabhängiges
Diskussionsforum geschaffen.
D I E A L L I A N Z U M W E L T S T I F T U N G
DI E ALL IANZ U MWE LTSTI F TU NG:
Aktiv für Mensch und Umwelt.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen zu den 20. Benedikt-
beurer Gesprächen der Allianz Umweltstiftung.
Wir treffen uns nun schon zum zwanzigsten
Mal hier im Zentrum für Umwelt und
Kultur des Klosters Benediktbeuern. Das
Konzept dieses Symposiums hat sich seit
zwanzig Jahren nicht verändert, denn es hat
sich schlicht und einfach bewährt. Es beginnt
mit einem Abend der Begegnung, gestern
wieder wunderschön, mit Festvortrag, Musik
und bayerischem Buffet. Gefolgt von einem
Symposium zu hochaktuellen Umweltthemen
am nächsten Vormittag: mit prominenten
Referenten und Gästen sowie einer spannen-
den Podiumsdiskussion, die, wie stets in den
bewährten Händen von Dr. Spandau liegt.
Längst sind die Benediktbeurer Gespräche
zu einer Institution geworden – hier in
Benediktbeuern und für uns im Zentrum für
Umwelt und Kultur. Bei uns im Haus zählen
sie zu den Höhepunkten des Kultur- und
Bildungsjahres. Diese Veranstaltung ist zu
einer Institution geworden, die Impulse
setzt, Signale und Anstöße gibt, die aktuelle
Umweltfragen differenziert betrachten lässt,
zum Dialog ermutigt und uns alle zu konkre-
tem Handeln anregt. Ich möchte Ihnen, Herr
Dr. Spandau, Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sowie dem Kuratorium der
Allianz Umweltstiftung ganz, ganz herzlich
danken für diese Institution. Ein ganz
herzliches „Vergelt’s Gott!“.
Wir hoffen natürlich, dass diese Benedikt-
beurer Gespräche auch in den nächsten
zwanzig Jahren weiterhin so stattfinden
werden, auch unter der Leitung von Herrn
Dr. Spandau. Dass dies möglich ist, das
beweist uns Jahr für Jahr unser sehr verehr-
ter Herr Prof. Haber, einstmals Lehrer von
Herrn Dr. Spandau. Er ist das beste Beispiel
dafür, dass man dies durchaus schaffen
kann. Es ist schön, Herr Prof. Haber, dass
Sie mit Ihrer Frau treu zu unseren Benedikt-
beurer Gesprächen kommen und dabei
nicht nur ein aufmerksamer Zuhörer sind,
sondern uns auch jedes Mal ganz wichtige
Impulse geben.
B E G r ü S S U N G P A T E r K A r L G E I S S I N G E r
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Begrüßung durch Pater Karl Geißinger, Rektor des Zentrums
für Umwelt und Kultur im Kloster Benediktbeuern.
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Institut für Klimafolgenforschung, sehe ich,
sind die wichtigsten Themenschwerpunkte
der Enzyklika vertreten. Wir erwarten eine
spannende Diskussion und hoffen auf
wertvolle Impulse.
Laudato Si, die Enzyklika von Papst
Franziskus, hat weltweit nicht nur in kirch-
lichen Kreisen hohe Beachtung gefunden.
Sie verknüpft die Fragen der Zukunft der
Schöpfung, der Zukunft des Menschen und
dessen Umgang mit der Natur und den
ganz großen Fragen und Problemen unserer
Zeit: beispielsweise mit der Frage nach
Frieden, nach sozialer Gerechtigkeit, Armuts-
bekämpfung und Menschenwürde, nach
gerechter Verteilung der Güter dieser Erde,
gerechten Wirtschaftssystemen und so weiter.
In dieser Enzyklika geht es einfach um die
Sorge um das gemeinsame Haus, um die
Gegenwart und Zukunft des Menschen in
dieser Schöpfung.
Ich möchte nicht auf die einzelnen Themen-
felder eingehen, das machen ja die Referen-
tinnen und Referenten. Aber ich möchte
einen Punkt ansprechen, der für uns, auch
für jeden hier im Saal, von großer Bedeutung
ist. Der Papst gibt in seiner Enzyklika einen
Weg vor, wie man diese schwierigen Themen
angehen kann, die oft auf den ersten Blick
unlösbar zu sein scheinen: Es ist der Weg des
Dialogs. Im ersten Kapitel schreibt der Papst,
ich zitiere: „Ich lade dringlich zu einem
neuen Dialog ein über die Art und Weise,
wie wir die Zukunft unseres Planeten
gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das
uns alle zusammenführt, denn die Heraus-
forderung mit der Umweltsituation, die wir
erleben, und ihre menschlichen Wurzeln
20 Jahre Benediktbeurer Gespräche. Das
ausgewählte Jubiläumsthema ist, zu diesem
besonderen Anlass absolut passend, die
Enzyklika von Papst Franziskus: „Laudato
Si – über die Sorge für das gemeinsame
Haus”. Zu diesem besonderen Symposium
ist heute auch ein langjähriger Freund und
Begleiter unseres Klosters und des Zentrums
für Umwelt und Kultur zu uns gekommen:
Bischof Gregor Maria Hanke, der Diözesan-
bischof aus Eichstätt.
Du hast, lieber Bischof Gregor, als Abt
des Klosters Plankstetten, und ich denke,
auch sicher als einer der ersten in der Kirche
in Bayern, schon sehr früh das Anliegen
der Schöpfungsbewahrung aufgegriffen und
dies vor allem sehr konsequent und konkret
im Kloster Plankstetten umgesetzt. Und
schon vor Jahrzehnten hast du uns hier im
Zentrum für Umwelt und Kultur aufgezeigt,
dass Schöpfungsverantwortung ganz wesent-
lich zum Christsein gehört, zur christlichen
Spiritualität und zum christlichen Handeln.
Ganz herzlich willkommen bei uns!
Wir freuen uns sehr, dass es Herrn
Dr. Spandau wieder gelungen ist, die rich-
tigen Referentinnen und Referenten für
dieses Thema zu gewinnen. Herr Prof.
Schellnhuber, der ja maßgeblich an der
Enzyklika mitgearbeitet hat, wird etwas
später eintreffen. Sehr herzlich darf ich Sie,
Frau Bärbel Dieckmann, von der Deutschen
Welthungerhilfe bei uns willkommen
heißen. Sie waren ja auch gestern Abend
schon unser Gast. Mit Ihnen, verehrter
Bischof Hanke, Herrn Prof. Fetzer vom
Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik und
Herrn Prof. Schellnhuber vom Potsdam-
Dialogfähig sein, den Dialog stets wieder
von Neuem führen, Wege des Dialogs immer
wieder suchen und neue Wege gehen –
das ist heute mehr denn je gefragt, wenn wir
an die großen Themen denken. Religionen,
Kulturen, die sich heute begegnen, die sich
bekriegen. Wie kommen wir alle mitein-
ander klar? Ein Auftrag, der jeden von uns
persönlich angeht und der uns auch als
Kloster herausfordert. Und es ist ein Auftrag,
den wir, den Sie und ich, in unserem Alltag
tagtäglich annehmen müssen. Wir sind sehr
gespannt auf die 20. Benediktbeurer
Gespräche. Und ich darf nochmals alle Gäste,
die schon seit vielen Jahren kommen, und
alle, die hier heute zum ersten Mal dabei sind,
sehr herzlich im Kloster Benediktbeuern, im
Zentrum für Umwelt und Kultur begrüßen.
interessieren und betreffen uns alle.“
Diesen Dialog zu führen, haben sich ja die
Benediktbeurer Gespräche von Anfang an
zur Aufgabe gemacht.
Und diesen Dialog zu führen, das ist
auch unser Auftrag und unser Bemühen
hier im Zentrum für Umwelt und Kultur –
verstanden und umgesetzt als Auftrag einer
Bildungsstätte, die vor allem auch junge
Menschen anspricht. Das wird nicht leichter
in der Zukunft, denn wie dialogfähig und
dialogbereit sind wir eigentlich? Es ist
nicht einfach in der heutigen Zeit, in dieser
virtuellen Welt, in der wir ja auch leben,
überhaupt noch einen direkten Dialog zu
pflegen. Welche Auswirkungen, so frage ich
mich, haben die neuen Entwicklungen
unserer Kommunikationstechnologien auf
unseren Alltag, ja, auf unser Selbstverständ-
nis als Mensch? Was passiert denn, wenn
die virtuelle Welt des Internets zunehmend
die reale Welt leibhaftiger Begegnungen
mit anderen Menschen, mit seiner natür-
lichen und unmittelbaren Umwelt also,
verdrängt und selbst zur alles beherrschen-
den Wirklichkeit wird?
Werden wir reicher an Erfahrungen,
weil die Welt unserer virtuellen Freundes-
kreise keine Grenzen mehr kennt? Oder
verarmen wir zusehends menschlich?
Wie können wir diese Fragen immer wieder
reflektieren, wenn wir das Interesse und
die Sensibilität für Umweltthemen und
soziale Fragen gerade bei jungen Menschen
wecken wollen?
B E G r ü S S U N G P A T E r K A r L G E I S S I N G E r
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Meine Damen und Herren, liebe Gäste
der Benediktbeurer Gespräche 2016,
es ist mir eine besondere Freude, Sie
in diesem Jahr als neuer Vorsitzender des
Kuratoriums der Allianz Umweltstiftung
in Benediktbeuern herzlich zu begrüßen.
Ich habe in dieser Funktion im Sommer 2015
die Nachfolge von Prof. Dieter Stolte ange-
treten und heiße Sie nun heute in diesem
wunderschönen Kloster willkommen.
2015 feierte die Allianz Umweltstiftung,
wie viele von Ihnen wissen, ihren 25. Geburts-
tag. Doch auch in diesem Jahr gibt es ein
stolzes Jubiläum: Bereits zum 20. Mal finden
hier im Kloster die Benediktbeurer Gespräche
der Allianz Umweltstiftung statt.
Im Sinne dieser Veranstaltung und ihrer
Leitmotive – Fördern der gesellschaftlichen
Auseinandersetzung, Aufbrechen starrer
Konfrontationen und Versachlichen umwelt-
politischer Diskussionen – sind bei unseren
Symposien in den letzten 20 Jahren viele
aktuelle, umweltrelevante Themen diskutiert
worden. Hervorragende Referenten aus
allen erdenklichen Fachbereichen und gesell-
schaftlichen Gruppen haben bemerkens-
werte und unvergessliche Beiträge geleistet.
Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur,
von Umweltverbänden sowie Presse,
Funk und Fernsehen, aber auch enga-
gierte und interessierte Privatpersonen: Sie
alle haben mit uns über die Gestaltung
der Zukunft diskutiert, Prognosen erstellt,
Impulse gegeben sowie nach Antworten und
Lösungen gesucht, wie ein lebenswertes
Dasein in der Zukunft aussehen könnte.
Einen Zusammenschnitt der in all diesen
Jahren behandelten Themen mit vielen
interessanten Referenten hat Ihnen Herr Dr.
Spandau gestern Abend in seinem recht
ungewöhnlichen und sehr unterhaltsamen
Rückblick präsentiert.
Für das Symposium zum 20-jährigen
Jubiläum der Benediktbeurer Gespräche ist
natürlich auch ein besonderes Thema
formuliert worden: „Laudato si, die Umwelt-
Enzyklika von Papst Franziskus: rasch
gelesen, geschwind kommentiert, schnell
vergessen?“
B E G r ü S S U N G D r . K L A U S W E H M E I E r
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Begrüßung durch Dr. Klaus Wehmeier, Vorsitzender des
Kuratoriums der Allianz Umweltstiftung, Berlin/München.
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Ich freue mich auf herausragende Fach-
leute, die uns die vielfältigen Aspekte
unseres heutigen, sehr komplexen Themas
erläutern werden. Sie alle sind Persönlich-
keiten mit besonderer Erfahrung und hoher
fachlicher Kompetenz.
Ich begrüße
Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim
Schellnhuber, Direktor des Potsdam-
Instituts für Klimafolgenforschung,
Herrn Diözesanbischof Dr. Gregor Maria
Hanke aus dem Bistum Eichstätt,
Frau Bärbel Dieckmann, Präsidentin der
Deutschen Welthungerhilfe, Berlin,
und, ebenfalls aus Berlin, Herrn Prof.
Dr. Joachim Fetzer, Vorstandsmitglied des
Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik.
Meine Damen und Herren, die Benedikt-
beurer Gespräche bieten allen Teilnehmern
und Zuhörern Jahr für Jahr eine einmalige
Plattform für den gepflegten Meinungs-
austausch. Zur Premiere 1997 und in den
folgenden fünf Jahren, war der Barock-
saal des Klosters Schauplatz unseres Sympo-
siums. Doch Qualität spricht sich schnell
herum, und das Publikumsinteresse wuchs
stetig. Deshalb wurde, deutlich größer
und extra für besondere kulturelle und wissen-
schaftliche Veranstaltungen, der Allianz
Hörsaal des Zentrums für Umwelt und Kultur
eingerichtet.
Die alljährlichen Benediktbeurer Gespräche
sind ein Gradmesser für die konstant hohe
Qualität der Arbeit und des Engagements
unserer Stiftung. Doch nicht zuletzt verdan-
B E G r ü S S U N G D r . K L A U S W E H M E I E r
Im Sommer 2015 hat Papst Franziskus
die erste Umwelt-Enzyklika der Kirchen-
geschichte veröffentlicht. Darin ruft er uns
dazu auf, die gesamte Menschheitsfamilie
bei der Suche nach einer nachhaltigen
und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen.
Als neue Tugenden und Grundhaltungen
schlägt der Papst Genügsamkeit und Demut
vor. Er schreibt, wir alle müssten wiederent-
decken, was wir im Leben wirklich brauchen
und uns neu in den Dienst des Lebens stel-
len. Ein spiritueller Weg zur Erneuerung
des persönlichen und gemeinschaftlichen
Lebens hat aber, so Papst Franziskus, nicht
nur mit unserem persönlichen Lebensstil
zu tun, sondern muss auch Auswirkungen
auf Politik und Wirtschaft haben.
Die Enzyklika soll dabei helfen, die
Dringlichkeit und die Schönheit der Heraus-
forderungen zu erkennen, die vor uns
stehen. Die Bewahrung des „gemeinsamen
Hauses Erde“ kann nur durch einen inten-
siven Dialog und ein Zusammenwirken aller
Menschen guten Willens gelingen, meint
der Papst. Der frühere Bundesumweltminister
und Exekutivdirektor des Umweltprogramms
der Vereinten Nationen, Prof. Klaus Töpfer,
bezeichnet die Enzyklika gar als eine „Thera-
pieanleitung für unsere Gesellschaft“.
Mit unserer Veranstaltung wollen wir
einen Beitrag zu dem geforderten Dialog
leisten, indem wir auf diese Enzyklika
eingehen und darüber diskutieren, welche
Wirkung die Kraft der Kirche entfalten
kann. Was wurde bislang angestoßen?
Trägt Deutschland eine besondere Verant-
wortung und muss unser Land deshalb
eine Vorreiterrolle einnehmen?
ken wir die große Beliebtheit dieses Dis-
kussionsforums auch dem überragenden Fach-
und Sachwissen der geladenen Referenten
aus vielen Bereichen des täglichen Lebens.
Durch sie und in der Diskussion gewinnen wir
trotz einer oft kontroversen Ausgangsbasis
neue Erkenntnisse und stimmen nach oft
lebhaften Gesprächsrunden in vielen Punkten
überein.
Der Vorstand, die Mitarbeiter und das
Kuratorium der Allianz Umweltstiftung –
wir alle bedanken uns bei den Salesianern
Don Boscos für ihre Gastfreundschaft.
Wir freuen uns über die seit nunmehr
20 Jahren ungebrochen positive Resonanz
auf unsere Benediktbeurer Gespräche.
Und wir sind sicher, dass es zum aktuellen
Thema „Laudato si’ – die Umwelt-Enzyklika
von Papst Franziskus – rasch gelesen,
geschwind kommentiert, schnell vergessen?“
viel Interessantes zu hören und mindestens
ebenso viel zu diskutieren gibt.
Jetzt bitte ich den Vorstand unserer
Umweltstiftung, Herrn Dr. Lutz Spandau,
das Mikrofon und die wie gewohnt
objektive Gesprächsleitung der Benedikt-
beurer Gespräche 2016 zu übernehmen.
Ich wünsche ihm und uns allen einen
erkenntnisreichen und diskussionsfreudi-
gen 20. Geburtstag.
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Meine Damen und Herren,
den Hang zum Untergang kann man
sehr schön dort studieren, wo jeder gebildete
und interessierte Mensch ab und an sein
sollte: im Buchladen. Wenn man an dem
Frauenbücher-Tisch vorbeigegangen ist, das
Non-Book-Gebiet mit Grußkarten, Notiz-
büchern und niedlichem Krimskrams durch-
schritten hat, gelangt man in der Regel zum
Tisch „Zeitgeschehen“. Da liegen dann
viele Bücher, in denen man erklärt bekommt,
warum der Freihandel die Welt zerstört, wie
man den baldigen Zusammenbruch des
Finanzsystems übersteht, wo man der Ver-
giftung durch die Agrarindustrie vielleicht
noch entkommen kann, und natürlich,
wie die Politiker, die Manager, die Journa-
listen, die Lehrer, die Pfarrer und die Über-
haupts lügen, betrügen und alles an den
Abgrund führen. Es ist schon erstaunlich,
denke ich dann oft. Wenn es den Menschen
in diesem Lande so schlecht ginge, wie es die
allgemeine Apokalyptik zu Lande, zu Wasser
und in der Luft nahelegt, müssten sich doch
entweder überall Revolutionen abzeichnen,
oder aber zumindest die Migrationsströme von
hier weggehen und nicht hierherkommen.
Auf diesem Tisch „Zeitgeschehen“ fand ich
im Juni vergangenen Jahres hohe Stapel der
damals neuen Papst-Enzyklika „Laudato Si –
über die Sorge für ein gemeinsames
Haus“. „Verkauft sich das gut?“, fragte ich
etwas ungläubig den Buchhändler. „Ja, die
Nachfrage ist enorm, wir müssen bereits
wieder nachbestellen“, antwortete der Buch-
händler. Aha, ein weiteres Werk also, nun
ein „Weltuntergangs-Szenario“, welches mir
vermitteln wird, dass mir das Leben nicht
gut gefallen und ich mich in meinem Herzen
vom Optimisten zum Pessimisten wandeln
sollte.
Mit diesem Gedanke erwarb ich die Enzy-
klika und war mir sicher, dass ich nun erfahre,
dass alles den Bach runtergehen wird.
Weit gefehlt!
Sehr schnell musste ich feststellen, dass
die Enzyklika sich ausdrücklich an alle
Menschen guten Willens richtet und damit
nicht nur diejenigen anspricht, die sich
seit Jahren für den Umwelt- und Naturschutz
oder die ökologischen Anliegen einsetzen.
E I N F ü H r U N G D r . L U T Z S P A N D A U
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Einführung von Dr. Lutz Spandau, Vorstand der Allianz
Umweltstiftung, Berlin/München.
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zutreten“. Es sind zum Teil dramatische
Einsichten, die uns Papst Franziskus vor
Augen führt; Einsichten, die auf einem
aktiven Dialog mit den Wissenschaften
und den Umweltexperten basieren.
Es zählt zu den Stärken der Enzyklika,
dass sie die ökologische Frage unmittelbar
mit der sozialen Frage verknüpft. Wir
sollen die Klage der Armen ebenso hören
wie die Klage der Erde, ermahnt Papst
Franziskus. Zitat: „So beeinträchtigt zum
Beispiel die Erschöpfung des Fischbestandes
speziell diejenigen, die vom handwerklichen
Fischfang leben; die Verschmutzung des
Wassers trifft besonders die Ärmsten, die
keine Möglichkeit haben, abgefülltes,
sauberes Wasser zu kaufen, und der Anstieg
des Meeresspiegels geht hauptsächlich die
verarmten Küstenbewohner an, die nicht
wissen, wohin sie umziehen könnten.“
Zitat Ende.
Das Amazonas-Gebiet ist eines der Themen
in der Enzyklika. Zitat: „Die Ökosysteme der
tropischen Urwälder enthalten eine biolo-
gische Vielfalt von enormer Komplexität.
Werden diese Wildnisse niedergebrannt oder
eingeebnet, um Bodenbewirtschaftung zu
entwickeln, gehen in wenigen Jahren unzäh-
lige Arten verloren, wenn die Gebiete sich
nicht sogar in trockene Wüsten verwandeln.“
Zitat Ende.
Papst Franziskus spart nicht mit Kritik
an transnationalen Unternehmen, die diese
natürlichen Ressourcen aus kurzfristigen
finanziellen Interessen heraus zerstören.
Scharfe Anklagen an eine neoliberale und
technokratische Wirtschaftsordnung ziehen
sich wie ein roter Faden durch die Enzy-
klika. Ich zitiere: „Man hat die Lektionen
der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt,
Auch wenn mit diesem Lehrschreiben
erstmals in der Geschichte der Päpste syste-
matisch Umweltfragen thematisiert werden,
ist es dennoch keine „Öko-Enzyklika“. Der
Papst bettet seine diesbezüglichen Aussagen
in Überlegungen zu Armut und Gerech-
tigkeit ein, verschränkt mithin präzise Analy-
sen der ökologischen Herausforderungen
Klimawandel, Biodiversität, Wasser, Boden
etc. mit ebenso präzisen Analysen ihrer
sozialen Konsequenzen, vor allem für die
Ärmsten und Armen.
Die Enzyklika markiert die endgültige
Absage an ein jahrhundertelanges, auch kirch-
liches, Missverständnis, den sogenannten
Herrschaftsauftrag „Macht Euch die Erde
untertan“ als Freibrief für jegliches mensch-
liches Handeln zu verstehen. Stattdessen
gilt es, diesen Handlungsauftrag zu interpre-
tieren im Sinne von „die Erde zu bebauen
und zu behüten“.
Bevor der Papst in poetischen Tönen
die Mutter Erde preist, richtet er den Blick
auf die weltweite Naturzerstörung. Der
Text wartet mit einer schonungslosen und
mitunter beklemmenden Analyse der
ökologischen Krise auf. Umweltverschmut-
zung und Erderwärmung, Wasserknappheit,
Wegwerfkultur, Verlust der biologischen
Vielfalt, Atommüll, Überfischung und
Verschmutzung der Ozeane … – die Schöp-
fung ist schwer verwundet, die Schwester
Erde stöhnt.
„Niemals haben wir unser gemeinsames
Haus so schlecht behandelt und verletzt wie
in den letzten beiden Jahrhunderten“, klagt
der Papst. Und weiter: „Das Problem ist,
dass wir noch nicht über die Kultur verfügen,
die es braucht, um dieser Krise entgegen-
E I N F ü H r U N G D r . L U T Z S P A N D A U
Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung
schreibt im Juni 2015: „Die Enzyklika
Laudato Si sei teils ein klares, kluges und
abwägendes Lehrschreiben, teils aber auch
ein moralinsaures Gebräu. Versatzstücke
von Verelendungs- und Weltverschwörungs -
theorien machen dieses ökologische Mani-
fest mitunter ungenießbar.“
Ja, was denn nun? Ist die Enzyklika
Laudato Si ein weiterer Beitrag zur Lust am
Weltuntergang oder ein Aufruf zur Über-
nahme von Verantwortung für diese eine
Welt?
Mit den heutigen Benediktbeurer Gesprächen
wollen wir auf die Leitlinien, Kritikpunkte
und Forderungen der Enzyklika Laudato Si ein-
gehen und diskutieren, welche Wirkung
diese entfalten können.
Dazu haben wir renommierte Experten
eingeladen.
Prof. Hans Joachim Schellnhuber ist einer
der weltweit renommiertesten Klimaforscher.
Er ist langjähriges Mitglied des Weltklima-
rates, dem 2007 der Friedensnobelpreis
verliehen wurde. Er fungiert als wissenschaft-
licher Chefberater der Bundesregierung in
Fragen des Klimawandels und der internatio-
nalen Klimapolitik und war langjähriger
Berater des Präsidenten der Europäischen
Union.
