S 8 Vom Meditationskissen auf die Barrikaden S 12 Der Geist ist unendlichS 20 Gewaltig, aber gewaltlos S 26 Politiker ins Kloster S 36 Licht aus! S 42 Komm mir nicht zu Nah… S 50 Der Krankheit davonlaufen S 58 Mein Herz fliegt durch die Schweiz S 66 Passfahrten – eine Hassliebe – und mehr!
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Sept. / Oktober 201210.– CHF / 8.– €
Spiritualität & Politik
Für intell igente Optimist innen und konstruk t ive Skept iker
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Impressum
ZeItpunkt 121 september / OktOber 2012Erscheint zweimonatlich, 21. Jahrgang
Verlag / redaktIOn / abOVerwaltungZeitpunktWerkhofstrasse 19CH-4500 SolothurnAboverwaltung: Hannah WillimannTel. 032 621 81 11, Fax 032 621 81 [email protected], www.zeitpunkt.chPostcheck-Konto: 45-1006-5IBAN: 0900 0000 4500 1006 5ISSN 1424-6171
VertrIeb deutschlandSynergia Verlag und MediengruppeErbacher Strasse 107, 64287 DarmstadtTel. (+49)6151 42 89 10 [email protected]
redaktIOnCécile Knüsel CK, Melanie Küng MK, Christoph Pfluger CP, Roland Rottenfußer RR; Ständige MitarbeiterInnen: Sagita Lehner SL, Alex von Roll AvR, Ernst Schmitter, Billo Heinzpeter StuderGrafik & IIllus*: tom hænsel | tintenfrisch.net (* falls nicht anders angegeben)
anZeIgenberatungCécile KnüselZeitpunkt, Werkhofstrasse 19CH-4500 SolothurnTel. 032 621 81 [email protected]
abOnnementspreIseDer Abopreis wird von den Abonnentinnen und Abonnenten selbst bestimmt.Geschenkabos: Fr. 54.– (Schweiz), Fr. 68.– (Ausland), Einzelnummer: Fr. 10.– / Euro 8.–.
druck und VersandAVD Goldach, 9403 Goldach
herausgeberChristoph Pfluger
tItelbIldtintenfrisch.net
beIlagenTeilauflagen dieser Ausgabe liegen Prospekte des Albergo Santo Stephano und des Versand-hauses Waschbär bei. Wir bitten um freund-liche Beachtung.
papIerRebello Recycling
Ich kann ohne das mindeste Zögern sagen, dass, wer behauptet, Spiritualität habe nichts mit Politik zu tun, nicht weiss, was Spiritualität bedeutet.
Gandhi
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Editorial
eIn gandhI reIcht beI weItem nIcht
Liebe Leserinnen und Leser
Spiritualität und Politik – bei diesem Thema ist eine Begriffsklärung unver-meidlich. Dies ist zwar kein guter Einstieg in einen Text, aber in diesem Fall nicht zu umgehen. Mit Spiritualität meine ich alles Denken, Handeln und Fühlen, das geistige Werte vor materielle stellt, also zum Beispiel Freiheit und Liebe vor Macht oder Gewinn. Und schon spürt man: Irgendwie sind wir alle mehr oder weniger spirituell. Nur sehr wenige Menschen werden Leben einem materiellen Gut opfern, wenigstens wenn sie direkt mit einer entsprechenden Entscheidung konfrontiert sind. Der Geist steht über der Materie. Aber er ist nicht frei, wenn die Bedürfnisse des Körpers nicht erfüllt werden, bei Hunger, Krankheit oder Kälte.
Die grosse Auseinandersetzung, die den Planeten Erde zur Zeit in Bann hält, ist der Kampf zwischen Geist und Materie. Dass man die Religion – oder bes-ser gesagt, die Glaubensbekenntnisse – seit der Aufklärung von den Staaten fernhält, ist vernünftig. Wir brauchen geistige Freiheit, um Mensch zu sein.Aber jetzt, wo der Materialismus vor dem schauerlichen Endsieg steht, droht er auch den Geist in den Abgrund zu reissen. Denn wenn der Mensch ums Überleben kämpft, bleibt auch sein Geist auf der Strecke. Und das können selbst die konsequentesten Aufklärer nicht gewollt haben.
In der Erkenntnis dieser Bedrohung ordnen immer mehr Menschen ihre Prio-ritäten neu, setzen ganz bewusst spirituelle Werte an die Spitze – und geraten prompt in Konflikt mit der Politik, deren Domäne schon immer das Materielle war. Dieses Heft handelt von zaghaften Anfängen, geistige Werte in die Politik einzubringen. Zu viel Hoffnung dabei zu haben, wäre vermessen. Die Seelen-kraft eines Gandhi hat vielleicht genügt, Indien aus der Kolonialherrschaft der Briten zu lösen. Um die Menschheit aus dem Reich des Geldes zu befreien, werden viele Gandhis nötig sein. Sehr viele.
Mit herzlichen GrüssenChristoph Pfluger, Herausgeber
Physische Stärke kann niemals auf Dauer der Kraft des Geistes widerstehen. Franklin D. Roosevelt
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6 Und vergib uns … Die Wirkung des Geistes in der Politik Christoph Pfluger
8 Vom Meditationskissen – auf die Barrikaden Spirituelle Menschen sollten sich politisch engagieren Roland Rottenfußer
11 Reife Spiritualität ist politisch Gary Zemp12 Der Geist ist unendlich – und seine Heimat sind wir Mit Meditation die Welt verändern Christine Ax 15 Der Maharishi Effekt – ein kurzer Überblick Christine Ax 16 Die Kraft der Seele –
Eine politische Willenskundgebung dieser Grösse wird die Welt noch nie gesehen haben Christoph Pfluger
20 Die Illusion & das Leiden – vom individuellen Weg zur sozial engagierten Kraft Katharina Ceming
23 Holy Shit Christoph Pfluger24 Von der Schwitzhütte aufs Piratenschiff –
Die Geschichte einer Reisenden zwischen den Welten Spiritualität und Politik Monika Herz
26 Mönche in die Politik – und die Politiker ins Kloster Paul Dominik Hasler
28 Wie erreichen wir Veränderung? – Lesermeinungen30 Auf dem Weg in eine neue Geschichte
und andere Kurzmeldungen
36 Licht aus – im September ist endgültig Schluss mit den Glühbirnen Roland Rottenfußer
41 Wenn doch nur mehr Hausfrauen (und -männer) wild würden! Eier aus dem Freiland statt aus der Batterie Billo Heinzpeter Studer
42 Komm mir nicht zu nah – bleib mir nicht zu fern Christine Ax44 Es ist nicht immer einfach, die unfassbare Andersartigkeit
von Menschen auszuhalten Christine Ax im Gespräch mit Claus Brechmann & Gunhild Kasper
46 Das Blaue vom Himmel … und weitere Kurzmeldungen
Inhalt
schwerpunkt: spIrItualItät & pOlItIk
36 entscheIden & arbeIten
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Inhalt
50 VOllwertIg leben
56 hOrIZOnte erweItern
50 Der Krankheit davonlaufen Bewegung ist die beste Therapie. Elke Kolb
54 Wer wach sein will, muss zuerst richtig schlafen, und andere Kurzmeldungen
57 Die gute Adresse für Ihre Gesundheit
56 Mein Herz fliegt durch die Schweiz – eine Reisereportage Alex von Roll
66 Die gute Adresse für sanften Tourismus 67 Passfahrten – eine Hassliebe
Warum tut man sich das an? fragt Michael Huber68 Die gute Adresse für
sanften Tourismus & Ihr Zuhause70 Frankoskop – Ende einer Epoche und Anzeichen für eine
kommende Ernst Schmitter 72 Kaiser & Schmarrn: Österreich lebt über seine politischen
Verhältnisse sagt Billo Heinzpeter Studer74 Wissen vom Schwarzmarkt und andere Kurzmitteilungen75 Die gute Adresse zur Horizonterweiterung77 Agenda78 Kleinanzeigen80 Leserbriefe82 Brennende Bärte: Die Trompeten von Jericho
Christoph Pfluger
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und VergIb uns … Die Wirkung des Geistes in der Politik von Christoph Pfluger
eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit ist auch eine ganz einfache: Wie erfüllen wir die Politik mit Geist? Wie überwinden wir den Egoismus, ohne die wichtigste Errungenschaft des
Menschen zu verlieren, die Freiheit? Wie transformie-ren wir den Materialismus und die Herrschaft über die Natur, sodass sie dem Ganzen dienen, anstatt es zu zerstören? Wie machen wir aus der Fülle der Schöpfung eine Fülle für alle? Und wie verbinden wir die vielen Rassen, Nationen und Ethnien zu einer Menschheit, die auch wie eine Menschheit handelt?
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Auf diese Frage gibt es eine Reihe von Antworten:• Der Sozialismus will alles gerecht verteilen und
vergisst, dass jeder Wert geschöpft werden muss, bevor er verteilt werden kann – und erzeugt so Verantwortungslosigkeit
• Der Liberalismus will die schöpferischen Kraft för-dern, verwechselt jedoch Freiheit mit Ellbogenfrei-heit – und erzeugt den Zwang des Stärkeren.
• Der Technokratismus – ein besserer Begriff muss erst noch gefunden werden – will dem Zwang mit Wissenschaft entkommen, und landet im Oppor-tunismus. Wenn aber der Zweck die Mittel heiligt, wird alles früher oder später zum Unheil.
• Aus dieser unheilen Welt, auf den Tod erkrankt an Ausbeutung, Naturzerstörung und Verschuldung, an Verfettung, Verblindung und Angst, aus dieser unheilen Welt sollen uns dann Religion und Spi-ritualität retten. Bevor sie dies aber zu tun bereit sind, verlangen sie von uns ein Schuldbekenntnis. Erlass und Erlösung gibt es nur für Reuige, also die Schuldigen.Was das in die Politik umgesetzt bedeutet, se-
hen wir in der Meinung des Mainstreams, die Ur-sache der Finzanzkrise liege in der Gier oder in der Ansicht der Umweltbewegung, die Zerstörung durch die Wegwerfgesellschaft sei die Summe in-dividuellen Fehlverhaltens (deshalb die ständigen Appelle, dieses zu ändern). Wir finden das indi-viduelle Schuldkonzept auch in den «spirituellen» oder «integralen» Parteien, deren Programme explizit erklären, Veränderung gehe vom Individuum aus. Erst wenn der einzelne Mensch sein Bewusstsein klärt und erweitert, könne auch die Welt wieder gesund werden.
Aber das ist vermutlich ein Irrtum, so zutreffend und überzeugend es auch klingt. Genausowenig, wie die Masse die Summe der Individuen ist, sondern ein spezifisches, kollektives Verhalten entwickelt, ge-nausowenig ist die Menschheit nicht die Summe der Massen. Ich bin überzeugt, dass Individuum, Gruppe und Menschheit je ganz eigene Entitäten sind, die nach ganz eigenen Gesetzen funktionieren, die un-glücklicherweise aber auch gegeneinander wirken können. Am Beispiel des Umgangs mit Mangel wird dies leicht ersichtlich:
Als selbst verantwortliches Individuum ist es im Falle einer Mangelsituation richtig, über den unmittel-baren Bedarf hinaus Vorräte anzulegen. Der Mangel könnte ja dauern oder sich verschärfen. Genau diese Verstärkung der Mangels ist aber die zwingende Folge auf der Ebene der Gruppe. Je mehr die einen horten, desto mehr fehlt den andern. Im Umgang mit dem
seit Äonen bestehenden Mangel, ob eingebildet, real vorhanden oder überhöht, ist die Gruppenintelligenz dem Individuum weit überlegen. Sie teilt gerecht.
Auf anderen Gebieten ist es gerade umgekehrt, bei der Angst zum Beispiel, auch dies ein Zustand, der zum Menschsein irgendwie zu gehören scheint. Panik kann in einer Masse ohne weiteres auch Men-schen erfassen und zu Fehlverhalten verleiten, die Gefahren normalerweise realistisch einschätzen und entsprechend reagieren. Die Gruppe kann auch ange-messene Ängste wegblasen, denen ruhig ein bisschen mehr nachgegeben werden dürfte, wie etwa in einem Krieg. Der Mensch ist nie so gefühllos und grob wie in der Gruppe.
Ähnliche Disharmonien wie zwischen Individu-um und Gruppe gibt es zwischen Nationen und der Menschheit als Ganzes. Sehr deutlich wird dies am heute wieder vorherrschenden Neomerkantilismus. Kein Land kann auf Dauer Überschüsse schaffen, ohne sie mit der Zeit zu einem Nachteil für sich selber zu machen. Macht wird damit zur Ohnmacht.
Das ist nicht die Art von Problemen, die das In-dividuum lösen muss. Aber genau dies verlangt der Zeitgeist der Grenzenlosigkeit, der jeden Menschen zu einem einsamen Kämpfer in einer Welt macht, die aus den Fugen geraten ist und auseinanderzufallen droht. Was uns noch zusammenhält, sind Schulden, die individuelle Schuld des Menschen und die kol-lektive Verschuldung der Länder.
Wenn wir Geist in die Politik tragen wollen, besteht die erste Massnahme deshalb in einem allgemeinen Schuldenerlass. Unser Geld besteht zum allergrössten Teil aus reinen Schulden, die sich dank Zins und Zin-seszins immer schneller vermehren und aus mathema-tischen Gründen nie zurückbezahlt werden können. Das multipliziert den Mangel und fördert damit auf individueller Ebene ein für das Ganze destruktives Verhalten. Auch das Individuum ist freizusprechen. Es hat sich getreu den im Lauf der Evolution erlernten Prinzipien verhalten. Was man ihm vorwerfen kann, ist einzig das Unvermögen, die gut getarnte Illusion des Mangels nicht durchschaut zu haben.
Nur mit einem Neuanfang wird es uns gelingen, die evolutionäre Programmierung mit ihren Kon-flikten zwischen Individuum, Gruppe und Mensch-heit zu überwinden. Die Kraft zum Neubeginn ist die Stärke des Geistes, wie sie sich zum Beispiel in den Religionen immer wieder manifestiert. Diese Kraft in die Welt zu tragen, ist unsere Aufgabe. Mit der Unvoreingemommenheit der Unschuldigen wird sie uns gelingen. Aber zuerst müssen wir vergeben. Nicht zuletzt uns selber.
Durch das Geld vernichtet sich die Demokratie selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat.
Oswald Spengler
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Vom Meditationskissen auf dIe barrIkaden
Spirituelle Menschen sollten sich politisch engagieren – nicht trotz, sondern wegen ihrer Weltanschauung. Religiöse Men-schen sind schon immer für soziale Gerechtigkeit und gegen Zwangsherrschaft eingetreten. Dietrich Bonhoeffer, Thich Nhat Hanh oder Bernard Glassmann stehen neben vielen anderen für eine engagierte Spiritualität. Damit Menschen aktiv werden, muss aus dem Erlebnis der Einheit das Be-wusstsein der Verantwortung entspringen. von Roland Rottenfußer
spirituelle Menschen stehen im Ruf, ver-huschte «Diesseits-Drückeberger» zu sein. Nicht so der jüdisch-amerikanische Zen-Meister Bernard Glassman. «Sie waren der Meinung, als Zen-Lehrer sollte ich
meine Zeit besser darauf verwenden, Menschen zur Erleuchtung zu geleiten. Ich bin jedoch der Meinung, dass man Menschen, die hungern, zuerst einmal et-was zu essen geben sollte.» Glassmann liess eine Kar-riere als «Berufserleuchteter» seiner Zen-Schule sau-sen. Berührt vom Schicksal der Obdachlosen in New York gründete er die Greyston Bakery. Die brachte den Wohnungslosen nicht nur Brot, sondern auch Jobs in Herstellung und Verkauf der köstlichen Backwaren.
«Bernies» Zen Peacemaker Orden gilt heute als eine der profiliertesten Vereinigungen des engagierten Buddhismus. Glassman: «Zen ist nicht nur der reine oder spirituelle Teil des Lebens, sondern das gan-ze Leben: die Blumen, die
Berge, die Flüsse und Bäche, aber auch die Stadt und die obdachlosen Kinder auf der Strasse.»
Das Unbehagen der politischen Linken an der Spiritualität geht auf Marx zurück. Dessen Reli-gionskritik richtete sich gegen die Kumpanei der Kirchen mit den Mächtigen, gegen die System stabili-
sierende Wirkung von Religion. In der «Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosohie» bezeichnet Marx die Religionen als «Blumen an der Kette», also als schmückendes Beiwerk der Sklaverei. «Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche.» In der Tat haben katho-lische wie evangelische Kirche ihre Schäflein allzu oft im Sinne eines Paulus-Zitats indoktriniert: «Jeder-mann sei untertan der Obrigkeit.» Und so mancher fromme Kirchenmann war nicht wählerisch bei der Unterstützung der jeweiligen Machthaber.
In jüngerer Zeit entzündet sich linke Kritik vor allem an der Welle populärer Esoterik. Die Ex-Grüne Jutta Ditfurth wetterte in ihrem Buch «Entspannt in die Barbarei» nicht nur gegen rechte Esoterik (die es gibt), sondern auch gegen Tiefenökologie und den Dalai Lama. Im Zentrum von «Spiritualitäts-Hass» steht oft die Irrationalität selbst. Kult, Mythos und aufgepeitschte Emotionen hatten Europa mit dem Dritten Reich in die Katastrophe geführt. Ist deshalb nur staubtrockenes Vernünfteln legitim? Alte und neue Religionskritik waren wichtig und bieten auch für spirituelle Menschen Stoff zum Nachdenken. Sie offenbaren aber auch Schwächen und Einseitigkeit. Es beginnt mit der Frage: Welche Spiritualität ist ei-gentlich gemeint? Das staatstreue Verhalten der Kir-chenführung ist nicht identisch mit «der Spiritualität»
Die katholische und die evangelische Kirche haben ihre Schäflein allzu oft im Sinne des Paulus-Zitats indoktriniert: «Jedermann sei untertan der Obrigkeit.» (Römer XIII)
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schlechthin. Und die Existenz rassistischer Esoterik schmälert das Verdienst des Sozialaktivisten Bernie Glassmann nicht im Geringsten.
Spiritualität pauschal abzulehnen, ist so unsinnig wie Politikverdrossenheit mit Blick auf einen Wulff oder Berlusconi. Die Schattierungen sind in beiden Fällen so vielfältig, dass sich jede Verallgemeine-rung verbietet. Leider gibt es diese Abwehrhaltung auch auf der «Gegenseite». Der spirituelle Therapeut Wilfried Nelles, ein Schüler Bert Hellingers, sagte über politischen Widerstand kategorisch: «Rebellion ist immer unreif. Ein reifer Mensch rebelliert nicht, er handelt.» Typischerweise werten spirituelle Menschen die politische Aktion ab, indem sie die «Psychopatho-
logie» der Aktivisten durch-leuchten. Der Revoluzzer bekämpfe nur seinen ei-genen Schatten und müsse deshalb nach innen gehen, um geheilt zu werden. Wer aber ständig «Selbstoptimie-rung» betreibt, dem fehlt die Energie, um an einer besse-ren Welt mitzuarbeiten.
Stimmt es, dass Religionen vor allem «Weltflucht-helfer» sind? Es gibt ebenso viele Belege für das Ge-genteil. Der evangelische Pastor Dietrich Bonhoeffer, der 1945 von den Nazis ermordet wurde, vertrat ein entschieden diesseitiges Christentum: «Der Mensch, der die Erde verlassen will, der heraus will aus der Not der Gegenwart, der verliert die Kraft, die ihn durch ewige geheimnisvolle Kräfte immer noch hält. Die Erde bleibt unsere Mutter, wie Gott unser Vater bleibt.» Im Gefängnis, am 21. April 1944, schrieb Bonhoeffer in einem Brief: «Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. (…) Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitig-keit des Lebens glauben lernt.» Unzählige Christen in karitativen Einrichtungen bezeugen, dass Religiosität Menschen zu konkreter Hilfe motivieren kann.
Von Mohammed ist ein Hadith (ausserkoranisches Prophetenwort) überliefert: «Wenn du glaubst, dei-nen Schöpfer zu lieben, dann liebe zuerst deine Mit-menschen.» Eine Sufi-Geschichte erzählt von Ali Ibn Muwaffaq, der über 30 Jahre 350 Dirham für eine Pil-gerfahrt nach Mekka gespart hatte. Eines Tages nahm er das Geld und schenkte es seiner Nachbarin, als er hörte, dass deren Kinder hungerten. Einem Sufi-Scheich erschienen daraufhin zwei Engel im Traum. Sie verkündeten, Allah habe die Pilgerreisen von 600 000 Muslimen verworfen, weil sie aus unreinen Motiven unternommen wurden. Nur die Mekkafahrt des Ali Ibn Muwaffaq habe Allah anerkannt, obwohl er sie gar nicht angetreten hatte. Praktischer sozialer Ausgleich spielt im Islam eine grosse Rolle. Der pa-kistanische Sufilehrer Pir Rahman Rahim begründete in den 70er-Jahren eine ethische Bank, die nur öko-logische und soziale Projekte unterstützte.
Im Buddhismus ist soziales Engagement u.a. mit dem Namen des vietnamesischen Zen-Mönchs Thich Nhat Hanh verbunden. Im Zentrum seiner Weltan-schauung steht das «Inter-Being», die wechselseitige Verbundenheit allen Lebens. 1965 gründete Thich Nhat Hanh die «Schule der Jugend für Soziale Dien-ste», die während des Vietnamkriegs Krankenhäuser baute und beim Wiederaufbau bombardierter Ort-schaften half. Zahlreiche Mönche und Laien kamen bei Bombenangriffen ums Leben. In der «Sutra vom weissgewandeten Schüler», beschrieb der Buddha die Qualitäten seiner Anhänger: «Sie finden ihre Freude in der Grosszügigkeit, ohne Gegenleistungen zu er-warten. Ihr Geist ist nicht von Gier und Sehnsucht getrübt. Sie bewahren stets ihre Ehrlichkeit und be-seitigen in sich sämtliche Wurzeln der Absicht, sich zu nehmen, was ihnen nicht gegeben wurde.» Dies ist geradezu der Entwurf einer alternativen Wirtschafts-ordnung ohne Ausbeutung.
Spirituelle Menschen sind mehr als Spezialisten für die Jenseitsvorbereitung. Oft wird aber ein zweiter Vorwurf erhoben: In den Religionen werde zwar viel karitative Arbeit geleistet, an der Ver-
Spirituelle Menschen werten die politische Aktion ab, indem sie die «Psychopathologie» der Aktivisten durchleuchten. Der Revoluzzer bekämpfe nur seinen eigenen Schatten und müsse deshalb nach innen gehen, um geheilt zu werden.
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änderung des politischen Systems sei man aber nicht interessiert. Alles was das soziale Elend mildert, hielt Marx für gefährlich, weil es die notwendige prole-tarische Revolution nur verzögere. Daher hat Wohl-tätigkeit für radikale Sozialisten wie Bertold Brecht einen negativen Beigeschmack.
Unter den engagierten spirituellen Menschen sind jene, die das Wirtschaftssystem als Ganzes umstossen wollen, sicher in der Minderheit. Aber es gibt sie. So war der Führer der schwarzen Bürgerrechtsbe-wegung Martin Luther King «überzeugt, dass jede Religion, die angeblich um die Seelen der Menschen besorgt ist, sich aber nicht um die sozialen und wirt-schaftlichen Verhältnisse kümmert, geistlich gesehen schon vom Tod gezeichnet ist.» Kings grosses Vor-
bild Gandhi verband poli-tische Durchsetzungsfähig-keit mit grosser spiritueller Überzeugungskraft. Über das Verhältnis von Politik und Religion sagte Gandhi in seiner Autobiografie, es gäbe für ihn «keine Politik, die nicht zugleich Religion wäre. Politik dient der Re-
ligion. Politik ohne Religion ist eine Menschenfalle, denn sie tötet die Seele.»
Karitative Hilfe oder Systemveränderung? – «So-wohl als auch», meint Bernard Glassman. In seinem Buch «Es geht ums Tun und nicht ums Siegen» (mit Konstantin Wecker) schreibt er: «Es ist einfach, auf das Leben anderer Menschen zu blicken und festzu-stellen, was bei ihnen schief läuft. Weit schwieriger ist es, das System zu durchblicken, das die Menschen erst dahin bringt, dass alles im Leben schief läuft, das ihre Wahlmöglichkeiten und ihre Handlungsfrei-heit einschränkt, das sie einzwängt und unter Druck setzt und dann, wenn sie gescheitert sind, wie Müll zur Seite wirft.» Glassman fährt fort: «Wenn wir auf jemanden treffen, der hungrig ist, dann müssen wir ihm zu essen geben. Das spricht uns aber nicht davon frei, uns für ein besseres Sozialsystem zu engagieren, in dem niemand mehr hungern muss.»
Dietrich Bonhoeffer sah die Pflicht eines Christen darin, «nicht nur die Opfer unter dem Rad zu ver-binden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.» Von diesem Geist waren auch die Mönche und Nonnen beseelt, die 2007 friedlich gegen die Militärdiktatur in Myanmar (Birma) und gegen die ärmlichen Lebensbedingungen im Land demonstrier-ten. Die Buddhisten setzten sich mutig über eine Reihe von Warnungen und Demonstrationsverboten hinweg. Die Polizei knüppelte mit Bambusrohren auf Betende ein. Mönche wurden verhaftet und bewusst-
los geschlagen, einige von ihnen erschossen. Glaube lässt die politische Aktion nicht nur zu, er verleiht oft zusätzliche Kraft. Man hat den Religionen oft vorgeworfen, das Diesseits gering zu schätzen. Andererseits: wer glaubt, es gäbe nur dieses kurze Leben und keine Werte ausser denen der Ge-sellschaft wird vielleicht nicht den Mut zur Rebellion aufbringen. Sein kleines Leben, seine Bequemlichkeit ist für den «Unspirituellen» übermässig mit Bedeutung aufgeladen. Endet ein solches Leben im Gefängnis oder auf dem Schafott, stirbt damit alles, was für den Betreffenden zählt.
«Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können», sagt Jesus im Mat-thäus-Evangelium. Und Petrus vor dem Hohen Rat: «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.» (Apostelgeschichte) Nimmt man diese Stellen ernst, so ermutigen sie jeden durch das Gewissen begrün-deten Widerstand gegen die Obrigkeit. Religion sollte die Bedeutung irdischer Machtverhältnisse relativie-ren. Sie sollte Menschen mit einem inneren Bezirk in Kontakt bringen, der nicht korrumpierbar ist. Religion
sollte eine Perspektive jenseits ökonomischer und physischer Zwänge aufzeigen. Eine Religion, die nicht befreit, ist eine Religion, von der sich die Menschen befreien müssen.
Spiritualität, wie ich sie hier meine, kann man als «mystisch» bezeichnen. Gemeint ist eine un-mittelbare Erfahrung der geistigen Kraft, die alles hervorbringt und durchdringt. Man mag diese Kraft «Gott» nennen oder eine andere Bezeichnung wählen. Entscheidend ist: Aus dem Einheitsgefühl erwächst das Verantwortungsgefühl. Ohne das Bewusstsein der Einheit ist ethisches Handeln oft nur Duckmäu-sertum vor einem imaginären himmlischen Vorge-setzten. Spirituelle Menschen brauchen die Welt. Sie brauchen die Tat, um sich zu erden und nicht im Narzissmus der Selbstoptimierung stecken zu blei-ben. Aber umgekehrt gilt auch: Die Politik braucht spirituelle, ethisch sensible Menschen.
Freilich haben spirituelle Menschen in der Realpo-litik Seltenheitswert, und genauso sieht unsere Welt auch aus. Der Geschichtsphilosoph Arnold J. Toynbee bedauerte es, dass die meisten integren Menschen die «Beschmutzung» durch Politik fürchten. «Denn die Politik kann nicht erlöst werden, es sei denn, die edelsten Geister widmen sich dieser wenig an-ziehenden Aufgabe.»
Martin Luther King war «überzeugt, dass jede Religion, die angeblich um die Seelen der Menschen besorgt ist, sich aber nicht um die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse kümmert, geistlich gesehen schon vom Tod gezeichnet ist.» Eine Religion, die nicht befreit,
ist eine Religion, von der sich die Menschen befreien müssen.
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reIfe spIrItualItät Ist pOlItIsch von Gary Zemp
Wer tausend Menschen fragen würde, was sie unter Spiritualität verstehen, bekäme vermutlich tausend verschiedene Antworten. Das ist schon ganz typisch: Spi-ritualität entzieht sich der Objektivität. Wir kommen dem Begriff etwas näher, wenn wir ein anerkanntes und nachvoll-ziehbares Menschenbild zu Hilfe nehmen. Es geht von vier Seins-Ebenen aus. Jeder Ebene sind typische Bedürfnisse und be-sondere Fähigkeiten zugeordnet, sogenann-te Intelligenzen, die für die Befriedigung der entsprechenden Bedürfnisse sorgen.
Die Basis des Menschseins ist der Kör-per mit seiner biologisch-instinktiven In-telligenz. Sie vermeidet Schmerz und sucht Wohlbefinden. Darauf aufbauend hat sich die emotionale Intelligenz entwickelt, die sich besonders um das Gelingen von Be-ziehungen kümmert. Die dritte Ebene ist die Ratio, der Verstand mit seiner Fähig-keit, vergleichend verstehen zu können. Er ist heute so zentral, dass er zur Intelligenz an sich geworden ist. Er sorgt vor allem dafür, dass wir effizient und «richtig» han-deln. Menschen, die eine besonders grosse Verstandesintelligenz haben und sie auch trainieren, nennen wir klug.
Die vierte Ebene kann man die intuitiv-spirituelle Ebene nennen. Ihre Intelligenz wird in der Literatur unterschiedlich be-nannt: Spirituelle Intelligenz, empathische Intelligenz oder, etwas verkürzt, ganz ein-fach Intuition. Sie gibt Einsicht in den Sinn unserer Tuns und hilft uns, die richtigen Dinge zu tun. Sie funktioniert anders als die übrigen Intelligenzen, die mit unserem Wil-len geführt und gefördert werden können. Spirituelle Intelligenz hat eine Zugangstüre: die Intuition. Sie öffnet sich nur, wenn wir zu empfangen bereit sind, was der Geist uns zu sagen hat. Sie bleibt jedoch verschlos-sen, wenn wir sie aktiv öffnen wollen. Die spirituelle Intelligenz kann das Meer des Unbewussten zu Rate und «Fische» aus dem Ozean des Wissens der Menschheit ziehen. Diese intuitiven Einsichten oder als Bilder wahrnehmbaren Inspirationen empfinden wir als weise.
Die spirituelle Intelligenz – nennen wir sie einfach Spirit – können wir wie alle For-men menschlicher Intelligenz trainieren und seine Fähigkeiten ausweiten. Menschen, die das tun, z.B. durch Meditation oder andere Formen des inneren Zuhörens, nenne ich spirituell. Reife spirituelle Menschen sind für mich diejenigen, welche die Führung ihres Lebens ihrem Spirit übergeben haben, aus Erfahrung, dass er ihr Leben harmonisiert, die Bedürfnisse aller Ebenen ins Gleichge-wicht bringt und dem Tun und Lassen Sinn vermittelt. Mit zunehmendem Vertrauen in seine Fähigkeiten wächst bei abnehmender Egozentrik das Selbstbewusstsein, Leben-sängste verschwinden und werden ersetzt durch Gefühle der Dankbarkeit, des Glücks und der Demut. Das ist aber noch längst nicht alles!
Der Volksmund nennt den Spirit Seele, etymologisch verwandt dem «See», Symbol für unergründliche Tiefe und Unendlichkeit. Je stärker ich mich der Seele hingebe und ihr vertraue, desto mehr spüre ich im tiefsten Kern meines individuellen einzigartigen Wesens die Verbindung mit den andern in-dividuellen einzigartigen Wesen. Alle Men-schen und alle Lebewesen, alle Tiere und alle Pflanzen sind im Grunde ihres Seins miteinander verbunden. Die Seele, die ich nicht habe, sondern wesenhaft bin, eröffnet die Erkenntnis der Allverbundenheit. Diese Erfahrung verändert unser Leben.
Wir spüren, dass wir nicht allein sind. Wir spüren, dass wir als ein einzigartiges Ganzes Teil einer einzigartigen ganzen Welt sind und diese Welt auch ein Teil unseres Menschseins ist. Es wird uns bewusst, dass wir Menschen Mitschöpfer dieser Welt sind und Verantwor-tung für unsere Schöpfung tragen, die ein
Teil von uns ist. Je weiter unser Bewusstsein wird, umso offensichtlicher wird die Tatsa-che, dass die Verantwortung für uns dieselbe ist, wie die für die Welt. Selbstverwirklichung wird zur Weltentwicklung.
In unserer dualen Welt, in der sich die Menschen voneinander und von der Natur getrennt fühlen, ist es Aufgabe der Politik, das Zusammenleben der Menschen un-tereinander und mit der Natur zu ordnen. Der reife spirituelle Mensch, der die Welt als Teil seiner Selbst wahrnimmt und Ver-antwortung dafür übernimmt, lebt fraglos politisch. Seine Authentizität lässt keine andere Lebensweise zu. Dabei meine ich nicht, dass sich alle spirituellen Menschen in der Politik im engeren Sinn engagieren müssen. Ich meine, dass alle spirituellen Menschen politisch handeln, was immer sie auch tun. Wichtig ist, dass immer mehr Menschen ihre spirituelle Intelligenz we-cken, ihre weltumfassende Seele erkennen und ihr vertrauensvoll die Führung überge-ben. Dann werden alle Lebensbereiche von Mitgefühl und Kooperation durchdrungen, auch die Politik im engeren Sinn.
Der bevorstehende Paradigmenwechsel vom Bewusstsein des Getrenntseins zum Bewusstsein der Allverbundenheit drückt sich weltweit in Millionen von kleinen und grösseren menschlichen Organisationen aus, die den Keim dieser Transformation in sich tragen. Eine davon ist ein schweizerischer Verein namens Integrale Politik, der sich als Partei und politische Bewegung versteht. Er hat sich vorgenommen, das Bewusstsein der Allverbundenheit auf demokratische Art und Weise in die Politik zu tragen. Wir alle wissen oder ahnen, dass die Politik des getrennten Gegeneinanders über kurz oder lang zu Ende geht. Wir dürfen uns freuen, dass die Politik des allverbundenen Mit-einanders sich formiert und langsam aber sicher den Wählerinnen und Wählern als Alternative zur Verfügung steht.
Der Autor ist Unternehmer in Luzern, engagiert sich in der Männerarbeit und ist Ko-Prä-sident des Vereins «Integrale Politik».
www.integrale-politik.chwww.von-mann-zu-mann.chwww.zempag.ch
Der reife spirituelle Mensch, der die Welt als Teil seiner Selbst wahrnimmt und Verantwortung dafür übernimmt, lebt fraglos politisch. Seine Authentizität lässt keine andere Lebensweise zu.
Spiritualität & Politik
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der geIst Ist unendlIchund seine Heimat sind wir
Mit Meditation die Welt verändern – die letzte verbliebene Methode oder der Anfang einer wirklichen Wende? Ein Augenschein an einem «MedMob» in Berlin von Christine Ax
das Wetter hat uns in diesem Jahr ziem-lich im Stich gelassen. Ich stehe im Ber-liner Tiergarten am Rande des «Global Stone»-Projektes und freue mich, dass hin und wieder die Sonne durchkommt.
Steine aus fünf Kontinenten wurden unter der Lei-tung von Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld hier platziert. Jeder Stein hat einen Geschwisterstein zu Hause zurückgelassen. Der österreichische Künstler und Weltumsegler möchte mit dieser Installation die Verbundenheit aller Menschen auf allen Kontinenten sichtbar machen. Die Steine sind geografisch so aus-gerichtet, dass sie mit kosmischer Hilfe mit ihren Geschwistersteinen in Verbindung stehen.
Die schön polierte, schwarze Zunge kommt aus Afrika und wird «Hoffnung» genannt. Der rosa Wahl-fisch mit den schönen weiss-beigen Streifen ist der «Stein der Liebe» und lag bis 1997 auf dem Gebiet der Pemón-Indianer in Venezuela. Ausgerechnet der Stein der Liebe sorgt seit Jahren für Verdruss. Es gibt Pemón, die behaupten, er sei heilig und gestohlen worden. Der Geschwisterstein fühle sich jetzt einsam. Und regnen könne es auch erst wieder, wenn er zu-rück ist. Inzwischen beschäftigen sich das Auswärtige Amt, die Venezuelanische Regierung und die Medien mit dem Fall.
Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld und die Eth-nologen, die ihm mit Gutachten zu Hilfe eilen, er-zählen die andere Seite der Geschichte. Der Stein
wurde ihnen offiziell geschenkt. Ausserdem gibt es Dokumente, die das rechtmässige Verhalten be-weisen. Allein: Was vermag ein solcher Schriftsatz, wenn wir uns im Bereich religiöser Vorstellungen bewegen?
Das ist nicht nur im Venezuela der Fall. Es gilt auch für Berlin. Unweit der Wiese stehen prächtige Ge-bäude, in denen Männer in goldbestickten Soutanen uns weismachen wollen, dass es Jungfrauen gibt, die Kinder bekommen. Wir bezahlen sie gut dafür. Unter der Kuppel des Bundestages gibt es Politiker, die mit Inbrunst das Recht verteidigen, Neugeborenen nach der Geburt eine harmlose Hautfalte abzuschneiden. Täglich beschwören seriös aussehende Männer und Frauen unendliches Wachstum in einer endlichen Welt als Ausweg aus jeder Art von Krise. Bei Gott! Auch wir leben in Widersprüchen!
Ich aber bin heute Nachmittag nicht wegen der Steine hier, sondern weil ich der Einladung einer jungen Frau gefolgt bin. Felictas Knitsch kenne ich seit Mai diesen Jahres. Schon bei unserer ersten Be-gegnung hat sie mir von ihrem Wunsch erzählt Med-Mobs zu organisieren. Von «Flash-Mobs» hatte ich reden hören. Von MedMobs nicht. FlashMobs sind eine Erfindungen der Web 2.0-Generation. Man ver-abredet sich auf facebook zu einer überraschenden gemeinsamen Aktivität im öffentlichen Raum. Wer kommt, der kommt – und bleibt, um ein Beispiel zu nennen, auf ein vereinbartes Zeichen, für einige Minuten regungslos.
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Verschließe nicht deine Augen vor dem Leiden und lasse dein Bewusstsein nicht für seine Existenz abstumpfen.
Buddha
Die MedMob-Bewegung gibt es seit Anfang 2011. Inzwischen wird weltweit in 350 Städten öf-fentlich meditiert, u.a. in Berlin, München, Zürich. Die Einladung zum achten Berliner «MedMob» dieses Jahres verdankt Berlin einem Zufall. Felizitas hatte im Frühjahr ein Youtube-Video gesehen, das sie nicht mehr losliess. Es zeigt 300 Menschen aller Alters-gruppen, Hautfarben und Religionen wie sie am 28. August 2011 im State Capitol Building gemeinsam meditieren. Ein bewegender Moment. Ich kann ihre Begeisterung verstehen.
Auf dem Einladungsflyer steht: «Let us share a mo-ment in love. Human beings unite in meditation every month at the same time in all big cities across our lovely planet. Be part & feel magic.» Und: «Triff Dich hier in Berlin in liebevoller Verbundenheit mit Deinen Mitmenschen. Wir gehören keiner bestimmten Religi-on, Konfession, spirituellen oder politischen Richtung an. Jeder kann nach Belieben kommen und gehen, wie es gerade eben passt. Sitz, lieg, schlaf, bete, me-ditiere oder levitiere. Hauptsache Du kommst.»
Dass der Juli-MedMob inmitten des Gobal Stone Projekt stattfindet, ist auch so ein Zufall. Felizitas hört von den Auseinandersetzungen um den Stein der Liebe an diesem Nachmittag zum ersten Mal. Ich
sitze im Kreis derjenigen, die wie ich zu früh kamen. Wir plaudern und finden, dass Felizitas den Ort gut ausgewählt hat. Wir fragen uns, ob die liebevollen Gedanken, die heute in den Äther geschickt werden, dazu beitragen werden, die deutsch-venezuelanische Krise in der causa «Stein der Liebe» zu befrieden.
Das gemeinsame Meditieren soll übrigens nicht nur uns gut tun, sondern ganz objektiv den Welt-frieden und das Glück der Menschheit befördern. Anhänger der Transzentalen Meditation zum Beispiel halten es für wissenschaftlich belegt, dass TM die Kriminialität senkt und Wohlstand, Glück und Ge-sundheit fördert. Ich weiss nicht so richtig, was ich davon halten soll. Und ich frage mich, ob gemein-sames Beten, Singen oder Stricken – sofern es mit den gleichen Absichten erfolgt – nicht den gleichen Effekt haben kann. (Siehe Kasten).
Neben mir sitzt Bhaisa-Titali-Joy (Foto). In seinem früheren Leben war er Bretone. Dies war ihm be-merkenswerter Weise möglich, ohne jemals Franzose zu sein. Als Jugendlicher wollte er nach Tahiti. Tat-sächlich wurde daraus eine lange Reise zum eigenen Selbst. Ein anderes haben wir ja nicht. Mir drängt sich der Eindruck auf, er ist dort tatsächlich angekommen. Der freischaffende Guru lebt seit mehreren Jahren in Berlin und übt in dieser «wahnsinnig spirituellen Stadt» die «Kunst des SEINS» aus. Bhaisa-Titali-Joy ist an diesem Samstagnachmittag der bunteste Fleck am Horizont.
