Universitätsprofessor Dr. Martin Schulte TU Dresden
Bachelor-Studiengang „Law in Context“
Verfassungsrecht
WS 2014/15
– Vorlesungsbegleitendes Skript –
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Ablaufplan der Vorlesung
13.10.14 Einführungsveranstaltung 14.10.14 Propädeutikum 20./21.10.14 Begriff und Funktion der Grundrechte; Grundrechtsberechtigung;
Grundrechtsverpflichtung 27./28.10.14 Schutzbereich der Grundrechte; Eingriff in Grundrechte 03./04.11.14 Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen 10./11.11.14 Vertiefung: Allgemeine Grundrechtslehren 01./02.12.14 Meinungsfreiheit 08./09.12.14 Berufsfreiheit 15./16.12.14 Eigentumsgarantie 05./06./07.01.15 Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit; Allg. Handlungsfreiheit 12./13./14.01.15 Allg. Persönlichkeitsrecht; Menschenwürde; Gleichheitsrechte 19./20./21.01.15 Parlamentarische Demokratie (Wahlrecht; Recht der politischen
Parteien; Gesetzgebung; Staatsorgane) 26./27./28.01.15 Rechtsstaat (Gewaltenteilung; Gesetzesbindung der Verwaltung;
Verhältnismäßigkeitsprinzip; Rechtsschutzgarantie) 02./03./04.02.15 Bundesstaat / Sozialstaat / Staatsstrukturprinzipien
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Allgemeine Literaturhinweise 1. Gesetzestexte
dtv-Beck-Texte Nr. 5003, Grundgesetz, 44. Aufl. 2013 dtv-Beck-Texte Nr. 5014, Europa-Recht, 25. Aufl. 2013 dtv-Beck-Texte Nr. 5756, Basistexte Öffentliches Recht, 16. Aufl. 2013 Nomos Gesetze Öffentliches Recht, 22. Aufl. 2013 Sartorius I, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, Loseblattsammlung Sartorius II, Internationale Verträge – Europarecht, Loseblattsammlung Kirchhof/Kreuter-Kirchhof (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht Bundesrepublik Deutschland, 51. Aufl. 2012 Degenhart/Reich (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht Freistaat Sachsen, 8. Aufl. 2010/11
2. Lehrbücher, Lernbücher u.ä. a) Zu den Grundrechten Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012
Berg, Staatsrecht, 6. Aufl. 2011 Bethge, Verfassungsrecht, 4. Aufl. 2011
Bleckmann, Staatsrecht II, Die Grundrechte, 4. Aufl. 1997 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20.
Aufl. 1999 (Nachdruck) Hufen, Staatsrecht II, Grundrechte, 4. Aufl. 2014
Ipsen, Staatsrecht II, Grundrechte, 17. Aufl. 2014 Katz, Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, 18. Aufl. 2010
Manssen, Staatsrecht II, Grundrechte, 11. Aufl. 2014 Michael/Morlok, Grundrechte, 3. Aufl. 2012 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 29. Aufl. 2013 Sachs, Verfassungsrecht II, Grundrechte, 2. Aufl. 2003 Schmalz, Grundrechte, 4. Aufl. 2001 Stein/Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. 2010
Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008
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b) Zum Staatsorganisationsrecht Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012 Berg, Staatsrecht, 6. Aufl. 2011
Bethge, Verfassungsrecht, 4. Aufl. 2011 Bleckmann, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 1993 Degenhart, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 29. Aufl. 2013 à Ankündigung der 30. Aufl. für September 2014
Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl. 2003 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999 (Nachdruck) Ipsen, Staatsrecht I, Staatsorganisationsrecht, 26. Aufl. 2014
Katz, Staatsrecht, Grundkurs im öffentlichen Recht, 18. Aufl. 2010 Maurer, Staatsrecht I, Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 6. Aufl. 2010 à Ankündigung 7. Auflage für 2015 Püttner/Kretschmer, Die Staatsorganisation, 2. Aufl. 1993 Schmalz, Staatsrecht, 4. Aufl. 2000 Stein/Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. 2010
Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008 c) Speziell zum Verfassungsprozessrecht
Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, 3. Aufl. 2011 Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2011
Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991 3. Handbücher
Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1995 Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 3. Aufl. 2003; Bd. II, 3. Aufl. 2004; Bd. III, 3. Aufl. 2005; Bd. IV, 3. Aufl. 2006; Bd. V, 3. Aufl. 2007; Bd. VI, 3. Aufl. 2008; Bd. VII, 3. Aufl. 2009; Bd. VIII, 3. Aufl. 2010; Bd. IX, 3. Aufl. 2011 Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I, 2004; Bd. II, 2006; Bd. III, 2009, Bd. IV 2011, Bd. V, 2013 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984; Bd. II, 1980; Bd. III/1, 1988; Bd. III/2, 1994; Bd. IV/1, 2006; Bd. IV/2 1. Aufl. 2011; Bd. V, 1999
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4. Kommentare Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, Stand: 162. Aktualisierung Juli 2013 Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. I, 2. Aufl. 2004; Bd. II, 2. Aufl. 2006; Bd. II. Suppl., 2. Aufl. 2007; Bd. III, 2. Aufl. 2008 Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl. 2013 Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, Stand: August 2013 Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2012 Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz, Rechtsprechung des BVerfG, Loseblatt, Stand: Mai 2013 von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3 Bde., 6. Aufl. 2010 Maunz/Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Loseblatt, Stand: Mai 2013 von Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 6. Aufl. 2012; Bd. 2, 6. Aufl. 2012 Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 6. Aufl. 2011 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014 Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2 Bde., 2002
5. Anleitungsbücher zur Methodik verfassungsrechtlicher Fallbearbeitung (Auswahl)
Brauner/Stollmann/Weiß, Fälle und Lösungen zum Staatsrecht, 7. Aufl. 2003 Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht, 3. Aufl. 2013
Lücke/Kugelmann, Fälle mit Lösungen für Anfänger im öffentlichen Recht, 2004 Schoch, Übungen im Öffentlichen Recht I, Verfassungsrecht und
Verfassungsprozessrecht, 2000 Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 14. Aufl. 2012
Volkmann, Staatsrecht II, Grundrechte, 2. Aufl. 2011
6. Zeitschriften Verfassungsrechtliche Aufsätze und Gerichtsentscheidungen finden sich in den allgemeinen juristischen Fachzeitschriften wie z.B. - JZ = Juristenzeitung, - NJW = Neue Juristische Wochenschrift,
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in den Ausbildungszeitschriften - JA = Juristische Arbeitsblätter, - Jura = Juristische Ausbildung, - JuS = Juristische Schulung.
Insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Fachzeitschriften, u.a. - AöR = Archiv des öffentlichen Rechts, - BayVBl. = Bayerische Verwaltungsblätter, - DÖV = Die Öffentliche Verwaltung, - DVBl. = Deutsches Verwaltungsblatt, - DV = Die Verwaltung, - NVwZ = Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, - NWVBl. = Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter, - SächVBl. = Sächsische Verwaltungsblätter, - Staat = Der Staat, - VerwArch = Verwaltungsarchiv, - VBlBW = Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, - VR = Verwaltungsrundschau.
7. Rechtsprechungssammlungen
Zu beachten sind zunächst die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Sie sind in den o.g. Zeitschriften weitgehend abgedruckt. Zum Teil treffen auch die Zivilgerichte verfassungsrechtlich bedeutsame Entscheidungen – insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH) –, wie etwa am Beispiel von Art. 14 GG deutlich wird. - BVerfGE = Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts, - BVerwGE = Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts, - BGHZ = Amtliche Sammlung der Entscheidungen des
Bundesgerichtshofes in Zivilsachen.
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Einführung
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 3
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 5
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Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 6
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Schutzbereich der Grundrechte, Eingriff in Grundrechte, Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen I. Prüfung von Freiheitsgrundrechten 1. Prüfung bei Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz
a) Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts (durch Gesetz)
aa) Schutzbereich einschlägig (= erfasst fragliches Verhalten)
bb) Eingriff durch Regelung(en) des Gesetzes
b) Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs (= des Gesetzes):
Einhaltung der für das Grundrecht maßgeblichen Schrankenregelung, formell
und materiell ordnungsgemäßes Gebrauchmachen von der Grundrechts–
schranke
aa) Ordnungsgemäßes Zustandekommen (Zuständigkeit, Verfahren,
Inkrafttreten; bei Bundesgesetzen Art. 70 ff. GG)
bb) Materielle Verfahrensmäßigkeit
(1) Kein Verstoß gegen Grundrecht(e)
(a) Schrankenregelung, also Einschränkbarkeit des jeweiligen
Grundrechts; dabei die differenzierten Schrankenregelungen
beachten:
- Einfacher Gesetzesvorbehalt (z.B. Art. 2 Abs. 2 S. 3; 8
Abs. 2; 10 Abs. 2 S. 1 GG)
- Qualifizierter Gesetzesvorbehalt: Gesetz erfüllt
Qualifikationsmerkmale (z.B. Art. 11 Abs. 2; 13 Abs. 2
GG)
- Regelungsvorbehalt (z.B. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG)
- Inhalts- und Schrankenbestimmung (z.B. Art. 14 Abs.
1 S. 2 GG)
- Schrankenvorbehalt der „allgemeinen Gesetze“ (z.B.
