Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 ... · unter Leitung von Kenzo Tange...

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bildung in weiten Bereichen neue Strukturen. Be- reits 1873 hatte Wien die Neuordnung der Innen- stadt zum Thema gemacht, im 20. Jahrhundert wa- ren programmatische Beiträge für Montreals „terre des hommes“ oder für Osaka als experimenteller Bauplatz der Stadtutopien aus den 1960er Jahren unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel. Insbesondere das Motto von Montreal markiert einen qualitativen Sprung: die Entstehung eines globalen Bewusstseins. Diese EXPO hat mit dem Wohnhügel von Moshe Safdie zum ersten Mal eine Wohnarchitektur als Zeichen, verstanden als Alter- native zur Zersiedlung der Landschaft. Auch Deutschland konnte in der Vergangenheit auf Weltausstellungen architektonische Maßstäbe setzen: Der Beitrag von Ludwig Mies van der Rohe 1929 in Barcelona wurde stilbildend für die moder- ne Architektur, nicht zuletzt durch Mies‘ Entwurfs- prinzipien des „freien Grundrisses“ und des „flie- ßenden Raumes“. Gleiches gilt für die Deutschen Pavillons von Egon Eiermann 1958 in Brüssel und von Frei Otto und Rolf Gutbrod 1967 in Montreal, Letzterer mit einem Zelt als „Ausstellungsgebäu- de“. Das hatte es bis dahin auf Weltausstellungen noch nicht gegeben. Eine Weiterentwicklung ist die Zeltkonstruktion für die Olympischen Spiele 58 Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 – eine Nachlese Wolfgang Schneider Von Weltausstellungen gingen stets wesentliche städtebauliche und architektonische Impulse aus. Am Beispiel der EXPO 2000 skizziert der Beitrag die Planungsprozesse mit Wettbewerben, die Rea- lisierung wichtiger Bauprojekte ebenso wie he- rausragende Elemente der Landschafts- und Frei- raumplanung. Neben architektonischen Neuheiten im Hallenbau auf dem EXPO- und Messegelände wird auch die (unrühmliche) Geschichte des Deut- schen Pavillons thematisiert. Einigen markanten und in Erinnerung bleibenden Architekturstate- ments unter den Nationenpavillons stand aller- dings vielfach Dutzendware gegenüber, die dem Anspruch an Nachhaltigkeit nicht gerecht werden konnte. 1. Weltausstellungen als Zeitmesser Wenn die These stimmt, dass Weltausstellungen als Entwürfe von dem Spiel mit der Imagination als Antrieb für soziale Prozesse leben, dann haben diese Entwürfe ein besonderes Verhältnis zum Bewusstsein der Zeit. Von ihnen gingen wesent- liche Impulse für neue Konzepte zum Städtebau und zur Architektur aus. Ihre Bilder, Inszenierun- gen und Projekte prägen bis in die Gegenwart städtebauliche Leitbilder. Die Ausstellungsgelände aber, wo sie nicht als Symbole und monumentale Anlagen eine über die Zeit hinausgehende Wir- kung erlangten, hinterließen die vergänglichsten Bauten. Analog zu H.G. Wells’ Roman „The Time Machine“ von 1895 gehen die architektonischen Umwelten der Weltausstellungen von der Vorstel- lung aus, dass Vergangenheit und Zukunft zitierba- re Zeitebenen einer Zeitreise sind. Weltausstellungen wurden und werden immer wieder zu Sinnbildern von Paradigmenwechseln stilisiert, zuweilen mit epochaler Bedeutung. In der Philosophie werden diese Sinnbilder allerdings als Fortfall von Kausalität und Substanz gedeutet. Sie erfüllten in der Vergangenheit die Sehnsüchte der Menschen und bewirkten eine tiefgreifende Verän- derung von Öffentlichkeit. Auch als sie noch Mes- sen der Erfindungen und der neuartigen Industrie- produkte waren, boten die „Expositions Universel- les“ bereits architektonisch wegweisende Bauten mit virtuosen Konstruktionen wie zum Beispiel den Londoner Kristallpalast oder den Pariser Eiffelturm. Nicht weniger revolutionär als ihre Architektur waren auch die Themen der ersten Weltausstellun- gen, erforderten doch Industrialisierung und Stadt- Luftaufnahme Messe- und Expogelände; Foto: Michael Lindner 59 DAS STäDTEBAULICHE UND ARCHITEKTONISCHE ERBE DER EXPO 2000 – EINE NACHLESE

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Page 1: Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 ... · unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel. Insbesondere das Motto von Montreal markiert einen qualitativen

bildung in weiten Bereichen neue Strukturen. Be-

reits 1873 hatte Wien die Neuordnung der Innen-

stadt zum Thema gemacht, im 20. Jahrhundert wa-

ren programmatische Beiträge für Montreals „terre

des hommes“ oder für Osaka als experimenteller

Bauplatz der Stadtutopien aus den 1960er Jahren

unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel.

Insbesondere das Motto von Mon treal markiert

einen qualitativen Sprung: die Entstehung eines

globalen Bewusstseins. Diese EXPO hat mit dem

Wohnhügel von Moshe Safdie zum ersten Mal eine

Wohnarchitektur als Zeichen, verstanden als Alter-

native zur Zersiedlung der Landschaft.

