Von Bernd Haasis
„Bei jedem Film, den ich mache, lerne ichetwas“, sagt USFilmproduzent Jon Landau(53), der mit Regisseur James Cameron großeFilme wie „Titanic“ (1997) und „Avatar“(2009) realisiert hat. Landau präsentiert sichals Mann, der in jedem Widerstand eineChance sieht, während er bei der Fachkonferenz FMX im Haus der Wirtschaft über „Avatar 2“ und das Filmemachen an sich philosophiert. Dass Landau der Einladung nachStuttgart gefolgt ist, sagt viel über den Stellenwert, den die FMX sich erarbeitet hat.
Niedergang der Filmindustrie? Von wegen: „Dazu habe ich Zitate von Bedenkenträgern aus allen Jahrzehnten seit 1950, undwir sind immer noch da. Das Filmemachenverschwindet nicht, es verändert sich. Ichfürchte das Digitale nicht, ich nehme es an!“,sagt Landau. „Statt mit Holz und Hammerstatten wir Filmsets heute digital aus. DerUnterschied: Unsere Möglichkeiten sindjetzt unbegrenzt. Früher war es beschwerlich, Details zu verändern, ein fehlendesKleidungsstück einzufügen, heute ist daskein Problem mehr.“
In „Avatar 2“ werde man die Welt des FantasiePlaneten Pandora in der Tiefe erkunden, kündigt er an und zeigt dann eine echteInnovation: Cameron steht an einem nackten Set, auf dem eine Gruppe Schauspielerin digitalen Anzügen eine Szene spielt – undder Regisseur hält eine Kamera, auf derenDisplay alle Akteure Maske und Kostüm tragen und die exotischen Hintergründe sichtbar sind. Die Kamera fügt all das automatisch ein, noch in eher schematischer Auflösung, aber doch nahe am späteren Look. Undvor allem: in Echtzeit.
Der Realfilm stößt nun auf Terrain vor, dasbislang Animatoren vorbehalten war, dieschon immer erschaffen konnten, was siewollten. Der Belgier Ben Stassen erweckt im
TrickSpielfilm „Das magische Haus“ Tiere,Spielzeuge und Objekte eines alte Illusionisten zum Leben. Der böse Neffe, ein Immobilienmakler, möchte ihm die Villa abluchsen,doch die Helferlein, Katerchen, Hase, Tauben, Tänzerin, Trommler, halten dagegen.Der Film feiert am Sonntag Premiere beimTrickfilmFestival.
Während er sich an den USStandards von Disney und Pixarorientiert, pflegt der Japaner Mizuho Nishikubo die großeAniméTradition. „Giovanni’s Island“ zeigt, wie die Russen 1945die südliche Kurileninsel Shikotan besetzen – und wie japanischeund russische Kinder die Verwerfungen zumindest zeitweise überwinden. ImZentrum steht der fantastische Roman„Night on the Galactic Railroad“ von KenjiMiyazawa (1896–1933), in daran angelehnten surrealen Traumsequenzen bearbeitenzwei Jungs die Traumata des Krieges.
Einen völlig eigenen, europäischen Lookhat der Este Mait Laas gefunden. Mit klassischem Puppentrick greift er satirisch dieProblematik der Bootsflüchtlinge auf, unddas auch noch in Form einer Oper: Orangenköpfe wie Maroc stören im Land der Zitronenköpfe, in dem Lisa lebt, den Wohlstandsfrieden. „Be Clean / Be Light / Be Nice / BeWhite“ steht auf Plakaten am Strand, undMaroc singt auf Französisch von „Egalité“.
Extrem originell, wunderbar animiert undpointiert – ein Anwärter auf den Spielfilmpreis des Festivals.
Auch der Erste Weltkrieg beschäftigt dasFestival. Propagandafilme sind zu sehen,und während das deutsche Kaiserreich Britannien als Kraken brandmarkt, der die
Welt umklammert, pflegen die Briten bereitsdie Ironie – feiner Humor ist auf der Inseleine lang eingeübte Tradition. Bereits erstaunlich vielschichtig ist ein Film von 1918über die Versenkung des Passagierschiffs„Lusitania“ durch ein deutsches UBoot imJahr 1915, bei der 128 amerikanische Passagiere ums Leben kamen – ein Anstoß untervielen für die USA, ihre Neutralität schließlich aufzugeben und 1917 aufseiten der Entente in den Krieg einzutreten.