Art. 5 Abs. 2 GG)
- Verbal vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte:
Gesetz schützt Grundrechte Dritter und sonstige
Verfassungsgüter (z.B. bei Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2
sowie Abs. 3; 5 Abs. 3 GG)
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- Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG (insbes.:
„verfassungsmäßige Ordnung“)
(b) Beachtung der Gegenschranken (= Grenzen der
Einschränkbarkeit), insbes. Übermaßverbot (Verfolgung eines
verfassungslegitimen Ziels; Geeignetheit, Erforderlichkeit,
Verhältnismäßigkeit des Gesetzes zur Zielverwirklichung);
äußerste Grenze: Art. 19 Abs. 2 GG)
(2) Kein Verstoß gegen andere Verfassungsnormen (insbes. die
Staatszielbestimmungen und Staatsstrukturmerkmale des Art. 20
GG, aber auch Art. 19 Abs. 1 S. 1 und 19 Abs. 1 S. 2 GG)
2. Prüfung bei Verfassungsbeschwerde gegen Einzelakt (Entscheidung der
Exekutive, zumeist gerichtlich bestätigt) aufgrund förmlichen Gesetzes
a) Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts (durch den Einzelakt)
aa) Schutzbereich einschlägig (= erfasst fragliches Verhalten)
bb) Eingriff durch Einzelakt
b) Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs: Es bedarf einer wirksamen Rechts-
grundlage, und von dieser muss verfassungskonform Gebrauch gemacht
worden sein.
aa) Gültige Rechtsgrundlage
(1) In Betracht kommende Rechtsgrundlage für den Einzelakt
(2) Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage
(a) Formelle Verfassungsmäßigkeit
hier: vgl. oben 1. b) aa)
(b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
(aa) Kein Verstoß gegen das zu prüfende (= vom Einzelakt
beeinträchtigte) Grundrecht
hier: Prüfung wie oben 1. b) bb) (1)
(bb) Kein Verstoß gegen andere Grundrechte
hier: Prüfung wie vorstehend (aa)
(cc) Kein Verstoß gegen andere Verfassungsnormen
hier: vgl. oben 1. b) bb) (2)
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bb) Verfassungsmäßiges Gebrauchmachen von der Rechtsgrundlage:
Prüfung, ob bei Auslegung und Anwendung der Rechtsgrundlage die
Einwirkung (Ausstrahlungswirkungen; wertsetzende Bedeutung) des
Grundrechts (bzw. der Grundrechte) und das einfache Recht beachtet
worden sind. Dabei besonders Problem bei Verfassungsbeschwerde,
gegen Gerichtsentscheidung: Abgrenzung der Kompetenzen zwischen
BVerfG und den Fachgerichten. Das BVerfG ist keine
„Superrevisionsinstanz“, sein Kontrollbereich ist umschrieben mit der
Formel von der Überprüfung der Verletzung „spezifischen
Verfassungsrechts“.
II. Prüfung von Gleichheitsgrundrechten
1. Feststellung, ob durch einen Akt öffentlicher Gewalt
a) entweder im wesentlichen Gleiches ungleich oder
b) im wesentlichen Ungleiches gleich behandelt ist. Wenn ja:
2. Rechtmäßigkeit der festgestellten Gleich- bzw. Ungleichbehandlung
a) Formelle Verfassungsmäßigkeit des (zugrunde liegenden) Gesetzes s.o.
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
aa) Spezielle Differenzierungsverbote bzw. Sonderregelungen (z.B. Art. 3
Abs. 2 und Abs. 3, 6 Abs. 5, 33 Abs. 1 bis 3, 38 Abs. 1 S. 1 GG)
bb) Beim allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG: Prüfung, ob die
Gleich- bzw. Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist.
Orientierungsmaßstab ist der jeweilige Regelungszweck. Im Falle der
Ungleichbehandlung von Personengruppen müssen zwischen den
verschiedenen Gruppen von Normadressaten Unterschiede von solcher
Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung
rechtfertigen. Umgekehrt müssen bei der Gleichbehandlung
verschiedener Gruppen solche Unterschiede fehlen, so dass eine
unterlassene Differenzierung gerechtfertigt ist.
à Vgl. Schoch, Übungen im Öffentlichen Recht I. Verfassungsrecht und
Verfassungsprozessrecht, 2000, S. 105 ff.
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Übungsfälle zur Prüfung von Grundrechten Fall 1
Die 15jährige Imke aus Dresden ist seit langem leidenschaftliche und geübte
Reiterin. Nachdem sie erst vor kurzem den Basis-Reiterpass erworben hat, begibt sie
sich nun in den Herbstferien auf ihren Lieblingsreiterhof nach Havixbeck in der alten
münsterländischen Heimat, um ihre „Reitkünste“ zu vervollkommnen.
Dort angekommen macht sie sich als erstes, wie es sich für eine geschulte Reiterin
gehört, mit dem geltenden Recht vertraut. Zu ihrem großen Erstaunen muss sie
dabei feststellen, dass das nordrhein-westfälische Landschaftsgesetz das Reiten im
Walde grundsätzlich nur auf solchen Wegen erlaubt, die als Reitwege
gekennzeichnet sind.
Als Tochter eines Jura-Professors fragt sie sich umgehend, ob sie die entsprechende
Vorschrift des Landschaftsgesetzes nicht in ihren Grundrechten verletzt.
Gegebenenfalls will sie zur Wahrung ihrer reiterlichen Freiheiten notfalls bis vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen.
Da man dem Rat des Vaters in ihrem Alter ohnehin keinen großen Glauben schenkt,
wendet sie sich hilfesuchend an Sie als verfassungsrechtlich geschulte Studierende
des Bachelor-Studienganges „Law in Context“.
Was raten sie Imke?
Fall 2
Der A ist Geschäftsführer und mit einem Geschäftsanteil von 10.000,- EUR
Hauptgesellschafter einer Modellstrickwaren-GmbH. Als Geschäftsführer hat er
wiederholt Fragebögen der Handwerkskammer, zu deren Beantwortung er sich nicht
verpflichtet glaubt, nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, sondern nach Vortrag der
Staatsanwaltschaft „mit ungenügenden, zynischen und teils völlig sinnlosen
Vermerken versehen“. Aus diesem Grunde wurden gegen die Gesellschaft zwei
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Bußgelder von je 500,- EUR verhängt. Weil der A diese Bußgeldbescheide
verschuldet hat und der Gesellschaft damit einen Schaden von 1000,- EUR zufügte,
ist gegen ihn wegen Organuntreue Anklage erhoben worden. In der
Hauptverhandlung ordnet der Amtsrichter die ärztliche Untersuchung des A zur
Prüfung seiner Zurechnungsfähigkeit an. Der Gerichtsarzt stellt nach ambulanter
Untersuchung einen Verdacht auf Erkrankung des zentralen Nervensystems fest; zur
Klärung hält er eine Blutuntersuchung und eine Untersuchung des Liquor (Gehirn-
und Rückenmarkflüssigkeit) für notwendig, wozu es eines Einstichs in den
Wirbelkanal mit einer langen Hohlnadel entweder im Bereich der oberen
Lendenwirbel (Lumbalpunktion) oder im Nacken zwischen Schädel und oberstem
Halswirbel (Okzipitalpunktion) bedarf. Nachdem das Amtsgericht durch Beschluss die
Liquorentnahme anordnet und das Landgericht die gegen diesen Beschluss
gerichtete Beschwerde des A verwirft, greift der A die genannten Beschlüsse vor
dem Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde an. Ist diese
begründet?
Fall 3 Regierungsdirektor a. D. E ist ein Verfechter der strikten politischen Neutralität
Deutschlands. Er setzt sich dafür ein, dass die Bundesrepublik aus EU und NATO
austritt. E ist Vorsitzender des „Bundes neutrales Deutschland“ und wirbt in
zahlreichen Vorträgen im In- und Ausland für seine Position. In den kommenden
Wochen plant E eine Vortragsreise in die USA. Bei dieser Gelegenheit möchte er für
seine Ideale werben.
Leider ist sein Reisepass abgelaufen. Er beantragt deswegen die Verlängerung
seines Reisepasses. Diese wird von der zuständigen Behörde unter Verweis auf § 7 I
Ziffer 1 Passgesetz abgelehnt. Zur Begründung wird angeführt, dass die Reise des E
erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Angesichts der
jetzigen politischen Situation sollen keine Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit
und Bündnistreue Deutschlands entstehen. Frühere Reisen des E nach S hätten
jeweils diplomatische Verwicklungen zwischen der Bundesrepublik und den EU- bzw.
NATO- Partnern mit sich gebracht.
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E meint, es könne nicht angehen, einen Bürger der Bundesrepublik an der Ausreise
in ein Land seiner Wahl zu hindern.
E hält die Entscheidung der Passbehörde für verfassungswidrig. Zu Recht?
Gesetzestext (Auszug):
§ 7 I Passgesetz: „Der Pass ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die
Annahme begründen, dass der Passbewerber,
1. die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der
Bundesrepublik Deutschland gefährdet;
(...).“
Lösungsskizze Fall 3
Die Entscheidung der Passbehörde ist verfassungswidrig, wenn E durch die
angefochtene Maßnahme in seinen Grundrechten verletzt wird.
I. Verletzung des Art. 11 I GG Die Verweigerung der Passverlängerung könnte zunächst das Grundrecht des E aus
Art. 11 I GG verletzen. Dazu müsste der Schutzbereich des Art. 11 I GG berührt sein.
Fraglich ist, ob der Schutzbereich des Art. 11 I GG auch das Recht zur Ausreise
umfasst.
Art. 11 I GG regelt die sog. Freizügigkeit. Damit ist das Recht aller Deutschen
gemeint, ihren Aufenthalt und Wohnsitz innerhalb des Bundesgebietes frei zu wählen
und in dieses Gebiet einzureisen. Dieses Recht des E ist durch die angefochtene
Maßnahme jedoch nicht betroffen. Diese verhindert lediglich, dass der E in die USA
ausreisen kann. Zur Feststellung, ob die Ausreise dennoch unter den Schutzbereich
des Art. 11 I GG fällt, ist eine Auslegung des Gesetzes erforderlich. Nach der
grammatikalischen Auslegung ergibt sich, dass der Wortlaut eindeutig ist: Art. 11 I
GG erfasst nur die „Freizügigkeit im Bundesgebiet“. Auch die historische Auslegung
ergibt, dass der Verfassungsgeber die Ausreisefreiheit nicht durch Art. 11 I GG
schützen wollte.