Nicht nur er, auch Sarah – Künstlerin und ur-sprünglich aus Neuseeland – ist seit Stunden hier. Als die Sonne am höchsten stand, waren sie und Bhaisa-Titali-Joy in einer Meditation zugunsten
Es wird still. Fünfundvierzig Minuten liegt ein lautes Schweigen über dem Gelände.
Der Geist ist unendlich
Spiritualität & Politik
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des Chief Raoni vereint. Der Häuptling ist einer der prominentesten Verteidiger des brasilianischen Urwalds und der Völker, die dort leben. Sein Volk wehrt sich schon seit Jahrzehnten gegen die Pläne der brasilianischen Regierung, den Fluss Xingu zu stauen, um mit Hilfe eines gigantischen Wasserkraft-werkes Elektrizität zu erzeugen. Gegen dieses Projekt hatten im Mai 2008 rund 1 000 betroffene indigene Gruppen und Flussanwohner in Altamira erfolgreich protestiert. Sarah ist dem Chief 1992 auf der Rio+10 Konferenz begegnet.
Während wir noch darüber spekulieren, ob und wie die positive Energie des Meditierens der Welt gut tut, füllt sich die Wiese. Immer mehr BerlinerInnen – jung und alt – betreten die Bühne. Man begrüsst sich und setzt sich auf eine der mitge-brachten Unterlagen.
Schon als ich Felizitas zum ersten Mal traf, war sie auf dem Sprung nach Indien. Sie hatte den Auftrag übernommen, vor Ort herauszufinden, welchen Nut-zen eine Software stiften kann, die den Vertrieb einer «Grünen Kiste» unterstützt. Lokale Produkte schnell und ohne Zwischenhandel an AbnehmerInnen zu bringen, wäre ein guter Beitrag für eine Entwicklung der bäuerlichen Landwirtschaft.
Felizitas gehört zu einer Generation, die mit der Globalisierung gross geworden ist. Man könnte sagen, sie ist das menschlichste Gesicht dieser Entwicklung. Felizitas hat in Christchurch, Neuseeland, Soziologie und Spanisch studiert. Ihre Freundin in Ägypten. Sie haben Freunde in der ganzen Welt. Indien ist ih-ren Herzen ebenso nah, wie der Vorort in Sachsen, in dem ihre Eltern eine ganze Woche und mit dem ganzen Dorf die Silberne Hochzeit gefeiert haben. Nachhaltigkeit ist ein Wert, mit dem sie gross gewor-den ist. Zwanzig Jahre hat ihre Familie hart gearbeitet, um ihren Traum zu leben: Heute gehört ihnen ein ‹Ferien-auf-dem-Bauernhof›-Hof mit angeschlossener Gastwirtschaft. Was auf den Tisch kommt, ist aus der Region und mit Raffinesse zubereitet. Politik interes-siert Felizitas. Sie ist ein politischer Mensch. Aber das Wichtigste für sie ist, dass wir selber die Veränderung sind, die wir anstreben. Sie will nicht nur über das gute Leben reden, sie möchte es leben. Mit ihrem grossen Herzen ist sie mit Haut und Haar auf der Suche nach einer guten (besseren) Zukunft für alle.
Meditation ist für sie der Weg, Kraft und Frieden zu finden. Sie sagt, der Weg nach innen hilft ihr, sich von Fremdbestimmung und Konsumwünschen zu befreien: «Wir können nicht immer andere Menschen oder die Umwelt für unsere Unzufriedenheit verant-wortlich machen.» Ohne das grosse Erdbeben 2011 wäre sie vermutlich immer noch in Neuseeland. Die bebende Erde hatte ihr kurzzeitig den Boden unter den Füssen weggezogen. Jetzt ist sie seit einem Jahr in Deutschland. Frisch verliebt, wie sie ist, strahlt sie noch mehr Glück und Zuversicht aus, als bei unserer letzten Begegnung.
Jetzt hat irgendjemand das Zeichen zum Medita-tionsbeginn gegeben. Es wird still. Fünfundvierzig Minuten liegt ein lautes Schweigen über dem Global Stone Gelände. Vereinzelt hört man Kinder rufen oder ein Hupen. Spaziergänger bleiben stehen. Sie reden nur noch leise oder raunen. Manchmal setzt sich jemand dazu oder geht weg. Ein fremdartiger Duft verbreitet sich auf dem Platz. Seltsam was hier so alles wächst. Neben Gänseblümchen und Klee-blätter schiessen neuerdings auch Räucherstäbchen aus dem Boden.
Nach 45 Minuten tauchen alle wieder auf. Arme und Beine werden schlenkernd aufgeweckt. Ein An-flug von Verlegenheit macht sich breit. Gut, dass jetzt selbst gebackene Kekse die Runde machen. Medi-tieren macht hungrig. Wir werden von einem Musi-ker-Ehepaar eingeladen an einer Mantra-Meditation teilzunehmen. Manche folgen der freundlichen Einla-dung. Wenige Minuten später höre ich fremdländische Melodien erklingen. Die meisten gehen genauso leise und unauffällig, wie sie gekommen sind.
Als ich mich verabschiede, lerne ich Felizitas’ beste Freundin kennen. Sie war bis vor kurzem in Ägypten und hat den politischen Umbruch so lange miterlebt,
Make love not war. Gerade weil mir das so bekannt vorkommt, frage ich mich, warum in den letzten 40 Jahren trotzdem so viel schief gegangen ist. Was haben wir falsch gemacht?
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bis es für sie gefährlich wurde. Eine weitere junge Frau gesellt sich zu uns. Sie ist zum zweiten Mal da-bei und erzählt, dass sie lange Zeit immer wütender wurde über das Schlechte in der Welt. Weil sie es nicht ändern kann. Sie will mit soviel negativer En-ergie nicht leben. Seit sie meditiert, geht es ihr viel besser.
Wir sprechen auch über andere Formen politischen Engagements. Reicht es, den Frieden und das Glück in uns zu entwickeln oder sollten wir auch versuchen, etwas an den Machtverhältnissen zu ändern? Für diese jungen Frauen gibt es diesen Gegensatz gar nicht. Sie sind sich sicher, dass jeder die Möglichkeit
hat als «Social Entrepreneur» die Welt zu verbessern. Darin sehen Sie ihre Berufung.
Als ich am frühen Abend in Richtung Bahnhof gehe, bin ich voller Vertrauen in diese Menschen. Alle wollen das Gute in die Welt bringen. Mir fallen Songs und Sprüche aus meiner Jugend ein: «Make love not war» oder «Freedom is just another word for nothing have to loose.» Aber gerade weil mir das alles so bekannt vorkommt, frage ich mich, warum in den letzten 40 Jahren trotzdem so viel schief gegangen ist. Was haben wir falsch gemacht?
www.globalstone.de | www.medmob.org
Die einen halten ihn für eine Spinnerei, die anderen schwören auf seine Wissenschaftlichkeit. Worum geht´s? Weltweit gibt es viele tausend Anhänger einer Meditati-onspraxis, die sich «Transzendentale Meditation» nennt, nachfolgend kurz TM genannt. Gegründet wurde die TM von Maharishi Mahesh Yogi, einem 2008 verstorbenen indischen Guru, der lange Zeit in den USA, auf dem Seelisberg in der Innerschweiz und in den Niederlanden wirkte. Er hinterliess eine weltweit tätige und angeblich sehr wohlhabende Organisation. Zu seiner Bekanntheit trugen ganz massgeblich prominente Anhänger wie die Beatles, die Rolling Stones, Mike Love (The Beach Boys), Donovan, Mia Farrow und Shirley MacLaine bei, die die Flower-Power-Bewegung in den 60er und 70er Jahren inspirierten.
Die spezielle TM-Technik hat nach Maharishi Mahesh Yogi ihren Ursprung in den indischen Veden. Nur zerti-fizierte Lehrer dürfen die TM-Technik unterrichten – es handelt sich um einen geschützten Markenbegriff. Ein wesentliches Element dieser Meditation sind Mantras, die die Schüler von ihren TM-Lehrer an die Hand be-kommen, um über sie zu meditieren. Insider behaupten, es handle sich um die Namen von Göttern aus den in-dischen Veden.
Die Anhänger der Transzendentalen Meditation gehen davon aus, dass schon eine relativ kleine Zahl Meditie-render und eine noch kleiner Zahl von Yogis, die das «yogische Fliegen» beherrschen, einen ausserordentlich positiven Einfluss auf die Welt haben. Wenn ein Prozent der Bevölkerung einer Gemeinde, einer Stadt oder eines Landes meditiere oder die Quadratwurzel von einem Pro-zent der Bevölkerung das yogische Fliegen ausübe, dann würde die Kriminalität sinken, die Kreativität, Gesundheit und Wohlstand zunehmen. In diesem Zusammenhang verweisen sie auf einen Meditationsevent in Washing-ton. 2 000 Meditierende sollen im Juni und Juli 1993 die Ursache dafür gewesen sein, dass die Kriminalität um bis zu 30 Prozent gesunken sei. Die Anhänger der TM-These berufen sich auf über 50 Studien, die nach wissenschaftlichen Kriterien diesen so genannten Ma-harishi Effekte belegen sollen. Es gibt eine ganze Reihe anderer Wissenschaftler, die den eindeutigen Zusam-menhang zwischen solchen Gruppenmeditationen und den behaupteten Effekten bezweifeln.
Besonders aktiv wirbt der US-Filmemacher David Lynch für TM und den Maharishi-Effekt, der inzwischen zu einer Theorie der «Unbesiegbarkeit» von Ländern und Armeen ausgebaut wurde. Die These der TM-Unbesiegbarkeits-Theorie lautet: Wenn alle Armeen dieser Erde einen Teil
ihrer Soldaten täglich meditieren liessen, dann wirke dies für die betreffende Armee oder das betreffende Land wie ein unbesiegbares Schutzschild und es sei tausend Mal wirksamer als alle Waffen.
Für das sogenannte «yogische Fliegen» – die Fä-higkeit von Yogis, sich während des Meditierens vom Boden zu erheben und die Schwerkraft zu überwinden (Levitation), scheint es bisher keine Belege zu geben. Zumindest gibt es keine Filme, die diese Fähigkeit zwei-felsfrei dokumentieren.
In Deutschland, Österreich und der Schweiz grün-deten TM-Anhänger die Naturgesetzpartei, für die das Meditieren und die spirituelle Entwicklung im Zentrum ihres politischen Programms standen. Spiritualität ist auch der Schlüssel zum Verständnis der Partei «Die Violetten». In ihrer Präambel ist unter anderem zu lesen: «Jede Veränderung, die wir bewirken möchten, beginnt bei uns selbst. Möchten wir die Welt verändern, so müs-sen wir zuerst unser Bewusstsein, unsere Einstellungen verändern.» Auch sie gehen davon aus, dass unsere Gedanken und Gefühle unmittelbar auf die persönliche Umgebung und die Welt Einfluss nehmen. Unumstritten scheint zu sein, dass regelmässiges Meditieren den Blut-druck wirksamer senkt als viele Medikamente. CAhttp://www.meditation.de/; www.invincibledefense.org
Der Maharishi Effekt
Der Geist ist unendlich
Spiritualität & Politik
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dIe kraft der Seele
Ob Rajagopal P.V. einmal als Nachfolger Gandhis in den Geschichtsbüchern geführt wird, wissen wir noch nicht, aber Anhaltspunkte gibt es schon. Rajagopal wurde 1948, ein paar Mo-
nate nach Gandhis Ermordung geboren. Der grosse indische Freiheitskämpfer hatte eines seiner gros-sen Ziele erreicht: die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft. Das andere, die Auf-hebung des Kastensystems und der Benachteiligung der Unberührbaren, blieb unerfüllte Verfassungsbe-stimmung.
Während Gandhi den gewaltlosen Widerstand ge-gen einen klar definierten Feind führte, muss Rajago-pal diese Methode gegen einen unsichtbaren Gegner in vielen Gestalten mobilisieren: gegen eine uralte, ungerechte Tradition, gegen Korruption und gegen den ökonomischen Mainstream. Die globalisierte indische Wirtschaft mit ihrem wachsenden Hunger nach Land, Wasser und Naturräumen, bringt den indischen Ureinwohnern, die kastenlosen Adivasi nichts, sondern stürzt sie immer weiter ins Elend. Zehntausende von indischen Kleinbauern, die sich jedes Jahr das Leben nehmen, sind nur die Spitze eines Eisbergs der Ungerechtigkeit.
Rajagopals Vater war selber in Gandhis Bewegung aktiv, musste mehrmals untertauchen oder ins Ge-fängnis und lebte auch nach der Unabhängigkeit
getrennt von der Familie in einem Gandhi-Ashram. Rajagopal selber verbrachte seine Kindheit mit Ge-schwistern und Mutter bei einem Onkel auf dem Dorf. Kurz nach Eintritt in die ungeliebte, weil langweilige Schule, zog er zu seinem Vater in den Ashram und machte erste Bekanntschaft mit Gandhis Philoso-phie. Eigenverantwortung, Selbstversorgung, Lernen, Arbeit und Gemeinschaft – «der Gandhi in mir war nicht meine Wahl», sagt Rajagopal heute. Aber: «Er entwickelte sich in meiner Kindheit und blieb mir ein ganzes Leben im Blut.»
Eine zweite grosse Wende nahm sein Leben, als ihm ein Wahrsager, dessen Papagei eine ent-sprechende Karte herausgepickt hatte, eine bedeut-same Zukunft als Künstler verhiess. Der elfjährige Rajagopal war elektrisiert: Die Prophezeiung gab seiner Leidenschaft für Musik und Theater ein Ziel und er bearbeitete seine Eltern, bis sie endlich der Ausbildung zum Kathakali-Tänzer zustimmten. Kat-hakali ist ein expressives indisches Tanztheater mit aufwändigen Masken, Literatur, Musik und Gesang. Rajagopal wurde an einer Eliteschule zugelassen. Der Arbeitstag begann um drei Uhr morgens und um-fasste harte Körperübungen, das Auswendiglernen unzähliger spiritueller Geschichten in Sanskrit, Mu-sik, Gesang und natürlich Tanz – vier anstrengende Jahre lang. Mit 15 Jahren reiste er mit verschiedenen
Eine politische Willenskundgebung dieser Grösse wird die Welt noch nie gesehen haben: Am 2. Oktober machen sich 100 000 landlose und entrechtete Inderinnen und Inder auf einen einmonatigen Sternmarsch nach Delhi, um endlich die Umsetzung ihrer längst bestehenden Landrechte einzu-fordern. Hinter der seit fünf Jahren geplanten Kampagne steht eine grosse Bewegung der Kastenlosen, ein Mann des gewaltlosen Widerstandes und ein kleines bisschen auch die Schweiz.
von Christoph Pfluger
Spiritualität & Politik
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Kathakali-Gruppen durch Indien und lernte, mit sei-ner Kunst die Herzen der Menschen zu berühren. Nach drei Jahren erkannte er, dass er damit vor allem den Mittelstand erfreute. Die Armen, die täglich um ihr Leben kämpften, erreichte er nicht – der nächste Wendepunkt bahnte sich an. Rajagopal nahm mit 18 Jahren eine landwirtschaftliche Ausbildung in Gand-his erstem Ashram in Sevagram in Angriff. Der Zufall wollte es, dass er dem strengen deutschen Lehrer für internationale Beziehungen Hans A. De Boer als Diener zugeordnet wurde. Der Friedensaktivist, der in vielen Ländern gegen Diktaturen gekämpft hatte, war selber ein kleiner Diktator und tolerierte nichts, was nicht der Ausbildung diente, wie sich Rajagopal heute erinnert. «Er zeigte mir, wie wichtig es ist, dass man systematisch seinen Weg gehen muss, um ein grosses Ziel zu erreichen, ohne sich auf Abwegen zu verlieren.»
1969 feierte Indien Gandhis 100. Geburtstag – Ra-jagopal war 21 Jahre alt und reif für eine nächste Wende. Die Gandhi-Vereinigungen wollten in einer grossen, mobilen Ausstellung Gandhis Werdegang vom schüchternen jungen Mann zum furchtlosen, gewaltfreien Staatengründer zeigen und suchten Be-gleiter, die die Besucher durch den langen Eisen-bahnzug führten. Rajagopal war mit dabei. Vielleicht über tausend Mal erzählte Rajagopal Schulklassen und anderen Besuchern Gandhis bewegende Le-
bensgeschichte, bis ihn die Frage eines kleinen Jungen im Herzen traf: «Haben Sie den gewaltlosen Widerstand selber auch schon praktiziert?» Hatte er nicht. Aber dazu würde sich schon bald Gelegenheit bieten, und wie!
Subba Rao, der Direktor des Ausstellungszuges beschloss nämlich, mit seinem Honorar einen Gan-dhi-Ashram in einer der gewalttätigsten Regionen Indiens zu errichten, dem Chambal-Tal. Das war Rajagopals Chance. Mit drei anderen jungen Män-nern zog er in das von Tausenden von Banditen terrorisierte Tal, in dem viele Leute Waffen trugen und ihre Häuser nach Einbruch der Dämmerung fest verschlossen. Den Banditen gefielen die Fremdlinge gar nicht, die sich rasch mit der Bevölkerung an-freundeten und den Jungen gesunde Lebensgrund-lagen ausserhalb des Bandentums aufzeigten. Es dauerte nicht lange, und sie stürmten eines Abends schwer bewaffnet den Ashram, schlugen die vier halb bewusstlos und gaben ihnen eine Woche Zeit zu verschwinden. Andernfalls würden sie getötet. Die vier blieben standhaft und handelten sich eini-gen Respekt im Tal ein.
Eine Woche später war es so weit: Die Banditen waren wieder da, erneuerten ihre Warnung ein «al-lerletztes» Mal und raubten ihnen alles bis auf die Unterhosen. Nach einer Runde am wärmenden
Ekta Parishad legt grossen Wert auf Frauenförderung.
(Bilder: Ekta Parishad)
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Feuer holten sie sich den Mut und die Überzeugung zurück. Wegzugehen hätte bedeutet, den Weg der Gewaltlosigkeit scheitern zu lassen. Und das konnte nicht sein. Für Rajagopal war dies der Moment, in dem die von Gandhi beschriebene Seelenkraft er-wachte. Die Kraft, die stärker ist als jede Gewalt.
Die Banditen kehrten nicht wieder, aber die Kraft konnten sie zur Wiederherstellung ihrer Lebens-grundlagen gut gebrauchen. Sie erledigten handwerk-liche Arbeiten für die Bevölkerung, beschäftigten sich mit den Kindern und erhielten so das Vertrauen der Bevölkerung, die ihnen Lebensmittel schenkte, die bald auch für Besucher des Ashrams reichten. Nach der Lancierung eines Strassenbauprojektes, an dem sich schon nach wenigen Monaten Hunderte von Jugendlichen beteiligten, war die Zeit gekommen, in der Konfrontation mit der Kriminalität den Spiess umzudrehen. Über die Bevölkerung wurden Kon-takte hergestellt, und Rajagopal und seine Freunde fuhren immer wieder bei Nacht und Nebel in den Wald, um im Gespräch mit den Banditen ihre Motive zu erkennen. Und siehe da: Sie raubten, weil sie keine andere Möglichkeit kannten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
«Natürlich ist es extrem anspruchsvoll, gewalt-los zu verhandeln!» sagt Rajagopal. «Es gilt, mit grossem Selbstvertrauen und ohne Furcht aufzutre-ten. Und man darf keinesfalls in Eile sein. In der Tat kann man es mit dem Aufbau einer tiefen Liebesbe-ziehung vergleichen: Man sollte nichts überstürzen, sondern beiden Partnern Zeit lassen, einander zu verstehen.»
Um die Banditen zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, musste die Regierung eingeschaltet wer-den. Der Verzicht auf die Todesstrafe wurde aus-gehandelt, eine Ausbildung während der zehn- bis fünfzehnjährigen Gefängnisstrafe, zehn Hektar Land zur Bewirtschaftung nach der Entlassung sowie Für-sorge für die Kinder in der Zwischenzeit. So kam es, dass innerhalb zweier Jahre über tausend Bandenmit-glieder ihre Waffen niederlegten und sich den Behör-den stellten. Ein Wunder! Und ein junger Mann und die alte Idee der Gewaltlosigkeit standen an seinem Anfang. Auch die Bevölkerung wurde zur Versöh-nung aufgerufen, und in den Gefängnissen kam es zu berührenden Versöhnungen zwischen geläuterten Mördern und den Angehörigen ihrer Opfer. Aber Ra-jagopals Arbeit erreichte die Ärmsten nicht. Von der Befriedung profitierte vor allem der Mittelstand.
Langsam reifte der Entschluss, sich ganz für die Adivasi einzusetzen, die kastenlosen Ureinwohner, die unter der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem leiden und leicht in lebenslange Schuldknechtschaft geraten, zum Beispiel wegen eines Kredits für Me-dikamente. Allen bestehenden Gesetzen zu ihrem Schutz und allen Versprechungen der Regierung zum Trotz, verschlechtert sich ihre Lage kontinuierlich.
Er begann mit der Bildung von Selbsthilfegruppen und der Schulung von Aktivisten, vor allem mit Ju-gendlichen, wie schon im Chambal-Tal. Die Ausbil-dung beginnt mit der Stärkung des Selbstvertrauens, das von Kindheit an von einer für Westler unbegreif-lichen Angst vor Angehörigen hoher Kasten, Regie-rungsbeamten oder Reichen gelähmt wird. Im zwei-ten Teil der Ausbildung wird die Armut analysiert, die im Hinduiusmus von Gott gegeben ist und aus der es in diesem Leben kein Entrinnen gibt. Aber: Was hat Gott mit der Vertreibung der Bauern von ihrem Land zu tun? Im dritten Teil geht es um die Gesetze über Mindestlohn, Zwangsarbeit, Landrechte etc. und um das Verständnis der staatlichen Programme. Wer sich für seine Rechte einsetzen will, muss sie verstehen! Der vierte und letzte Teil ist der Planung gewidmet. Was werden die Aktivisten konkret tun, wenn sie in ihre Dörfer zurückgehen? Rajagopal: «Sie sollen auf keinen Fall der Illusion erliegen, dass sie durch meine Ausbildung plötzlich eine grossartige Person sind und sich ihr Leben und das der Dorfbewohner von selbst verändern wird.» Wer eine Führungsrolle übernimmt, wird weiter geschult, u.a. um die Haltung des Satya-graha, der Kraft der Wahrheit, zu verinnerlichen.
Über zehn Jahre lang war Rajagopal mit dieser Arbeit unterwegs, von Dorf zu Dorf, von Camp zu Camp, um die Menschen zu mobilisieren. Trotz der vielen Erfolgsgeschichten aus den Dörfern blieb die Wirkung der Bewegung lokal. 1990 vereinigten sich deshalb die verschiedenen sozialen Bewegungen zu einer lockeren nationalen Organisation unter dem Namen «Ekta Parishad» – vereinigtes Forum. Ekta Parishad hat mittlerweile mehrere Unterorganisa-tionen: Mahila Manch setzt sich gezielt für Frauen ein, die KulturaktivistInnen von Kala Manch nutzen
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Strassentheater, Lieder und Filme als Werkzeug der Ermächtigung und Arthik Manch fördert Handwerk und Handel und sichert heute mehr als 10’000 Men-schen ein Einkommen. Daneben wird die Bewegung von 150’000 Dorfführern und Freiwilligen getragen – alles in allem eine immense Kraft.
Noch vor der Gründung von Ekta Parishad wur-de Swissaid auf Rajagopal aufmerksam und zähl-te zu seinen ersten wichtigen Unterstützern aus dem Ausland. 1990 schickte das Hilfswerk die Fotografin Maja Koene aus Zürich für eine Bildreportage über Rajagopal nach Indien. «Sie verliebte sich sofort in seine Arbeit und wohl auch in ihn», schreibt Carmen Zanella in ihrem Buch «Das Erbe von Gandhi» über das Wirken von Rajagopal. Maja Koene zog nach In-dien und setzte ihr Vermögen und ihre Arbeitskraft für den Aufbau eines Zentrums ein, das Ekta Parishad als Basis für die Sozialaktivisten, als Ausbildungsstätte und als Erholungsort dienen konnte. 1995 wurde das CESCI (Center for Experiencing Socio-Cultural Inter-action) eröffnet, unterstützt von einem gleichnamigen Schweizer Verein, der seit Maja Koenes Tod 1999 die Arbeit in der Schweiz weiterführt.
Anfangs angefeindet und als Christ und gewalt-bereiter Maoist verleumdet, wurden Rajagopal schon bald ehrenvolle Posten angeboten. 1985 bis 1990 war er Beauftragter des obersten Gerichts In-diens zur Aufdeckung versteckter Zwangsarbeit. Und 1993 bis 1996 war er Sekretär der bedeutenden Gan-dhi Peace Foundation. Aber das Leben als Manager behagte ihm nicht und er kehrte zu Ekta Parishad zurück. Ende der 90er Jahre beschloss die Organisa-tionen, die Bevölkerung mit grossen Fussmärschen zu mobilisieren und den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Die erste derartige Yatra ging 1999 über 3000 Kilometer und dauerte sechs Monate. Am zweiten Fussmarsch über 350 Kilometer von Gwalior nach Delhi beteiligten sich bereits 25’000 Menschen, darunter 100 Parlamentarier und 250 Vertreter von
internationalen Organisationen und endete mit einem grossen Erfolg: Die Regierung unter Manmohan Singh bewilligte u.a. eine Taskforce zur Umsetzung der längst rechtskräftigen Landrechtsreform und sie rich-tete das Einschaltersystem ein, das den Ungebildeten ermöglichen, alle Amtsgeschäfte an einem Schalter zu erledigen.
Aber die Versprechen wurden nicht gehalten, so-dass bereits 2008 mit der Planung eines weiteren, noch viel grösseren Marschs begonnen wurde. In den Dörfern wurden Sammeltöpfe aufgestellt, um mög-lichst vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen. 100’000 werden nun am 2. Oktober, Gandhis Ge-burtstag, sternförmig nach Delhi ziehen und ultimativ die Einhaltung der Gesetze und Versprechen zugun-sten der Landlosen fordern. Es wird die wohl grösste politische Willenskundgebung der Ge-schichte sein, getragen von Menschen, die nichts anderes wollen, als die Re-spektierung der Gesetze.
Die Informationen in diesem Text basieren auf dem Buch «Das Erbe von Gandhi – Rajagopal P.V., ein Leben für den gewaltlosen Widerstand» von Carmen Zanella, Sept. 2012, Stämpfli Verlag, 160 S., Fr. 26.90 / 19 Euro
Liebe Leserinnen und LeserDie Arbeit an diesem Text hat mich dazu bewogen, eine kleine Spendenaktion zugunsten der TeilnehmerInnen am Jansatyagra-ha-Marsch zu lancieren. Einen Franken pro Tag oder 30 Franken insgesamt kostet die Teilnahme am Marsch, bzw. der Lebensunterhalt der betroffenen Familien, die einen Monat ohne Vater oder Mutter auskommen müssen. Der Verein Cesci hat zugesichert, dass das Geld ohne jeglichen Abzug für die Unterstützung des Marsches an Ekta Parishad überwiesen wird und die Revisionsstelle den Sach-verhalt bestätigen wird. Ich freue mich, wenn Sie den gewaltlosen Widerstand gegen Ungerechtigkeit unterstützen.� Herzlichen�Dank,�Christoph�Pfluger
Förderverein CESCI, Postfach, 8021 Zürich, www.cesci.ch Postkonto: 80-220210-4 – Stichwort: Jansatyagrahawww.ektaparishad.com
Links:�Die�1999�verstorbene�Zürcherin�Maja�Koene�lernte�Raja-gopal�1990�als�Fotografin�kennen�und�wurde�eine�wichtige�Fördererin�seiner�Arbeit.�Sie�baute�aus�eigenen�und�selber�gesammelten�Mitteln�das�CESCI-Zentrum�auf,�der�Ausbil-dungsstätte�von�Ekta�Parishad.
Rechts:�Lange Fussmärsche mit Tausenden von TeilnehmerInnen sind
eines der wichtigsten Instrumente zur Mobilisierung der Kastenlosen.
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Wie sähe denn eine andere Poli-tik aus? Eine, die sich nicht dem medialen Effekt verschreiben muss, sondern den Zeitfragen auf den Grund gehen darf?
Im traditionellen Buddhismus besteht die wich-tigste Aufgabe des Menschen darin, sein eigenes Wesen zu transformieren und die Grundübel des Daseins, Gier, Hass und Verblendung zu überwin-den. Dieser Prozess der Verwandlung wird im
Idealfall durch tägliches, mehrstündiges Studium der heiligen Texte und der meditativen Praxis begleitet. Für die meisten Menschen war und ist dieser Weg aus Zeitgründen kaum gangbar, so dass im Buddhismus schnell ein Laien- und Ordensstand entstand.
Die Laien unterstützten den Orden durch Spenden und hofften auf gutes Karma. Aufgabe der Mönche und Nonnen war es, die Laien über den Weg zum Heil zu belehren. Den Weg zur Erlösung musste jedoch jeder selbst gehen.
Mit dem Mahayana-Buddhismus, der um die Zei-tenwende entstand, tauchte jedoch ein neues Welt- und Erlösungsverständnis auf. Wichtig wurde der Gedanke, dass der Mensch auf dem Weg zur Erlö-sung auf Hilfe von anderen Wesen, den sogenannten Bodhisattvas vertrauen kann. Bodhisattvas haben das Heil erlangt, inkarnieren jedoch immer wieder aus grenzenlosem Mitleid mit den leidenden Wesen, um allen auf dem Weg zur Befreiung zu helfen. Das Besondere an dieser Theologie ist, dass ein jeder Mensch geloben kann, ein Bodhisattva zu werden.
prObleme lösen, statt sIch VOn Ihnen Zu lösenIn den letzten 40 Jahren entwickelte sich in verschie-denen buddhistischen Ländern ein Denken, das sozia-les Engagement für einen wesentlichen Aspekt der buddhistischen Praxis hält. Sie knüpften besonders an den Bodhisattva-Gedanken an. Mönche wie Thich Nhat Hanh, der Dalai Lama, Maha Goshananda, Bud-dhadasa oder Laien wie der alternative Nobelpreis-träger Sulak Sivaraksa und die Friedensnobelpreisträ-gerin Aung San Suu Kyi betonen die Notwendigkeit
einer Verbindung des politisch-sozialen Engagements mit der buddhistischen Lehre und Spiritualität. In ih-ren Augen müssen die drei Grundübel von Gier, Hass und Verblendung, die sich gesellschaftlich in kriege-rischen Auseinandersetzungen, Umweltverschmut-zung, Landraub, Korruption, Menschenhandel, wach-sender Armut, aber auch psychischen Erkrankungen wie Depressionen etc. bemerkbar machen, konkret angegangen und bekämpft werden.
So engagierte sich der kambodschanische Mönch Maha Goshananda in seinem Heimatland bis zu sei-nem Tod 2007 unermüdlich im Versöhnungsprozess. Er organisierte Friedensmärsche zur Versöhnung des vom Bürgerkrieg zerrissenen Landes und zur Überwin-dung der Angst. In Thailand kümmern sich Klöster um Drogenabhängige und Aids-Kranke und helfen Dorfbe-wohnern beim Aufbau genossenschaftlicher Projekte.
wenIger leIden – grösseres pOtenZIalAber auch in Europa und besonders in Amerika ist der sozial engagierte Buddhismus mittlerweile eine massgebliche Kraft. Claude Anshin Thomas, ein Ex-Vietnam-Veteran und Schüler des vietnamesischen Zenmeisters Thich Nhat Hanh, arbeitet z.B. mit trau-matisierten US-Kriegsveteranen, die wie er selbst Drogenabhängigkeit, Arbeitslosigkeit, Straffälligkeit, Depression oder Obdachlosigkeit erlebt haben. Durch die gemeinsame Arbeit öffnet er diesen Menschen Wege, sich mit sich selbst und der Gesellschaft zu versöhnen. Einen ähnlichen Weg beschreitet der ame-rikanische Zenmeister Bernard Glassman Roshi, mit
DIE IlluSIon & DAS lEIDEnVom individuellen Weg der Erlösung hat sich der Buddhismus in den letz-ten Jahrzehnten zu einer sozial engagierten Kraft gewandelt. Der neue Buddhismus versucht das Leiden nicht mehr durch die Erkenntnis der illu-sionären Welt zu überwinden, sondern durch konkrete Hilfe und soziales und politisches Engagement. von Katharina Ceming
Es gibt nur eine Zeit, in der es wesentlich ist aufzuwachen. Diese Zeit ist jetzt.
Buddha
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dem Thomas eng verbunden ist. Er betont wie kaum ein anderer die Notwendigkeit des Einsatzes für die Gesellschaft, trotz der vielen globalen Probleme, die den Einzelnen glauben lassen, persönlich nichts mehr tun zu können. Für den Buddhisten Glassman ist es wichtig, sich im Anderen wahrzunehmen, egal wie verschieden dieser von einem ist. Wer sich dem kon-kreten Leiden stellt, wird intuitiv auch eine Antwort bekommen, was im Hier und Jetzt zu tun ist. Es ist hilfreicher, in einer konkreten Situation zu tun, was man kann, als sich zu vergegenwärtigen, was man alles nicht weiss und nicht kann – ein Fass ohne Boden. Damit bringt er die Philosophie des sozial engagierten Buddhismus auf den Punkt.
Für Glassman wie für andere sozial engagierte Buddhisten führt der persönliche Einsatz für die Welt nicht nur zu gerechteren Lebensverhältnissen, sondern zu einer Reduktion des Leidens, die es Men-schen ermöglicht, ihr geistiges Potential besser entfal-ten können. Der spirituelle Unterbau ist für den sozial engagierten Buddhismus das entscheidende Gerüst, auf dem das Handeln in und für die Welt gründet.
was Ist gOttgewOllt, was Ist Zu ändern?Aber auch innerhalb der anderen grossen Weltreli-gionen ist die aktive Nächstenliebe ein wesentlicher Bestandteil des spirituellen Weges.
In der christlichen Tradition war die gelebte Näch-stenliebe von Anbeginn ein wichtiger Aspekt der Re-ligion. Die Begründung für die Sorge um die Armen und Kranken fand man im Evangelium, wo Jesus seinen Jüngern erklärte, dass immer dann, wenn sie einen Menschen in Not helfen, sie dies für ihn tun. In der Folge kümmerten sich viele der jungen Christen intensiv um ihre Mitmenschen, besuchten Gefangene, pflegten Kranke und unterstützten Notleidende. Mit der Etablierung des Christentums als Staatsreligion
veränderte sich diese Situation. Im Laufe der Jahr-hunderte übernahmen immer öfter die Klöster die Aufgabe der Krankenfürsorge. Für echten Zündstoff sorgte der Umgang mit Besitz und Armut. Für viele spirituell orientierte Christen bedeutete Reichtum und die Vermehrung desselben den Abfall vom Glauben, während gerade innerhalb der Amtskirche Reichtum als etwas von Gott Gegebenes gesehen wurde. Al-lerdings betonte man die Verpflichtung, sich auch um die Armen zu kümmern, was zum Ausbau der kirchlichen Armenfürsorge führte.
Woran man nicht rüttelte, war die Frage einer ge-rechten Verteilung. Für die Kirche waren Armut und Reichtum sowie die damit verbundenen sozialen Un-terschiede von Gott gegeben und zu respektieren. In den spirituellen Kreisen des Christentums dominierte hingegen oftmals die Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen, die darin begründet liegt, dass alle
Kinder Gottes sind. Diese Vorstellung wurde inner-halb der christlichen Tradition schliesslich zum Motor der sozial-revolutionären Impulse, die versuchten, Gottes Gerechtigkeit bereits im Hier und Jetzt durch-scheinen zu lassen.
armenhIlfe, pfeIler des IslamIn der islamischen Tradition spielte die Sorge um den Mitmenschen von Beginn an eine wichtige Rolle. So gehört die Armensteuer (Zakat) zu den fünf Grund-säulen der Religion, neben dem Glaubensbekenntnis, dem fünfmaligen Gebet, der Pilgerfahrt nach Mekka und der Einhaltung des Fastens im Ramadan.
Wer sich dem konkreten Leiden stellt, wird intuitiv auch eine Antwort bekommen, was im Hier und Jetzt zu tun ist.
Die Illusion & das Leiden
Spiritualität & Politik
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Die wahre Ergebenheit Allah gegenüber manifestiert sich immer auch im Verhalten dem Nächsten gegen-über. Neben der verpflichtenden Armensteuer gibt es zusätzlich noch die Möglichkeit einer freiwilligen Abgabe (Sadaqa). Da die Zakat nur Muslime bezahlen mussten, Juden und Christen als Schutzbefohlene in islamischen Herrschaftsgebieten eine Kopfsteuer entrichteten, hatten nur muslimische Arme Anspruch auf Unterstützung durch die Zakat. Die Höhe der Armensteuer variierte zunächst, bis sie im Lauf der Zeit auf fünf bis zehn Prozent der Einnahmen fest-gelegt wurde. Heute wird diese Steuer nur noch in den allerwenigsten islamischen Ländern erhoben. Bis heute üblich jedoch ist die freiwillige Abgabe, die besonders während des Fastenmonats Ramadan und an hohen islamischen Feiertagen von vielen gerne und grosszügig geleistet wird.
Eine äusserst wichtige Rolle für die öffentliche Wohlfahrt spielten in der islamischen Geschichte auch die verschiedensten Sufizentren. Die Klöster, in denen ein tief verinnerlichter und mystischer Islam verkündet, gelebt und praktiziert wurde und wird, kümmerten sich in besonderer Weise um die Armen und Bedürftigen. Aus diesem Grund erfreuten sich die Orden auch bei den einfachen Gläubigen grosser Be-liebtheit. Die von den Sufis gepflegte Liebe zueinander
wurde auf alle Menschen ausgedehnt. Dem wahren Sufi mussten die Begriffe von Mein und Dein bedeu-tungslos werden. Jeder war wichtig und bedeutsam, da der andere als ein Aspekt des Göttlichen galt.
An diese Tradition knüpften in der Moderne u.a. die Muslimbrüder oder Gruppierungen des politischen Islam, die dort, wo der Staat sich nicht mehr um die Ärmsten der Armen kümmert, einspringen. Allerdings ist ihre karitative Tätigkeit oft mit der Verkündigung einer bestimmten Form des Islam verbunden, die nicht immer mit Toleranz und Offenheit verbunden ist. Dass dies nicht sein muss, zeigen die Ismaeliten, eine schiitische Strömung, die sich für einen offenen und toleranten Islam einsetzt und gleichzeitig grosse soziale Projekte führt. Wissend, dass «Gottesdienst» immer auch Dienst am Mitmenschen ist.
Prof. Dr. Dr. Katharina Ceming ist promovierte Philosophin und The-ologin, Trägerin des Mystikpreises der Theophrastus Stiftung und lebt als Publizistin und Seminarleiterin in Augsburg. www.quelle-des-guten-lebens.deVon Katharina Ceming sind u.a. erschienen:
Sorge dich nicht um morgen – die Bergpredigt buddhistisch gelesen. Kösel 2009, 156 S., Fr. 32,90 / 16,95 EuroErnstfall Menschenrechte – die Würde des Menschen und die Weltreligionen. Kösel 2010, 304 S., Fr. 47,90 / 24.99 EuroSpiritualität im 21. Jahrhundert. Phänomen-Verlag 2012, 100 S., Fr. 21.90 / 14,90 Euro
Spiritualität & Politik
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wir alle tragen unglaublich viel Scheisse in unseren Rucksäcken mit uns he-rum: Unsägliche Schick-sale unserer Vorfahren
mit Tiefenwirkung bis in unsere Generati-on, unterdrückte Trauer, verborgene Ängs-te, versteckte Lebensfehler, verdrängte Gefühle, vielleicht sogar echte Missetaten – eine geballte Ladung Scheisse, die uns auf Schritt und Tritt begleitet und unser Tun und Lassen, unser Denken und Fühlen prägt, die Nächstenliebe erschwert und letztlich wahre Menschengemeinschaft verunmöglicht. Eine Plage von biblischem Ausmass.
Ausnahmslos jeder von uns schleppt eine pralle Packung mit sich herum, und nur weil wir allesamt gebückt durchs Leben gehen, merken wir gar nicht, wie weit unter unserem Potenzial wir leben. Die Scheisse ist überall, deshalb riechen wir sie nicht.
Manche versuchen, sie mit Tüchtigkeit zu übertünchen, mit Konformität oder mit demonstrativer Überlegenheit. Andere re-signieren, brechen unter dem stinkenden Gewicht zusammen oder tun Busse, weil sie sich persönlich schuldig fühlen.
Einige von uns versuchen, sich durch Me-ditation, Therapie oder Lebensarbeit von dieser Last zu befreien, langsam, in immer wieder neuen Anläufen, und manchmal so-gar mit echten, kleinen Fortschritten. Das ist erfreulich, das weckt Hoffnung, aber ich fürchte: Es ist nicht genug. Ich glaube nicht, dass die damit zu erreichenden Ergebnisse mit der Notwendigkeit des jetzt erforder-lichen Quantensprungs Schritt halten. Wir können nicht zweihundert Jahre lang war-ten, bis endlich alle unsere Egoismen abge-arbeitet sind. Bis dahin ist das Chaos in der Scheisswelt mehrfach ausgebrochen.
