Das Bilsenkraut - Gift der Könige

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518 | Pharm. Unserer Zeit | 32. Jahrgang 2003 | Nr. 6

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P F L A N Z E N P O R T R A I T |Das Bilsenkraut – Gift der Könige

berüchtigte Zauberpflanzen.Unter die-sen gehört das Bilsenkraut zu den äl-testen bekannten Gift- und Heilpflan-zen, da es bereits von Hippokrates im5.vorchristlichen Jahrhundert erwähntwird.Unter den für die Nachtschatten-gewächse typischen Tropanalkaloidensind besonders Atropin und Hyoscya-min für die starke Giftigkeit des Bil-senkrauts verantwortlich. Der Gehaltan Alkaloiden in den Blättern kann da-bei bis zu 0,17 % betragen. Je nach Do-sis und Art der Zubereitung diente diePflanze als Aphrodisiakum (Herstel-lung von Liebestränken), als Halluzi-nogen oder zum Vergiften von Pfeilenund Wurfspießen. In der Volksmedizinwurde das Kraut zur Bekämpfung vonZahnschmerzen eingesetzt,um die un-ter dem Zahn sitzenden „Würmer“ ab-zutöten. Leonhart Fuchs schreibt hier-zu in seinem „New Kreüterbuch“ von1543: „Die wurzel von Bilsen in essiggesotten unnd im mund ein zeit langgehalten/ stillt den grossen unnd un-leidlichen Schmerzen der zaen.“ Ausder alten Bezeichnung für geschwolle-

nes Zahnfleisch – Zahnbüller – leitetsich wohl auch der deutsche Pflanzen-name her.Ferner benutzten die Germa-nen die Pflanze als Zusatz für ihr Bier,worauf sich der Name der tschechi-schen Bierstadt Pilsen zurückführenlässt.

Für die vielfältigen Schadwirkun-gen, die aus der Verwendung der starkgiftigen Pflanze resultierten, wurden,entsprechend dem mittelalterlichenAberglauben, vor allem Hexen verant-wortlich gemacht. Die so beschuldig-ten weisen Frauen, auf deren umfang-reichem Kräuterwissen die Anwen-dung solcher Gift- und Heilpflanzenbasierte, hatten deshalb nicht seltenmit Verfolgung und Tod zu rechnen.Ein berühmtes Opfer der Giftwirkungdes Bilsenkrautes,diesmal nicht durchHexenhand, sondern als Folge höfi-scher Intrige ist z.B. der König vonDänemark in Shakespeares Hamlet.

Der zahlreichen Verwendungsmög-lichkeiten wegen,wurde das SchwarzeBilsenkraut schon vor dem Mittelalterin Klostergärten kultiviert, aus denendie ursprünglich nicht einheimischePflanze dann verwildern und sich indie vorhandene Vegetation integrierenkonnte. Da die Anwendung der Pflan-ze heute keine Rolle mehr spielt,wird sie auch in Bauern-, Haus- undApothekergärten kaum noch ange-pflanzt. Die so resultierende fehlendeNachlieferung von Samen ist allerdingsnur ein Grund dafür, dass die inDeutschland als gefährdet eingestuftePflanze heute nur noch sehr selten an-zutreffen ist.Genauso entscheidend istder Verlust geeigneter Lebensräume:Das Bilsenkraut bevorzugt offene, son-nige, nährstoff- und basenreiche Ha-bitate wie den lockeren Boden vonSchuttstellen, Unkrautfluren und ent-lang von Wegrändern. Durch die Um-nutzung solcher Flächen, z.B. bei derAusweisung als Gewerbegebiet, wer-den geeignete Wuchsorte befestigt undüberbaut, was zur Verdrängung derPflanzen führt, so dass der Schwer-punkt der Verbreitung heute vor allemin den wärmeren Gebieten, wie demNeckartal oder dem Oberrheingebiet,liegt.

Thomas Junghans, Bammental

Das Bilsenkraut(Gattung Hyoscy-amus) ist mit 14Arten von Euro-pa über Nordafri-ka bis Asien ver-breitet. Bei dendrei in Europaheimischen Ar-ten handelt essich um ein- oderzweijährige bzw.ausdauernde unddicht drüsig zot-tig behaarte Pflan-zen. Die Blätterder bis 80 cm hohen Spross-achsen sind bis20 cm lang, läng-

lich-eiförmig, ungeteilt bis gelapptoder grob buchtig gezähnt, die unte-ren sind in den Blattstiel verschmälert,die oberen halb stengelumfassend.Dierelativ großen,von Juni bis Septembererscheinenden Blüten sind fast unge-stielt, weit glockig und etwas einseits-wendig. Die schwach asymmetrischeKrone ist beim Schwarzen Bilsenkraut(Hyoscyamus niger, siehe Abb. 1)schmutziggelb-weiß mit violetter Ade-rung und rotviolettem Schlund, beimGoldgelben Bilsenkraut (Hyoscyamusaureus, siehe Abb. 2) leuchtend gold-gelb mit purpurnem Schlund. DieKelchblätter vergrößern sich nach derBlüte und umschließen die Deckel-kapsel sehr eng, wobei die Kelchblatt-hülle vermutlich als eine Art „Wind-fang“ der Windausbreitung der nie-renförmigen, etwa 1 mm großen undbis zu 500 Samen enthaltenden Kapseldient.

Das Bilsenkraut ist ein Vertreter derNachtschattengewächse (Solanaceae),deren mehr als 2300 Arten ein breitesNutzungsspektrum bieten.Neben denüberwiegend aus Südamerika stam-menden Nutzpflanzen dieser Familie,wie Kartoffel,Tomate, Paprika und Ta-bak, finden sich sehr viele berühmt-

A B B . 2 Das ost-mediterrane Gold-gelbe Bilsenkraut (Hyoscyamus aureus)besiedelt vor allem Felsen und Mauernim Siedlungsbereich, wie hier an der Außenseite der Isabey-Moschee bei Selçuk in der Südwest-Türkei.

A B B . 1 In Un-kraut- undSchuttfluren desOberrheingebie-tes, wie z.B. aufder Friesen-heimer Insel beiMannheim, hatdas Schwarze Bil-senkraut (Hyos-cyamus niger)noch einige unbe-ständige undspärliche Vor-kommen.