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Damit ist vorliegend der Schutzbereich des Art. 11 I GG bereits nicht berührt. Eine
entsprechende Grundrechtsverletzung liegt mithin nicht vor.
II. Verletzung des Art. 2 I GG E könnte durch die Maßnahme aber in seinem Grundrecht der allgemeinen
Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG verletzt sein.
1. Schutzbereich Dann müsste wiederum zunächst der Schutzbereich des Grundrechts berührt sein.
Nach heute h. M. schützt Art. 2 I GG als allgemeines Auffanggrundrecht die
menschliche Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne. Die Vorschrift gewährt
insofern das Recht, etwas zu tun oder nicht zu tun. Sie schützt vor staatlichen
Belastungen aller Art. Dafür spreche die ursprüngliche Fassung des Wortlautes vom
historischen Grundgesetzgeber, der eine Freiheit festschreiben wollte, bei der jeder
„tun und lassen könne, was er will“. Außerdem erfordere der umfangreiche
Schrankenvorbehalt (Schrankentrias) auch einen weiten Schutzbereich, da der
Grundrechtsschutz sonst weitgehend leer liefe. Nach a. A. ist der Schutzbereich des
Art 2 I GG eng zu ziehen. Danach sollen nur Handlungsweisen erfasst werden, die in
ihrer Schutzbedürftigkeit den anderen Grundrechten entsprechen. Eine teleologische
Auslegung von Art. 2 I GG ergebe, dass nicht jegliches Verhalten dem Schutz durch
Grundrechte unterfallen solle, sondern nur Verhaltensweisen von einiger
Erheblichkeit.
Dieser Meinungsstreit ist dann zu entscheiden, wenn beide Meinungen zu
unterschiedlichen Ergebnissen führen. (Nur in diesem Fall müsste ein Meinungsstreit
entschieden werden; d. h. die Argumente abgewogen werden.) Hier kommt Meinung
1 zu dem Ergebnis, dass der Schutzbereich des Art. 2 I GG betroffen ist. Meinung 2
fragt, ob es sich um eine Handlungsweise handelt, die des Schutzes durch
Grundrechte „würdig“ ist. Angesichts der Bedeutung der inländischen Reisefreiheit
kann man davon ausgehen, dass die ausländische Reisefreiheit ebenfalls
schutzwürdig ist. Beide Meinungen kommen zu einem Ergebnis. Der Streit muss
demnach hier nicht entschieden werden.
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Beachten Sie: Im Normalfall kann man ohne weitere Prüfung von dem weiten Begriff
der allgemeinen Handlungsfreiheit ausgehen, der nunmehr absolut vorherrschend
ist. Auf die abweichende Meinung muss nur dann eingegangen werden, wenn der
Sachverhalt dazu Anlass gibt. Das heißt, wenn die Position von Meinung 2 in der
Aufgabenstellung angesprochen wird, oder wenn es sich um ein Verhalten handelt,
das wahrscheinlich nicht durch die enge Auslegung der allgemeinen
Handlungsfreiheit geschützt werden würde (wie z. B. das Füttern von Tauben oder
das Reiten im Wald).
Die Verweigerung der Passverlängerung macht es dem E faktisch unmöglich, in die
unter Passzwang stehenden USA einzureisen.
Die allgemeine Handlungsfreiheit des E ist daher betroffen.
2. Eingriff Die Maßnahme müsste darüber hinaus Eingriffscharakter haben.
Dies ist klassischerweise dann der Fall, wenn die angefochtene Maßnahme ihrem
Zwecke nach auf eine Beeinträchtigung des jeweiligen Schutzbereiches hin
ausgerichtet ist, durch einen Rechtsakt erfolgt, sich unmittelbar auf den
Grundrechtsträger bezieht und mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchsetzbar
ist (klassischer Eingriffsbegriff). Die Verweigerung der Passverlängerung erfolgte
final zu dem Zwecke, unmittelbar dem E das begehrte Ausreisen unmöglich zu
machen. Dieses Verbot ist auch durch Zwang durchsetzbar. Der Maßnahme ist
daher unzweifelhaft Eingriffscharakter zuzusprechen.
Beachten Sie: Weil die klassischen Eingriffmerkmale vorliegen, braucht hier auf den
weiten Eingriffbegriff und seine möglicherweise zu beachtenden Einschränkungen im
Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht eingegangen werden!
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3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall,
wenn er den Anforderungen genügt, die das Grundgesetz an Eingriffe dieser Art
stellt.
Beachten Sie: Der Eingriff ist hier die Entscheidung der Behörde, E den Pass zu
versagen, nicht das Passgesetz selbst.
a) Schranken Als Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit nennt Art 2 I GG die Rechte
anderer, die verfassungsmäßige Ordnung und das Sittengesetz.
Rechte anderer im Sinne der Vorschrift sind alle von der Rechtsordnung anerkannten
subjektiven Rechte. Diese Schranke greift hier nicht Platz. Die Belange der
Bundesrepublik, welche durch die Versagung des Passes gesichert werden sollen,
sind keine Individualrechte. Mit dem Sittengesetz sind die allgemein anerkannten
Moral- und Wertvorstellungen als Schranke des Art. 2 I GG herangezogen. Auch
diese Schranke greift hier nicht ein. Übrig bleibt allein die Schranke der
„verfassungsmäßigen Ordnung“. Hierzu zählt die gesamte verfassungsmäßige
Rechtsordnung, d. h. alle Rechtsnormen – Gesetze, Verordnungen, Satzungen,
Gewohnheitsrecht –, die formell und materiell verfassungsmäßig sind. Daher ist zu
klären, ob der Bescheid der Passbehörde zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört.
Dies ist dann der Fall, wenn er sich auf ein verfassungsmäßiges Gesetz stützt und
selbst verfassungsmäßig ist.
b) Ermächtigungsgrundlage Zunächst müsste eine Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme vorliegen (→
Gesetzesvorbehalt). Der ablehnende Bescheid der Passbehörde stützt sich auf § 7 I
Ziffer 1 PassG. Nach dieser Vorschrift ist der Pass zu versagen, wenn Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, der Inhaber werde die innere oder äußere Sicherheit oder
sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Eine
Ermächtigungsgrundlage liegt vor.
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c) Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage Diese Norm müsste selbst formell und materiell verfassungsmäßig sein.
(1) Formelle Verfassungsmäßigkeit An der formellen Rechtmäßigkeit von § 7 I Ziffer 1 PassG bestehen keine Bedenken.
Die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers für den Erlass ergibt ich aus Art. 73 Nr. 3
i. V. m. Art. 71 GG.
(2) Materielle Verfassungsmäßigkeit (a) Bestimmtheitsgebot In materieller Hinsicht ist fraglich, ob die Vorschrift im Hinblick auf den relativ
unkonkreten Wortlaut des Terminus „erhebliche Belange der Bundesrepublik
Deutschland“ den Erfordernissen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebotes
genügt. Nach diesem Gebot, das einen Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips darstellt,
ist dem Gesetzgeber jedoch nicht die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe
untersagt. Erforderlich ist allein, dass die betr. Begriffe der Überprüfung durch die
Verwaltungsgerichte zugänglich sind, was bei § 7 I Ziffer 1 PassG der Fall ist.
(b) Verhältnismäßigkeit Beachten Sie: Bei § 7 I Ziffer 1 PassG handelt es sich nicht um eine sog. self-
executing Norm. Das heißt das Gesetz allein verbietet kein Verhalten. Der eigentliche
Eingriff erfolgt durch die Entscheidung der Behörde. Dennoch muss überprüft
werden, ob das Gesetz verhältnismäßig ist. Dabei muss bedacht werden, dass es
sich hier um eine abstrakte Überprüfung des Gesetzes handelt. Auf die Umstände
des Einzelfalles kommt es nicht an.
Das Gesetz müsste verhältnismäßig in den grundrechtlich geschützten Bereich
eingreifen. Dies ist dann der Fall, wenn es einen legitimen Zweck verfolgt, es zur
Erreichung des Zwecks geeignet ist, es darüber hinaus erforderlich und schließlich
angemessen ist. Das PassG verfolgt den Zweck, die Sicherheit und das
diplomatische Prestige der Bundesrepublik zu schützen. Dieser Zweck ist als legitim
zu betrachten. Das Gesetz ist geeignet, wenn es den Zweck in irgendeiner Weise
fördert. Durch das Gesetz können Störungen von Deutschen im Ausland verhindert
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werden. Das Gesetz ist demnach geeignet. Des Weiteren müsste es erforderlich
sein. Es ist dann erforderlich, wenn kein milderes Mittel ersichtlich ist, was gleich
wirksam den Zweck fördern würde. Als milderes Mittel könnte ein Redeverbot im
Ausland in Betracht kommen oder eine polizeiliche Begleitung. Jedoch sind diese
Mittel nicht gleich wirksam, da die Einhaltung nicht kontrolliert werden bzw. die
deutsche Polizei nicht in anderen Ländern tätig werden kann. Das Gesetz ist also
erforderlich. Schließlich müsste es angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) sein. Dies
ist dann der Fall, wenn eine Abwägung zwischen den Interessen, die hinter dem
Eingriff stehen, und der grundrechtlichen Beeinträchtigung ergibt, dass das Ausmaß
des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu den grundrechtlich geschützten
Beeinträchtigungen steht. Angesichts der schwerwiegenden Interessen der
Bundesrepublik (§ 7 I Nr. 1 PassG betrifft auch Fälle der Spionage) ist der Eingriff
wohl verhältnismäßig.
Das Gesetz ist formell und materiell verfassungsmäßig.
Beachten Sie: Das Zitiergebot nach Art. 19 I 2 GG gilt für Beschränkungen des
Grundrechts auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 I GG nicht (BVerfGE 10,
99).
d) Verfassungsmäßigkeit des Bescheides Fraglich bleibt daher allein, ob die zuständige Behörde die Ermächtigungsgrundlage
auch verfassungsgemäß angewendet hat, d. h. die Maßnahme selbst
verfassungsgemäß ist.