Wir müssen andere Mittel finden. Der kürzeste Weg – er ist fast zu einfach –, be-steht darin, endlich die Tatsache zu akzep-tieren, dass wir alle eine enorme Ladung Mist durch unser Leben schleppen und in der Einsicht, dies unseren Mitmenschen nicht mehr übel zu nehmen. Es geht uns allen gleich, Vorwürfe an andere fallen ziemlich schnell auf uns zurück.
Dieses Eingeständnis hätte enorme Vorteile von geradezu gigantischem gesellschaft-lichen Potenzial:Erstens müssten wir nicht mehr perfekt
sein. Oder positiv ausgedrückt: Wir sind in Ordnung, wie wir sind. Die Masken können fallen.
Zweitens dürften wir Fehler machen und deshalb könnten wir sie auch eingestehen und müssten sie nicht wiederholen.
Der Anspruch, fehlerfrei zu sein, richtet unheimlich viel Schaden an: Rechthabe-rei, Lüge, Festhalten an Fehlern, Verhinde-rung neuer Lösungen… Man stelle sich nur einmal die menschlichen und monetären Kosten vor, weil Politiker, Banker, Anleger und Bürger auch nach fünf Jahren offizieller Finanzkrise nicht auf die Idee kommen dür-fen, vielleicht ein paar ziemlich gravierende Fehler begangen zu haben. Die Rechthabe-rei ist im Grunde unbezahlbar.
Stellen Sie sich einmal vor, unsere Politi-ker könnten Fehler eingestehen! Wir hätten ziemlich schnell ein ziemlich perfektes Ge-meinwesen. Denn nur wenn Fehler erkannt werden, lassen sie sich in Zukunft vermei-den. Je mehr, desto besser – wenigstens zu Beginn.
Vollkommenheit ist paradox, wie alle höheren Werte des Menschen. Sie ist nur erreichbar, indem man sie aufgibt und sich die Fehlerhaftigkeit eingesteht. Perfektion ist eine diabolische Illusion. Das sollten wir wissen, seit Luzifer Gott gleich sein wollte. Wir müssen aber nicht so weit in der Menschheitsgeschichte zurückkehren. Adam und Eva, die an der Unterscheidung zwischen Gut und Böse scheiterten, rei-chen auch.
Ähnlich paradox verhält es sich übrigens mit der Freiheit: Sie ist nur zu erreichen, wenn man sie freiwillig einschränkt.
Aus ähnlichem Grund glaube ich nicht, dass wir uns vom Joch unserer Packung befreien, indem wir ihr viel Beachtung schenken. Im Gegenteil: Je tiefer wir im Mist herumstochern, desto grösser der Ge-stank. Natürlich wird uns immer wieder mal ein Stück vor die Füsse fallen. Und wenn wir es nicht beachten, werden wir darauf ausrutschen. Aber wir könnten den Mist auch annehmen und uns dadurch in die Lage versetzen, ihn überhaupt abzuladen, jedes Mal, wenn er uns in die Quere kommt. Holy Shit! Vielen Dank, dass ich wieder eine Erfahrung machen durfte, die ich deshalb nicht wiederholen muss! Mist, auch unser eigener, ist Dünger.
Christoph Pfluger
Wir können nicht zweihundert Jahre lang warten, bis endlich alle unsere Egoismen abgearbeitet sind. Bis dahin ist das Chaos in der Scheisswelt mehrfach ausgebrochen.
Dieser Text enthält Fäkalsprache. Wer sie nicht erträgt, soll bitte nicht weiterlesen.
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Spiritualität & Politik
VOn der schwItZhütte aufs pIratenschIffDie Geschichte einer Reisenden zwischen den Welten Spiritualität und Poli-tik. Monika Herz (54) aus Peissenberg (Bayern) ist ein religiöser Mensch und Schülerin eines tibetischen Meisters. Seit ihrer Jugend setzt sie sich für die Umwelt und eine gerechtere Geldordnung ein und ist heute in der Pira-tenpartei aktiv. Sie wollte nie einsehen, warum die Heilung der inneren und der äusseren Welt nicht zusammenpassen sollen. von Monika Herz
als wir jung waren, vor mehr als 30 Jahren, diskutierten wir darüber, ob es überhaupt zu verantworten sei, noch Kinder in diese Welt zu setzen. Es schien absehbar, dass der Planet wegen Überbevölkerung, Um-
weltverschmutzung oder Krieg mit immer «perfekteren» Waffen unbewohnbar würde. Wir fuhren nach Wackers-dorf, um die Wiederaufbereitungsanlage zu verhindern und bildeten Menschenketten gegen die Pershing-Ra-keten. Wir wurden als «Umwelt-Terroristen» beschimpft, weil wir wegen des Waldsterbens «Gipfelkonferenzen» veranstalteten. Ich bekam trotzdem fünf Kinder. Eine Stimme in mir sprach: «Ich kapituliere nicht! Ich werde für die Kinder und mit den Kindern an einer besseren Welt bauen!» Ich selbst zog mich aus der politischen Ar-beit zurück, so lange die Kinder klein waren. Stattdessen vertiefte ich mich immer intensiver in spirituelle Praktiken. Ich betete in schamanischen Schwitzhüttenzeremonien und verbrachte etliche Wo-chen in indischen Ashrams. Ich lernte zu meditieren und inmitten des Chaos mit fünf Kindern Zuflucht zu nehmen zu einer Liebe, die grösser ist als unsere brüchigen menschlichen Beziehungen.
Mit zunehmendem Alter der heute erwachsenen Kinder begann ich, mich wieder stärker politisch zu engagieren. Ich arbeitete bei Attac und in der Regionalgeld-Bewegung mit. Ich sah mir mehrere Parteien genauer an: die Grünen, die Linken und die Violetten. Aber keine wollte so recht zu mir zu passen. So stürzte ich mich als Einzelkämpferin in einen aussichtslosen Wahlkampf. 2009 bewarb ich mich als parteifreie Kandidatin für den Bundestag. Ergebnis: 0,4 Prozent der Stimmen. Als die Piraten-partei dann in ihrem Programm die Einführung eines
Grundeinkommens forderte, wusste ich, was zu tun war. Ich sprang auf das Schiff, genannt Partei. Wie würde es mir ergehen?
Zuerst drohte ich an der Technik zu scheitern – tra-ditionell die Stärke der Internetgeneration und meine Schwäche. Ich fand mich nicht auf der Piraten-Web-seite zurecht und musste telefonisch in der Berliner Zentrale um Hilfe flehen. Eine junge Männerstimme gab mir Geleit und führte mich durch die wichtigsten Räume des Schiffs. Die Kapitäns-Kajüte, genannt Bundesvorstand, fand ich besonders interessant.
Um Weihnachten 2011 heuerte ich dann auf dem Piratenschiff an. Ich schrieb mich bei der «Arbeitsgruppe Geldsystem» ein, zu der ich mich als ehemalige Geschäftsführerin eines Regiogeld-Ver-bundes hingezogen fühlte. Die Gruppe traf sich aber nicht, wie es bei meiner Generation üblich war, in verrauchten Hinterzimmern beim Bier. Für eine bun-desweite Arbeitsgruppe wäre das denkbar ineffektiv. Die junge Partei bedient sich einer neumodischen Internet-Konferenzschaltung namens «Mumbeln». Beliebig viele Teilnehmer können sich dabei online treffen. Die Kommunikation ist diszipliniert, nur einer redet gleichzeitig, und wer drankommen will, kann vorher «anklopfen».
Trotz der Auseinandersetzungen erkannten wir in der Gruppe bald das Hauptproblem der Geldpolitik:
Meine Vorstellungskraft ist so gross, dass ich Dinge tue, von denen ich keine Ahnung habe. Manches muss man halt einfach tun, statt nur darüber zu reden.
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die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken. Diese leihen sich von der Zentralbank Geld und erzeugen daraus ein Vielfaches an Giralgeld. Das verleihen sie dann weiter – gegen Zins, versteht sich. Für die uneingeschränkte Erzeugung von Giralgeld gibt es kaum gesetzliche Regelungen. So wird munter weiter Geld aus dem Nichts erzeugt. Dabei sind per Gesetz nur Münzen und Geldscheine «echtes Geld». Und selbst die haben keinen Wert aus sich heraus. Geld-scheine sind nichts als Schein, wie der Name schon sagt, «gedeckt» nur durch die kollektive Illusion, dass sie wertvoll sind. Man könnte darüber lachen, wären wir nicht alle so abhängig davon. Vielleicht reiben wir uns in ein paar Jahren die Augen und denken: Wie konnten wir das alles nur glauben?
Wir von der Arbeitsgruppe Geldsystem haben inzwischen dazugelernt. Aber wie bringen wir unsere Erkenntnisse den restlichen Piraten nahe? Ge-schweige denn den «normalen Menschen» draussen? Nicht nur die ungezügelte Art, wie Geld erzeugt wird, ist das Problem. Auch die Tatsache, dass dieses Geld als Schuld erzeugt wird, ist höchst fragwürdig. Und Schuld ist «zufällig» ein höchst spirituelles Thema, eines der wichtigsten in der christlichen Kultur. Da-bei steht Jesus für Vergebung und hat nach Lehre der Kirche unser aller Schuld auf sich genommen. Wozu brauchen wir da immer noch ein Schuld-Geld-system?
Solche Fragen – und überhaupt Querverbindungen zur Spiritualität – sind für «vernünftige» Piraten na-türlich irrelevant. Manche liessen mich bitter spüren, dass ich in ihren Augen nur ein Paradiesvogel bin, der laufend Ideen ausbrütet, die «nichts zur Sache tun». Bist du überhaupt kompetent genug? – diese bohrende Frage verfolgt mich noch in meinen Träu-men. Eine mögliche Antwort wäre: Nein, aber meine Vorstellungskraft ist so gross, dass ich Dinge tue, von denen ich keine Ahnung habe. Manches muss man halt einfach tun, statt nur darüber zu reden. Da habe ich vielleicht einigen Piraten etwas voraus.
In einer Partei mitzuarbeiten, macht nicht nur Spass. Die Piraten in Deutschland stehen hoch in der Wählergunst. Das heisst: Zukünftig sind auch hoch dotierte Posten in den Parlamenten zu vergeben. Natürlich wird um solche Jobs wie in jeder anderen Partei mit harten Bandagen gekämpft. Menschen wie
ich, die von einer besseren Welt träumen und das offen zugeben, haben wie in jeder anderen Partei schlechte Aussichten auf die vorderen Plätze. Dass ich früher bei den Violetten, einer spirituellen Partei, war, erhöht meine Chancen nicht gerade.
Politik und Spiritualität passen vielleicht wirk-lich nicht zusammen. Vor Jahren führte ich einmal ein Interview mit dem tibetischen Meister Gonsar Rinpoche. Damals meinte ich, es wäre eine Lösung, wenn spirituelle Menschen in die Politik gingen, um sie so von innen heraus zu verändern. Die Dalai Lamas waren ja traditionell zugleich spirituelles und politisches Oberhaupt Tibets. Ich fand diese Idee genial. Die höchste Verkörperung des Erbarmens, der Boddhisattwa Avalokiteshwara, kam immer wieder auf die Erde, um die Menschen zu leiten. Der weise Gonsar Rinpoche dämpfte meinen Enthusiasmus: «Meine persönliche Meinung ist, dass diese Vermi-schung von Politik und Religion keine wirklich ge-niale Sache war. Wer die Geschichte von Tibet liest, kann das sehen. Wir glauben, im alten Tibet wäre alles wunderbar und harmonisch gewesen. Aber auch die Tibeter sind voller Ärger, Probleme, Egoismus und Auseinandersetzungen.» Dann sagte der Lama kategorisch: «Die Politik stört die Religion, und die Religion stört die Politik. Man kann dann nie wirk-lich wirkungsvoll sein in beidem.» Vielleicht hat er Recht.
Heute glaube ich, dass die Politik eher die Men-schen verändert, anstatt umgekehrt. Nach ein paar Jahren im politischen Geschäft ist selbst bei den echten Idealisten eine seltsame Persönlichkeitsver-änderung zu beobachten. Ein kleines Hintertürchen liess Gonsar Rinpoche jedoch offen. Meine Frage, ob ein Weisenrat aus wirklich spirituellen Menschen die Politik beraten könne, bejahte er. Erich Fromm hat in seinem Buch «Haben oder Sein» die Vision eines Weisenrats eingeführt. Jakob von Uexküll eta-blierte inzwischen einen internationalen Zukunftsrat. In Uexkülls ursprünglicher Vision bestand dieser Rat zu gleichen Teilen aus Ältesten (über 60 Jahre), Menschen mittleren Alters (30 bis 60) und Jungen (bis 30). Jetzt ist der Weisenrat doch wieder zum Greisenrat geworden (mittleres bis hohes Alter), was ich ganz verkehrt finde. Denn diese bessere Welt sollten wir für, vor allem aber mit unseren Kindern bauen! Und wir werden sie mit den Werkzeugen bauen, die unsere Kinder so viel besser zu nutzen wissen als wir: mit dem Internet und frei verfügbaren Informationen. Deshalb bleibe ich auf dem Schiff, genannt Piratenpartei.
Kontakt: Monika Herz, D-82380 Peissenberg, www.heilen-mit-herz.de | www.neue-wirklichkeit.de
Nach ein paar Jahren im politischen Geschäft ist selbst bei den echten Idealisten eine seltsame Persönlichkeits-veränderung zu beobachten.
Nehmt den radikal-sten Revolutionär und setzt ihn auf den Thron [...], und ehe ein Jahr vergeht, wird er schlimmer als der Zar selbst geworden sein.
M. A. Bakunin
Von der Schitzhütte aufs Piratenschiff
Spiritualität & Politik
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mönche In dIe pOlItIk – & pOlItIker Ins klOsterKann Politik Freude machen? Ist dieses endlose Feilschen um Konkor-danzen, Konstellationen und Kompromisse nicht das Gegenteil eines lust-orientierten oder gar spirituellen Lebens? Sind Politiker zu Bescheidenheit fähig, oder fordert das System letztlich eine gewisse Selbstverherrlichung, Rechthaberei und einen Zynismus gegenüber allem Übergeordneten? von Paul Dominik Hasler
man kommt nicht umhin, Politik als eine Sportart zu sehen, die von ih-ren Protagonisten gewisse Eigen-schaften einfordert. Meist begnügen wir uns mit den Zuschauerrängen
und verfolgen das bunte Treiben, lassen uns von den Medien bedienen und äussern unsere mehr oder weniger geistreichen Kommentare zum Geschehen. Politik, so unser Eindruck, muss so sein.
Und in der Tat ist dem so, zumindest solange wir Politik als das wahrnehmen, was sie heute ist: Ein öffentlicher Schlagabtausch um Positionen, Pfründen und Parteiprogramme. Die eigentliche Lösungssuche oder Sachpolitik kommt oft zu kurz, der Einbezug eines bescheideneren Umgangs mit unseren Res-sourcen, seien sie menschlicher oder natürlicher Art, sowieso. «Politik» kommt von Poltern oder Positio-nieren, kaum aber von Zuhören, Erkennen und sich Verständigen.
Solange wir unsere Politiker über einen medi-alen Prozess wählen, ist das nicht zu ändern. Sie sind gezwungen, sich wie die Gockel vor die Matt-scheibe zu werfen, um beachtet zu werden. Gesucht sind Provokationen, Extrempositionen und markige
Sprüche für die Masse. Kein Wunder, scheuert sich auch der grösste Ide-alist bald einmal die Knie wund bei seinem Bittgang um mediale Aufmerksam-keit. Politik als Zirkus Ma-ximus unserer Kultur.
Wie sähe denn eine andere Politik aus? Eine, die sich nicht dem medialen Effekt verschreiben muss, sondern den Zeitfragen auf den Grund gehen darf? Eine, die Platz liesse für die Verbindung zu etwas Grösserem als unseren selbstverliebten Sorgen? Wie würde ein Parlament funktionieren, dessen Angehö-rige nicht primär als Name und Konterfei durch die Medien huschen müssen, sondern einen Beitrag zur Lebensqualität dieses Landes leisten dürfen, auch wenn es dazu mehr als vier Jahre braucht? Wäre nicht eine gewisse Anonymität der beste Schutz vor Ausbeutung? Wäre nicht der Verzicht auf persönliche Profilierung und Prestige das beste Mittel, den Fokus auf die Sache an sich zu lenken?
Unweigerlich kommt mir das Bild von Mönchen in den Sinn, die sich einer Aufgabe widmen, um darin eine besondere Qualität zu erreichen. Sie tun dies in einer ausgewogenen Haltung zwischen Selbstachtung und Dienst am Grösseren. Sie reduzieren den Auf-wand für das Unwesentliche, um Freiheit und Energie für das Wesentliche zu haben. Sie sind auf dem Weg, ohne den Anspruch zu haben, andere korrigieren oder belehren zu müssen. Was für eine interessante Vorstellung, das Mönchtum auf die Politik zu übertra-gen. Bei genauerer Betrachtung sehe ich drei Schritte, die für diese Verwandlung nötig wären:
1. anOnyme wahlStellen wir uns vor, ich könnte in die Politik gewählt werden. Allerdings würde nie jemand meinen Namen erfahren. Er wäre nicht wichtig. Wesentlich wäre mei-ne Haltung diesem Amt gegenüber. Diese könnte ich kundtun, indem ich ein Portrait meiner Werte, Inte-
Um den Politikern die Last ge-sellschaftlicher Verstrickungen zu ersparen und prestige-orientierte Personen vom Amt fern zu halten, würden sie für ihre Amtsperiode in eine Art Mönchsstatus erhoben.
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ressen und Überzeugungen vorlege. Auch mein Foto würde veröffentlicht, allerdings ohne einen Bezug
zu meinem Namen und meinem Portrait. Und als Drittes dürften zwei Men-schen kurz etwas über mich schreiben: Wer ich bin und wofür ich ein-stehe. Auch das ohne einen Bezug zu Gesicht und Portrait. Die Wäh-lenden dürften Stimmen
vergeben für Gesichter, Portraits und Empfehlungen. Es wäre eine Art Blindflug, der viel Bauchgefühl verlangt. Wer sich bei Gesichtern auskennt, wird mehr Stimmen dort geben, wer gerne Verbindliches mag, der wird die Portraits oder Empfehlungen honorieren.
Die anonyme Wahl kann vor allem eines: Sie bietet stilleren, kontemplativeren Menschen eine Möglichkeit, gewählt zu werden. Dies wäre auch richtig so, denn der Ort der Politik wäre ein ganz anderer als der heutige.
2. klOsterDas Parlament der Zukunft, gewählt im anonymen Verfahren, würde einen besonderen Ort bilden, eine Art Kloster. Darin ginge es wie im echten Kloster da-rum, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, Klarheit zu erlangen und Entscheide für eine gemein-same Zukunft zu treffen. Damit dies gelingen kann, wäre das Kloster aber nicht nur ein kontemplativer sondern auch ein offener, ein dialogorientierter Ort; also eine Art Tagungszentrum mit vielen Gesprächen, Sit-Ins, Meditationen, Workshops und Parties. Auch ein Kaminfeuer würde nicht fehlen, vor dem man Themen entspannten Raum geben kann.
Allen Aktivitäten würde aus dem Wissen um die Würde der Mission eine gewisse Bescheidenheit in-newohnen. Man ist Politiker, weil es um das Wohl der Menschen geht, um die Zukunft, um die Natur, um die noch Ungeborenen und letztlich auch um die Schöp-fung, von der wir herzlich wenig verstehen und uns darum in zärtlicher Neugierde um sie bemühen.
Das Kloster wäre somit auch ein kindlicher, ein verspielter Ort, ganz aus dem Wissen heraus, dass wir Teil eines grossen Ganzen sind, in das wir uns mit viel Neugierde und Respekt einfügen möchten. Vergeblich würde man auf prunkvolle Medienanlässe und pathetische Ansprachen warten. Die Lebensfreu-de aber würde nicht zu kurz kommen.
3. möncheLogischerweise muss ich nun die Politiker mit Mönchen (oder Nonnen) vergleichen, wobei dieser Vergleich lebendig gesehen werden darf. Schliesslich sind auch die Politiker der Zukunft Menschen, die
im Leben stehen möchten und nicht nur aus inneren Eingebungen handeln sollen. Um ihnen aber die Last gesellschaftlicher Verstrickungen zu ersparen und prestigeorientierte Personen vom Amt fern zu halten, würden sie für die Dauer ihrer Amtsperiode in eine Art Mönchsstatus erhoben. Dieser würde jedes an-dere Amt ausschliessen. Wer Politiker sein möchte, würde sich für einige Jahre aus seinem Beruf, aus sei-nen Verwaltungsratsmandaten und Geheimlogen, ja sogar aus seinem Alltag verabschieden müssen. Auch sein Einkommen würde entfallen, wie bei Mönchen so üblich, für Familie und Kinder würde aber ge-sorgt. Im Gegenzug wäre es normal, dass Politiker überall Einlass, kostenlose Bewirtung und Unter-kunft geniessen würden. Sie wären damit ähnlich den Wandermönchen in Asien, die auf ihren Wegen selbstverständlich von der Allgemeinheit getragen und geschätzt werden. Auf eine auffällig, farbige Klei-dung würde ich allerdings verzichten; das Konzept ist schon bunt genug.
Die Freiheit der «mönchisierten» Politiker wäre eine doppelte: Zum einen würde man ihnen ihre Motivati-on abnehmen, zum anderen wären sie von Verpflich-tungen und Interessenbindungen befreit. Auch die Parteien wären mehr eine Art Dienstleistungs- und Kommunikationsbetrieb für ihre Mönche, um sie mit Informationen zu versorgen und Anlässe durchzufüh-ren. Vielleicht gäbe es sie in dieser Form auch nicht mehr, und die Mönche würden sich über persönliche Vernetzungen mit Hilfestellungen versorgen lassen.
Natürlich ist oben genanntes System weniger «effizient» als das heutige, zumindest in einem gewissen Sinn. Mit der schwächeren Verbindung zwischen Politik, Macht und Wirtschaft würde so manches Geschäft länger dauern oder nicht zustande kommen. Die Politik wäre nicht mehr der Wachs-tumsmotor und Interessentigel von heute. Die Welt, wie wir sie kennen, würde sich wandeln. Die Dinge würden langsamer aber folgerichtiger verlaufen, Inve-stitionen würden weniger dem momentanen Gewinn und mehr dem längerfristigen Gemeinwohl dienen. Vielleicht würden unsere Bruttosozialprodukte sin-ken und unsere Strassen nicht mehr breiter werden. Vielleicht würden auch unsere Armeen veralten und unsere Forschung etwas andere Wege gehen. Das al-les wäre der Preis für eine Politik, die es sich erlaubt, ehrlicher über die Dinge nachzudenken und eine Verhältnismässigkeit zu wahren, die uns Menschen eine neue Form der Koexistenz auf diesem Planeten ermöglicht.
Paul Dominik Hasler betreibt seit 20 Jahren das Büro für Utopien in Burgdorf. Er berät die öffentliche Hand im Umgang mit gesellschaftlichen Potentialen. www.utopien.com
Politiker wären den Wandermönchen in Asien ähnlich, die auf ihren We-gen von der Allgemeinheit getra-gen und geschätzt werden. Auf eine auffällig farbige Kleidung würde ich allerdings verzichten; das Konzept ist schon bunt genug.
Die bescheidenen Menschen wären die berufenen Politiker, wenn sie nicht so bescheiden wären.
Ernst R. Hauschka
Mönche in die Politik
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Spiritualität & Politik
wIe erreIchen wIr Veränderung?
achte deIne feIndeEine echte Veränderung eines Systems ist meines Erachtens nur möglich, wenn wir uns diesem – und den Menschen die es verkörpern – mit Respekt und Wertschätzung nähern. So-bald wir andere als Feinde und Verhinderer konstruktiver Lösungen angreifen, wird mit Sicherheit keine solche gefunden. Hilfreicher ist es, andere als dialogfähig und bereit zu grundlegenden Änderungen zu betrachen. Be-eindruckend finde ich diesbezüglich Rüdiger Nehberg, der mit seiner Menschenrechtsor-ganisation Target die höchsten Gelehrten des Islams bewegen konnte, die Beschneidung von Mädchen zu ächten und unter Strafe zu stellen. Dies ist ihm durch Achtung vor den Menschen sowie fundierten Kenntnissen des Islams gelungen. Dagegen ist der heutige po-litische Stil, miteinander zu kommunizieren,
leider oftmals anders. Anstatt über ein Pro-blem zu diskutieren, wird die andersdenkende Person per se angegriffen – und dies oft mit wenig sachlichen Argumenten. Einer Politik ohne Verantwortung gegenüber dem Leben-digen fehlt jede Ethik und Spiritualität. Was Nehberg bewirkt hat, das ist für mich gelebte Spiritualität in der Politik – auch wenn er oder vielleicht gerade weil er kein Politiker ist. Martina Degonda, Brugg
neue denkgewOhnheIten wagenAls ich neulich während eines Gesprächs unter Bekannten bemerkte, dass alternative Geld- und Wirtschaftssysteme möglicher-weise die Zukunft Europas seien, erntete ich den Vorwurf der Naivität. Diese Reaktion ist bezeichnend für die heutige Zeit. Nur weni-ge wagen es, das bisherige System in Frage
zu stellen und in Alternativen zu denken. Falls es aber überhaupt eine Veränderung oder Verbesserung geben soll, müssen wir die Pfade verlassen, die uns in die Krise geführt haben.
Geld hat seinen Wert nur durch Zu-schreibung und durch unseren Glauben an seinen Wert. Dieser Glauben ist aller-dings tief in der Gesellschaft verwurzelt Doch selbst das «System», dem wir soviel Macht zuschreiben, ist hauptsächlich nur als Idee in unseren Köpfen vorhanden. Die Macht des Systems beruht auf den vielen Multiplikatoren, den gleichgeschaltet den-kenden Menschen, die aus Bequemlichkeit die Vorgaben des Systems unangezweifelt mittragen. Hier kann man ansetzen, in-dem man eine Gegenwelt schafft, die zwar nicht gegen das System verstösst, aber al-ternative Denk- und Lebensweisen zum inspirierenden Beispiel für andere macht. Hierzu gehören Tauschringe, alternative Wirtschaftsformen und Geldsysteme, Ko-operationen zwischen Menschen und die freie Diskussion gesellschaftsrelevanter Themen in der Öffentlichkeit. Aktionen wie etwa das Guerillagärtnern oder die künstlerische Darstellung gesellschaftlicher Themen können eine Diskussion in Gang bringen, die verstaubte Denkgewohnheiten aufzulösen vermag. Wolfgang Kornberger, DFreiburg
Es ist verflixt: Die Welt braucht dringend neues politisches Personal, um die systembedingten Ungerechtigkeiten, den Machtmissbrauch und die grassierende Umverteilung zu beenden, die die Welt an den ökologischen und sozialen Abgrund drängen. Aber diese Politikerinnen und Politiker können nicht gewählt werden, weil die politischen Verhältnisse ihre Wahl nicht zulassen. Und: Zu den aller-meisten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen gibt es Lösungen. Aber sie werden verhindert, weil sie die bestehenden Machtverhältnisse in Frage stellen. Was tun? Wie können wir in einem System Veränderung bewirken, das echte Veränderung systematisch verhindert? Über den Newsletter forderten wir unsere Leserinnen und Leser auf, Antworten auf diese Frage zu formulieren. Hier eine Auswahl:
Wolf Schneider, Journalist und Verleger («connection»), Niedertaufkirchen
A: Die Weisen sollten sich nicht zurückziehen, sondern ihre Machtscheu überwinden und politische Verantwortung übernehmen.
B: Die Weisen müssen erkennen, dass Geist und Materie zusammenhängen. Es ist wie eine Huhn-Ei-Beziehung. Wenn sie das erkennen, können sie sich nicht mehr zurückziehen.
Urs Jeker, Kinder- und Jugendpsychiater, Rodersdorf
A: Es muss unten beginnen, bei mir in der Wohngenossenschaft, im Dorfladen, den wir erhalten. Spiritualität in der Politik bedeutet, aus tiefer Überzeugung Kooperation statt Konkurrenz zu leben.
B: Ich bin zu sensibel für die Politik. Allein schon die Arbeit im Gemeinderat hat mich krank gemacht. Sensible, spirituelle Menschen brauchen eine Schulung für die Politik, sonst werden sie von der Polarität erdrückt.
Was muss geschehen, damit (A) die Politik spiritueller wird und
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Spiritualität & Politik
VOn unten und VOn InnenNach meiner Erfahrung wächst nachhaltige Veränderung langsam, von unten und von innen. Es ist schwer, Gewohnheiten in Tun und Denken zu ändern. Die heutigen Poli-tikerinnen und Politiker werden es kaum schaffen, die festgefahrenen Verhaltensmu-ster zu verlassen. Sie werden sich nicht än-dern – aber sie werden aussterben.Damit weniger im Alten Verhaftete nachkommen, setze ich auf breite «Nachwuchsförderung».
Ich übe mich täglich darin, mit mir selbst und mit meinen Nächsten so umzugehen, wie ich mir das von den heutigen Macht-habern wünsche. Vor allem Kinder sollten erfahren, wie sich ein achtungsvolles, gleich-wertiges Miteinander anfühlt und auch, dass es ihnen zusteht. Wenn wir diesen Weg von Geburt an mit ihnen gehen, wird er ihnen zur Gewohnheit und es besteht eine grös-sere Chance, dass sie sich später dafür ein-setzen. Doranne luginbühl, Trimbach,
www.ichundduundwir.ch
eIne ecke abKürzlich führte ich ein Gespräch mit einem Wissenschaftler, der mit einer Erfindung zum vielfachen Millionär geworden ist und sich seither mit der Sinnfrage beschäftigt, um die er sich vorher nie gekümmert hat.
Der Wissenschaftler meinte, das Universum und unsere Welt und damit auch unser Da-sein, sei im Nichts entstanden, im Vakuum – ohne Umfeld und durch einen Zufall. In sei-nem System – das er mit vielen Elitisten teilt – verdanken wir unsere Existenz somit nicht einer höheren Macht oder etwas Göttlichem, sondern sind mit unserer ganzen Welt einfach ein zufälliges Produkt aus dem Nichts. Das
Nichts wird uns aber nie anhalten, moralisch richtig zu handeln und mit den Mitmenschen oder der Umwelt ethisch korrekt umzugehen. Das Leben wird zynisch, ohne Sinn und wir können uns nicht mal irgendwo bedanken für unser Dasein, die gefundene Liebe oder einen schönen Regenbogen.
Da habe ich verstanden, warum es im Islam heisst «traue keinem Ungläubigen». Damit ist ganz sicher kein Christ oder Jude gemeint, sondern derjenige, der an keine göttliche Autorität glaubt und nur seine selbst zusam-mengestiefelten Prinzipien hat, der ein sinn-loses, zweckloses und verantwortungsloses Dasein führt – und dem man darum nicht vertrauen kann.
Seither gehört für mich Spiritualität unbe-dingt zum Fundament derer, die uns in der Wirtschaft oder in der Politik führen. Wem sie fehlt, kann sich gar nicht aus voller Über-zeugung ethisch verhalten. Ihm fehlt ein Teil – er hat im wahrsten Sinne «eine Ecke ab». Michael Brandenberger, Thalwil
es begInnt mIt eIgenVerantwOrtungWorauf man den Blick richtet, bestimmt die Wünsche. Schaut man fern, will man die Welt ändern, hat jedoch die Fähigkeit dazu meist nicht. Schaut man nah, will man sein Umfeld ändern und kann es oftmals auch nicht. Die Fähigkeit dazu hat man jedoch. Die Frage «was kann ich tun?» sollte uns durch unser Leben führen. Schreibe ich die-sen Text nicht für mich, sondern für andere, dann muss ich schreiben, was ich tue, da ich dies ja als einzig Sinnvolles betrachte. Ich fahre sehr viel Fahrrad (mit dem ich auch reise), kaufe nur biologisches Essen und
achte im kleinsten Detail auf Umweltver-träglichkeit. Darin findet sich keine Formel für eine bessere Welt, sondern Ausdruck einer persönlichen Überzeugung, der alle Menschen auf ihre eigene, andere Weise folgen können. Ich handle möglichst im Sinne des kategorischen Imperativs. Der Ansatz der Eigenverantwortung ist dabei der Grundstein der kollektiven Verantwortung, die in der Politik wahrgenommen werden sollte. Cyril Wendl, Bern
es begInnt mIt den kIndernWie können wir in einem System Verän-derung bewirken, das echte Veränderung systematisch verhindert? Uns selbst und die Menschen in diesem System verstehen!
Die Götter ehren, tapfer sein, nichts Böses tun – so soll der Rat der Druiden an ihre keltischen Mitmenschen gelautet haben.
Doch wie soll ein Mensch die Götter ehren, wenn seine Eltern und Lehrer das Kind als «Dummkopf», als «Tyrannen», als «Nichtsnutz» usw. ansehen und es entspre-chend erziehen, weg von seinen eigenen Bedürfnissen, weg von seiner Natur, weg von seiner Intuition und seinem Eigen-Sinn und freien Willen?!
Wie soll der Mensch mit gebrochenem und verbogenem Willen tapfer sein, Charak-ter und Rückgrat zeigen, indem er sich für eigene und fremde Bedürfnisse einsetzt, für die Schwachen und für das Leben?
Wie soll er das Gute vom Bösen unter-scheiden können, wenn er unter dem Recht des Stärkeren in Form der Erziehung gelitten hat, wo doch sein geistig-spirituelles Wesen Schutz und Hochachtung gebraucht hätte?
Alexej Sesterheim, Zwinge
Wie erreichen wir Veränderung?
Sibylle Burmeister, Lehrerin und Therapeutin, München
A: Es geht zunächst darum, die Systeme zu erkennen, die uns daran hindern, uns selbst zu sein. Und dann müssen wir die Trennungen, die die Politik beherrschen, wahrnehmen und auflösen.
B: Spiritualität ist für viele leider ein Konzept und nicht verbunden mit den anderen Men-schen. Sobald wir erkennen, dass wir nicht alleine glücklich sein können, kommt auch die politische Verantwortung.
Esther Räz, Innenarchitektin, Bern:
A: Es geht um das Bewusstsein jedes Einzelnen und darum, es persönlich umzusetzen. Wenn sich die Menschen verändern, werden wir auch andere Politiker haben.
B: Wir müssen erkennen, dass die wichtigen Entscheidungen nun mal in der Politik getrof-fen werden und dass es sinnvoll ist, unsere Ideen dort einzubringen. Alle Menschen haben Sehnsucht nach einer friedlichen Welt. Das ist unser Potenzial.
(B) die Spirituellen politischer werden?
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auf dem weg In eIne neue geschIchteBeim Schaulaufen der gros-sen Namen aus Spiritualität, Alternativmedizin und Geld-reform präsentiert sich eine neue gesellschaftliche Bewe-gung in Aufbruchsstimmung.
«Wir leben in zwei Welten. Eine Welt treibt wie ein Luxusdampfer auf See, träge und schwer von der Vergangenheit. Eine andere Welt be-gibt sich ins Unbekannte, wie ein Kind, das zum ersten Mal in den Wald geht.» Deepak Chopra hat das gesagt. Und es besteht kein Zweifel, in welcher der beiden Welten sich der Kongress «Der Neubeginn» von Ende Juli in München positionierte. Veranstalter war Thomas Schmelzer, der mit seinem Portal my-stica.tv seit September 2009 eine Verbindung von Spiritualität, Wissenschaft und Gesell-schaft anstrebt. Im gediegenen Ambiente des Münchner Literaturhauses traf sich am 28. und 29. Juli eine hochrangige Referentenriege.Man konnte getrost vergessen, dass «Mysti-ca» ein bisschen nach «Esotera» klingt. Das Konzept der Veranstalter nahm von Anfang an Politik, Wirtschaft und gesellschaftliches Engagement mit ins Boot. Charles Eisenstein, Vordenker der Occupy-Bewegung, gab die Richtung vor. Der neuen politischen Kraft wird ja gern vorgeworfen, keine konkreten Forderungen zu stellen. «Keine Forderung kann gross genug sein», ist Eisensteins Ant-wort. Der Mathematiker und Philosoph deutet in nur einer Stunde die Weltgeschichte als Prozess der Entfremdung von der Natur und den gegenwärtigen Umbruch als schmerz-hafte Initiation der Menschheit. Wie Kinder im Prozess des Erwachsenwerdens müssen wir lernen, zu geben und uns in etwas Grösseres
einzubringen. Nach dem Zusammenbruch der alten Wirtschaftsordnung wird die Zukunft einer Schenkökonomie gehören, die einer «Logik der Verbundenheit» gehorcht.
spIrItualItät wIrd kOnkretNachdem dies (bewusst) noch allgemein ge-halten war, sorgte Margrit Kennedy, grande Dame der Regionalgeldbewegung, für eine konkretere Analyse. Sie machte deutlich, dass nicht Völker, die «über ihre Verhältnisse gelebt» haben, für die aktuelle Finanzmisere verantwortlich sind. Frankreichs Schulden würden z.B. nur ein Zehntel der heutigen Summe betragen, hätte man entschieden, dass sich der Staat von der Zentralbank zins-frei Geld leihen könne. Den psychologischen Aspekt der Krise beleuchtete hernach der Arzt und Bestsellerautor Ruediger Dahlke. Da der moderne Mensch zunehmend unbequeme Wahrheiten verdränge, werde das Ich kleiner, der Schatten immer grösser, erklärte Dahlke. Burnouts und «Borouts» häufen sich, da Men-schen für eine Sache verbrennen, für die ihr Herz nicht brennt.Einfühlsam moderierte Veranstalter Thomas Schmelzer auch Markus-Lanz-taugliche Gä-ste wie Walter Kohl, Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers. Der gab einen berührenden Einblick in sein Schicksal im Schatten eines übermächtigen Vaters und einer Mutter, die den Freitod gewählt hatte.
eIn kOnZept, das aufgehtSpiritualität nahm am Kongress einen eher unaufdringlichen Platz im Hintergrund ein. Sie wurde von mehreren Referenten als mo-tivierende Kraft oder als Bezugsrahmen für gesellschaftliches Handeln benannt. Abgese-hen von einer etwas seichten Klangschalen-meditation wurde erfreulicherweise auf die atmosphärischen Accessoires von Esoterik-Messen verzichtet. Das Multi-Media-Konzept «Mystica», zu dem ein Webmagazin und Internet TV-Talks mit Thomas Schmelzer gehören, scheint aufzuge-hen. Das Projekt, wie auch Zeitschriften-Neu-gründungen («oya», «Wir»), macht eines deut-lich: Nachdem die erste Esoterik-Welle seit den 80ern aufgrund ihrer zu egozentrischen und verkitschten Orientierung verdientermassen abgeflaut ist, formt sich jetzt eine neue Auf-bruchsbewegung. Sie integriert scheinbar mü-helos Elemente von Komplementärmedizin, Öko-Landwirtschaft, Mystik, Quantenphysik, Gemeinschaftsbildung, Geldalternativen und gesellschaftlichem Engagement. Sie wahrt ein erfreuliches Niveau und bleibt dabei mit der Kraft des Herzens verbunden. Von die-ser Bewegung wollen wir uns im Übergang von der «Old Story» zur «New Story» (Charles Eisenstein) gern mitnehmen lassen. Roland Rottenfußer
www.mystica.tv
Spiritualität & Politik
Zeitpunkt 121 31
Befreiungstheologie: Gott gibt Kraft zum Widerstand «Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim
Arm: Halt du sie dumm, ich halt sie arm». Dieser
Liedtext von Reinhard Mey beschreibt treffend
die Jahrtausende alte Kungelei von Thron und
Altar. In Südamerika war der Verrat der Kirchen
an den kleinen Leuten besonders himmelschrei-
end. Seit den 60er-Jahre formte sich jedoch in
Theologenkreisen eine Gegenbewegung: die
Befreiungstheologie. Gustavo Gutiérrez (von
dem der Begriff «Teologia de la liberación»
stammt), Ernesto Cardenal und Leonardo Boff
stellten sich demonstrativ hinter die christlichen
Basisbewegungen in Lateinamerika. Sie gaben
dem Unbehagen mit Schriften wie «Schrei der
Armen» (Boff) ein theoretisches Fundament.
Die Befreiungstheologen verstanden die Erlö-
sungshoffnung der Bibel nicht nur transzendent,
sondern fanden in ihr eine sozialrevolutionäre
Botschaft. Sie kritisierten die Kirchenhierarchie,
der sie vorwarfen, durch Verdummung der Ar-
men den Ausbeutungsinteressen der Besitzen-
den zu dienen.
«An Gott glauben bedeutet, sich mit den Unterdrückten zu solidarisieren», sagte Jon
Sobrino, Befreiungstheologe aus El Salvador und
Berater des 1980 von einer Todesschwadron er-
mordeten Erzbischofs Oscar Romero. Romero
hatte in seiner letzten Predigt vor seiner Er-
mordung gesagt: «Kein Soldat ist verpflichtet,
einem Befehl zu gehorchen, der wider das Ge-
setz Gottes gerichtet ist.» Der Brasilianer Leo-
nardo Boff wurde 1985 vom damaligen Kardinal
Ratzinger zu einem Jahr des Schweigens ver-
urteilt und später aller kirchlichen Funktionen
enthoben. Ratzinger warf Boff u.a. vor, dass
Offenbarung und Dogma bei ihm nur eine un-
tergeordnete Rolle spielten. Auch habe der Bra-
silianer den historischen Machtmissbrauch der
Kircheninstitution unnötig polemisch beschrie-
ben. In seiner Rechtfertigung gegenüber der
Glaubenskongregation sagte Boff: «Die Kirche
der Reichen für die Armen verneint die Macht
des Volkes, sich zu befreien.»