Prof. Schellnhuber war einer der wesent-
lichen Berater des Papstes bei der Entstehung
der Enzyklika Laudato Si. Wie kaum ein
Zweiter war Prof. Schellnhuber von Anfang
an am Zustandekommen der Enzyklika betei-
ligt, alle Treffen hat er mitgestaltet, zuletzt als
Wortführer der etablierten Klimaforschung.
und nur sehr langsam lernt man die Lek-
tionen der Umweltschädigung“. Und weiter:
„Die Ressourcen der Erde werden auch
geplündert durch ein Verständnis der Wirt-
schaft und der kommerziellen und pro-
duktiven Tätigkeit, das ausschließlich das
unmittelbare Ergebnis im Auge hat.“ Zitat
Ende. Die Unterwerfung der Politik unter
die Technologie und das Finanzwesen zeige
sich in der Erfolglosigkeit der Weltgipfel
für Umweltfragen, so der Papst.
Nach der Veröffentlichung der Enzyklika
konnte man eine lebhafte Debatte erleben.
So war in der Zeit vom 2. Juli 2015
unter der Überschrift „Toll, was der Papst
so schreibt“ zu lesen: „Die Enzyklika des
heiligen Franz sei eben sehr, sehr süd-
amerikanisch geprägt und auf das, was wir
hier im Wirtschaftsraum Europa erleben,
nicht übertragbar.“
In der Zeitschrift Cicero vom Juni 2015
wurde unter der Überschrift „Der Papst gibt
Energiespartipps“ ausgeführt: „Bewegend
und tief, streckenweise albern – die neue
Enzyklika Laudato Si ist ein Frontalangriff
auf die Wirtschaftsweise des Westens und
schießt über das Ziel hinaus.“
Zeit Online vom Juni 2015 führt unter
der despektierlichen Überschrift „Denn du
bist wuhundeherbar, Herr“ aus: „Der Papst
hat seine Umwelt-Enzyklika Laudato Si
genannt. Der Titel weckt sentimentale Erin-
nerungen an Lagerfeuer und Weltverbesse-
rungspläne. Aber wer braucht den Sonnen-
gesang des Franziskus, wenn er Solarzellen
auf dem Dach hat?“ Und weiter: „Klar,
dass jetzt auch der Papst gegen Klimawandel
ist. Aber war der nicht mit dem Flugzeug auf
den Philippinen und zum Weltjugendtag
in Brasilien?“
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Theologie und Ökologie, von der Bewah-
rung der Schöpfung über den verantwort-
lichen Umgang mit Lebensmitteln bis
zur Warnung vor einer grenzenlosen Tech-
nologiegläubigkeit.
Für eine „Ökologie des Herzens“ sprach
er sich in seinem ersten Hirtenwort aus.
Damit ist er inhaltlich ein Teil der Enzyklika,
denn auch diese basiert auf der Schöpfungs-
idee und dem Schöpfungsglauben.
Bischof Hanke, herzlich willkommen in
Benediktbeuern, wo Sie uns sicherlich dar-
legen werden, welche Wirkung die moralische
Kraft der Kirche in Bezug auf die Enzyklika
entfalten kann und was bisher von der
Kirche angestoßen wurde.
Bärbel Dieckmann ist seit 2008 Präsidentin
der Welthungerhilfe. Bärbel Dieckmann
glaubt an das Recht auf Nahrung. Die Welt-
hungerhilfe hat seit ihrer Gründung nahezu
7.800 Hilfsprojekte in 70 Ländern mit einem
Fördervolumen von fast 3 Milliarden Euro
durchgeführt.
„Wir müssen die Menschen in die Lage
versetzen, jetzt und in Zukunft für sich selbst
zu sorgen“, so Bärbel Dieckmann.
Von 1994 bis 2009 war sie Oberbürger-
meisterin der Stadt Bonn. Ein Schwerpunkt
der politischen Arbeit der SPD-Politikerin
liegt auf der Umwelt- und Entwicklungs-
politik. So war sie zum Beispiel Vorsitzende
des Weltbürgermeisterrates zum Klimawandel.
In seiner Enzyklika würdigt der Papst
auffallend häufig sogenannte NGO’s, also
die „Nicht-Regierungs-Organisationen“.
Diese Enzyklika, meint er, sei kein ver-
quastes Schriftstück, das nur für Scholastiker
von Interesse sei, sondern analysiere zum
Teil knallhart und setze sich mit unserer Kul-
tur der Verschwen dung auseinander, die uns
langfristig ins Verderben treibe. Wortwört-
lich führt Prof. Schellnhuber aus: „Der beste
Botschafter für Klimaschutz sitzt heute im
Vatikan.“ Und an anderer Stelle: „Diese
Papst-Schrift ist eine Regierungserklärung.“
Prof. Schellnhuber war der einzige Wissen-
schaftler, der vom Papst zur Vorstellung der
Laudato Si in Rom eingeladen wurde.
Wir begrüßen Sie herzlich bei den Benedikt-
beurer Gesprächen der Allianz Umweltstiftung
und freuen uns auf Ihre Ausführungen, in
welchen Sie uns sicher auch darlegen werden,
ob von Ihrer Seite Kritik an der Enzyklika
angemeldet werden muss.
Bischof Dr. Gregor Maria Hanke trat
1981 in das Benediktinerkloster Plankstetten
ein, wo er 1983 die Priesterweihe empfing
und zehn Jahre später zum Abt gewählt
wurde. Von 1994 an stellte das Klostergut
unter seiner Leitung die Bewirtschaftung auf
streng ökologische Richtlinien um. Die
regionale Vermarktung der Produkte des
Klosterbetriebes begründet den Ruf als
„grünes Kloster“.
Im Oktober 2006 ernannte Papst Benedikt
XVI. Gregor Maria Hanke zum 82. Bischof
von Eichstätt.
Bischof Hanke hat eine grundlegend öko-
logische Haltung, die weit über Wirt-
schaftsfragen hinausgeht. Er ist ein gefragter
Gesprächspartner für Fragen zwischen
E I N F ü H r U N G D r . L U T Z S P A N D A U
1 8 1 9E I N F ü H r U N G D r . L U T Z S P A N D A U
Seit 2005 ist Prof. Joachim Fetzer Mitglied
im Vorstand des Deutschen Netzwerks
Wirtschaftsethik und von 2012 bis 2015 war
er geschäftsführendes Vorstandsmitglied.
Prof. Fetzer hat evangelische Theologie und
anschließend Volkswirtschaftslehre studiert.
Daher ist er nicht nur als Wirtschaftsethiker,
sondern auch als Theologe geradezu prä-
destiniert für unsere diesjährigen Benedikt-
beurer Gespräche – seien Sie herzlich
willkommen!
Lieber Herr Prof. Fetzer, in der Laudato Si
wird Politik als ein willenloses Instrument im
Dienste einer auf Gewinn maximierung
fixierten Wirtschaft und eines unkontrollier-
baren Finanzwesens dargestellt. Die F.A.Z.
kommentiert diese Wirtschaftskritik folgender-
maßen: „Die Beschreibungen der Krisen-
phänomene sind in einem schlichten und
schrillen Ton gehalten, ein prophetischer
Weckruf entpuppt sich als abgestandene Pole-
mik. Das Ergebnis: bestenfalls ein geschwät-
ziges Einerseits-Andererseits, meist ein
Steinbruch für Argumentationsfragmente
jeder Art.“
Und in Cicero wird ausgeführt: „Der
radikale Angriff aber auf die Wirtschafts-
weise des Westens könnte Laudato Si zu
einer Kampfschrift machen, die Brücken eher
abreißt als aufbaut. Der Weg ins Himmel-
reich wird auch künftig nicht mit Mehrweg-
tüten gepflastert sein.“
Alles Polemik oder bemerkenswerte Aus-
sagen eines Kirchenoberhauptes? Wir freuen
uns, lieber Herr Prof. Fetzer, Ihre Position
zu diskutieren.
Diese tragen auf lokaler Ebene viel zur
Verbesserung des Lebensumfeldes und der
Umweltbedingungen bei. Sie sind mutige
Stimmen, die die Bevölkerung sensibilisieren
und kritisch mitwirken, damit jede Regie-
rung ihre eigene und nicht delegierbare
Pflicht erfüllt.
Vereinigungen, die sich für das Gemein-
wohl einsetzen, entwickeln dabei eine
solidarische Bindungskraft, aus der örtlich
soziale Gewebe entstehen. Darüber hinaus
wird die Beziehung zwischen globaler
Umweltkrise, Armut und sozialer Ungerech-
tigkeit thematisiert, aus deren Folgen eine
weltweite Zunahme der Migration entsteht.
In Kenntnis dieser Situation erstaunt die
Schwäche der internationalen politischen
Reaktion – auch das ist in der Enzyklika zu
lesen. In solchen Zeilen finden sich alle
Wegbereiter und Unterstützer ihres Verban-
des wieder, liebe Frau Dieckmann.
Unterstützt die aufrüttelnde Enzyklika
und die Kraft, die sie ausstrahlt, Ihre Arbeit,
oder mutet uns der Papst etwa doch zu viel
zu? Wir danken Ihnen, dass Sie nach
Benediktbeuern gekommen sind und freuen
uns auf Ihre Ausführungen.
Das Deutsche Netzwerk Wirtschafts-
ethik ist eine partnerschaftliche, gemeinsam
von Wissenschaft und Praxis getragene,
nichtstaatliche Organisation. Der Verein
wurde 1993 gegründet und verfolgt das Ziel,
den offenen Austausch von Gedanken
und Ideen über alle ethischen Belange des
Wirtschaftens zu fördern und das wirtschaft-
liche Handeln ethisch zu orientieren.
Meine Damen und Herren, wie immer
bei den Benediktbeurer Gesprächen gibt es
Fragen über Fragen. Lassen Sie uns keine
Zeit verlieren, lassen Sie uns einsteigen in
die Benediktbeurer Gespräche der Allianz
Umweltstiftung 2016: „Laudato Si, die
Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus –
rasch gelesen, geschwind kommentiert,
schnell vergessen?“
2 1V o r T r A G D I ö Z E S A N B I S c H o F D r . G r E G o r M A r I A H A N K E o S B
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Vortrag von Diözesanbischof Dr. Gregor Maria Hanke OSB,
Bistum Eichstätt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Mitbrüder,
es ist nicht meine Intention, die Enzyklika
heute zu exegieren, dazu haben wir hier im
Auditorium Berufenere sitzen. Vielmehr
spreche ich zu Ihnen als Bischof, der die
Enzyklika operabel machen möchte für die
Pastoral. Das heißt, mancher Aspekt, der
vielleicht in Ihren Augen und Ohren wichtig
geklungen haben mag, wird durch diese
Perspektive nicht berücksichtigt oder keine
besondere Berücksichtigung finden. Mir geht
es, wie gesagt, darum, wie ich die Enzyklika
einspeisen kann in das pastorale Handeln der
Kirche, in der Pfarrgemeinde, den Verbänden
und den geistlichen Gemeinschaften.
„Laudato Si – die Umwelt-Enzyklika von
Papst Franziskus – rasch gelesen, geschwind
kommentiert, schnell vergessen?“ Ich habe
mir noch nicht den Spaß gemacht, bei
meinen Hauptamtlichen zu fragen, wer sie
ganz gelesen hat. Aber ich glaube, bei
solchen Dokumenten, da sollte man nicht
unbedingt allzu optimistisch sein. Das recht
schnell mit dem Etikett „Umwelt-Enzyklika”
versehene Lehrschreiben „Laudato Si“ von
Papst Franziskus fügt sich, wie der Papst
selbst auch an einer Stelle der Enzyklika
formuliert, in die lange Reihe der päpstlichen
Sozialverlautbarungen ein. Es ist eigentlich
keine Umwelt-Enzyklika, kein Umwelt-
Manifest im engeren Sinne, sondern
diese Enzyklika knüpft bewusst an die große
Tradition der kirchlichen Soziallehre an –
an eine Sozialverlautbarung also, die Emp-
fehlungen und Anleitungen für das Handeln
des Menschen sein will.
Eine Kernforderung von „Laudato Si“ ist
der Ruf nach einer ökologischen Umkehr,
nach einer auch persönlichen Bekehrung, die
hinsichtlich der Schöpfung und den Schöpfer
auf einen neuen Lebensstil setzt. Ökologie
ist also in den Augen von Papst Franziskus,
und somit auch der Kirche, nicht einfach
nur ein Seitenarm der kirchlichen Soziallehre,
sondern sie ist wesentlich verbunden mit
Sozialverhalten, mit christlichem Sozial-
verhalten. In seiner Enzyklika „Caritas in
veritate“ hat Papst Benedikt XVI. bereits
darauf hingewiesen, dass es aus ökologischer
Verantwortung unerlässlich ist, den „Lebens-
stil zu überprüfen, der in vielen Teilen der
Welt zum Hedonismus und Konsumismus
neigt und gegenüber den daraus entstehenden
Schäden gleichgültig bleibt.
2 2 2 3
unter den Gläubigen die Lösungswege
blockieren, reichen von der Leugnung des
Problems bis zur Gleichgültigkeit, zur
bequemen Resignation oder zum blinden
Vertrauen auf die technischen Lösungen.”
Dagegen setzt der Papst auf ein Bewusst-
sein, dass die Menschheit gemeinsam für die
Schöpfung verantwortlich ist. Wir brauchen
eine neue universale Solidarität, so sein
Aufruf. Wir brauchen eine Ökologie des
Herzens. Ein dauerhaft wirksamer Umwelt-
schutz kann also nicht allein auf die eine
oder andere klimaschonende Erfindung
setzen, auch nicht auf bloße gesetzgeberische
Reglementierung, sondern bedarf eines
ganzheitlichen Umdenkens. Nötig ist ein
anderer Lebensstil und ein anderer Blick auf
das, was unser Leben reich macht. Für die
Motivation dieses Umdenkens, dieser neuen
Lebenshaltung, bedarf es der Ökologie des
Herzens.
Aurelio Peccei, ein Mitglied des Club of
Rome, hat bereits vor mehreren Jahrzehnten
den Grund der menschengemachten, selbst-
zerstörerischen Umweltverschmutzung
analysiert: “Unsere Krise hat eine kaum greif-
bare und bislang noch unfassbare, aber fun-
damentale Ursache, die in uns selbst liegt und
so stark wirkt, dass sie all unser ansonsten
unerklärliches Missgeschick verursacht.
Diese Ursache ist unser Zustand innerer
Unordnung.”
Der Mensch trägt seine innere Unordnung
in die Schöpfung hinein. Weil der Mensch
seine innere Unordnung in die Schöpfung
projiziert, beginnt der persönliche Weg
zu einem nachhaltigen Leben, seine Änderung
des Lebensstils im Inneren des Menschen,
sozusagen mit der Ökologie des Herzens.
Notwendig ist ein tatsächlicher Gesinnungs-
wandel, der uns dazu anhält neue Lebens-
weisen anzunehmen.”
Franziskus hat diese Forderung in „Laudato
Si“ aufgegriffen, in einer eindrücklichen
Bildsprache weitergeführt und praktisch für
uns ausgefaltet. Er lädt uns in seinem Schrei-
ben vor allem zu einem neuen Lebensstil
ein: im Umgang miteinander, bei der Wahr-
nehmung politischer Verantwortung sowie
mit der Schöpfung und ihren Ressourcen.
Man könnte sagen, diese Handlungsfelder
sind miteinander vernetzt. So wie der
Mensch sich seiner Umwelt gegenüber
benimmt, geriert, so benimmt er sich in der
Regel auch im Umgang miteinander, und so
benimmt er sich auch in anderen Bereichen.
Statt Herrschaft und Technokratie soll
die bewegende Kraft dieses Lebensstils die
in Liebe gründende Beziehungsfähigkeit des
Menschen sein: Beziehung zu Gott, zur
Schwester, zum Bruder, Beziehung zur Schöp-
fung. Ein neuer Lebensstil, geprägt von
Beziehungsfähigkeit.
Alles, auch wir selbst, alles befindet sich
in dem einen Haus der Schöpfung. Im Begriff
Ökologie steckt ja das griechische Wort
Oikos, „das Haus, die Hausgemeinschaft”.
Ökologie ist folglich die Sorge um das gemein-
same Haus, das uns der Schöpfer anvertraut
hat. Oftmals scheitern Bemühungen zu
einem nachhaltigen Umweltschutz am reinen
Unwillen, etwas im eigenen Leben zu
ändern, stellt Papst Franziskus fest: „Leider
pflegen viele Anstrengungen, konkrete
Lösungen für die Umweltkrise zu suchen,
vergeblich zu sein. Nicht allein wegen der
Ablehnung der Machthaber, sondern auch
wegen der Interessenlosigkeit der Anderen,
also uns. Die Haltungen, welche selbst
V o r T r A G D I ö Z E S A N B I S c H o F D r . G r E G o r M A r I A H A N K E o S B
haltens und der Bescheidenheit. Die
Nachfolge Jesu im Neuen Testament zeigt
sich nicht nur durch die innere Wandlung
des Jüngers, der Jüngerin, sondern durch
den Lebenswandel und den Lebensstil.
Die Briefe des Neuen Testaments bieten
ein reiches Repertoire an Mahnungen und
Ermunterungen bescheiden zu leben und
weder Überfluss und Reichtum noch Über-
sättigung zu suchen, sondern bereit zu
sein zum Teilen und Helfen. Mit dem bewusst
schlichten Lebensstil bekundeten die Christen,
nicht Besitzer der Güter dieser Erde sein
zu wollen und zu können, sondern nur deren
Verwalter – mit einem Lebensstil des Maß-
haltens in einem Leben unter Anerkennung
der Grenzen. Ein grenzenloser Lebensstil
wurzelt in der irrigen Vorstellung, unsere
Welt sei quasi ein unendliches System.
Das Christentum setzt jedoch zur
Werbung für den einfachen Lebensstil
nicht auf Drohszenarien und die Angst vor
dem kommenden ökologischen Untergang
und Kollaps. Es will den Menschen in
die Verantwortung für dieses Oikos, für
dieses Lebenshaus, rufen und wirbt sogar
mit der Bescheidenheit, mit der Schön-
heit des bescheidenen Lebensstils, die
den Blick viel eher freigeben kann auf imma-
terielle Werte als ein materiell überladenes
Leben. Immaterielle Kostbarkeiten –
Werte ist vielleicht ein etwas schwieriger
Begriff – immaterielle Kostbarkeiten unseres
Lebens, das sind Beziehungen, Fähigkeit
zur Begegnung, Freundschaft, Anerkennung,
Friede und noch vieles andere mehr.
Der Einzelne soll seine Gedanken, seine
Begierden und Gefühle, seine Schuld wahr-
nehmen und im Lichte Gottes heilen lassen.
Rhythmus, Struktur, kurz, eine gute Ord-
nung des Lebens kann hilfreich sein. Es ist
eine Erfahrung des Mönchtums, dessen
Tradition ich angehöre, dass innere Ordnung
äußere Ordnung fördert. Der innere Prozess
hat sich zugleich im praktischen Alltag zu
konkretisieren: im Verhalten zueinander, im
Umgang mit dem uns anvertrauten Gut, in
der Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung.
Mönchsregeln, Klosterregeln sind von ihrem
Ursprung her nicht gesetzgeberische Maß-
nahmen, sondern gemeinsame Schnittmengen
für eine lebendige Gemeinschaft: um der
inneren Ordnung zu dienen, die sich dann
auch äußerlich manifestiert.
Im Hinblick auf die Ökologie des Herzens
ist es wichtig, dass dem Menschen die soziale
Dimension seines Verhaltens und seiner
Schuld zugänglich wird. Wie wichtig dieser
Aspekt ist, zeigt die Aporie, in die wir uns
durch immer mehr Wirtschaftswachstum und
Wohlstand hineinmanövriert haben. Legt
man unseren europäischen Wohlstand als
Matrix für den Lebensstandard der gesamten
Welt zugrunde, müsste die Weltwirtschaft
mindestens fünfzehnmal so groß sein wie
zurzeit. Nun ist aber die Welt ein endliches
System, und wir verhalten uns in Teilsystemen
dieses größeren Systems – etwa in der
Wirtschaft oder durchaus auch im privaten
Leben, im Konsumbereich – als sei die Welt
ein unendliches System. Eine Aporie, die
drastisch belegt, wie wichtig die Umkehr ist
und wie bedeutsam der innere Prozess, um
die Umkehr zu einem neuen Lebensstil,
dem Lebensstil des Maßhaltens, in Gang zu
setzen. Christliches Leben war von Anfang
an geprägt von einem Lebensstil des Maß-
2 4
Ein erster Punkt, den ich auch in meinem
Mitarbeiterkreis auf der Basis von „Laudato
Si“ versuche, weiterzugeben: Es ist sehr
wichtig, dass wir beginnen zu fragen und zu
hinterfragen. Ich glaube, die Oberflächlich-
keit unseres Lebens ist der größte Feind
eines profunden ökologischen Lebensstils.
Die Oberflächlichkeit, das heißt, alles so zu
nehmen, wie es mir geboten wird, alles zu
nehmen, wie es mir den Möglichkeiten nach
zur Verfügung steht. Wir müssen uns im
täglichen Leben viel mehr fragen, wir müssen
uns viel mehr informieren, wir müssen viel
mehr hinterfragen. Das beginnt ganz
praktisch: Woher kommen die Lebensmittel,
die Dinge, die ich für mein tägliches Leben
verwende? Welche Zusammenhänge sind
damit verknüpft? Ich muss mich durch diese
Fragen selbst sensibilisieren, muss meinen
Horizont erweitern – weg von der Oberfläch-
lichkeit, hin zum kritischen Hinterfragen. Das
ist schon ein wesentlicher erster Schritt.
Ein zweiter Schritt etwas zu verändern,
ist, meine Lernbereitschaft auf dem Weg zur
Veränderung zu stärken: Wir brauchen
Modelle und Lehrräume – nicht Leerräume
mit Doppel-e, sondern welche mit „eh“!
Orte, in denen wir lernen können, konkrete
Schritte zur Veränderung zu setzen.
Benediktbeuren ist so ein wunderbarer Ort.
Ein Ort, an dem wir zusammenkommen
können, lernen können, uns austauschen
können, uns gegenseitig bestärken können.
Es braucht Räume und Orte mit über-
zeugenden Menschen, Räume und Orte,
die gelebte Modelle sind; an denen unsere
Verantwortung für das Haus des Lebens
spürbar und erfahrbar wird.
Als Christen sind wir überzeugt, dass ein
schlichter Lebensstil in der Nachfolge Jesu
letztlich mehr erfüllt als die pausenlose
Jagd nach mehr Konsum und mehr Besitz.
Oftmals dient das Habenwollen lediglich
einem nach außen gelagerten Ego zu dessen
Erfüllung, einer Erfüllung mit Materiellem.
Wenn ich aber dieses Ego nicht nach außen
verlagere, sondern nach innen, in meinem
Inneren lebe, dann finde ich Zugang zu den
immateriellen Kostbarkeiten, zu diesen
anderen Werten, wie ich sie eben erwähnt
habe.
Wenn man „Laudato Si“ nur als Medien-
phänomen betrachtet, kann man die Reak-
tionen auf das Lehrschreiben sicher mit
„rasch gelesen, geschwind kommentiert,
schnell vergessen“ zusammenfassen. Wir
haben ja soeben einige Beispiele gehört.
Päpstliche Enzykliken sind aber keine Presse-
erklärungen; sie verstehen sich nicht als
kurzfristige Wortmeldungen im schnell-
lebigen Medienbetrieb. Sie sind vielmehr
Äußerungen des kirchlichen Lehramts,
die Hilfestellung geben wollen für ein gelun-
genes, für ein gutes Leben.
„Laudato Si“ als eine der Sozial-
Enzykliken, als Teil der katholischen Sozial-
lehre muss nun von uns mit Leben gefüllt
werden – von uns, den Gläubigen. Natürlich
sind alle dazu eingeladen. Wir haben es
gehört, Papst Franziskus hat ja zu einem
globalen Dialog aller Kräfte, die sich der
Verantwortung für dieses Oikos, für dieses
Lebenshaus, bewusst sind, eingeladen.
Ich möchte einige Aspekte darlegen, wie
man konkrete Schritte unternehmen kann.
Ansichten, die mir wichtig sind.
V o r T r A G D I ö Z E S A N B I S c H o F D r . G r E G o r M A r I A H A N K E o S B
2 6 2 7
Dort, wo wir eingeführt werden in die
Geschwisterlichkeit mit der Schöpfung und
wo diese auch erfahrbar wird. Die Tradition
der Kirche bietet dazu viele Vorbilder.