(1) Verstoß gegen Normen außerhalb des Grundrechtskatalogs Ein Verstoß des Exekutivaktes gegen Verfassungsnormen außerhalb des
Grundrechtskatalogs ist nicht erkennbar.
(2) Verhältnismäßigkeit Fraglich ist, ob die Entscheidung der Behörde, dem E keinen neuen Reisepass
auszustellen, verhältnismäßig ist. Die Maßnahme verfolgt das legitime Ziel,
außenpolitische Irritationen zu verhindern. Da die Nichterteilung des Passes den E
von der Vortragsreise abhält, ist die Maßnahme auch geeignet. Die oben
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angesprochenen milderen Mittel scheitern an den dargestellten Problemen und sind
demnach nicht gleich geeignet. Die Maßnahme ist mithin auch erforderlich. Nun
müsste die Maßnahme auch angemessen sein. Hier ist abzuwägen zwischen der
Bedeutung der Reisefreiheit für E (Entfaltung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechtes, Nutzung der Meinungsfreiheit) und den Interessen der
Bundesrepublik (Außenpolitische Reputation der BRD als verlässlicher
Bündnispartner). Die dem Fall zugrundeliegende Entscheidung des BVerfG
betrachtet die Maßnahme als verhältnismäßig. Jedoch muss bedacht werden, dass
das Neutralitätsproblem in der Zeit dieser Entscheidung wohl bedeutsamer war.
Deshalb ist hier auch ein anderes Ergebnis vertretbar. Je nach Argumentation ist die
Maßnahme angemessen und damit verhältnismäßig oder nicht. Wenn eine
Verhältnismäßigkeit bejaht wird, dann ist die Maßnahme nicht verfassungswidrig. E
behauptet dann zu Unrecht, die Maßnahme sei verfassungswidrig. Ist die Maßnahme
nicht verhältnismäßig, ist die Maßnahme verfassungswidrig. E behauptet dann zu
Recht, die Maßnahme sei verfassungswidrig.
Übungsfälle zur Meinungsfreiheit
Fall 4
Die 16jährige Schülerin S erschien im Unterricht mit einer Plakette, die die Aufschrift
„Stoppt die Kohl(a)era!“
trug. Der Aufforderung des Schulleiters, die Plakette abzulegen, leistete sie nicht
Folge. Daraufhin beschloss die Klassenkonferenz auf der Grundlage der
Allgemeinen Schulordnung (ASchO), S für zwei Wochen vom Unterricht
auszuschließen. § 14 I ASchO bestimmt, dass Schüler bis zu zwei Wochen vom
Unterricht ausgeschlossen werden können, wenn die Aufrechterhaltung der
Schulordnung oder der Erziehungszweck dies gebietet.
S beruft sich auf ihr Grundrecht der Meinungsfreiheit. Mit Grund?
21
Fall 5
Der Literaturkritiker K veröffentlichte in dem Literaturmagazin M anlässlich einer
Neuausgabe von Werken des im Jahre 1985 verstorbenen Schriftstellers Johannes
M. eine Kurzbesprechung seines Romans „Am Ende der Straße“. Die Besprechung
hat folgenden Wortlaut:
Johannes M. Am Ende der Straße Werke 1951-54
„Es ist schon schlechthin phantastisch, was für ein steindummer, kenntnisloser und
talentfreier Autor Johannes M. war: Er war, entgegen der noch heute verbreiteten
Meinung, auch einer der verlogensten, ja korruptesten. Dass ein derartiger Knallkopf
den Nobelpreis erringen durfte; dass Hunderttausende Idioten jahrzehntelang den
häufig widerwärtigen Dreck weglasen, dass heute noch auf eben ihn Stiftungshäuser
erbaut werden – ist das nicht alles wunderbar?“
S, der Sohn des verstorbenen Johannes M, ist empört und verklagt den K auf
Unterlassung der Äußerung. K wird auf der Grundlage der §§ 12, 862, 1004 BGB
i.V.m. Art. 1 I GG letztinstanzlich unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe
von 250.000 EUR verurteilt, die folgenden Äußerungen zu unterlassen:
1. Johannes M sei ein „steindummer, kenntnisloser und talentfreier“ Autor
gewesen;
2. er sei „einer der verlogensten, ja korruptesten“ Autoren gewesen;
3. bei seinen Werken handele es sich um „häufig widerwärtigen Dreck“.
K fühlt sich in seiner Meinungsfreiheit verletzt. Zu Recht?
Fall 6
A hat als Richter gemeinsam mit 19 anderen Richtern in einer Tageszeitung unter
der Überschrift „20 Richter gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr“ eine
namentlich unterzeichnete Anzeige aufgegeben. Darin wurde die Politik der
Bundesregierung zum Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland bei
22
friedenssichernden Missionen kritisiert und als verfassungswidrig dargestellt, weil die
Bundeswehr nach Art. 87a GG nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden darf.
Die Anzeige enthielt außerdem scharfe Angriffe auf den Bundesaußenminister.
Die zuständige Dienstbehörde hatte bereits vor der Veröffentlichung der Anzeige die
Richter darauf hingewiesen, dass eine Bezugnahme auf ihr Amt der gesetzlich
gebotenen Zurückhaltung bei politischer Betätigung von Richtern widerspreche (§ 39
DRiG). Das stelle die Verletzung einer Dienstpflicht dar. Nach Erscheinen der
Anzeige und vorheriger Anhörung ermahnte die Dienstaufsichtsbehörde den A auf
der Grundlage von § 26 II DRiG aufsichtsrechtlich, künftig die gesetzlich gebotene
Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung zu wahren.
A macht geltend, dass es sich schließlich um eine private Äußerung handelte und die
Allgemeinheit doch keine unkritischen Richter verlangen könne. Deshalb verletzten
ihn das gesetzliche Zurückhaltungsgebot des § 39 DRiG und die Ermahnung in
seinem Grundrecht der freien Meinungsäußerung. Stimmen Sie der
Rechtsauffassung des A zu?
§ 39 DRiG Wahrung der Unabhängigkeit
Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer
Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht
gefährdet wird.
Übungsfälle zur Berufsfreiheit
Fall 7 (nach BVerfGE 13, 97):
Nach § 1 der Handwerksordnung (HandwO) ist denjenigen die Führung eines
selbstständigen Handwerksbetriebes gestattet, die in die Handwerksrolle eingetragen
sind. In die Handwerksrolle wird wiederum nur eingetragen, wer die Meisterprüfung
bestanden hat (§ 7 I HandwO).
Handwerksgeselle G ist durch die Meisterprüfung gefallen, weil er den Prüfungsteil
„betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Kenntnisse“ nicht bestanden
hat. Aus diesem Grund wird ihm auch von der zuständigen Behörde die Eintragung
23
in die Handwerksrolle verwehrt. G, der sich dennoch als Gerüstbauer selbstständig
machen möchte, meint, die Handwerksordnung verletze ihn in seiner Berufsfreiheit,
da sie für den selbstständigen Betrieb eines Handwerks auch betriebswirtschaftliche
Kenntnisse verlangt. Schließlich könnten viele andere Berufe ohne jegliche
betriebswirtschaftliche Kenntnisse ausgeübt werden, wie zum Beispiel Arzt,
Rechtsanwalt oder Professor für Politikwissenschaften.
Ist G durch Ablehnung der Eintragung in die Handwerksrolle in seinem Grundrecht
aus Art. 12 I GG verletzt?
Fall 8
Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Sanitätsgefreiter betätigte sich der greise
S bereits seit vielen Jahren als Helfer in allen Fragen von Gesundheitsvorsorge und
Krankheiten. Seine unkonventionellen, natürlichen Heilmethoden haben schon
verblüffende Erfolge gezeigt und dem S einen großen Stamm treuer Patienten
gebracht, mit deren nach eigenem Belieben gezahlten Vergütungen er seine Rente
aufbessert.
Vom Bundestag wird nun ein Gesetz beschlossen, mit dem die berufsmäßige
Ausübung der Heilkunde reglementiert werden soll. S glaubt zwar nicht, dass er
deswegen seine Tätigkeit künftig einstellen müsse, denn er gebe seine
heilkundlerischen Ratschläge und Hilfen ja nicht berufsmäßig, sondern nur aus
Nächstenliebe und eigener Freude. Anlass zu Zweifeln bekommt er jedoch, als er in
der Zeitung liest, dass nach dem Gesetz nun für die Ausübung der Heilberufe eine
Zulassungsprüfung verlangt werde, bei welcher der Bewerber gewisse medizinische
Grundkenntnisse nachweisen müsse, und man nur noch dort Heilkunde betreiben
dürfe, wo ein Mangel an ärztlicher Versorgung bestehe.
Ist das vom Bundestag beschlossene Gesetz mit Art. 12 I GG zu vereinbaren?
24
Fall 9 ( nach BVerfGE 103, 172)
A, ein 56jähriger Oberarzt, empfand die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses an
einem Universitätsklinikum aufgrund bestehender fachlicher und menschlicher
Spannungen als belastend und kündigte. In der Folge beantragte er die Zulassung
als Vertragsarzt in der gesetzlichen Krankenversicherung; eine solche Zulassung
wird längstens bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres erteilt.
Die auf einer ordnungsgemäßen gesetzlichen Grundlage beruhende
Zulassungsverordnung für Vertragsärzte schließt jedoch die Zulassung von Ärzten,
die das 55. Lebensjahr vollendet haben, aus. Aus diesem Grund wurde A´s
Zulassung abgelehnt. A sieht in den Vorschriften der Zulassungsverordnung eine
Verletzung seiner Berufsfreiheit.
Verletzt die Zulassungsverordnung A in seiner Berufsfreiheit?
