Holighaus/Reis: »Das verfluchte Nest!« König Ludwig II. und München

22

description

König Ludwig II. von Bayern hat zu Lebzeiten wahrlich der »Bauteufel« geritten hat – seine Prunkschlösser im bayerischen Voralpenland zeugen davon and ziehen bis heute Millionen Besucher aus aller Welt an. Umso erstaunlicher ist es, dass die Haupt- und Residenzstadt München in den zwanzig Jahren seiner Regierungszeit praktisch leer ausging. Kein einziges Bauwerk entstand hier und nur ganze drei Monate im Jahr hielt es Ludwig überhaupt in diesem »verfluchten Nest« aus. Woher diese Abneigung rührte und wo der »Kini« aber trotzdem in München zu finden ist, zeigt der an Überraschungen reiche Spaziergang von Kristin Holighaus und Barbara Reis.

Transcript of Holighaus/Reis: »Das verfluchte Nest!« König Ludwig II. und München

Allitera Verlag

Münchner STATTreisen • Band 3

Bisher erschienen:

Susanna LajtosIn luxuriösen BettenMünchner Nobelherbergen und ihre Geschichte(Band 1)

Christian ErtlMacht‘s den Krach leiser! Popkultur in München von 1945 bis heute(Band 2)

Angelika Dreyer & Carmen FinkenzellerAuf geht‘s, auf d‘Wiesn! Ein Spaziergang über das Oktoberfest(Band 4)

Kristin Holighaus & Barbara Reis

»Das verfluchte Nest!«König Ludwig II. und München

Allitera Verlag

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter:www.allitera.de

Für unsere großartigen Männer – danke für die stete Unterstützung!

K. H. und B. R.

Mai 2011Allitera VerlagEin Verlag der Buch&media GmbH, München© 2011 Buch&media GmbH, MünchenRedaktion: Dietlind Pedarnig, MünchenLayout: Kay Fretwurst, FreienbrinkUmschlaggestaltung: Dietlind Pedarnig & Alexander Strathern, MünchenGestaltung Stadtpläne: Victoria Keller, MünchenKönig-Ludwig-II-Icon: Friedrich Wall, FreienbrinkHerstellung: TZ-Verlag und Print GmbH, RoßdorfPrinted in Germany · isbn 978-3-86906-103-0

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Standpunkt 1 · St. MichaelTod und Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Standpunkt 2 · FrauenkirchePrinz und Bruder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Standpunkt 3 · MarienplatzVerfluchtes Nest und moderne Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Standpunkt 4 · DienerstrasseGedeih und Verderb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Standpunkt 5 · NationaltheaterWahn und Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Standpunkt 6 · Hofkapelle der ResidenzLebende und Tote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Standpunkt 7 · CuvilliéstheaterTheater und Separée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Standpunkt 8 · OdeonsplatzKrieg und Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Standpunkt 9 · Café Tambosi Väter und Erzeuger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Standpunkt 10 · Eingang HofgartenNibelungen und Paradiese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Standpunkt 11 · Kaiser- und ApothekenhofFrauen und Mitbewohner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Standpunkt 12 · MarstallPferde und Reiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Standpunkt 13 · MaximilianeumAbsetzung und Entmündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Standpunkt 14 · MaximiliansanlagenEnde und Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

König-Ludwig-Lied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Zeittafel, Literatur (Auswahl), Bildquellen

7

Nein, gemocht hat er sie wirklich nicht, die Residenzstadt München. Im Gegenteil. »Wenn man das ver-fluchte Nest doch nur an allen Ecken anzünden könnte!«, schäumte Lud-wig II. gar nicht königlich-vornehm gegenüber einem Mitglied seines Kabinetts. Und in der Tat: Wo er nur konnte, mied der Monarch die bayeri-sche Hauptstadt und ihre Bewohner. Nur ganze fünf Mal besuchte er als Monarch das Oktoberfest! Ein Faux-pas, den sich auch die Regierenden von heute nicht erlauben dürfen: Man stelle sich vor, ein bayerischer Minis-terpräsident würde sich nicht auf dem größten Volksfest der Welt zeigen!Ludwig beklagte sich bei Richard Wagner über den Münchner Plebs, bezeichnete München mehr als ein-mal als »unselige Stadt« und für kurze Zeit zog er sogar in Erwägung, seine Residenz ganz nach Nürnberg zu verlegen. Ja überhaupt, so sein königlicher Stallmeister, habe Seine Königliche Hoheit den überhaupt nicht frommen Wunsch geäußert, dass ganze bayerische Volk möge nur