Auch Deutschland konnte in der Vergangenheit

auf Weltausstellungen architektonische Maßstäbe

setzen: Der Beitrag von Ludwig Mies van der Rohe

1929 in Barcelona wurde stilbildend für die moder-

ne Architektur, nicht zuletzt durch Mies‘ Entwurfs-

prinzipien des „freien Grundrisses“ und des „flie-

ßenden Raumes“. Gleiches gilt für die Deutschen

Pavillons von Egon Eiermann 1958 in Brüssel und

von Frei Otto und Rolf Gutbrod 1967 in Montreal,

Letzterer mit einem Zelt als „Ausstellungsgebäu-

de“. Das hatte es bis dahin auf Weltausstellungen

noch nicht gegeben. Eine Weiterentwicklung ist

die Zeltkonstruktion für die Olympischen Spiele

58

Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 – eine Nachlese

Wolfgang Schneider

Von Weltausstellungen gingen stets wesentliche

städtebauliche und architektonische Impulse aus.

Am Beispiel der EXPO 2000 skizziert der Beitrag

die Planungsprozesse mit Wettbewerben, die Rea-

lisierung wichtiger Bauprojekte ebenso wie he-

rausragende Elemente der Landschafts- und Frei-

raumplanung. Neben architektonischen Neuheiten

im Hallenbau auf dem EXPO- und Messegelände

wird auch die (unrühmliche) Geschichte des Deut-

schen Pavillons thematisiert. Einigen markanten

und in Erinnerung bleibenden Architekturstate-

ments unter den Nationenpavillons stand aller-

dings vielfach Dutzendware gegenüber, die dem

Anspruch an Nachhaltigkeit nicht gerecht werden

konnte.

1. Weltausstellungen als Zeitmesser

Wenn die These stimmt, dass Weltausstellungen

als Entwürfe von dem Spiel mit der Imagination als

Antrieb für soziale Prozesse leben, dann haben

diese Entwürfe ein besonderes Verhältnis zum

Bewusstsein der Zeit. Von ihnen gingen wesent-

liche Impulse für neue Konzepte zum Städtebau

und zur Architektur aus. Ihre Bilder, Inszenierun-

gen und Projekte prägen bis in die Gegenwart

städtebauliche Leitbilder. Die Ausstellungsgelände

aber, wo sie nicht als Symbole und monumentale

Anlagen eine über die Zeit hinausgehende Wir-

kung erlangten, hinterließen die vergänglichsten

Bauten. Analog zu H.G. Wells’ Roman „The Time

Machine“ von 1895 gehen die architektonischen

Umwelten der Weltausstellungen von der Vorstel-

lung aus, dass Vergangenheit und Zukunft zitierba-

re Zeitebenen einer Zeitreise sind.

Weltausstellungen wurden und werden immer

wieder zu Sinnbildern von Paradigmenwechseln

stilisiert, zuweilen mit epochaler Bedeutung. In der

Philosophie werden diese Sinnbilder allerdings als

Fortfall von Kausalität und Substanz gedeutet. Sie

erfüllten in der Vergangenheit die Sehnsüchte der

Menschen und bewirkten eine tiefgreifende Verän-

derung von Öffentlichkeit. Auch als sie noch Mes-

sen der Erfindungen und der neuartigen Industrie-

produkte waren, boten die „Expositions Universel-

les“ bereits architektonisch wegweisende Bauten

mit virtuosen Konstruktionen wie zum Beispiel den

Londoner Kristallpalast oder den Pariser Eiffelturm.

Nicht weniger revolutionär als ihre Architektur

waren auch die Themen der ersten Weltausstellun-

gen, erforderten doch Industrialisierung und Stadt-

Luftaufnahme Messe- und Expogelände; Foto: Michael Lindner

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DAS STäDTEBAULICHE UND ARCHITEKTONISCHE ERBE DER EXPO 2000 – EINE NACHLESE

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ländes als gebaute Stadt mit klaren Kanten vor, die

allerdings so nicht realisiert werden konnte. Die

mit den Preisträgern durchgeführte Überarbeitung

ergab gravierende Veränderungen gegenüber der

Ursprungsplanung: die Aufwertung des Ostteils

durch die Einfügung der „EXPO-Plaza“ und das

„Pavillongelände Ost“. Das Ergebnis dieses Pla-

nungsprozesses war ein weit ausgearbeitetes

Städtebau- und Strukturkonzept für ein kompaktes

Ausstellungs gelände, das bereits alle wesentlichen

Struktur lemente der späteren Geländeplanung

enthielt.

Die Vielschichtigkeit der Aufgabenstellung erfor-

derte ein einfaches, robustes Konzept als konsis-

tente Planungsgrundlage. Ab Sommer 1993 wurde

die Erarbeitung des Masterplans für das Weltaus-

stellungsgelände dem Büro AS&P Albert Speer &

Partner (Frankfurt) und den Landschaftsplanern

Kienast, Vogt und Partner (Zürich) übertragen.

Darin wurden „sowohl die städtebauliche Struktur

des Weltausstellungsgeländes weiterentwickelt als

auch wesentliche Aspekte wie Verkehr, Lage der

Besuchereingänge, Belange der Sicherheit … Der

Masterplan war koordinierendes Instrument in ei-

nem Planungsprozess mit einer großen Zahl von

Beteiligten … Von diesem Planwerk, das auf dem

Prinzip der ,offenen Planung‘ beruht, ging eine

wichtige ordnende und leitende Funktion für die

vielen an der Konzeption und Realisierung der

vielfältigen Baumaßnahmen beteiligten Akteure

aus“ (Jürgen Eppinger, ehem. Leitender Baudirek-

tor der Planungsgruppe Weltausstellung). Das

Messegelände wurde nach einem orthogonalen

System neu geordnet und um zwei ebenfalls ortho-

gonale Pavillonflächen ergänzt.