Fall 10 (nach BVerfG DVBl. 2000, 1569)
Das Spielkasino im Bundesland B wird von der Casino-GmbH betrieben. Der
Gesetzgeber des Bundeslandes B verabschiedete ein Änderungsgesetz zum
Spielbankgesetz, nach dem in Zukunft nur noch Unternehmen in öffentlicher
Trägerschaft Spielcasinos betreiben dürfen. Alle bisherigen Spielbankkonzessionen
verlieren am 1. Januar 2012 ihre Gültigkeit. Der Gesetzentwurf war damit begründet
worden, dass durch die öffentliche Trägerschaft Gefahren wie Spielsucht und
Vermögensverfall, die der Bevölkerung und den Spielern drohen, effektiv abgewehrt
werden. Zudem sollten die erzielten Einnahmen für die Förderung öffentlicher
Zwecke verwendet werden und auf diese Weise der Allgemeinheit zu Gute kommen.
Der Geschäftsführer X der Casino-GmbH ist der Auffassung, dass diese neue
gesetzliche Regelung die GmbH in ihrem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletze.
Ist die Auffassung des X zutreffend?
25
Übungsfälle zur Eigentumsgarantie
Fall 11
E möchte auf seinem Grundstück eine Kiesbaggerei im Grundwasserbereich (sog.
Nassauskiesung) betreiben. Die zuständige Behörde teilt E mit, dass die nach dem
Wasserhaushaltsgesetz (WHG) dafür erforderliche Genehmigung nicht erteilt werde,
da eine Gefährdung des Grundwassers zu besorgen sei. E ist der Meinung, dass er
als Grundeigentümer auch ohne behördliche Genehmigung zur
Grundwasserbenutzung berechtigt sei.
Fall 12
M bewohnt seit vielen Jahren als Mieter eine Wohnung im Hause der E. E kündigt
das Mietverhältnis mit der Begründung, sie benötige die von M bewohnte Wohnung
für eigene Zwecke. M meint durch die Kündigung in seinem Eigentumsrecht verletzt
zu sein.
Fall 13
F und M haben vor wenigen Wochen geheiratet. M ist in der gesetzlichen
Rentenversicherung versichert. F ist nicht erwerbstätig. Aus der Zeitung erfahren
beide von den Plänen des Gesetzgebers, die Hinterbliebenenrente in der
gesetzlichen Rentenversicherung abzuschaffen. Sie glauben, dadurch in ihren
verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechten verletzt zu werden.
Fall 14
Die Gemeinde G verpachtet seit vielen Jahren mit Gewinn landwirtschaftliche
Flächen, die als Rebgelände und zum Obstanbau verwendet werden. Als die
Nachbargemeinde N die Errichtung einer großangelegten Müllverbrennungsanlage
genehmigt, erhebt G Einwände. Es seien schädliche Veränderungen der
klimatologischen und ökologischen Verhältnisse zu erwarten. Die landwirtschaftlichen
Flächen der G würden dadurch entwertet. G meint, sich auf die Eigentumsgarantie
26
des Art. 14 I 1 GG berufen zu können. Soweit eine Gemeinde Grundeigentümerin sei
und ihre Eigentum nicht unmittelbar zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben,
sondern wie eine Privatperson nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen nutze, müsse
ihr der Schutz des Art. 14 GG zustehen.
Fall 15
K ist Eigentümer eines palastartigen Gebäudes mit einer Nutzfläche von ca. 950 m2
aus der Gründerzeit im Bundesland R. Wegen des öffentlichen Interesses am Erhalt
dieses kulturhistorisch wertvollen Gebäudes hat die zuständige Behörde dieses nach
den Vorschriften des Denkmalschutz- und -pflegegesetzes des Landes förmlich unter
Schutz gestellt. Das Gesetz sieht vor, dass solche förmlich unter Schutz gestellten
Kulturdenkmäler vom Eigentümer erhalten und gepflegt werden müssen. Eine
Beseitigung kann ausschließlich im öffentlichen Interesse genehmigt werden.
Eigentümerinteressen bleiben dabei unberücksichtigt. Für den Fall, dass eine
denkmalschutzrechtliche Maßnahme „in sonstiger Weise enteignend“ wirkt, sieht das
Gesetz eine angemessene Entschädigung des Eigentümers vor.
K gelingt es trotz intensiver Bemühungen nicht, das Gebäude einer wirtschaftlich
sinnvollen Nutzung zuzuführen. Die Erhaltung der Bausubstanz erfordert einen
enormen Energie- und Instandsetzungsaufwand, für den K erhebliche Mittel
aufbringen muss. K beantragt, die Beseitigung des Gebäudes zu genehmigen. Sein
Antrag wird unter Hinweis auf die Bestimmungen des Denkmalschutz- und
-pflegegesetzes abgelehnt. Mit einer Entschädigung in Geld will sich K nicht
zufrieden geben.
Fall 16 Der Bundestag beschließt im Zuge der Maßnahmen zur Herstellung der deutschen
Einheit unmittelbar durch Gesetz die Enteignung bestimmter näher bezeichneter
Flächen, die für den Bau einer wichtigen Ost-West-Autobahn benötigt werden.
27
Fall 17
Ein Enteignungsgesetz sieht vor, dem Eigentümer eine „angemessene
Entschädigung“ zuzubilligen, wenn er unzumutbar in seinem Eigentum betroffen
wird.
Fall 18
Das Land Baden-Württemberg erlässt ein Gesetz, das wegen der herausragenden
Bedeutung des Unternehmens im gesamten Landesgebiet Enteignungen zugunsten
der Daimler-Chrysler-AG ermöglicht.
Fall 19
Auf dem Gelände des Münchener Hauptbahnhofs veräußert die Deutsche Bahn AG
Flächen, die sie nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt. Die A-GmbH, die zur Zeit
der Weimarer Republik Eigentümerin dieser Flächen war und beim Bau der
Bahnanlagen enteignet worden war, erhebt Anspruch auf Rückübertragung.
Fall 20
Die Einfahrt des schlossartigen Landhauses des E ist von einer selten hohen und
sehr schönen Buchshecke flankiert. Vorfahren von E haben sie nicht nur aus
ästhetischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen gepflanzt: Der langsam
wachsende Buchs hat ein außerordentlich festes Holz, das schon immer für die
Herstellung mancher Produkte unentbehrlich und entsprechend teuer war.
Inzwischen ist der Preis für Buchsholz weiter erheblich gestiegen. E, der in
finanziellen Schwierigkeiten und der Buchshecke außerdem überdrüssig ist, will das
Holz abschlagen lassen und verkaufen. Die für Natur- und Landschaftsschutz
zuständige Behörde erfährt von diesem Vorhaben und setzt die Buchshecke als
Naturdenkmal fest. Damit ist das Verbot des Abholzens verbunden (vgl. z.B. §§ 22,
34 III Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen [LG NW]). Die Zahlung einer
Entschädigung lehnt die Behörde ab.
Wie ist die Rechtslage nach Art. 14 GG?
28
Übungsfälle zur Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit Fall 21 G gründet eine GmbH, in der er der einzige Gesellschafter ist. Als das LG, in dessen
Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat, die Ein-Mann-GmbH nach § 61 GmbHG durch
Urteil auflöst, hält G dies für einen Verstoß gegen Art. 9 I GG. Kann sich die Ein-
Mann-GmbH auf die Vereinigungsfreiheit berufen?
Fall 22 Das Aktionsbündnis „Anti-Hartz IV e.V.“ (A) wendet sich gegen den sog. Sozialabbau
für Langzeitarbeitslose und ruft zu einer Demonstration vor dem Reichstag auf. Diese
wird vom Polizeipräsidenten verboten. A sieht sich durch das Verbot unter anderem
in Art. 9 I GG verletzt. Liegt ein Eingriff in die Vereinigungsfreiheit des Vereines vor?
Fall 23 Nach § 2 I IHK-G sind alle Gewerbetreibende verpflichtet, Mitglied der örtlichen
Industrie- und Handelskammer (IHK) zu sein, in der sie nach § 3 II, III IHK-G
Kammerbeiträge zahlen müssen. Unter Berufung auf das Recht der negativen
Vereinigungsfreiheit wendet sich die Versicherungsmaklerin V gegen die
Zwangsmitgliedschaft in der Kammer und weigert sich, Kammerbeiträge abzuführen.
Verstößt die Mitgliedschaft in der IHK gegen Art. 9 I GG?
Fall 24 Die extremistische Religionsgemeinschaft „Kalifatsstaat“ (K) des selbsternannten
„Kalifen von Köln“ strebt eine islamistische Ordnung auf Grundlage der Scharia mit
dem Endziel der Weltherrschaft des Islam an. Sie hält Demokratie mit dem Islam für
unvereinbar und für verderblich, ruft zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem
politischen Gegner auf und agitiert in aggressiver Weise gegen die laizistische Türkei
und gegen Israel. Das Bundesministerium des Innern erlässt eine Verbots- und
Auflösungsverfügung gegenüber dieser Vereinigung mit der Begründung, sie sei
29
gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung
gerichtet. Kann sich das Verbot von K auf Art. 9 II GG stützen?
Fall 25 Auf Grund der Umstellung auf rechnergesteuerte Textsysteme im Bereich der
Druckindustrie sind viele Arbeitsplätze der Maschinensetzer bedroht. Die
Gewerkschaft G fordert daher den Abschluss von Rationalisierungsschutzabkommen
und unterstreicht ihre Forderungen mit Streiks in mehreren Betrieben, an denen sich
4300 Arbeitnehmer beteiligen. Die Arbeitgeber reagieren hierauf mit der Aussperrung
von 130.000 Beschäftigten. G hält die Aussperrung für unverhältnismäßig und daher
für verfassungswidrig. Zu Recht?