Die Ausdruckskraft der TrickAkteure istnoch eingeschränkt, nicht zu vergleichenmit dem, was reale Schauspieler heute ohneKulisse zu virtuellen Produktionen beisteuern. „Für sie ist es eine Befreiung, ohne Kos
tüme und Maske spielen zu können“, sagtLandau, „und wir müssen Szenen kaumnoch wiederholen. Außerdem entgeht unskein spontaner Moment, und wir können ihnnachher einbauen, wo wir wollen.“
Dabei legt Landau auf eines großen Wert:„Man erfindet keine Geschichte, um Technologie einzusetzen, man benützt die Technologie, um eine Geschichte zu erzählen.Avatar hat nicht funktioniert wegen 3D,sondern wegen der Geschichte, wegen derThemen, die größer sind als der Dschungel.Das Publikum allein mit Bildern überwältigen zu wollen funktioniert nicht – die Leutesind klug genug, das zu durchschauen.“
In Stuttgart sowieso, das Festival schultbeharrlich die Sinne. Passanten, Touristen,Müßiggänger jeden Alters folgen am Donnerstagabend auf der SchlossplatzGroßleinwand Andreas Hykades hypnotischemKurzfilm „Love an Theft“, zu technoidemSound mutieren da historische Gestaltenund PopIkonen bruchlos ineinander und indämonische Fratzen. Solche gibt esanschließend auch in „Waltz With Bashir“zu sehen, Ari Folmans künstlerisch animierter Dokumentation über Verwerfungen desNahostkonflikts; das Publikum bleibt,gebannt, fasziniert, staunend.
¡ Kartenreservierung telefonisch unter07 11 / 9 25 46 123. Infos im Netz unter:www.itfs.de und www.fmx.de
Geschichten, größer als der DschungelTrickfilm-Festival und FMX:Aus Europa kommt das Besondere, aus Amerika die Perfektion – doch es gibt eine Verbindung
Animationsfilmer hatten schon immerunbegrenzteMöglichkeiten, und vielenutzen sie – nun stoßen auch virtuell imComputer produzierte Realfilme aufdieses Terrain vor.
Von Thomas Morawitzy
Thomas Fröschle, besser bekannt als Topas,kann nicht nur zaubern, er ist auch unverschämt witzig und eloquent: Der idealeGastgeber also für die Show „Stars & Talents“, mit dem sich Friedrichsbau Varietésvom alten Spielort verabschiedet.
Charmant holte Topas das Publikum zwischen den Auftritten der Artisten auf dieBühne und wickelt es mit seinen Tricks verschlagend lächelnd um den Finger. Topaslässt seine Spielkarten Hardrock schnurrenoder schnatternd die Zauberflöte begleiten,er zeigt wie man schnell und originell in seine Jacke schlüpft
Topas ist das strahlende Bühnentier, dasdiese Show auf seinen breiten Schulternträgt. Aber auch jene, die er vorstellt, sindgekommen, um zu verblüffen. Zwei großeSterne, glitzernd in dynamischer Schräglage, sind das Bühnenbild. Dazu das Licht, dasdas Geschehen glamourös umspielt. Der erste Auftritt gehört Vanessa Tuna, sie singt ihrStück „Tigress“. Tuna wuchs nahe Stuttgartauf, ihr Song „The World Is Mine“ wird von
USSendern gespielt, im Friedrichsbau umrahmt sie Zauberei und Artistik mit ihrenemotionalen Popsongs. Während sie von derTigerin singt, tritt das Ensemble des Abendstanzend auf: Künstler mit Anzug, Schlipsund Koffer, vier Männer, zwei Frauen, jung,begabt und gut trainiert.