In den 90er-Jahren führte Leonardo Boff
scharfe Angriffe gegen die Ideologie des Ne-
oliberalismus: «Die Befreiungstheologie ist in
den 60er-Jahren aus dem Schrei der Armen her-
vorgegangen. Dieser Schrei erklingt bis heute.
Und er wurde zum lauten Aufschreien, weil es
nicht mehr nur die Dritte Welt betrifft, sondern
zwei Drittel der Menschheit.» Boff vermerkt mit
bitterer Ironie: «Hält diese Entwicklung an, ver-
lieren die Armen ihr Privileg, ausgebeutet zu
werden. Sie werden einfach ausgeschlossen,
für nichts erklärt, und wie beispielsweise die
brasilianischen Strassenkinder von Todesschwa-
dronen wie lästige Hunde erschossen.» In einem
anderen Interview sagte der streitbare Theologe:
«Ich glaube, dass Veränderung möglich ist, weil
ich keinen Gott annehmen kann, der sich die-
ser Welt gegenüber indifferent verhält, sondern
nur einen, der sich den Armen, den Leidenden
zuwendet. Seine Gnade gibt Kraft zum Wider-
stand, Kraft zur Befreiung.» RR
www.befreiungstheologie.eu
Ashoka, der erste pazifistische Herrscher
Macht verdirbt den Charakter. Besonders verhängnis-voll ist dies bei Politikern, wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat. Es gibt aber auch Ausnahmen. Eine der grössten ist nach Ansicht von Historikern der alt-indische Herrscher Ashoka, (304 bis 232 v. Chr.), der erste bekennende Pazifist auf einem Königsthron. Zu Beginn seiner 36-jährigen Herrschaft lebte er nach dem Buch der Könige, nach dem Nachbarn als Feinde zu betrachten und zu unterwerfen seien. Nach der äusserst blutigen Eroberung der mächtigen Stadt Kalinga – es gibt Zeugnisse von über 150 000 Todesopfern – fiel Ashoka in eine existenzielle Krise und konvertierte zum Buddhismus, den er wohl schon vorher gekannt hatte. Er begann eine umfassende Friedenspolitik mit Neu-verteilung des Landes, gerechten Steuern und baute Schulen und Spitäler, sogar für Tiere. Er propagierte den Vegetarismus und verbreitete seine Friedensbotschaft auf beschrifteten Steinsäulen, die im ganzen Land auf-gestellt wurden. Obwohl Buddhist, förderte Ashoka auch andere Religionen. U.a. liess er für die hinduistischen As-keten Höhlen als Unterschlupf während der Monsunzeit graben. Offenbar zeigte sein Reich bereits gegen Ende seiner Herrschaft Zerfallserscheinungen. Während seine Säulen ein historischer Schatz erster Ordnung darstellen, hinterliessen seine Nachfolger keine Inschriften. Mit dem Ende der Maurya-Dynastie 185 v. Chr. dürfte auch der Buddhismus seinen Status als Staatsreligion in Indien verloren haben. Aber sein Werk wirkt bis heute nach. Gandhi bezeichnete Ashoka als sein grosses Vorbild. Und das Dharma-Rad, das Symbol der buddhistischen Lehre, wurde bei der Staatsgründung Indiens 1947 in die Flagge aufgenommen. CP
Hierbei handelt es sich wo-möglich um das erste in In-dien gefundene Portrait von Ashoka, das eine Inschrift mit seinem Namen trägt. Foto: Lakshmi
In der Mediathek des ZDF fin-det sich eine dreiviertelstündige Video-Dokumentation über die Herrschaft Ashokas: www.zdf.de bzw: http://is.gd/BNT55d
Ashoka ist auch der Name einer 1980 vom Amerikaner Bill Day-ton gegründeten Organisation, die in rund 70 Ländern social entrepreneurs fördert. Be-kanntester Ashoka-Fellow ist der Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus, Gründer der Grameen Bank. www.ashoka.org
Die Kirche der Reichen für die Armen verneint die Macht des Volkes, sich zu befreien.
Leonardo Boff
Kurzmitteilungen
32 Zeitpunkt 121
Spiritualität & Politik
Engagierter Sufismus: Helfen und GottgedenkenSufis, die Mystiker des Islam, sind meist bodenständige Menschen, keine Weltflucht-helfer. Sie üben einen «bürgerlichen» Beruf aus und kümmern sich schon des Glaubens wegen um ihre Mitmenschen. Von Moham-med sind viele Anweisungen überliefert, die zum sozialen Engagement auffordern. «Gib dem Hungrigen zu essen, suche jene auf, die krank sind, befreie die Gefangenen», heisst es in einem Hadith (ausserkorani-sches Prophetenwort). Der Münchner Sufi-Scheich André Ahmed al Habib sagt denn auch kategorisch: «Ein Muslim, der nur an Gott denkt und dabei seine Mitmenschen vernachlässigt, ist ein schlechter Muslim. Durch Gastfreundschaft gegenüber Frem-den sowie wohltätige Werke wie Speisung der Armen erkennt man die der ganzen Schöpfung innewohnende Harmonie un-mittelbar an.» In vielen Orden gehört das Verrichten einfacher Arbeiten zur Ausbil-dung eines Sufi.
In der Geschichte gab es viele Beispiele für segenreiches Wirken der Mystiker. So führte der Sufi-Scheich Islam Bahauddin nach der Zeit des Mongolensturms (13. Jh)
in Zentralasien ein neues Bewässerungssy-stem ein. In Israel und Palästina bauten Sufis Kindertagesstätten und versorgten Flücht-lingskinder. Während des Bosnienkriegs betreuten westliche Psychotherapeutinnen, die in Derwischorden initiiert waren, ver-gewaltigte Frauen. Bis heute kämpfen Sufis in Afrika gegen den Vormarsch der Wü-ste und arbeiten an Bewässerungsanlagen mit. Dabei verbinden sie ihre Arbeit gern mit Dhikr, der Rezitation heiliger Sätze des Koran. Vielleicht besteht der Unterschied zwischen einem Sufi, der sich engagiert und einem «normalen» Arbeiter vor allem darin, wie gearbeitet wird. Für den Sufi geschieht alles «innerhalb Gottes» und ist mit ständigem Gottgedenken (Dhikr Al-lah) verknüpft. Politische Macht übrigens hat für Sufis nur relative Bedeutung und ist dem Wort Gottes untergeordnet. So sagte der Kalif Abu Bhakr, der Schwiegervater Mohammeds: «Gehorcht mir, wenn ich den Gesetzen Gottes gehorche. Gehorche ich aber den Gesetzen Gottes nicht, so braucht auch ihr mir nicht mehr gehorchen.» RR
Quelle: André Ahmed al Habib
Die Violetten: Politik für höheres Bewusstsein
«Sozialhilfe abschaffen – der Reichtum liegt in dir». So warb 2002 in einer meiner Satiren eine erfundene spirituelle Partei namens «Die Violetten». Wenig spä-ter bekam ich per Brief einen heftigen Rüffel – von der Vorsitzenden einer realen Partei namens «Die Violetten». Ich entschuldigte mich zerknirscht. Ich hatte nicht gewusst, dass es die wirklich gab. Warum ich den Namen so gut erraten hatte? Er lag nahe, ist violett doch die Farbe des Kronenchakras, durch das kosmische Schwingungen in unseren Scheitel ein-dringen. Seither ist ein Jahrzehnt vergangen, und wir wissen, wie spirituell begründete Politik beim Wahlvolk ankommt: gar nicht. Bei der Bundestagswahl 2009 kamen die Violetten auf 0,1 Prozent der Stimmen – 32 000 Wähler. Zum Teil war der Misserfolg auch auf interne Querelen zurückzuführen. Schon 2003 erfolgte eine Spaltung in «Die Violetten» und die Partei «Spiri-tuelles Bewusstsein» unter dem Ex-Grünen Friedhelm Wegener. Seit 2005 hatte die Partei mit Gudula Blau eine wirkungsvolle Protagonistin. Die Schauspielerin und Exfrau von Karlheinz Böhm trat jedoch 2009 nach Streitigkeiten zurück. Das weitere Schicksal der Partei ist ungewiss. Eigentlich schade.
Das Parteiprogramm war und ist viel verspre-chend und enthält vieles, was «Kulturell Kreative» umtreibt: Umlaufgesichertes Geld (z.B. Regionalwäh-rungen), Volksabstimmungen auf Bundesebene, ein Bedingungsloses Grundeinkommen, alternative Ener-gien, biologische Landwirtschaft, die Gleichstellung von Komplementärmedizin, mehr Tierschutz, Verbot von Bodenspekulationen, eine Reform des Strafrechts und Pazifismus. Ist ein besseres Parteiprogramm denkbar? Zumindest ein präziseres. Schwierig wird es, wo der philosophische Überbau definiert wird. Die Violetten behaupten von sich, «dem Wohl allen Seins verpflichtet zu sein» und «das Göttliche in allem was ist zu sehen». Das ist löblich, aber schwer in Aktion umzusetzen. Unvermeidlich zieht das Konzept Leicht-gläubige und esoterische Überflieger an. Es kommt zu Konflikten darüber, welche politische Forderung spirituell korrekt ist. So steht im Parteiprogramm der Satz: «Wir verfügen über einen freien Willen und tragen die alleinige Verantwortung für das, was wir ins Leben rufen.» Dies begünstigt eine neoliberale Eigenverantwortungsethik und Deregulierungspolitik. Andere Programmpunkte kann man ohne weiteres als «rot» oder «grün» bezeichnen. Trotz der ideologischen Verwirrung wäre dem Projekt eine neue Chance zu wünschen. RRwww.die-violetten.de
Die Tiefenökologie von Joanna Macy«Ich glaube, dass von all den Gefahren die uns drohen – sei es der Militarismus, die Umweltverschmutzung, die Überbevölkerung oder das Artensterben – keine Gefahr so gross ist, wie unsere Verdrängung. Denn dann passiert all das unkontrolliert.» Joanna Macy, die grosse alte Dame der Tiefenökologie, hält nichts von Wegschauen und Coolness angesichts der Naturzerstörung. Entspre-chend emotional sind die Seminare der heute 83-jährigen – genannt «Work that reconnects». Da halten Teilneh-mer flammende Reden als Stellvertreter der Tiere, der Pflanzen und der Nachgeborenen. Die Besucher werden animiert, ihre Verzweiflung über den Zustand der Erde herauszuweinen. Macy erklärt: «Ich bin in dieser Arbeit zu der Erkenntnis gekommen, dass unser Schmerz um den Zustand der Welt und unsere Liebe für die Welt untrennbar miteinander verbunden sind.» Weinen ist für sie nicht folgenlose Rührseligkeit. Es macht uns unsere Liebe zu dem, was verloren ging, bewusst und führt zur politischen Aktion. Joanna Macy gehört neben Arne Naess zu den Grün-dereltern einer Bewegung, die Anfang der 70er als «Deep Ecology» entstand. Buddhismus und Systemtheorie beeinflussten die Doktorin der Religionswissenschaft
besonders. Tiefenökologie ist Umweltschutz, der sich einer göttlichen Tiefendimension bewusst ist. Die Natur ist für sie mehr als ausbeutbarer Rohstoff oder Kulisse für menschliches Handeln. Alles ist miteinander und mit uns verwoben zum Netz des Lebens. Wen verletzen wir also, wenn wir einen Baum abholzen oder den Orang Utans auf Borneo ihren Lebensraum nehmen? Uns selbst! Denn der, der verletzt und der, der verletzt wird, sind nicht voneinander getrennt.
Spirituell zu sein, das bedeutet für Joanna Macy mehr als Erleuchtungssuche in Seminarräumen. «Statt einer nur nach innen gerichteten Versenkung entsteht damit eine ‹sozialen Mystik›, in der Meditation und soziale oder ökologische Aktion eins werden.» Welt-fremdheit ist insofern das Gegenteil dessen, was eine Tiefenökologin antreibt. «Der Weg geistiger Suche wird hier nicht länger als eine Flucht aus der schlechten Welt in irgendeinen paradiesischen Himmel angesehen. Vielmehr wird hier die Welt selbst zum Kloster, die Welt selbst als Arena einer geistigen Transformation verstanden.» RR
Quelle und weitere Infos: www.tiefenoekologie.de
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Dag Hammarskjöld: Mystiker und UNO-GeneralsekretärAuf seinem Grabstein steht «Icke jag utan, gud i mig» – nicht ich, Gott in mir. So ein Zitat passt zu einem mittelalterlichen Mystiker oder spirituellen Meister, für einen Politiker ist es ungewöhnlich. Der Schwede Dag Hammarskjöld war der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen und erhielt posthum den Friedens-nobelpreis. Der Spruch auf seinem Grab ist typisch für seine Gottergebenheit – und ganz untypisch für einen Berufsstand, der sonst von Egomanen bevölkert wird. In seinem viel beachteten spirituellen Tagebuch «Zeichen am Weg» beschreibt Hammarskjöld sein Ringen um Einsicht und gerechtes Handeln in intimer Zwiesprache mit Gott. Die Aphorismen und Betrachtungen zeugen von einer aussergewöhnlich «zarten» Seelenkonstituti-on und künstlerischem Talent. In einem Gedicht heisst es: «Freue dich, wenn du fühlst, dass, was du tatest, notwendig war, doch erkenne, dass du auch so nur ein Werkzeug warst für ihn, der durch dich ein Stückchen zu dem Ganzen fügte, das er gestaltet zu seinem Ziel.»
Ein Mystiker und Dichter in einem der einfluss-reichsten Ämter der Welt – wie konnte es dazu kommen? Der Jurist und Philosoph begann seine Karriere als Richter, Staatssekretär und schwedischer Finanzminister. 1953 wurde er zum UN-Generalsekre-
tär gewählt. Trotz seines Images als «Softie» zeigte Hammarskjöld erstaunliches Durchsetzungsvermögen. Er setzte es jedoch für den Frieden ein. Der Schwede überredete Peking, die amerikanischen Kriegsgefan-genen des Koreakriegs freizulassen und entschärfte den gefährlichen Konflikt um den Suez-Kanal durch Schaffung einer internationalen Friedenstruppe. Sein Ende war tragisch. 1961 starb Dag Hammarsköld beim Absturz seines UN-Flugzeugs über dem Kongo. Er war auf dem Weg zu Ministerpräsident Moïse Tschombé, um im damals schwelenden Kongo-Konflikt zu vermitteln. Gerüchte, der UN-Generalsekretär sei durch ein Mord-
komplott der britischen und amerikanischen Geheim-dienste gestorben, halten sich bis heute. Schon früh hatte Hammarskjöld in seinem Tagebuch die Einsamkeit, den Tod und das Opfer zum Thema gemacht. Hat sich der «Gottesmann» im Haifischbecken der Politik einem höheren Zweck geopfert? Jedenfalls ist sein Leben eines der seltenen Zeugnisse dafür, dass möglich ist, politisch wirkungsvoll und zugleich tief spirituell zu sein. RR
Dag Hammarskjöld: Zeichen am Weg – Das spirituelle Tage-buch des UN-Generalsekretärs. Verlag Urachhaus 2012, 225 S., Fr. 28,40 / Euro 19,90 • www.hammarskjoeld.org
Kurzmitteilungen
Reformen und vor allem ReifungDie Erneuerung unserer Gesellschaft wird immer drin-gender. Doch was brauchen wir dazu? Nach Auffassung der fünf Autoren des Sammelbandes «Wie wir wirklich leben wollen» braucht es für eine friedliche Welt nicht nur neue Wege der Kooperation und Demokratiere-formen, sondern vor allem menschliche Reifung und eine Förderung der Spiritualität. Sie waren alle Mitglieder des spirituell inspirierten, aber etwas kurzlebigen euro-päischen Parteiprojekts «Dynamik 5» und suchten in verschiedenen Arbeitsgruppen nach Lösungen für die
grossen gesellschaftlichen Probleme. Die Textsamm-lung ist das Resultat dieser umfangreichen Arbeit, die auch in andere Bewegungen eingeflossen sind, z.B. die «Integrale Politik».
Holon-Netzwerk (Hrsg.): Wie wir wirklich leben wollen – Aussichten auf eine ganzheitliche Gesellschaft. 2012, BoD. 292 S. Fr. 27.50/€ 18.90. ISBN 978-3-84481-282-4.Mit Beiträgen von Gandalf Lipinski, Gil Ducommun, Werner Binder, Ernst-Günter Hilgenstock, Joachim Pfeffinger, Joachim Sturzenegger, Michael Pfeiffer und Remy Holenstein.
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In Rebellion vereintWas ist ein Freund? Es kann sehr wenig damit gemeint sein oder sehr viel. Wenig, wenn etwa Facebook-Friends gesammelt werden wie Briefmarken. Viel, wenn jemand sein Leben lang den Weg eines Menschen begleitet, den er einmal als wertvoll erkannt hat. Die Personen, die Konstantin Wecker in diesem Buch seine «rebellischen Freunde» nennt, sind überwiegend Vorbilder und Weggefährten. Manche, wie Kurt Tucholsky oder Sophie Scholl, kann er nicht gekannt haben. Aber auch mit Jean Ziegler oder Arundhati Roy dürfte er nicht wöchentlich beim Bier zusammen sitzen. Mit anderen wie dem Kollegen Hannes Wader, dem Physiker Hans-Peter Dürr oder dem Theologen Eugen Drewermann hatte er beiderseits befruchtende Begegnungen. Es sind Menschen, die ihm das Potenzial der menschlichen Seele vor Augen geführt haben. Dabei hat sich Wecker selbst immer als Rebellen empfunden, denn «wer sich fügt, der fängt bereits ganz insgeheim zu lügen an.» Rebellion wird von ihm in einem umfassenden Sinn verstanden. Es ist die Grundbedingung dafür, dass der Geist und die Seele atmen können. «Ein selbstbestimmtes Leben ist ohne Rebellion nicht möglich.» Neben Kurzporträts aus der Feder des Lie-dermachers enthält das Buch jeweils auch Originaltexte der Belobigten. Ein Schnupperkurs in «Re-bellenkunde», der den Weg zu vertiefter Beschäftigung mit diesen Freunden der Wahrheit öffnet. RRKonstantin Wecker: Meine rebellischen Freunde – Ein persönliches Lesebuch. Verlag Langen Müller 2012, 224 S., Fr. 29.90/ Euro 19,90
Eine Anleitung zum Mächtig-WerdenVeränderung braucht mehr als guten Willen. Sich mit Kampagnen und Initiativen in der Gesellschaft Gehör verschaffen kann nur, wer sich zu organisieren weiss. Genau da setzt der Ratgeber «Die Organizer-Spirale» der Stiftung Mitarbeit an. In der «Anleitung zum Mäch-tig-Werden» beschreiben fünf Autoren mit langjähriger Erfahrung in Aktionsgruppen und Bürgerbewegungen, wie Gruppen die Herausforderungen der politischen Ei-geninitiative in sieben Phasen meistern können. Sie ver-anschaulichen, dass das Selbstverständnis der Gruppe und eine gründliche Analyse der Ausgangslage ebenso viel Aufmerksamkeit brauchen, wie die Formulierung von Zielen und Strategien. Bei öffentlichen Aktionen ist zudem nicht nur die Planung wichtig, sondern auch die Auswertung: Haben wir die richtigen Massnahmen ergriffen oder brauchen wir eine neue Strategie?
Wer die Gesellschaft längerfristig mitgestalten will, muss in Bewegung bleiben. Das soll auch das Bild der Spirale verdeutlichen, die bei jeder Windung etwas höher an-setzt. Bei jeder Aktion lernt die Gruppe hinzu. Natürlich darf es auch mal «menscheln» unter den Mitwirkenden. So betonen die Autoren, dass Gegensätze und Unter-schiede die Wahrnehmungsmöglichkeiten der Gruppe steigern und für die politische Arbeit durchaus förderlich sind. Ihr Ratgeber soll Bürger und Bürgerinnen ermu-tigen, gemeinsam Verantwortung für gesellschaftliche Prozesse zu übernehmen. Denn das ist es, was eine le-bendige Demokratie ausmacht: sich einmischen. MK
Ulla Eberhard et al.: Die Organizer-Spirale – eine Anleitung zum Mächtig-Werden für Kampagnen, Initiativen, Projekte. Stiftung Mitarbeit, 2011. 95
S. € 6,00
Spiritualität & Politik
Es ist ganz «simpol»: Niemand will der Erste sein – aber es gibt eine LösungNachhaltigkeit kostet. Wer sie als Staat zuerst umsetzt, gerät im globalen Wettbe-werb ins Hintertreffen. Das ist der Nachteil der Pioniere. Deshalb geschieht beim Kli-maschutz so wenig, und deshalb scheitert die Finanztransaktionssteuer an nationalen Egoismen.
Wenn Lösungen für globale Probleme Erfolg haben sollen, müssen sie in einer ausreichenden Zahl von Ländern gleichzei-tig umgesetzt werden. Internationale Or-ganisationen wie die UNO oder der Int. Währungsfonds streben dies zwar auch an, aber sie werden weitgehend von den Ein-zelinteressen der Grossmächte dominiert und sind deshalb wenig erfolgreich.
Dies ist der Ausgangspunkt von Simpol, einer interessanten Initiative aus England.
Sie versucht, die Bedingungen für gleich-zeitige, grundlegende Reformen zu schaf-fen, indem sie Parlamentarier aus den ver-schiedensten Parteien in vielen Ländern verpflichtet, sie umzusetzen, sobald genü-gend Länder dabei sind. Dabei geht es um Massnahmen und Richtlinien für globale soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Die Selbstverpflichtung der Parlamentarier ist gleichzeitig ein Vorteil im Wahlkampf. Denn die Simpol-Unterstützer erklären ih-rerseits, Kandidaten zu wählen, die eine simultanpolitische Regulierung unterstüt-zen, sobald diese zustande kommt. Von 200 Kandidaten für das britische Unterhaus, die
sie unterzeichnet hatten, wurden immerhin 24 gewählt.
Ein weiterer Vorteil von Simpols Ansatz der gleichzeitigen Umsetzung globaler Po-litik im nationalen Rahmen ist die Möglich-keit, verschiedene Themen zu verbinden und dadurch einen Ausgleich der Inte-ressen zu schaffen. Länder, die beim Kli-maschutz verlieren, könnten zum Beispiel über die Transaktionssteuer entschädigt werden, um so die globalen Lasten gerecht zu verteilen.
Welche Massnahmen simultan umgesetzt
werden sollen, das bestimmt ein weltweiter demokratischer Prozess unter den Bürge-rinnen und Bürgern, die Simpol unterstüt-zen. Weil dieser Prozess noch in den An-fängen steckt und das Massnahmenpaket noch nicht steht, können die Politiker die Selbstverpflichtung widerrufen.
Nach 14 Jahren Aufbauarbeit mit dieser grossen Idee steht John Bunzl nun vor ei-ner Art Durchbruch. In Deutschland besteht bereits eine nationale Organisation, in Ös-terreich ist eine Zweigstelle im Aufbau und in der Schweiz gibt es immerhin ein paar Interessenten. Auch wenn es am Schluss dann schnell geht – eben simultan –, die Aufbauarbeit erfordert Geduld. CP
Kontakt: International Simultaneous Policy Organisation (ISPO), P.O. Box 26547, UK-London SE3 7YT, Tel: +44 20 8639 0121, www.simpol.org
Der Engländer John Bunzl hat eine einfache Idee, wie man Staaten weltweit dazu bewegen kann, gleichzeitig eine Politik der Nachhaltigkeit einzuführen.
entscheiden & arbeiten
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lIcht aus!Im September ist endgültig Schluss mit den Glühbirnen – ein verhängnisvoller Fehlentscheid. Ihr Verbot beruht auf erschreckend dünnen Daten und wurde Europa regelrecht aufgezwungen. Der Spareffekt der Energiesparlampen ist minimal, die Gewinne der Industrie umso grösser – ein Schulbeispiel, wie Ver-braucher von Politik, Industrie und Umweltverbänden hinters Licht geführt wurden. Der letzte Widerstand: jetzt die noch vorhandenen Bestände aufkaufen. von Roland Rottenfußer
entscheiden & arbeiten
Zeitpunkt 121 37
das war keine Bitte!», sagt der Captain mit bedrohlichem Unterton. Der Fähnrich weiss, was das bedeutet. Sein Vorgesetz-ter hat einen Befehl ausgesprochen, und da ist Widerstand zwecklos. Solche Sze-
nen sind allen Fans der Star Trek-Serien bekannt. Auch beim Verbot der konventionellen Glühlampen liessen es die europäischen Behörden nicht bei Bitten bewen-den. 2009 wurden die 100-Watt-Lampen verboten. 2011 folgten 60-Watt-Glühbirnen. Bis September 2012 sol-len alle alten Modelle aus den Regalen verschwunden und durch Kompaktleuchtstofflampen ersetzt sein. Die Abneigung der Rechtgläubigen in Sachen Licht nahm teilweise rabiate Züge an. So liess Greenpeace 2007 in Berlin 10.000 Glühbirnen alten Typs von einer Walze überfahren. Aus Sicht der Befürworter von «Energiespar-lampen» ist dieses Vorgehen konsequent: Zwingt man die Bürger nicht zu ihrem Glück, treffen sie womöglich noch eigene Entscheidungen. Und das darf nicht sein, wo Politiker aufgrund von überlegener Erkenntnis in einem wichtigen Fall entschieden haben.
Aber ist die Glühbirnenfrage wirklich so wich-tig? Und wie wasserdicht sind die Erkenntnisse der Behörden? Zunächst zur ersten Frage. An die fahlen Lampen mit den gebogenen Röhren wurden in den vergangenen Jahren geradezu Heilserwartungen ge-knüpft. Das Einschrauben einer solchen Leuchte in der heimischen Küche kam einem Ablass für reuige Klimasünder gleich. Hans Arpke, Energieexperte
des Landkreises Weilheim/Schongau (Südbayern) ist skeptisch: «Auch die Last des Energiesparens sowie die moralische Schuld am Klimawandel wird über-wiegend dem ‚kleinen’ Endverbraucher aufgebürdet, während man im Grossen gigantische Verschwen-dung duldet. Es wird so getan, als sei mit dem Verbot
der konventionellen Glühbirne Wesentliches für den Klimaschutz geleistet. Die Wahrheit ist: Nur rund ein Zehntel des CO²-Ausstosses entfällt überhaupt auf Privathaushalte; davon wird nur ca. ein Zwanzigstel durch Beleuchtung verursacht. Die Bedeutung der Wohnungsbeleuchtung ist für das Gesamtbild ver-schwindend gering.»
Angesichts solcher Einwände verwundert es, dass es überhaupt zu dem Verbot kommen konnte. Noch 2008 lehnte das Schweizer Parlament eine Initiative von Jacques Neirynck (CVP) ab, die ein rasches Ende der Glühlampe forderte. Schon zwei Jahre später wurde ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf des Bun-desrats mit grosser Mehrheit angenommen. Kritische Stimmen gab es kaum mehr. Das Verbot basiert auf einer Energieverordnung von 2009, die praktisch den energiepolitischen Anschluss der Schweiz an die EU besiegelte. Wie aber kam Europa dazu, in der Ener-giesparlampe ihr Heil zu sehen?
Thomas Worm und Claudia Karstedt erzählen in ihrem Buch «Lügendes Licht – die dunklen Seiten der Energiesparlampe» (Hirzel-Verlag) die ganze Ge-schichte. Die EU-Verordnung 244/2009 sei von der EU-Kommission am Parlament vorbei im Handstreich beschlossen worden. Im Februar 2009 traf sich in Brüssel ein Umweltausschuss aus 58 Mitgliedern. Wie die Autoren zeigen, beruhte deren Begeiste-rung für Energiesparlampe jedoch auf sehr dünnem Datenmaterial – gerade mal fünf Exemplare wurden untersucht. Grundlage waren Gutachten der Umwelt-
verbände WWF, Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz und Deutsche Umwelthilfe. Der Aus-schuss gab daraufhin idealisierte Prognosen über den Nutzen der neuen Lampen ab. Von 80 Prozent En-ergiesparpotenzial war die Rede. Andererseits fielen wichtige Einwände unter den Tisch. Nach Berech-
Der vierjährige Max aus Linden (Bayern) hatte das Quecksilber einer zerbrochenen Energiesparlampe eine Nacht lang eingeatmet und verlor alle Haare, litt unter Depressionen und zitterte schubweise am ganzen Körper.
Hintergurund: das Filmplakat
entscheiden & arbeiten
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nungen der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) sind Sparlampen in der Herstellung extrem energieaufwändig.
Die magische Zahl «80 Prozent» ist keineswegs durch belastbare Studien erhärtet. Dies meinen jedenfalls Worm und Karlstedt. U.a. sei bei der Bilanz der «Wärmeersatzeffekt» der konventionellen Lampen nicht berücksichtigt worden. Hans Arpke beschreibt diesen Effekt so: «Glühbirnen alten Typs geben Wär-me ab. Wenn sie durch temperaturneutrale Energie-sparlampen ersetzt werden, könnte der Verbraucher dies im Winter kompensieren, indem er die Heizung weiter aufdreht.» Inzwischen beziffern mehrere Ex-perten unabhängig voneinander den Einspareffekt mit 20 bis 30 Prozent. Waren die «80 Prozent» also eine bewusste oder fahrlässige Übertreibung, um das Verbot durchzuboxen? Nicht berücksichtigt worden sei auch ein zu erwartender Rebound-Effekt. Das
heisst: Wenn Verbrau-cher glauben, dass sie die perfekte Umwelt-Lampe gekauft haben, konsu-mieren sie dafür guten Gewissens mehr Strom.
Schwerwiegender als der Vorwurf, Energiesparlam-pen nützten nicht viel, ist allerdings die Erkenntnis ihrer Schädlichkeit. Viele Argumente hierzu hat der Österreicher Christoph Mayr in seinem Dokumen-tarfilm «Bulb Fiction» zusammengetragen. («Bulb» – Glühbirne, «Pulp Fiction» – Spielfilm von Quentin Tarantino.) Der erste Nachteil ist psychologischer Natur. Kaum ein befragter Bürger mag Energiespar-lampen. Ihr Licht wird als kalt und ungemütlich emp-funden. Man könnte die Volksstimmung natürlich als geschmäcklerisch und irrelevant abtun: Jedoch wissen Lichtdesigner und Therapeuten, wie wichtig die Beleuchtung für Seele und Leistungsfähigkeit ist. Es ist keine Bagatelle, wenn unzählige Zimmer für
das Gefühl der Menschen, die darin leben, ein Stück unwirtlicher werden.
Die von Thomas A. Edison entwickelte Urform der Glühbirne basiert auf einem glühenden Wolf-ramfaden. Licht und Wärme sind hier eng miteinander verbunden – wie bei einer natürlichen Lichtquelle, z.B. dem Feuer. Den modernen Leuchtstofflampen fehlt jedoch die Infrarotstrahlung. Professor Richard Funk von der Uni Dresden wies in Experimenten 2009 nach, dass «blaues» Licht, dem das rote Spektrum entzogen wurde, Sehnerven zerstören kann. Zudem stellte man-cher umweltbewusste Käufer von Energiesparlampen fest, dass vor allem an der Helligkeit gespart wurde – trotz hoher Preise. Mit längerer Laufzeit lässt die Leuchtkraft der neuen Lampen stark nach. In diesem Dämmerlicht zu lesen, strengt die Augen an.
Nicht «nur» psychologisch wirken die elektroma-gnetischen Felder, die von den Energiesparlampen erzeugt werden. Eine Studie, die von der Schweizer Glühlampen-Rebellin und SVP-Nationalrätin Yvette Estermann in Auftrag gegeben wurde, führte zu fol-gender Empfehlung: «Halten Sie einen Abstand von 30 Zentimetern zu Energiesparlampen ein, um die Belastung durch UV-Strahlung und elektrische Felder klein zu halten.» Ein solcher Abstand ist gerade bei Leselampen auf Dauer schwer einzuhalten. Und es fühlt sich einfach unbehaglich an, im Wohnbereich eine «feindliche» Strahlungsquelle zu haben. Der Bau-biologe Wolfgang Maes kam bei einer Untersuchung im Auftrag von Ökotest zu erschreckenden Ergebnis-sen: Die Elektrosmog-Werte bei Kompaktleuchtstoff-lampen sind bis zu 15mal höher als es die TCO-Norm für Bildschirme erlaubt.
Besonders ins Gewicht fällt der Quecksilberge-halt der Energiesparlampen. Das Metall ist extrem umweltschädlich und giftig. Eine Gefahr kann bei drei Gelegenheiten auftreten: bei der Gewinnung des Metalls, bei der Entsorgung und im Fall, dass eine Lampe kaputt geht. Wegen des Booms der En-ergiesparlampen in Europa wurden mehrere stillge-legte Quecksilberminen in China wieder in Betrieb genommen wurden – mit verheerenden Folgen für die Umwelt.
Was mit Gesundheitsgefährdung gemeint ist, zeigt «Bulb Fiction» an einem drastischen Beispiel: Der vierjährige Max aus Linden (Bayern) hatte das Quecksilber einer zerbrochenen Energiesparlampe eine Nacht lang eingeatmet. Als Folge verlor er nach und nach alle Haare, Wimpern und Augenbrauen, litt unter Depressionen und zitterte schubweise am ganzen Körper. Gary Zörner vom Umweltgift-Institut LAFU erklärt im Film, dass Quecksilber Nervenzel-len zerstöre und «dümmer» mache. Laut VITO,
Energiesparlampen sind Sondermüll, aber 80 Prozent ihres hochgiftigen Quecksilbers gelangt im Laufe der Entsorgung in die Umwelt. Der WWF schraubte im Laufe einer PR-Aktion Hunderte von Energiesparlampen ohne Warnaufschrift in private Haushalte.
Zwingt man die Bürger nicht zu ihrem Glück, treffen sie womöglich noch eigene Entscheidungen. Und das darf nicht sein.
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LED-Lampen: Erleuchtung garantiert!
Bei uns finden Sie Erleuchtung. Wenigstens, was LED anbelangt...Den Glühbirnen wurde der Stecker gezogen und Ener-giesparlampen sind für viele eher ein Abtörner – wegen der hohen Elektrosmog-Werte und des Quecksilbers, das beim Bruch der Lampe entweichen kann. Bleiben noch Halogen- und LED-Lampen. Da LED-Lampen rund sechsmal weniger Strom fressen als Halogen-Lampen, möchten wir die LED-Technik genauer ausleuchten.
Eine Leuchte in Sachen Energie sparen.Zuerst die erhellenden Nachrichten: LED-Lampen brau-chen generell sehr wenig Strom (bis zu 90% gegenüber Glühbirnen), sind langlebig (bis zu 25 Jahre) und benöti-gen keine Startzeit. Sie haben aber noch weitere Vorteile: Sie erzeugen warmes Licht, sind vielfältig einsetzbar und geben praktisch keine Wärme ab. Hinzu kommt, dass LED-Lampen unempfindlich gegenüber Erschütterungen sind und viele Modelle stufenlos dimmbar sind.
Sogar Insekten würden LED kaufen.Während immer mehr Menschen von der LED-Technik angezogen werden, lässt sich bei Insekten genau das Gegenteil beobachten: Studien haben gezeigt, dass LED-Lampen massiv weniger Insekten in ihren Bann ziehen. Gerade bei Aussenbeleuchtungen kann so die Insek-tenplage bzw. das Insektensterben drastisch reduziert werden. LED geht also nicht nur sparsam um mit Strom, sondern auch sorgsam mit Lebensenergien.
Und die Schattenseiten?Wie jede Lampe, hat auch LED ein paar Minuspunkte – wenn auch vergleichsweise geringe: Als Schreibtisch- oder Nachttischlampen sind einige LED-Lampen weniger geeignet, da ihre abgegebene Strahlung erhöht ist. Sie fällt jedoch immer noch deutlich geringer aus als bei klassischen Energiesparlampen. Ausserdem wird für die LED-Herstellung „seltene Erde“ verwendet. In ab-sehbarer Zukunft werden die seltenen Erden aus den LED-Lampen wiederverwendet werden. LED-Lampen brennen bis zu 25 Jahre. In dieser Zeit sollten sich auch bürokratische Hürden für eine Recycling-Lösung über-winden lassen.
Wir leuchten Ihnen den Weg.Für alle, die eine LED-Erleuchtung erlebt haben und sich auf den Weg zur Quelle machen wollen: Wir be-raten Sie kompetent und bieten ein sehr breites LED-Sortiment von Birnen über Lampen bis hin zu ganzen Beleuchtungssystemen für drinnen und draussen. Und als grösster Lampenshop der Schweiz dürfte auch unsere paradiesische Auswahl mit über 2000 Lampen für heitere Freude sorgen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch – auf www.buehrerlicht.ch oder im Lampenshop: Bührer Licht AG Jakobstal (Wängi) 9548 Matzingen
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einem belgischen Institut, das im Auftrag der EU Kompaktleuchtstofflampen untersuchte, gelangen 80 Prozent des Quecksilbers im Lauf der Entsorgung in die Umwelt. Das wären jährlich 146 Tonnen, verteilt auf ganz Europa.
Warum also die Fixierung der EU-Behörden auf die zweifelhaften Leuchtkörper? Mayr hat eine nahe liegende Erklärung: «Die Industrie braucht Um-sätze. NGOs müssen ihren Spendern beweisen, dass sie ihre Anliegen durchsetzen können. Die meisten Politiker schauen, woher der Wind weht. Für sie gibt es sonst selten die Gelegenheit, sich als Klimaschüt-zer feiern zu lassen, ohne sich mit der Industrie oder sonst einer mächtigen Lobby anzulegen.»
Mit Energiesparlampen, die in der Herstellung zwar mindestens doppelt so teuer sind wie Glühlampen, lässt sich dreizehnmal mehr verdienen. Zudem ist die Zahl der Hersteller erheblich gesunken. Das wieder attraktiv gewordene Geschäft mit der Beleuchtung teilen sich im wesentlichen zwei Patentinhaber.
Das Kunstprojekt «Heatball» will die Verdunkelungs-versuche der Behörden nicht länger hinnehmen. Die Aktivisten vertreiben Glühbirnen als Wärmelampen. «Heatball ist Widerstand gegen Verordnungen, die jenseits aller demokratischen und parlamentarischen Abläufe in Kraft treten und Bürger entmündigen. Heatball ist auch ein Widerstand gegen die Unver-hältnismässigkeit von Massnahmen zum Schutze un-serer Umwelt. Wie kann man nur ernsthaft glauben, dass wir durch den Einsatz von Energiesparlampen
das Weltklima retten und gleichzeitig zulassen, dass die Regenwälder über Jahrzehnte vergeblich auf ihren Schutz warten.»
Inzwischen regt sich auch parlamentarischer Widerstand. In Deutschland wird er überraschen-derweise von einem CDU-Politiker angeführt. Her-bert Reul, Vorsitzender des Industrieausschusses im EU-Parlament, verspricht: «Ich werde alles tun, um das Glühlampenverbot in der EU doch noch zu kip-pen». Das Verbot sei «mittlerweile zu einer Art Symbol geworden für dumme Entscheidungsfindung in Brüs-sel», sagt Reul. Die Chancen, das Verbot in Europa wieder rückgängig zu machen, erscheinen allerdings gering. Dabei gibt es dafür schon einen Präzedenz-fall. In Neuseeland sind seit Ende 2008 Glühbirnen alten Typs wieder zugelassen – nur knapp zwei Jahre nach dem Verbot.
Zu den Kritikern gehört auch die Deutsche Umwelt-hilfe DUH. Der Verband hat jetzt drei Hersteller von Energiesparlampen wegen zu hohem Quecksilberge-halt abgemahnt. Die gesetzlichen Grenzwerte wur-den überschritten. «Nach wie vor versuchen manche Hersteller den schnellen Euro mit Energiesparlampen zu machen, die einen viel zu hohen Quecksilberge-halt haben», kritisiert Jürgen Resch, Bundesgeschäfts-führer der DUH.
Ein anderer Einwand gegen das Verbotsverfahren betrifft die Zukunft unserer Demokratie. Sind Ener-giesparlampen Symbole einer kommenden «Öko-Dik-tatur», wie sie der Thriller Autor Dirk C. Fleck in sei-nem gleichnamigen Buch prophezeit hat? Auf jeden Fall müssen wir sorgfältig zwischen verschiedenen Werten abwägen. Was ökologisch sinnvoll ist, kann zugleich ein Schritt hin zu mehr EU-Zentralismus, Obrigkeitsstaat und Freiheitsabbau darstellen. Es ist schwer, sich in diesem Spannungsfeld verantwor-tungsvoll zu positionieren. Sicher ist jedoch: Ange-sichts des mangelnden Nutzens und der erwiesenen Schädlichkeit der Energiesparlampen sollte man die Güterabwägung wieder dem einzelnen Verbraucher überlassen. Befehl und Zwang sind vielleicht beim Militär angemessen. In einer freien Gesellschaft ha-ben sie nichts zu suchen.