Unsere Klöster sind geeignete Räume, um
Menschen diese Möglichkeit zum Lernen und
Denken, zum Nachdenken und Umdenken
zu geben. In unseren Bildungshäusern und
Pfarrgemeinden lassen sich solche Räume
vielfach etablieren. Dort können wir ganz
konkrete Schritte miteinander gehen,
voneinander lernen und auch bereits etwas
bewegen.
Und noch ein dritter Punkt: Wir brau-
chen geistliche Impulse, geistliche Impulse
als Stärkung. Für mich war es, auch in
meiner Plankstettener Zeit, immer wichtig zu
betonen, dass die Ökologie nicht einfach eine
neue Form des Wirtschaftens ist, die die
alte Form des Konsumismus oder Mehrhaben-
wollens ablöst. Das allein genügt nicht.
Nein, für mich war der Weg der Ökologie
immer auch ein spiritueller Weg, ein Weg
gelebter Christus-Beziehung.
Dazu brauchen wir Vorbilder! In
der Beziehung mit Christus darf sich der
Mensch als beschenkt und von Gott geliebt
erfahren. Mein Leben beginnt zunächst
einmal mit einem Geschenk, nicht mit
erwerben wollen, mit haben müssen, mit
jemand sein wollen. Es geht darum zu
lernen, dass diese Liebe mein Ego übersteigt.
Sie eint mich mit dem Nächsten, sie gilt
genauso dem Nächsten und verbindet mich
mit ihm. Durch diese Christusbeziehung
bin ich bereits mit dem Nächsten verbunden,
bin ich verbunden mit der Schöpfung.
Franz von Assisi ist solch ein Vorbild. Ich
will ihn nur paradigmatisch nennen.
Er lebte eine aus der Christusbeziehung
wachsende Geschwisterlichkeit mit Mensch
und Natur exemplarisch vor. Seine Einheit
mit dem Herrn wurde mit den Wundmalen
sogar physisch sichtbar, so eins war er mit
Christus. Und aus dieser gelebten Einheit
mit Christus, auf den hin ja, wie der
Kolosserbrief sagt, die ganze Welt geschaf-
fen ist, alles geschaffen wurde, wurden
ihm Sonne, Mond, Wasser, alle Geschöpfe,
ja selbst der Tod zu Geschwistern. Sein
Sonnengesang legt Zeugnis ab von seiner
liebenden Beziehung zu Christus, die ihm
die ganze Schöpfung Familie sein ließ.
Als körperlich Leidender hinterließ er uns
diesen wunderbaren Hymnus, der ja mit der
Enzyklika von Papst Franziskus verbunden
ist. Diesen Hymnus, der zugleich ein
Zeugnis der Geschwisterlichkeit mit dem
ganzen Haus des Lebens, dem Oikos des
Lebens, gibt. Und daraus erwächst so etwas
wie Humanökologie, um einen modernen
Begriff für die Achtung vor der Würde eines
jeden Menschen und des gesamten Lebens
zu gebrauchen.
Meine sehr verehrten Damen und
Herren, ganz schlicht und einfach herunter-
gebrochen auf eine pastorale Handlungs-
anleitung: Diese Enzyklika „Laudato Si“, die
ich mit großer Freude erwartet und entge-
gengenommen habe, ist für mich ein Impuls,
Fragen zu stellen, mich dafür zu sensibili-
sieren, in welchen Zusammenhängen ich
lebe; wo all das, was ich tagtäglich brauche
und benutze, herkommt; welche Konnexe an
den Dingen des alltäglichen Lebens hängen …
Da werden wir oft überrascht sein, wohin uns
so ein Konnex führt: in welche wirtschaft-
lichen Zusammenhänge, in welche Länder.
V o r T r A G D I ö Z E S A N B I S c H o F D r . G r E G o r M A r I A H A N K E o S B
der Veränderung zu gehen. Nicht mit
Drohszenarien, sondern mit Schönheit,
mit der Schönheit der Gabe der Schöpfung.
Mit der Schönheit, die sich in den Grenzen
unseres Lebens auftun kann – wenn ich
denn diese Grenzen anerkenne und in
meinen persönlichen Lebensstil integriere.
Jetzt kommt es auf uns an, auf jeden Einzel-
nen von uns; auf uns als Gemeinschaften
und auf uns als Netzwerke, um so, wie einst
Franz von Assisi, eine ökologische Umkehr
im Sinne von „Laudato Si“ im eigenen
Leben zu vollziehen. Dazu wünsche ich
uns allen viel Kraft und für heute viele frucht-
bare Anregungen. Alles Gute, vielen Dank.
Und es wird uns erstens aufgehen, in
welch großer Verantwortung wir eigentlich
stehen. Zweitens müssen wir lernen,
diesen neuen Lebensstil zu leben. Um das
zu erreichen, müssen wir uns gegenseitig
bestärken, müssen uns immer wieder
zusammenfinden, und dazu wiederum
braucht es Räume. Ich finde es wunderbar,
dass es hier diesen Ort und dieses Forum
für diese Gespräche gibt.
Und drittens: Für uns Christen ist
es wichtig, sich immer wieder geistliche
Impulse schenken zu lassen, geistliche
Impulse, die uns auf diesem Weg bestärken
und bestätigen.
Denn dieser Weg, das zeigen die letz-
ten Jahrzehnte so vieler Bemühungen um
Verbesserungen im Bereich der Umwelt,
dieser Weg ist kein Automatismus. Dieser
Weg ist manchmal Kampf: ein Kampf
im eigenen Inneren, wenn es um Entschei-
dungen geht, meinen Lebensstil zu verän-
dern; darum zu sagen, ich verhalte mich
jetzt bei meinem Konsum genau so und nicht
anders, und ich drücke mich jetzt nicht
mehr um meine Verantwortung. Und Kampf
gibt es auch in der Öffentlichkeit, wenn es
darum geht, für diese Veränderung des persön-
lichen Lebensstils konsequent einzutreten.
Oft werden Sie dabei auf Widerstand treffen,
denn Veränderungen sind Risikofaktoren.
Diese Erfahrung werden Sie immer wieder
machen, egal auf welchem Gebiet. Da ist der
Mensch sehr ängstlich und leicht zum
Rückzug bereit.
Unser Beitrag, glaube ich, den wir als
Christen liefern können, ist, dass wir die
Menschen positiv motivieren, diesen Weg
2 9V o r T r A G B ä r B E L D I E c K M A N N
Bündnis in Deutschland zusammen-
geschlossen, weil Hunger und Armut globale
Herausforderungen, weit jenseits von Reli-
gionszugehörigkeiten sind. Die Welthunger-
hilfe ist eine Organisation, die vor 54 Jahren
auf Anregung des damaligen Bundespräsi-
denten Heinrich Lübke bewusst als eine
nicht konfessionelle Organisation gegründet
worden ist.
Aber die konfessionellen Einrichtungen
und uns eint die gleiche Zielrichtung. Diese
Enzyklika hat für uns auch bedeutet, dass
Herausforderungen, die seit Jahren offen-
sichtlich sind, noch einmal auf den Tisch
gebracht worden sind. Denn es hat so viele
Jahre gegeben, in denen man Probleme
einfach verleugnet hat, in denen Gleichgül-
tigkeit vorgeherrscht hat.
Meine Damen und Herren,
die Enzyklika des Papstes aus dem Jahr
2015 ist von vielen als sehr positive Botschaft
wahrgenommen worden. Wir als Nicht-
regierungsorganisationen haben im vergange-
nen Jahr mitgearbeitet an den SDGs1, wir
haben mitgearbeitet an den Beschlüssen in
Elmau, wir haben mitgearbeitet an den
Vorbereitungen der Pariser Klimakonferenz.
Ich bin selbst dort gewesen. Gerade im Jahr
2015 war diese Enzyklika eine wichtige
Stellungnahme von einer ganz anderen Seite
– vonseiten der katholischen Kirche und
eines Papstes. Und Sie haben das richtig
beschrieben, Herr Bischof Hanke, es ist die
Enzyklika eines Mannes, der aus eigener
Erfahrung weiß, wozu Verwerfungen führen
können – ökologische, aber auch soziale
Verwerfungen.
Zudem war es eine Enzyklika, die die
Arbeit der Nichtregierungsorganisationen
bestärkt hat; nicht nur in Deutschland,
sondern in vielen Teilen der Welt. Auch da
stimme ich mit Ihnen überein: Diese Gedan-
kengänge sind nicht neu in den Kirchen.
Wir arbeiten selbst mit Misereor und Brot
für die Welt zusammen. Wir sind in einem
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Vortrag von Bärbel Dieckmann, Präsidentin der
Deutschen Welthungerhilfe, Bonn.
1 SDGs = Sustainable Development Goals = Ziele nachhaltiger Entwicklung = politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen (UN) zur Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene.
3 0
Wir erleben eine Welt, in der zwei Milliar-
den Menschen keinen Zugang zu sauberem
Wasser und zu sanitären Einrichtungen
haben. Wir erleben eine Welt, in der ein Teil
der Menschheit so oder ähnlich entwickelt
wie in Deutschland lebt. Ich erwähne
ausdrücklich die Bundesrepublik Deutsch-
land, auch wenn ich als Kommunale sehr
wohl weiß, dass es auch bei uns Armut gibt.
Doch verglichen mit dem, was in vielen
anderen Ländern passiert, haben wir große
soziale Sicherheit.
Wir wissen längst, dass wir Armut und
Hunger nur bekämpfen können, indem wir
die Menschen in die Lage versetzen, sich
und ihre Familien zu versorgen. Drei von
vier Hungernden auf der Welt leben in
ländlichen Regionen. Sie leben also eigent-
lich dort, wo Lebensmittel produziert
werden könnten. Deshalb setzen wir uns für
das Recht auf Nahrung ein, und auch dafür,
das wird ja auch in der Enzyklika betont,
dass wir in einem gerechten Weltwirtschafts-
system – und auch darauf komme ich
nachher noch mal zurück – die Menschen
mit Hilfe zur Selbsthilfe in die Lage verset-
zen müssen, selbst für ihren Lebensunterhalt
aufkommen zu können; dass wir den
Menschen helfen müssen, Lebensmittel zu
produzieren, ihre Familie zu ernähren und
möglichst auf dem nächsten Markt noch
etwas zu verkaufen, um mit einem eigenen
Einkommen Medikamente zu kaufen oder
ihre Kinder zur Schule zu schicken. Und wir
müssen uns, wenn wir die Armut überwin-
den wollen – und damit komme ich zur
Weltwirtschaft, auf die der Papst ebenfalls
eingeht – dafür einsetzen, Arbeitsplätze und
soziale Sicherungssysteme zu schaffen.
Ich habe an vielen Klimakonferenzen als
Oberbürgermeisterin teilgenommen, und es
hat mich oft erstaunt, wenn in der letzten
Nacht alles, was zehn Tage vielleicht als
Chance diskutiert worden war, von manchen
Ländern – meistens waren es China und die
Vereinigten Staaten – einfach wieder hinweg-
gefegt wurde; obwohl da keiner saß, der
nicht genau wusste, dass es dringenden Hand-
lungsbedarf gab. Es gab aber auch Resigna-
tion. Und es gab diese Haltung, wir ändern
die Verhältnisse nicht wirklich, obwohl so
viele daran arbeiten.
Auch deshalb war das Jahr 2015 – für uns,
für mich und die vielen Menschen, die in
Nichtregierungsorganisationen arbeiten – ein
wichtiges Jahr, und die Enzyklika hat dazu
beigetragen. So enthält sie einige wichtige
Grundaussagen: Wir leben in einer globali-
sierten Welt, aber wir dürfen keine Globali-
sierung der Gleichgültigkeit zulassen.
Wir brauchen im Gegenteil eine Globalisie-
rung der Solidarität, eine universale Solidari-
tät! Ich gehe nachher noch einmal darauf
ein. Ich glaube, wir können das: Wenn wir
solidarisch sind, wenn wir gemeinsame Ziele
haben, wenn wir wissen, was wir wollen,
dann sind auch Lösungen möglich! Auch das
zeigt die Enzyklika.
Ich möchte an ein paar Punkten noch
einmal deutlich machen, was das in der
konkreten Arbeit einer Nichtregierungs-
organisation bedeutet. Wir bekämpfen
Hunger und Armut. Das ist unser Mandat.
Gleichzeitig erleben wir eine Welt, in der
immer noch fast 800 Millionen Menschen
dauerhaft unterernährt sind. Kinder, die
im Alter von fünf Jahren schon so geschädigt
sind, dass sie nur sehr verringerte Chancen
auf ein gesundes Leben haben.
V o r T r A G B ä r B E L D I E c K M A N N
3 2 3 3
Fakten liegen schon lange auf dem Tisch.
Klimaveränderung ist heute die vielleicht
größte Herausforderung. Der Korridor, in
dem wir die Entscheidungen dazu treffen
können, ist nicht mehr allzu groß. Auch ich
habe die Pariser Klimakonferenz als Erfolg
empfunden. Und trotzdem weiß ich auch, es
sind eine Menge Beschlüsse gefasst worden,
die jetzt umgesetzt, die realisiert werden
müssen. Die Klimaerwärmung ist heute schon
ein Grund für ökologische Herausforderungen
und Probleme. Herr Prof. Schellnhuber
wird sicher gleich noch darauf eingehen.
Aber die Klimaerwärmung ist eben auch eine
der Ursachen für Armut und die fehlenden
Existenzmöglichkeiten vieler Menschen.
Ein Beispiel ist Äthiopien: Das Thema
ging in den letzten Wochen stark durch die
Medien. Richtig, El Niño ist ein Klimaphäno-
men, das es immer gegeben hat und das
nicht erst durch den Klimawandel verursacht
worden ist. Es ist jedoch durch ihn verstärkt
worden. Viel schlimmer aber ist, der Klima-
wandel hat in den jetzt davon betroffenen
Regionen bereits dazu geführt, dass sie noch
anfälliger sind, wenn sie zusätzlich Wetter-
und Ozeananomalien wie El Niño überstehen
müssen. Das ist in Äthiopien der Fall, das
ist in Simbabwe der Fall, und dieses Mal war
auch Südafrika davon betroffen. Doch in
Äthiopien war es ganz extrem. Zwar gab es
hier schon vorher weitreichende Maßnahmen,
weil die Katastrophe erwartet wurde.
Dadurch konnte man die Folgen gewisser-
maßen eingrenzen. Doch grundsätzlich hat
sich wieder einmal gezeigt, dass die Heraus-
forderungen dort besonders groß sind, wo
der Klimawandel schon Existenzgrundlagen
genommen hat.
Hunger ist meist die Folge von Armut.
Menschen, die keine alternativen Einkom-
mensmöglichkeiten haben, können Lebens-
mittel nicht kaufen, weil dazu die finan-
ziellen Mittel fehlen. Beschäftigungslosigkeit
verursacht Perspektivlosigkeit, und Beschäf-
tigungslosigkeit ist eine der hauptsächlichen
Flucht- und Migrationsursachen.
Damit komme ich zum Stichwort „soziale
Sicherungssysteme“. Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir in allen Ländern der
Welt soziale Sicherungssysteme brauchen.
Ein Faktor der Erfolgsgeschichte der Bundes-
republik Deutschland ist, dass wir nicht nur
ein marktwirtschaftliches System haben;
sondern dass die Gründungsväter und -mütter
1949 eine soziale Marktwirtschaft mit ganz
klaren Aussagen auch zur sozialen Siche-
rung auf den Weg gebracht haben.
Wir brauchen Produktivitätssteigerungen
in der Landwirtschaft, das ist wahr. Aber wir
brauchen sie vor allem in Ländern, in denen
Hunger und Armut herrschen. Ich sage das
deshalb, weil manchmal die Illusion besteht,
dass mit Produktivitätssteigerung in Europa
oder den Vereinigten Staaten Hunger in
der Welt bekämpft werden könnte. Das ist
nicht der Fall. Das ist ökologisch der falsche
Weg: Wir brauchen eine regionale Versor-
gung. Denn solange Menschen nicht kaufen
können, was bei uns produziert wird, dient
es auch nicht der Hunger- und Armutsbe-
kämpfung.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Enzyklika,
der unmittelbar an unsere Arbeit anknüpft:
das Klima. Es ist fast ein Thema, bei dem man
ein bisschen ironisch werden könnte. Die
V o r T r A G B ä r B E L D I E c K M A N N
Ich komme zu den Fluchtursachen. Meine
Damen und Herren, ich glaube, neben allen
wichtigen Beschlüssen, die wir gefasst
haben, gibt es heute noch einen weiteren
Punkt, der im öffentlichen Fokus steht und
vielleicht die Gelegenheit bietet, nach
Lösungen für globale Herausforderungen zu
suchen. Das ist die Flucht. Flucht ist ja
überhaupt nichts Neues. Fluchtbewegungen
hat es immer gegeben: aus politischen
Gründen, oder weil es kriegerische Ausein-
andersetzungen gab. Und natürlich hat es
auch Migrationen immer gegeben, wenn
Menschen sich dazu entschlossen haben,
ihre Länder zu verlassen, um woanders einen
besseren Arbeitsplatz zu bekommen.
Positiv daran ist unter anderem die
finanzielle Summe, die Migranten in ihre
vielen Herkunftsländer schicken: sie ist
weit höher als die Summe der weltweit ge-
zahlten Entwicklungshilfe. Das heißt,
Migration ist also auch ein unglaublich
wichtiger Faktor für die Entwicklung vieler
Länder.
Und in einer globalisierten Welt haben
viele Menschen die Chance, ihre Heimat-
länder zu verlassen. Doch Migration ist
freiwillig – Flucht hingegen ist immer
erzwungen, egal ob Krieg, Hunger, Armut
oder eine Mischung aus allem der Auslöser
ist, seine Heimat zu verlassen. Ich habe
all die Jahre in den vielen Krisenländern,
die ich besucht habe, nicht viele Menschen
mit dem Wunsch getroffen, in Zukunft in
Deutschland zu leben.
In dem Zusammenhang sind auch die
erneuerbaren Energien zentral. Wir brau-
chen sie ganz besonders in den Entwick-
lungsländern. Wir brauchen sie aber auch
in den entwickelten Ländern. Für mich
ist es nach wie vor unbegreiflich, wie lange
wir gebraucht haben, diesen Schritt zu
gehen.
Und ich erinnere an dieser Stelle an die
Bücher und Publikationen von Hermann
Scheer zum Thema erneuerbare Energien
und die darin beschriebenen Herausforde-
rungen, die er bereits vor 30 Jahren exakt
formuliert hat. Lieber Herr Dr. Spandau,
vielleicht fragen Sie ja später in der
Buchhandlung mal nach seinem Erstlings-
werk darüber. Manche Büchereien führen
es bestimmt noch. Wir haben sehr lange
gebraucht, um diese Schritte endlich zu
gehen. Schritte, die essentiell sind für die
Beseitigung von Armut und Hunger.
Prof. Töpfer, übrigens in den ersten
vier Jahren meiner Amtszeit Vizepräsident
der Welthungerhilfe, hat einmal gesagt,
dass es ein großer Fehler bei den MDGs2
gewesen ist, die Energiefrage nicht anzu-
sprechen. Energiemangel hat weltweit auch
zur Verstärkung von Hunger und Armut
geführt. Denn immerhin werden nicht nur
bei uns Lebensmittel weggeworfen oder zu
viel produziert. In vielen Ländern der
Welt, in denen Nahrungsmittel produziert
werden, gibt es auch riesige Nachernte-
verluste. Weil es dort keine Infrastruktur,
keine Kühl- und Transportketten gibt.
2 MDGs = Millennium Developments Goals = Zur Jahrtausendwende formulierte Entwicklungs- ziele für 2015
3 4 3 5
Wir werden einen Beitrag dazu leisten
müssen, dass die Menschen aus Afrika und
Asien in ihren Ländern bleiben, leben und
existieren können; und dass sie nicht durch
ungerechte Welthandelspolitik oder durch
Verhältnisse, die wir verursacht haben –
zum Beispiel mit dem Klimawandel – ihrem
Heimatland den Rücken kehren müssen.
Deshalb wünsche ich mir weltweit
mehr Engagement der Zivilgesellschaft, der
Kirchen und der Politik, um die Bedingungen
für die Menschen in diesen Ländern zu
verbessern. Dazu gehören gute sozioöko-
nomische Entwicklungen, dazu gehört aber
auch der Einsatz für bessere Regierungs-
systeme, der Kampf gegen Korruption und,
was mir ganz besonders am Herzen liegt,
mehr Engagement für die Frauenrechte. Es
gibt viele Länder, und auch das ist übrigens
in der Enzyklika erwähnt, in denen Frauen
Verantwortung für die Entwicklung tragen,
aber nach wie vor keine oder wenig Rechte
haben, zum Beispiel weder Land- noch
Erbrecht.
Und ich spreche noch ein Thema an –
darüber können ja wir nachher diskutieren
– ein Thema, das vielleicht ein bisschen
provokativ ist: die Bevölkerungsentwicklung.
Ich weiß, es ist ein schwerer Entschluss, die
private Entscheidung anderer Menschen
über die Größe ihrer Familie zu beeinflussen
oder beeinflussen zu wollen. Aber wir
arbeiten in vielen Ländern, in denen die
Fortschritte durch die Bevölkerungsentwick-
lung inzwischen wieder rückläufig sind.
Die meisten Menschen lieben ihre Heimat.
Ich habe auf meinen Reisen viele Menschen
getroffen, die ein enges Verhältnis zu ihrer
Familie und zu ihren Freunden haben;
Menschen, bei denen es trotz großer Armut
einen großen Zusammenhalt gibt. Aber
ebenso gibt es hier die absolute Hoffnungs-
losigkeit. Ausdruck dieser Hoffnungslosigkeit
sind seit Jahren schon die Flüchtlingslager
an den Brennpunkten der Welt. Wer je in
Dadaab3 gewesen ist – ich war vor einigen
Jahren dort – erlebt, wie etwa 450.000
Flüchtlinge aus Somalia in einer riesigen
Zeltstadt leben. Oder wer die Lage im Süd-
sudan kennt, mit diesem grausamen Bürger-
krieg in einem Land, das seine Bevölkerung
problemlos ernähren könnte, in dem
jedoch die kriegerische Auseinandersetzung
zweier verfeindeter Männer dazu führt,
dass über 400.000 Menschen auf Überlebens-
hilfe durch die Welthungerhilfe angewiesen
sind.
Weltweit sind mehr als 60 Millionen
Menschen auf der Flucht. Die meisten Flücht-
linge sind in die Nachbarländer gegangen,
wo sie zunächst in großen Flüchtlingslagern
unterkommen. So wie die 2,7 Millionen
syrische Flüchtlinge, die in der Türkei
untergekommen sind. Es sind Menschen, die
in ihren Ländern keinerlei Zukunftschancen
mehr sehen. Verstehen Sie das jetzt bitte
nicht als Argumentation gegen die Willkom-
menskultur in Deutschland. Diese Willkom-
menskultur brauchen wir in Deutschland
und Europa, denn es werden auch in Zukunft
Menschen zu uns nach Europa kommen.
Aber ich möchte auch, dass wir uns bewusst
machen: Allein in Europa werden wir das
Flüchtlingsproblem nicht lösen können.
V o r T r A G B ä r B E L D I E c K M A N N
3 Dadaab in Kenia, das größte Flüchtlingslager der Welt
3 6 3 7
dass der Papst die Rolle der Zivilgesell-
schaft so betont hat. Wir arbeiten ja nicht
nur mit den Nichtregierungsorganisationen
in Deutschland, Europa und den Vereinigten
Staaten zusammen, sondern auch mit der
Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern.
Mit Menschen also, die oft auch in korrup-
ten oder fragilen Staaten noch die Kraft
aufbringen, sich für die Menschen in ihrem
Land einzusetzen.
Deshalb sehe ich jetzt eine Chance:
die SDGs als Zielauftrag, den wir umsetzen
müssen, eine Enzyklika, die ebenfalls in
die Richtung weist, dass soziale sowie wirt-
schaftliche Entwicklung und Ökologie
eng zusammen gedacht werden müssen,
dazu das Klimaabkommen von Paris. Mög-
licherweise sind wir die erste Generation,
die es schaffen kann, den Hunger in der
Welt zu besiegen; und ich glaube, wir sind
die letzte, die es schaffen muss, den Klima-
wandel in den Griff zu kriegen.