»einen Kopf habe, damit man es auf ei-nen Streich hinrichten lassen könne«. Dementsprechend ließ er sogar ernst-haft prüfen, wo er sein Idealbild eines Königtums von Gottes Gnaden außer-halb Bayerns verwirklichen könnte. Zum Beispiel in Afghanistan …Von den 296 Regierungstagen seines ersten Jahres als König verbrachte Ludwig gerade einmal 68 in Mün-chen, insgesamt also nicht mehr als drei Monate. Im Sommer und Winter regierte er lieber von seinen Schlössern und Berghütten aus – was das Leben für seine Kabinettsekretä-re, die ihm hinterherreisen mussten, nicht gerade einfacher machte. Ließ er sich anfangs noch auf Bällen in der Stadt sehen und gab Hoftafeln in der Residenz, so zog er sich ab 1870 im-mer mehr von der Stadt und seinem Volk in die Einsamkeit in der Natur zurück. Am Ende konnte der Mon-arch so gut wie gar keine Auftritte in der Öffentlichkeit mehr ertragen.Wenn Ludwig von seinen Winter-aufenthalten in Schloss Hohen-schwangau zurückkehren musste,

Vorwort

8

wollte er unterwegs oft noch umkeh-ren. In München angekommen, ver-ließ er dann mehrere Tage seine Wohnung nicht und klagte über Un-wohlsein. 1877 beschrieb Ludwig in einem Brief die Residenz als seinen »goldenen Käfig« und erklärte weiter: »Kaum kann ich das Heranrücken je-ner seligen Tage im Mai erwarten, um die verhaßte, unselige Stadt auf lange Zeit zu verlassen, an welche mich nichts fesselt, die ich mit unüber-windlichem Widerwillen bewohne.«Kein Wunder, dass Ludwig die Tra-dition seines Großvaters Ludwig I. und seines Vaters, Maximilian II., nicht fortsetzte und München kei-nen eigenen architektonischen Stempel aufdrückte. Abgesehen da-von, dass sich die Landeshauptstadt zu dieser Zeit generell vom könig-lichen Einfluss emanzipierte, war Ludwig auch endgültig »beleidigt«, seit er den Traum vom eigenen Fest-spielhaus für seinen Freund Richard Wagner hier nicht verwirklichen konnte. Und trotzdem: Wenn man sich in München auf die Suche nach König Ludwig II. macht, fügen sich wie bei einem Puzzle Stück für Stück wich-tige Stationen seines Lebens zusam-men. Dabei dem »wahren« Ludwig auf die Spur kommen zu wollen, ist allerdings ein Ding der Unmöglich-keit. Vielleicht ist es ja gerade seine Widersprüchlichkeit und Zerrissen-heit, die es zu entdecken gilt.Auf der einen Seite pflegte Ludwig sich als Person des öffentlichen Le-bens. Er liebte die Fotografie und war ein großer Förderer dieser neu-en Technologie, bei jeder Gelegen-heit verteilte er Karten mit seinem Konterfei und signierte sie auch. Auf der anderen Seite ließ er das Theater vom Publikumsverkehr räu-