Kämpfen mit Kunst und Ironie gegen die Energiesparlampen: Die Ingenieure Rudolf Hannot und Siegfried Rotthäuser von der Elektrischen
Widerstandsgenossenschaft. Ihr «Heatball» ist keine Lampe, aber passt in jede Lampenfassung.
Die Elektrosmog-Werte bei Kompaktleuchtstofflampen sind bis zu 15mal höher als es die Norm für Bildschirme erlaubt.
Thomas Worm, Claudia Karstedt: Lügendes Licht – Die dunklen Seiten der Energiesparlampe. S. Hirzel Verlag 2011, 254 S., Fr. 30.50/ Euro 19,80
Christoph Mayr: Bulb Fiction. Aus-trianfilm 2011, DVD, 100 min., 12,99 Euro. www.bulbfiction-derfilm.com. Ein Verleih des Films in der Schweiz ist nicht mehr vorgesehen.
Die Webseite der «Heatballs» (Wärmelampen als Kunstaktion): www.heatball.de
In der Schweiz lagern ebenfalls 4000 Heatballs, bei Franz Gehrigs Werbe-artikelfirma in Bern. Ihr Verkauf wur-
de vom Bundesamt für Energie unter Strafandrohung verboten. Gehrig gibt aber nicht auf. www.heatball.ch
Argumente für die Glühbirne: www.gluehbirne.ist.org
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wenn dOch nur mehr hausfrauen (und -männer) wIld würden!
Eier aus dem Freiland statt aus der Batterie: eine typisch helvetische Geschichte. Ein paar kluge Köpfe haben das in einem Land, das noch selbst entscheiden kann, zustande gebracht. Ohne Verbot, einfach so, unter aktiver Beteiligung vieler Konsumentinnen und Konsu-menten! von Billo Heinzpeter Studer
In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhun-derts suchten Fachleute einen Weg, den zunehmenden Eierkonsum hygienisch einwandfrei und zu günstigem Preis zu decken. Die Lösung schien ein rationelles
System zu sein, in dem die Hühner trotz dich-ter Haltung nicht im eigenen Kot stehen: die Käfigbatterie.
Ab den 1960er Jahren ebbte die Kritik an dieser quälerischen Haltungsform nicht mehr ab. Tierschutz-, Konsumenten- und Umweltorganisationen verlangten ein Ver-bot. Vergeblich. Dafür erlaubte das 1978 vom Schweizervolk angenommene Tier-schutzgesetz ab 1992 nur noch verhaltens-biologisch geprüfte Stallsysteme. Nun ent-wickelten Stallbauer zahlreiche «verbesserte» Käfigsysteme, die aber samt und sonders durch die Prüfung fielen.
aus gegnern werden Verbündete In der Praxis wirkte die Stallbauprüfung wie ein Verbot. Dagegen liefen die Verbände der Schweizer Eierproduzenten fünf Jahre lang Sturm. Sie prophezeiten, es würden dafür künftig einfach mehr Käfigeier importiert. Doch 1987 beschlossen Migros und Coop gemeinsam, ab 1989 keine inländischen Kä-figeier mehr einzukaufen. Dieser Druck der beiden mit Abstand grössten Eierverkäufer zwang die Produzenten zur Umkehr.
Nachdem 1992 tatsächlich die letzte Batte-rie aus der Schweiz verschwunden war, hef-teten sich die Produzentenverbände dieses Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Eier stolz ans Revers. Das sind die besten Kam-
pagnen: Wenn es gelingt, einstige Gegner zu Verbündeten zu machen!
freIlandeI: eInst fast Verschwunden Entgegen früherer Alarmrufe konnten die Schweizer Eierproduzenten ihren Marktan-teil gegen Billigimporte verteidigen, auch ohne Batterie und bei hohen Preisen. Bei den in ihrer Schale verkauften Eiern nahm der Inlandanteil sogar zu, von rund 60 Pro-zent (1975) auf 75 Prozent (1998), wo er bis heute liegt.
Bei der Migros stammten 1992 noch rund die Hälfte der verkauften Schaleneier aus ausländischen Batterien, 1996 wurde der Verkauf nach heftiger Kritik an den Käfig-eiern gestoppt. Der Anteil der Bodenhal-tungseier stieg auf über 70 Prozent, wäh-rend der Anteil der Freilandeier bis 2 000 auf fast 30 Prozent stieg. Dieses Verhältnis gilt heute noch.
unVerbIldet besser wIssenDer Siegeszug der Freilandeier wäre un-denkbar ohne Lea Hürlimanns jahrelange Pionierarbeit. Anfangs der 1970er Jahre war die alte bäuerliche Freilandhaltung schon fast verschwunden.
Die Kunstmalerin Lea Hürlimann, die Gründerin der Konsumenten-Arbeits-Grup-pe KAG habe ich vor bald 40 Jahren an einer alternativen Veranstaltung in Zürich getrof-fen. Lea diskutierte auf einem Podium mit ein paar Männern, unter ihnen Roger Scha-winksi, der sie, von hartnäckigen Fragen so genervt, als «wild gewordene Hausfrau»
titulierte. Sie trug es als Auszeichnung. Sie wollte genau wissen, wie das gewachsen war, was sie auf ihrem Teller hatte. Auswei-chende Antworten liessen sie nur noch hart-näckiger werden. Wäre das schön, wenn viel mehr Hausfrauen (und Hausmänner) «wild» würden!
Lea und ihr Mann Heinz spürten bei Fahrten über Land letzte traditionelle Hüh-nerhöfe auf und motivierten ihre Halter, bei der KAG mitzumachen – eine agrikulturelle Rettungsaktion. Bis heute ist das KAG-Ei Symbol für tierfreundliche Tierhaltung.
Dass KAGfreiland von einer Frau gegrün-det worden war, noch dazu nicht von einer Studierten, sondern «nur» von einer Haus-frau, ist kein Zufall. Als Mitarbeiter von Lea Hürlimann habe ich oft erlebt, wie sie selbst aufgeschlossenen Agronomen sozusagen das ABC neu erklären musste. Nicht selten sind sie und ihre Gesprächspartner dabei fast die Wände hochgegangen; aber aufge-geben hat nicht sie. Sie wusste es einfach besser, unverbildet durch Konventionen von Wissenschaft und Fachwelt.
Der Autor war von 1985 bis 2001 Geschäftsleiter der KAG, baute dann die Tierschutzorganisation «fair-fish», deren Geschäftsleitung er mit seiner Pensionierung im April dieses Jahres niederlegte.Heinzpeter Studer ist Autor von Schweiz ohne Hühnerbatterie – wie die Schweiz die Käfighaltung abschaffte. Verlag ProTier, 2001. 96 S., Fr. 19,50
1972 Gründung der Konsumenten-Arbeits-Gruppe KAG. 1973 Lancierung der KAG Freilandeier und eigenem Label. Seit 1975 wird auch KAG-Fleisch angeboten, später kamen Milchprodukte dazu. Noch heute steht das Label für die strengsten Tierhaltungs-richtlinien der Schweiz.
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kOmm mIr nIcht Zu nah – bleib mir nicht zu fern
Wieviel Gemeinschaft braucht der Mensch? Wieviel Gemeinschaft erträgt der Mensch? von Christine Ax
niederkaufungen: Ordentlicher und deutscher kann es auf der Welt kaum aussehen. Vor 35 Minuten bin ich am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe in die Strassenbahn gestiegen. In Niederkau-
fungen Mitte steige ich aus und falle fast in einen Aldi hinein. Direkt daneben betreiben die Balckes ihren REWE-Markt. Auf der Fernstrasse, die ich überquere, rasen Autos und LKWs ins Hessische. Wenn man jetzt direkt auf die Kirchturmspitze zugeht, steht man nach wenigen Minuten am Kirchweg 3. Ein Wall von Brenn-holz schirmt die Kommune Niederkaufungen von der Umwelt ab. Schön ist es hier. Und so friedlich.
«Wir haben anfangs überlegt, ob wir Farbbeutel an die Wände werfen, um deutlich zu machen, dass wir anders sind», erzählt Gunhild Kasper. «Wir haben es nicht getan. Und das war richtig.» Guni und ihr Lebensgefährte Claus Brechmann sind so liebens-würdig, sich für meine Fragen Zeit zu nehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Diese Kommune ist ein begehrtes Objekt journalistischer und wissenschaft-licher Neugierde. Sie ist Paradebeispiel für «Kom-mune». Guni und Claus kennen und schätzen den Zeitpunkt, obwohl er in der Schweiz erscheint. Da-rum haben sie sich im Plenum gemeldet, als meine Bitte verhandelt wurde. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.
Schätzungsweise 2000 Menschen leben in Deutschland in Kommunen und Lebensgemein-schaften. Und es werden immer mehr. Ein Drittel davon sind «politisch motiviert». Der Anspruch, den die Niederkaufunger haben, reicht weit und geht unter die Haut. Im Grundsatzpapier von 1983 steht: «Ich will nicht mehr konkurrieren, beziehungslos und vereinzelt durch die Welt laufen. Ich will nicht mehr unter den herrschenden Bedingungen meine Arbeits-kraft, meine Gesundheit, meine Energie ausbeuten lassen. Ich will mich nicht mehr in der Kleinfamilie verkriechen, die mich wieder fit macht für die Ar-beit. Ich will nicht mehr konsumieren und all meine unerfüllten Wünsche vergessen. Ich will heute und
hier das alles verändern. Ich will nicht warten auf eine neue, bessere Gesellschaft, ich will sie heute entwickeln, ich will heute anfangen zu leben.»
Wer einsteigt, wählt ein überwiegend öffentliches Leben. Für Anonymität ist hier kein Raum. Bezie-hungslosigkeit? Unmöglich. Gemeinschaft leben ist nicht immer einfach. Dafür gibt es an diesem Ort ExpertInnen aus allen Altersgruppen.
Niederkaufungen ist eine der wenige Lebensge-meinschaften in denen «Gemeinschaftsökonomie» gelebt wird. Seit 25 Jahren. Wohnen, Schlafen und Trinken gibt es umsonst. Alle sind Pflege- und Kran-kenversichert und es gibt eine Altersversicherung.
Bis auf wenige private Dinge gibt es kein Eigentum. Wer einsteigt, tritt seinen Besitz an die Kommune ab, selbst Erbschaften gehören allen. Dafür darf jeder in die gemeinsame Kasse greifen und sich das an Taschengeld genehmigen, das er oder sie braucht. Gerade einmal 850 – 950 Euro pro Erwachsener sind notwendig, um allen Bewohnern und ihren Kindern dieses Leben zu ermöglichen. Guni sagt dazu: «Man muss hier teilen wollen.»
Wie ich von Claus erfahre, ist dieser Umgang mit Eigentum etwas, das sich die meisten Menschen nicht vorstellen können. Aber: Die da draussen leben auch in Zwängen. Hier in Niederkaufungen muss niemand Angst haben, den Job zu verlieren. Hier findet jeder seinen Platz, kann sich nützlich machen oder auch selbständig, kann sich weiterentwickeln, Neues aus-probieren. Chefs gibt es keine. Dafür umso mehr Eigenverantwortung und Demokratie. Alles Wich-tige wird im Konsens entschieden. Zum Beispiel wer nach den obligatorischen drei Monaten Probezeit bleiben darf – wenn er/sie will. Manches muss dabei bedacht werden: Die Altersstruktur muss stimmen.
Wer einsteigt, tritt seinen Besitz an die Kommune ab, selbst Erbschaften gehören allen. Dafür darf jeder in die gemeinsame Kasse greifen.
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In der Landwirtschaft wird vielleicht dringend je-mand gebraucht. Wer hohe Konsumansprüche hat oder dauerhaft «nur kostet», wird vermutlich nicht aufgenommen werden. Das Verhältnis Erwachsene zu Kindern ist auf 3:1 begrenzt. Man muss an die Bedürfnisse von allen denken und an die Zukunft. Die Gruppe darf egoistisch sein, wenn es um die eigene Nachhaltigkeit geht.
Das Konsensprinzip ist in Niederkaufungen ein wichtiger Grundsatz und eine hohe Kunst. Die Visionen sind so vielseitig und vielgestaltig, dass die BewohnerInnen alle Hände voll damit zu tun haben, sie lebendig zu halten, konkret werden zu lassen und weiter zu entwickeln. Auch nach 25 Jahren gibt es noch grundsätzliche Fragen, die bearbeitet werden wollen. Dürfen Kommunemitglieder ihren Kindern
etwas vererben? Ist das gerecht? Immerhin werden alle Kommune-Kinder aus der gemeinsamen Kasse finanziert, auch wenn sie studieren oder auf Reisen sind. Bleibt da genügend Spielraum? Wie viel Klein-familie ist gut? Wie finden Paare in diesem Gewusel noch genügend Zeit für Zweisamkeit? Wie wird man den vielen Lebensphasen und Bedürfnissen, die hier gelebt werden wollen, am besten gerecht? Gemein-
schaft leben, heisst alles zu teilen: In guten wie in schlechten Zeiten.
Und natürlich gibt es auch Fluktuation. Jährlich kommen vier oder fünf neue Menschen dazu. Drei oder vier steigen wieder aus. Manch eine/r bleibt aber im Dorf, sucht und findet eine Wohnung nebenan. Die Beziehungen ins Dorf sind vielfältig und nach anfänglichem Misstrauen einer grossen Gelassenheit gewichen. Die Kinder des jetzigen Bürgermeisters gingen in die Kommune-Kita.
Da die Zahl derer, die so leben wollen, wächst, ist jetzt der Lossehof in Gründung. Ein Ableger, zwei Hügel weiter. Das macht auch deshalb Sinn, weil
Die wirklich wichtigen Schlachten für eine bessere Welt können nicht auf den Strassen gewonnen werden, aber in unseren Herzen. Es ist ein hochpolitisches Organ.
Der «Verein umweltfreundliches Leben und Arbeiten» hat 1987 in Niederkaufungen, einem Dorf im «Speckgürtel» Kassels ein grosses landwirtschaftliches Anwesen ge-kauft. 1990 kamen die angrenzenden Speditionshallen hinzu. 1996 hat der Verein den Aussiedlerhof «Birken-grund» erworben. Heute leben hier 62 Erwachsene (31 Männer, 31 Frauen) und 20 Kinder. Jeden Monat erwirt-schaftet die Kommune im Durchschnitt rund 1000 Euro pro Erwachsener, die in die gemeinsame Kasse gehen. Die monatlichen Einkünfte und das Vermögen werden ge-trennt verwaltet. Es gibt heute eine eigene Landwirtschaft mit Viehwirtschaft und Gemüseanbau, einen Bioladen mit Vollsortiment in dem alle Mitglieder zu Grosshandels-preisen einkaufen können, eine eigene Käseproduktion, eine Obstmanufaktur. Zeitweise wurden die eigenen Produkte auch auf dem Wochenmarkt verkauft. Inzwi-schen spielt die Solidarische Landwirtschaft eine grosse Rolle. Die Kommune verpachtet Land an KasslerInnen, die ihre Parzellen für die Selbstversorgung nutzen. Aus-serdem arbeitet der Hof mit einer Gärtnerei zusammen.
Gemeinsam werden die privaten Haushalte mit Gemüse und Rohkost versorgt, die mit ihren Monatsbeiträgen die landwirtschaftliche Produktion vorfinanzieren. Die Kommune ist im Bereich Ernährung und Handwerk zu ca. 75 Prozent selbstversorgend. Sie strebt keine Autarkie an, weil sie im Austausch mit Unternehmen aus der Umgebung bleiben will. Es gibt einen Küchenbereich, der alle Kommunardinnen und die Gäste (Tagungen) sowie die Zweckbetriebe (Kindergarten und Tagespflege) täglich mit biologisch angebautem Essen versorgt. Hier ist auch ein Cateringbereich angesiedelt. Neben dem Bereich Landwirtschaft gibt es mehrere Handwerksbe-triebe. Das Baukollektiv besteht aus einer Schlosserei, Schreinerei (Innenausbau). Es gibt einen Bereich, der sich auf Energieberatung und Wärmedämmung spezialisiert hat. Mit einem Blockheizkraftwerk und einer Photovoltaik-anlage (450m2) kann die Kommune ihren Energiebedarf weitgehend selber decken, zumal die meisten Gebäude inzwischen vorbildlich gedämmt sind. Eine grosse Re-genwasseranlage mit einer Kapazität von 42 000 Litern
liefert Brauchwasser. Es gibt einen Bereich, der sich um das Tagungsgeschehen kümmert (37 Betten/4 Tagungs-räume) und den Bereich «Gewaltfreie Kommunikation», der Seminare anbietet. Es gibt einen Kindergarten, der auch Kinder aus der Umgebung aufnimmt und seit sechs Jahren auch den Bereich «Gesundheit und Alter e.V.» der dementiell Erkrankte tageweise betreut, um Angehörige zu entlasten. Die Kommune verfügt über einen Modellfuhrpark von Elektroleichtfahrzeugen, die im Alltag getestet werden. Für die kleinen Fluchten ste-hen drei Urlaubshütten zu Verfügung, eine riesige, gut sortierte Bibliothek und einige wenige PKWs. Es gibt eine Kleiderkammer und eine Reparaturwerkstatt sowie eine Nähstube. Es gibt eine Vielzahl von selbstorganisierten Aktivitäten im Freizeitbereich und die gemeinsamen Fe-ste und politischen Veranstaltungen. Die Kommune ist stolz darauf, dass drei Waschmaschinen ausreichen, um die gesamte Wäsche zu waschen. Werkzeuge und andere langlebige Konsumgüter werden gemeinsam genutzt. CA
Bedeutet mehr «Sein» auch weniger haben?
Nicht nur die Menschen gedeihen, auch die Pflanzen – Gemüstegarten der Kommune Niederkaufungen.
Fotos: Christine Ax
Komm mir nicht zu nah…
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44 Zeitpunkt 121
es Ist nIcht Immer eInfach, die unfassbare Andersartigkeit von Menschen auszuhalten Claus Brechmann lebt seit 20 Jahren in Niederkaufungen, Gunhild Kasper seit 25 Jahren. Sie gehören damit zur Gründergeneration und haben über die Entwicklung der Kommune viel zu er-zählen Claus hat den Küchenbereich mit aufgebaut und ist heute fürs Cate-ring zuständig. Gunhild ist Sozialpäda-gogin, hat viele Jahre im Kindergarten gearbeitet und die Tagespflege mit auf-gebaut. Gemeinsam mit einer Psycho-login berät und coacht sie Menschen in einer kleinen Praxis.
In welcher Situation wart Ihr, als Ihr Euch entschieden habt, in niederkaufungen zu leben?
Claus: Ich habe mich nach dem Abitur aus politischen Gründen allem verweigert, war politisch sehr aktiv. Wenn ich damals nicht Niederkaufungen gefunden hätte, wär ich nicht mehr in Deutschland. Guni: Mein damaliger Partner und ich, wir erwarteten damals ein zweites Kind und waren politisch sehr aktiv. Wir wollten un-sere Kinder in einer grossen Lebensgemein-schaft grossziehen.
Euch haben vor allem die gesellschaftspolitischen utopien angezogen, für die die Kommune niederkaufungen steht?
Guni: Ja. Uns verbinden politische Ziele: Selbstbestimmt leben, in Gemeinschaft und im Einklang mit der Natur. Ökologie spielt eine grosse Rolle. Uns ist es ausserdem wichtig, mit den Menschen um uns herum in einem guten Kontakt zu sein. Manchmal mischen wir uns auch politisch ein.
Habt Ihr Eure Träume hier realisieren können?
Claus: Ich habe hier die Möglichkeit bekom-men meinen eigenen Arbeitsplatz zu entwi-ckeln. Ich habe damals 50 000 Euro von der Kommune bekommen, um meine Küche ein-
zurichten. Das werde ich der Gruppe nicht vergessen. Ich hätte das niemals finanzieren können. Und ich hätte mir diese Qualität bei der Arbeit nicht leisten können. Guni: Ja. Inzwischen sind meine Kinder gross. Trotz der Trennung haben wir – mein damaliger Partner und ich – die Kinder hier gemeinsam aufziehen können. Ich habe erst den Kindergarten aufgebaut und nun die Tagespflege für Demenzkranke. Heute wünsche ich mir mehr Privatheit und Zwei-samkeit mit Claus. Wir suchen einen Weg, wie das geht. Ich habe festgestellt, dass sich meine Bedürfnisse mit den Jahren verän-dert haben. Ich möchte in Zukunft mehr für mich sorgen.
Wie geht Ihr mit Menschen um, die hier leben wollen? Was muss man mitbringen, wenn man in niederkaufungen leben möchte?
Claus: Ich schätze, dass sich jeden Monat rund 50 bis 100 Interessenten die Kommune ansehen. 90 Prozent der Besucher steigen innerlich aus, wenn sie verstehen, was Ge-meinschaftsökonomie tatsächlich bedeutet.
Sie können sich nicht vorstellen, ihre Aus-gaben mit anderen zu diskutieren. Wer sich für uns entscheidet, wohnt hier drei Monate zur Probe. Die Entscheidung, wer einzieht wird im Plenum im Konsens getroffen. The-oretisch reicht ein Veto, um den Einzug zu verhindern. Guni: Wir müssen das Gefühl haben, dass die Neuen hier selbstverantwortlich leben können. Dass die Gruppe ihre Bedürfnisse mittragen kann. Dass sie selber einen Bei-trag für die Gemeinschaft leisten wollen und können. Nehmen wir das Beispiel Geld: Im Durchschnitt verbrauchen die Meisten zwischen 50 und 400 Euro Taschengeld pro Monat. Zieht jemand ein, der sehr viel mehr Geld für seinen persönlichen Bedarf benöti-gt, gibt es früher oder später Probleme. Claus: Der Tag des Einstiegs ist der Tag an dem Du hier alles einbringst was Du besitzt. Und Du machst gleichzeitig einen Ausstiegsvertrag, der regelt, was Du mitneh-men möchtest, wenn Du aussteigst. Wer zu uns kommt, ist mit den Verhältnissen draus-sen unglücklich und hat einen ausgeprägten Wunsch, nicht mehr allein zu sein.
Christine Ax im Gespräch mit Claus Brechmann & Gunhild Kasper
Zeitpunkt 121 45
Niederkaufungen nicht nur eine Kommune, sondern auch ein florierendes Unternehmen ist. Es fehlen Arbeitskräfte. In diesem alter-nativen Universum gibt es inzwischen so viel zu tun, dass es schwer geworden ist, den Überblick zu bewahren.
Wenn man dem Kommunismus nachsagt, er ermögliche ein Leben nach dem Grund-satz: Allen nach ihren Fähigkeiten und allen nach ihren Bedürfnissen, dann ist Nieder-kaufungen genau das: Kommunismus. Aber wenn das Kommunismus ist, dann muss man sich wundern, wie viel Unternehmer-geist diese Art von Gemeinschaftseigentum freisetzt. Wie kreativ, fleissig, umtriebig und erfolgreich dieses alternative Leben ist und wie bereichernd für die Gemeinde.
So richtig schnell geht allerdings nichts. Der Aufbau der Tagespflege für Demenzkranke hat von der ersten Idee bis zum Tag der Eröffnung 14 Jahre gebraucht. Die Handlungsspielräume, die kommune-eigene Unternehmen haben, sind dennoch erheblich. Grössere Investitionen werden im Plenum diskutiert. Ein Mal im Jahr wer-den die Zahlen vorgelegt und alle wissen, wer wie viel in die Gemeinschaftskasse ein-spielt. Kleinere Anschaffungen können die Wirtschaftsbetriebe alleine entscheiden. Bei
acht Mitarbeitern liegt das Limit bei 4000 Euro pro Kauf (500 € pro Kopf).
Jeder entscheidet selber, in welchem Ar-beitsbereich er oder sie arbeitet und wie viele Stunden. Man kann sich zeitweise auch nur um die eigenen Kinder kümmern, da-für muss sich hier niemand rechtfertigen. Auch das ist «Arbeit am Ganzen». Doch wer will schon auf das Glück selbstbestimmter Arbeit verzichten oder darauf, Teil der ge-meinsamen Erfolgsstory zu sein? Alleiner-ziehende und Paare stehen mit der Aufgabe, Kinder erfolgreich ins Leben zu begleiten, schliesslich nicht alleine. Der Kindergarten ist direkt auf dem Gelände. Überall gibt es andere Kinder zum spielen und Onkels und Tanten, die sich auch kümmern. Freiheit, Selbstbestimmung und die gemeinsamen politischen Ideale sind keine leeren Ver-sprechen. Sie werden gelebt.
Theoretisch kann jeder tun was er oder sie will. Praktisch aber irgendwie doch nicht. Wenigstens nicht auf Dauer. Das Leben in der Gemeinschaft erfordert – wie in der Familie – Kompromisse. Denn Kommune, das ist ein fragiles Gebilde, das gelingen kann, wenn Geben und Nehmen sich auf geheimnisvolle Weise die Wage hal-ten: ökonomisch, persönlich, im Arbeits-
bereich, in der Beziehung, in der Wohn-gemeinschaft im Umgang mit den Dingen und der Natur. Liebe en gros und en detail. Sozialwissenschaftler nennen so etwas auch «Sozialkapital», jene unsichtbare Essenz des Sozialen, ohne die Gesellschaft auf Dauer nicht funktionieren kann. Kommune schon gar nicht.
Mich beeindruckt, wie normal sich die Geschichten der KommunardInnen anhören und -fühlen. Es gibt das Land, das Geld, unsere Fähigkeiten und die Maschinen und Geräte. Niemand hindert uns daran selbstbestimmt zu leben. Wir müssen uns entscheiden, unsere Träume zu leben. Es ist weder ein besonders grosser Schritt, noch ist es ein hohes Risiko, sich den «alterna-tivlosen Sachzwängen» zu entziehen, in denen uns ein schlechter Traum gefangen hält. Auch eine kleine Zahl von Menschen kann mit geringen Mitteln unendlich viel entwickeln, bewegen, aufbauen und verän-dern, wenn sie ihren Traum leben. Wenn ihnen das Sein wichtiger ist, als das Ha-ben. Niederkaufungen hinterlässt bei mir den Eindruck, dass die wirklich wichtigen Schlachten für eine bessere Welt nicht auf den Strassen gewonnen werden können, aber in unseren Herzen. Es ist ein hochpo-litisches Organ.
Auch in einer Gemeinschaft kann man sich sehr einsam fühlen. Es gibt immer Probleme beim Zusammenleben. In der Familie, im Büro … bei Euch nicht?
Claus: Der Vorteil einer grossen Gruppe ist, dass man sich aus dem Weg gehen kann. Aber es ist nicht einfach, die unfassbare Andersartigkeit von Menschen auszuhalten. Aber schlussendlich verbindet uns eine Visi-on, gemeinsame Träume. Wenn wir mit Men-schen, die uns so nahe sind, schon hart sind, wie soll es dann draussen funktionieren? Wenn man jahrzehntelang zusammenleben möchte, muss man die Folgen des eigenen Verhaltens genau bedenken. Ich habe hier so etwas wie «Beisshemmungen» gelernt. Es geht darum, einen Blick dafür zu entwickeln, wie wir auch dann menschlich bleiben kön-
nen, wenn es Differenzen gibt. Ich empfinde uns trotzdem immer noch als viel zu deutsch. Du weisst schon: Sehr durchstrukturiert und ernst. Ich wünsche mir manchmal, wir wären «britischer». Damit meine ich die Selbstver-ständlichkeit, mit der Engländer den Spleen Anderer akzeptieren.
Kann das jeder lernen?Guni: Hier ist jeder gezwungen sich früher oder später auch selber anzusehen. Das er-gibt sich schon aus dem Konsensprinzip. Wir haben uns in diesen Fragen auch von Fach-leuten Rat geholt. Ich glaube, jede(r) sollte so sein dürfen, wie er oder sie ist. Um das Zusammenleben einfacher zu machen, bietet der Arbeitsbereich «gewaltfreie Kommunika-tion» Trainings und Hilfestellungen an.
Claus: Ich habe den Eindruck, dass früher das Thema Kontrolle wichtiger war. Heute haben wir mehr Vertrauen zu einander und es geht mehr darum, Hinweise zu geben und Hilfestellungen. Probleme bekommen vor allem Dogmatiker. Schliesslich hat man es hier mit 61 anderen «Widerständigen» zu tun. Guni: Ich weiss nicht, ob das, was wir hier machen, wirklich in die Kategorie «besseres Leben» gehört. Ich halte es jedenfalls für falsch, nicht auch an sich selber zu den-ken. Es braucht auf jeden Fall auch Mut, hierher zu kommen. Weder wird man hier reich, noch macht man Karriere. Wir leben gegen den Mainstream. Trotzdem sind wir im Einklang mit fast allen Menschen um uns herum.
Fortsetzung von « …beib mir nicht zu fern»
Es ist nicht immer einfach, …
entscheiden & arbeiten
46 Zeitpunkt 121
Rating-Agenturen: Prädikat «gekauft»Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Rating-Agenturen, die grössten-teils Banken, Hedge- und Investmentfonds gehören. Sie erleichtern das Schuldenmachen durch beschönigende Ratings und steigern hinterher die Zinsprofite durch schlechte Zensuren, die die Zinsen in die Höhe treiben. Sie entscheiden mit zum Teil willkürlichen Kriterien über das Schicksal ganzer Staaten. So ist Griechenland, ihr prominentestes Opfer, keineswegs das am höchsten
verschuldete Land der Eurozone. Im neusten Buch von Werner Rügemer wird erstmals die Eigentümerstruktur der drei grossen Agenturen offengelegt: Es handelt sich dabei um Hedge- und Investmentfonds, die aus der hohen und dauerhaften Verschuldung von Unternehmen, Staaten und Konsumenten Gewinn ziehen. Detailliert untersucht der Autor die Kriterien und Arbeitsweisen der Agenturen. Er zeigt: Ihre Macht gewinnen die Rating-Agenturen durch ihre Eigentümer, aber auch durch die
staatlich und überstaatlich erteilte Wächterfunktion. Sie sind mit Fonds, Banken, Staaten, Zentralbanken, Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds Teil der gegenwärtigen Kapitalmacht.
Werner Rügemer: Rating-Agenturen – Ein- blicke in die Kapitalmacht der Gegenwart.
transcript Verlag, Bielefeld, April 2012, 196 S., Fr. 27,90 / 18,80 Euro
das blaue VOm hImmel
green Economy ist nur was für Reiche, Blue Economy dagegen für alle, sagt Gunter Pauli. Der
belgische Wirtschaftsprofessor will in zehn Jahren Millionen von Jobs schaffen. Bekannt geworden ist der 56-jährige durch seinen Einstieg beim Bioseifen-Hersteller Ecover. Anfang der 1990er Jahre hatte er die kurz vor der Pleite stehende Fabrik übernom-men und zu einem grünen Pionierbetrieb umgebaut. Da das Waschpulver komplett biologisch abbaubar war, wurde er als grü-ner Unternehmer mehrfach ausgezeichnet. Als er sich aber in Indonesien den Ursprung seines Hauptrohstoffs anschaute, nämlich riesige Palmölplantagen, war er geschockt. «Damit unsere Flüsse sauberer werden, zer-stören wir indonesische Regenwälder und die Heimat des Orang-Utan», konstatierte er - und schmiss alles hin. Seitdem will er eine «blaue Wirtschaft» - blau wie der Himmel, das Wasser, der Planet.
In einem Bericht an den Club of Rome, dem Pauli angehört, hat die von ihm ge-gründete Stiftung «Zero Emissions Research Initiative» (Zeri) 100 Öko-Innovationen zu-sammengetragen. Folgt man Pauli, haben sie das Potenzial, weltweit Millionen von Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren zu schaffen. Sein weltweites Netzwerk von Forschern und Wissenschaftlerinnen soll sie in die Tat umsetzen.
etwas durch nIchts ersetZenEtwa ein Drittel der Projekte wird bereits von Betrieben hergestellt, ein weiteres Drit-tel gibt es als Prototypen, das letzte Drittel harrt der Verwirklichung. Seit 2010 veröf-fentlicht die Stiftung jede Woche auf ihrer
Website eine andere innovative Geschäftsi-dee, um weltweit Nachahmer zu ermutigen – alles nach dem «Open Source»-Prinzip.Ein Zeri-Projekt ist die Zucht von Edelpilzen auf Kaffeesatz. Ein anderes sind Treibhäuser für trockene Küstenregionen, in denen Meer-wasser verdunstet - das kondensierte Süßwas-ser bewässert die Pflanzen, nebenbei wird Salz gewonnen. Ein weiteres ist Glasschaum aus Altglas, der gut isoliert, Treibhausgase bindet und als preisgünstiger Baustoff für Wände, Dächer und Hydrokulturen dient.
Andere Innovationen sind High-Tech-Pro-jekte. Beispiel: Ein Team des Fraunhofer-Instituts entwickelte Handys, die ihre Ener-gie aus dem Schalldruck der menschlichen Stimme und dem Temperaturunterschied zwischen Körper und Gerät gewinnen. Mil-liarden von Batterien in Armbanduhren, Hörgeräten oder MP2-Playern sollen durch diese Technik überflüssig werden. «Etwas
durch Nichts ersetzen», nennt Pauli das. Noch gibt es allerdings nur Prototypen.
herZ Oder geld, das Ist dIe frageDer Mann, der sechs Sprachen fließend spricht und auf vier Kontinenten gelebt hat, ist ein begnadeter Kommunikator. Immer wieder gelingt es ihm, innovative Erfin-der aufzuspüren. Zum Beispiel die fran-zösischen Architekten Nicola Delons und Raphael Menard. Sie haben Windturbinen konstruiert, die sich in Hochspannungs-masten einbauen lassen. Der Aufwand für Stromerzeugung und -transport sinkt dramatisch, weil die Ständer ja bereits exi-stieren. Pauli, der mit einem Wissenschaft-lerteam den Himalaya-Staat Bhutan in die Energieautarkie begleitet, bekam Wind von der Erfindung der Franzosen, «und huii, bin ich dahin. Ich muss die Leute sehen, muss spüren: Haben sie ein Herz? Oder machen sie das nur wegen des Geldes? Wenn sie ein Herz haben, kann ich reden. Also hab ich mit denen verhandelt.» Jetzt entsteht eine Fabrik in Indien, die die Strommasten im benachbarten Bhutan bestücken soll und zudem ein weites Einsatzfeld direkt vorm Werkstor hat. Auf dem Subkontinent stehen laut Pauli zwei Millionen Freileitungsstän-der. «Zwei Millionen! Damit könnte ich den Atomausstieg in Indien mit organisieren.»
Annette Jensen, ute Scheub
Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen der vor kurzem gegründe-ten Stiftung «futurzwei», die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die konkreten Anfänge von besseren, gerechteren und glück-licheren Lebensstilen sichtbar zu machen. www.futurzwei.orgLinks: www.zeri.org • www.community.blueeconomy.de
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Wer bringt das Restaurant ‹Kreuz Nidau› zum Blühen?Die Fassade des Gebäudes aus dem 17. Jahrhundert strahlt in neuem Glanz, die Wirtewohnung ist saniert, das Baugesuch für eine grössere (oder auch kleinere) Sanierung der Küche ist bewilligt, der Kulturbetrieb feiert im Herbst sein 30-jähriges Jubiläum – alles steht bereit. Jetzt fehlen nur noch Menschen mit Erfahrung im Gastgewerbe, die der gemütlichen Gaststube, dem kleinen Säli im ersten Stock und dem grossen Saal wieder Leben einhauchen. Menschen, die für einen Ort sorgen, der zum Treffpunkt für ein Glas Wein, ein Häppchen, ein feines Menu, ein Bankett, eine Feier oder für jeden sonst denkbaren Anlass wird. Es muss nicht ein Gourmetpalast, es darf aber auch kein Fastfoodschuppen werden. Einfach ein Ort zum Sein, zum Tratschen, zum Träumen, zum Leben, ein Ort der Gast-Freundschaft.
Mehr Informationen auf www.kreuz-nidau.ch oder www.stiftung-wunderland.ch.
Wir freuen uns auf Bewerbungen an Stiftung Wunderland, Postfach 1384, 2501 Biel, [email protected]. Fo
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entscheiden & arbeiten
48 Zeitpunkt 121
50 Ansätze für eine gerechte WirtschaftsordnungDas Buch «Haushalten&Wirtschaften – Bausteine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Geldordnung» zur gleichnamigen sechstägigen Konferenz anfangs Jahr auf dem Gurten bei Bern liegt vor! Es enthält über fünfzig Beiträge, die die Referentinnen und Referenten im An-schluss an die Konferenz verfasst haben u.a. von Ueli Mäder, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Urs P. Gasche, Zita Küng, Jacqueline Badran und Bastien Girod.
Das Buch ist ein wichtiger Teil der Folgearbeit zur Konferenz, das differenzierte Nachdenken über unser künftiges Haushalten in eine breitere Öffentlichkeit hi-neinzutragen. zVg�/�CP
Stiftung Zukunftsrat (Hrsg.): «Haushalten&Wirtschaften – Bau-steine für eine zukunftsfähige Wirtschafts- und Geldordnung». Rüegger Verlag, 2102. Fr. 25.–. ISBN 978-3-7253-0993-1
Grosse Politik
Weniger wachsen wollenKönnen die Umsätze einer Firma zu hoch sein? Wenn es nach Reinhard Mammerle und Susanne Henkel geht, dann ja. Dem Mitarbeiter der österreichischen «Waldviertler» Schuhfabrik und der Geschäftsführerin eines deutschen Herstellers für Stahlrohrmöbel geht es nicht darum, möglichst viel zu verkaufen. Sie setzen auf Qualität, Stabilität und Service. Halten sollen die Schuhe, die Mammerle her-stellt, und das möglichst lange. Zudem werden die «Waldviertler»-Kunden gebeten, kaputte Schuhe beim Hersteller reparieren zu lassen, anstatt sie wegzuwerfen. Auch Henkel erzielt einen Teil des Gewinnes mit Reparaturen. Nur die Stoffteile müssen hin und wieder ausge-wechselt werden; eine Reparatur ist für den Kunden billiger als ein Neukauf.
Noch hat sich das Motto «weniger ist mehr» in der Marktwirtschaft und der Unternehmerwelt nicht durchgesetzt. Die Idee von nachhaltigem Wirtschaften ist zwar in aller Munde, aber Res-sourcenverknappung, Energieverbrauch und Abfallmengen nehmen weiterhin zu. Für die Ökonomen Werner Onken und Niko Paech ist die Zeit deshalb reif für eine Postwachstums-ökonomie: «Die lange gehegte Hoffnung, dass wirtschaftliches Wachstum durch technischen Fortschritt nachhaltig oder klimafreundlich gestaltet werden kann, bröckelt.» Umwelt-freundliche Produktion bedeutet in erster Li-nie weniger Produktion. Ressourcen schonen heisst weniger konsumieren. Die Beispiele von Mammerle und Henkel zeigen, dass sich vom Wachstum loszusagen nichts mit Stillstand zu tun haben muss. Onken und Paech sehen die Chancen der Postwachstumsökonomie in neuen Arbeits- und Produktionsstrukturen. Entrümpe-lung von Gütern, Eigenarbeit, Community-Gär-ten, Tauschringe, Geldreform sind nur einige der Bereiche, die gestärkt werden könnten. MK
Mehr unter: www.postwachstumsoekonomie.org
Viele grosse Männerund wenige grosse Frauenaus grossen Unternehmen,grossen Organisationenund grossen Parteienberaten sich auf grossen Konferenzen
um für grosse Problemegrosse Lösungen zu erfinden.Mit grossen Wortenund grossen Gestenwerden grosse Erklärungen unterzeichnet
deren Umsetzung sich als grosser Flop erweist.
Die grossen Irrtümer dieser grossen Politik
sind eine grosse Gefahrfür die grosse Zahl derer,die ihren grossen Buckel hinhalten:
die «kleinen» Leute.
Gefunden haben wir diesen schönen Satz im neusten Buch des deutschen Demokratie-Aktivisten Josef Hülkenberg «Empörung allein schafft kein Gemeinwohl – Reflexionen und Impulse abseits betreuten Denkens» (Tredition, 2012, 160 S. € 10.–). «Krieg ist viel zu wichtig, als das wir ihn den Militärs überlassen können», schrieb Otto von Bismarck.
Ebenso können wir · den Glauben nicht den Priestern, · die Wirtschaft nicht den Ökonomen · die Demokratie nicht den Politikern überlassen.Deshalb schrieb Hülkenberg dieses Buch.Hülkenberg wanderte u.a. 2007 & 2009 als «Demokratiepilger» durch Deutschland, ist seither mit der «denk!BAR» unterwegs und ist Mitorganisator der Initiative Verfassungskonvent, die sich vom 3. bis 5. Oktober im Gemeindesaal der Nikolaikir-che in Leipzig mit der Frage befasst, wie dem beschleunigten Demokratieabbau zu begegnen ist. CP
Weitere Infos: initiative-verfassungskonvent.de; huelkenberg.de
Schon bald ist DANACH
Unser Finanzsystem erzwingt konstantes Wachstum, aber es gibt auch realistische Alternativen. Die Konferenz «Danach» will aktive Vereinigungen, Fachleute und Pio-nierinnen zusammenführen, vernetzen und nach Möglichkeit eine Allianz zur Bünde-lung der Kräfte bilden.