Und jetzt wünsche ich uns allen, dass
wir heute Nachmittag mit ganz viel Moti-
vation auseinandergehen und im Sinne der
Enzyklika weiterarbeiten. Vielen Dank.
Das sind oft Länder, in denen Kinder-
und Müttersterblichkeit stark gesunken sind,
in denen aber die alten Reflexe „Ich muss
viele Kinder haben, um im Alter gesichert zu
sein“ nach wie vor existieren. In vielen
Ländern können Frauen ihre Familienpla-
nung nicht selbstbestimmt entscheiden. Sie
werden ganz jung zur Heirat gezwungen
und haben mit 20 oder 21 Jahren bereits
drei oder vier Geburten erlebt.
Wir müssen uns wohl damit befassen,
dass die Erde nur eine begrenzte Anzahl
Menschen aufnehmen kann. Ob das jetzt 10,
11 oder 12 Milliarden Menschen sind, das ist
nicht unser heutiges Thema. Denn diese
Frage hängt von vielem ab. Aber ich glaube,
die Ressourcen sind begrenzt. Und: Ökologie
ist auch mit einer am Ende vollkommen
ausgelaugten Welt nicht mehr möglich.
Nicht zuletzt, das thematisiert auch
der Papst, brauchen wir eine nachhaltige
Weltwirtschaft. Handel ist ein Wohlstands-
treiber, aber gleichzeitig auch eine Ent-
wicklungsbremse für viele Länder. Und wir
haben mehr vom Handel profitiert als die
Entwicklungsländer.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt
ansprechen und damit wieder zur Enzyklika
kommen. Mit den neuen globalen Koope-
rationsmöglichkeiten, mit neuen Partnerschaf-
ten können wir die Welt verändern. Das,
glaube ich, können wir durch Regierungspart-
nerschaften, aber auch durch Partnerschaften
mit Nichtregierungsorganisationen erreichen.
Deshalb haben wir es besonders begrüßt,
V o r T r A G B ä r B E L D I E c K M A N N
3 9V o r T r A G P r o F . D r . J o A c H I M F E T Z E r
Sehr geehrter Herr Bischof, verehrte
Brüder des Klosters, sehr geehrte Damen
und Herren,
zunächst möchte ich mich einfach bedan-
ken: Es ist wunderschön, erstmals in
Benediktbeuern zu sein – und das sicher
nicht zum letzten Mal. Herzlichen Dank
der Allianz Umweltstiftung und Ihnen, Herr
Dr. Spandau, für die Einladung.
Lassen Sie mich etwas polemisch begin-
nen: Es war für mich – als ordoliberal gepräg-
tem Lutheraner – wirklich ein Kampf, mich
durch diese Verlautbarung des Apostolischen
Stuhles Nummer 202 zu quälen. Ohne die
Einladung hierher hätte ich es auch nicht
getan; und ich vermute, das ging manchen
so, die dieses Werk für die FAZ und andere
rezensieren mussten. Herr Dr. Spandau hat
einiges zitiert.
Doch nach dem ersten Entsetzen wollte
ich immer mehr verstehen: Was ist es eigent-
lich genau, was dich beim Lesen so aufregt?
Seit 25 Jahren habe ich mit Wirtschaftsethik
zu tun. Die Verknüpfung von Umwelt- und
Gerechtigkeitsthemen in der Enzyklika
ist ja wunderbar. Exakt dies ist die große
Leistung der UN Sustainable Development
Goals, für die ich als Mitglied im SDSN
Germany zu werben nicht müde werde.
Kein Widerspruch. Ich bin bei Benediktinern
in die Schule gegangen, habe meinen Sohn
in ein Franziskaner-Gymnasium gegeben,
und grundsätzliche Kritik an allem und jedem
kenne ich nach 15 evangelischen Kirchen-
tagen nun wirklich gut genug. Und der Titel
„Laudato Si“ weckt schöne Erinnerungen –
und man kann das auch sehr schön singen.
Warum also regt mich diese Enzyklika
so auf und widert mich teilweise sogar an?
Polemik oder Weckruf? – hatte Herr Spandau
vorhin gefragt. Bewusst eingesetzte Pole-
mik ist ein rhetorisches Stilmittel – ich nutze
es auch gern. Ich glaube aber, Papst Fran-
ziskus polemisiert nicht, ich befürchte Schlim-
meres. Ich befürchte, er meint tatsächlich,
was er schreibt. Ob dies dann Weckruf
sein kann? Dazu möchte ich Sie in meine
Leseerfahrung mit diesem Dokument mit-
nehmen.
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Vortrag von Prof. Dr. Joachim Fetzer, Mitglied des Vorstands
des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik, Berlin.
4 0 4 1V o r T r A G P r o F . D r . J o A c H I M F E T Z E r
Über Verantwortung von Unternehmen
habe ich vor Jahren mal ein Buch geschrieben.
Die Diskussion über die Reichweiten von
Unternehmensverantwortung ist ein zentra-
les Thema der Wirtschaftsethik. Wie weit
haben Unternehmen Verantwortung und
endet die auch irgendwo? Sie reicht sicher
weiter als man lange Zeit gedacht hat. Hat
sie auch Grenzen? Wer kann eigentlich
wofür Verantwortung übernehmen? Wer ist
eigentlich wir? 7,3 Milliarden Menschen,
weltweite Interdependenzen – schön, dass
der Papst auch sagt, dass alles mit allem
zusammenhängt. Aber eigentlich ist doch gar
kein Akteur da, der für das Ganze die
Verantwortung übernehmen kann.
Wir haben im Oktober 2015 im Deut-
schen Netzwerk Wirtschaftsethik bei unserem
Business Ethics Summit auch die Verabschie-
dung der Sustainable Development Goals
durch die UN-Vollversammlung gewürdigt
und hierzu gerade eine Publikation veröf-
fentlicht. Hauptproblem bei der Umsetzung
dieser Weltagenda 2030 ist: Wer übernimmt
wofür die Verantwortung? Wie kann der
private sector mitwirken, der in dieser Welt-
plan-Logik eigentlich gar nicht vorkommt?
Und da haben wir nicht wirklich die perfekte
Blaupause; wir alle haben sie noch nicht!
Was heißt dann aber genau unverantwort-
lich?
Zurück zur Enzyklika. Franziskus schreibt:
„Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen,
dass wir die Eigentümer und Herrscher
von Schwester Erde seien, berechtigt, sie
auszuplündern.“ So: An dieser Stelle ist jetzt
Schluss. Meine Damen und Herren, sind
Sie in dem Gedanken aufgewachsen, dass
wir die Eigentümer und Herrscher von
Gehen wir einfach zu Seite 1, Ziffer 1:
„Laudato Si, mi signore, gelobt seist du,
mein Herr, sang der heilige Franziskus von
Assisi. In diesem schönen Lobgesang erinnert
er uns daran, dass unser gemeinsames Haus
wie eine Schwester ist, mit der wir das
Leben teilen und wie eine schöne Mutter,
die uns in ihre Arme schließt. Gelobt seist
du, mein Herr, durch unsere Schwester,
Mutter Erde, die uns erhellt und lenkt und
vielfältige Früchte hervorbringt und bunte
Blumen und Kräuter …“ Da möchte ich den
Lobpreis eigentlich mitsingen. Aber ich ahne:
Wenn dies eine Umwelt-Enzyklika ist, dann
werden jetzt sehr unterschiedliche Sprach-
welten aufeinandertreffen. Es sind Bilder,
Vergleiche, Metaphern, die hier verwendet
werden: „wie eine Schwester“, „wie eine
Mutter“. Wie mütterlich ist die Natur
eigentlich wirklich? In bestimmten Momen-
ten, vor allem hier im Voralpenland, kann
man das wohl nachempfinden. Da kann man
diese Einladung zur Naturfrömmigkeit
annehmen. Ob uns das aber bei der Frage
nach der CO2-Reduktion und der sogenann-
ten planetarischen Grenzen weiterbringt?
Ob solche Naturfrömmigkeit emotionale
Ressourcen zur Sorge für das gemeinsame
Haus freisetzt?
Ich lese weiter: „Diese Schwester
schreit auf wegen des Schadens, den wir
ihr aufgrund des unverantwortlichen
Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter
zufügen, die Gott in sie hinein gelegt hat.“
Jetzt wird es schon schwieriger. Den Schrei
muss man erst einmal hören, vielleicht
muss man ihn sehen, vielleicht muss man
hingehen. Was heißt „unverantwortlicher
Gebrauch und Missbrauch der Güter“?
Unverantwortlich ist das Gegenteil von
verantwortlich.
könnt. Ihr müsst umdenken! Und wir in
der katholischen Soziallehre haben es schon
immer anders gesagt. Nicht wir, sondern Ihr
seid Teil des Problems und müsst euch
ändern.“ So lese ich zunächst diese Sätze
und im Inhaltsverzeichnis hatte ich ja schon
das 6. und letzte Kapitel entdeckt: „Die
ökologische Erziehung und Spiritualität“.
Das Umerziehungsprogramm, wenn man es
staatlich administrieren wollte. Aber das
will ja hoffentlich niemand. Vermutlich ist
es dieser scheinbar anklagende Grundton,
der den Rezensenten der FAZ und anderen so
gehörig gegen den Strich geht. Und es folgen
ja unzählige Passagen, die bereits zitiert
wurden: die ökologische Schuld der wohl-
habenden Länder, das strukturell perverse
System kommerzieller Beziehungen und Eigen-
tumsverhältnisse, die Anklage gegen multi-
nationale Unternehmen und so weiter.
Ich ärgere mich und frage: Lädt man
damit zum Dialog ein? Das ist der selbst
erklärte Anspruch. Lädt man so alle
Menschen zur Sorge für das gemeinsame
Haus ein? Oder bestärkt man damit nur
diejenigen, die in NGOs, in entwicklungs-
politischen Gruppen und auf Kirchentagen
ohnehin die Lektionen der südamerikani-
schen Befreiungstheologie, dieses Amalgam
aus christlicher Spiritualität, basiskirch-
licher Ekklesiologie und marxistischen Gesell-
schaftsdeutungen, schon gelernt haben und
sich nun von der päpstlichen Autorität
bestätigt fühlen? Für diese hätte dann die
Enzyklika als Zitatbaustelle einen Nutzen
und wird gewiss gerne so verwendet. Ich
habe nichts dagegen, aber mich stößt dies
eher ab – und sicher nicht nur mich.
Schwester Erde seien, berechtigt, sie
auszuplündern? Also ich bin es jedenfalls
nicht!
Ich bin aufgewachsen in einem der wohl-
habenden OECD-Länder: in Deutschland,
genauer gesagt in Augsburg. In der Stadt der
Fugger und der MAN, in der Stadt der
Confessio Augustana und in einem bürger-
lichen Unternehmerhaushalt, der viel von
dem vermittelt hat, was ich später bei
Max Weber in dessen „protestantischer Ethik
und dem Geist des Kapitalismus“ wieder-
gefunden habe. Sparsam sein, innerweltliche
Askese, Chancen nutzen, viel arbeiten, das
Unternehmen aufbauen, Verantwortung
übernehmen, nicht protzen, das Erarbeitete
nicht verbrauchen, sondern klug investieren
und stolz und dankbar sein für den Wohl-
stand, der sich daraus ergibt. Da gehörte
auch Kapitalakkumulation dazu, natürlich.
Aber ebenso: Man wirft seinen Müll nicht
vor die Türen anderer Leute und hinterlässt
ihn auch nicht der nächsten Generation.
Das Recht auf Ausplündern gehörte jeden-
falls nicht zu dem Lehrkanon meiner Eltern
und Großeltern. Nun weiß ich nicht, bei wem
Jorge Mario Bergoglio, jetzt Papst Franziskus,
aufgewachsen ist, aber ich nehme es ihm
einfach nicht ab, dass er hier wirklich eine
eigene Lernerfahrung schildert. Und wenn
doch, warum dann diese Vereinnahmung,
dass wir so aufgewachsen seien? Ich werde
das Gefühl nicht los, dass er eigentlich etwas
ganz anderes meint, dass er meint: „Ihr, vor
allem Ihr in den OECD-Ländern, Ihr Prota-
gonisten des Wohlstandes und des Wirt-
schaftswachstums, Ihr mit den immer neuen
Technologien, ihr Anhänger und Nutznießer
des Kapitalismus: Ihr meint wohl, dass ihr
die Erde beherrschen und ausplündern
4 2 4 3
andere, einladendere Sprachformen. Gerade
deshalb kommt es nicht nur darauf an, was
der Papst sagt, sondern wie.
Lassen Sie mich daher auf einige verwen-
dete Bilder und Motive eingehen. Und zeigen,
dass es auch anders ginge. Ich habe dazu ein
Buch mitgebracht, mit dem ich groß gewor-
den bin: Hans Jonas, „Das Prinzip Verantwor-
tung“, erschienen 1979 und immer noch
hoch aktuell. Frau Dieckmann, Sie sagten zu
Recht – und dem kann ich mich nur anschlie-
ßen – vieles in der Enzyklika ist inhaltlich
nicht wirklich neu. Vieles steht daher schon
in diesem Buch des großen Philosophen.
Vor allem die Frage: „Welche Ethik brauchen
wir im technologischen Zeitalter? Jonas ist
etwas bescheidener als der Papst, stellt Fragen
und versucht Antworten zu geben. Aber vor
allem ist die Bilderwelt und Metaphorik eine
grundsätzlich andere. Jonas sagt, der neue
kategorische Imperativ ist, dafür zu sorgen,
dass es eine Erde gibt, auf der eine Mensch-
heit leben kann, die noch Menschheit genannt
werden kann. Und Mensch sein heißt, sich
selber Zwecke setzen zu können: Eine
Menschheit, die nicht nur Müll und Altlasten
wegräumen muss – seien es Altlasten im
Klimaschutz, kaputte Sozialstrukturen, Staats-
schulden oder auch sonstiger Müll – sondern
„die sich selber in Freiheit noch Zwecke
setzen kann“. Dieser Imperativ sei deswegen
neu, weil wir früher nicht ahnten, dass wir
Verantwortung für das Ganze zu übernehmen
haben. Das ist weltgeschichtlich einfach etwas
Neues, so Hans Jonas. Und das haben wir bis-
her nicht gesehen, weil wir diese Denkweise
gar nicht hatten und haben konnten.
Oder doch ein Weckruf? Vielleicht. Es gibt
noch eine andere Lesart, auf die ich erst bei
der Re-Lektüre, gestoßen bin. Das 1. Kapitel
der Enzyklika soll ja eine Bestandsaufnahme
sein: „Was unserem Haus widerfährt“. Am
Ende der Einleitung schreibt Franziskus
Folgendes: „Das Ziel dieses Überblicks ist
nicht Informationen zu sammeln und unsere
Neugier zu befriedigen, sondern das, was der
Welt widerfährt, schmerzlich zur Kenntnis
zu nehmen, zu wagen, es in persönliches
Leiden zu verwandeln, und so zu erkennen,
welches der Beitrag ist, den jeder Einzelne
leisten kann.“ Der Leser soll nicht verstehen.
Der Leser soll Schmerzen haben, soll leiden.
Und das gelingt auch gut. Wer sich einlässt –
und das meine ich jetzt nicht ironisch – wer
sich einlässt auf die spirituellen Traditionen
des Sich-Versenkens in die Anbetung des
Schmerzensmannes am Kreuz, in die Anbe-
tung der Schmerzen des leidenden Christus,
wer sich darauf einlassen kann, der mag
daraus tatsächlich Sensibilität und Motivation
erfahren. Für den mag es ein Weckruf sein.
Durch Schmerzen zum Engagement? Kritiker
würden das vielleicht „masochistische
Motivationstheorie“ nennen. Ich bin (zumin-
dest für unsere Kultur) etwas skeptisch, dass
dies wirklich konstruktiv verstanden und
motivierend wirken kann.
Kurz, ein Teil der vermeintlich „abge-
standenen Polemik“ lässt sich vielleicht mit
diesem Element von Schmerzenstheologie
zumindest nachvollziehen. „Leide mit, dann
wirst du verstehen.“ Ich habe Zweifel, dass
dies konstruktiv aufgenommen werden kann,
außer von denen, die ohnehin schon über-
zeugt sind. Und die brauchen ja keinen Weck-
ruf. Und für die anderen braucht man
V o r T r A G P r o F . D r . J o A c H I M F E T Z E r
4 4 V o r T r A G P r o F . D r . J o A c H I M F E T Z E r
Eher wohl doch das Prinzip Verantwortung
für die Zukunft einer Menschheit, die diesen
Namen verdient und auf ihre Freiheit achtet,
noch gestalten zu können.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen,
den man erst erkennt, wenn man all die
rückwärts gewendeten, teilweise antimoder-
nistischen und kritischen Bilder und die
Aufzählung aller Übel einmal ignoriert, und
die Enzyklika auch mal auf ihren argumenta-
tiven Gehalt hin betrachtet: Worin liegt
eigentlich das Grundproblem? Sind es vor
allem die Gier und die Wirtschaft, welche
zum „Ausplündern der Mutter Erde“ geführt
haben? Das könnte man erwarten. Aber die
Wirtschaft wird in „Laudato Si“ ausdrücklich
nicht zum Sündenbock für alles und jedes
gemacht. Man findet dies in Kapitel 3, dem
argumentativen Kern der Enzyklika: „Was ist
die menschliche Wurzel der ökologischen
Krise?“ Das Grundproblem sei nicht, so
Franziskus ausdrücklich, eine falsche Wirt-
schaftstheorie oder der Eigennutz oder die
Gier. Das Grundproblem ist, „wie die Mensch-
heit… die Technologie und ihre Entwick-
lung, zusammen mit einem homogenen und
eindimensionalen Paradigma, angenommen
hat.“ Am Beginn vieler Probleme stehe
die „Neigung … die Methodologie und die
Zielsetzung der Technowissenschaft in
ein Verständnismuster zu fassen, welches das
Leben der Menschen und der Gesellschaft
bedingt.“ Nicht die Ökonomisierung aller
Lebensbereiche wird beklagt, sondern
Franziskus fordert: „Die Politik darf sich
nicht der Wirtschaft unterwerfen, und diese
darf sich nicht dem Diktat und dem …
Paradigma der Technokratie unterwerfen.“
Die Erde ist bei Jonas 1979 wie ein ver-
letzliches Kind, für das wir jetzt um alles in
der Welt, gefälligst und verdammt noch mal,
endlich Verantwortung übernehmen müssen.
Auch das ist ein Imperativ, aber eine andere
Bildwelt als bei Franziskus 2015. Dessen
Denkschema ist nicht eine weltgeschichtlich
neue Situation, die nach Verantwortung für
die Freiheit der nächsten Generationen ruft.
Das päpstliche Denkschema ist ein vorge-
gebener Rahmen, die historisch vorhandene
Natur – teilweise sehr naturromantisch,
teilweise antimodernistisch. Diese Natur
wird als Schöpfung verstanden.
Der Mensch bei Franziskus bleibt einge-
bettet in angeblich feste Grenzen, die er mit
der technologisch-ökonomischen Entwick-
lung überschreitet. Das ist kein neuer
Imperativ, sondern eine sehr alte Denkweise.
Bei Franziskus ist die Erde kein hilfloses
Kind, für das Verantwortung übernommen
werden muss. Sondern es ist eine Schwester
und Mutter, die ausgeplündert worden sei.
Das ist nicht der lobpreisende Sonnengesang
des Franziskus von Assisi. Sondern es ist
die antiquierte und apokalyptische Sicht eines
Papstes und seiner Berater. Und aus diesem
Bild entsteht ein ständiger Schuldvorwurf,
den man mit guten Gründen ablehnen
kann. Hans Jonas hat das gleiche Anliegen,
aber er argumentiert nicht mit Schuld,
sondern weist auf neu entstandene Zukunfts-
verantwortung hin. Ich halte das für wesent-
lich angemessener. Wer das hilflose Kind
Erde liegen lässt, wird seiner Verantwortung
nicht gerecht. Die eindrucksvollen Ergeb-
nisse der Klimaforschung verlangen von der
Menschheit Lösungen für bisher nicht
erkannte Aufgaben. Allgemeine Schuldzu-
schreibungen sind aber keine Lösung.
unsere Gier ist, die uns treibt, oder
ob nicht Zahlenfixierung und allzu lineares
Denken viel bedeutendere Ursachen sind.
In der Art der Entwicklungspolitik, bei der
Finanzkrise, im Übermut des Westens nach
dem Fall des eisernen Vorhangs … Mit
mehr Zeit ließe sich leicht zeigen, wie der
Glaube an Zahlen und Modelle immer wieder
zu großen Fehlern geführt hat. Und mit
diesem Glauben an Sheets und Charts
verdient mancher Scharlatan im Vertrieb sein
Geld. Und ich frage mich, ob wir nicht auch
heute Gefahr laufen dem technokratischen
Paradigma aufzusitzen, wenn ein Förder-
programm nach dem anderen zur green eco-
nomy aufgelegt wird. Aber auch die Fixierung
auf ein einziges Thema und sei es das 2-Grad-
Ziel, kann in eine neue technokratische
Engführung münden.
Dass der Papst fast nichts zum Thema
Bevölkerungsentwicklung als einer Herausfor-
derung für die sogenannten planetarischen
Grenzen sagt, kann man verstehen. Es würde
Anlass bieten für selbstkritisches Nach-
denken über die eigenen Traditionen – aber
das ist nicht Stil dieses Lehrschreibens. Es
könnte aber auch Anlass bieten für einen
positiven Blick auf die technische und wirt-
schaftliche Entwicklung. Denn zu Beginn der
Industrialisierung, um 1800 herum, lebten
auf der Erde rund 1 Milliarde Menschen.
Heute sind es 7,3 Milliarden. Wie war es
denn damals mit dem Hunger bestellt? Ich
weiß nicht, Frau Dieckmann, ob Sie auch
darüber Zahlen dabei haben. Ich hege meine
Zweifel, ob vor Beginn der Industrialisierung
alle Menschen glücklich und satt von den
Früchten der „Schwester und Mutter Erde“
gelebt haben, obwohl es viel weniger waren.
Hat er Recht? Ich bin zwar immer skeptisch,
wenn jemand die eine und einzige Ursache
aller Übel zu finden geglaubt hat. Aber diese
Kritik müssen wir ernst nehmen. Denn ist
es heute im Unternehmensalltag nicht so, dass
alles aus dem Blick gerät, was nicht in ein
Excel-Sheet, eine Formel oder Zahl gepackt
werden kann? Motto: Was man nicht messen
kann, kann man nicht managen. Zahlenfixiert-
heit und Zahlengläubigkeit – das ist die
Alltagstechnokratie, welche Franziskus für
den menschlichen Kern des Problems hält.
Diesem Denken stellt der Papst in
Kapitel 4 ein anderes Denkmuster gegen-
über: Das Denken in interdependenten
und vernetzten Systemen. Was wir in der
Nachhaltigkeitsdebatte als die drei Dimen-
sionen der ökologischen, ökonomischen
und sozialen Nachhaltigkeit kennen,
das nennt er Umweltökologie, Wirtschafts-
und Sozialökologie. Und er fügt mit der
Kulturökologie eine vierte Dimension hinzu.
All dem stimme ich vollkommen zu.
Und bei der Betonung kultureller Tra-
ditionen können wir in Deutschland schon
mal selbstbewusst hingehen und sagen:
Soziale Marktwirtschaft heißt nicht „Markt
plus Sozialstaat“, sondern heißt „Denken in
interdependenten Ordnungen“ – also genau
das, was der Papst in Kapitel 4 seiner
Enzyklika fordert. Das können Sie bei Röpke
und andern Vätern der Sozialen Markt-
wirtschaft nachlesen.
Und mit dieser argumentativen Struktur
im Kopf, könnten wir nochmals mit der Rezep-
tion der Enzyklika anfangen, indem wir die
Einzelthemen noch einmal durchgehen und
uns fragen, ob es denn wirklich immer
4 5
4 6 V o r T r A G P r o F . D r . J o A c H I M F E T Z E r
nächsten großen Förderprogramme,
wofür auch immer, eindimensional techno-
kratisch vorschlagen. Und warum sollten
sie das tun? Nicht um schmerzhaft mit-
zuleiden, sondern als Fallstudiensammlung
für die Folgen eindimensional gedachter
Problemlösungen! Dafür taugt diese Enzy-
klika ganz hervorragend.