Einen besonderen Beitrag stellten neben den ein-

zelnen Objektplanungen die Landschafts- und

Freiraumplanungen dar, die in hohem Maße zur

Strukturierung und Qualität des Gesamtgeländes

beigetragen haben. Dazu gehören beispielsweise

die „Allee der Vereinigten Bäume“ als axiale Ost-

West-Verbindung, der „EXPO-See“ und das weit-

hin sichtbare und größte freitragende, von Weiß-

tannen gestützte Holzdach der Welt, das Wahrzei-

chen „EXPO-Dach“ (Architekt Prof. Herzog & Part-

ner). Mit der „EXPO-Plaza“ erhielt das Gelände

darüber hinaus einen „gut dimensionierten und

vielfältig nutzbaren modernen Platzraum“ (Eppin-

ger), der nach einem städtebaulichen Wettbewerb,

den das Büro von Gerkan, Marg und Partner

gewonnen hatte, durch das Büro WES realisiert

wurde. Erwähnung finden sollte auch der land-

schaftsplanerische Wettbewerb „EXPO-Ost“, den

Kamel Louafi gewann. Die auf der Grundlage

dieses Wettbewerbes realisierten Gartenanlagen

im Ostteil des Geländes „Gärten im Wandel“,

„ EXPO-Park“ und „Park-Agricole“ gehörten nicht

nur aufgrund ihres herausragenden Konzeptes,

sondern auch durch die hohe Qualität ihrer Reali-

sierung zu den Stärken des Geländes.

Überhaupt Wettbewerbe: Zu den besonderen

Anstrengungen im Hinblick auf Architekturquali-

tät gehörten diverse Wettbewerbsverfahren, die im

Vorfeld der Weltausstellung auch für Bereiche au-

ßerhalb des Messegeländes durchgeführt wurden.

Zu erwähnen sind beispielsweise die Realisie-

rungswettbewerbe für die Messehallen 8, 9 und 13,

den Bahnhof Hannover Messe/Laatzen oder die

„Familie“ der Fußgängerbrücken zur Verbindung

der einzelnen Geländeteile, die auch umgesetzt

wurden.

3. Architektonische Neuheiten im Hallenbau auf dem EXPO- und Messegelände

Im Zuge der Neuausrichtung im Messehallenbau –

alles ebenerdig, hell, also viel Licht, Luft und Grün

– entstanden auf dem damals aktuellsten Stand der

1972 in München von Frei Otto und Günther Beh-

nisch, verstanden als ein durch internationale

Fernsehübertragungen vermitteltes Bild des Zu-

sammenwirkens von Mensch, Natur und Architek-

tur, das zum Image deutscher Offenheit und Trans-

parenz wurde – ein Gegensatz zur Monumentalität

der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.

Weltausstellungen, so schreibt André Bideau, sind

wie Olympische Spiele und andere Großereignisse

Teil einer sogenannten „Verwertungsdynamik“, für

die der Begriff „Festivalisierung“ geprägt wurde.

Die damit zusammenhängende Instrumentalisie-

rung von Architektur als „Event“ war nicht nur

Gegenstand der Kritik in den einschlägigen Feuil-

letons, sondern – wie die zahllosen, fast apokalyp-

tischen Beschreibungen über Sinn und Zweck von

Weltausstellungen zeigen – eine mehr oder weni-

ger offene Zivilisationskritik. Gutmeinende Apolo-

gien von Zukunftsoptimisten waren eher selten.

Und doch hat mit der EXPO 2000 eine Weltausstel-

lung neuen Typs als Großversuch für Nachhaltig-

keit und den schonenden Umgang mit Ressourcen

einen weiteren, gewaltigen Schritt nach vorne

getan.

2. EXPO 2000 als Weltausstellung neuen Typs mit Wettbewerben und herausragenden Projekten

Die Überlegungen, in Hannover eine Weltausstel-

lung auszurichten, gingen einher mit dem Ziel, den

Messestandort auszubauen. Da die herkömmli-

chen Weltausstellungen als nicht mehr zeitgemäß

galten und die Stadt eine neue Form der Weltaus-

stellung entwickeln wollte, kam der Aufsichtsrat

der Messe zu dem Konsens, eine Weltausstellung

zum Thema „Mensch – Natur – Technik“ auszu-

richten, die nicht nur ein temporäres Ereignis ist,

sondern ein bestehendes Gelände und dessen

Infra struktur nutzt und gleichzeitig als Motor für

die Stadtentwicklung von Hannover dient. Die

Thematik umfasste den hehren Anspruch, sich mit

Natur und Umwelt auseinanderzusetzen, mit Res-

sourcen sorgfältig umzugehen, den Menschen in

den Mittelpunkt und gleichzeitig die Themen

Nachhaltigkeit und Nachnutzung in den Vorder-

grund zu stellen.

In einem spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen konn-

te sich Hannover 1990, also vor 20 Jahren, mit nur

einer Stimme Mehrheit gegenüber Toronto durch-

setzen. Ausschlaggebend für den Zuschlag war ein

neues Konzept, das sich inhaltlich von anderen

Weltausstellungen abhob: Erstmals in der Ge-

schichte der Weltausstellungen wurde der zentrale

Ausstellungsbereich mit 600 „Weltweiten Projek-

ten“ in der Stadt, der Region, in Deutschland und

in der ganzen Welt verbunden (s. Beitrag Ahrens).

Zusätzlich sprach für Hannover der weltweite Be-

kanntheitsgrad als Messestadt mit einem intakten

und ausbaufähigen Gelände. In Kanada hatte es

außerdem bereits Weltausstellungen gegeben,

während in Deutschland noch nie eine Weltaus-

stellung ausgerichtet worden war.