Die Sensation des Abends ist Danilo, einSportakrobat. Er verharrt inmitten der Luft,auf einem oder auf zwei ausgestreckten Armen, regungslos, scheinbar mühelos, inPosen, die die Gesetze der Schwerkraft Lügen strafen. Laura von Bongard indesjongliertmit ihrenFüßen.Goldene Bälle tanzen
auf ihnen, gleiten an ihren schönen Beinenaufundab, scheinen, sorgsamausbalanciert,zu schweben. Herr Benedict schließlich istder Geschäftsmann, der fliegen lernt. Zu Beginn seines ersten Auftritts sieht man ihnnoch in einer Situation, die vielen Stuttgartern so fremd nicht ist: Er lehnt am frühenMorgen in der Straßenbahn und träumt sichfort – bis ihn die Schlaufe, an der er sich hält,tatsächlich in andere Welten zieht, in denen
er prompt federleicht umherwirbeln kann.
In der Pause entsteht inmitten des Zuschauer
raums ein großer Käfig.
Die Show beginnt von Neuem, Laura vonBongard und Luka Clayburn lassen sich alseng umschlungenes akrobatisches Vogelpärchen bewundern. Topas, Vanessa Tuna undHerr Benedict kehren zurück, zaubern, singen, tanzen, fliegen. Und nun begegnet dasPublikum auch „Twin Spin“, Lukas Stelterund Benno Jacob, die mit dem altvertrautenDiablo Erstaunliches vollbringen.
Die Show nähert sich ihrem Ende, Topasund Vanessa Tuna treten nun gemeinsamauf.DerZauberermitMaske lässtdieblondeSängerin mal mehr, mal scheinbar wenigergeschickt verschwinden, tauscht auf undenkbare Weise mit ihr den Platz und er
scheint sekundenschnell und ohnedabei außer Atem zu sein am anderen Ende des Saals. Zuletzt gibtsich der Zauberer als Fan von Howard Carpendale zu erkennen.
Die Zuhörer nehmen den nächstenZug nach Hause und freuen sich darauf,
dem Stuttgarter Varieté im Herbst wieder zubegegnen, dann auf dem Pragsattel.
¡ Bis zum 17. Mai. Tickets 07 11 / 225 70 70
Ein letztes Kunststück vor dem Abflug
Animierte Frühlingsstimmung auf demSchlossplatz: Das Trickfilm-Festival hat sich zumbeliebten Publikumsmagneten entwickelt Foto: Festival/Martin Zentner
Von Armin Friedl
Herr Alt, Sie habendort ja schoneinigesinszeniert.Was setzen Sie hier fort?Das Theaterkollektiv transit@stuttgart istneu gegründet. Das Kernteam besteht ausdem türkischen Autor Emre Akal, derungarischen Dramaturgin Boglarka Rai
ser und mir. Die zweiSchauspieler wurdenextra für diese Produktion ausgewählt.Wir verstehen uns alstranskulturelles Kollektiv, das sich umaktuelle Migrationsthemen kümmert,aber nicht aus derdeutschen Mehrheitsperspektive,sondern hier sindKünstler mit Migrationshintergrund aktiv beteiligt. Das isteine rein professionelle Produktion.
UndwasmachenSie in „Ostwind“?Wir haben etwa 20 Interviews mit Migranten hier in Stuttgart und Umgebung geführt, Akal hat die zu fünf Biografien verdichtet. Es sind Geschichten vom Randeder Gesellschaft. Da gibt es etwa eine bulgarische Romafrau, die als Prostituiertearbeitet, einen Straßenmusiker, eine Jurastudentin, die in der Altenbetreuung tätigist, sowie eine Klofrau, die früher Krankenschwester war.
Undwaswollen Sie damit ausdrücken?Das sind nicht nur Verlierer, sondern Menschen, die sich selbstbewusst und beharrlich einen Platz hier in dieser Gesellschaftgeschafft haben. Das ist nicht nur ein Betroffenheitsstück, das ist mit viel Lebensenergie und Humor verbunden.
¡ Premiere an diesem Samstag um 20 Uhr.Weitere Aufführungen am 27. 4., 3. und4. 5. Karten unter 01 77 / 51 04 69
Nachgefragt
Wilfried AltDer Regisseur inszeniert „Ostwind“ imFeuerbacher Fairkaufhaus in derSteiermärker Straße 53.