Fall 26 Arbeitnehmer und Gewerkschaftsmitglied A verteilt in seinem Betrieb während der
Arbeitszeit Flugblätter der Gewerkschaft G. Der Arbeitgeber erteilt ihm daraufhin eine
Abmahnung, die zur Personalakte genommen wird. Die hiergegen eingereichte
Klage vor den Arbeitsgerichten wurde letztinstanzlich vom BAG mit der Begründung
abgewiesen, A könne sich für seine Werbeaktion nicht auf Art. 9 III GG berufen.
Kann sich A auf Art. 9 III GG berufen, um in seinem Betrieb für seine Gewerkschaft
zu werben?
Fall 27 Das Unternehmen U ist Mitglied der tarifschließenden Arbeitgebervereinigung und
vergütet seine Auszubildenden grundsätzlich nach dem zwischen den Tarifparteien
geschlossenen Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen dieser Branche. U
beabsichtigt über seinen Bedarf hinaus Ausbildungsplätze anzubieten, allerdings mit
der Maßgabe, dass die Bewerber nicht gewerkschaftlich organisiert sind, damit sie
auf einen Teil der tariflichen Leistungen verzichten. Darf U die fehlende
Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bei der Einstellung von zusätzlichen
Auszubildenden als Einstellungskriterium wählen?
30
Fall 28 Bei der früheren Deutschen Postgewerkschaft (DPG) waren sowohl Arbeitnehmer als
auch Beamte der Deutschen Bundespost (DBP) organisiert. Sie führte 1980 einen
Arbeitskampf durch, in dessen Verlauf 75 Postämter bestreikt wurden. Der für die
DBP damals zuständige Bundespostminister ordnete zur Minderung der durch den
Streik anfallenden Betriebsstörung an, beamtete Kräfte zur Mehrarbeit
heranzuziehen. Die DPG hält dies für unzulässig. Verstößt der Einsatz von Beamten
als Streikbrecher gegen die Koalitionsfreiheit?
Art. 9 GG
Allgemeine Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG)
Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG)
Individualfreiheitsrecht
Kollektives Freiheitsrecht
Institutsgarantie des Tarifvertragssystems
Unmittelbare Drittwirkung (Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG)
31
Übungsfälle zur Allg. Handlungsfreiheit; Allg. Persönlichkeitsrecht; Menschenwürde Fall 29
§ 14 Einsatzmaßnahmen….
(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles
dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung
zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse
abgeben.
(2) 1Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den
Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten
beeinträchtigt. 2Die Maßnahme darf nur solange und soweit durchgeführt
werden, wie ihr Zweck es erfordert. 3Sie darf nicht zu einem Nachteil
führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach
den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das
Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur
Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.
Fall 30
Anfang Oktober wurde die nach einem Verkehrsunfall schwer verletzte, in der 15.
Woche schwangere M in die Erlanger Universitätsklinik eingeliefert. Kurz darauf
wurde ihr Hirntod festgestellt. Um das Kind zu retten, wurden die Apparate, an die die
Tote angeschlossen war, nicht abgestellt. Die Ärzte planten nach Gesprächen mit
den Eltern der Toten (der Vater des Kindes war nicht bekannt), die Körperfunktionen
der Toten ungefähr 4 Monate lang aufrecht zu erhalten. Etwa in der 32.
Schwangerschaftswoche sollte dann versucht werden, das Kind durch einen
Kaiserschnitt zur Welt zu bringen. Bis dahin sollte die Tote künstlich ernährt werden.
Außerdem wurde der Leichnam bewegt, gestreichelt und mit ihm gesprochen, um für
die Leibesfrucht möglichst „normale“ Bedingungen zu schaffen. Ähnliches hatte man
auch schon im Ausland durchgeführt, allerdings nie über einen so langen Zeitraum
32
hinweg. Die dabei geborenen Kinder sind Presseberichten zufolge körperlich und
psychisch wohlauf. Die Erlanger Ärzte waren zuversichtlich, auch das Kind der M
gesund zur Welt zu bringen. Doch diese Zuversicht trog: Mitte November kam es zu
einem Spontanabort. Daraufhin wurden die Geräte abgeschaltet und Mutter und Kind
gemeinsam begraben.
Wie ist der Fall im Hinblick auf die Menschenwürde der M zu beurteilen?
Übungsfälle zu Gleichheitsrechten
Fall 31
Aufgrund des StVG erlässt der Bundesminister für Verkehr eine „Verordnung zur
Erleichterung des Ferienreiseverkehrs auf der Straße“. Danach dürfen
Kraftfahrzeuge, die zur Beförderung von Gütern bestimmt sind, mit einem zulässigen
Gesamtgewicht von 7,5 t und darüber sowie Anhänger hinter Lastwagen auf
Bundesautobahnen zu bestimmten Zeiten nicht verkehren. Diese Sperrzeiten
betreffen fünf aufeinanderfolgende Wochenenden (Sonnabendmittag bis
Sonntagabend) in der Hauptreisezeit.
Der Güterfernverkehrsunternehmer U macht geltend, dass die Verordnung seine vom
Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit verletze. Sie könne ihren Zweck nicht erfüllen
und greife überdies tief in die Interessen des Güterfernverkehrs ein. Sie verletze
zudem den Gleichheitssatz, weil sie den Schwerlastverkehr grundlos einer
benachteiligenden Regelung unterwerfe.
Prüfen Sie, ob die von U geltend gemachten Grundrechtsverletzungen durchgreifen.
Fall 32
Der Sächsische Landtag verabschiedet nach ordnungsgemäßem
Gesetzgebungsverfahren das folgende Gesetz:
33
§ 11 [Feuerwehrdienstpflicht] Feuerwehrdienstpflichtig sind alle männlichen
Gemeindeeinwohner zwischen dem vollendeten 18. und dem vollendeten 50.
Lebensjahr, sofern sie nicht nachweisen, dass sie den gesundheitlichen
Anforderungen des Feuerwehrdienstes nicht gewachsen sind.
§ 37 [Feuerwehrabgabe] (1) 1Die Gemeinden können aufgrund einer Satzung eine
Feuerwehrabgabe als Ausgleich für die Nichtheranziehung erheben. 2Das
Aufkommen darf nur für Zwecke der Feuerwehr verwendet werden.
(2) Abgabepflichtig sind alle Personen, die nach § 11 feuerwehrdienstpflichtig sind
und bei Beginn des Haushaltsjahres in der Gemeinde wohnen.
E hält das Gesetz für grundgesetzwidrig; die Feuerwehrdienstpflicht und demzufolge
auch die daran anknüpfende Feuerwehrabgabepflicht sei eine nach dem
Grundgesetz unzulässige Diskriminierung von Männern.
Trifft diese Aussage zu?
Fall 33
Die in der Stadt S ansässige Wäscherei Müller & Co. OHG beschäftigt 35 Arbeiter,
darunter befinden sich 15 Frauen. Der Betrieb der Wäscherei macht es erforderlich,
auch nachts zu arbeiten. Für die Nachtschichten werden regelmäßig nicht nur die
männlichen, sondern auch alle weiblichen Arbeiterinnen eingeteilt. Die zuständige
Behörde erfährt von dieser Praxis und belegt die OHG in einem
Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen der Beschäftigung weiblicher Arbeiterinnen
zur Nachtzeit mit einem Bußgeld. Zur Begründung führt die Behörde aus, die Praxis
der OHG, weibliche Arbeiterinnen auch nachts zu beschäftigen, verstoße gegen das
Nachtarbeitsverbot des § 19 der Arbeitszeitordnung (AZO). Die OHG legt gegen den
Bußgeldbescheid Widerspruch ein, dem jedoch nicht abgeholfen wird. Die daraufhin
erhobenen Klagen beleiben bis zur letzten Instanz erfolglos. Die OHG legt
Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil und den Bußgeldbescheid
ein.
34
Arbeiterin A, die verheiratet ist und zwei kleine Kinder hat, arbeitet ebenfalls bei der
Wäscherei Müller & Co. OHG. Sie wird von der Wäscherei nach Erlass des
Bußgeldbescheides nur noch tagsüber eingesetzt, was eine erhebliche finanzielle
Einbuße für sie zur Folge hat, da sie bisher einen Großteil ihres Lohnes durch die
nächtliche Arbeit verdient hat. A fühlt sich gegenüber ihren männlichen Kollegen
ungerecht behandelt und legt ebenfalls Verfassungsbeschwerde ein.
Sind die Verfassungsbeschwerden der OHG und der A begründet?
§ 19 AZO
(1) Arbeiterinnen dürfen nicht in der Nachtzeit von 20 bis 6 Uhr und an den Tagen
vor Sonn- und Feiertagen nicht nach 17 Uhr beschäftigt werden.
(2) 1In mehrschichtigen Betrieben dürfen Arbeiterinnen bis 23 Uhr beschäftigt
werden. 2Nach vorheriger Anzeige an das Gewerbeaufsichtsamt kann die
Frühschicht regelmäßig frühestens um 5 Uhr beginnen, wenn die Spätschicht
entsprechend früher endet. 3Das Gewerbeaufsichtsamt kann zulassen, dass
die Spätschicht regelmäßig spätestens um 24 Uhr endet, wenn die
Frühschicht entsprechend später beginnt.
35
Staatsbegriff
Fall 34: „Fürstentum Sealand“ (VG Köln, DVBl 1978, 510 f.)
Außerhalb der Hoheitsgewässer von Großbritannien befindet sich eine ehemalige
englische Flakstellung. Es handelt sich um eine 1.300 m2 große künstliche Insel, die
mit starken Pfeilern am Meeresgrund befestigt ist. Ein britischer Major besetzte die
Insel mit ca. 100 Personen, die sich zeitweise und vornehmlich, um der Verpflichtung
zu Steuerzahlung zu entgehen, dort aufhielten und rief das Fürstentum „Sealand“
aus. Er gab seinem „Staat“ eine Verfassung, ernannte sich selbst zum
Staatsoberhaupt und verlieh den 100 Personen die sealändische
Staatsangehörigkeit.