Der Rat der Stadt Hannover ließ 1992 eine Bürger-

befragung durchführen. Das Ergebnis – 51,5 Pro-

zent für und 48,5 Prozent gegen die EXPO 2000 –

war knapp. Dennoch: Die Planungen konnten be-

ginnen. Wettbewerbe spielten eine entscheidende

Rolle bei der Entwicklung und Konkretisierung der

Geländeplanung. Als erster wurde der „Stadt- und

landschaftsplanerische Ideenwettbewerb Weltaus-

stellung EXPO 2000 in Verbindung mit dem Struk-

turkonzept Bereich Messe/Kronsberg“ ausgelobt.

Die Stadt Hannover brachte dazu ihr in Sichtweite

zum Messegelände gelegenes Filetgrundstück am

Kronsberg ein. Die Ende 1992 preisgekrönte Arbeit

der Schweizer Gruppe Arnaboldi/Cavadini/Hager

sah als städtebauliches Merkmal die Umklamme-

rung respektive Einrahmung des alten Messege-

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Page 3: Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 ... · unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel. Insbesondere das Motto von Montreal markiert einen qualitativen

Das freitragende Holzdach mit seinen fünf sanften

Schwüngen scheint auf dem Gebäude zu schwe-

ben. Dieser Eindruck wird durch die allseitig trans-

parente Fassade unterstrichen. Besucher können

die Halle vom südlichen Teil des Messeparks aus

betreten oder das obere Eingangsplateau an der

Hallennordseite nutzen. Diese Eingangsplattform

dient gleichzeitig als Bindeglied zwischen den bei-

den Teilen des Weltausstellungsgeländes. Von hier

aus führt die sogenannte EXPOnale, die zentrale

Brücke, zur Plaza hinüber; eine zusätzliche riesige

Freitreppe bildet die „Freiluftbühne“ zum Messe-

park und zur „Allee der Vereinigten Bäume“.

Mit unserem damaligen Büro hatten wir die Mög-

lichkeit, ebenfalls einen Beitrag zur Neuausrich-

tung der Hallenarchitektur zu leisten: Die neue

Halle 14 ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den

großen Freiräumen West und Mitte. Unter einem

leicht gesattelten Dach staffelt sich im Süden eine

170 Meter lange Fassade zur 26 Meter breiten

„ Allee der Vereinigten Bäume“. Die großzügige

Öffnung zur Allee bietet dem Besucher eine klare

Orientierung und einen erlebbaren Naturbezug.

Eine „Lichtfuge“ markiert den Übergang zur be-

stehenden Halle 15, deren Dach von der neuen

Kragkonstruktion abgehängt wurde. Aber auch mit

dem Fernsehstudio des NDR, dem NORD/LB-Pa-

villon als Konferenzzentrum – ein in Scheiben,

Schichten und Körper aufgelöstes Bauvolumen –

konnten wir auf dem EXPO- und Messegelände

ein Stück anspruchsvoller und zeichenhafter

Architektur verwirklichen – inklusive einem „Dach

der Begegnung“ und einem textilen Membran-

Dach.

Die bereits erwähnte Fußgängerbrücke „EXPO-

nale“ nimmt als Übergang zwischen den Ausstel-

lungsgeländen West und Ost eine Sonderstellung

ein. Zum Zeitpunkt der EXPO war sie angeblich

die größte Fußgängerbrücke Europas, ein Stück In-

genieurbaukunst der besonderen Art. Die Archi-

tekten und Ingenieure (von Gerkan, Marg & Part-

ner in ARGE mit Schlaich, Bergermann und Part-

ner) hatten eine filigrane Konstruktion aus Stahl

und Stahlbeton mit einer Länge von 127 und einer

Breite von 30 Metern geschaffen. Tausende Men-

schen liefen tagtäglich über die zum Teil mit Dou-

glasienholz belegten Segmente. Das Bild wurde je-

doch vor allem durch die Stahlstützen geprägt, die

sich in den Himmel emporreckten und gleichzeitig

ein Meer von Leuchtstelen bildeten, eindrucksvoll

– gerade in der Nacht – auch für die darunter

durchkommenden Autofahrer auf dem Messe-

schnellweg. Die Brücke formulierte so einen star-

ken architektonischen Ausdruck für die Ideale

einer weltumspannenden und Verbindungen

knüpfenden Ausstellung. 2009 wurde die EXPOna-

le jedoch um die Hälfte ihrer Breite demontiert

beziehungsweise „rückgebaut“. 32 der 174

Leuchtstelen wurden abgebaut und so bleibt kaum

mehr als der mittlere Streifen zurück. EXPO-

Dimensionen werden heute nicht mal zur CeBIT

benötigt. Bleibt zu hoffen, dass die Douglasien im

Sinne der Nachhaltigkeit noch anderweitige Ver-

wendung finden.