„Am Rand derGesellschaft“
Wilfried Alt hofftauf eine Fortset-zung seines neuenTheaterprojekts
Foto:W
eiss
„Das Publikum allein mitBildern überwältigen zuwollen funktioniert nicht“
Jon LandauUS-FilmproduzentFo
to:FMX/ReinerPfisterer
Sind sind gekommen, um zu verblüffen:Mit Topas und der Show „Stars & Talents“ verabschiedet sich das Friedrichsbau Varieté
Topas alszauberhafterGastgeberFoto: Kovalenko
¡ Die Ähnlichkeit von animierter Figur unddeutscher Synchronsprecherin ist verblüf-fend: Mary Katherine, das Menschenkindaus den Blue Sky Studios/USA, das sich im3D-Animationsfilm „Epic“ in die Welt fantas-tischer Waldbewohner verirrt und die 28-jährige Schauspielerin Josefine Preuß, dieder Figur ihre deutsche Stimme gibt, sindbeide zarte Wesen mit schmalem Gesicht,schnellen Bewegungen, heller Stimme undausdrucksstarker Mimik.
¡ „Vermutlich haben sie mich auch deshalbgenommen“, sagt Josefine Preuß, als ihrStuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn amDonnerstag im Renitenztheater den Preis alsbeste Sprecherin beim 21. InternationalenTrickfilmfestival überreicht.
¡ „Die Stimme hört auch Bewegung“, verrätJosefine Preuß. Auch die Berlinerin AnnaThalbach war für den Sprecherpreis nomi-niert. Im Animationsfilm „Das kleine Ge-
spenst“, einer Verfilmung des gleichnami-gen Kinderbuchklassikers von Otfried Preuß-ler durch Alain Gsponer, gibt Thalbach demTitelhelden nicht nur Stimme, sondern auch52 Gesichtsausdrücke. Und Ilja Richter?Nominiert für die Synchronstimme des grü-nen Glupschaugen-Monsters Mike Glotzkow-ski im Dan-Scanlon-Film „Die Monster Uni“,erzählte er im Renitenz gerne von seinenErfahrungen als Stimme von ErdmännchenTimon in „Der König der Löwen“. (bj)
Hintergrund
Josefine Preuß als beste Synchronsprecherin geehrt
Evan McKieverlässt dasStuttgarter BallettNach mehr als 20 Jahren tanzt das Stuttgarter Ballett wieder Maurice Béjarts„Lieder eines fahrenden Gesellen“. DerPas de deux für zwei Herren bildet nun dasMittelstück des neuen Ballettabends „Aftermath“. Das gleichnamige Stück vonHauschoreograf Demis Volpi beschließtden Abend im Opernhaus, den EdwardClugs „No Men’s Land“ mit hoher Intensität eröffnet. Für „Aftermath“ an diesemSamstag (Beginn 19 Uhr) gibt es noch
Restkarten an der Abendkasse. Diese lohnen sich besonders, da Evan McKie (mitJason Reilly an diesem Samstag in Béjarts„Fahrende Gesellen“ zu erleben) am Freitag seinen Abschied bekannt gegeben hat.Der Erste Solist des Stuttgarter Ballettstanzt künftig beim National Ballet of Canada in Toronto. Auch seine Abschiedsvorstellung tanzt McKie im Rahmen von„Fahrenden Gesellen“ – voraussichtlicham 3. Juni. Vormerken kann man sich zuvor die Vorstellungen am 7. und 9. Mai.Ballettintendant Reid Anderson, der selbstvon 1989 bis 1996 das Kanadische Nationalballett geleitet hat, sagte am Freitagzum Abschied von Evan McKie: „Evan istein feiner, eleganter Tänzer, der vor allemals Interpret der großen Ballette JohnCrankos weltweit für Begeisterung gesorgthat. Wir werden ihn vermissen.“ (StN)
www.stuttgarter-ballett.de
Jason Reilly (links) und Evan McKie in„Die fahrendenGesellen“ Foto: Ballett
Unser Wochenendtipp
GartenpartyOkay, die Wettervorhersage versprichtan diesem Wochenende nicht unbedingtbeste Bedingungen für eine richtige Gartenparty. Aber zum Glück gibt es ja diesen lustigen Saxofonohrwurm namens„Garden Party“, mit dem die isländischeBand Mezzoforte seit über 30 Jahren jeden verregneten Sommer aufheitert. Wieder Zufall es will, spielen Mezzoforte andiesem Samstag um 21 Uhr im JazzclubBix. Tickets an der Abendkasse. (StN)
18 Nummer 96 • Samstag, 26. April 2014 Kultur
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