Programm:Dienstag 16. Oktober, 19.30 - 22.00 h: Wes-halb die existierende Wirtschaftsordnung nicht zukunftstauglich istDonnerstag 18. Oktober, 19.30 - 22.00 h: Wie wir die Lebensqualität erhöhen, ohne unseren Planeten auszubeutenSamstag 20. Oktober, 14.00 - 24.00 h: Kon-ferenz der Vertreter von neuen Lebensmo-dellen und FinanzalternativenSonntag 21. Oktober, 15.00 – 18.00 h: Podi-umsdiskussion: «Der Wandel, jetzt» – sowie Bildung einer Allianz für unsere Zukunft
U.a. mit Christa Amann (Décriossance), Da-niel Meier (INWO, Verein Monetäre Moder-nisierung), Manuel Lehmann und Nora Mae Herzog (Danach), PD Dr. Irmi Seidl, Prof. Martin Klöti (IG Niutex, Funaros),Nadine Bill (Netzwerk Vertragslandwirtschaft), P.M. (Autor & Philologe, Neustart Schweiz), Dana Köhler (Green Phoenix) und Enno Schmidt (Iniative Grundeinkommen).
DANACH – Lebenswerte Alternativen zum Wachstumszwang 16. bis 21. Oktober 2012, Rote Fabrik, ZürichWeitere Informationen: www.danach.info
Zeitpunkt 121 4�
Der beschleunigte Niedergang der Atomindustrie Ferienprämie mit Arbeitsverbot Der CEO des US-Software-Dienstleisters Full Contact, Bart Lorang, zahlt seinen Angestellten 7 500 Dollar, damit sie auf Urlaub gehen. Er will damit erreichen, dass sie sich zusätzlich zum gesetzlich vorgeschriebenen bezahlten Urlaub ein Mal pro Jahr erholen können. Drei Bedingungen müssen allerdings erfüllt werden. Erstens: Wer nicht auf Urlaub geht, bekommt die 7 500 Dollar nicht. Zweitens: Man muss sich vollständig vom Internet abkoppeln. Und drittens: Man darf im Urlaub nicht arbeiten. Lorang will damit sichergehen, dass sich seine Mitarbeiter in ihrer freien Zeit wirklich erholen und abschalten.
Quelle: pressetext.austria
Die Atomenergie ist weltweit im Rückgang und die Atomindustrie verliert an Wert. Die erneuerbaren En-ergien hingegen entwickeln sich rasant. Dies zeigt der jüngste «World Nuclear Industry Status Report», der von der Schweizerischen Energie-Stiftung SES mitfinanziert wurde.
Der Anteil Atomstrom an der weltweiten Elektrizi-tätsproduktion erreichte seinen Gipfel in den 90er Jahren mit einem Maximum von 17 Prozent. 2011 lag der Anteil bei gerade noch 11 Prozent. Die Atom-industrie leidet unter den kumulierten Einflüssen der Weltwirtschaftskrise, den Folgen von Fukushima, starken Konkurrenten sowie unter ihren eigenen Planungs- und Managementproblemen. Das zeigen auch die folgenden Beispiele: • Im Jahr 2011 gingen nur sieben Reaktoren in Be-
trieb, 19 Anlagen wurden abgeschaltet. • Vier Länder beschlossen den Atomausstieg. • Mindestens fünf Länder entschieden sich gegen den
Einstieg oder Wiedereinstieg in die Atomenergie.
• Die Titel der in Europa grössten Atomfirma Areva verloren seit 2007 ganze 88 Prozent, die franzö-sische Atomkraft-Betreiberin EDF 83, die Schweizer Energiekonzerne BKW 76 und Alpiq 66 Prozent.
• Zwei Drittel der bewerteten Atomfirmen und AKW-Betreiber wurden in den letzten fünf Jahren von der Ratingagentur Standard & Poor’s massiv abgewertet.
Im Gegensatz dazu ist die Entwicklung der er-neuerbaren Energien rasant: • Die installierten Kapazitäten bei Wind- und Solar-
strom wuchsen in China in den letzten fünf Jah-ren um den Faktor 50, währen die Kapazität beim Atomstrom lediglich um den Faktor 1,5 anstieg. Seit 2000 sank die AKW-Kapazität in der EU um 14 GW während eine Leistung von 142 GW an er-neuerbaren Energien zugebaut wurde.
• In Deutschland wurde 2011 erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert als in Atom-kraftwerken.
Quelle: SES
Kurzmitteilungen
vollwertig leben
50 Zeitpunkt 121
Der Krankheit daVOnlaufen
Zeitpunkt 121 51
hippokrates, der vor 2000 Jahren die Menschen lehrte, Krankheiten durch Bettruhe zu heilen, müsste sich heu-te eines Besseren belehren lassen. Denn Studien belegen: Sobald sich ein
Mensch bewegt, finden im Körper messbare phy-sische, die Selbstheilungskräfte aktivierende Verän-derungen statt.
Drei Meldungen in amerikanischen Zeitungen wa-ren es, die den Autor Jörg Blech hellhörig machten: Im ersten Fall ging es um Frauen, die nach einer Brustkrebsbehandlung beim Reiten auf einer Farm in Arizona genesen sind. Die zweite Meldung be-richtete von einem Psychiater, der in seiner Praxis in Kalifornien Laufbänder aufstellte, um seine Patienten im Gehen zu therapieren. Im dritten Fall wurden demenzkranke Mäuse in einem Käfig mit Laufrädern wieder aktiviert.
Blech machte sich für die Recherchen zu seinem Buch «Heilen mit Bewegung» auf nach Kalifornien. «Warum Laufbänder?» fragte er den Arzt, dessen Patienten unter mittelschweren Depressionen und Angststörungen litten. «Sport ist Medizin», entgegnete dieser. Die Leute seien begeistert und würden täglich 30 Minuten trainieren. Ein Einzelfall? Blech wollte es genauer wissen. Und fand wissenschaftliche Erklä-rungen für das Phänomen. Für eine Studie wurden zum Beispiel 156 ältere, depressive Patienten in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe absolvierte ein Ausdauertraining, die zweite erhielt ein Antidepres-sivum, für die dritte standen Tabletten plus Trai-ning auf dem Programm. Nach zehn Wochen ging es allen Patienten besser, 60 Prozent waren gesund. Fazit: Das Training allein war genauso wirksam wie die Behandlung mit Medikamenten. Mehr noch: Die körperliche Bewegung hatte einen Lerneffekt, der in den Alltag hineinwirkte.
Was tut sich im Kopf, wenn sich ein Mensch in Bewegung setzt? Ein Tierversuch mit älteren Mäusen brachte die Antwort: Die Hälfte der Tiere durfte sich über ein besseres Leben mit Laufrad freuen und Nester
bauen. Die andere Hälfte wurde passiv gehalten. Beim anschliessenden Gedächtnistest schnitten die trainierten Mäuse um Längen besser ab. Wissenschaftler sind sich sicher: Für ein besseres Gedächtnis sind Veränderungen im Gehirn verantwortlich – bei Mäusen und bei Men-schen. Blech: «Lange galt das Gehirn als unveränderbar, tatsächlich aber ist es ein formbares Instrument, das man durch Bewegung verändern kann.»
In Boston lernte Blech eine bekannte Brustkrebs-spezialistin kennen, die selbst an Brustkrebs erkrankt war. So oft wie möglich geht sie ins Fitnessstudio, überzeugt davon, dass dies bei der Bewältigung der Krankheit hilft. Auch ihren Krebspatienten rät sie, umgehend mit einem Fitnessprogramm zu beginnen. Was aber sagt die Wissenschaft dazu? Lange Zeit konnten sich Onkologen nicht vorstellen, dass kör-perliche Bewegung Leben verlängern kann. Neue Stu-dien aber zeigen Effekte bei Menschen mit Dickdarm-krebs und Frauen mit Brustkrebs. So wurden 823 an Dickdarmkrebs erkrankte Patienten im Frühstadium schulmedizinisch behandelt. Nach der Behandlung zeigte sich: Wer sich sechs Tage in der Woche eine Stunde lang bewegt hatte, zeigten einen besseren Verlauf. In einer zweiten Studie wurden 573 Frauen wegen Dickdarmkrebs behandelt, die körperlich ak-tiv waren. 50 Prozent von ihnen hatten eine erhöhte Lebenserwartung. Ähnlich war es beim Brustkrebs: Hier wurde der Krankheitsverlauf von 3000 Frauen ausgewertet. Ergebnis: Wer drei bis viermal wöchent-lich spazieren geht, hat ein um 50 Prozent geringeres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken.
Forscher sehen darin einen Zusammenhang, aber noch keinen Beweis. Immerhin sterben auch Menschen an Krebs, die sich viel bewegen. Aber es gibt eindeutige Hinweise, wie man das Krebsrisiko minimieren kann. Körperliche Bewegung unterstützt das Kreislauf- und Hormonsystem, stärkt das Immun-system und aktiviert den Fettstoffwechsel. Ebenso beugt es einer Verkalkung der Gefässe, zum Beispiel der Herzkranzgefässe, vor. Das bestätigt auch das Herzzentrum der Uni Leipzig. Sportlehrer und Biolo-gen untersuchten hier herzkranke Patienten, die sich passiv verhielten und solche, die bis zur Schmerzgren-ze auf dem Laufband liefen. Das Ergebnis: Die Zahl der Stammzellen hatte sich bei den Läufern erhöht.
Für eine andere Studie gingen in Leipzig 18 starke Raucher, die sich lange nicht mehr bewegt hatten
Bewegung ist die beste Therapie: Sie erhält die Gesundheit, beugt Krankheiten vor und verlängert das Leben. von Elke Kolb
Der Krankheit davonlaufen
vollwertig leben
52 Zeitpunkt 121
Elke Kolb ist Gesundheits-Journa-listin und schreibt u.a. für den «Ge-sundheitsberater», die Zeitschrift der streitbaren Gesellschaft für Gesund-heitsberatung. Gegründet wurde sie vom Reform-Arzt Dr. med. Max Otto Bruker (1909 – 2001), der Leib, Geist und Seele als Einheit betrachtete und die modernen Ernährungs- und Le-bensgewohnheiten sowie Umweltgifte als wesentliche Krankheitsursachen erkannte.
Kontakt: Gesellschaft für Gesund-heitsberatung GGB e.V., Dr.-Max-Otto-Bruker-Str. 3, D-56112 Lahn-stein, Tel: +49 2621 / 91 70 17. www.ggb-lahnstein.deJörg Blech: Heilen mit Bewegung – wie Sie Krank-heiten besiegen und Ihr Leben ver-längern. Fischer Verlag 2008. 272 S., Fr. 10.80 / 8,95 Euro
und Raucherbeine im Anfangsstadium hatten, bei einem Tempo von 3,5 km/h aufs Laufband. Viele hatten Schwierigkeiten zu gehen, waren bereits nach zwei Kilometern fix und fertig. Sie wurden dazu gebracht, fünfmal pro Woche zu trainieren, jeweils sechs Mal zehn Minuten. Das eindrückliche Ergeb-nis der «Wandertour»: Die Stammzellen machten sich daran, das kaputte Gefässsystem zu erneuern. Bei einem Raucher konnte dadurch sogar eine bereits anstehende Beinamputation verhindert werden.
Dieser Effekt der Bewegung lässt sich auch auf die Gefässe übertragen. In Leipzig wurden 100 Männer mit Gefässverkalkung behandelt. Die Hälfte erhielt eine herkömmliche Therapie, bei der ein Stent gesetzt wurde. Die andere Hälfte trainierte täglich 20 Minuten unter ärztlicher Aufsicht. Nach einem Jahr war in beiden Gruppen eine Besserung eingetreten, 70 Prozent bei den klassisch Behandelten und 88 Prozent bei denen, die sich bewegten. Ein Effekt, der nicht nur grösser, sondern auch nachhaltiger war. Nach der klassischen Behandlung traten bei einigen Männern Komplikationen auf, sie bekamen wieder Brustschmerzen oder mussten den Stent erneuern. Zudem waren die Kosten für das Bewegungstraining mit 3500 Euro nur halb so hoch.
Ärzte sagen, Langlebigkeit bei guter Gesundheit sei zu 20 bis 30 Prozent vererbt. Was sonst spielt eine Rolle für unsere Verfassung? Hinweise liefert die NASA, die seit 1966 zu diesem Thema forscht. So mussten zum Beispiel fünf junge Männer drei Monate im Bett liegen und durften sich nicht bewegen. Nach drei Wochen war ihr Vermögen, Sauerstoff aufzunehmen, um 28 Pro-zent vermindert. Organe und Körpergewebe verfallen stufenweise, wenn man zu lange passiv ist. Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskeln wollen bewegt sein, um normal funktionieren zu können.
Absurd ist aus Blechs Sicht der Rat mancher Ärzte, sich bei Rückenschmerzen zu schonen. Dabei wer-den Muskeln abgebaut. Auch das Herzkreislaufsystem leidet unter Bewegungsmangel, sagt Irwin H. Rosen-berg, der 1988 auf einer Konferenz in New Mexico den medizinischen Begriff «Sarkopenie» (aus dem Griechischen: sarx = Fleisch, penia = Mangel) prägte. Sarkopenie bezeichnet den mit fortschreitendem Alter zunehmenden Muskelabbau und die damit einherge-henden funktionellen Einschränkungen älterer Men-schen. Bei Betroffenen führt dies zu einer Häufung von Stürzen und damit verbundenen Verletzungen.
Blech besuchte Rosenberg in Boston, wo dieser als Leitender Wissenschaftler für Neurowissenschaften und Alterung an der Tufts University tätig ist. «Oft heisst es, Unbeweglichkeit sei eine natürliche Folge des Alters. Ein Irrturm», sagt Jörg Blech. Trägheit ist in der Regel Schuld daran. Bettruhe und Inaktivität haben dieselben Folgen.
Und selbst verkümmerte Zellen lassen sich nicht unterkriegen, sondern erneuern sich in jedem Älter. 13 Jahre lang hat Blech Läufer und träge Menschen unter-sucht und grosse Unterschiede bemerkt: «Ab 59 klag-ten träge Menschen über gesundheitliche Beeinträchti-gungen, die bei Läufern erst 13 Jahre später eintraten. Regelmässige Bewegung kann offenbar den Ausbruch von Krankheiten nach hinten schieben. Niemand kann verhindern, dass er alt wird, doch er kann viel dafür tun, dass es in guter Verfassung geschieht.»
Im Licht der Evolutionstheorie kommt man zum Ergebnis: Bewegung ist keine nützliche Zugabe, son-dern Voraussetzung, die das normale Funktionieren des Körpers erst ermöglicht. Unsere steinzeitlichen Vorfahren haben zum Teil täglich 30 bis 40 Kilometer zurücklegen müssen. Der menschliche Körper wurde von der Natur für solche Anforderungen konstruiert. Doch heute verbringen wir den Grossteil unserer Zeit im Sitzen und Stehen. Mediziner und Patienten erkennen zunehmend die Heilkraft von Bewegung auf Krankheiten aller Art. Inzwischen werden 30 Mi-nuten moderates Training am Tag als eigenständiges Heilmittel angesehen. Ein Krankheitsverlauf lässt sich mit moderater Bewegung nicht nur lindern, sondern sogar umkehren.
Der Krankheit davonlaufen – so einfach ist das Rezept für ein gesundes, längeres Leben.
Trauma und Trafo
Vom 12. – 21. Oktober 2012 findet im Bil-dungshaus Fernblick in Teufen (CH) eine Projektwoche statt mit dem Thema «Trauma und Transformation».
Das Projekt TRAFO entsteht aus dem Bedürfnis, einen kreativen Beitrag zur Bewältigung und Heilung von traumatischen Erfahrungen im menschlichen Leben zu leisten.
Die Initiatorin Anna Kuwertz entwickelt das Projekt aus dem doppelten Blickwinkel ihrer eigenen persönlichen Erfahrung mit der Thematik und ihrer beruflichen Tätig-keit als Rhythmikerin, Musikerin und Körpertherapeu-tin, in dem sie schwerpunktmäßig mit traumatisierten Menschen arbeitet.
Innerhalb einer Ausstellung von Bildern, Texten und Materialien zeigt Anna Kuwertz Ausschnitte aus ihrem persönlichen Prozess der Auseinandersetzung mit Trauma und Heilung und macht ihn der Öffentlichkeit zugänglich. Die Ausstellung ist im Projektzeitraum täglich geöffnet. Nach Bedarf führt A. Kuwertz durch die Räume und steht mit ihrem Team für persönliche Gespräche zur Verfügung.
Im Rahmen dieser Ausstellung werden erfahrene Re-ferentInnen in Vorträgen und Workshops wesentliche Aspekte des Themas beleuchten und zum Austausch einladen:• Was ist Trauma, was sind Traumafolgestörungen und wie geschieht Transformation? • Wie lässt sich mit Traumaerfahrung ein gutes Leben führen? • Wie geschieht der Wandel von der Ohnmachts- erfahrung in die Ermächtigung?• Wie gehen wir mit dem schmerzhaften Gefühl der Scham um? • Was bedeutet es für ein Kinder- und Erwachsen- enleben, sexueller Gewalt ausgesetzt (gewesen) zu sein?
Eine Fragestellung soll in der Projektwoche besondere Aufmerksamkeit bekommen:
Wie kann der uns allen zugängliche Raum der künstle-rischen Aussage und des kreativen Tuns zum Gefäß und zur Ressource werden, um überwältigende Erfahrungen verarbeiten zu können? Dafür werden Erfahrungsfelder für die Besuchenden angeboten: im schauenden Erleben der ausgestellten Bilder, im eigenen spontanen Malen in einem ruhigen Raum; im Erleben der Musik, die täglich erklingen wird; beim Besuchen eines Konzerts mit Musik und Texten zum Trauma-Thema; im Lauschen auf selbstgeschrie-bene HeldInnengeschichten, von Traumabetroffenen vorgetragen. Spirituelle Vertiefung und Veranke-rung ist im TRAFO-Projekt ein grundlegender Aspekt für die Heilung und Transformation von traumatischen Erfahrungen. Tägliche Meditation und Heilungsrituale laden ein, sich mit dem eigenen unversehrten Raum und dem Größeren zu verbinden. Aus der Perspek-tive der Erfahrung und Überzeugung, dass Trauma im menschlichen Leben als Chance verstanden werden kann, will TRAFO informieren und aufklären, Tabuzo-nen abbauen helfen, Raum schaffen für Betroffene, die Resonanz brauchen für ihr eigenes Erleben und in der Verschränkung von Trauma und Ressource einen organischen Heilungsweg aufzeigen, der von der Ohn-machtserfahrung in die Ermächtigung führt und erlebbar werden lässt: Das Leben ist stärker! Interessierte und Gäste sind herzlich willkommen zum Besuch der Ausstellung, eines Vortrags oder einer jeden Einzelver-anstaltung. Es ist auch möglich, längere Zeit im Haus an dem Prozess des TRAFO-Projekts teilzunehmen: einen Tag in seinem Ablauf erleben, ein ganzes Wochenende dabei sein oder die gesamte Projektwoche als intensive Zeit der Selbsterfahrung nutzen.
Informationen unserer Inserenten
wahre Werte
vollwertig leben
54 Zeitpunkt 121
Schurwolle Reguliert Wärme und Feuchtigkeit; Körper: lindert Rheuma, Hautkrankheiten, Ekzeme; Energetisch: wärmend, schützend, umhül-lend; Besänftigt und schenkt Geborgenheit
Baumwolle Hautfreundlich, atmungsaktiv; Körper: elek-trostatisch neutral, für Allergiker; Energe-tisch neutral
Kapok Motten- und milbensicher; Körper: antibak-teriell; Energetisch: verbindet zwischen Him-mel und Erde, inspiriert, belebt den Geist
Rosshaar Formstabil, hohe Klimaregulation, elastisch, langlebig; Körper: gut für Kreislauf, Gelenke und beim Schwitzen; Energetisch: wärmt, belebt und öffnet das Herz
Naturlatex Perfekte Anpassung an den Körper, flexibel und langlebig; Körper: Bakterienabwei-send, für Allergiker geeignet; Energetisch: erdend
Kokos Formstabil, stützend, elastisch; Körper: ent-giftend, antiseptisch, für Allergiker geeignet; Energetisch: schützend
Torffaser Reguliert Wärme und Feuchtigkeit; Kör-per: bindet und neutralisiert Gifte, aktiviert Selbstheilungskräfte, bakterienabweisend; Energetisch: schützend, umhüllend, wär-mend, erdend
Hanf Temperaturausgleichend; Körper: für All-ergiker geeignet; Energetisch: klärt, erdet und besänftigt
Seide Reguliert Wärme und Feuchtigkeit; Kaum elektrostatisch; Beruhigt, entspannt und schenkt Transformationskraft
Wer wach sein will, muss zuerst richtig schlafen
Wer es gerne billiger möchte, landet in der Regel nicht bei der besseren Qualität. Petra Märchy ist eine Ausnahme. Aber sie brauchte Geduld. Nach Abschluss ihrer Shiatsu-Ausbildung wunderte sie sich über die teuren Matten, die sie für ihren Beruf brauchte. «Das muss auch billiger gehen», sagte sie sich, nähte sich kurzerhand eine Matte nach eigenen Vorgaben und verkaufte etliche Exemplare an Kolleginnen und Kol-legen. Das war der Beginn des Wohnateliers, das sie vor 13 Jahren in Solothurn einrichte-te. Der schöne Name ist ein bisschen irre-führend, denn darin geht es vor allem ums Schlafen, genauer gesagt um Matratzen. Bei Petra kann man sich die Matratze individuell aus verschiedenen biologischen Naturmate-
rialien zusammenstellen lassen: Schurwolle, Baumwolle, Kapok (ein tropischer Baum mit flaumigen Samenständen), Rosshaar, Kokos, Naturlatex, Hanf und Torffaser. Der Clou der Sache: Die Materialien haben nicht nur unterschiedliche physische Eigenschaften, wie Temperaturausgleich oder Feuchtig-keitsspeicherung, sondern auch energe-tische (siehe Tabelle). Wer nicht auf Touren kommt, ist zum Beispiel mit einer Matratze mit hohem Rosshaar, Kapok- und Hanffa-sernanteil gut bedient. In Petras Wohnatelier kann man die verschiedenen Materialien beliebig kombinieren und beim Probeliegen austesten. Es steht auch für power-naps zur Verfügung. Eine individuell zusammenge-stellte, von Hand gefertigte Matratze (von einer Kollegin in Deutschland) ist mit einem Preis von 1090 Franken zwar nicht mehr billig, aber gemessen an der Qualität auf jeden Fall günstig. Lebensdauer: Je nach Körpergewicht und Pflege acht bis zehn Jah-re. Und wenn man sich die Zeit ausrechnet, die man im Bett verbringt, sind die Mehr-kosten gegenüber Billigprodukten gering. Da liegt sogar noch ein kleiner Ausflug in Petra Märchys Wohnatelier drin. CPKontakt: Wohnatelier, Burrisgraben 46, 4500 Solothurn, Tel. 032 641 20 11, www.wohnatelier.ch. Beratung nach Voranmeldung.
Denken Sie bei «Psychopath» an einen Wahn-sinnigen, der in einer psychiatrischen Klinik sein Dasein fristet? Denken Sie weiter! So man-cher Psychopath versteckt sich im Gewand des CEO einer transnationalen Firma, sitzt im Chefstuhl eines Unternehmens, das aus Schulden gebeutelter Entwicklungsländer Profit schlägt oder spekuliert uns an der Börse nonchalant an den Rand des Abgrunds. «Als zur Einfühlung in andere unfähig, oberflächlich charmant, anpassungsfähig, zynisch-kalt, bindungs- und skrupellos und ausschliesslich an privater Nutzenmaximierung interessiert», so beschreiben psychiatrische Diagnosemanuale den «Psychopathen». Dies seien Eigenschaften, die in der New Economy zunehmend an der Tagesordnung seien, für den Erfolg am Markt auch nötig wären, sagt Dr. Götz Eisenberg.
Der Gefängnispsychologe, Autor des Buches «Gewalt, die aus der Kälte kommt», betont: «Es gibt eine kollektive Basisstörung, die innerhalb einer Gesellschaft keinen Krankheitswert besitzt, sondern den ihr gemässen Sozialcharakter ausmacht.» Die Krankheit wird zum Normalzustand. So soll zum Bei-spiel in der 2013 erscheinenden neuen Fassung des massgebenden Diagnosemanuals der American Psychiatric Association die «narzisstische Persön-lichkeitsstörung» nicht mehr aufgeführt werden. Das Amalgam aus mangelndem Selbstbewusstsein, Su-che nach Anerkennung und Bewunderung und Man-gel an Empathie, das diesen Charakter ausmacht, ist im konsumistischen Zeitalter des Kapitalismus längst zur Norm geworden. Der Neoliberalismus habe die Menschen eisig werden lassen und ihre Innenwelt in eine Gletscherlandschaft eingefrorener Gefühle
verwandelt, sagt Eisenberg. «Sie können gar nicht anders, als diese Kälte weiterzugeben.» Schwachen oder weniger leistungsfähigen Menschen lässt die gewinn- und gewinnerorientierte Gesellschaft keinen Raum. «Du Opfer» gilt unter heutigen Jugendlichen als eine der schlimmsten Beleidigungen. Die «un-sichtbare Hand» des Marktes hat auch die Schulen im Griff: Wer dem wachsenden Leistungsdruck und Konkurrenzkampf nicht standhält, wird schnell Opfer von Vereinsamung, Mobbing und Feindseligkeiten.Die entfesselte und skrupellose Geldwelt lässt die Psychopathen prächtig gedeihen. «Der Narzisst mag heute noch tonangebend sein, die Zukunft gehört dem Psychopathen», warnt Eisenberg. Von der Ty-rannei der Ökonomie wird sich nur eine Gesellschaft befreien können, die soziale Integration, solidarische Kooperation und Gemeinschaft fördert. MK
Die Krankheit wird «normal»
Zeitpunkt 121 55
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Energie aus dem Schilfgraswald
Ein Wald aus hohen Gräsern bringt Wärme in Hoffenheims Stuben. Seit Ende März 2012 werden in der Gemeinde 26 Kilo-meter südöstlich von Heidelberg rund 700 Personen von einer Nah-Wärme-Heizan-lage mit Energie aus Schilfgras versorgt. Der Familienbetrieb BioEnergie Hoffen-heim GmbH, der das Kraftwerk betreibt, hat das Gras auf circa 30 Hektaren rund ums Dorf angebaut. Die aus Ostasien stammenden Pflanzen können Wasser und Nährstoffe besonders gut nutzen. Sie müssen nur einmal angepflanzt werden und wachsen während über 20 Jahren jedes Jahr wieder neu. 15 bis 25 Tonnen Trockenmasse können aus einem Hektar des schnellwachsenden Schilfgrases pro Jahr gewonnen und zu Bioenergie umge-wandelt werden. Die Ernte fällt fünfmal
höher aus als bei Raps, was den Anbau besonders effizient macht. Die Energie-gewinnung aus Schilfgras schont aber nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel. Die Kunden bezahlen 25% weniger als für Energie aus Erdöl oder Erdgas. Der Autor und pensionierte Fernseh-journalist Franz Alt plädiert schon lange für eine vermehrte Nutzung von Schilf-gras anstatt fossil-atomarer Rohstoffe und wünscht sich, dass das Beispiel von Hoffenheim auch bei anderen Bauern Schule macht. Hoffenheim lässt hoffen. MK
Mehr zum Thema: Franz Alt: Schilfgras statt Atom – neue Energie für eine friedliche Welt. Piper, 1992. 200 S., Fr. 15.60 / 9,90 Euro www.bioenergie-hoffenheim.de
«Pflücken erlaubt» statt «Betreten verboten» Gärten für alle in Andernach
Andernach ist eine essbare Stadt. Denn in den öffentlichen Gärten dürfen sich Bürger selbst bedienen: «Pflücken erlaubt» statt «Betreten verboten», heisst es in der Stadt am Rhein. Seit 2010 darf jeder Bürger der Stadt dort Blumen pflücken sowie Obst und Gemüse in Bio-Qualität ernten. Das Konzept stammt von der Gartenbauingenieurin Heike Boomgaarden und Lutz Kosack, Geo-Ökologe der Stadt Andernach. Erstaun-licherweise gibt es keinen Vandalismus, und es fallen auch nur noch ein Zehntel der früheren Kosten an.Bis 2010 entsprachen die öffentlichen Grünflächen dem gängigen Standard – gepflegte Rasenflächen und klassische Wechselbeete, die mehrmals im Jahr neu bepflanzt wurden. Dann der Wandel zum optischen und kulinarischen Genuss, kostenlos für die Anwohner und bezahlbar für die Stadt. Mit 50.000 Euro Budget sollte die Stadt neu erblühen. Um die Gärtnerarbeiten kümmerten sich von Beginn an nicht nur städtische Arbeiter, sondern auch Ein-Euro-Jobber, Langzeitarbeitslose und Freiwillige. Wer mitmacht, tut es gerne, denn die essbare Stadt kommt gut an und lockt Besucher an. Und Andernach gewann 2010 prompt den Preis «Unsere Stadt blüht auf». Nach der ersten zögerlichen Erntezeit ist die essbare Stadt für die Andernacher normal und dazu kehren noch seltene Arten zurück. Nach Tomaten und Bohnen sind dieses Jahr die Zwiebelgewächse dran. Bettina�Sahling
Die Autorin betreut eine bemerkenswerte Website für gute Nachrichten: www.newslichter.de
Kurzmitteilungen
56 Zeitpunkt 121
Mit Orkan Lothar wurden auch in Ruedi Mansers Leben alte Bäume entwurzelt – innen und aussen. Die Schulen, an denen er 30 Jahre Astrologie unterrichtet hatte, mussten schliessen. Existenzängste kamen auf und stürzten ihn in eine Krise. Als ihn damals der Zivil-schutz zu Aufräumarbeiten einberief, konnte Ruedi noch nicht ahnen, dass ausgerechnet der Jahrhundertsturm, seinem Leben eine neue Richtung geben würde. Im Wald habe er einfach mal angefangen auf umgestürzte Bäume zu klopfen. Für ihn, ein Schlüsselmoment. Viele Jahre sind inzwischen vergangen, in denen Ruedi an seinen Schlitztrommeln tüftelte. «Nun werden meine Instrumente langsam interessant», sagt Ruedi und schmunzelt, am Anfang hätten seine selbstge-bauten Instrumente vor allem schön ausgesehen. Diese Zeiten sind nun vorbei, wie mir der ausgereifte Klang der «Liebu-Linde» beweist. Bei diesem fast zwei Meter langen Instrument geht aber nicht nur vom Klang etwas Magisches aus. Fände man irgendwann Spuren einer
nie entdeckten Kultur, die «Liebu-Linde» wäre bestimmt dabei. Urtöne, die wir Menschen in uns trügen, nennt Ruedi die exotisch anmutenden Klänge, die er dem Kronenansatz der jungen Linde entlockt. «Die Töne hole ich aus dem Holz raus – sie sind gewachsen», verrät mir der Quereinsteiger «mit genetisch bedingtem Holzwurmcharakter». Noch nie in seiner Laufbahn als Instrumentenbauer, musste Ruedi einen Baum fällen oder fällen lassen. Meistens rufen ihn die Leute an und sagen etwa ähnliches wie: «Wir haben da einen hohlen Baum – der sieht nach Ruedi aus.» Seit drei Jahren können in Ruedi Mansers offener Werkstatt in Melchnau im Oberaargau Interessierte ihre eigene Schlitztrommel bauen. Wie auch seine Kunden, verbindet die Teilnehmer ihre starke Affinität zu Musik und Natur. Ruedi selbst, der jahrelang auf Festen Tee aus selbst kultivierten Heilkräutern ausschenkte, fasst seine Lebensaufgabe zusammen: «Kräuter, Holz und Sterne», sagt er so deutlich, dass jedes seiner Worte als Bild an einem vorbeizieht. SL
Kontakt: Ruedi Manser, Baumgartenstr. 2, 4917 Melchnau, Tel. 062 927 27 55, www.ruedimanser.ch
vollwertig leben
Verspielte Plätze
Der Mann mit den Bäumen
Bio-Zertifizierung gerät durch Grosskonzerne in MisskreditDie «New York Times» beschreibt in einer Reportage, wie die Bio-Zertifizierung von Le-bensmitteln in den USA durch den Einfluss von Grosskonzernen immer mehr zu einer Farce gerät.
Bio-Lebensmittel sind auch in den USA ein Verkaufsschlager, weshalb die grossen Lebensmittelkonzerne – darunter Coca-Cola, General Mills, Kraft und M&M Mars – in die-sem Bereich immer aktiver werden und mitt-lerweile den Markt beherrschen.
Das führte gemäss New York Times un-ter anderem auch dazu, dass ihr Einfluss im National Organic Standards Board, der natio-nalen Zertifizierungsstelle für amerikanische Bio-Lebensmittel, immer grösser wurde und immer mehr Chemikalien und Lebensmittel-zusätze als «organic» zugelassen sind. Heute dürfen bereits mehr als 250 nicht-biologische Zusatzstoffe Bio-Lebensmitteln beigemengt werden, ohne dass diese ihre Zertifizierung verlieren. Michael J. Potter, einer der letzten unabhängigen grossen Bio-Produzenten in den USA, bezeichnete der «New York Times» gegenüber die Zertifizierung durch das Natio-nal Organic Standards Board als «Betrug».Quelle: EU-Umweltbüro
Der Schein heiligtDer Mensch schreibt Produkten aus fairem Handel viele positive Eigenschaften zu, die sie gar nicht haben. Dies haben Psycho-logen um Jonathon Schuldt von der California State University in Northridge festgestellt. Z.B. hält man die Schokolade aus dem fairen Handel für kalorienärmer oder für gesünder. Mit solchen Ausreden lässt sich natürlich un-gestörter naschen! Das Phäno-men der Zuschreibung positiver Eigenschaften aufgrund eines an-deren positiven Merkmals fand bereits der Psychologe Solomon Asch heraus. Er stellte fest, dass die Menschen dazu geneigt sind, einer Person aufgrund einer gu-ten Charaktereigenschaft auch andere gute Eigenschaften zu-zuschreiben. Dieses Phänomen wird in der Psychologie Halo-Ef-fekt genannt, von engl. ‹halo› = Heiligenschein.Quelle: Süddeutsche/Connection
«Wo nichts passieren kann, passiert auch nichts», weiss Spielplatzbauer Michael Grasemann. Kopf einziehen, Füsse heben und helfende Hände ergreifen – sich in echter Erde richtig dreckig machen, statt Sandkuchen backen. Grasemann orientiert sich an den Bedürfnissen der Kinder und ahmt mitten in der Stadt ursprüngliche Lebensräume nach. «Bunt, niedlich, sauber, sicher», so die Maxime der klassischen Spielplatzgestalter, interes-siert Grasemann wenig. Auf seinen Spielplätzen sollen die Kinder selbst kreativ werden. «Bühnenbilder», wie Schiffe und Burgen, sucht man deshalb vergeblich. Der ehemalige Bau- und Möbelschreiner mag das Schräge, Unfertige und Schwierige – Herausforderungen eben. Hier ist ihm die Natur mit seinem Lieblingswerkstoff, der natürlich krumm gewachsenen Robinie entgegengekom-men, aus der er Tritte und Sprossen für Baumhäuser, aber auch Plattformen und Übergänge fertigt. Seine kleinen, schiefen Holzbauten fördern das Gleichgewicht,
während ausgebaute Schiffscontainer mit verschiedenen Ebenen und Durchgängen, den Entdeckergeist wecken. Von einem aufgeschütteten Hügel herunter locken frei-stehende Treppengeländer zur Rutschpartie, andernorts wiederum lassen originelle, handbetriebene Schwall-pumpen Wasser in grosse Sandbecken schiessen. Ob der Theologe Peter Villaume das meinte, als er Ende des 18. Jahrhunderts eingezäunte Plätze forderte, in denen Kinder vor «Pferden, Wagen und Hunden» ge-schützt sein sollten, sei dahingestellt – gefallen hätte es ihm auf jeden Fall. SL
Kontakt: Michael Grasemann, Bachstr. 18, D-01099 Dresden, Tel. +49 351 316 11 97, www.holz-spielplatz.de | www.spieltraeumer.ch
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Zeitpunkt 121 57
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58 Zeitpunkt 121
meIn herZ flIegt durch dIe schweIZ von Alex von Roll (Text & Bilder)
Zeitpunkt 121 5�
wie lernt man die Schweiz am besten kennen? Diese Frage hat verschiedene richtige Antworten, je nachdem ob man hier lebt oder von weit her zu einem kürzeren
Besuch kommt, ob man reichlich Geld hat oder viel Zeit, ob man fit ist, ganz jung oder eh schon alles zu kennen glaubt. Aber eine Antwort ist die richtigste: Sie hat zwei Räder und einen kleinen Elektromo-tor zur Unterstützung der Tretkraft. Denn das Herz der Schweiz schlägt dort, wo sie am schönsten ist, auf den Hügeln und in den Bergen, dort wo man als Autofahrer entweder nicht hinkommt oder ein schlechtes Gewissen hat, wo es den Wanderern zu weit ist und den normalen Radfahrern der Schnauf ausgeht. Dorthin trägt einen das E-Bike, zügig, aber doch so langsam und beschaulich, dass man riecht, was am Wegrand duftet und sieht, was der Horizont alles hergibt. Und das ist eine Menge.
Velo-Fundis haben ein gespaltenes Verhältnis zum e-Bike. Das sei etwas für Senioren und Warm-duscher, dachte ich selber lange Zeit, ein versteckter Betrug an der Muskelkraft als idealem Massstab der Fortbewegung. Dann zeigte eine Erhebung, dass e-Bike-Besitzer ein Mehrfaches der Kilometer zu-rücklegen als vorher mit dem normalen Rad. Gegen e-Bikes gibt es also keinen ökologischen Einwand. Und es gibt einen guten Grund dafür: die Entde-ckung der Schweiz.
Als Velofahrer hat man für die längeren Spazier-fahrten in der Umgebung seine bevorzugten Rou-ten: da ein versteckter Weg, dort eine überraschende Sicht, Naturgeräusche, Gärten, Düfte, kaum Verkehr und immer wieder ein gemütlicher Ort für eine Rast. Wie man es sich wünscht! Verlässt man aber seine ge-wohnte Umgebung, überfällt einen der Verkehr und das Vergnügen ist aus. Die offiziellen Velowege sind eine halbe Lösung. Sie bieten in erster Linie Verbin-dung von A nach B, in der Regel auf verkehrsarmen Strassen, aber sie suchen nicht die Orte, die unsere Sinne öffnen und das Herz bewegen. Dazu braucht es schon eine Herzroute.
Wer sich auf die Herzroute begibt, folgt dem Weg eines Autors, von Paul Dominik Hasler. Das ist neu. Hasler lebt drei wesentliche Qualitäten: Als Utopist – er führt seit zwanzig Jahren das Büro für Utopien – will er das Unmögliche; als Ingenieur vertritt er das Machbare, und als Poet verbindet er diese beiden scheinbar widersprüchlichen Welten. Die Geschichte der Herzroute beginnt Ende der 80er Jahre. Hasler durchquerte die USA mit dem Rad und fand, die Schweiz bräuchte eine nationale Veloroute. Doch der Schweizerische Tourismusverband hatte damals noch kein Musikgehör für sein Konzept «Ve-lotransversale», und so machte sich Hasler daran, seine eigene Route zu entwickeln. Verspielt musste
sie sein, unerwartete Entdeckungen ermöglichen, machbar für einigermassen fitte Zeitgenossen und vor allem einfach schön. Immer wieder radelte er in den Hügeln herum, und so entstand im Laufe der Jahre die Herzroute. Anfangs fehlte das Geld für eine Beschilderung und man behalf sich mit (illegalen) Bodenmarkierungen. Später, dank dem Engagement von weiteren Visionären, kamen die Schilder. Aber die Strecke war coupiert. Die schönsten Punkte der Schweiz befinden sich nun mal in höheren Lagen, und wer sie geniessen will, darf die Anstrengung nicht scheuen. Ist ja auch gut so.
Der Durchbruch kam mit Kurt Schär, Chef der Biketec AG und Hersteller des Elektrovelos «Flyer». Mit seinen Velos rückte das Vergnügen in die Reich-weite all jener, die sich nicht scheuen, ihre Muskeln einzusetzen, auch wenn sie noch keine haben. Mit andern Worten: Wer will, der kann. Die beiden grün-deten die Herzroute AG, Hasler brachte Idee und
Da ein versteckter Weg, dort eine überraschende Sicht,
Naturgeräusche, Gärten, Düfte, kaum Verkehr und immer wieder ein gemütlicher Ort für eine Rast.
Wie man es sich wünscht!
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Hier beginnt die Herzroute: Ouchy am Genfersee.
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60 Zeitpunkt 121
Planung, Schär das Geld für Velos, Akkuwechsel-stationen und die nicht zu unterschätzende Verwal-tung. Für die zur Zeit sieben Etappen und 400km Herzroute brauchte es über 2400 Seiten Bewilli-gungen von Privaten, Gemeinden und den verschie-densten Inspektoraten. Kein Pappenstiel, so eine nette Herzroute. Das erste, 2002 eröffnete Teilstück von Burgdorf nach Willisau entwickelte sich rasch zum offiziellen Geheimtipp für Genussradler. 2007 bis 2012 kamen die Abschnitte Burgdorf-Langnau-Thun-Laupen-Romont-Lausanne sowie Willisau-Zug dazu. Man kann also bereits die halbe Schweiz in ein paar Tagen auf wunderschönen Geheimpfaden durchqueren. Sechs weitere Etappen von Zug bis an den Bodensee sind geplant.