4. Sonderfall Deutscher Pavillon – eine endlose unrühmliche Geschichte

Eine zentrale Rolle im städtebaulichen Konzept

nimmt die EXPO-Plaza ein. Sie entstammt einem

Konzept des Büros gmp von Gerkan, Marg & Part-

ner, das 1996 den städtebaulichen Wettbewerb

gewonnen hatte: Ein quadratisch geformter Platz

als Veranstaltungs- und Empfangsraum, der mit

einer Fläche von 100.000 Quadratmetern deutlich

größer ist als der Petersplatz in Rom – und

Zukunftsoptimismus ausstrahlt(e). An allen Seiten

bebaut und durch klare Raumkanten begrenzt,

Technik und der ökologischen Überlegungen eine

Reihe architektonisch und konstruktiv markanter

Hallen, die über eine Fläche von ca. 450.000 Quad-

ratmeter verfügen. Diese Entwicklung setzte ein

mit dem Neubau des Tagungszentrums (Architek-

ten Storch und Ehlers), das sich durch Tageslicht in

allen Räumen von „geschlossenen Kongressma-

schinen“ abwandte. Nach diesen Erkenntnissen

entstanden später die neuen Hallenbauten, ge-

prägt von klaren Formen und hohen technischen

und ökologischen Maßstäben. Die Wandlung von

reinen „Funktionscontainern“ (Sepp Heckmann)

hin zu einer gestalterisch anspruchsvolleren Archi-

tektur begann mit der 15.000 Quadratmeter großen

Halle 2 (Architekten Bertram und Bünemann) und

setzte sich mit dem Neubau der Halle 4 fort (Archi-

tekt Prof. Marg, gmp), eine mit 21.000 Quadratme-

tern freitragende Halle. Mit der Halle 26 (Architekt

Prof. Herzog) und ihren bis zu 29 Meter hohen ein-

drucksvollen „Wellenbergen“ (Dietmar Branden-

burger) folgte ein weiterer inno vativer Meilenstein

in der Entwicklung von Messehallen.

Einen energietechnisch raffinierten, feinsinnig ele-

mentierten Bau stellt die 26.000 Quadratmeter

überspannende freitragende Halle 13 (Architekt

Prof. Ackermann) mit ihren charakteristischen

„Flügeln“ dar: verbrauchte Hallenluft wird durch

ein System aus so genannten Venturi-Flügeln

durch Unterdruck abgesaugt. Die Halle dient

gleichzeitig als Empfangshalle für den EXPO-Ein-

gang West und wird vom dortigen neuen Messe-

fernbahnhof Laatzen erschlossen. Ein weiterer

Triumpf der Größe und architek tonischen Qualität

konnte 1999 mit der Fertigstellung der 250 Meter

langen und 144 Meter breiten Doppelhalle 8/9

( Architekt Prof. Marg, gmp) auf der Ostseite des

Messegeländes gefeiert werden: Die Halle verfügt

über eine Ausstellungsfläche von rund 30.000 Qua-

dratmetern, davon 22.000 Quadratmeter stützen-

frei. Die Konstruktion ist Hängebrücken entlehnt:

Messehalle; Foto: Deutsche Messe AG

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Page 4: Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 ... · unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel. Insbesondere das Motto von Montreal markiert einen qualitativen

wenige Materialien sowie aus einheitlichen Modu-

len, verzinktem Stahl, Sichtbeton und Glas, erbaut,

gaben dem Pavillon ein unverwechselbares

Erscheinungsbild. Über die gesamte Länge von

75 Metern begrenzten 16 Meter hohe stählerne

Kolonnaden als Säulenwand den Pavillon zur Plaza

und bildeten gleichzeitig den Rahmen für die Brü-

cke, über die der Besucher das Gebäude betrat. Ein

Kreuzgang umgab den Gesamtkomplex und dien-

te als Wandel- und Ausstellungsbereich. Im Sakral-

raum trugen die Wände aus lichtdurchlässigen

Alabasterplatten zur indirekten Beleuchtung und

zur kontemplativen Stimmung des Raumes bei.

Ein Höhepunkt der EXPO-Baukunst.

5. Pavillons der Nationen – eine subjektive Auswahl heraus- ragender Architekturstatements

Es gab bei den Solitären aber noch andere Höhe-

punkte. So zum Beispiel die EXPO-Pavillons der

Niederlande und der Schweiz, die zunächst wie

„architektonische Antipoden“ (Hubertus Adam)

wirkten: Hier ein hoch aufragendes avantgardisti-

sches Gebilde, dort eine eher zurückhaltende Holz-

struktur, die zum teilweise marktschreierischen

Treiben ringsum Abstand zu wahren suchte. Bei

näherer Betrachtung offenbarten sich jedoch Ähn-

lichkeiten, denn den Pavillons lag das gleiche

entstanden hier signifikante Bauwerke wie die

heute TUI-Arena genannte Multifunktionshalle,

das Radisson Hotel, der Christus-Pavillon, das

Global House – und der Deutsche Pavillon.

Eine unrühmliche Position auch bei dieser Welt-

ausstellung nahmen die Vorgänge um Wettbewerb

und Realisierung eben dieses Deutschen Pavillons

ein. Wie schon 1992 in Sevilla gelang es in Ermang-

lung eines öffentlichen Bauherrn nicht, ein Wett-

bewerbsergebnis produktiv umzusetzen. Das

Problem: Die Bundesrepublik Deutschland stand

als „Bauherr“ nicht zur Verfügung, stattdessen soll-

te ein „nachrüstungsfähiges“ Gebäude auf der

EXPO gemietet werden. 1997 wurde daher eine

Trägergesellschaft Deutscher Pavillon gemeinsam

mit dem Bund gegründet, der mit 54 Prozent

Anteilseigner war, den 16 Bundesländern mit 27

Prozent und mit der EXPO-Beteiligungsgesell-

schaft der Deutschen Wirtschaft mit 19 Prozent.

Letzterer war der Hauptmieter dieses Pavillons, der

auch direkten Einfluss auf das begehrte, was ge-

baut werden sollte. Ebenfalls 1997 wurde ein inter-

nationaler Architektenwettbewerb veranstaltet,

„ohne dass man eigentlich wusste, welche Nut-

zung der Pavillon haben sollte“ (Sepp Heckmann).