Demokratieprinzip
Übersicht zu den wichtigsten Arten der Demokratie
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 8
36
Nähere Charakterisierung des Modells der repräsentativen Demokratie
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 8
Übersicht zu den plebiszitärdemokratischen Elementen im Grundgesetz
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 9
Plebiszitärdemokratische Instrumente
Quelle: Hendler, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl., 2003, S. 10
37
Übungsfälle zur Parlamentarischen Demokratie I
Fall 35
Kurz vor der bevorstehenden Landtagswahl ließ der Umweltminister des Landes X
eine Anzeigenserie in zwei Tageszeitungen unter Einsatz staatlicher Mittel
veröffentlichen. Das Verbreitungsgebiet dieser Zeitungen deckte insgesamt das Land
X ab. Die Anzeigen enthielten in 12 Folgen verschiedene Hinweise an die Bürger zur
Müllvermeidung und zur Wiederverwertung von Abfällen („Müllspartipps“) und
endeten jeweils mit der Formulierung „… rät der Umweltminister des Landes X“. Die
Gesamtausgaben der Kampagne beliefen sich auf fast 2,5 Mio. EUR. Die
Oppositionspartei O sieht in dieser Anzeigenserie einen Eingriff in den Wahlkampf,
da der Umweltminister der Regierungspartei R angehöre. Ist die Anzeigenserie mit
dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Chancengleichheit zu vereinbaren?
Fall 36
Die Bürgervereinigung „Mehr Grün für Riesa“ agiert politisch im Raum von Riesa und
möchte bei der nächsten Kommunalwahl dort kandidieren. Die Bürgervereinigung hat
sich voll und ganz dem Umweltschutz verschrieben. Sie will vor allem den
Grünflächenanteil in Riesa beträchtlich erhöhen. Sie möchte wissen, ob sie „Partei“
im Sinne des GG ist.
Fall 37
An der nächsten Bundestagswahl möchte auch die „Partei Deutscher Lehrer“ (PDL)
teilnehmen und wenn möglich gewählt werden. A, der Mitglied der Z-Partei ist, meint,
diese Vereinigung sei keine Partei i.S.d. § 2 I ParteiG, da sie sich nicht auf das
Gemeinwohl verpflichte, sondern nur die Interessen einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe vertrete. Zu Recht?
38
Fall 38
Die Stadt S vermietet in der Wahlkampfzeit immer ihre stadteigene Mehrzweckhalle
(Stadthalle) an die Parteien für Wahlveranstaltungen. Die rechtsextreme D-Partei
beantragt daher die Nutzung dieser Halle für die Wahlkampfsaison. Die
Stadtverwaltung lehnt dies mit der Begründung ab, dass die Partei verfassungswidrig
sei. Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Anhänger der Partei und die eventuell
zu erwartenden Gegner der Partei bei Auseinandersetzungen die Halle bzw. das
Inventar beschädigen. Kann die D-Partei dennoch die Nutzung der Halle verlangen?
Fall 39
Im Verfassungsschutzbericht 2007 war zu lesen, dass die N-Partei „eine Partei mit
verfassungsfeindlicher Zielsetzung sei, die rechtsradikal ist und eine Gefahr für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung darstelle“. Daraufhin erließ die Stadt D
unter Hinweis auf Art. 9 I GG ein Verbot dieser Partei in D und untersagte ihr jegliche
politische Betätigung. Zu Recht?
Übungsfälle zur Parlamentarischen Demokratie II
Fall 40 (BVerfGE 80, 188)
A ist Mitglied der B-Partei und Mitglied des Deutschen Bundestages. Er gehörte
zunächst der Fraktion der B-Partei an. Von dieser wurde er als Mitglied des
Innenausschusses und des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Art. 53a GG
benannt, außerdem war er stellvertretendes Mitglied des Rechtsausschusses.
Nach Streitigkeiten mit seinem Landesverband trat A aus der B-Partei aus. Daraufhin
wird er aus der Fraktion ausgeschlossen. Seine Ausschusssitze verliert er an andere
von der Fraktion der B-Partei benannte Mitglieder.
In einem Ordnungsstreitverfahren wendet sich A gegen den Verlust seiner
Ausschusssitze. Mit Erfolg?
39
Fall 41
A wird als Mitglied der Y-Partei in den Bundestag gewählt. Vor der ersten Sitzung
des Bundestages führt die Y-Partei eine Fraktionsbesprechung durch. Um ein
einheitliches Auftreten der Fraktion, insbesondere eine einheitliche Stimmabgabe bei
Abstimmungen zu erreichen, wird festgelegt, dass ein gegen die Vereinbarung einer
einheitlichen Stimmabgabe verstoßender Abgeordneter sein Parteiamt verliert.
Im Bundestag wird über den geänderten § 218 StGB abgestimmt. Die Y-Fraktion
nimmt, wie vereinbart, den Gesetzesvorschlag an. A kann dies nicht mit seinem
Gewissen vereinbaren und stimmt dagegen. Daraufhin verliert er sein Amt als
Schatzmeister der Partei.
A möchte gerichtlich feststellen lassen, dass er sein Amt als Schatzmeister nicht
verloren hat.
Abwandlung: In der Fraktionsvereinbarung wird festgelegt, dass ein gegen die Festlegung zur einheitlichen Stimmabgabe verstoßender Abgeordneter eine Strafe in
Höhe von 500,- Euro in eine dafür vorgesehene Kasse zahlen muss. Bei der
Abstimmung über die Änderung des § 1 II Nr. 3 HBG a. F. stimmt B, auch Mitglied
der Y-Fraktion, nicht mit der Fraktion.
Muss B die Strafe bezahlen?
Fall 42 (BVerfGE 77, 1)
Nachdem der Verdacht aufgekommen ist, dass die gemeinnützige Wohnungs- und
Siedlungsgesellschaft „Neue Heimat“ gegen Bundesrecht, insbesondere gegen das
Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz und das Wohnungsbauförderungsgesetz
verstoßen haben soll, setzte der Bundestag gemäß Art. 44 GG zur Klärung der
Angelegenheit einen Untersuchungsausschuss ein.
Zur Aufklärung hat der Untersuchungsausschuss beschlossen, Beweis zu erheben
durch Heranziehung aller Geschäftsberichte sowie der Protokolle der
40
Aufsichtsratssitzungen. Da die „Neue Heimat“ sich gegen die Herausgabe weigerte,
ordnete das zuständige Amtsgericht die Beschlagnahme an, die vom Landgericht
bestätigt und sodann auch durchgeführt wurde.
1. Sind Grundrechte der Gesellschaft (Art. 2 I, 14 I GG) verletzt?
2. Ist die Beschlagnahme der Akten des Beschwerdeführers, einem privaten
Unternehmen, mit Art. 44 GG vereinbar?
Fall 43 (BVerfGE 67, 100)
Der Flick-Konzern hat durch Aktienveräußerungen einen steuerpflichtigen Gewinn
von knapp 1 Mrd. Euro erzielt. Um die nach dem Steuerrecht vorgesehene
Versteuerung eines großen Teils des Gewinns zu vermeiden, beantragt der Konzern
eine gemeinsame Entscheidung des Wirtschafts- und des Finanzministeriums nach
dem Einkommensteuergesetz (EStG) und nach dem Auslandsinvestitionsgesetz
(AuslInvG), wonach ausnahmsweise von einer Besteuerung aus wirtschaftlichen
Gründen abgesehen werden kann. Beide Ministerien bescheinigten die
Voraussetzungen der Steuervorschriften, so dass der Konzern von der Steuerpflicht
befreit wurde.
Einige Zeit später kam der Verdacht auf, dass der Verantwortliche des Flick-
Konzerns den politischen Parteien hohe Geldbeträge habe zukommen lassen, um
die Entscheidungen im Bescheinigungsverfahren gemäß der §§ 6 b EStG,
4 AuslInvG zugunsten der Firma Flick zu beeinflussen. Zur Erhellung der ganzen
Angelegenheit wird vom Bundestag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Dieser
fordert vom Finanz- und Wirtschaftsministerium die Herausgabe der für die
Untersuchung erforderlichen Akten. Diese werden ihm unter Berufung auf das
Steuergeheimnis nur unvollständig vorgelegt.
Haben die Ministerien dadurch gegen Art. 44 GG verstoßen?
41
Bundesstaatsprinzip
Gesetzgebungskompetenzen
Land (ausschließlich)
Art. 30, 70 GG
Bund/Land (konkurrierend)
Art. 72, 74 GG
Bund (ausschließlich)
Art. 71, 73 GG
Erforderlichkeits-erfordernis
Art. 72 Abs. 2 GG
Sachliche und zeitliche Sperrwirkung
Art. 72 Abs. 1 GG
Abweichungs-kompetenz
Art. 72 Abs. 3 GG
Gesetzgebungs-recht liegt beim Bund, wenn der Nachweis über die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung erbracht wird.
Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungs-zuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat.