men, um nicht gestört zu werden, und lieber versenkte er sich in den Anblick der Berge als in den der bay-erischen Bürger. Das Volk hat dem Monarchen zu Lebzeiten seinen re-alen und emotionalen Rückzug sehr wohl übel genommen und es stellt sich die Frage, warum gerade er, der sich nicht besonders volksnah zeig-te, nach seinem Tod zu solch einer Ikone wurde. Der streng auf höfi-sche Etikette bedachte Ludwig lebte weder bayerisches Brauchtum noch Sprache. Von seinem Personal hat er gefordert, dass es beim Servieren der Gerichte diese korrekt auf Franzö-sisch ankündigte. Wenn da auf Bai-erisch etwas Falsches gesagt wurde, soll er sogar Strafen angedroht ha-ben. Er war beileibe nicht der »Kini«, sondern »Seine Majestät« oder »Le Roi« und im Gegensatz zu seinem Vater Maximilian II. oder seinem populären Nachfolger, Prinzregent Luitpold, war ihm die Distanz zum Volk gerade recht. Dennoch wurde Ludwig nach sei-nem Tod bald wie ein Heiliger ver-ehrt. Sein Konterfei schmückte jede zweite Postkarte aus Bayern – von denen ein Großteil aberwitzig kit-schig war – und es setzte sich eine gigantische Maschinerie in Bewe-gung, die bis heute Kapital schlägt aus dem Monarchen und seinen Bauten. Und zwar weltweit … »Es ist notwendig, sich Paradiese zu schaffen, poetische Zufluchtsorte, wo man auf einige Zeit die schau-derhafte Zeit, in der wir leben, ver-gessen kann«, hat Ludwig einmal gesagt. München war ihm kaum ein solcher Zufluchtsort und dennoch: Spuren des berühmtesten aller baye-rischen Könige findet man einige, wenn man mit wachen Augen durch Münchens Straßen geht.

11

München trägt Trauer19. Juni 1886: König Ludwig II. von Bayern wird in der Jesuitenkirche St. Michael beigesetzt und München trägt Trauer. Alle Geschäfte sind ge-schlossen, an den Häusern hängen schwarze Fahnen aus. Tausende säu-men die Straßenränder, um Ludwig auf seinem letzten Weg die Ehre zu erweisen. Entlang der Wegstrecke

des Trauerzugs werden Fensterplät-ze für teures Geld angeboten, wer einen ergattern kann, hat jetzt eine gute Sicht von oben. Mittags, gegen Viertel vor 1 Uhr, verlässt der Sarg mit dem toten Kö-nig die Hofkapelle in der Residenz. Ursprünglich sollte er auf kürzes-tem Weg nach St. Michael gebracht werden. Doch wegen des großen

Standpunkt 1 · St . Michael

Tod und Mythos

St. Michael

Dabei sein ist alles! Der Trauerzug für König Ludwig II . am 19 . Juni 1886 .

Die barocke St . Michaelskirche, mit dem zweitgrößten freitragenden Tonnenge-wölbe der Welt (Foto: David Iliff).

12

Andrangs wird die Wegstrecke ver-längert: Durch das Kapellentor und die Brienner Straße geht es nun in Richtung Karolinen- und Königs-platz, von dort durch die Arcis- und Sophienstraße zum Karlsplatz und schließlich durch das Karlstor nach St. Michael. Alle Glocken der Stadt läuten, Musikkapellen spielen Trau-ermusik. Das Wetter passt. Der Him-mel ist an diesem Tag wolkenverhan-gen und düster. Doch als der Sarg Ludwigs aus der Residenz getragen wird, reißt der Himmel einen Mo-ment auf, ein Sonnenstrahl fällt auf den aufgebahrten toten Monarchen. Militär führt den Trauerzug an, es folgen Abordnungen der Münch-ner Schulen, Vertreter klösterlicher Orden, die königliche Dienerschaft, Kirchenoberhäupter, Kammerdie-ner, Leibärzte und 25 Guglmänner. Dann kommt der Leichenwagen, der von acht schwarz verhängten Pfer-den gezogen wird: In ihm der mit Reichs- und Ordensinsignien ver-zierte Sarg.