In jeder Medikamentenwerbung steht
der Satz „Zu Risiken und Nebenwirkungen
fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“
Vielleicht sollte man ja auch bei Neuauflagen
großer Förderprogramme, zu Energiemanage-
ments oder Ähnlichem immer den Hinweis
bringen: „Zu Risiken und Nebenwirkungen
fragen Sie Ihren Papst oder Wirtschaftsethiker.“
Oder noch besser: „Bedienen Sie sich ihres
eigenen Verstandes und nehmen Sie sich die
Zeit dazu.“ Aber wer hat die schon? Ich
danke Ihnen.
900 Millionen Hungernde heute sind ein
Skandal! Ja – aber in der Enzyklika wäre es
zumindest einer nachdenklichen Erwäh-
nung wert gewesen, ob Technik, Medizin,
technologische Landwirtschaft, weltweite
Arbeitsteilung und Ähnliches nicht auch
etwas mit der Ernährung der anderen 6,x
Milliarden Menschen zu tun haben könnten?
Doch das fehlt vollkommen. Dann würde
sich das Bild dieser angeblichen „Ausplünde-
rung“ gründlich ändern.
Nicht alles, was bei uns weggeworfen
wird, wird gleichsam „vom Tisch der Armen
geraubt“. Es ist vielleicht ein Skandal unserer
„Wegwerfgesellschaft“, aber eben kein
Raub. Für ein Nachdenken darüber, wie man
das ändern kann, ist es allerhöchste Zeit.
Hier jedoch von Raub zu reden, ist eine
Denkweise, in der Eigentumsrechte letztlich
keine Rolle spielen. Und da müssten wir
über die ordnungspolitischen Grundlagen des
Papstes schon mal ein bisschen nachdenken.
Gute klimapolitische Berater hat der Papst,
bei den wirtschaftspolitischen könnte er
noch nachlegen. Wobei es natürlich nicht
Aufgabe des Papstes ist, eine Wirtschaftsord-
nung zu entwickeln. Das ist Aufgabe der
Ökonomen, vor allem jedoch der Politik und
der wirtschaftspolitischen Berater unserer
Regierungen. Die könnten sich in der Tat diese
Enzyklika mal vornehmen, bevor sie die
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DI E BE N E DI KTBE U R E R G E S P R ÄCH E
DE R ALL IANZ U MWE LTSTI F TU NG 2016
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„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A
VON PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N ,
G E SC HWI N D KOM M E NTI E RT , SCH N E LL
VE RG E S S E N?“
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DI E BE N E DI KTBE U R E R G E S P R ÄCH E
DE R ALL IANZ U MWE LTSTI F TU NG 2016
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„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A
VON PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N ,
G E SC HWI N D KOM M E NTI E RT , SCH N E LL
VE RG E S S E N?“
5 3B E r I c H T ü B E r D E N V o r T r A G V o N P r o F . D r . D r . H . c . H A N S J o A c H I M S c H E L L N H U B E r
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Ein Bericht von Jochen Driemel, freier Autor und Texter,
über den Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim
Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klima-
folgenforschung, Potsdam.
schwarzen Licht des Universums und ist
das erste Bild einer eindrucksvollen Power-
Point-Präsentation des Klimafolgenforschers
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber
aus Potsdam.
Von besonderem Interesse an dem mit
Spannung erwarteten Referat von Prof.
Schellnhuber sind die verschiedenen Funk-
tionen und Professionen des in Fachkreisen
hoch geschätzten Naturwissenschaftlers:
So ist er u.a. Mitglied des Weltklimarates
und der Päpstlichen Akademie der Wissen-
schaften, der 80 vom Papst ernannte
Personen auf Lebenszeit angehören; zudem
war er Chefberater der Bundesregierung
in Sachen Klimawandel und Klimapolitik
während der G8- und EU-Ratspräsident-
schaften Deutschlands im Jahr 2007 und
langjähriger Berater des Präsidenten der
Europäischen Kommission José Manuel
Barroso.
Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schelln-
huber ist Direktor des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung und Mitglied der
Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.
Er hat sein wissenschaftliches Know-how
beratend in die Enzyklika einfließen lassen,
hat gemeinsam mit hochrangigen katho-
lischen Würdenträgern das vieldiskutierte
Lehrschreiben im Vatikan präsentiert
und die Benediktbeurer Gespräche 2016
durch einen fundierten Blick auf die Zusam-
menhänge zwischen Evolution, Klima-
entwicklung, menschlicher Verantwortung
und Glauben an die Zukunft bereichert.
Last but not least plädiert Prof. Schelln-
huber für eine Kultur des Teilens, nicht des
Habens.
Leuchtend blau ist sie, und von ähnlich
faszinierender Strahlkraft, wie sie nur die
schönsten aller großen Glasmurmeln besaßen,
für die wir als Kinder beim Tausch „mindes-
tens drei andere“ haben wollten – und
dann tatsächlich auch vier oder fünf für so
ein begehrtes Exemplar bekamen. Die große
blaue Kugel, die wir hier sehen, ist mehr
als selten. Sie ist einzigartig und trägt den
Namen Erde. Der Blaue Planet, fotografiert
von einem Mond-Roboter, schwebt im
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werden konnte. Wenn man zudem bedenkt –
und daran erinnert Prof. Schellnhuber uns
Zuhörer mit seinem Rückblick auf die
Entwicklung des Planeten Erde – dass die
Eruption des Vulkans Toba auf Sumatra vor
74.000 Jahren, bei dem die Sonne durch
Aerosole, Schwefeldioxyd und dergleichen
verdunkelt wurde, die Temperatur noch
einmal abkühlte, und dass die klimatischen
Folgen dieses Vulkanausbruchs nur einige
100 oder 1000 Menschen überlebten,
befinden wir uns bereits mittendrin in einer
hochsensiblen Thematik. Denn noch eine
ganze Weile, so Prof. Schellnhuber, quälte
sich der Mensch als Jäger und Sammler
durch die Zeit. Bis zu dem „Wunder“ vor
11.400 Jahren, als wir in die Phase des
Holozän eintreten: „Letztendlich ist es wohl
mehr ein Zufall oder eine Laune der Schöp-
fung – extrem schwer zu erklären“, sagt der
Naturwissenschaftler. Jedenfalls wird das
Klima absolut stabil, obwohl es, so Prof.
Schellnhuber, sehr unwahrscheinlich war,
dass so etwas plötzlich passierte: „Das war
the window of opportunity, das Fenster, in
dem Zivilisation entstehen konnte – das
Klimaparadies, wenn Sie so wollen. Wir sind
gerade dabei, dieses Paradies zu verlassen.
Ob aus Gier oder Zufall, aus Laune, Verblen-
dung oder aus besseren Gründen, darüber
können wir diskutieren. Auf jeden Fall erfolgte
daraufhin die Explosion der Menschheit als
Spezies, der erfolgreichsten Art auf diesem
Planeten. Inzwischen sind es 7,5 Milliarden
Menschen, und jedes Jahr kommen 100
Millionen hinzu.“
Grundlage für die Ausweitung der Popu-
lation war die Neolithische Revolution, die
Erfindung von Ackerbau und Viehzucht.
Prof. Schellnhuber repräsentierte die
etablierte Klimaforschung und ist der einzige
Wissenschaftler, der von Papst Franziskus
zur Präsentation der Enzyklika in Rom einge-
laden wurde – einem Medienspektakel
vor 400 Journalisten und 50 Fernsehteams
aus aller Welt.
Zurück zur Erde, denn um diese „fragile,
wunderschöne Kugel“ dreht es sich, wenn
der Klimaforscher von der Herausforde-
rung Klimawandel spricht. Und, so vermutet
er, hätte Franziskus von Assisi unseren
Blauen Planeten, ebenso wie wir jetzt, aus
der Mondperspektive gesehen, dann wäre
sein Sonnengesang vermutlich länger
und noch euphorischer ausgefallen. Jeden-
falls ist dieses Bildmotiv ein attraktiver
Aufhänger zur Sensibilisierung der Zuhörer
für einen wissenschaftlichen Vortrag, der
auch an ökologischeres Denken und Handeln
und unsere Verantwortung für zukünftige
Generationen appelliert.
Ein Chart demonstriert die Klimaverände-
rung im Laufe der letzten 100.000 Jahre,
zeigt mittels zweier Achsen die Entwicklung
in unserem Temperaturraum: vertikal die
globale Mitteltemperatur „delta T“, die
Abweichung im Vergleich zu vorindustriellen
Werten; horizontal die 100.000 Jahre vor
unserer Zeit.
Während der letzten Eiszeit, mit oft radi-
kalen Veränderungen der Mitteltemperatur
um 10° C oder 20° C, teils innerhalb von
Jahrzehnten, herrschten Umweltbedingun-
gen, in denen keine Zivilisation entstehen
und die Landwirtschaft nicht erfunden
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zwei, drei Jahrzehnten führende Wissen-
schaftsnation der Welt. Der Erste Weltkrieg
kommt, die Phase der Zwanziger Jahre,
Hitlers Machtergreifung 1933 mit weiterer
Aufrüstung, während mit Japan im Fernen
Osten eine weitere Kohlenstoffmacht heran-
wächst. In den 1950er-Jahren, in der
Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten
Weltkrieg, gibt es erste Zeichen eines
florierenden Welthandels. Billiges Erdöl
aus dem Mittleren Osten ist für alle verfüg-
bar, in Ländern ohne Sozialstandards lässt
man billig arbeiten, weltweit wächst die
Wirtschaft mit großer Beschleunigung, der
Warenfluss rund um den Globus ist nahezu
grenzenlos.
In dieser Phase der Globalisierung, anfangs
der 1990er-Jahre, startet der eigentliche Gigant
der Moderne voll durch: In nur zwei Jahrzehn-
ten schafft das Reich der Mitte – die große
rote Fläche auf dem Chart symbolisiert Chinas
CO2-Ausstoß der letzten 20 Jahre – wozu
Europa zwei Jahrhunderte gebraucht hat!
„China“, so Prof. Schellnhuber, „wird
zur Werkbank der Welt. Gleichzeitig stellt
sich die Frage, wie die Entwicklung weiter-
geht; schließlich wird ja ständig Wirt-
schaftswachstum gefordert – global, regional,
lokal. Ist die höchste Stufe der Menschheit
erreicht, wenn diese Karte vollkommen
rot ist? Dann jedoch bräuchten wir wohl 15
Planeten ähnlich der Erde, vielleicht sogar
150! Das ist der Zustand der Welt im Augen-
blick. Wir stehen jetzt tatsächlich am
Wendepunkt.“
Die zweite große Stufe der Zivisilisati-
onsentwicklung sieht Prof. Schellnhuber
als „Steilstufe in der Evolution. Sie hat
die fossilen Brennstoffe und den Einsatz der
fossilen Brennstoffe hervorgebracht.“ Prof.
Schellnhubers Sichtweise der Geschichte
der Moderne, die um 1500 n. Chr. beginnt
und mit der industriellen Revolution gegen
Ende des 18. Jahrhunderts einen ersten
gewaltigen technischen Schub bekam, ist
nicht die aus Geschichtsbüchern und
Erzählungen überlieferte; sie basiert auf
The C-Story of Humanity, der Kohlenstoff-
geschichte der Menschheit. Zur Verdeut-
lichung blendet er eine Weltkarte mit den
Emissionen seit 1751 ein und fügt, in
historisch adäquater Bildfolge, weitere Charts
hinzu. Diese aus Chroniken, Wirtschafts-
daten, Statistiken und selbst Baumringmes-
sungen rekonstruierte Animation zeigt
die kumulierten Kohlenstoff-Emissionen in
Millionen Tonnen. Und jedes Mal, wenn
die Farbe der logarithmischen Skala sich in
Richtung Rot verändert, multipliziert sich der
kumulierte Ausstoß mit dem Faktor 10.
Prof. Schellnhubers Charts demonstrieren
eindrucksvoll die Dramatik der kontinen-
talen und weltweiten Entwicklung und
deren Folgen für unseren Planeten: die frühen
Anfänge der Industrialisierung in England
und Schottland, das Übergreifen auf euro-
päische Länder wie Deutschland, vorwiegend
im Textilbereich Belgien, später dann Spanien.
Die USA kommen dazu, und in der Gründer-
zeit holt das British Empire auf – Indien
erscheint, dann New South Wales, Südafrika,
Argentinien und so weiter …
Inzwischen etabliert sich Deutschland,
hinter Großbritannien, als zweite Kohlen-
stoffmacht auf dem Erdball und wird binnen
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Bei alldem sieht sich Prof. Schellnhuber,
wie er sagt, weder als Kapitalismuskritiker
noch als Verteidiger des Kapitalismus, son-
dern in erster Linie als Naturwissenschaftler.
Er warnt jedoch davor, dass unsere Zivili-
sation bei ungebremster Entwicklung und
Dynamik in den nächsten Jahrzehnten
„letztendlich den Wärmetod sterben wird“.
Andererseits ist er davon überzeugt, dass es
mit Energie und moralischer Kraft gelingen
wird, doch noch eine Wende einzuleiten.
„Im Augenblick jedenfalls“, so Prof. Schelln-
huber, „geht das Klimasystem durch die
Decke.“ Er sagt das mit dem Hinweis auf die
Entwicklung der globalen Mitteltemperatur
seit Beginn der instrumentellen Aufzeich-
nungen 1880 bis heute und erwähnt dabei
typische Symptome und erschreckende
Fakten für die zunehmende Erderwärmung:
z.B. Wintertemperaturen von + 13° C in
Grönland, in der Arktis + 8° C über dem
langjährigen Mittelwert, beides und mehr
mitverursacht durch immer heftiger
auftretende Wetterphänomene wie El Niño.
Ungeachtet dieser Tatsachen, behaupten
und verbreiten viele Menschen, zumeist im
Internet, es gäbe keine Erderwärmung. Dazu
Prof. Schellnhuber: „In der Demokratie hat
jeder das Recht auf seine eigene falsche
Meinung.“
Ziel der internationalen Klimapolitik ist die
Begrenzung der Erderwärmung auf weniger
als 2° C. Warum? Die einfachste Antwort
laut Prof. Schellnhuber: „Die globale Mittel-
temperatur kommt durch Tausende von
Prozessen wie Rückkopplungen, Interdepen-
denzen, Telekonnektionen zustande und ist
in Entstehung und Entwicklung dem
Verhalten der menschlichen Körpertempe-
ratur sehr ähnlich … Die liegt zwischen
36,5° C und 37° C … Ob draußen oder
drinnen, warm oder kalt, der Körper hält die
Temperatur immer im optimalen Bereich für
alle metabolischen Vorgänge … 39° C Körper-
temperatur ist für einen Erwachsenen
ziemlich unangenehm, 5° C oder 6° C mehr
bedeuten Exitus … Lebenswichtige Organe
kollabieren … Ähnlich ist es mit dem System
Erde … Die vitalen Organe, verantwortlich
für die Lebensbedingungen auf unserem
Planeten, sind die großen Ökosysteme: der
Amazonas-Regenwald, das Great Barrier Reef
… die Eisschilde … der Golfstrom … die
Jetstreams zwischen Troposphäre und
Stratosphäre …“
Was geschieht mit diesen lebenswich-
tigen Organen bei Klimaveränderungen?
Wann geraten sie in Schwierigkeiten? Wann
kippen sie um? Wann sterben sie? Die
Beantwortung dieser Fragen, ist eine riesige
wissenschaftliche Herausforderung und,
für den Klimafolgenforscher Prof. Schelln-
huber, „… ähnlich wie damals um die
Wende zum 20. Jahrhundert, als uns Quan-
tentheorie und Gravitationsphysik ein völlig
neues Bild von der Welt gezeichnet haben.
Nur dass wir heute nicht allein die Kräfte
der Natur versuchen zu verstehen, sondern
auch die Kräfte des Menschen in dessen
Interdependenz mit der Natur …“
Die weitere Entwicklung des Klima-
wandels verläuft zurzeit entlang des soge-
nannten RCP 8,5 Szenarios. Dieses von
Wissenschaftlern erarbeitete Szenario für die
Representative Concentration Pathways
(RCP) bewirkt einen, im Vergleich zum
vorindustriellen Zustand, bis zum Jahr 2100
prognostizierten Temperaturanstieg von ca.
4,8° C – vorausgesetzt, der fossile Brennstoff
Kohle wird auch weiterhin zur Energie-
gewinnung eingesetzt. Bis zum Jahr 2500
würde das zu einer globalen Erderwärmung
von ungefähr 8° C, auf den Kontinenten
zwischen 11° C und 12° C führen. „Mit
diesen Werten“, so Prof. Schellnhuber weiter,
„würden wir eine ganze Reihe von Stopp-
schildern überfahren.“ Zunächst betroffen
wären das westantarktische Eisschild,
Grönland, die Korallenriffe; mit Werten ab
etwa 4° C Erderwärmung auch der Golfstrom
und andere Meeresströmungen. Schließlich
würde, bei einem Wärmeplus von ca.
6° C bis 8° C, der ostantarktische Eisschild
abschmelzen, was zu einem Anstieg des
Meeresspiegels von 70 Metern (!) führen
würde. Zum besseren Verständnis: Vor
20.000 Jahren lag der Meeresspiegel 120
Meter tiefer als heute, der große Fennoskan-
dische Eisschild reichte bis Berlin, die Alpen
bedeckte ein großer Gletscher, wovon später
„Restpfützen“ übrig blieben, die heute
Chiemsee, Starnberger See oder Ammersee
heißen.
„Wir sollten wirklich alles tun“, warnt
der Naturwissenschaftler, „um die Stopp-
und Warnschilder nicht zu überfahren! …
Bei der Diskussion über Lösungen sollten
wir die Wahl zwischen 1,5° C und 2° C
Erderwärmung endlich zum Stoppen
bringen …“
Bei der UN-Klimakonferenz 2015 in
Paris, sagt Prof. Schellnhuber, hat man wohl
auch die richtigen Beschlüsse gefasst. Doch
selbst die reichen nicht, um mit einem
blauen Auge davonzukommen: „Wenn wir
nicht verdammt viel Glück haben … dann
haben wir das Raumschiff Erde bereits auf
Grund gesetzt! Das ist die Situation.“
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im wirtschaftlichen, sozialen und vor
allem spirituellen Bereich.“ Dabei erinnert
sich der Naturwissenschaftler an das Pri-
vileg Zuhörer bei der Rede Nelson Mandelas
gewesen zu sein, mit der sich dieser bei
den Berkeley-Studenten für die Divestment-
Bewegung bedankt hat; für den Boykott von
Waren aus dem Apartheid-Regime, durch
den es dann letztendlich in die Knie gezwun-
gen wurde: „Der Sieg über die Apartheid“,
resümiert Prof. Schellnhuber, „wurde also
durch die Moral und nicht mit Waffengewalt
errungen. Nelson Mandela sagte damals, und
das ist seither mein Lieblings-Leitspruch:
‚Everything seems impossible until it’s done.’
Diesen Satz sollten wir uns immer vor Augen
halten.“ Dem ist, mit Blick auf Gegenwart
und Zukunft, nichts hinzuzufügen.
Gegen Ende dieses Jahrhunderts werden
ca. 11 Milliarden Menschen auf der Erde
leben. Prof. Schellnhuber resümiert: „11
Milliarden Menschen, 4° C Erderwärmung
und vielleicht 20 oder 30% Menschen,
die so viel besitzen wie die ärmere Hälfte.
Kann das gut gehen? Ich kann es mir nicht
vorstellen. Das heißt, alles ist falsch auf
diesem Planeten – obwohl wir im Wohlstand
leben! Die Früchte der industriellen Revolu-
tion sind großartig: Wissenschaft, Technik,
Medizin, all diese Dinge. Wir leben im
Paradies, zerstören es aber gleichzeitig. Das
ist die Wahrheit … Was müssen wir jetzt
tun, was können wir tun? Ich glaube es gibt
noch Hoffnung!“
Warnende, aufrüttelnde Worte und am
Schluss seines faktengeladenen naturwissen-
schaftlichen Beitrags zu den 20. Benedikt-
beurer Gesprächen doch noch Tröstliches aus
dem Munde einer hochdekorierten Kapazität
in der Klimafolgenforschung. Voraussetzung
für menschliche Zuversicht beim Gedanken
an die Zukunft ist „eine radikale Umkehr
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‘‘
’’Dr. Spandau
Papst Johannes Paul II. hat geholfen, den
Sowjetkommunismus zu besiegen. Ohne die
protestantische Kirche, wir haben es
vorhin gehört, lassen sich weder Friedens-
noch Umweltschutzbewegungen denken.
Die Kirchentage sind heute ein lebendiges
Zeugnis politischen Engagements. Nun
kommt die Enzyklika „Laudato Si“ mit vehe-
menter Technik- und Kapitalismuskritik, wie
wir heute bereits gehört haben. Sind poli-
tische Aktivitäten das neue Betätigungsfeld
von Christen? Oder anders gesagt: Muss
Kirche neutral sein? Oder muss Kirche Hal-
tung zeigen? Gerade in Bezug auf den Vortrag
von Prof. Schellnhuber und die dramatischen
Szenen, die wir von Frau Dieckmann
geschildert bekommen haben: Muss Kirche
neutral sein, oder muss Kirche Haltung
zeigen?
Diözesanbischof Dr. Hanke
Ich möchte die Frage ein bisschen umfor-
muliert beantworten. Glaube hat Öffentlich-
keitscharakter. Es gibt keinen privaten
Glauben. Das wäre ein deformierter Glaube.
Die letzten Worte Jesu an seine Jünger
lauteten: „Gehet hinaus in alle Welt. Verkün-
det der ganzen Schöpfung das Evangelium.“
Also, wir sind dazu berufen, Sauerteig zu
sein. Der Glaube muss Sauerteig sein. Des-
halb haben wir auch den Auftrag, die frohe
Botschaft des Evangeliums, zu der auch
unsere Verantwortung für die Mitmen-
schen, für das ganze Leben, für die Lebens-
welt gehört, wahrzunehmen und spürbar
zu machen. Das ist jetzt keine spezifisch
politische Schiene – vielleicht könnte es
eine werden. Aber ob es sich dann politisch
niederschlägt und in welcher Form der
Politik und welcher Partei, das ist die Ent-
scheidung des jeweils einzelnen Christen.
Aber die Öffentlichkeitswirksamkeit, die ist
uns mit auf den Weg gegeben.
Dr. Spandau
Ist dann die ökologische Krise eine Art
Offenbarung für die Kirche oder bringt sie
eine neue Anrede an die Gläubigen
mit sich?
Diözesanbischof Dr. Hanke
Die ökologische Krise als Offenbarung,
diese Sicht fällt mir etwas schwer. Denn wir
sind ja Mitverursacher der ökologischen
Krise!
D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
„L AU DATO S I – DI E U MWE LT-E NZ YKLI K A VON
PAP ST F R AN Z I S KU S – R ASC H G E LE S E N , G E SC HWI N D
KOM M E NTI E RT , SCH N E LL VE RG E S S E N?“
Abschließende Diskussion der Referenten und Teilnehmer.
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’’D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
Laudato Si, mit der Papst Franziskus wort-
und gedankengewaltig in die Umweltdebatte
eingegriffen hat. Ja, die Klimafrage wird in
der Enzyklika auch angesprochen – und das
auf bemerkenswert kundige und hellsichtige
Weise. Aber diese Thematik steht nicht
im Zentrum der Kirchenschrift, während sie
zweifellos der Gegenstand ist, um den mein
Buch kreist. Dabei bemühe ich mich, die
Vernunft als Navigationsprinzip zu nutzen,
während die Enzyklika selbstredend sich
vom Glauben leiten lässt. Insofern finden sich
in der Laudato Si und meinem Beitrag eine
Reihe von Gemeinsamkeiten, obwohl die
jeweiligen Befunde und Bewertungen das
Ergebnis völlig unterschiedlicher Auseinander-
setzungen mit Himmel und Erde sind.
Dieses Buch spricht somit, ebenso wie die
Enzyklika, nicht von einer fernen, mystischen
Apokalypse sondern von einem nahenden
profanen Desaster, auf das unsere Zivilisation
starrsinnig zusteuert. Der Begriff Selbst-
verbrennung erscheint mir für diese kollektive
Torheit durchaus angemessen.“ Ende des
Zitats.