Nachdem im Folgenden die Inhalte mehr und mehr

präzisiert wurden, stellte man fest, dass der Ent-

wurf von Florian Nagler auch nach zweimaliger

Überarbeitung damit nicht in Einklang zu bringen

war. Nagler stieg aus. Nachdem auch der damalige

Bauherr, die Firma Siemens, verhältnismäßig spät

im Dezember 1997 das Boot verließ, musste ein

neuer Investor gefunden werden. Zum Zuge kam

ein Unternehmer-Architekt, der als Generalüber-

nehmer auftrat. So konnte leider kein der Bedeu-

tung der Aufgabe entsprechendes architektoni-

sches Spitzenprodukt entstehen. Der Rest ist un-

rühmliche Deutsche-Pavillon-Geschichte und das

Gegenteil von beispielhafter Planungs- und Ver-

fahrenskultur.

Aber bekanntlich wiederholt sich Geschichte: Für

den Bau des Deutschen Pavillons bei der EXPO

2010 in Shanghai hatte das Bundeswirtschaftsmi-

nisterium die Koelnmesse International beauftragt,

ein sehr umfangreiches Leistungspaket auszu-

schreiben. Es umfasste neben Architektenleistun-

gen wie Konzepterstellung und Planung auch die

Realisierung der Innen- und Außengestaltung

inklusive Rückbau, Entsorgung und Transportleis-

tungen, also gewerbliche Leistungen, die norma-

lerweise Bauunternehmen und Speditionen besor-

gen. Hier wurden Dinge miteinander vermischt,

die nicht zu überzeugenden architektonischen

Lösungen führen. Im Sinne der Verfahrenskultur

wäre zum Beispiel ein zweistufiges Verfahren bes-

ser gewesen; als Stufe eins: Durchführung eines

geistigen Leistungs- bzw. Architektenwettbe-

werbs zur Erlangung von Konzepten, die durch ei-

ne fachlich kompetente Jury mit dem Ziel bewertet

wird, alle nicht herausragenden Arbeiten auszu-

sondern. In Stufe zwei könnten dann die Angebote

zu den weiteren Leistungsbestandteilen eingeholt

werden.

Die Kritik der Architektenschaft an dieser Art von

Verfahren ist klar: Es geht den Beteiligten ganz

offensichtlich um einen Preiswettbewerb und

nicht um Architekturqualität. Es ist eine zuneh-

mende Tendenz bei öffentlichen Auftragsvergaben

festzustellen, Planung und Ausführung zu koppeln

und ein Konsortium zu suchen, das alle Leistungen

gleichermaßen erfüllt. Das Nachsehen habt das

Qualitätsniveau und damit die Baukultur.

Ein anderer – positiver – Fall war der Christus

Pavillon (Architekt Prof. von Gerkan, gmp) als Ort

der Stille und Besinnung auf dem Gelände der

EXPO-Plaza, der in seinem Habitus an ein Kloster

erinnerte. Er war so konzipiert, dass er für die Er-

weiterung des Zisterzienserklosters in Volkenroda

in Thüringen wieder verwendet werden konnte.

Klare geometrische Formen und Reduzierung auf Der Niederländische Pavillon; Bildquelle: Hatje Cantz Verlag

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Lärchen- und Föhrenholz zu neun Meter hohen

Stapeln geschichtet und bildeten ein verwinkeltes

System aus Gängen und Höfen. Eine labyrinthi-

sche Raumstruktur. Diese nach allen Seiten offene

Form symbolisierte augenfällig die Selbstwahrneh-

mung der Schweizer. Eine Freilichtarchitektur, die

den Besuchern keine festgelegten Wege vorgab.

Darüber hinaus sprachen Klang- und Lichtinstalla-

tionen sowie der Duft des Holzes die Sinne an.

Mehr „transluzent“ präsentierte sich Japan mit

einem von Shigeru Ban aus Tokio entworfenen, voll

recycelbaren Pavillon. Dieser für seine Häuser aus

recyceltem Papier bekannte Architekt setzte den

Werkstoff erstmals in großem Maßstab ein. Erst

eine so genannte „Zustimmung im Einzelfall“ und

zahlreiche Sondergenehmigungen hatten diese

einmalige Konstruktion ermöglicht. Ein Experi-

ment, gebildet aus einem gekrümmten Flächen-

tragwerk, das aus kreuzweise gegeneinander ver-

schränkten gebogenen Pappröhren bestand. Das

Dach des Pavillons wurde von Stahlstützen hoch-

gestemmt, bis die endgültige gewölbte Dachform

erreicht war. Als Dachhaut diente eine lichtdurch-

lässige Membran aus Textilien und Papierkunst-

stoff, die den Pavillon überspannte, aber auch den

Witterungsbedingungen standhielt.

Über 100 eigens von Finnland nach Hannover ge-

flogene Bäume symbolisierten die große Bedeu-

Entwurfsprinzip, nämlich das der Schichtung, zu-

grunde. Türmten die Niederländer in ihrer Struktur

Landschaftslayouts übereinander, so stapelten die

Eidgenossen Holz. Treffender lassen sich Nähe

und Unterschied der beiden immer noch führen-

den Architekturnationen wohl kaum versinnbildli-

chen.