Die Guglmänner gelten seit den mittelal-terlichen Pestepidemien als ein Symbol für Tod und Vergänglichkeit . Sie schrei-ten bei Beisetzungen der bayerischen Monarchen in schwarzen Mönchskutten und schwarzer Gugl (Kapuze) dem Sarg voraus . Heute sind die Guglmänner eine Art Geheimbund, der die Umstände vom Tod von Ludwig II. aufklären will. Denn sie glauben: Es war Mord, der König sei auf der Flucht erschossen worden . Um das zu vertuschen, habe man auch die Leiche Ludwigs verschwinden lassen, sprich: Der Sarkophag in St . Michael sei leer! Die Guglmänner fordern eine Sarg-öffnung, um ihre Thesen zu beweisen. Mit aufsehenerregenden Aktionen, die es auch im 125 . Todesjahr Ludwigs geben dürfte, machen sie auf ihr Anliegen auf-merksam . Wer mehr wissen will: www .guglmann .de

Hinter dem Wagen wird eines von Ludwigs Lieblingspferden ge-führt. Erst nach dem Vierbeiner folgen das Kruzifix und dann, tief gebeugt, Ludwigs Onkel, Prinz Luitpold, der neue Regent Bay-erns – Ludwigs Mutter und sein Bruder Otto nehmen nicht an den Begräbnisfeierlichkeiten teil. Hinter ihm gehen der preußische Kronprinz Friedrich und der ös-terreichische Kronprinz Rudolf. Es folgen die Verwandten, zahlreiche Vertreter deutscher und europäi-scher Adelsfamilien, die Minister, das Parlament, Staatsräte, Beamte, Bürgermeister vieler Städte und schließlich die Schweren Reiter und die Leichte Kavallerie, die Chevaux-Legers. Fast zwei Stun-den ist der lange Trauerzug un-terwegs, bevor er gegen 14 Uhr 30 St. Michael erreicht, wo der Sarg vom Stiftsdekan empfangen wird.

Dankgebet der Guglmänner für die Errettung König Ludwigs II . vor einem »Attentat« in den Bergen bei Linderhof . Das gestiftete Marterl zeigt den Hergang …

13

Während der Trauerfeier verfinstert sich der Himmel, ein Gewitter zieht auf. Ein Blitz, mit anschließendem gewaltigen Donnerschlag, schlägt glücklicherweise nicht in der Kirche ein. Aber einige Leute sollen durch die Wucht der Naturgewalt sogar an die Kirchenmauer geschleudert wor-den sein. Für die Zeitgenossen eine wahrhaft himmlische Stellungnah-me zum irdischen Geschehen!

Was danach geschieht• Sechs Wochen lang wird in ganz Bayern durch Trauergeläut an den toten König erinnert.• Zwei Tage nach der Beerdigung legt Sisi, die österreichische Kaiserin Elisabeth, Ludwigs Cousine zweiten Grades, einen Kranz am Sarg nieder.• Bereits am 1. August 1886 wer-den die Schlösser Linderhof, Neu-schwanstein und Herrenchiemsee

Trauergottesdienst für König Ludwig II . von Bayern in St . Michael .

14

der Öffentlichkeit zugänglich ge-macht, obwohl Ludwig dies nie woll-te. Er meinte: »Der Blick des Volkes besudelt meine Schlösser.«• Am 16. August 1886 wird Ludwigs Herz mit dem Zug vom Ostbahnhof aus in einer 65 Zentimeter hohen neu-barocken Silberurne in die Marienka-pelle nach Altötting gebracht und dort aufgestellt. Es steht auch heute noch neben den Herzen seiner Eltern, seines Bruders Otto und vieler weiterer Wit-telsbacher. (Abb. S. 10) Im Oktober 1886 bettet man die Leiche Ludwigs in einen großen Zinnsarg um, der dann in der Grab-lege der Wittelsbacher in der Krypta von St. Michael seinen endgültigen Platz findet. • 125 Jahre lang wird über den Tod des Königs gerätselt werden: Ist er wirklich im Starnberger See ertrun-ken? War es ein Unfall, Selbstmord oder gar Mord? Unzählige Bücher über Ludwig werden geschrieben, Fil-me gedreht, Musicals aufgeführt. Der Mythos vom »Kini« wird geboren.