Herr Prof. Schellnhuber, ist es wirklich
so dringend, dass wir mit solch kräftiger
Sprache auf die Problematik, die wir haben,
hinweisen, weil wir sonst die Kurve nicht
kriegen?
Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Die traurige Tatsache ist die, dass diese
Sprache noch untertreibt. Und das ist das
Resultat von 30 Jahren wissenschaftlicher
Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wissen Sie, viele meiner Kollegen und Kol-
leginnen sind über die Jahre hinweg einge-
schüchtert worden; im Wesentlichen durch
In der ökologischen Krise, wenn ich das
mal so salopp formulieren darf, ist die
Stimme Gottes an uns gerichtet, etwa derart:
„Wo bleibt eure Verantwortung? Ihr habt
einiges übersehen! Ihr kommt eurem Auftrag,
dem Auftrag, den ich euch gegeben habe,
zu bebauen, zu kultivieren, zu fördern nicht
nach!“ Also es ist eine Herausforderung.
In der ökologischen Krise steckt auch ein
prophetischer Aufruf.
Dr. Spandau
Herr Prof. Schellnhuber, Sie haben ein
Wort angesprochen, das wir auch heute
Morgen schon öfter gehört haben, und das
wir dann vielleicht auch in der Diskussion
noch einmal aufgreifen wollen. Sie haben
gesagt: der Aufruf zur Verantwortung. Etwas,
das aus meiner Sicht immer mehr verloren
geht, ist doch, dass die Menschen sich
trauen Verantwortung zu übernehmen –
auch Verantwortung fürs eigene Leben zu
übernehmen, anstatt sie zu delegieren.
Eine Situation, bei der wir wohl noch einmal
ganz intensiv nachhaken müssen, wenn wir
über andere Lebensstile reden. Meine
Damen und Herren, Sie haben es gestern
mitbekommen: Ich gehe durchaus Risiken
ein, wenn ich hier Bücher zeige. Da kann
man viel Ärger bekommen. Aber ich mache
nur das, was Prof. Schellnhuber schon
gemacht hat: Ich lege Ihnen sein Buch
„Selbstverbrennung“ ans Herz. Es ist dick,
aber unglaublich lesenswert! Ich habe das
nicht nur vorn angelesen, sondern bis ganz
hinten komplett durchgearbeitet. Und ich
möchte kurz aus Ihrem Buch zitieren. Darin
schreiben Sie, ich zitiere: „Dieses Buch
erscheint im selben Jahr wie die Enzyklika ‘‘
wir müssen bei den Investitionen jetzt
schon so massiv umlenken, dass wir
in vielleicht 15 oder 20 Jahren beispiels-
weise Verbrennungsmotoren auf deut-
schen, europäischen und weltweiten Straßen
überhaupt nicht mehr einsetzen müssten.
In Deutschland müssten wir spätestens in
15 Jahren die letzte Braunkohleförderung
schließen. Und wir müssten, um jetzt
eine ganz andere Seite zu betrachten, inner-
halb von fünf bis sechs Jahren ein welt-
weites Moratorium auf die Zerstörung von
Regenwäldern haben. Denn das wirklich
Bestürzende ist doch, durch die Emissionen
tun wir nicht nur das Falsche, wir töten
auch unsere besten Freunde. CO2 wird von
den Weltmeeren, von den marinen Öko-
systemen, vor allem aber auch von den tro-
pischen Kurssystemen gebunden und
aufgenommen.
Statt diese Ökosysteme zu fördern, zer-
stören wir sie auch noch in einer unglaub-
lichen Geschwindigkeit. Gerade habe
ich bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift,
die eine Art Roadmap erstellt – man muss
heute ja wohl immer so einen neudeutschen
Begriff verwenden – eine Arbeit eingereicht.
In dekadischen Stufen, Jahrzehnt für
Jahrzehnt bis 2050, wird hier gezeigt, welche
Maßnahmen geschehen müssen, um über-
haupt nur den Hauch einer Chance zu haben,
die Erderwärmung auf 2° C zu begrenzen.
Das beginnt bei der Reform des europäischen
Emissionshandels – wir können gleich noch
darüber sprechen – der in einem skandalösen
Zustand ist. Aber das geht bis tief in Lebens-
stile hinein; und auch darüber sollten wir
noch sprechen.
den Generalverdacht, ein Alarmist zu sein.
Wenn sie aber mit knapper Not ein bren-
nendes Haus gerade noch verlassen können
und „Feuer!“ schreien, sind Sie dann ein
Alarmist? Oder weisen sie vielleicht ihre Mit-
menschen darauf hin, dass vielleicht die
ganze Stadt Feuer fängt? Das ist die Situation.
Aber ich will das jetzt auch kurz auf Zahlen
herunterbrechen. Frau Dieckmann war
dabei, ich war dabei: In Paris ist in der Tat
das denkwürdige Ergebnis erzielt worden,
die Erderwärmung auf deutlich unter 2° C
zu begrenzen. Ob wir 1,5° C schaffen, lasse
ich mal dahingestellt. Das war auch ein
Entgegenkommen an die Entwicklungslän-
der, in diesem Fall durchaus zu Recht. Aber
was bedeutet das? Wir emittieren im Augen-
blick knapp 40 Milliarden Tonnen CO2
aus Bauwirtschaft, Verkehr, Industrie und
so weiter. Und innerhalb der nächsten drei
bis vier Jahrzehnte müssen diese Emissionen
auf null gefahren werden. Auf null! Also
nicht nur etwas reduziert. Das bedeutet,
die Moderne muss komplett neu erfunden
werden. Das geht natürlich nicht über Nacht.
Aber gewissermaßen über Nacht müssen
wir dafür die Grundlagen schaffen. Das heißt,
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’’D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
in den Nachwuchstrainerbereich zu
investieren? Nein, Sie holen den letzten
Stürmer von der Bank, den sie noch
haben – ob er nun Lewandowski, Götze
oder Müller heißt. Und Sie werfen alles
nach vorne, weil es besser ist, mit fliegen-
den Fahnen unterzugehen und 0:4 zu
verlieren, als sich gar nicht zu wehren.“
Im Augenblick sind wir genau in der 110.
Minute: Wir müssen alles gleichzeitig
nach vorne werfen, damit das Spiel Klima
gegen Menschheit schließlich doch noch
3:2 für die Menschheit ausgeht.
Dr. Spandau
Zwei Anmerkungen dazu: Wir wollen
natürlich auch beispielgebend sein. Deswe-
gen gibt es hier an diesem Ort freitags immer
nur fleischlos. Das gehört hier einfach dazu,
in der Hoffnung, dass so etwas vielleicht
auch von einigen Anderen übernommen
wird. Im Rahmen unserer Filmbühne haben
wir kürzlich den Film „Frisch auf den Müll“
gezeigt, in dem dargelegt wurde, dass jeder
von uns im Jahr 80 Kilogramm Lebensmittel
direkt wegwirft. Jeder von uns wirft sie
einfach weg, weil zum Beispiel das Mindest-
haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, und das
gibt uns das Recht, diese Lebensmittel
wegzuwerfen. Wie viel in den Supermärkten
aus den Regalen genommen wird, weil
morgen das Mindesthaltbarkeitsdatum
abläuft, das mögen wir gar nicht beurteilen.
In diesem Kontext möchte ich noch einmal
aufgreifen, was der Herr Bischof eben gesagt
hat: das Thema Verantwortung. Sie haben
im Magazin „Stadt“ der Robert Bosch Stiftung
geschrieben: „Die Welt kann nicht warten
auf den perfekten Plan, der von oben vorge-
geben wird. Sie muss von unten selbst
etwas in Gang bringen.“ Zeigen diese großen
Konferenzen nicht auch, und Sie haben es
ja soeben angesprochen, dass wir viel mehr
Jeder von uns kann über Nacht die Klima-
bilanz dieses Planeten verändern – indem er
zum Beispiel auf Schweinebraten verzichtet.
Das ist so! Also ich esse sowieso keinen,
seit ich in meiner niederbayerischen Heimat
jeden Sonntag in einem Wirtshaus einen
Schweinebraten essen musste, der im Wesent-
lichen aus Fett bestand, mit einer hauch-
dünnen Fleischschicht dazwischen und dick
mit Kümmel bestreut. Ich glaube, das isst
man hier im Voralpenland immer noch.
Mir aber hat das für immer die Lust auf
Schweinebraten verdorben. Was ich damit
sagen will: Die schnellsten Effekte beim
Klimaschutz könnte man in der Tat durch
veränderte Essgewohnheiten erreichen.
Allein 15 % aller Emissionen aus der Land-
wirtschaft könnte man vermeiden, wenn wir
Lebensmittel nicht mehr einfach weg-
schmeißen würden. Das ist erschreckend.
Das heißt, von den eigentlich absolut selbst-
verständlichen Maßnahmen – dem Respekt
vor Lebensmitteln, dem Respekt vor denen,
die sie sich nicht leisten können, bis hin
zu technischen Neuerungen und Reformen
von Institutionen – müssten wir im Augen-
blick quasi alle ergreifen! Ich will Ihnen ein
letztes Beispiel geben. In einer Diskussion
vorgestern in Hannover bin ich vom Cheflob-
byisten der deutschen Automobilindustrie
etwa in dem Sinne angesprochen worden:
„Ja, wir haben verstanden: Klimaschutz ist
sinnvoll, aber wir dürfen nichts überstürzen.
Wir agieren wie die Förster, die nach und
nach eine Generation von Bäumen wachsen
sehen.“ Er hat sich also einen grünen
Anstrich gegeben. Und ich habe dann gesagt:
„Nein, es ist anders. Es ist wie beim Champi-
ons League Finale. Wenn Sie im Champions
League Finale in der 110. Minute in der
Verlängerung 0:2 zurückliegen, was machen
Sie dann? Denken Sie dann darüber nach, ‘‘
Dr. Spandau
Wenn man auf die Homepage der Welt-
hungerhilfe schaut, dann wurden 2015 ver-
schiedene Forderungen an die großen Konfe-
renzen der Welt formuliert. Es wurden
Forderungen an die Klimakonferenz in Paris
formuliert, es wurden an den UN-Gipfel in
New York konkrete Forderungen zur nachhal-
tigen globalen Entwicklung formuliert, es
wurden Forderungen an die Finanzierungs-
konferenz, die in Äthiopien stattgefunden hat,
formuliert. Da haben Sie, Frau Dieckmann,
sich ganz deutlich geäußert. Sogar zur G7-
Konferenz haben Sie ganz explizite Stellung-
nahmen abgegeben, aber noch nicht zur
Laudato Si. Wir haben Sie ja zum Glück heute
eingeladen, um das hier korrigieren zu
können. Hat die Laudato Si dann vielleicht
doch nicht die Bedeutung wie diese anderen
Konferenzen?
Bärbel Dieckmann
Das ist eine interessante Frage in der
momentanen entwicklungspolitischen Szene
insgesamt. Herr Minister Müller hat ja vor
einigen Monaten in einer großen Rede in
Berlin damit begonnen, diese Frage zu stellen:
Was hat Entwicklungszusammenarbeit auch
mit den Religionen weltweit zu tun?
Bottom-up, also freiwillige Verände-
rungen aus der Gesellschaft heraus anstre-
ben müssen, als dass wir sie uns von oben
aufdrücken lassen? Waren die großen
Veränderungen, wir haben es hier gestern
Abend in unserem Rückblick von Sepp
Daxenberger gehört, nicht allesamt Verän-
derungen, die von den Menschen, von
Bottom-up also, ausgegangen sind?
Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Nein. Ich thematisiere das in meinem
Buch auch, in dem Kapitel „Klimaschutz
als Weltbürgerbewegung“. Ich habe das
früher auch immer gedacht. Aber wenn ich
einen öffentlichen Vortrag hielt, stand am
Schluss in der Regel ein älterer Herr auf und
sagte: „Die Lösung ist Kernkraft.“ Glauben
Sie mir, das ist nicht die Lösung. Aber
darüber können wir jetzt lange diskutieren.
Doch meistens stand dann auch eine ältere
oder auch jüngere Dame auf und fragte:
„Was kann ich als Einzelne tun?“ Früher
habe ich immer gedacht, das sei eine unpoli-
tische Frage: Wir haben den Emissionshandel,
wir haben Rahmenbedingungen, die wir
setzen, wir können Steuern einnehmen.
Aber dann habe ich irgendwann vor ein paar
Jahren begriffen, das ist die politischste aller
Fragen überhaupt: Was kann ich als Einzel-
ner tun? Zumindest in einer demokratischen
Gesellschaft geht alle Macht vom Volke aus:
als Konsument, als Wähler, als Kleinsparer,
als Investor, als was auch immer! Das größte
Unternehmen bricht in die Knie, wenn keine
Kunden mehr durch die Ladentür kommen.
Große Banken brechen zusammen, wenn die
kleinen Anleger ihr Geld abziehen. Mit
anderen Worten, die Politik muss die rich-
tigen Rahmenbedingungen setzen. Der Papst
kann ein großes Narrativ erzählen, das uns
Orientierung gibt. Aber für ihre eigene
Zukunft sind die Menschen schon selbst
verantwortlich.
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’’
D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
sind uns trotzdem immer bewusst, dass
es am Ende auch politische Entscheidungen
sein müssen, um die Weichen auf Erfolg
zu stellen. Und, Herr Prof. Schellnhuber, ich
stimme in sehr vielen Punkten mit Ihnen
überein. Aber ich bin nicht ganz so optimis-
tisch, ob der politische Druck von Wählern
und Wählerinnen in den vergangenen Jahren
wirklich groß genug war, um tatsächlich
politische Entscheidungen zu verändern.
Wenn Sie nämlich fragen, nach welchen
Kriterien wählen die Wähler? Dann ist das
Wahlmotiv nicht in erster Linie der Klima-
wandel, nein, man wählt aus ganz anderen
Gründen. Deshalb glaube ich, müssen wir
Politik und Willensbildung von unten
ergänzen. Das wird ohne politische Entschei-
dungen nicht gehen. Für mich ist da übri-
gens immer Al Gore ein ganz interessantes
Beispiel, dessen Haltung ich in den vergan-
genen Jahren sehr schätzen gelernt habe. Ich
habe ihn auch mehrfach erlebt. Als Vizepräsi-
dent der Vereinigten Staaten hat er Klima-
schutz nicht wirklich in Angriff genommen;
was uns wiederum zeigt, welche Abhängig-
keiten von ganz anderen Kräften es in der
Politik gibt. Vielleicht kommen wir in diesem
Punkt nachher auch noch mal zur Wirt-
schaft.
Dabei hat er sich natürlich nicht nur auf
den Katholizismus und den Protestantismus
bezogen, sondern vielmehr darauf, was zum
Beispiel Buddhismus in Myanmar und was
Hinduismus in Indien bedeutet? Wie weit
haben Religionen auch Einfluss auf politische
Entscheidungen? Vorher gab es eher bei den
Entwicklungsorganisationen – sicher nicht
bei Miserior oder Brot für die Welt – eine
Orientierung, wie wir sie vertreten haben:
Wir wollen einen säkularen Staat, denn nur
dann gibt es Religionsfreiheit. In vielen
Organisationen ist das auch schon der Fall.
Ich vertrete also eher die Meinung, dass
Religionen auch einen großen Einfluss auf
die Willensbildung der Menschen haben –
auch bei Entwicklungen, die eher kritisch für
uns sind. Deshalb bleibe ich trotzdem dabei,
nur ein säkularer Staat bedeutet Religions-
freiheit, und wir brauchen eben auch die
politischen Entscheidungen. Lassen Sie mich
bitte noch einen Satz dazu sagen, warum wir
dazu Stellung nehmen: In den acht Jahren
meiner Projektbesuche habe ich eigentlich
kein Projekt kennengelernt, bei dem ich
nicht sagen könnte, dass es den Menschen
dort, wo wir gearbeitet haben, hinterher
nicht besser ging als vorher. Aber da können
wir eine noch so gute Arbeit machen: Wir ‘‘
Diözesanbischof Dr. Hanke
Herr Prof. Fetzer, danke, dass Sie mich
direkt darauf schnell noch etwas sagen
lassen.
Frau Dieckmann, Sie haben natürlich
Recht. Ganz klar, bei den Wählern hatten
Klimapolitik und Umweltpolitik nicht
die Priorität bei den letzten Wahlen. Aber
weshalb nicht? Weil wir es noch nicht
geschafft haben, die mentale Revolution in
unseren Köpfen und Herzen zu vollziehen.
Und daran, glaube ich, müssen wir arbeiten.
Dann wird sich auch die Politik ändern.
Dr. Spandau
Herr Prof. Fetzer, bevor sie auf Prof.
Schellnhuber eingehen: Rockefeller, das
Symbol des Raubtierkapitalismus, das
Symbol für unermesslichen Reichtum, steigt
aus dem Ölgeschäft aus und investiert in
Zukunft nur noch ökologisch. Das haben
wir Zeitungsberichten entnehmen können.
Rockefeller wird zum Gutmenschen,
der schlicht ausgerechnet hat, wo unterm
Strich die bessere Rendite erspielt wird,
schreibt der Tagesspiegel am 29. März dieses
Jahres. Und auch unsere Stifterin, die
Allianz, hat 2015 angekündigt, nicht länger
in Bergbau- und Energiefirmen zu investie-
ren, die mehr als 30 % des Umsatzes aus
der Stromerzeugung mit Kohle generieren.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges
Zeichen. Da müsste ihr Herz doch regel-
recht höherschlagen?
Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Ich würde gerne noch eine Replik machen.
Dieses Argument verstehe ich natürlich. Ich
sage nicht, dass die Politik in den Institu-
tionen keine Rolle zu spielen hat. Aber man
darf nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, und das habe
ich hautnah erlebt. Ich kenne Angela Merkel
seit dreißig Jahren und habe sie bei mancher
Gelegenheit beraten. 2011 ist im März
etwas geschehen, das die Welt verändert hat:
das große Erdbeben, der Tsunami und dann
der Reaktorunfall in Fukushima. Die Politik
musste darauf innerhalb von zwei Tagen eine
Reaktion entwickeln. Sie wissen, Angela
Merkel hat sich der Presse gestellt und gesagt:
„Obwohl wir gerade vor ein paar Monaten
einen Verlängerungsplan für die Kernkraft in
Deutschland beschlossen haben, machen wir
jetzt eine Kehrtwende um 180 Grad.“ Es gab
natürlich die verschiedensten Reaktionen –
von Häme bis Entsetzen, doch es gab auch
Beifall. Aber glauben Sie, dass diese Entschei-
dung gefallen wäre, wenn nicht jede Befragung
auf der Straße gezeigt hätte, dass 95 % der
Menschen erwarten, dass genau das geschieht,
und wenn nicht dreißig Jahre lang eine
Anti-Atomkraft-Bewegung aufgebaut worden
wäre? Deswegen Folgendes: Es müssen
verschiedene Dinge zusammenkommen –
die Natur muss zu uns sprechen, und das
wird sie spätestens beim nächsten Hurricane
oder bei der nächsten Sturmflut. Da können
Sie ganz sicher sein. Und ihre Sprache wird
immer deutlicher werden. Die Grundstim-
mung in einer Bevölkerung muss sein, dass
wir die Bewahrung der Schöpfung wichtiger
nehmen, als nur immer reicher zu werden.
Dann wird die Politik auch die richtigen
Entscheidungen treffen; jedenfalls wenn es
Politiker sind, die ihrer historischen Verant-
wortung gerecht werden.
7 0 7 1
’’D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
nehmen. Denn dann brauchen Verände-
rungen mehr Zeit, als uns die Klimaforschung
im Moment sagt. Und wie man diesen Zeit-
Gap auflöst, weiß ich auch nicht. Das ist in
der Tat ein Problem. Nur, was macht man
jetzt daraus?
Das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik
gibt es jetzt seit 1993 und Wirtschaftsethik
schon ein bisschen länger. Im Wesentlichen
geht es immer um drei Themen: die Werte-
ebene, die Unternehmensebene, die Makro-
ebene und darum, diese drei Ebenen zu
verknüpfen. Was sind wirtschaftsethische
Fragestellungen? Worum geht es eigentlich
bei den Wertethemen? Bei den Panama
Papers, zum Beispiel, geht es schon längst
nicht mehr um die Frage, wie das Geld hin-
und hergeschoben wird. Da geht es um
eine ganz andere Frage, nämlich: Wie viel
Privatheit ist überhaupt noch legitim?
Welche Form von Nichttransparenz wird in
der Gesellschaft in fünfzig Jahren noch akzep-
tiert sein? Ob die Welt besser wird, wenn
Transparenz zum Selbstzweck wird, ist eine
ganz andere Frage. Werteebene heißt:
Verstehen, welche Fragen da enthalten sind.
Herr Schellnhuber, ich kann es gar nicht
glauben, dass es tatsächlich noch Menschen
gibt, die sagen, dieses Phänomen gibt es
nicht.
Das Zweite ist die Unternehmensebene –
auch eine eigene Ebene; und dann, wie
gesagt, ist da drittens noch die Makroebene.
Die Frage ist, was passiert auf welchen
Ebenen? Individualebene Unternehmen und
Gesamtgesellschaft – das ist schon etwas,
worüber man ein bisschen nachdenken kann;
und die meisten, die mit viel moralischer
Empathie an die Sache herangehen, geben
Prof. Dr. Fetzer
Also die Frage, wobei mein Herz höher-
schlägt, gehört eher nicht auf dieses Podium.
Aber es ist zumindest ein Zeichen dafür, dass
es Veränderungen gibt. Herr Prof. Schelln-
huber würde natürlich sagen, es geht alles
viel zu langsam. Das ist auch vollkommen
richtig. Ich bin jetzt wohl auch ein bisschen
polemisiert worden; ist natürlich auch ein
bisschen Rollenspiel. Wenn Sie mich fragen
würden: „Wo stehen Sie denn jetzt eigent-
lich? Was hat das jetzt mit dieser Wirtschafts-
ethik auf sich, die ich hier natürlich auch als
Vorstand des Deutschen Netzwerks Wirt-
schaftsethik vertrete?
Dr. Spandau
Dann formuliere ich meine Frage um:
Wann schlägt ihr Herz höher?
Prof. Dr. Fetzer
Das interessiert Sie jetzt gar nicht.
Dann würde ich natürlich sagen, wir sind
so ein bisschen die Wirtschaftsversteher
unter den NGOs.
Dr. Spandau
Das ist schon einmal kein Nachteil.
Prof. Dr. Fetzer
Das ergibt einen unterschiedlichen
Sprachduktus. Wenn ich die Audi-Gespräche
geführt hätte oder wir die Förster wären, die
langsam umsteuern – das muss man immer
peu à peu machen. Da wäre ich, denke ich,
vollkommen dabei. Damit wurde auch
ganz sicher vor 40 Jahren angefangen, als
man das schon alles wusste. Das heißt, diese
Frage ist richtig. Wir können Drohszenarien
malen ohne Ende, besonders wenn wir
Kulturfragen und Denkmentalitäten mit- ‘‘
unmittelbar vor der Wertungsfrage auf.
Dann müssen wir uns alle ändern, oder man
sucht irgendeinen Sündenbock. Dabei haben
wir immer die Aufgabe, ein bisschen mehr
Komplexität reinzukriegen, weil es da auch
recht verstörende Sätze gibt. Aus unserem
Stall stammt zum Beispiel so ein Satz: „Wir
müssen solidarisch sein.“ Natürlich muss
die Welt solidarisch sein. Dann kommt der
Kollege Homann und sagt: „Na ja, Wettbe-
werb ist das beste Mittel zur Verwirklichung
der Solidarität aller Menschen, also brauchen
wir mehr Wettbewerb.“ So würde das heute
natürlich niemand sagen. Aber es stellt
sich die Frage, welche Instrumente in einer
anonymen, globalisierten Welt tatsächlich
solidaritätsfördernd sind; und ob die immer
nur im Herzen sein müssen. Ich glaube,
ohne Herz geht es nicht. Aber gibt es nicht
auch Instrumente, bei denen wir emotional
vielleicht sagen, die sind uns unsympathisch?