Nach einer unrepräsentativen Umfrage im Be-kanntenkreis möchte mehr als die Hälfte aller Schweizerinnen und Schweizer das Land einmal mit dem Velo durchqueren. Aber null Prozent haben es auch getan. Bei einem grösseren Sample wären es wohl ein paar Promille.
Mit der Eröffnung der Abschnitte Laupen-Romont-Lausanne im Juni bot sich mir die Gelegenheit, diesen alten Wunsch auf angenehme und erholsame Art zu verwirklichen. Warum wir – meine Partnerin und ich – uns für Lausanne als Startpunkt entschieden, weiss ich nicht mehr. Zufall war es jedoch nicht. Vielleicht stellten wir uns vor, schon am Vorabend anzureisen und die Witterung von Lausanne aufzunehmen. Dazu reichen allerdings schon ein paar Minuten. Es wird jedenfalls schnell klar, dass das Genferseegebiet eine der bevorzugten Regionen des grossen Geldes ist.
An der Vermietstation in Ouchy übernimmt man die Räder, schnallt das Gepäck auf und los geht‘s durch die für schweizerische Verhältnisse grosszü-gigen Uferpromenaden, die von Joggern, Spaziergän-gern, Touristen und Leuten mit steuerlichen Grün-den für ihre Anwesenheit bevölkert werden. Villen der obersten globalen Einkommensklasse, schicke Konzernsitze und internationale Organisationen in wunderbaren Gärten prägen das Bild. Wer sich fragt, wo und wie das viele Geld verdient wird, kann auf einer Parkbank eine erste Pause einschalten und über die gerechte Verteilung schöner Landschaften nachdenken. Auch Lutry nach fünf Kilometern ist für einen Halt eigentlich zu früh, aber obligatorisch. Das kleine Städtchen ist vollkommen intakt. Keine Bausünden, keine Sozialfälle und kein Verkehr stören das Leben, das etwas selbstzufrieden in den Gassen dahinplätschert – die erste Postkartenschweiz auf der Herzroute. Die nächste folgt bereits ein paar Minuten später auf dem schmalen Strässchen hinauf in die Rebhänge des Lavaux. Die Steigung dürfte durchaus etwas steiler sein, damit es etwas langsamer vorwärts
Zeitpunkt 121 61
ginge und man sich an dieser von Menschenhand in jahrhundertelanger Arbeit gestalteten Landschaft satt sehen könnte. Dass es dieses Wunder – seit 2007 UN-ESCO-Weltkulturerbe – überhaupt noch gibt, verdan-ken wir Franz Webers unermüdlichem Einsatz gegen die totale Automobilmachung und Überbauung. Wer hier nicht Zeit für eine Rast findet, hat auf der Herz-route nichts zu suchen. Wir entscheiden uns für das Restaurant de l‘Hôtel du Monde in Grandvaux. Die Aussicht ist derart schön, dass sich die nächsten drei Gäste in einer Reihe an den Nebentisch setzen, in die Pracht hinaus blicken und während des Essens immer wieder Laute der Bewunderung von sich geben.
Auch am schönsten Ort kann man nicht ewig bleiben; wir ziehen weiter durch die Rebhänge und Winzerdörfer, winken den Japanern im Welterbe-Touristen-Züglein zu und nähern uns der grossen Wende in Chexbres: Zuerst die Eisenbahn, dann die lärmige Autobahn, Industriebauten und der steile Aufstieg auf den Bois de Romont machen klar: Es gibt noch mehr zu entdecken. Da ist zuerst die Ak-kuwechselstation, die erste auf unserer Reise, und die funktioniert so: Man klinkt den leeren Akku aus dem Rad, betritt ein kleines Häuschen und wechselt ihn gegen einen vollen aus. Keine Kontrolle, keine Kosten, nur die Möglichkeit, sich zu verpflegen und einen letzten Blick auf den Genfersee zu werfen. Dann senkt sich der Weg in sanftem Gefälle durch die waadtländer Kornkammer nach Oron und überquert wenig später die Grenze zum Kanton Freiburg. Sie ist zwar nicht markiert, aber durchaus sichtbar: Die Häuser sind etwas unordentlicher, die Gärten weni-ger gepflegt und die Ortsbilder etwas weniger schön als in der protestantischen Waadt. Das Phänomen
bestätigt sich auf der Weiterfahrt so hartnäckig, dass sich der Schluss fast aufdrängt: Die unterschiedliche Beziehung von Katholiken und Protestanten zum Diesseits und Jenseits zeigt sich auch in der Ästhetik des Lebensraums.
Rue, nach eigener Darstellung die «kleinste Stadt Europas» ist da schon die erste bemerkens-werte Ausnahme. Am Fuss eines markanten Felsens mit einer Burg der Savoyer suchen ein paar Häuser Schutz, wir finden in der liebevoll geführten breto-nischen Creperie «Entre Terre et Mer» einen vollen Akku und fallen in eine Konversation mit einem schwarzen Priester, der kleine Papierherzen der Hochzeit des Nachmittags von der Kirchentreppe wischt. Der freundliche Mensch aus Ruanda passt damit bestens zur Herzroute. Überhaupt: Malerischen Hochzeitskirchen und -Kapellen werden wir auf der Herzroute noch zu Dutzenden begegnen. Auf diesem Weg ist der Liebe kaum zu entrinnen.
Eine knappe Stunde später grüsst der Stadthügel von Romont in der Abendsonne. Wo werden wir übernachten? Als Feinde des durchorganisierten Reisens hatten wir nichts gebucht und wollten uns überraschen lassen. Ins Hotel wollten wir nicht und das Bed&Breakfast von Alice Mechkour war mit Ja-kobspilgern voll belegt. Aber vielleicht hätte es bei Madeleine Elsner noch Platz; die würde gelegentlich Gäste aufnehmen, sagt Frau Mechkour. Aber die Türe öffnet sich nicht, als wir bei ihrer Wohnung im ersten Stock eines schönen Holzhauses klingeln. Vielleicht weiss man im Parterre mehr. Ein freundlicher äl-terer Herr erklärt uns, seine Schwester sei in den Ferien, und er verfüge nicht über ihre Gästezimmer. Wir müssen an diesem späten Abend ziemlich
Die Herzroute in einem HerzschlagDie 400 km lange «Herzroute» besteht aus sieben Teilstücken zwischen Lausanne und Zug, die einzeln, zusammen oder in beliebigen Etappen zurückgelegt werden können. E-Bikes der Marke Flyer können an rund 400 Orten in der Schweiz gemietet werden (Richtpreis Fr. 50.-/Tag, bzw. Fr. 150.–/Woche). Dazu gibt es über 600 Akkuwechselstationen im ganzen Land (siehe dazu www.veloland.ch, Stichwort «FLYER-Land»). Der 160-seitige Herzroute-Führer ist sehr schön geschrieben, enthält viele Tipps für malerische Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten und andere Überraschungen sowie ausreichendes Kartenmaterial. Wer es genauer haben möchte (und ein Smartphone besitzt), hat über die App von Schweizmobil Zugriff auf die Karten der Lan-
destopographie. Die Herzroute AG bietet ein- bis dreitägige Pauschalarrangements an, das Wander-reisebüro Baumeler eine fünftägige, geführte Tour. Ab dem Werk Huttwil organisiert der Flyer-Her-steller Biketec AG zudem verschiedene eintägige Pauschalarrangements für Gruppen.Gutschein für Zeitpunkt-Leserinnen und Le-ser: Die Herzroute AG verschenkt Gutscheine im Wert von Fr. 15.- auf die Tagesmiete eines e-Bikes für die beiden neuen Abschnitte Lausanne-Romont und Romont-Laupen. Schreiben Sie eine Karte oder eine e-Mail an die Herzroute AG und Sie erhalten einen Gutschein pro Person. AvR
Kontakt: Herzroute AG, Schwende 1, 4950 Huttwil, Tel. 062 959 55 99, [email protected], www.herzroute.ch | www.flyer.ch
Mein Herz fliegt…
Bilder linke Seite, von oben nach unten:
Lavaux: An dieser grandiosen Landschaft kann man sich fast nicht satt sehen.
Rue/FR: das angeblich kleinste Städtchen Europas wird von einer Burg der Savoyer beherrscht.
Scherligraben bei Thörishaus/BE: Durch diese Schlucht sollte man ei-gentlich auf Samtpfoten schleichen, um die Elfen und Gnomen nicht zu vertreiben
Längenberg, südlich von Bern: der grosse Überblick vom Jura bis in die Alpen.
(Alle Fotos wurden unmittelbar auf oder von der Herzroute aus aufge-nommen.)
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herzerweichend gewirkt haben. Auf alle Fälle macht der gütige Herr, ein pensionierter Pfarrer, eine Aus-nahme und beherbergt uns in der Wohnung seiner Schwester. In der Grand Rue von Romont essen wir zu Abend. Am Nebentisch sitzt eine bunte Gruppe, kalauert, singt und wir machen uns Gedanken über das etwas einfache, aber sehr gemeinsinnige Wesen der Freiburger. Witze haben sie zweifellos verdient, aber nicht so viele.
Auf einem sanften, 800 Meter hohen Hügelzug mit wunderbarem Blick auf die Freiburger Alpen zur Rechten und den Jura zur Linken geht es am nächsten Tag weiter. «Das Velofahren gleicht einem Gleitschirmflug», schreibt Paul Dominik Hasler im liebevoll geschriebenen offiziellen Herzroute-Führer über diesen Abschnitt. Das stimmt an diesem Tag mit kräftigem Westwind ganz besonders. Und wie in der Luft ist man auf diesem Weg ganz allein mit sich und der Schweiz. Dabei war dieses Gebiet einmal die am dichtesten besiedelte Region des Landes, wie sich wenig später in Avenches zeigt. Dank der Herzroute, die durch das weit draussen vor dem Städtchen lie-gende römische Stadttor führt, erfahre ich erstmals die enormen Dimensionen der antiken Hauptstadt Helve-tiens mit damals rund 20 000 Einwohnern. Automobile Besucher von Avenches beschränken sich in der Regel auf das imposante Amphitheater am mittelalterlichen Stadtkern und verzichten auf die kleine Wanderung zu den Überresten des römischen Mauerrings.
Noch vor Avenches geraten wir allerdings in der freiburgischen Pampa in ein kleines Country-Festival. Es ist eine der Aktivitäten, mit denen der ehemalige Lehrer Tinu Rihs Leute auf seinen Bauernhof «Bel-mont Fruits» in Montagny bringt. Stämmige Menschen unter breiten Cowboy-Hüten schlagen an einem üp-pigen Buffet zu und lauschen der Musik aus einem fernen Westen, der heute irgendwie ganz nah scheint. Trotz des Trubels findet Tinu noch ein bisschen Zeit, uns sein Geschäftsmodell zu erklären. «Ich bin ein
schlechter Bauer, deshalb muss ich ein guter Verkäu-fer sein», gibt er freimütig zu. So schlecht macht er es mit seinen drei Produktionszweigen Obst, Geflügel und Wollschweine allerdings nicht. Um eine bessere Marge zu erreichen, verkauft er den grössten Teil seiner 600 Tonnen Obst direkt. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen. Die Wollschweine, die rund dreimal so viel Zeit wie normale Schweine zur Schlachtreife brauchen, sind echter slow Food. Und sie passen bestens zu seiner Geflügelfarm. Weil die Hühner nach einem Jahr nur noch Eier mit brüchiger Schale legen, müssen sie geschlachtet werden. Als zwei bedeutende Schlachtbetriebe vor kurzem für die Verwertung alter Hühner erhebliche Kosten be-rechneten, beschloss Tinu Rihs, die Sache selber an die Hand zu nehmen und entwickelte eine Dauer-wurst aus dem fettarmen Geflügelfleisch und dem fettreichen Wollschwein. Das Produkt schmeckt gut
und ist trotz seines stolzen Kilopreises von über Fr. 50.– offenbar ein Renner. Auch für das Obst, das gebrannt werden muss und wegen der starken ausländischen Konkurrenz kein wirkliches Geschäft mehr ist, hatte Tinu Rihs eine Idee: Er grub ein altes lokales Rezept «pomme à l’orange» aus (90 Prozent Apfel- und 10 Prozent Birnenschnaps, eingelegt in Orangenschalen) und verkauft das liqueur-artige Pro-dukt als Spezialität an exklusive Geschäfte.
Auf der Herzroute begegnet man Hunderten von innovativen Bauern und Bäuerinnen, die wie Tinu
So mitten in der Schweiz ist man nur an wenigen Orten. Das lohnt
den Aufstieg allemal, der auch mit dem e-Bike nicht ganz ohne ist. Innehalten, durchatmen und
die Verbreitung des Glücks im Körper zulassen.
Du musst nur langsam genug gehen, um immer in der Sonne zu bleiben.
(Der kleine Prinz)Antoine de Saint-Exupéry
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Rihs mit Hofläden und anderen Angeboten (z.B «Schlaf im Fass») dem Globalisierungsdruck Stand halten, und man bedauert es, als Velotourist nicht überall einkaufen und diesen Einsatz anerkennen zu können.
Murten ist das nächste Kleinod auf der Routemit obligatorischem, ausgedehntem Halt. Aber weil dies jedermann kennt, wenden wir uns Fritz und Frieda Rentsch zu, die hoch über Städtchen und See Schlaf im Stroh anbieten. Wem das Stroh nicht die Nase zum Jucken bringt, wird diese rustikale und günstige Übernachtungsmöglichkeit gerade auf Radtouren schätzen. Mehr als die Hälfte der 40 000 Übernachtungen in Schweizer Stroh entfällt auf den Langsamtourismus. Wir haben Glück, ausser einer Kleinfamilie ist niemand da, und am Abend haben die Rentschs Zeit, mit uns auf der Bank vor dem Haus zu sitzen, in den Sternenhimmel zu schauen und über Gott, die Welt und Bauernhoftourismus zu reden. Fritz ist nämlich Vizepräsident des Vereins Schlaf im Stroh mit schweizweit 160 Anbietern und bestens informiert. Vor rund zwanzig Jahren, als di-ese günstigste Übernachtungsform ausgehend vom Jura im Schweizer Tourismus populär wurde, waren es rund 300 Bauernbetriebe, die Gäste im Stroh über-nachten liessen. Aber dann setzte sich die Erkenntnis durch, dass es doch etwas mehr braucht als einen Heustock und ein Plumpsklo. Den steigenden Anfor-derungen wollten und konnten nicht alle genügen. Und: Fritz und vor allem Frieda könnten nicht rund 1000 Gäste pro Saison beherbergen, wenn nicht Sohn und Schwiegertochter die Landwirtschaft führten. Bäuerliche Gastfreundschaft ist unkompliziert und grosszügig. Das zeigte sich auch am nächsten Morgen beim Frühstück in der grossen Bauernküche. In kei-nem Hotel und in keinem B&B war das Frühstück so üppig wie bei den Rentschs. Ob es daran lag, dass sie als einzige wussten, dass ich als Journalist unterwegs war, wollen wir mal offen lassen.
Auch wer die Schweiz gut zu kennen glaubt, macht auf der Herzroute noch echte Entde-ckungen. So ein Fall ist das Schloss Münchenwiler in einer bernischen Enklave oberhalb Murten. Die ehemals eindrückliche Klosteranlage war eines von 25 Prioraten in der Schweiz, die direkt dem mäch-tigen Kloster Cluny unterstellt waren. Mit den Bur-gunderkriegen wurde Münchenwiler bernisch und mit der Reformation 1528 als Kloster aufgehoben. Das grosse Anwesen wurde privatisiert und blieb im Besitz bernischer Patrizierfamilien, bis es 1932 zwangsversteigert und um ein Haar in eine Kon-servenfabrik umgewandelt wurde. Auf Initiative des markanten Arbeiterführers Robert Grimm, damals bernischer Baudirektor, kaufte der Kanton Bern 1943 das Schloss, um es als Ausbildungsstätte für die Ju-gend zu erhalten. Vielleicht ist das der Grund, warum der in den 90er Jahren gekonnt zum Tagungszentrum ausgebaute Ort noch heute vergleichsweise vernünf-tige Preise hat.
An dem prächtigen Julitag unseres Besuchs herrscht wenig Betrieb, das Essen ist vorzüglich, in der Pri-oratskirche entdeckt man Backsteine der römischen Stadtmauer von Avenches und der wunderbare Garten verzögert die Weiterfahrt um eine gute Stunde. Ein Segen, dass solche Orte öffentlich zugänglich sind.
Die schönen Bilder klingen nach und machen ver-gessen, dass die Herzroute das Herz nicht überall gleich hoch schlagen lässt, besonders auf dem Ab-schnitt nach Laupen nicht, wo der Siedlungsdruck des Mittellandes und der Agglomeration von Fribourg deutlich spürbar ist. Die Hüsli-Schweiz mit ihrer wilden Mischung aus kanadischen Blockhäusern, Haus&Herd-Architektur, Schwedenhäusern und hell-grauem Einerlei ist vielleicht soziologisch interessant, aber keine Augenweide.
In Laupen, wieder eine Perle von Städtchen, be-kommen wir die erste und einzige Kritik an der Herzroute zu hören: In der Akkuwechselstation des üppigen Gasthofs Bären retourniert ein Pärchen
Bilder oben, von links nach rechts:
Lavaux: An dieser gesegneten Region kann man sich fast nicht satt sehen.
Schloss Münchenwiler in einer bernischen Enklave bei Murten: Das ehemalige cluniazensische Kloster und Sitz bernischer Patrizier gehört heute dem Kanton Bern und wird als Tagungszentrum betrieben.
Schlafen im Stroh: Die Familie Rentsch auf dem Heustock mit über tausend Übernachtungen pro Jahr.
Zwischen Oron-la-ville und Romont/FR: fliegen durch das Mittelland, mit Blick in die Freiburger Alpen.
Wollschweine auf dem Hof Bel-mont Fruits in Montagny-la-Ville/FR: einer von hunderten von Hofläden an der Herzroute.
Durch die Felder, durch die Auen: Rund ein Fünftel der Weg-strecke führt über Naturstrassen.
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in Rennmontur seine e-Bikes, die es in Thun gemietet hat und beklagt sich über schlechte Signalisation. Die beiden sind wohl zu schnell gefahren und haben die omnipräsenten roten Wegweiser nicht beachtet. Es stimmt: Die schnellen Flitzer können zu einem Tempo verleiten, bei dem man am Wichtigsten vor-beirauscht, nicht nur an Wegweisern, auch Blumen, Gärten und grüssenden Menschen.
Zwischen Laupen und Thun offenbart sich eine der grossen Stärken der Herzroute, ihre wun-dervolle Linienführung zwischen Voralpen und Mit-telland. Klassisches, aber bei weitem nicht einziges Beispiel ist der Längenberg südlich von Bern. Als leichtes Wandergebiet ist er vor allem bei Stadtber-nern beliebt. Aber die übrigen Schweizer kennen den Längenberg bestenfalls, weil dort, genauer gesagt in Zimmerwald, 1915 an einem geheimen Treffen mit Lenin, Trotzky und führenden europäischen Sozia-listen Weltgeschichte geschrieben wurde. Organisa-tor war derselbe Robert Grimm, dem wir schon in Münchenwiler begegnet sind.
Der 1031 Meter hohe, sanfte Längenberg ist des-halb eine Veloquerung wert, weil man von ihm einen einzigartigen, immer wechselnden Blick auf die Gantrisch-Kette, ins Mittelland, auf den Jura, ins Emmental und auf den Thunersee hat. So mitten in der Schweiz ist man nur an wenigen Orten. Das lohnt den Aufstieg allemal, der auch mit dem e-Bike nicht ganz ohne ist. Innehalten, durchatmen und die Verbreitung des Glücks im Körper zulassen.
Auf der Abfahrt nach Thun zwingt uns Paul Domi-nik Hasler glücklicherweise wieder auf einen seiner vielen Umwege und eröffnet uns wieder eine Schweiz für sich. Zum einen fällt auf, wie herausgeputzt die Häuschen, Chalets und eher kleinen Bauernhöfe sind. Am Ende der Reise werde ich wissen: Nirgendwo in der Schweiz gibt es mehr Geranien und wird samstags fleissiger gekehrt als im Gebiet zwischen Thun und Gantrisch-Kette. Es ist auch eine Region, die man wegen ihrer vielen Freikirchen als bible belt der Schweiz bezeichnen könnte. Aber in die Herzen und in die Gebetsstuben kann man auch auf der Herzroute nicht sehen. Dafür kann man sich an die idyllischen Moränenseen legen und der Zeit zuschauen, wie sie fast still steht. Sie sind so schön, dass der Amsoldinger See «Privatbesitzung» wurde – Reichtum schützt nicht vor schlechtem Deutsch – mit verbotenem Zutritt, ironischerweise «auf eigene Gefahr». Im benachbarten Uebeschisee darf man im-merhin baden, aber nur als Einwohner von Uebeschi. Lernen Sie also ein bisschen berndeutsch, bevor Sie ins Wasser steigen.
Uneingeschränkt kann man sich dagegen in die Ge-schichte der bemerkenswerten romanischen Kirchen
versenken, von denen es im Thunerseegebiet eine erstaunliche Zahl gibt. Da ist einerseits die Kirche des ehemaligen Cluniazenserklosters von Rüeggis-berg, einen kurzen und lohnenden Abstecher von der Herzroute entfernt. Und das ist vor allem die 1228 erstmals erwähnte Kirche von Amsoldingen. Sie ist eine der zwölf tausendjährigen Kirchen, die der sagenumwobene König Rudolf II. von Burgund nach einem Traum an Kraftplätzen rund um den Thunersee bauen liess.
Wenn man dann aus dieser Idylle nach Thun hi-nunter gelangt, kommt einem die Stadt mit ihren 43’000 Einwohnern wie eine mittlere Mega-City vor. Erstaunlich, wie schnell man sich in der Herzrouten-Schweiz zuhause fühlt.
Die Route führt zwar noch weiter nach Burgdorf, Willisau und Zug. Aber weil mir die Redaktion nur sechs Seiten zur Verfügung stellen wollte, ist jetzt vorläufig Schluss. Die Zeitpunkt-Leute sollten mal ihr Konzept ein bisschen auffrischen, damit man eine anständige Geschichte erzählen kann. Wie sie weitergeht, das erfahren Sie im nächsten Frühling. Warten Sie aber nicht so lange, selber auf die Herz-route zu gehen. Für mich war die Tour von Lausanne nach Rapperswil die schönste Schweizerreise, die ich je unternommen habe. Und ich wünsche mir viele weitere geheime Wege ins Herz der Schweiz, ins Herz der Menschen und damit auch mein eigenes.
Der Uebeschisee am Fuss des Stockhorns: baden erlaubt, aber nur für Einheimische.
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passfahrten – eine Hassliebe
Warum tut man sich das an? Diese Frage stellt sich jedes Mal im Kampf mit dem Berg. Die Antwort gibt es nicht umsonst. von Michael Huber
die Strasse war steil, der Asphalt von Schlaglöchern zerfressen; die Berg-hänge wirkten unter der dicken Wol-kendecke bedrohlich – als wollten sie mich vom Aufstieg abbringen. Rad und
Gepäck, zusammen über dreissig Kilo schwer, zo-gen mich in die Tiefe. Auf meiner Haut mischten sich Regentropfen mit Schweissperlen, meine Beine waren übersäuert; seit dem Talboden quälten mich Rücken- und Nackenschmerzen. Warum um alles in der Welt tat ich mir das an?
Ich war freiwillig dort. Mit zwei Freunden fuhr ich den Llogora hoch, einen albanischen Pass, der direkt vom Meer auf 1027 Meter führt. Von Frühling bis Herbst 2011 fuhren wir per Velo durch Europa (siehe ZP 116) und überquerten viele Gebirge – der Llogora war meine Zerreissprobe. Ich fand keinen Rhythmus und war froh, als eine erste Anhöhe in Sichtweite kam. Für die letzten Meter stieg ich aus dem Sattel, die Belohnung bereits im Kopf. Ein böser Irrtum: Auf dem flachen Abschnitt schlug mir ein bissiger Wind entgegen. Ich begann zu hadern, und wie es so ist im Leben, stellte ich mir die Sinnfrage genau dann, als keine Antwort in Sicht war. Warum? Für den Gegenwind und die Schmerzen bin ich je-denfalls nicht aufs Fahrrad gestiegen. Ich brauchte eine Pause.
Knapp ein Jahr nach dem Kampf am Llogora sitze ich mit einem «Leidensgenossen» in dessen wind-stiller und ebenerdiger Stube im Berner Aaretal: Res Grossniklaus ist 55-jährig, hat mehr als fünfzig Pässe in den Beinen – manche davon mehrmals – und wirkt noch kein bisschen müde. Gemeinsam versuchen wir, unserer merkwürdigen Leidenschaft auf die Spur zu kommen. «Warum fährst du über Pässe?», frage ich auch ihn, erhalte aber keine zufriedenstellende Ant-wort: «Eigentlich weiss ich das gar nicht.»
Res‘ Lieblingspass ist der Albula in Graubünden, 2135 m.ü M., 31 Kilometer lang mit 1464 Höhenme-tern Steigung. In der Theorie klingt das nicht nach Genuss, in Res‘ Erinnerung schon: «Du fährst durch hübsche Matten und über stille Alpen, die lauten Motoren sind anderswo; hier eine Kurve neben einem Bächlein, da drei durch den Wald, und bevor du dich versiehst, stehst du oben.» Jetzt kommt er ins Schwärmen. «Auf dem Fahrrad hast du genau die richtige Geschwindigkeit, du kommst vorwärts, und hast trotzdem Zeit genug, die unbekannten Land-schaften zu entdecken.»
Wie es so ist im Leben, stellte ich mir die Sinnfrage genau dann, als keine Antwort in Sicht war.
Wir starteten bei Null – Aufstieg vom Meer zum Rachi Tymfristou, Pass in Mittelgriechenland
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Auch ich kenne die Pässe, wo man oben ist, bevor die Waden brennen, wo man alles vergisst und wo der Aufstieg zur Meditation wird. Dort zählt allein die regelmässige Umdrehung der Pedale, Meter um Meter, Kurve um Kurve. Im Gespräch mit Res fin-de ich zwei Motive für das Passfahren: die Aussicht und die Schönheit der Bewegung. Wiegen sie die Strapazen auf?
Die Aussicht könnte ich auch im Postauto ge-niessen. Die Bewegung wäre im Flachland dieselbe. Dazu hätte ich den Llogora in Albanien nicht in An-griff nehmen müssen. Nach meiner kurzen Pause la-gen die steilsten Serpentinen noch vor mir. Selbst im kleinsten Gang musste ich mit voller Kraft in die Pe-dale treten, um nicht zurückzurollen. Meine Freunde hatten mich abgehängt, ich kämpfte alleine. Innerlich verfluchte ich alles, was den Weg erschwerte: die albanischen Strassenbauer, meine Schmerzen, das Gepäck und überhaupt: die unsinnige Idee, mit dem Rad einen Pass hinaufzuklettern. Der Berg vor mir schien in die Höhe zu wachsen und mit ihm der Berg in meinem Kopf. Auf einmal ging es um mehr als den Pass, um die Zweifel der Vergangenheit, um das Glück der Zukunft, und was ich mir im Irrsinn sonst noch hinzudichtete. Aber selbst wenn oben niemand gewartet hätte, wäre ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr umgekehrt: Zu lange hatte ich gekämpft, um jetzt noch aufzugeben.
«Mit Schmerzen sind Passfahrten grauenhaft», sagt Res Grossniklaus. Es lohnt sich, vor dem er-sten Pass zu trainieren und ein fahrtüchtiges Rad anzuschaffen. Trotzdem sind Passfahrten nicht nur für gestählte Athleten interessant. Wer seine Dreis-siger überschritten hat, ist lange nicht zu alt: Res zum Beispiel hatte seine Feuertaufe erst im Alter von vierzig Jahren. Und wer den Sommer verpasst hat, kann die ersehnte Passfahrt auch im Herbst nachholen – ganz ohne Motorenlärm: Der Verein FreiPass organisiert autofreie Samstage und Sonntage an verschiedenen Pässen. Dann wird die Passfahrt zum Volksfest, geeignet auch für Neueinsteiger und Familien. Nie muss man alleine fahren und für den Notfall stehen am Strassenrand Sanitätsposten und Radmechaniker bereit.
Wer in Gruppen radelt, sollte allerdings eines be-herzigen: Jeder hat seinen eigenen Rhythmus, und wenn er nicht respektiert wird, lauern die Schmerzen und Sinnfragen hinter jeder Biegung. Res fährt in Gruppen schneller, weil er als erstes auf der Passhöhe sein will. «Alleine hingegen kannst du auch langsam fahren, da gratuliert dir oben ohnehin keiner.»
In Albanien half mir alle Langsamkeit nichts, die Schmerzen waren zu stark. Die letzten Kurven durch ein regengrünes Naturschutzgebiet bekam ich kaum mehr mit. Doch auf einmal standen meine Freunde am Strassenrand. «Bin ich oben?», fragte ich erschöpft. «Ja, du bist!»
Ich zog mein verschwitztes T-Shirt aus und streifte meine Sorgen ab. Hundert Meter weiter schlug das Wetter um – den Regen hatten wir auf der Passhö-he zurückgelassen. Die Sonne schien auf das Meer, das von oben betrachtet fast noch schöner aussah – blau, grün, türkis – wie ein Ölgemälde. Plötzlich fielen all die Schmerzen von mir ab, aufgehoben von der Schwerelosigkeit der Abfahrt. So hoch erschien der Berg in Albanien gar nicht mehr und der Berg in meinem Kopf flog mit dem Fahrtwind davon. Ich hatte mein halbes Welt- und Selbstbild niedergeris-sen, nur um es auf der Passhöhe, leicht moduliert, wieder zu hissen.
Im Rückblick wird die Passfahrt zur lehrreichen Grenzerfahrung und ich erkenne, dass neben der Aussicht und der Bewegung auch die Herausforde-rung ein Grund ist, weshalb ich mir das antue. Und der innere Lohn: das Gefühl, den Berg mit eigener Muskelkraft bezwungen zu haben. Bereits auf den ersten Metern sehne ich mich jeweils nach dem Ziel, der Passhöhe. Ich fahre hinauf, um oben zu stehen. Aber könnte ich mein Rad in eine Zahnradbahn ver-laden, würde die Passhöhe ihren Reiz verlieren. Ohne Weg wäre das Ziel sinnlos, und umgekehrt.
Freipass geniessen Velofahrer auf den folgenden Pässen:• Stelvio: 1. Sept. 2012• Albula: 2. Sept. 2012• Klausen: 22. Stept. 2012• Sella Ronda (Dolomitenrundfahrt über vier Pässe): 23. Sept. 2012Weitere Infos: www.freipass.ch
Die Abfahrt am Transfagaras‚anul.
Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen so innig verbunden, wie beim Fahrrad.
Adam Opel
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70 Zeitpunkt 121
frankOskOpEnde einer Epoche und Anzeichen für eine kommende von Ernst Schmitter
Gewisse Wörter könnten einen das Fürchten lehren. Ein Buchtitel, ein Vers, ein Name schafft einzig durch seinen Klang Unbehagen. Die neueste Ausgabe (Nummer 12) der französischen Zeitschrift «Entropia» ist einem solchen unheimlich klingenden Begriff gewidmet: dem Anthropozän. So heisst die zweihundertjährige Epoche, in der die Verbrennung fossiler Brennstoffe einen beispiellosen wirtschaft-lichen Aufschwung ermöglichte, mit katastrophalen Auswirkungen auf die Biosphäre. Die Autorinnen und Autoren der erwähnten «Entropia»-Nummer suchen die Frage zu beantworten, wie wir möglichst rasch den Ausgang aus dem Anthropozän schaffen. Der Ingenieur Philippe Bihouix zum Beispiel (vgl. Zeit-punkt 113) ist ein Kenner der Rohstoffproblematik. Die Knappheit der Rohstoffe – so Bihouix – wird uns rasch grosse Bescheidenheit lehren. Auf Gross-projekte – auch auf grüne! – werden wir verzichten müssen. Selbst für den Rückbau der bestehenden Atomkraftwerke werden wir nicht mehr genügend billige Rohstoffe und Energie haben. Wir werden die AKW einfach stehen lassen und zu Tabuzonen machen müssen. Wir werden uns vom energiefres-senden Stadtleben verabschieden und unser Leben drastisch verlangsamen. Tschüss TGV, Rolltreppen, Grossindustrie! Je schneller wir uns für ein einfaches, aber gutes Leben entscheiden, desto weniger kompli-ziert wird der Ausgang aus dem Anthropozän.
* * *
Sich für ein einfaches, aber gutes Leben ent-scheiden – das ist leichter gesagt als getan! Aber wie sieht das konkret aus? In den vergangenen Wochen haben mir zahlreiche Zufälle zu Teilant-worten auf diese Frage verholfen. Eine besonders schöne stammt vom 78-jährigen belgischen Autor Ra-oul Vaneigem. Er wurde von griechischen Freunden gebeten, mit ihnen an öffentlichen Diskussionen in Griechenland teilzunehmen und sie in ihrem Kampf gegen die Diktate von IWF und EU zu unterstützen. Statt an einer Debatte teilzunehmen, schrieb er ein kleines Büchlein für sie, «L’Etat n’est plus rien, so-yons tout» (Der Staat ist nichts mehr, wir müssen selbst alles sein, éd. Rue des Cascades, Paris). Darin
gibt er seiner nicht nur griechischen Leserschaft ei-nige Ratschläge: Da der Staat seine Glaubwürdigkeit eingebüsst hat und Banken rettet statt Menschen, müssen wir selbstverwaltete lokale Gemeinschaften an seine Stelle setzen, die basisdemokratisch über alles entscheiden, was das Leben ihrer Mitglieder betrifft. Und da das Geld offenbar unerwartet plötz-lich aus unserem Leben verschwinden kann, müssen wir unsere Beziehungen auf eine andere Basis als diejenige des durch Geld vermittelten Warentauschs stellen. Die lokalen Gemeinschaften werden immer mehr dafür zu sorgen haben, dass unser Leben den Regeln des Kaufens und Verkaufens entzogen wird. Praktisch gelebte Solidarität, frei von jeder Buchhal-termentalität, hat Zukunft.
* * *
Was kann einer, der kein Geld hat, heute in einer immer noch vom Geld regierten Gesellschaft tun? Die Communauté Emmaüs Lescar-Pau in den französischen Pyrenäen gibt darauf ihre eigene Ant-wort. Leute, die gar nichts haben, kein Geld, keine Bildung, keine Ausbildung, keine Freundinnen und Freunde, werden bei ihr aufgenommen. Dort müssen sie keine Rolle spielen und können geben, wozu sie fähig sind. Sie können auf dem Bauernhof arbeiten oder in der grossen Altstoff-Verwertungsanlage, im Öko-Hausbau, im Brockenhaus oder in einer der vie-len Werkstätten. Jedes Jahr findet in der Communauté ein Musikfestival statt. Damit kombiniert ist eine Reihe von Vorträgen. Im Sommer 2012 hiess die Veranstal-tung «Forum mondial de la pauvreté» (Weltarmutsfo-rum) und stand unter dem Ehrenpatronat von Jean Ziegler. So wird in Lescar bei Pau der Ausgang aus dem Anthropozän vorbereitet. http://tinyurl.com/lescarpau
* * *Der friedlich klingende Name steht für einen schwierigen Kampf: Notre-Dame-des-Landes. Seit langem ist dort, in einem fruchtbaren Landwirt-schaftsgebiet Westfrankreichs, ein Grossflughafen geplant. Einer seiner wichtigsten Befürworter ist der ehemalige Bürgermeister von Nantes, heute Frank-reichs Premierminister, Jean-Marc Ayrault. Die Geg-nerschaft ist unermüdlich, hartnäckig und mutig. Im
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Juli 2012 fand in Notre-Dame-des-Landes das zweite «Forum contre les grands projets inutiles imposés» (gegen nutzlose aufgezwungene Grossprojekte) statt. Ein gutes Beispiel für die manchmal zwingende Not-wendigkeit, sich gegen etwas zu engagieren statt für etwas. Auch dieses Forum war kombiniert mit einem Musikfestival. http://tinyurl.com/grossprojekt
* * *
Ein positives Engagement wäre auch im fol-genden Fall sinnlos gewesen. Das jurassische Dorf Vendlincourt, nahe der französischen Grenze, liegt in einer lieblichen Landschaft, einem Paradies für Wanderer, Velofahrer und Naturfreunde. Ein gut be-tuchter Autofan wollte dort eine 2,7 km lange und 13 m breite Rundstrecke bauen. Die Gegner des Projekts hatten die lokalen und kantonalen Behörden gegen sich. Erst das Bundesgericht hat ihnen Recht gegeben. Wären sie nicht stur den Weg durch alle Instanzen hindurch gegangen, würden in Vendlincourt schon bald Autorennen gefahren. Mit ihrer «Zwängerei» ha-ben sie ohne Zweifel einen Beitrag zur Beendigung des Anthropozäns geleistet.
* * *
Ungehorsam kann man lernen. In Frankreich, wo Bürgerinnen und Bürger weniger Möglichkeiten zur Mitbestimmung haben als bei uns, wird diese Erkenntnis immer populärer. Und bei Beschlüssen der EU-Kommission, gegen die auf demokratischem Weg kein Widerstand möglich ist, wird Ungehorsam manchmal zur Pflicht. Im Zeitpunkt 117 habe ich vom «Forum de la désobéissance» in Grigny bei Lyon berichtet. Die Veranstaltung war so erfolgreich, dass am 29. September 2012 eine zweite Auflage folgt. Das Forum ist für alle zugänglich, eine Anmeldung ist nicht nötig.
* * *
Was stellt man sich unter einer lebendigen Berner Tradition vor? Hornussen? Zibelemärit? Was noch? Die Frage darf im Frankoskop gestellt werden, hat der Kanton Bern doch einen französisch-sprachigen Kantonsteil. Kaum zu glauben! Auf der Website der bernischen Erziehungsdirektion findet sich auf der Liste der lebendigen Traditionen des Kantons Bern der Anarchismus. Erklärungen dazu gibt es auf www.erz.be.ch/lebendigetraditionen. In St. Imier wurde 1872 als Antwort auf die Internatio-nale von Karl Marx die Antiautoritäre Internationale gegründet. Zum 140. Geburtstag dieser Gründung hat vom 8. bis zum 12. August 2012 im gleichen Städt-chen ein grosses Anarchismustreffen stattgefunden. Im Augenblick, wo ich diesen Text schreibe (Ende Juli), kenne ich nur das provisorische Programm. Ein Überblick über die ungefähr 40 Vorträge und Work-shops zeigt, dass in St. Imier möglicherweise viel Arbeit zum Thema «Ausgang aus dem Anthropozän» geleistet wurde. www.anarchisme2012.ch
* * *
Wie heisst die Occupy-Bewegung in Frankreich? Es sind die Indignés, die Empörten. Die Bewegung ist einige Wochen älter als «Occupy Wall Street» und hat sich im Mai 2011 von Spanien aus nach Frankreich ausgebreitet. Den Namen hat sie sich in Stéphane Hessels Schrift «Indignez-vous» (siehe Zeitpunkt 111) geholt. Heute gibt es in Frankreich eine Dreimo-natszeitschrift, die der Bewegung gewidmet ist. Sie heisst «Les Zindigné(e)s». Die neueste Nummer enthält ein Interview mit dem unermüdlichen Jean Ziegler. Zieglers letzter Satz lautet: «Ich bin zuversichtlich: Der Aufstand des Bewusstseins in Europa ist nahe Zukunft.» www.les-indignes-revue.fr
Frankoskop
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kaIser & schmarrn
österreIch lebt über seIne pOlItIschen VerhältnIsse von Billo Heinzpeter Studer
sagte ich letztes Mal zum Schluss. Tatsächlich werden die Parteien hier mit mehr Steuergeldern als sonstwo in Europa subventioniert: rund 30 Euro pro Einwohneren* und Jahr, einer der höchsten Werte weltweit. Hinzu kommen meist sehr undurchsichtige Zuwendungen von Firmen und interessierten Kreisen in mindestens ähnlicher Höhe sowie Abgaben der sehr fürstlich bezahlten Abgeordneten, Mandatare und Parteisekretäre, et cetera.
Die öffentliche Hand gibt freilich blind. Rote (So-zialdemokratische Partei SPÖ) und Schwarze (Volks-partei ÖVP), in fast allen Fragen verfeindet, aber nur gemeinsam mehrheitsfähig, leiten seit Jahrzehnten hohe Staatsbeiträge in ihre Parteikassen, unkontrol-liert – denn der Staat sind ja sie selbst. In Sümpfen solcher Art gedeiht Korruption. Die undurchsichtigen Verschiebungen von staatlichen Millionen in private Taschen rund um den ehemaligen schwarz-blauen Finanzminister Grasser unter dem Privatisierungs-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP, 2000–2007) sind nur ein besonders krasses Beispiel. Und wie immer in Österreich «gilt die Unschuldsvermutung», derweil ein staunendes, aber duldendes Publikum (und eine an Weisungen der Regierung gebundene Justiz) zusieht, wie ein krimineller Politiker dem an-dern dessen Kriminalität vorwirft und doch nichts passiert.