Der König ist tot – es lebe der »Kini«Um es vorweg zu sagen: Den »Kini«, wie er heute verehrt wird, hat es so nie gegeben. Ludwig II. war eine sehr viel-schichtige Persönlichkeit mit Ecken und Kanten, die seine Fans heute lie-ber unerwähnt lassen. Doch Bilder und Assoziationen verselbstständig-ten sich und so wurde die Gestalt aus dem 19. Jahrhundert zu einem leben-digen Mythos der Gegenwart. Verkör-pert Ludwig nicht die Sehnsüchte und unerfüllten Wünsche vieler? Kann sich nicht jeder ein Stück weit in Lud-wig II. wiederfinden? Ludwig steht für Freiheit, er wollte Unabhängigkeit für sich und sein Land. Seine Schlösser sind der zu Stein gewordene Traum eines absoluten Königtums, für das es in seiner Zeit real keinen Platz mehr gab. Doch Ludwig verwirklichte sich seine Idealwelt und richtete sein Le-ben danach aus.Ludwigs Bauwut bringt zu seinen Lebzeiten ein finanzielles Desaster mit sich und verschuldet die könig-liche Familie. Heute ist mit seinen zu Schlössern gewordenen Träumen jede Menge Geld zu verdienen: Im Jahr 2010 erbrachten die Eintritts-gelder seiner Schlösser mehr als 18,5 Millionen Euro. 1,3 Millionen Besu-cher bestaunten Hohenschwangau und Schloss Neuschwanstein. Und im Jahr seines 125. Todestages wer-den es kaum weniger sein. Ganz zu schweigen davon, was mit dem »Kini« in Form von Kunst, Kitsch und Kom-merz verdient wird. Ludwigs Name wird für Bier, Brot und Vereine her-genommen. Sein Konterfei ziert Post-karten, Tassen, Hosenträger und sogar Toilettendeckel. Er hängt als Kugel am Weihnachtsbaum und wird in Liedern besungen. Sein Mythos lebt.

Ludwigs Sarkophag in der Wittelsbacher Gruft von St . Michael ist bei Weitem der Herausgeputzteste .

15

17

Schon als Kind hat Ludwig eine Vor-liebe für den Münchner Dom »Zu Unserer Lieben Frau«. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass der 23-jährige König am 9. Februar 1868 an den Feierlichkeiten zum 400. Jah-restag der Grundsteinlegung des Doms teilnimmt und in der großen, prunkvollen Prozession mitgeht, so wie es auf einem Gemälde von Friedrich Eibner zu sehen ist. Vier Jahre zuvor, im Jahr seiner Krönung zum König, hat er dem Dom zur Restaurierung und neugotischen Ausstattung zwölf Apostelstatuen mit Baldachinen für die Pfeiler im Mittelschiff gestiftet. Sie sind über den Köpfen der Prozessionsteilneh-mer auf dem Gemälde Eibners gut zu erkennen. Heute sucht man sie im Dom vergeblich – sie sind ein Opfer der Bomben des Zweiten Weltkriegs geworden.Die Frauenkirche ist außerdem der Ort, an dem Ludwigs Bruder Otto im Jahr 1875 ein erschütterndes Zeugnis

seiner geistigen Verwirrtheit abgibt. Doch der Reihe nach …

Standpunkt 2 · Frauenkirche

Prinz und Bruder

Frauenkirche

Prozession aus Anlass des 400-jährigen Beste-hens des Liebfrauen-Doms in München (Gemälde

von Friedrich Eibner, 1868) . .