Manchmal muss man da eben auch gegen
den Strich denken, und das ist eine unserer
Aufgaben. Ich möchte das mal an einem
Solidaritätsbeispiel klarmachen: Korruption
wird glücklicherweise in der Enzyklika als
eines der Themen angesprochen. Ich bin in
einem Bauunternehmen aufgewachsen,
und da hat sich in den 60er-Jahren der
Innungsobermeister noch hingestellt und
gesagt: „Wir machen uns doch mit den
Preisen wechselseitig das Leben schwer. Wir
müssen solidarisch sein.“ Wenn Menschen
Solidaritätsgefühle unter den Teilnehmern
der gleichen Marktseite haben, dann nennt
man das heute Kartellabsprachen. Irgend-
wann unter Ludwig Erhard – ist die Brigade
Erhard losgelaufen und hat gefordert: „Wir
brauchen ein Kartellrecht!“ Wie auch immer,
erst Ende der 90er-Jahre gab es erst einmal
vernünftige Regelungen – und es gab die
Kronzeugenregelung. Im Moment fliegen alle
Kartelle auf. Wir bauen jetzt gerade ernsthaft
das Vermächtnis von Ludwig Erhard in
unsere Rechtsordnung ein. Das sind lange
Prozesse, die man dann aber auch in dieser
Dimension deuten soll; und es ist nicht
immer gleich die moralische Intuition, die
uns zu einer Antwort führt.
Kommen wir zu den Makrofragen.
Also, wenn der Klimaforscher politisch wird,
wechselt er dann gleich die Szenerie? Ich
denke, es gibt da schon auch eine natürliche
Nähe zwischen den Feldern. Ich bin stark
von Luhmann1 geprägt: Wissenschaftssystem,
Politiksystem, Wirtschaftssystem und in der
Frage der moralischen Orientierung. Da
haben Kirchen die Aufgabe, auch solche
Werte anzusprechen, die vielleicht auch in
den anderen Systemen nicht so arg kontra-
produktiv sind. Irgendwie gehören die
zusammen, wir haben das in der Adenauer
Stiftung beim Thema Gemeinwohl mal so
gemacht. Jedenfalls ist eine gute Gesellschaft
eine Gesellschaft, in der die eben genannten
vier Themen gleichberechtigt zusammen-
wirken und wo nicht eines der Systeme –
auch nicht das ökonomische – dominiert.
1 Niklas Luhmann (1927 – 1998), deutscher Soziologe
und Gesellschaftstheoretiker
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D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
Ich finde die Idee, diese Themen
zusammenzuführen, und die Idee, die zum
Beispiel Horst Köhler in diesem Zusammen-
hang immer propagiert, die Welt als globale
Partnerschaft zu denken, wunderbar –
sich also einfach mal die Frage zu stellen,
wer hat dabei welche Aufgabe zu erfüllen.
Also, jetzt haben wir 17 Weltziele, unter-
teilt in 169 Einzelziele. Diejenigen mit dem
politischen Gedanken im Kopf stehen schon
alle da und sagen, jetzt müssten wir einmal
so eine Welt-Planwirtschaft „Wer macht
was?“ aufstellen. Dann brauchen wir beglei-
tende Monitorings, Messungen und so
weiter …
Leute, Wirtschaft funktioniert anders –
und globale Wirtschaft sowieso! Wo sind
die richtigen Anreize? Damit sind wir
beim Emissionshandel, wo zum Beispiel
das Thema Anreize setzen überhaupt nicht
vorkommt. Es gibt aber auch Gefangenen-
dilemma-Situationen. Das ist unser täg-
liches Brot in der Wirtschaftsethik: Eigent-
lich wollen alle das Gleiche und Gute,
sie tun es aber nicht! In der Endphase der
Finanzkrise konnten Sie mit keinem Banker
reden – jedenfalls nicht im Vertrauen – der
beim Wein nicht gesagt hätte: „Natürlich
geht das den Bach runter. Aber wenn ich als
Erster aussteige, verliere ich meinen Job.“
Es gibt einfach Chicken Games, Feiglings-
spiele: Wer zuerst bremst, hat verloren.
Wenn das die Spielregel ist, dann frage ich
Sie, wie heben wir das auf? An dieser Stelle
könnten wir lange konsensorientiert disku-
tieren. Dass ich an dieser Stelle Wert auf
andere Akzente lege – selbst in der Hoffnung
und mit dem Vertrauen, dass sich der Einsatz
lohnen würde – gehört ein bisschen zur
Wenn ich jetzt aber den Systemwechsel
einleite und sage, ich kann ausrechnen, dass
wir jetzt ganz schnell sein müssen, dann
haben Sie genau die Fragen, die Hans Jonas
im letzten Kapitel, im „Prinzip Verantwor-
tung“, schon gestellt hat. Wenn es eilig wird,
wenn Sie Gesellschaften schnell umbauen
wollen, dann können Sie nicht mit Demokra-
tie, Wertevermittlung und Ordoliberalismus
arbeiten. Und diese Frage hat Hans Jonas
präzise gestellt. Denn die schnelle Industria-
lisierung hat Stalin in Russland besser hin-
gekriegt als die Engländer. Die Frage ist,
wollen wir das? Oder müssen wir nicht auch
feststellen, es gibt Menschenrechte, es gibt
Freiheitsrechte. Wir haben die Idee einer
freien Welt, zu der auch gehört, dass wir über-
haupt noch leben, keine Frage. Gehören da
nicht auch alle gleichberechtigt zusammen?
Wir müssen immer ausbalancieren, wo
wir die Dringlichkeit der Aufgaben sehen
und wo sie in Konflikt gerät mit anderen
gesellschaftspolitischen Aufgaben. Ich sage
Ihnen nicht etwa, dass ich hier die Welt-
formel habe. Sondern ich sage, dass wir bei
diesen Makrothemen auch ein bisschen
vorsichtig sein müssen. Und ich bin begeis-
terter Propagator der Nachhaltigkeitsziele. ‘‘
Polemik. Wir können uns dann ja hinterher
noch zusammensetzen und diesen Weltplan
fertigstellen.
Dr. Spandau
Also hochspannend! Wir werden auch
darauf gleich noch tiefer eingehen. Haben
Sie bitte Verständnis, wir müssen Bischof
Gregor Hanke vorher noch verabschieden.
Diözesanbischof Dr. Hanke
Ich würde es auch gern hören!
Dr. Spandau
Das heißt, Sie haben noch mehr Zeit?
Diözesanbischof Dr. Hanke
Die Firmung muss warten.
Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Zunächst einmal, ich finde das sehr
interessant, Herr Fetzer. Ich finde es auch
gut, dass ich mit Ihnen hier sitze und Sie
mein Sparringspartner sind. Ich wollte
sie nämlich auch etwas fragen. Erstmal zur
Spieltheorie, mit der ich mich auch ein
bisschen befasst habe. Sie ist ja von John
von Neumann entwickelt worden, einem
bekannten theoretischen Physiker. Und
die Spieltheorie sagt im Wesentlichen –
Gefangenendilemma und dergleichen –
dass Menschen halt am Schluss doch ihren
Eigennutz zu maximieren versuchen. Und
dass am Schluss im Grunde genommen alle
angeschmiert sind, das Kollektiv sowieso.
Das Interessante ist aber, im Institut für
Advanced Studies in Princeton, wo ich auch
einmal gearbeitet habe, da haben diese
frühen Spieltheoretiker versucht, das in
der Wirklichkeit nachzustellen. Als Versuchs-
kaninchen haben Sie die Sekretärinnen
genommen. Die Spieltheoretiker waren
völlig erbost darüber, dass sich diese
Frauen viel solidarischer verhalten haben,
als in der Theorie vorhergesagt. Das hat
einfach nicht funktioniert. Der Mensch hat
sich hier also nicht als Homo oeconomicus
maximiert, sondern er hat sich solidarisch
verhalten. So viel zur Spieltheorie. Insofern
ist deren Reichweite für die Wirklichkeit
sehr begrenzt.
Zweite Bemerkung: Wenn ich Sie richtig
verstanden habe – aber vielleicht sagen Sie
es noch einmal oder bestätigen das – haben
Sie eine Art Gegensatz konstruiert zwischen
einer freiheitlich-demokratischen, toleranten,
diskursiven Gesellschaft und der schnellen
Lösung von Problemen. So nach dem Motto:
Das Zentralkomitee der Kommunistischen
Partei Chinas kann schnell was lösen, aber
wir können es nun einmal nicht. Das heißt,
Sie konstruieren meiner Meinung nach
einen falschen Gegensatz zwischen Freiheit-
lichkeit und angemessener verantwortungs-
voller Reaktion auf ein großes Problem.
Ich glaube im Gegenteil, dass freiheitlich-
demokratische Gesellschaften die einzigen
sind, die wirklich große Probleme lösen
können.
Dritte Bemerkung: Ich hab’ da mal so
eine Idee, und dazu möchte ich jetzt den
Wirtschaftswissenschaftler gerne etwas
fragen – oder den Wirtschaftsethiker, wie
auch immer. Sie sind ja ein multiples
Talent, glaube ich: Wir haben das vor
Kurzem mit sehr angesehenen Ökonomen
diskutiert. Ich glaube, es gäbe eine sehr
gute Möglichkeit, bei der wir aber, wie
stets bei politischen Entscheidungen, am
Schluss die Wertfrage stellen müssen.
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’’D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
bezahlen mussten. Zum Beispiel für
CO2-Emissionen und dergleichen. Was wäre
denn, wenn wir diesen Deutschlandfonds
speisen würden mit einem Gemeinwohlanteil
bei der Vererbung: progressiv 50 % bei großen
Vermögen, arme Leuten zahlen gar nichts
ein. Was glauben Sie, wie schnell wir die
nötigen Gelder zusammen haben? National-
fonds, die sich durch das Weitergeben unse-
res Vermögens an künftige Generationen
ergeben, wären bei unserem Klimaproblem
völlig logisch. Sie können also gern eine
Individualkomponente behalten, geben aber
einen Teil dem Gemeinwohl weiter. Was
halten Sie von diesem Vorschlag?
Dr. Spandau
Ein wunderbarer Vorschlag, das disku-
tieren wir gleich. Übrigens, das Zentrum
für Umwelt und Kultur bekommt auch
etliche Erbschaften, wodurch dann wieder
die Bewahrung der Schöpfung entsteht. Also
da ist schon auch Einiges in Bewegung
gekommen. Herr Bischof, bevor sie gehen,
eine kurze Frage: Wie lange Sie antworten,
ist jetzt ganz Ihre Sache. Was nehmen Sie
heute aus Benediktbeuern mit?
Diözesanbischof Dr. Hanke
Dass hier offen diskutiert werden darf.
Dass wir weiterhin, um zum Ziel zu kom-
men, diskutieren müssen – und darauf
möchte ich noch eingehen: Ich habe mich
jetzt an eine Situation erinnert, die Psycho-
therapeuten ja immer wieder unterkommt.
Herr Prof. Schellnhuber hat Eckdaten
genannt, die ganz klar evident sind. Daran
ist nicht zu rütteln. Das ist die Zukunft.
Prof. Fetzer hat auch Realitäten benannt,
nämlich dass der Wandel nicht so leicht zu
machen ist. Dass wir die menschliche
Was wir wissen, ist, dass heute auf der
Welt etwas ganz Paradoxes vor sich geht:
Wir haben einen Liquiditätsüberdruck. Das
heißt, Billionen flottieren um den Erdball
und landen in Panama oder sonst wo,
gleichzeitig haben wir einen ungeheuren
Investitionsstau.
Die beiden Partner kommen nicht zusam-
men, die Ehe wird nicht vollzogen. Beim
Klimaschutz wissen wir genau, wo wir
investieren müssten, doch das Geld dafür
ist angeblich nicht da. Das liegt auf Privat-
konten, noch und nöcher. Jetzt kommt
meine Lösung des Problems, das ist wahr-
scheinlich völlig naiv, denn ich bin Physiker.
Es ist eine Idee, die beim ökonomischen
Diskurs entstanden ist. Ich habe viel zu
tun mit dem norwegischen Staatsfonds. Die
Norweger haben sich inzwischen auch
entschieden, aus der Kohleförderung aus-
zusteigen. Mit seinen 800 bis 900 Milliarden
Euro ist der norwegische Staatsfonds der
größte der Welt. Das Geld wird angelegt in
Aktien, sicherlich, aber auch nach ethischen
Gesichtspunkten. Das Parlament hat beschlos-
sen, aus der Kohleförderung auszusteigen.
Genau solche Nationalfonds bräuchten wir,
um die entsprechenden Infrastrukturmaßnah-
men durchzuführen – für Elektromobilität
oder wofür auch immer. Was wäre denn,
wenn wir einen Deutschlandfonds auflegen
würden, den man zum Beispiel aus der
CO2-Steuer speisen könnte oder so. Aber ich
habe eine weitergehende Idee: Wenn Sie
etwas vererben, dann ist das etwas, was an
künftige Generationen weitergegeben wird.
Aber strikt privatisiert: Sie geben es nur
weiter an Ihr eigenes Fleisch und Blut. Das
Vermögen ist jedoch aufgehäuft worden,
indem Sie die Externalitäten niemals ‘‘
Schwerkraft bedenken müssen und dass
die Wirtschaft gewisse Eigendynamiken hat.
Was Sie jetzt von den großen Wirtschafts-
konglomeraten schildern, erlebe ich ja im
privaten persönlichen Bereich genauso. Ich
meine, ich verhalte mich da auch oft doppel-
bödig. Ich will ökologischer sein, muss
mich aber anders verhalten. Heute Morgen,
zum Beispiel, habe ich mit Blick auf diese
Tagung überlegt, ob ich nicht von Eichstätt
aus mit dem Zug anreise. Dann hätte ich
es aber bis 9:30 Uhr nicht geschafft …
Dr. Spandau
Wir geben das gern an die Bahn weiter.
Diözesanbischof Dr. Hanke
... Also habe ich mich entschlossen,
mit dem Wagen zu kommen. Das ist ein
Kompromiss und entspricht nicht ganz
meinem Ideal, das ich eigentlich gerne gehabt
hätte. Gut, aber jetzt noch mal zurück zu
dieser therapeutischen Situation. Es muss
etwas geschehen. Gibt es denn, eine Frage
an Sie beide, Prof. Schellnhuber und
Prof. Fetzer, gibt es denn nicht die Möglich-
keit, zwischen einem unveränderlichen
Eckdatum und einer Situationsbeschreibung,
die auch viel Realität in sich trägt, einen
Prozess in Gang zu setzen? In der Psycho-
therapie spricht man oft von der paradoxen
Intervention, die dann plötzlich den Knoten
löst. Eine solche paradoxe Intervention
haben wir ja auch im Gesellschaftspoli-
tischen erlebt, nämlich mit Fukushima. Auf
einmal ging da etwas, auf einmal kam ein
Prozess in Gang, den man politisch so nicht
hätte planen können. Meine Frage: Gibt es
nicht auch dieses Instrumentarium, mit dem
wir einen Prozess in Gang bringen können,
der wirklich diese beiden Realitäten mitein-
ander vermengt, um dem Ziel näher zu
kommen? Ich bin ja kein Wissenschaftler.
Und ich denke hier als Laie an die nicht ganz
einfache Aufgabe zurück, die ich 1993/94
hatte: mein Kloster mit allen seinen Betrie-
ben auf Ökologie umzustellen. Die erste
Kapitelsitzung: „Das geht nicht. Wie soll das
gehen?“ Zu dritt haben wir dafür plädiert,
die anderen waren hervorragende Bedenken-
träger, die auch tatsächlich Argumentations-
hürden aufgebaut hatten. Die musste man
nun ehrlicherweise überspringen, um ans Ziel
zu kommen. Das ist jetzt natürlich ein
Beispiel auf niedriger Ebene. Ich habe dann
einen Prozess in Gang gesetzt, habe Fach-
leute von außen geholt und immer wieder
den Konvent in Situationen versetzt – durch
eine Bildersprache und viele, viele Gespräche.
Nach einem Jahr ist die Abstimmung nicht
nur mit absoluter Mehrheit, sondern mit über-
wältigender Mehrheit für die Umstellung auf
Ökologie, für die komplette Umstellung des
Klosters in allen Bereichen vonstatten gegan-
gen. Klar, das ist ein definierter, kleiner,
familiärer Bereich. So ein Kloster ist schließ-
lich keine offene Gesellschaft, in der ja noch
wesentlich andere Faktoren zu berücksich-
tigen sind. Aber jetzt will ich aufhören und
lieber hören: Kann man denn nicht so
einen Prozess initiieren?
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Erbschaftssteuer-Urteil? Natürlich zitiere
ich dann einen der Väter der sozialen Markt-
wirtschaft, der sagte: „Das Vererben ist das
Überbleibsel einer feudalistischen Gesell-
schaft.“ Wenn wir in Individuen denken,
dann fängt jedes Individuum neu an, und das
Einzige, was an dieser Stelle hilft, ist eine
Erbschaftssteuer von 100 %. Das kann ich an
dieser Stelle sehr wohl sagen, würde mich
aber erst noch einmal mit den katholischen
Freunden abstimmen. Weil dadurch natür-
lich das Thema Familie als Kern der Gemein-
schaft an Bedeutung verliert. Gut, wir
können das ja mal denken, und da bin ich im
Prinzip sofort dabei. Und ja doch, einfach
auch mal kurz darüber nachdenken, ganz wie
Papst Franziskus es jetzt in dieser Enzyklika
fordert. Die Risiken und Nebenwirkungen
eben nicht in andere Systeme zu denken und
dann sagen: Was bedeutet das für Familien –
also nicht nur für Familienunternehmen
steuerlich oder so, das ist jetzt gar nicht wich-
tig – sondern was bedeutet das langfristig für
die Beziehungsstrukturen? So etwas darf
man dann auch mal mitdenken, und da wäre
ich auch durchaus dabei. Sie sehen also,
wenn wir uns einigen, gibt es wieder ein
neues Thema.
Aber was wirklich wichtig ist: Natürlich
ist die Welt nicht so, und die Spieltheorie
funktioniert nur dann, wenn die Leute
gar nicht miteinander reden können. Wir
wissen aber doch, dass wir miteinander
reden können. Wir sind 7,3 Milliarden
Menschen weltweit, und hier bei uns rund
80 Millionen. Im politischen System in
Berlin – ich nehme das immer wahr – ist
es höchst spannend, ob es denn klappt,
dass zwei Ministerien mal miteinander reden
oder nicht. Ressort-Logiken haben eine ziem-
lich hohe Eigenlogik. Und es steckt schon
Einwurf Dr. Spandau
Das heißt, Sie haben immer noch Zeit?
Wunderbar!
Diözesanbischof Dr. Hanke
Ich hab’ heute schon eine ökologische
Sünde begangen, indem ich mit dem Auto
angereist bin. Ich beichte hier gleich die
zweite: Wir werden uns nicht in allem immer
an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten.
Dr. Spandau
Bitte, Herr Prof. Fetzer.
Prof. Dr. Fetzer
So, der Therapeut hat …
Diözesanbischof Dr. Hanke
Ich bin kein Therapeut.
Prof. Dr. Fetzer
Na ja, Sie haben ja diese Rolle gerade
eingestellt.
Dr. Spandau
Wie führen wir diese Welten zusammen?
Prof. Dr. Fetzer
Na ja, ich wurde jetzt jedenfalls erstmal
in eine Rolle gebracht, und da muss ich
jetzt dringend wieder raus, aus dieser Beden-
kenträgerrolle des Bremsers und so weiter …
Da hab ich jetzt null Bock drauf, um das mal
ganz vorsichtig zu sagen. Und diese Prozes-
se, die gibt es natürlich. Und dass man in so
einem Gespräch eine bestimmte Position
einbringt, das macht schon Sinn. Da bin ich
auch sofort dabei. Bei der Erbschaftssteuer
gab es schon vor einem Jahr oder vor andert-
halb Jahren das Urteil vom Bundesverfas-
sungsgericht. Da klingelte bei uns das Tele-
fon: Ist die Welt jetzt gerechter mit diesem ‘‘
ziemlich viel Realitätsgehalt drin, sich
auch mal vorzustellen, dass wir nicht ständig
mit jedem anderen reden müssen, sondern
eben jeder seine Peergroups um sich hat
und jeder seine Eigenlogiken entwickelt und
pflegt. Wir müssen die Veränderungen der
Gesellschaft auch so denken, dass wir sie
zumindest in Teilen weiterhin zur Kenntnis
nehmen. Für die Wirtschaft heißt das, sie ist
an dieser Stelle ganz schlecht aufgestellt.
Sie haben das mit dem Fußballspiel ange-
sprochen: Wenn man nur noch eine Viertel-
stunde Zeit hat und man 0:2 zurückliegt –
genauso ist das in der Weltgesellschaft: Der
Schiedsrichter ist schon längst gegangen,
ein paar Büsche sind gepflanzt, dann steigt
man plötzlich um von Fußball auf Faust-
kampf, weil man dann nämlich gewinnt –
wenn man entsprechend aufgestellt ist. Das
ist die eine Gefahr. Das heißt, wir haben
bisher keine Weltgesellschaft, in der wir
sagen können, dass all das, was wir gelernt
haben in der sozialen Marktwirtschaft –
Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsrecht, Eigen-
tumsordnung, Kartellrecht und so weiter
auch weitgehend vorherrscht.
Der Papst schreibt über grüne Gentech-
nik, da entstehen Oligopole. Das mag bei uns
nicht so schlimm sein, wir haben hier eine
Missbrauchsaufsicht. Aber in Kenia gibt es,
denke ich, keine Missbrauchsaufsicht für
große Unternehmen, da habe ich eine ganz
andere Situation. Die Wirtschaft muss
lernen, dass sie nicht nur ein wirtschaftlicher
Akteur ist, der spielt, sondern auch gleich-
zeitig und ständig einer ist, der durch sein
Spielen Regeln setzt. Die Verantwortung
für diese Spielregeln weist die Wirtschaft
meistens noch sehr stark von sich: „Das ist
ja gar nicht unser Job, damit haben wir gar
nichts zu tun.“ Faktisch aber ist die inter-
nationale Wirtschaft natürlich längst ein Regel-
setzer und damit in einer politischen Rolle.
Jedoch würde ich eben nicht sagen, das liegt
alles an Eigennutz und Gier, sondern es liegt
vielmehr daran, dass sie diesem Teil ihrer
gewachsenen Verantwortung überhaupt
nicht gerecht wird. Weil sie diesen Part nicht
gelernt hat, weil dieser Teil unternehmerischer
Verantwortung in unseren Strukturen nicht
enthalten ist.
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tiefem Misstrauen erfüllt. Aber ich finde
es trotzdem großartig. Also, vieles von dem,
was sie eben sagten, kann ich unterschrei-
ben. Gerade die Wirtschaft, die sich nicht
einfach zurücklehnen darf, sagt: „Schafft uns
level playing field...“, wie das im internatio-
nalen Jargon so schön heißt, „perfekte
Rahmenbedingungen für jedermann, dann
liefern wir auch.“ Nein, natürlich ist die Wirt-
schaft eine der großen Gestaltungsmächte
der Wirklichkeit.
Doch zurück zu Ihrem therapeutischen
Ansatz: Paradoxe Interventionen. Im Augen-
blick werden wir, glaube ich, eher von kog-
nitiver Dissonanz beherrscht. Davon,
dass wir, entgegen aller Evidenzen, nach
wie vor mehr das Falsche tun. Aber Para-
doxe Interventionen kann es geben. Eines
meiner Hobbys ist die Geschichtsforschung.
Deshalb steht in meinem Buch auch sehr
viel über historische Entwicklungen; und
es lehrt, dass in der Regel, also in normalen
Zeiten, die Beharrungskräfte riesengroß sind.
Ein etabliertes, funktionierendes System,
ein „never change a running system“ birgt all
die Inertien – die Trägheit, die Bedenken, die
Zweifel – wie sie Herr Fetzer beschreibt.
Kinder spielen am Waldrand Fußball.