Im Einzelnen: Der niederländische Ausstellungs-

beitrag „Holland schafft Raum“ wurde von den

Architekten MVRDV aus Rotterdam wörtlich ge-

nommen. Sie stapelten in dem rund 40 Meter

hohen Pavillon typische holländische Landschaf-

ten übereinander. Fast 90 Prozent der Grund-

stücksfläche blieb dadurch unbebaut und konnte

als „Garten“ genutzt werden. Der Entwurf thema-

tisiert die Fähigkeit der Niederländer, den ihnen

zur Verfügung gestellten Raum optimal zu nutzen,

und erinnert an die Polder, die durch künstliche

Landgewinnung entstanden sind. Eine effiziente

und platzsparende Bauweise, die es ermöglichte,

alle Facetten des Landes auf engstem Raum und

optisch wirkungsvoll darzustellen.

Mit dem von Peter Zumthor erdachten „Klangkör-

per“ aus gestapelten Holzbalken, die nach der

Weltausstellung als Bauholz weitergenutzt werden

konnten, präsentierte sich die Schweiz eindrucks-

voll und „nachhaltig“. Wie in einem Holzlager

wurden 3.000 Kubikmeter frisch geschnittenes

IInnenansicht Schweizer Pavillon; Bildquelle: Hatje Cantz Verlag Der ungarische Pavillon; Bildquelle: Hatje Cantz Verlag

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tung des Waldes für die finnische Gesellschaft. Der

Pavillon mit dem Namen „Windnest“, Architekten

SARC aus Helsinki, steht noch heute auf dem Ge-

lände. Ein „nachhaltiges“ Ensemble aus zwei vier-

geschossigen Gebäuderiegeln und einem einge-

fassten dichten Birkenwäldchen, durch das man

über hölzerne Brücken von einem Gebäudeteil in

den anderen gehen kann. Die Außenfassaden der

beiden geschlossenen Gebäuderiegel bestehen

aus wärmebehandeltem Birkenholz, das auch als

Holzrost auf der Dachhaut liegt. Der Bereich des

Birkenwäldchens ist nicht überdacht. Die dem

Wald zugewandten Fassaden der Pavillonflügel

und die den Wald nach außen abgrenzenden Flä-

chen sind Glaswände mit Tragwerken aus Stahl.

Der rumänische Pavillon, entworfen von studio a

architekten aus Chur und Zürich, wurde als

„Grünes Netzwerk“ schon 1999 an der Accademia

di Arte in Mailand als neue beispielhafte Architek-

tur ausgezeichnet. Die Wände des temporären

Ausstellungsgebäudes bestanden aus einer mem-

branbespannten zweifachen Gerüstkonstruktion

mit einer Tiefe von zwei und einer Höhe von neun

Metern. Eine feingliedrige Metallstruktur bildete

den Rahmen für Pflanzen – den eigentlichen

Bedeutungsträger des Pavillons.

Noch auf dem Gelände und wohl Abrisskandidat ist

der spanische Beitrag, entwickelt von Cruz y Ortiz

aus Sevilla, der sich nach außen als großer Kork-

block mit tiefen Zäsuren darstellt. Die zerklüftete

äußere Geometrie des Gebäudes steht im Gegen-

satz zu der präzisen Form und Strenge der Innen-

räume und des Hofraumes, dem öffentlichen Platz.

Der ungarische Pavillon, eine von György Vadasz

aus Budapest entworfene Skulptur, bestand aus

einem 20 Meter hohen, organisch geformten Bau-

körper aus bogenförmigen Schalen, der von einem

niedrigen L-förmigen Bau umgeben war. Dieser

markante Solitär, die hölzerne „Blüte“ soll als

Eingangsportal zu einem Wohn- und Gewerbe-

gebiet in Abu Dhabi wieder aufgebaut werden.

Ergo: Wer die EXPO damals selbst besucht hat,

weiß, welche eindrucksvolle Architektur sich an

den großen Achsen darstellte. Wer heute auf diesen

Wegen geht, sieht vor allem Tristesse. Stichworte

genügen, um das Erbe zu beschreiben:

– Niederlande: Pavillon steht verwahrlost und

von Vandalismus gekennzeichnet auf dem Ge-

lände. Eine Nachnutzung ist wegen der offe-

nen Bauweise schwierig.

– Schweiz: Pavillon wurde zu 60 Prozent als Bau-

holz verkauft und auf einem Vereinsgelände

am Rande von Banteln/Gronau verbaut. Der

verbleibende Rest wurde auf der Landesaus-

stellung Expo.02 in der Schweiz verwendet.

– Japan: Pavillon wurde recycelt/wiederverwen-

det.

– Finnland: Pavillon steht noch auf dem Gelände

als (F)INBOX, einem Bürozentrum.

– Rumänien: Pavillon in Rumänien wieder aufge-

baut.

– Spanien: wollte seinen Pavillon als Kulturzent-

rum nutzen, hatte aber keine Unterstützung

bei den Konzepten. Der Pavillon verfällt zuse-

hends und wird vermutlich abgerissen.

6. Fazit

Nun ließe sich über viele andere Nationen-Pavil-

lons, über deren Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit,

lange und ausführlich kritisch reflektieren. Aber

angesichts der heute auf dem südöstlichen Gewer-

bepark-Gelände anzutreffenden Tristesse fallen

mir bei bestem Willen keine freundlichen Worte

ein. Der Zustand der meisten Pavillons ist erbärm-

lich: Beispielhaft erwähnt sei nur der von Wild-

wuchs befallene, vor sich hin rottende niederlän-

dische Beitrag. Ein Trauerspiel. Auch für ein jetzt

gewöhnliches Gewerbegebiet, dessen Vermark-

tung dadurch nicht leichter werden dürfte.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass

im Gegensatz zu den von mir positiv beschriebenen

Bauwerken bei den meisten, um Aufmerksamkeit

und Originalität bemühten Nationen Dutzendware

als Ausstellungspavillons erbaut wurde, die nicht nur

ästhetisches Mittelmaß darstellte, sondern dem Ge-

danken der Nachhaltigkeit in keinster Weise gerecht

wurde. Anspruch und Wirklichkeit klafften meistens

auseinander. Wahre Ikonen sind eben selten.