18

NamenskapriolenNicht nur der Tod Ludwigs II. ist rätselhaft, schon die Umstände seiner Geburt werfen einige Fra-gen auf. Offiziell erblickt Ludwig

am 25. August 1845, kurz nach Mitternacht, im Grünen Zim-mer des Schlosses Nymphenburg, als erstes Kind des Kronprinzen Maximilian und der preußischen

Ludwigs Eltern, Kronprinz Maximilian von Bayern und seine Frau Marie von Preußen . Sie hatten am 12. Oktober 1842 in der Allerheiligen-Hofkirche in München geheiratet.

Das Nymphenburger Schloss spielte als Aufenthaltsort in Ludwigs Leben keine große Rolle, er ließ lieber Verwandte dort wohnen .

19

Prinzessin Marie das Licht der Welt. 101 Kanonenschüsse verkünden in München lautstark das freudige Er-eignis. Tags darauf tauft man den neuen Erdenbürger im Steinernen Saal des Schlosses auf die Namen Otto Friedrich Wilhelm Ludwig. Otto will man ihn rufen, den klei-nen Prinzen. Doch einige Tage nach der Taufe überredet sein Großvater Ludwig I., der amtierende König Bayerns, die Eltern, ihn besser Lud-

wig zu nennen. Schließlich sei sein Enkel doch, wie er selbst, am Lud-wigstag zur Welt gekommen. Aber ist er das tatsächlich? Oder hat man Ludwig I. zuliebe bei diesem Datum

ein bisschen nachgeholfen? Zumin-dest gibt es Gerüchte, dass der kleine Prinz bereits vor dem 25. August das Licht der Welt erblickt haben soll.König Ludwig I. wird auch Ludwigs

Königlicher Großvater: Ludwig I ., ca . 1860 .

Die Familie S . M . König Maximilian II . von Bayern . Der Name Otto kam dann doch noch zu Ehren, als am 27 . April 1848 Ludwigs kleiner Bruder (rechts) geboren wurde .

20

Taufpate. Damit wird eine Namens-reihe fortgesetzt, der Ludwig II. später große Bedeutung zumessen wird, denn der Taufpate Ludwigs I. war ebenfalls ein Ludwig: der Bour-bone Ludwig XVI. Seine und seiner namensgleichen Vorgänger Regie-rungszeit, das Ancien Régime, wird zum großem Vorbild Ludwigs II. – das absolutistische Königtum Frank-reichs zu seinem gelebten Traum. So wird aus dem Prinzen Otto also ein Prinz Ludwig. Aber Ludwig hat seinem Großvater nicht nur den Na-men und möglicherweise sein offizi-elles Geburtsdatum zu verdanken, es gibt noch mehrere Gemeinsam-keiten:Beide zeigen reges Interesse an der germanischen Sagenwelt. Beide wer-den von Menschen in ihren Bann ge-zogen, die den Münchnern ein Dorn im Auge sind: Was für Ludwig I. Lola Montez war, wird für Ludwig II. Ri-chard Wagner – »Lolus«, wie ihn die

Münchner deshalb auch nennen. Wie der Zeitzeuge Ludwig Schaufert be-richtet, hat der jüngere Ludwig »den-selben auffälligen Gang (…) wie Kö-nig Ludwig I., der immer mit seinen Knien das Kinn berühren zu wollen schien, wodurch ein förmliches Über-einanderwerfen der Beine entstand«. Beide geben eine Schönheitengalerie in Auftrag (in die übrigens Ludwig I. auch seine schöne Schwiegertochter Marie aufnehmen lässt, Abb. S. 16) und beide frönen ihrer Bauwut: Lud-wig I. in München – ihm haben wir neben dem Königsbau der Residenz am Max-Joseph-Platz vor allem die Ludwigstraße und den Königsplatz zu verdanken – Ludwig II. außerhalb Münchens. Er baut das Königshaus am Schachen und die Schlösser Lin-derhof, Neuschwanstein und Herren-chiemsee. Schon früh scheint Ludwig I. in seinem Enkel das Baugenie zu er-kennen und zu fördern. So schreibt

Ludwig II . inmitten seiner Schlösser: Berg und Hohenschwangau waren geerbt, Linderhof, Neuschwan-stein und Herrenchiemsee ließ er errichten .