Plötzlich kippt das Tor um. Dann sagt man:
„Halt, stopp, Spielpause!“ Gibt es ein
Foul, heißt es wieder: „Halt, stopp, Spiel-
pause!“ Das ist das Thema: Wir müssen
lernen, schnell zu reagieren und ständig die
Seiten zu wechseln. Jetzt spielen wir im
Wettbewerb, und müssen plötzlich mit den
anderen reden, um die Spielregeln neu zu
definieren. Dieser ständige Wechsel der
Seiten, noch verstärkt durch die Globalisie-
rung, ist großen Teilen der Wirtschaft bei
ihrer Mitverantwortung überhaupt noch
nicht bewusst. Das heißt natürlich, dass es
im responsible lobbying beim Mitwirken an
der Politik auch weiterhin nach dem Motto
gilt „Was nützt es uns?“ Wir beeinflussen
die Politik so, wie es uns nützt. Ich glaube
allerdings, die katholische und die evan-
gelische Kirche beeinflusst die Politik auch
gerne in der Art, wie es zu ihrer Denkweise
gehört. Aber ich möchte nicht immer nur
polemisieren, und sage deshalb an dieser
Stelle: Die Wirtschaft ist nicht nur ein wirt-
schaftlicher Akteur, sie ist auch zum Regel-
setzer in der globalen Welt geworden,
weil andere Regelsetzer fehlen. Sie wird
aber dieser Aufgabe nicht gerecht. Den Mit-
telteil der Enzyklika könnte man als Ein-
ladung betrachten, wie wir durch vernetztes
Denken diese Verantwortung mehr wahr-
nehmen.
Dr. Spandau
Wir müssen Prof. Schellnhuber noch zu
Wort kommen lassen!
Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Ganz kurz, Herr Bischof. Zunächst stelle
ich fest, dass Herr Fetzer und ich uns auf-
einander zubewegen, was mich mit ‘‘
Dr. Spandau
Herr Bischof, ich weiß, dass sie schon
vieles aus Benediktbeuern haben. Ich
weiß aber auch, dass Sie das große Bene-
diktbeurer Rezeptar noch nicht haben.
Das überreiche ich Ihnen jetzt gerne –
mit ganz herzlichem Dank, dass Sie bei
den Benediktbeurer Gesprächen unser
Gast waren. Und ganz herzlichen Dank,
dass Sie sich über die Maßen Zeit genom-
men haben. Es ist wunderbar, dass Sie bei
uns waren. Kommen sie gut nach Hause,
grüßen Sie die Festveranstaltung und
sagen Sie, hier in Benediktbeuern waren
wir mehr. Ganz herzlichen Dank.
Diözesanbischof Dr. Hanke
Es ist besser, dass ich jetzt gehe. Denn
wenn Prof. Schellnhuber und Prof. Fetzer
sich näherkommen, dann kann das auf
meinen Buckel gehen.
Dr. Spandau
Ja, Frau Dieckmann, irgendwie sind wir
raus aus der Diskussion.
Bärbel Dieckmann
Ja, ich muss jetzt die Einheit der
beiden hier ein bisschen stören. Ganz
ehrlich gesagt, stört mich die Debatte
im Moment. Ich gehe immer noch davon
aus, dass der Mensch vernunftbegabt
ist. Und dass wir in der Situation, in der
wir jetzt sind, die Kraft aufbringen müssen,
ein paar Dinge zu entscheiden. Ich beginne
mal mit Fukushima. Ich habe die Bundes-
kanzlerin in der Situation überhaupt nicht
bewundert. Wir wussten nämlich schon
30 Jahre vorher, was Atomenergie bedeu-
tet, und die Mehrheit der Deutschen
wusste es auch.
Aber es zeigt sich auch immer wieder, in
der Geschichte gab es Momente, in denen
man sah, dass das System, wenn es immer
weiter vertieft wird, direkt ins Verderben
führt.
Dann trat eine politische Persönlichkeit
auf – getragen übrigens von einer zivilgesell-
schaftlichen Stimmung – und hat die Dinge
herumgerissen. Das war zum Beispiel
Roosevelt mit seinem New Deal. Später, als
es um den Zweiten Weltkrieg ging, gab es
eine berühmte Rede, in dem ein „anderer
Roosevelt“ die amerikanischen Autobauer
einlud und sagte: „Meine Herren, ich
erwarte, dass Sie jetzt mit Ihren Fabriken,
Förderbändern und so weiter 20.000 Panzer
bauen, so und so viele Flugzeuge, so und
so viele Geschütze!“ Und so weiter. Dann
sagten die Autobauer: „Aber Herr Präsident,
dann können wir keine Automobile mehr
für den Privatverkauf bauen!“ Darauf
Roosevelt: „Sie haben mich falsch verstan-
den. Sie werden kein einziges Automobil
mehr bauen. Sie bauen nur noch Geschütze,
Flugzeuge und Panzer.“ So ist es gekommen.
Und Abraham Lincoln hat auf dem Höhe-
punkt des amerikanischen Bürgerkrieges die
National Academy gegründet. Da bin ich
Mitglied und ich hatte die große Ehre, mich
in das Buch einzutragen, wo auf ersten Seite
der Eintrag von Abraham Lincoln ist. Das
war einer der bewegendsten Momente
meines Lebens. Mit diesen Beispielen will
ich sagen, es gibt Augenblicke in der
Geschichte, wo das normale Geschehen
durchbrochen wird, wo die Einsicht klar
wird – von unten wie von oben – dass eine
Zeitenwende bevorsteht. Und die gelingt
dann auch.
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’’
D I S K U S S I o N D E S T A G U N G S T H E M A S
Mitleid mit Menschen habe, weil ich
sie leiden sehe wegen Handlungen, die wir
begehen.
So, jetzt komme ich noch mal ganz
kurz zu einem Thema, von dem ich glaube,
dass wir uns vielleicht doch einigen könn-
ten. Es gibt Menschenrechte, denen alle
Staaten oder viele Staate der Welt zugestimmt
haben. Durch diese Menschenrechte gibt es
ein Recht auf Nahrung, und es gibt ein
Recht auf eine bestimmte Gesundheitsvor-
sorge. Diese Punkte könnten wir hier schon
mal formulieren als etwas, bei denen wir
uns weltweit einig sind. Und davon könnten
wir dann runterbrechen, und so kommen
wir nämlich auch an die Wirtschaft. Lassen
Sie mich da bitte noch ein paar Beispiele
nennen. „Land grabbing“ – ich bin diesem
Thema selbst mal nachgegangen: Nicht nur
die Chinesen investieren in Afrika, es sind
auch europäische und deutsche Firmen
daran beteiligt.
Muss das wirklich sein, dass für die
Gewinnmaximierung eines europäischen
Unternehmens mit Hilfe von Korruption in
bestimmten Ländern – die kann ich Ihnen
genau nennen, weil ich mir alles sehr
genau angeguckt hab’ – ein System geschaf-
fen wird, bei dem die Firma noch nicht
einmal dorthin geht? Dann die geringen
Löhne, verglichen mit Europa; anstatt die-
jenigen, die dort arbeiten, vernünftig zu
bezahlen, ihnen vielleicht Schulen einzurich-
ten, Kitas für die Kinder … Also ich muss
Ihnen ganz ehrlich sagen, ich verstehe das
nicht mehr. Sie können mit mir auch
gern über Erbschaftssteuer sprechen, ich
hab’ auch Ihr Argument verstanden, dass
dies Familien stört. Aber ganz ehrlich
gesagt, mich interessieren viel mehr noch
die Beziehungen von Familien, in
Es gab in Deutschland keine Verteidigung
von Atomkraftwerken. Es gab in der vorheri-
gen Regierung einen Atomkompromiss mit
einem vernünftigen Ausstieg. Muss es denn
immer erst eine Katastrophe geben, bevor
man das Richtige tut – und das dann auch
nur, weil die Landtagswahl in Baden-Württem-
berg bevorstand? Entschuldigen Sie, dass ich
an dieser Stelle mal ein bisschen scharf
werde.
Das ist für mich in der jetzigen Situation
leider auch so. Ich gebe zu, ich habe heute
Morgen die Flüchtlingskrise so ein bisschen
wie Fukushima verwendet. Weil möglicher-
weise eine große Anzahl von Menschen
auf der Welt nicht mehr akzeptieren will,
was wir hier in Europa machen und was in
den USA ausgelöst wird. Und wir wissen
viele Dinge schon lange, Herr Prof. Schelln-
huber. Das ist nicht nur die Frage des
Klimawandels; sondern wir wissen auch,
was mit bestimmten Düngern, was mit Gen-
technik passiert und so weiter. Aber wir
handeln einfach nicht. Es ist heute Morgen
kritisiert worden, dass in der Enzyklika
von zu viel Mitleid gesprochen wird. Ich muss
ganz ehrlich sagen, das will ich mir gerne
erhalten. Und auch, dass ich ab und zu ‘‘
in Bangladesch; und da lässt ja nicht nur
H&M arbeiten, sondern auch Firmen mit sehr
teurer Ware. Firmen, die dort produzieren
lassen, wissen genau, dass 50 Eurocent mehr
Lohn reichen, damit die Näherin davon
leben kann; und trotzdem könnten wir uns
die Mode dann noch leisten. Ich finde, wir
müssen mehr dafür kämpfen, über solche
Dinge nicht nur zu reden, sondern sie auch
umzusetzen. Auch deshalb habe ich das
heute Morgen anfangs erwähnt, so meine
Vorstellung von sozialer Marktwirtschaft,
von einem Wirtschaftssystem, das Unterneh-
mertum und Wirtschaft unterstützt. Gleich-
zeitig aber habe ich deutlich gemacht, dass
es eine Grenze von Gewinnmaximierung
geben muss. Und ich war Ihnen heute
Morgen dankbar, Herr Prof. Schellnhuber,
dass Sie diese Zahlen von Oxfam gezeigt
haben. Ich hab sie mir sehr genau angeguckt.
Wenn ich Ihnen sagen würde, wer diese 60
sind – es lohnt sich, mal ins Internet zu
schauen! – dann sehen Sie auch, wie zum
Beispiel mit großen Handelsketten, ja, mit
einem extrem ungerechten Handel auf der
Welt, diese Milliarden verdient werden. Jetzt
sag’ ich noch einen moralischen, einen ein
bisschen emotionalen Satz. Angesichts
dessen, was ich in der Welt schon so alles
gesehen hab, frag ich mich manchmal, was
macht man eigentlich mit 80 Milliarden Euro
oder Dollar? Wissen Sie, was ich meine?
Es gibt doch so eine Grenze von Wohlstand,
und ich freue mich natürlich auch, dass es
meiner Familie und mir gut geht. Aber
es gibt eine Grenze, und da frage ich mich,
könnte man da nicht vielleicht bewusst
christlich-moralisch argumentieren: Diese
Grenze sollte man nicht überschreiten,
sondern man könnte dann auch etwas für
das Gemeinwohl tun.
denen die Eltern nicht mehr in der Lage
sind, ihre Kinder zu versorgen; oder wo
deren Kinder an Ebola sterben, denn das
sind wirklich gestörte, belastete Familien-
beziehungen. Deshalb bin ich auch für
Steuersysteme. Verstehen Sie mich nicht
falsch, ich will nicht jedem alles nehmen.
Überhaupt nicht. Aber ein bisschen mehr
Steuern zahlen sollte schon sein; und zwar
auch in anderen Ländern, nicht nur in
Europa, sondern in der ganzen Welt. In
Afrika, zum Beispiel, in vielen asiatischen
Ländern, in Pakistan wird kein Euro Steuern
bezahlt. Dort zahlt die Oberschicht über-
haupt keine Steuern! Ein bisschen Beteili-
gung an diesen gesellschaftlichen Aufgaben
mag schon sein. Ich werbe auch für Ihren
Klimafonds, ich habe nichts dagegen. Aber
wir könnten Gemeinwohlinteressen aus
staatlichen Mitteln mitfinanzieren, wenn es
auch von jenen mit größeren Einkommen
eine Beteiligung gäbe. Ich glaube, bei der
Definition dessen, was passieren müsste oder
was Gemeinwohl ist, sind wir schon ein
Stück weiter als wir es vor Jahren gewesen
sind. Deshalb frage ich mich immer, ob wir
erst wieder auf die nächste Katastrophe
warten müssen? Oder können wir nicht doch
auch mit Regeln, die wir bereits haben, schon
manche Dinge wahrnehmen und beeinflus-
sen. Das würde ich mir wünschen.
Ich bin für Unternehmertum, ich bin
auch für kreatives Unternehmertum. Aber
ich kann zum Beispiel nicht verstehen,
warum Shell über Jahre Milliardengewinne
in Nigeria macht und dort ökologisch und
ökonomisch alles untergeht? Versteh’
ich einfach nicht! Tut mir leid, vielleicht
bin ich dazu nicht klug, nicht schlau genug.
Die hätten ja mit ihren Gewinnen auch
einen Ausgleich finanzieren können. Ich
kenne auch die Situation der Näherinnen
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Prof. Dr. Dr. h.c. Schellnhuber
Also, wenn Sie mich als Wissenschaftler
fragen, vermutlich nicht. Wenn sie mich als
Menschen fragen, der mit jeder Faser das
liebt, was unsere Kultur hervorgebracht hat
und was unsere Kinder uns geben können,
lautet die Antwort ja. Das ist eben die
paradoxe Situation, die paradoxe Interven-
tion des Menschlichen, um auf den Bischof
zurückzukommen. Die Chancen stehen
gegen uns. Aber die Chancen sind natürlich
nur dann null, wenn wir versuchen, uns in
diesem Fall unserem Schicksal zu ergeben.
Das wollte ich Ihnen vorhin auch noch
sagen, und die Frage heißt, was ist jetzt
richtig: Wo ein Weg ist, da ist ein Wille?
Oder muss es nicht doch heißen: Wo ein
Wille ist, da ist ein Weg? Ich glaube, wo ein
Wille ist, ist auch ein Weg. Im letzten
Kapitel dieses Buches habe ich ein bisschen
meine Lebensphilosophie mitgeteilt, die
übrigens ganz ähnlich der Ihren ist, Frau
Dieckmann. Der Epilog heißt „Geschenke an
Michelangelo“. Ich glaube, das ist das
Schönste, was ich je geschrieben habe. Das
Wichtigste sind nur fünf Seiten. Dabei geht
es um die Kultur des Teilens – also statt der
Kultur des Habens die Kultur des Teilens.
Ich werde es an einem ganz einfachen
Beispiel erklären, das habe ich von meiner
Frau gelernt. Stellen Sie sich vor, hier
irgendwo in den Alpen finden Sie eine Stelle
beim Wandern, die unbeschreiblich schön ist.
Was werden Sie tun? Sie werden zwei- bis
dreimal allein dorthin kommen und das
Panorama bewundern. Irgendwann merken
Sie, dass es noch viel schöner wäre, wenn
Sie jemanden mitbringen würden, um diesen
Anblick mit ihm teilen zu können. So ist es
mit allen Gütern auf der Welt.
Dr. Spandau
Vielen Dank für dieses wirklich berech-
tigte emotionale Statement. Wenn ich das
jetzt noch einmal Revue passieren lasse,
fallen mir spontan drei Begriffe auf,
die vielleicht noch einmal zusammenfas-
sen, was Sie gesagt haben: der Begriff
Freiheit, der Begriff Nachhaltigkeit und der
Begriff Würde. Alle drei Begriffe zogen sich
jetzt durch Ihr Statement. Da frage ich
mich, ob wir wirklich so weit auseinander
liegen? Wenn ich im Forum Wirtschafts-
ethik lese, was Prof. Fetzer dazu schreibt:
Bei Nachhaltigkeit in der Wertetrias geht es
nicht darum, die Welt oder unseren Wohl-
stand zu erhalten, sondern darum, künftigen
Generationen ein Leben in Freiheit und
Würde zu ermöglichen. Wir sind uns doch
eigentlich alle einig, also könnten wir an
dieser Stelle eigentlich aufhören. Oder
können Sie uns erklären, worum wir uns
hier eigentlich streiten, wenn wir bei diesen
wichtigen Punkten Freiheit, Würde, Nach-
haltigkeit so kontrovers diskutieren? Oder
wir beschließen, dass wir uns einig sind,
dann würde ich nämlich weitermachen mit
Herrn Prof. Schellnhuber. Ihm stelle ich jetzt
gern noch eine Frage, die in die Humanöko-
logie geht – wir haben das bei Prof. Haber,
immer wenn es menschelte, gelernt. In
Ihrem Buch schreiben Sie nämlich unter
anderem, dass Ihr Sohn am 4. März 2058
seinen 50. Geburtstag feiern wird. Am
6. Mai 2062 wird meine Enkeltochter ihren
50. Geburtstag feiern. Also liegen die beiden
gar nicht so weit auseinander. Haben wir es
bis dahin geschafft, Ihrem Sohn und meinem
Enkelkind eine lebenswerte Zukunft bereitet
zu haben?
‘‘
geht’s aber gut – und woanders gucken
wir gar nicht hin. Sondern dass wird nur
gehen, wenn wir auch unsere Verantwor-
tung für andere wahrnehmen. Und damit
meine ich nicht, diesen Menschen die
Verantwortung abnehmen. Aber wir müssen
wissen, dass auch unser Tun einen ganz
gravierenden Einfluss hat auf das, was
woanders passiert. Wir haben es heute beim
Thema Klimawandel besprochen, wir haben
dazu auch über unsere Essgewohnheiten
gesprochen. Darauf könnte man noch lange
eingehen, auch auf die Handelsbedingungen
und so weiter. Aber wie gesagt, ich halte am
Ziel fest, dass wir es schaffen können. Ich
möchte auch, dass wir es weiter versuchen,
Mehrheiten dafür zu finden und auch weiter
wirklich alles dafür tun, dieses Ziel zu
erreichen.
Dr. Spandau
Herr Prof. Fetzer, Ihre Prognose für das
Kind von Herrn Prof. Schellnhuber und mein
Enkelkind? 2058 bis 2062…
Prof. Dr. Fetzer
Frau Dieckmann hat ja aus dem mora-
lischen Anspruch in ihrem Herzen keine
Mördergrube gemacht. Das hatte auch
eine Faszination. Ich werde das wahrschein-
lich nie können, werde dann wohl auch nie
irgendwo Oberbürgermeister werden, das
ist vollkommen klar. Ich sage es jetzt noch
mal, das klingt jetzt polemisch, aber es ist
nicht so gemeint. Es ist mir fast egal, ob wir
das schaffen werden. Ich würde es da mit
Luther halten. Wenn ich wüsste, dass morgen
die Welt untergeht, dann würde ich, Herr
Schellnhuber, nicht versuchen, krampfhaft
die Welt zu retten, sondern zwei Apfelbäume
pflanzen.
Dr. Spandau
Frau Dieckmann, werden wir es geschafft
haben zwischen 2058 und 2062, dass jeder
sein Recht auf Nahrung eingelöst bekommt?
Bärbel Dieckmann
Wir können es schaffen. Das ist eigentlich
die gute Botschaft. Es werden jetzt schon
ausreichend Nahrungsmittel produziert. Mit
gewissen Produktivitätssteigerungen in den
Gebieten, in den ländlichen Regionen, dort,
wo heute die Hungernden leben, ist das
möglich. Deshalb halte ich an dem Ziel fest
und bin auch optimistisch, dass wir es schaf-
fen. Ich glaube auch, wir müssen es schaf-
fen! Sie haben eben über Kinder und Enkel
gesprochen, und das wird viele hier im
Saal beschäftigen. Ich bin 1949 geboren. Das
ist eine Generation, die unbelastet vom Krieg
in Deutschland aufgewachsen ist; in einer
Zeit, in der es eigentlich immer nur Fort-
schritte gegeben hat. Ich bin dankbar für
dieses Leben, aber ich wünsche mir, dass so
etwas auch noch für die nächste Generation
möglich ist. Ich möchte nicht in einer End-
generation denken. Aber ich habe die Wahr-
nehmung, dass dieser Weg nicht mehr mit
Isolierung geht und wenn wir sagen, uns
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tigen Weg! Was mag wohl in all den
Menschen vorgehen, die bei meinem Buch-
händler die Enzyklika gekauft und darin
gelesen haben? Was mag in Ihnen vorgehen,
wenn Sie die von uns und dem Zentrum für
Umwelt und Kultur überreichte Enzyklika
lesen? Werden Sie diese rasch lesen und
schnell vergessen?
Einen bescheidenen Beitrag, dass die
Laudato Si nicht rasch gelesen, geschwind
kommentiert und schnell vergessen wird,
wollten wir mit diesen Benediktbeurer
Gesprächen leisten.
Wir haben herausgearbeitet, dass es Papst
Franziskus nicht nur um eine äußere Rettung
der Natur geht, sondern um eine Bewahrung
von Gottes Schöpfung. Wir Menschen sollen
Abstand nehmen von unseren übersteiger-
ten Machbarkeits vorstellungen, sollen auf
einen anderen Lebensstil setzen und eine öko-
logische Umkehr vollziehen. Dazu schlägt der
Papst kulturkonservative und technikkritische
Töne an. Allerdings rückt er auch das ver-
heerende biblische Missverständnis „Macht
Euch die Erde untertan“ zurecht.
Die Frage ist, wann fange ich an. Also
nicht diese Prognostiziererei „Schaffen wir’s
oder schaffen wir’s nicht?“ Es ist unsere
verdammte Pflicht, daran zu arbeiten; da
werden wir das Unsere tun. Das gilt dann
auch zum Beispiel für die Wirtschaft:
Es geht nicht darum, Verantwortung für
andere zu übernehmen, sondern um Verant-
wortung für die Regeln in der Welt, in der
wir leben. Von der Wirkung her ist das dann
nämlich das Gleiche, da ist nur eine leichte
Verschiebung. Obwohl wir global vernetzt
sind, ist die Verantwortungslosigkeit, die wir
teilweise in Europa haben, gigantisch. Das
ist eine neue Verantwortung, und ihr werden
wir bisher noch nicht gerecht. Darum müs-
sen wir Apfelbaum für Apfelbaum abarbeiten,
und ob das dann letztlich reicht oder nicht,
das überlassen wir mal unserem Herrgott.
Dr. Spandau
Meine Damen und Herren, trotzdem
werden wir in der Allianz Umweltstiftung
beides tun, nämlich weiterhin Bäume
pflanzen und versuchen die Welt zu retten;
weil wir glauben, dass beides möglich ist.
Also vielen Dank, wir sind auf dem rich-
‘‘All unseren Gästen danke ich für ihre Teil-
nahme. Ich darf Sie nun zum gemeinsamen
Mittagessen einladen, das freitags, wie
immer an diesem Ort, natürlich fleischlos ist.
Danke für Ihr Kommen, gern waren wir
Ihre Gastgeber.
Bleiben Sie uns gewogen und kom-
men Sie im nächsten Jahr, am 4. und 5. Mai
2017, gesund und gut gelaunt zu unseren
21. Benediktbeurer Gesprächen.
Die Natur kann nicht grenzenlos
benutzt und ausgebeutet werden, sondern
der biblische Schöpfungsbericht ist als ein
Bebauen und Hüten der Natur zu verstehen.
Wir Umweltplaner reden in diesem Kon-
text vom Schützen, Pflegen und Entwickeln
der Natur und der Umwelt. Zusammenfas-
send laden wir, im Sinne des Papstes, zu
einem Lebensstil der Entschleunigung und
Achtsamkeit ein.
Vielleicht haben ja auch einige Politiker
das Lehrschreiben bei meinem Buch-
händler gekauft und lassen sich nun bei
ihren Entscheidungen von dieser franzis-
kanischen Schöpfungs spiritualität leiten
und inspirieren.
Für die Diskussion der Laudato Si und
ihrer Konsequenzen danke ich allen Teilneh-
mern der diesjährigen Benediktbeurer
Gespräche. Zur Erinnerung überreiche ich
Ihnen traditionell das „Benediktbeurer
Rezeptar“. Es ist ein Dankeschön für Ihre
Mitwirkung, Ihre Beiträge, Ihre Diskussionen.
Es soll Sie aber auch dazu verleiten, das
Kloster Benediktbeuern mal wieder zu
besuchen.
8 9I M P r E S S U M
BE N E DI KTBE U R E R G E S P R ÄCH E DE R ALL IANZ U MWE LTSTI F TU NGBand 20
Herausgeber
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Pariser Platz 6
10117 Berlin
Telefon: 030/20 67 15 95 - 50
Telefax: 030/20 67 15 95 - 60
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Redaktion
Dr. Lutz Spandau
Susanne Luberstetter
Fotos
Gabriele Hartmann (S. 5, 9, 13, 21, 29, 39, 48 - 51,
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Horst Munzig (Titel, U2, 2, 4, 8, 11, 12, 17 - 20, 25,
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Gestaltung
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Lektorat
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Präsidentin
Deutsche Welthungerhilfe e.V.
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