Ob auch der als „Raumskulptur“ in Eigenlob em-

phatisch gepriesene Deutsche Pavillon für die

EXPO 2010 in Shanghai als ein „Meisterwerk auf

Zeit“ gelten wird, darf schon vor der Fertigstellung

bezweifelt werden. Die metaphysische Beschrei-

bung von balancity, einem Kunstwort aus „Balan-

ce“ und „City“ – Stadt als gebautes Sinnbild für die

Balance von Vielfalt und Dichte, gebildet aus unter-

schiedlichen historischen Schichten, Räumen,

Funktionen und Atmosphären – täuscht darüber

hinweg, dass Städte vor allem dauerhaft angelegt

sind und ihre Architektur die Prinzipien der Nach-

haltigkeit berücksichtigen sollte. Insofern ist das

computeranimierte Architektur-Exponat mehr

Fiktion denn Vision.

Weltausstellungen erscheinen in unserer globa-

lisierten Welt als Relikte einer Zeit, deren Rezep-

turen heute nicht mehr tauglich sind. Ihre Funk-

tionen sind überholt und als Konkurrenz der Natio-

nen erschöpft sich das Medium Weltausstellung

wie andere Medien in der Kurzlebigkeit. Ich be-

zweifele den Sinn der nationalen Selbstbespiege-

lungen mit ihrem chronischen Zukunftsoptimis-

mus. Aber: Für eine Stadt wie Hannover war die

EXPO 2000 ein Segen. Sie bescherte ihr neue Infra-

strukturprojekte wie hervorragend ausgebaute

Autobahnanbindungen, einen topmodernisierten

Hauptbahnhof samt mustergültig gestaltetem

Heute: der niederländische Pavillon; Foto: Wolfgang Schneider

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DAS STäDTEBAULICHE UND ARCHITEKTONISCHE ERBE DER EXPO 2000 – EINE NACHLESE

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Page 7: Das städtebauliche und architektonische Erbe der EXPO 2000 ... · unter Leitung von Kenzo Tange bereits die Regel. Insbesondere das Motto von Montreal markiert einen qualitativen

Literatur

Architektur EXPO 2000 Hannover (2000); Hatje

Cantz Verlag und EXPO 2000 Hannover GmbH

Städtebau im Zeichen der EXPO 2000, Die neunzi-

ger Jahre in Hannover; Landeshauptstadt Hanno-

ver 2000

Der Architekt, EXPO 2000; Ausgabe 1/1997

BDA-Jahrbücher 1994; 1996/1997; 1998/1999;

2000/2001; Bund Deutscher Architekten BDA in

Niedersachsen

HAZ 29.08.2007 Kulturteil: Interview mit dem Prä-

sidenten der Architektenkammer Niedersachsen

über deutsche EXPO-Pavillons – und den Streit um

den Bau für 2010 in Shanghai

Bahnhofsvorplatz und viele andere in der Innen-

stadt realisierte Projekte. Am meisten aber profitier-

ten der Messestandort respektive das Messegelän-

de mit seinen beeindruckenden Architek turen,

wenngleich sich die Ausnutzung der Hallen im Zu-

ge des Strukturwandels der Wirtschaft und in Zeiten

der Finanzkrise als zunehmend schwierig erweist.

Wenn wir im Jahr 2010 wehmütig zurückblicken

auf die Zeit der EXPO 2000, dann erinnern wir uns

auch eines zehnjährigen spannenden Planungs-

prozesses, der jetzt seine Entsprechung findet: Mit

Hannover City 2020+ ist wieder ein Megaprojekt

aus der Taufe gehoben worden, welches das Ge-

sicht der Stadt verändern wird. Gegenwärtig wird

in dem Prozess Hannover City 2020+ ein städte-

baulich-landschaftsplanerischer Ideenwettbewerb

für die Innenstadt durchgeführt, der bis Sommer

2010 abgeschlossen werden soll. Das Verfahren ist

dadurch geprägt, dass die Öffentlichkeit eingebun-

den und der Entscheidungsprozess transparent

gestaltet wird.

Es ist wohl richtig, dass es „zum Wesen der Utopie

gehört, dass ihre Ziele unerreichbar sind, dass wir

ihrer aber bedürfen, wir ein möglichst fernes Ziel

brauchen, ein gewagtes Stimulans – die Heraus-

forderung. Eine Utopie stellt alles in Frage, auch die

Realität. Sie will die Renaissance, nicht bloß die

Reform“. Manfred Sacks Traktat „Wie entsteht

gute Architektur?“ aus dem Jahre 1993 eignet sich

noch heute hervorragend als Sinngeber und

Korrektiv für die Entscheidungsträger, schreibt er

doch von Utopie und der Kultur des Bauherrn und

davon, dass die Kultur alles Geplanten und Gebau-

ten nicht zuletzt auch den Anspruch seiner Bau-

herren wiedergibt. Baukultur ist Synonym für –

herausragende – Qualität. In diesem Sinne ist das

Prinzip Hoffnung von entscheidender Bedeutung.

In mir lebt die Hoffnung, dass auch auf dem EXPO-

Gelände noch Baukultur von einst gerettet und

neue entstehen kann.

Bahnhofvorplatz Hannover

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