Anfang dieses Jahres kritisierte der Europarat Österreichs intransparente Parteienfinanzie-rung und die Abwesenheit einer wirksamen Kor-ruptionsbekämpfung. Diese Kritik, der wachsende Unmut einer von Krisensparprogrammen geplagten Bevölkerung und die bevorstehenden Wahlen 2013 zwangen die rot-schwarze Bundesregierung zum Han-deln. Sie entwarf ein Transparenzgesetz und suchte einen dritten Partner, um es mit der erforderlichen Zweidrittelsmehrheit durchs Parlament zu peitschen. Grüne, Blaue (Hardliner-FPÖ unter H. C. Strache) und Orange (Haiders moderatere FPÖ-Abspaltung Bündnis Zukunft BZÖ) verlangten Gegengeschäfte, mit den (in Österreich traditionell schwächelnden) Grünen kam die Koalition ins Geschäft. Das Trans-
parenzgesetz wird selbst von unabhängigen Kritikern gelobt, aber es hat seinen Preis: eine noch höhere staatliche Parteienförderung – ein Eingeständnis, dass das Gesetz dem Sumpf abträglich sein wird…Die Kritik des Europarats gab jenen Auftrieb, die teils schon länger an unterschiedlichen Projekten arbeiten, um Österreichs politisches System zu re-formieren: Altpolitiker aller Couleurs, aber auch ein in Kanada zum Milliardär gewordener steirischer In-dustrieller mit Steuerdomizil in Zug, der sich noch im Alter von achtzig Jahren mit einer eigenen Partei in die nächsten Bundeswahlen einmischen will. Sie alle – und inzwischen auch die Parteien – reden von mehr direkter Demokratie, zitieren gern das Schweizer Beispiel, bieten aber Modelle feil, die bei genauerer Kenntnis helvetischer Erfahrungen wohl etwas anders ausfielen.
In Österreich sind Volksbegehren, für die innert ei-ner Woche hunderttausend Unterschriften gesammelt werden müssen, nicht mehr als eine Anregung ans Parlament; es kann sie zum Anlass von Beschlüssen
nehmen – oder auch nicht. Bisherige Volksinitiativen waren Sysiphusarbeit für den Papierkorb. Diesen ob-rigkeitlichen Geist atmen selbst die alternativen Ent-würfe in Österreich. Unter drei-, vierhunderttausend Unterschriften wollen sie’s nicht wagen, Volksab-stimmungen über Volksbegehren zwingend vorzu-schreiben. Und anders als in der Schweiz, wo Unter-schriften auf der Strasse und postalisch gesammelt werden können, soll es in der einstigen Monarchie so bleiben, dass aufs Amt muss, wer unterschreiben will. Alles in allem riesige Hürden, die wohl nur in einer Allianz mit der Boulevardpresse («Krone») zu überwinden sind, die bereits heute grossen Einfluss
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Unter drei-, vierhunderttausend Unterschriften wollen sie’s nicht wagen, Volksabstimmungen über Volksbegehren zwingend vorzuschreiben.
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auf die Politik hat. Paradoxerweise wollen die Refor-mer die Hürden gerade aus Angst vor dem Boulevard hochhalten.
Ängstlichkeit regiert überhaupt in Österreich. Beispielsweise davor, das Parlament könnte bei so viel Demokratie überflüssig werden. Darum sehen die Entwürfe für ein künftiges Volksinitiativrecht ein kompliziertes mehrstufiges Verfahren vor, bei dem das Parlament stets mitentscheiden würde. Zudem kursieren Ideen, das Initiativrecht von vornherein auf Fragen zu beschränken, welche Österreich autonom entscheiden kann. Die Schweiz, die nicht einmal eine korrigierende Verfassungsgerichtsbarkeit kennt, löst diese Frage entspannter und effizienter: Initi-antenen haben weitgehend freie Hand; Regierung und Parlament nehmen erst nach Zustandekommen einer Volksinitiative Stellung, oft in der Form eines Gegenvorschlags, welcher den Kern des Anliegens aufnimmt und dessen Chancen auf Annahme erhöht. So erhalten in der Schweiz auch Ideen eine politische Bühne, die nicht vom Boulevard oder von stink-reichen Populisten gefördert werden.
Zumindest in einer Hinsicht gleichen sich die poli-tischen Realitäten der beiden Alpenrepubliken: in der Klage über den Mangel an herausragenden Köpfen beim politischen Personal. In Österreich ist verbreitet die Illusion anzutreffen, diesem Übel wäre durch Ele-
mente der Majorzwahl abzuhelfen: würde ein Teil der Abgeordneten in Einerwahlkreisen gewählt, kämen hier nur die Besten zum Zug. Die helvetische Erfah-rung mit Ständeratswahlen spricht freilich dagegen.
Die Malaise des österreichischen Wahlsystem liegt vielmehr darin, wie die Parteien damit umsprin-gen. Sie bestimmen nämlich nicht nur über die Li-ste der Kandidatenen, sondern nach der Wahl auch darüber, welche Personen gewählt sind und welche im Ersatzfall an deren Stelle treten. Anders als in der Schweiz können die Wählerenen die Namen von Kandidierenden nicht von der Liste streichen, nicht doppelt auf die Liste setzen (kumulieren) und nicht auf eine andere Liste schreiben (panaschieren). Das Schweizer System gibt den Wählenden einen vergleichsweise direkten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung eines Parlaments, während das österreichische System die Macht der abgehobenen Parteispitzen fördert.
Österreich ist zu wünschen, dass es ein direkteres Modell von Demokratie entwickelt, das üppig be-zahlte Parteiapparate und bürgerferne Regierungen in die Schranken weist – ein Modell, von dem wer weiss auch die Schweiz noch lernen könnte.
Bis dahin lebt Österreich wohl weiterhin über seine politischen Verhältnisse – und zugleich unter seinem Potential. Darüber nächstes Mal.
Billo Heinzpeter Studer ist Publi-zist. Er lebt in Graz und Winterthur.
* Der Autor experimentiert hier. Er setzt den genderkorrekten Sprach-krücken eine neue, unbetonte, les- und sprechbare Neutralendung entgegen, die, wie in Österreich üblich, leicht nasal auszusprechen ist. Probieren Sie es aus.
KAISER&SCHMARRN
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Reisen mit gutem GewissenNachhaltigkeit, Menschenrechte und die Stellung der Einheimischen spielen auch im Tourismus eine immer grössere Rolle – entspre-chend hoch ist die Zahl der Gütesiegel. Über hundert verschiedene Labels – grüne Blätter, leuchtende Sonnen oder bunte Fahnen sorgen eher für Verwirrung als Übersicht. Eine griffige Entschei-dungshilfe im touristischen Label-Wirrwarr hat der «arbeitskreis tou-rismus & entwicklung» herausgebracht: In einer Broschüre werden die wichtigsten Eigenschaften und Qualitätsmerkmale bekannter Nachhaltigkeits-Labels erklärt und verglichen. Reisende können damit Urlaubsangebote wählen, welche die Umwelt schonen und den Einheimischen der besuchten Regionen einen effektiven Nut-zen bringen. BM
Weitere Infos: arbeitskreis tourismus & entwicklung, Basel, Tel. 061 261 47 42 oder www.fairunterwegs.org
Hafen der SeebärenIn der Hamburger Rehhoffstrasse leben 65 alte Männer unter einem Dach. Manche wohnen schon ein halbes Jahrhundert dort. Die meisten waren ihr Leben lang auf See. So blieb für sie das «Ledigenhaus» oft das einzige richtige Zuhause und Hamburg der Hafen, den sie stets wieder ansteuerten. 8 Quadratmeter Heimat kosten 250 Euro im Monat – ein hoher Preis für die vielen Nächte, in denen das leere Bett nur vom Mond angeschienen wurde. Nicht selten verbirgt sich hinter den Tätowierungen auf der Brust ein gebrochenes Herz, ist doch das Meer eine störrische Geliebte. Am Ende spuckt es einen Haufen alter Männer aus, die es mit Haut und Haaren liebten. Vielleicht haben sie es geahnt und deshalb ihre Zimmer behalten. Und: Sie dürfen bleiben. Selbstverständlich war das bis vor wenigen Jahren noch nicht. Die Eigentümer hatten sich verspekuliert und den stattlichen Backsteinbau auf den Stand von 1912 verkommen lassen. Dem Eingreifen der sozialen Initiative «Rose.V.» ist es zu verdanken, dass das «Ledigenheim Rehoffstrasse» in Hamburg zu einem Synonym für Lern- und Kulturort wurde, offen für Projekte von Schulklassen und Studenten, für Kunst, Kino und Kurse. Die alten Seebären jedenfalls haben nun immer etwas zu tun, es sei denn, sie träumen gerade – vom Meer. SL
Wissen vom SchwarzmarktDas gibt es tatsächlich, einen «Schwarzmarkt für nütz-liches Wissen und Nicht-Wissen». Bereits vierzehn Mal hat der Markt seit 2005 seine Tische aufgestellt, in Deutschland, Österreich, England und sogar in Israel und Finnland. Am 7. September wird nun auch in der Schweiz, im Stadttheater Bern, ein Ort des Wissensaus-tauschs entstehen. Zum Thema «Unser Geld — Über die allmähliche Entstofflichung eines Tauschmittels» werden insgesamt 57 Expertinnen und Experten ihr Wissen zu 26 Schlagwörtern von A wie «Arbeit» bis Z wie «Zukunfts-szenarien» feilbieten. Dass dieser Markt in einem Theater stattfindet, ist kein Zufall. Die Produktion von Wissen erfolgt nicht über
eine klassische Lernstätte, sondern über eine Mischung aus Aufführung und interaktiver Veranstaltung. Besucher können sich am Check-In entweder für ein 30-minütiges Experten-Gespräch an einem der 18 Einzeltische anmel-den oder aber über Kopfhörer einem der ausgewählten Gespräche beiwohnen. Der «Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen» lässt sich weder von gesellschaftlichen In-stitutionen noch wissenschaftlichen Disziplinen einengen. Was können wir vom Ökonomen über Steueroasen und den globalen Finanzmarkt lernen? Was heisst Spass am Konsum für eine Society-Lady und Börsenspekulantin? Wie erklärt ein Historiker den Zusammenhang zwischen
Goldreserven und politischer Stabilität? Was weiss eine pensionierte Coop-Kassiererin über den menschlichen Austausch an der Supermarktkasse zu erzählen? Der Abend verspricht interessante Begegnungen, spannende Menschen und eine Kombination von Wissen, wie es sie wohl nur auf dem Schwarzmarkt geben kann.
Schwarzmarkt für nützliches Wissen & Nicht-Wissen Nr. 15: «Unser Geld – Über die allmähliche Entstofflichung eines Tausch-mittels»; Freitag, 7. September 2012, 20 – 23.30 Uhr (Check-In be-reits ab 19 Uhr), Vidmarhallen / Vidmar + Konzert Theater Bern � MKEintritt frei, Expertengespräch à 30min CHF 1.-www.biennale-bern.ch/2012/Programm
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76 Zeitpunkt 121
Der Geist im Sand
1945 fanden ägyptische Bauern unter einem Felsblock einen grossen Krug aus rotem Ton. Man zögerte den Krug zu öffnen oder gar zu zerschlagen, fürchteten die Männer doch den Dschinn, der möglicherweise ent-weichen würde. Als schliesslich die Erwartung eines Goldschatzes ihre Bedenken zerstreute, fielen ihnen dreizehn Papyrusbündel in den Schoss, die später man-chem Kirchenvater tatsächlich wie ein freigelassener Flaschengeist vorgekommen sein dürfte. Denn was die Bauern nicht wussten: Das Gefäss enthielt die später als «Bibliothek von Nag Hammadi» bekannt gewordenen gnostischen Schriften, darunter das älteste Zeugnis von Jesus – das «Thomas Evangelium». Heute mag es kaum vorstellbar sein, dass im ersten und zweiten Jahrhundert die «offizielle» Kirche nur eine von vielen christlichen Bewegungen war. Dass es eine Zeit gab, in der die Begriffe «Christen» und «Gnostiker» oft synonym verwendet wurden, lässt davon träumen, welchen Weg das Christentum damals hätte einschlagen können. Als jedoch die Kirche eine Vormachtstellung erlangte, bahnte sich ein unausweichlicher Konflikt an. So waren die Lehrer der Gnostiker Erleuchtete und Ein-geweihte, die aus ihrem inneren Wissen heraus lehrten. Dass sie ihre Schüler zur Erkenntnis (=Gnosis) führten, ohne dabei der Kirche anzugehören, erschütterte den Glauben an deren Notwendigkeit. Systematisch begann die Kirche, die Gnostiker als Ketzer zu verfolgen und die wenigen Schriften, die Jesus als einen von ihnen auswies, «zum besseren Verständnis» abzuändern. Doch nicht alle, die im Besitz gnostischer Schriften waren, rückten diese einfach so heraus. So lebte um 390 in einem Kloster nahe Nag Hammadi eine Gruppe Mönche, die einen Teil ihrer Bibliothek unter einem Fels im Sand vergruben. So konnte nach fast 2000 Jahren im schützenden Wüstensand die reinste Überlieferung der Worte Jesu in die Hände kundiger Übersetzer gelangen. Es braucht nicht viel Fantasie, sich die Erregung der Wis-senschaftler vorzustellen, als sie 1952 den ersten Satz des koptischen Urtextes entschlüsselten: «Dies sind die geheimen Worte, die der lebendige Jesus sprach und die der Zwilling Judas Thomas niederschrieb.» SL
Literatur: Christoph Greiner (Übers.): Das Thomasevan-gelium. Genius Verlag 1998, 143 S., Fr. 15.10 / 12,80 Euro.
Durch die Blume – geheime Botschaften in der Malerei
Die Symbolsprache der Blumen in Verbin-dung mit einer Frau hat seit jeher Anlass zu Spekulationen geboten: Stehen sie für Laster, Liebe oder Leidenschaft? Der Schweizer Au-tor und Botaniker Andreas Honegger deutet in seinem Buch diese geheimen Botschaften auf rund 50 Gemälden und erklärt, welches botanische Beiwerk neben den Porträtierten zu sehen ist und wie es in unsere Gärten und Parks kam. Zum Beispiel kann die Lilie, eigentlich Sinnbild der Unschuld, in Kombination mit einer in weiss gekleideten Dame auch Ironie zum Ausdruck bringen – u.a. zu sehen bei James McNeill Whistlers «Weissem Mädchen» (1862), deren offenes Haar damals für Aufsehen sorgte. Bei Por-träts realer Frauen, etwa Aristokratinnen oder Künstlerfrauen, lassen die Blumen, die das Haar schmücken oder im Hinter-
grund sind, auf eine Eigenschaft der Dame schliessen. So symbolisiert die Narzisse im Haar der Infantin Isabella Clara Eugenia Eigenliebe und Unglück in der Liebe. Die Tulpen auf Joseph Blackburns «Porträt einer Frau» hingegen sollen daran erinnern, dass die Blumen während der «Tulpenmanie» in Holland zuerst ein Vermögen einbrachten, bevor sie 1637 den ersten internationalen Börsencrash auslösten.
«Die Blumen der Frauen» befasst sich mit Unschuld, Glaube, Liebe, Leidenschaft, Exo-tik, Luxus und Vergänglichkeit. Entstanden ist ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte vom 15. Jahrhundert in die Gegenwart, das auch für Leute ohne grünen Daumen lesens-wert ist. BM
Andreas Honegger: Die Blumen der Frauen. Elisabeth Sand-mann Verlag 2011. 160 S., Fr. 36.90 / 24,95 Euro.
Am Anfang war der TraumEntfesseltes Wachstum, massloser Konsum, spirituelle Verkümmerung – die westliche Zivilisation befindet sich in einer Trance, die nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auch die Menschlichkeit und das Wohlbefinden des ganzen Planeten gefährdet. Wir brauchen einen neuen Traum und vielleicht kommt er aus den Regen-wäldern des Amazonas. «The Pachamama Alliance» verbindet die Weisheit aus dem Volk der Achuar mit dem modernem Wissen der Industrienationen. Seit Mitte der Neunziger Jahre kämpfen die Ureinwohner gemeinsam mit ihren westlichen Partnern für eine Welt, die für jeden funktioniert, nicht zuletzt für die Mutter Erde (Pachamama) selbst. Was passiert, wenn Menschen ihre eigene Exi-stenzgrundlage wirtschaftlich ausbeuten, haben die Achuar am eigenen Leib erfahren. Die Ölinteressen der Grosskonzerne haben ihren Lebensraum immer mehr zerstört. Mitte der neunziger Jahre suchten die Achuar Hilfe, ausgerechnet innerhalb der Zivilisation, die ihre Existenz bedroht. Lynne Twist, Amerikanerin und Mitbegründerin der Pachamama Alliance, sagt über ihre Verbündeten im Amazonas: «Sie sagten uns schon ganz am Anfang, wenn wir ihnen auf Dauer helfen wollten, müssten wir auch unseren Teil der Welt verändern. Wir sollten den Traum der modernen
Welt ändern, den Traum von Konsum und Besitz ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für die Umwelt und sogar unsere eigene Zukunft.» Die Worte der Achuar sind keine verträumten Bot-schaften. Sie sind aktueller denn je. Wir haben all die Technologien, die es braucht, um nachhaltig zu leben. Was fehlt, ist der Wille, etwas zu verändern. «The Pachamama Alliance» will zeigen, wie unser Wissen in Kombination mit der Spiritualität der Ureinwohner unsere Gesellschaft verändern kann. Ihr Workshop «Awakening the Dreamer» (den Träumenden wecken) wurde 2011 in 60 Ländern und in dreizehn Sprachen durchgeführt. Partnerorganisationen wie «Generati-on Waking Up» versuchen, junge Menschen auf der ganzen Welt für eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Welt zu mobilisieren. Sozial engagierte Spiri-tualität hat nichts mit Weltfremdheit zu tun, im Gegen-teil. Wir sind alle miteinander verbunden, auch mit der Natur. Was wir anderen antun, hat Konsequenzen für uns selbst. Was wir der Erde antun, tun wir uns selbst an. Die Achuar könnten nicht überleben, würden sie diesen Gesetzen nicht folgen. Wir können es auch nicht. Es wird höchste Zeit, aufzuwachen. MKwww.pachamama.org, www.generationwakingup.org
Kurzmitteilungen
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Zeitpunkt 121 77
Agenda
8. September SAFE-Seminar:
Neutrinopower - Grundlage für die Energie der Zukunft? Vortrag und Diskussion mit Prof.Dr.-Ing. Konstantin Meyl
Ausschreibung und Anmeldung unter www.safeswiss.ch/veranstaltungen
Die Energiefrage ist brisanter denn je. Prof. Meyl befasst sich schon seit 20 Jahren mit einer überall und jederzeit in beliebiger Menge verfügbaren Energieressource: Neutrinopower.Schon vor 100 Jahren hat Nikola Tesla eine damals unbekannte kosmische Strahlung energetisch genutzt. 1936 vermutete Wolf-gang Pauli beim Betazerfall ein masseloses und ladungsfreies, aber energietragendes Teilchen und benannte es Neutrino. Nach heutigem Wissen ist das Neutrino eine
überall im Kosmos in grosser Menge vorhandene Strahlung, deren Existenz auch von der Schulphysik nicht mehr in Zweifel gezogen wird.Die heutige Physik kann zwar die Tatsache, dass Neutrinos eine Energiequelle darstellen, nicht leugnen, dennoch geht sie überwiegend davon aus, dass eine technische Nutzung zur Zeit nicht vorstellbar sei. Doch der Erdkern macht uns vor, dass dem nicht so ist. (vgl. Film über die wachsende Erde: «Und sie bewegt sich doch!» You Tube).
22. September Tag der offenen Tür13 bis 19.30 Uhr, Schwengiweg 12, 4438 LangenbruckProjekte im Fokus – Forschen, Entwickeln, Bilden in der Praxis16 Uhr Vortrag «Peak Oil», Dr. D. Ganser, SIPER, Baselab 18 Uhr Musik mit «Trio Matto»www.oekozentrum.ch
Das Ökozentrum öffnet seine Türen für die Öffentlichkeit. Anlass zum Fest geben der Neubau der Forschungshalle, die energetische Sanierung der bestehenden Gebäude und der frische grafische Auftritt. In seinem 33. Jahr ist das Kompetenz-zentrum für nachhaltige Entwicklung und Zukunftstechnologien neu gerüstet.Auf dem Programm steht die Vorstellung faszinierender Projekte, die Einblick in die
Welt der Forschung, Entwicklung und Bildung im Bereich erneuerbare Energien und Res-sourcen geben und zum selber Ausprobieren einladen. Dr. Daniele Ganser spricht um 16 Uhr zum Thema «Peak Oil» – das globale Maximum der Erdölförderung. Für das leib-liche Wohl ist mit regionalen Köstlichkeiten zu fairen Preisen gesorgt. Das «Trio Matto» spielt ab 18 Uhr und rundet den Tag ab. Die Anreise mit dem ÖV wird empfohlen.
4. Oktober Mobilitätsplanung bei Wohnsiedlungen –
Ansätze für die 2000 Watt-Gesellschaft Donnerstag 4. Oktober 2012www.hsr.ch/Tagungen.9886.0.html
Der Wohnungsmarkt ist im Wandel. Mit dem Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft rückt auch die wohnungsbezogene Mobilität ins Zentrum. Die Qualität der Erreichbarkeit und Mobilitätsangebote vor Ort sind entschei-dende Faktoren für die Zufriedenheit mit dem Wohnort. Für Liegenschaftsverwaltungen sind dies neben allgemeiner Kundenorientierung, Energieeffizienz und Klimaschutz gute
Gründe, den Mobilitätsbelangen der Bewoh-ner künftig mehr Beachtung zu schenken. Auch ökonomische Überlegungen legen nahe, bei der Erneuerung von Siedlungen z.B. auf die (nachträgliche) Erstellung von teuren Parkplätzen zu verzichten.Ziel der Tagung ist es, den aktuellen Stand des Themas aufzuzeigen und mit interes-santen Praxisbeispielen die Diskussion fortzuführen.
24. bis 28. Oktober Modelle für eine zukünftige Friedenskultur 24. bis 28. Oktober 2012Zentrum der Einheit, Schweibenalp 3855 Brienz, Tel. 033 952 2000 www.greenphoenixglobally.org
Wir glauben, dass die notwendigen Veränderungen auf der Erde durch gemeinschaftliche Lebensmodelle geschehen werden. In diesen Modellen werden unter verschiedensten Bedingungen und Grössenordnungen Lösungen in den Bereichen Zusammenleben, Ökologie, Ökonomie und spirituelles Bewusstsein unter realen Lebensumständen getestet. Der dritte Green Phoenix Kongress auf der Schweibenalp bei Brienz fokussiert auf die Kooperation unter und das Lernen von Gemeinschaften.
Dazu wurden Vertreter von vier verschie-denen Gemeinschaftstypen einladen: ländliche, städtische und virtuelle Ge-meinschaften sowie Gemeinschaften aus Krisengebieten, unter anderen:Ländliche: Damanhur (Italien), Tamera (Portugal), Findhorn (Schottland)Städtische: Heilhaus Kassel, Transition Town urban Initiative Baselaus Krisengebieten: Otepic (Kenia), Favela da paz (Sao Paolo, Brasilien)Virtuelle: Tahiti Project, The Shift Network, Global Ecovillages Network, Global Campus.
27. Oktober Nacht der 1000 FragenAltstadt von Bielwww.1000fragen-biel.chEintritt Frei
Alles Markt? Ist die Zukunft kaufbar? Der moderne Markt ist alles bestimmend: Nicht nur Waren werden vermarktet, auch Bildung, Religion, Gesundheit. Auch Beziehungen? Die Nacht der 1000 Fragen geht in Dutzen-den Veranstaltungen diesen Fragen nach.
Was essen wir morgen? Noch nie haben Schweizer verhältnismässig so wenig Geld für Lebensmittel ausgegeben. Welche Fol-
gen hat dies für unsere Landwirtschaft? Ein Podium um 20 Uhr in der Volkshochschule (Ring 12) mit prominenten Gästen will dieser Frage auf den Grund gehen.
Der Herausgeber des Zeitpunkt lädt Sie um 23 Uhr ins Restaurant Les Caves (Obergasse 24) zur Frage: Wo bleibt das Geld? Denn es gibt heute mehr Geld als je in der Geschichte, warum ist es trotzdem überall knapp?
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Kesslerhaus: Lernen und Leben der beson-deren Art. Das Kesslerhaus ist eine Gemein-schaft von neugierigen Menschen, die interes-sante Themen und Referenten zu sich einladen 8./9.Sept. Geldseminar mit Peter Koenig: Zufrie-den mit Geld? Zu Frieden mit Geld!19.Okt. Vortrag Evolutionäres zum Thema «Älter werden» mit Susanne Triner20./21.Okt. «Das grosse Finale» Susanne Triner Einführungsseminar Evolutionär älter werden27./28.Okt. «Die Kraft der Intuition» mit Georg Jost. Intuition ist mehr als nur ein Bauchgefühl!
17./18.Nov. «Vorwärts in die Freiheit» mit Susan-ne Triner. Seminarzyklus in vier Phasen26.-30.Dez. Retreat mit Susanne Triner. Tiefer-gehen zum JahreswechselFür Seminardetails www.kesslerhaus.ch Kesslerhaus, Kesslergasse 14, 4571 Lüterkofen, 032-677 07 66
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80 Zeitpunkt 121
Leserbriefe
neIn sagen «ERBEn – der ungerechte lohn der Geburt», ZP 120Die Sache mit der Versklavung unserer Gesellschaft ist ja sehr alt und ich glaube, dass uns zu allererst von allen Seiten ab-gewöhnt wird, NEIN! zu sagen. Das fängt im Elternhaus an und endet auf dem Amt bei der Steuererklärung... Das elementare Recht, als freier Mensch zu allem und jedem NEIN! sagen zu dürfen, ist aus den Köpfen wegradiert.
Hin und wieder taucht es im Privatleben auf, wenn der Geburtstag der Erbtante ab-gesagt wird, jedoch auch das ist selten.
Ein Jeder weiss aber, dass NEIN! sagen gut tut. Kaum jemend macht sich klar, woran das liegt. Ich sage es euch: Es ist der Hauch der Freiheit, über sich und seine Lebenszeit selbst zu entscheiden. Lernen wir wieder NEIN! zu sagen, auch zu denen, die glau-ben, uns führen zu müssen! Den Parteien und Politikern.
Schaut rein bei www.NEIN-Idee.de Michael König, DHarsefeld
beItrag ans allgemeInwOhl «ERBEn – der ungerechte lohn der Geburt», ZP 120 Immer wieder – jetzt im Artikel von Herrn Rottenfusser – taucht die Zins- und Zinses-zinsrechnung mit dem Beispiel eines vor 2000 Jahren zu fünf Prozent angelegten Rappens auf. Diesmal zur Begründung ei-ner Erbschaftssteuer.
Dabei wird die Steuerbelastung für das Einkommen und das Vermögen in der Schweiz ausgeblendet, die dafür sorgt, dass die fünf Prozent (in den letzten Jahren wohl
eher drei Prozent) gar nicht zum Tragen kommen.
Die Beispiele aus dem Steuerrechner zei-gen, dass bei einem Vermögen von zehn Millionen und einer Verzinsung von fünf Prozent die Steuerlast bereits 45,8 Prozent ausmacht. Bei grösseren Vermögen steigen die Sätze an und erreichen bald einmal mehr als die Hälfte des Vermögenseinkommens.
Wer ein grosses Vermögen und das da-raus erzielte Einkommen ehrlich versteu-ert, leistet bereits zu Lebzeiten wesentliche Beiträge ans Allgemeinwohl. Das sollte in der Diskussion nicht unterschlagen werden. Auch die Überlegung, was an Einkommens- und Vermögenssteuern nach deren Reduk-tion durch eine Erbschaftssteuer wegfallen würde, wäre mit einzubeziehen.
H.J.
prOfIteur schleIerhaft«Hinter dem Schleier der Propaganda», ZP 120
Der Beitrag ist interessant, obwohl man als Leser die Angaben natürlich nicht überprü-fen kann. Es fragt sich jedoch, wer von diesem Besuch mehr profitiert hat: die deut-schen Journalisten oder Ahmadinedschad? Nachdenklich stimmt, dass die Leugnung des Holocaust durch Ahmadinedschad mit keinem Wort erwähnt wird. Zudem ist für uns Europäer heutzutage das Primat der Religion im Staat einfach nicht mehr vor-stellbar. Jörg Kuhn, Reinach Bl
Zu enger blIckwInkel urin – Dünger der Zukunft, ZP 120
Die Vorzüge der Verwendung von Urin als Dünger werden überzeugend beschrieben, aber doch mit sehr engem Blickwinkel: Fä-kalien sind ein ebenso guter Dünger (wer-den z. B. in Japan noch so verwendet) und Komposttoiletten sind mittlerweile auch in Europa bekannt und werden industri-ell hergestellt; der Künstler Hundertwasser hat schon 1973 Humustoiletten propagiert
und gebaut. Da befremdet es etwas, wenn der Autor Beat Rölli zu der No-Mix-Toilet-te schreibt: „Der Urin läuft getrennt vom restlichen Abwasser in einen Sammeltank, die Fäkalien werden – wie gehabt – hin-ten weggespült.“ Da ist ja nur der Urin von der in unserer Gesellschaft üblichen „aus den Augen, aus dem Sinn“-Mentali-tät ausgenommen. In einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft, wie sie der Autor als Permakultur-Experte anstrebt, müsste das Ziel sein, Urin UND Fäkalien nicht mehr mit viel Trinkwasser erst zu verdünnen, dann zu reinigen und dann in unsere Flüsse zu spü-len. Er müsste also vielleicht den Dialog mit der Kompostklo-Fraktion suchen, um eine wirklich überzeugende Lösung anzubieten, vielleicht auch eine, die weniger High Tech ist als die teure No-Mix-Toilette.
Jan Suter, Basel
mehr Zur cO2-kOmpensatIOn, bItte
«Schädlicher Ablasshandel», ZP 120Ich bin begeisterter Zeitpunktleser. Zeit-weise vermisse ich aber die differenzierte Auseinandersetzung mit einem Thema. In der neuen Ausgabe versuchen Sie die CO2-Kompensation in einer Nebenspalte abzu-handeln, was dem Thema einfach nicht gerecht wird.
Aus Erfahrung wissen wir, dass die Leu-te kompensieren, die sowieso schon sen-sibilisiert sind. Diese Menschen versuchen zumindest für Europareisen den Zug zu nehmen. Alle anderen suchen nach Aus-reden, um die Kosten für ihren CO2-Abfall nicht übernehmen zu müssen. Wir sind uns eigentlich auch alle einig, dass diese Kosten besser mit einer Taxe zu erledigen wären, was aber politisch nicht durchsetzbar ist.
Des Weiteren hilft der Kompensationsme-chanismus in der Projektförderung, dort wo eben Geld fehlt.
Ja, es muss ganz dringend auf Qualität geachtet werden, man darf deswegen aber nicht das ganze Verfahren verurteilen. Nein,
Lesen Sie: durchschaut !www.glaskugel-gesellschaft.ch
Zeitpunkt 121 81
Leserbriefe
Ein Wochenende in der Casa Santo Stefano
Der Zeitpunkt verlost fünf Wochenen-den für zwei Personen im wunderschö-nen Albergo Santo Stefano in Miglieglia (mit zwei Übernachtungen und Frühstück) im Wert von je Fr. 300.-.
Miglieglia liegt auf 700 Metern am Fuss des Aussichtsbergs Monte Lema im Mal-cantone im Tessin. Man muss schon sehr viel Stress mitbringen, um in dem ein-fachen und stilvollen Haus mit seinen 14 Zimmern nicht entspannen und in die Natur eintauchen zu können.
Angeli und Christian Wehrli, Zeitpunkt-Leser der ersten Stunde, sind engagierte Gastgeber und bieten in der Casa Santo Stefano auch ein interessantes Seminarpro-gramm (siehe Prospekt auf Seite 67).
Zur Teilnahme an der Verlosung retour-nieren Sie bitte bis zum 31. Oktober die Kar-te im Umschlag. Die fünf GewinnerInnen werden persönlich benachrichtigt und die Preise sind ab anfangs März 2013 einlösbar, auch unter der Woche.
Wir wünschen Ihnen viel Glück.
Der
nächste Zeitpunkt
Ruhe bitte
Immer tiefer dringt die rastlose Welt
in unser Leben, bis in die Zellen unseres
Körpers. Dabei ist er so gebaut, dass er im
entspannten Zustand am besten funktio-
niert. Der Umgang mit Produktionsdruck,
Informationsüberflutung und die Kulti-
vierung von Ruheinseln wird damit zur
Überlebensfrage.
Antworten im nächsten
Zeitpunkt, Ende Oktober
Kompensation (Emissionszertifikate) hat mit der Kyoto-Verpflichtung und dem «heisse Luft»-Markt (Emissionrechte) nichts zu tun. Qualität findet man vor allem im freiwilligen Markt mit Gold Standard.
Ich wünsche mir, dass Sie das Thema in-tellektueller und weniger populistisch an-gehen als bisher. Zumindest wird die CO2-Kompensation bis ins Detail geprüft und kann bei guten Anbietern eine bewiesene Additionalität vorweisen (was z.B. die Arbeit der Schweizerischen Energie-Stiftung nicht kann). Jeroen loosli, Therwil
tauschkreIse brauchen kredItfunktIOn
neues Clearingsystem für Komplementärwährungen, ZP 119
Das Ermöglichen nur von Tausch (eigentlich Kauf) innerhalb eines Tauschkreises genügt nicht. Wenn ein Teilnehmer im Teilnehmer-kreis kein geeignetes Angebot finden kann oder wenn er sich nur mit zweitrangiger Ware begnügen müsste, kann er seine Gut-haben nicht verwenden und weitergeben.
Sie liegen brach und sind für die Tausch-kreis-Wirtschaft blockiert. Dies bedeutet eine Unterbrechung des Wirtschaftskreis-laufes im Tauschkreis, sehr zum Nachteil aller Teilnehmer. Das Angebot bleibt gering und wenig attraktiv, und der Tauschkreis kann die in ihn gesetzten Erwartungen nur unbefriedigend erfüllen.
Das Einführen einer Kreditfunktion er-möglicht einem Kreditnehmer, anstelle seines Kreditgebers Käufe vorzunehmen und so die Wirtschaft im Tauschkreis in Schwung zu halten. Das Angebot kann sich erweitern und attraktiver werden.
Die Bedingungen für eine Kreditfunktion und ihre Abwicklung müssen sorgfältig ge-plant werden. Vor allem ist sicherzustellen, dass Kreditnehmer sich nicht um die Rück-zahlung der Kredite drücken können.
Eberhard Knöller, Bern
eIn anderer blIckwInkel Einfamilienhäuser verbieten, ZP 120
Man darf nicht nur die wirtschaftliche Sei-te solcher Lebensweisen betrachten. Meine
drei Kinder schätzen noch heute, die Vor-teile einer solchen Wohnart erlebt zu haben. Zudem ist der Gemüsegarten mein grosses Hobby. Dies ist volkswirtschaftlich absolut kein Unsinn und macht viel Freude. Unsere Tochter wohnte eine Zeit lang im unteren Stockwerk. Zudem haben wir viele Gäste, und auch die Schwiegermutter kann jeweils problemlos bei uns verweilen.
Das grosse Problem aus volkswirtschaft-licher Sicht ist die Überbevölkerung in un-serem Land. Es kommen nicht nur ausge-bildete Menschen in die Schweiz, sondern leider auch andere, die erstens unser So-zialwerk missbrauchen und zweitens die zahlbaren Wohnungen besetzen. Es müsste ja eigentlich im Sinne des Zeitpunkt sein, dass man in unserem Land nur 6 Millionen Einwohner hätte, die dann aber nicht we-gen eines Einfamilienhauses an den Pranger gestellt werden, anstatt masslose Zuwande-rung zu akzeptieren, die es unseren jungen Leuten fast unmöglich macht, eine finanzier-bare Familienbleibe zu finden.
otto Gerber, Wädenswil
VerlOsung !
82 Zeitpunkt 121
Die Trompeten von Jericho von Christoph Pfluger
Motto: Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemand-em den Bart zu versengen.
Lichtenberg
an den 12. September wird man sich noch lange erinnern. An diesem Tag des Jahres 2012 wird das deutsche Ver-fassungsgericht über die Rechtmässig-keit des Europäischen Stabilitäts-Mecha-
nismus ESM befinden. Nachdem das hohe Gericht die Politik in dieser Sache bereits zu einem gemässigten Tempo gerufen hat, ist die Spannung gross. Wenn die Richter den ESM durchwinken, geht die grosse Umverteilung in Europa los und Deutschland wird sein AAA-Rating – das jetzt schon unter Beobachtung steht – verlieren. Und in der Republik wird man sich revolutionäre Fragen stellen – wo die Macht im Staate liegt, beim Volk oder bei der Regierung. (Die richtige Antwort lautet natürlich: bei den «Märkten», d.h. den Grossvermögen.)
Wenn das Gericht den Vertrag, der dem Gouver-neursrat des ESM praktisch unbeschränkten Zugriff auf nationales Steuersubstrat ermöglicht, jedoch ab-lehnt, dann ist der Euro noch toter als er jetzt schon ist. Und dann ist fertig lustig.
Dann wird der Bankia-Moment die Finanzplätze dieser Welt ergreifen. (Bankia ist die spanische Bank, die während Jahren versuchte, ihre Schein-werte in Immobilien in der Bilanz zu halten, bis sie vom Staat mit 90 Mrd. Euro gerettet werden musste.) Auf 30’000 Milliarden Euro, ungefähr die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts, schätzt das Labora-toire Européen d’Anticipation Politique LEAP das Vo-lumen der Scheinvermögen. Dabei handelt es sich vor allem um überbewertete Immobilien, uneinbringliche Staatspapiere und Derivate in fallenden Märkten. Di-ese Scheinwerte halten zwar die Bilanzen kosmetisch im Gleichgewicht, sind aber bei Bedarf nicht zum Nennwert zu liquidieren. Wenn diese Scheinvermö-gen über den ESM nicht mit echten Werten unterfüt-tert werden, droht der Tag der Wahrheit. Es könnte der 12. September sein.
Nur: Ich glaube nicht, dass ein deutsches Gericht im globalen Kräftespiel die Kompetenz zu einer der-art bedeutungsvollen Entscheidung hat. Die Richter werden wohl ein sibyllinisches Urteil fällen, das ein letztes Weiterwursteln mit Einschränkungen zulässt. Dann findet der 12. September halt an einem ande-ren Datum statt. Allzu weit in der Zukunft kann es nicht liegen.
In den USA laufen einerseits die Steuererleich-terungen von Bush aus und andrerseits stehen in diesem Herbst gesetzlich vorgeschriebene Budget-kürzungen von 1000 Milliarden Dollar quer durch den ganzen Haushalt an. Das ist auch für die ame-rikanische Wirtschaft, die seit Ausbruch der Krise 2008 auf den Staat angewiesen ist, viel Geld. Fazit des LEAP: «Während die ganze Welt die ‹griechische Maus› in heller Aufregung durch das Wohnzimmer jagt und die angelsächsischen Politiker und Medien mit dem Gerede vom ‹Ende des Euros› Nebelkerzen werfen, kommt gerade durch den Flur ein Elefant herein, den noch niemand bemerken will.»
Von den Zentralbanken ist auch keine Hilfe zu erwarten. Was haben die in den letzten Jahren nicht für Unsummen in die Märkte geworfen! Mit welchem Effekt? Für einen Dollar Wachstum, so schreibt die Zeitschrift «Market Watch», müssen drei Dollar Schul-den gemacht werden. Kein Wunder, verschärft sich die Krise.
Und dann gibt es noch das Säbelrasseln im Nahen Osten. Der Erstschlag gegen den Iran wurde geübt. Die Rhetorik von Israels Premier Netanyahu lässt ihm kaum noch eine andere Wahl, als ihn auszuführen, wenn er nicht sein Gesicht und seinen Posten verlie-ren will. Ein Krieg gegen den Iran könnte der eine Krieg zu viel sein.
Wenn das Laboratoire Européen d’Anticipation Politique LEAP für die Monate September und Ok-tober die mauerbrechenden Trompeten von Jericho hört, darf man sie nicht aus lauter Krisenmüdigkeit überhören. «Der Schock des Herbst 2008 wird im Vergleich zu dem, was uns in den nächsten Monaten bevorsteht, wie ein kleines Sommergewitter erschei-nen», schreibt das LEAP in seinem neusten Bulletin. «Wir haben noch nie seit 2006, als wir mit unseren Arbeiten zur umfassenden weltweiten Krise began-nen, ein Zusammentreffen einer solchen Reihe von Faktoren grundlegender Bedeutung von so hoher Sprengkraft innerhalb einer so kurzen Zeitspanne konstatieren müssen. Entsprechend müssen wir nun im Rahmen unseres Bemühens, regelmässig einen ‹Krisenwetterbericht› herauszugeben, die höchste Warnstufe ausrufen.» Man darf die warmen Win-terkleider also getrost etwas früher aus dem Mot-tenschrank holen.
Brennende Bärte
Der Vertrag ist ein System, unter dem die Treuen immer gebun-den, die Treulosen immer frei sind.Robert Gilbert Vansittart
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