Auch wenn der Bund bereits Gesetze erlassen hat, können die Länder abweichende Regelungen treffen
Grundsatzgesetzgebung für die Haushaltswirtschaft von Bund und
Ländern Art. 109 Abs. 3 GG
Ungeschriebene Bundeszuständigkeiten:
Kompetenz Kraft
Sachzusammenhangs Annexkompetenz
Kompetenz Kraft Natur der Sache
42
Verwaltungskompetenzen
Vollzug der Gesetze
Landesgesetze Bundesgesetze
durch die Länder (Art. 30 GG)
durch die Länder durch den Bund (Art. 86, 87 GG)
Bundeseigene Verwaltung
als eigene Angelegenheit (Art. 83, 84 GG)
als Auftragsangelegenheit (Art. 85 GG)
Bundesauftragsverwaltung
43
Einlei-tungs-
verfahren (Art. 76
GG)
Haupt-verfahren (Art. 77, 78 GG)
Ab-
schluss-verfahren (Art. 58, 82 GG)
Hauptverfahren (Art. 77, 78 GG)
Gesetzgebungsverfahren für Bundesgesetze
1. Gesetzesinitiative aa) Bundesregierung bb) Mitte des Bundestages cc) Bundesrat
Inkrafttreten, Art. 82 II GG à rechtliche Geltung des Gesetzes
3. Beratung und Gesetzesbeschluss des Bundestages
5. Gegenzeichnung
6. Ausfertigung durch den Bundespräsidenten
7. Verkündung im BGBl. à rechtliche Existenz
4. Mitwirkung des Bundesrates
2. Vorverfahren Mitte des
Bundestages
Bundesrat Bundesregierung
Bundestag
Bundesrat Bundesregierung
S. 2 S. 1
Art. 76 II GG Art. 76 III 1 GG
S. 1
S. 2
Zustimmungsgesetze Art. 78 Var. 1 GG
Einspruchsgesetze Art. 78 Var. 2-5 GG
44
Zustandekommen eines Bundesgesetzes
Gesetzesvorlage im BT mit erforderlicher Mehrheit? Art. 77 I 1 GG
ý Gesetz gescheitert
ý
þ Zustimmungsgesetz
(im GG aufgezählt) BR stimmt ausdrücklich zu,
Art. 78 1. Var. GG; þ
Gesetz kommt zustande
Beteiligung BR, Art. 77 I 2 GG
Einspruchsgesetz (Regelfall)
Art. 78 2. Var. GG: BR ruft nicht innerhalb von 3 Wochen Vermittlungsausschuss nach Art. 77 II GG an;
þ
Art. 78 3. Var. GG:
BR ruft zwar Ausschuss an, legt jedoch nach Beendigung des Verfahrens nicht innerhalb von 2 Wochen Einspruch ein, Art. 77 III GG;
þ
Art. 78 4. Var. GG:
BR legt Einspruch ein, nimmt diesen jedoch zurück;
þ
Art. 78 5. Var. GG:
Der Einspruch des BR wird vom BT mit Mehrheit überstimmt, Art. 77 IV GG;
þ
ý
45
Rechtsstaatsprinzip Schema der Gewaltenteilung
Staat
Staatsvolk Staatsgewalt Staatsgebiet
Legislative Exekutive Judikative
• Bundestag • Bundesrat • Parlamente der
Länder
• Bundesregierung • Bundesverwaltung • Länderregierungen • Länderverwaltungen
• BVerfG • Oberste Gerichts-
höfe (BFH, ...) • Gerichte der
Länder • Kreisverwaltungen
• Gemeindeverwal-tungen
Übersicht zur Rückwirkung von Gesetzen
46
Fall 44 Im Rahmen einer umfassenden Justiz- und Verwaltungsreform im Land L, die durch
Eingliederung von Sonderbehörden in die allgemeine Verwaltung und eine
weitreichende Zusammenlegung von Behörden zur Verwaltungsvereinfachung mit
Synergie- und Einsparungseffekten führen soll, kommt es zur organisatorischen
Zusammenführung des Innenministeriums und des Justizministeriums. Im Zuge einer
Neubildung der Landesregierung bestimmt der Ministerpräsident M durch einen
ordnungsgemäß veröffentlichten Organisationserlass, dass die Geschäftsbereiche
des bisherigen Innenministeriums und des bisherigen Justizministeriums zu einem
„Ministerium für Inneres und Justiz“ zusammengeführt werden.
Wie beurteilen Sie die Verfassungsmäßigkeit des Organisationserlasses?
Sozialstaatsprinzip Übersicht zur rechtlichen Reichweite des Sozialstaatsprinzips
Sozialstaatsprinzip (Art. 20 I, 28 I GG)
= unabänderliches Grundprinzip, Art. 79 III GG
• Verpflichtet den Staat zur
Schaffung und Erhaltung eines bestimmten sozialen Grundstandards, sozialer Gerechtigkeit, sozialer Sicherheit und unabding-barer Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein des Einzelnen • „Wie“ liegt im Ermessen
des Gesetzgebers
• Für Auslegung der Verfassung selbst beachtlich • Stellt eine Auslegungs-
maxime für Rechtsprechung und Verwaltung einfacher Gesetze dar
• Leistungsanspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Sozialstaatsprinzip, i.d.R. nur Anspruch auf gesetzlichen Anspruch;
• Aber: Untätigkeit des Gesetzgebers kann das Sozialstaatsprinzip i.V.m. Grundrechten als AGL begründen
Bsp.: § 78 TKG Universaldienstleistungen
Bsp.: Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, Ermessensbestimmung
Bsp.: i.V.m. Art. 1I, 2 II GG Anspruch auf das Existenzminimum
47
Staatsziel Umwelt- und Tierschutz Fall 45 Zur Förderung von wirtschaftlichen Investitionen und zur Schaffung von
Arbeitsplätzen bringt die Bundesregierung den Entwurf für ein „Gesetz zur
wirtschaftlichen und sozialen Modernisierung – WiSoMoG) in das
Gesetzgebungsverfahren ein. Nach § 13 WiSoMoG werden die in Rechts- und
Verwaltungsvorschriften des Bundes geregelten Vorsorgewerte für
immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen ausnahmslos halbiert.
Die Oppositionsparteien halten diese Bestimmung wegen Verstosses gegen Art. 20a
GG für verfassungswidrig und kündigen bei Inkrafttreten des Gesetzes eine
verfassungsgerichtliche Prüfung an. Vermag Art. 20a GG eine derartige
Verschlechterung der Umweltanforderungen zu verhindern?
Fall 46 Die Ergänzung des Wortteils „natürliche Lebensgrundlagen“ in Art. 20a GG um die
Wörter „und die Tiere“ ist mit der Begründung erfolgt, der Schutz des einzelnen
Tieres vor vermeidbaren Leiden, Schäden oder Schmerzen sei von Art. 20a GG nicht
erfasst; zudem sei der Tierschutz in elf Landesverfassungen ausdrücklich verankert.
Erhält der Tierschutz dadurch einen verfassungsrechtlichen Vorrang gegenüber
anderen Belangen?
Fall 47 Der Bauernwald von B ist durch Luftschadstoffe geschädigt, ohne dass ein konkreter
Verursacher des Schadens nachgewiesen werden kann. B will deshalb die
Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz verklagen, da der Staat seine ihm
gegenüber bestehende Schutzpflicht aus Art. 20a GG verletzt habe. Mit Erfolg?
Fall 48 Der Bildhauer Arno B. bewohnt ein in freier Natur gelegenes umgebautes
Bauernhaus in Hanglage und beabsichtigt, dort zwei 6 und 7 Meter hohe Plastiken
(„Olympischer Jüngling“ und „Große Badende“) aufzustellen. Hierfür benötigt er eine
Baugenehmigung. Nach baurechtlichen Vorschriften ist diese zu versagen, wenn
entgegenstehende öffentliche Belange berührt werden. Ein solcher Belang ist u.a.
48
die Verunstaltung des Landschaftsbildes. Aus diesem Grund lehnt die Behörde
seinen Antrag ab. B beruft sich auf die Freiheit der Kunst, die Behörde auf Art. 20a
GG.
Abwandlung: B, der sein ökologisches Gewissen entdeckt hat, möchte zur
Energiegewinnung einen 60m hohen Windrotor aufstellen. Auch diesen hält die
Behörde für verunstaltend.
49
Universitätsprofessor Dr. Martin Schulte TU Dresden
Klausur Verfassungsrecht – WS 2013/2014 (17.2.2014, 120 Min.)
Name
Vorname
Studiengang
Matrikel-Nr. I. Grundrechte Fall: Der S ist bekennender Kriegsgegner. Bei einem Manöver der Bundeswehr enthüllt er ein Plakat mit zwei Aufdrucken. Links auf dem Plakat ist das Zitat: „Soldaten sind Mörder“ abgedruckt. Rechts darauf ist der Schriftzug „WHY?“ in Verbindung mit einem Soldaten zu sehen, der gerade von einer Kugel tödlich getroffen wird. Der Bundeswehrsoldat B entdeckt dieses Plakat und erstattet Strafanzeige gegen S. S wird daraufhin vom Strafgericht wegen Beleidigung (§ 185 StGB) des Bundeswehrsoldaten B verurteilt. Dieser werde - so das Gericht - durch die Bezeichnung „Mörder“ zu einem Schwerstkriminellen und damit minderwertigem Mitglied der Gesellschaft abgestempelt. Dies stelle einen Angriff auf die Ehre des B durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung durch S dar. S ist der Auffassung, dass das Strafgericht bei seiner Urteilsfindung das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht hinreichend beachtet hätte. Immerhin stamme das Zitat „Soldaten sind Mörder“ von Kurt Tucholsky aus dem Jahre 1935 (was zutrifft), als es noch gar keine Bundeswehr gab. Im Übrigen zeige auch der zweite Aufdruck des fallenden Soldaten auf seinem Plakat, dass es dem S um das Anprangern der Gräuel des Krieges und nicht das Verunglimpfen der Soldaten gehe. Fallfrage: Ist der S durch das Gerichtsurteil in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt?
§ 185 StGB lautet: „Die Beleidigung (…) wird bestraft.“ Bearbeitervermerk: Die Fallfrage ist in einem Rechtgutachten zu bearbeiten. Es ist dabei davon auszugehen, dass § 185 StGB formell und materiell verfassungsmäßig ist. II. Staatsorganisationsrecht Nehmen Sie unter rechtlichen Gesichtspunkten zu einem Verbot der Nationaldemokratischen Partei
Deutschlands (NPD) Stellung!
Bearbeitervermerk: Bei der Bewertung kommt der Bearbeitung des ersten Aufgabenteils
(Grundrechte) eine Gewichtung von 70%, dem zweiten Aufgabenteil (Staatsorganisationsrecht) eine
Gewichtung von 30% zu.
Die Klausur ist am Ende zu unterschreiben.
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