Download - Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Transcript
Page 1: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti
Page 2: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTENPHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

SITZUNGSBERICHTE, 245. BAND, 2. ABHANDLUNG

VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSIONFÜR SPRACHEN UND KULTUREN SÜD- UND OSTASIENS

HEFT 1

TILMANN VETTER

ERKENNTNISPROBLEMEBEI DHARMAKIRTI

Vorgelegt in der Sitzung am 8. April 1964

Gedruckt mit Unterstützung des Vereines der Freunde derösterreichischen Akademie der Wissenschaften

WIEN 1964

HERMANN BÖHLAUS NACHF. / GRAZ-WIEN-KÖLNKOMMISSIONSVERLAG

DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

Page 3: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Alle Rechte vorbehaltenCopyright © 1964 by

Österreichische Akademie der WissenschaftenWien

Druck: Rudolf M. Rohrer, Baden bei Wien

Page 4: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Inhalt

SeiteVorwort • 5

Einleitung 91. Der buddhistische Anätmaväda 92. Hînayana und Mahäyäna 11

Erstes Kapitel: Sauträntikaontologie 131. Die Lehre von der Augenblicklichkeit 142. Die Kausalitätslehre 18

a) Der Ursachenkomplex 18b) Das Gleichartige 20c) Das Entgegengesetzte 25

Zweites Kapitel; Das System der Erkenntnisrnittel 271. Die Schlußfolgerung 282. Der Buddha 313. Zweck und Handeln 344. Die Wahrnehmung 37

Drittes Kapitel: Das Problem des Begriffs 411. Methode 422. Die Apohalehre 47

a) Die logische Seite des Begriffs 47b) Die psychologische Seite des Begriffs 49c) Wort und Satz 59

Viertes Kapitel : Das Problem der Anschauung 631. Problemdenken und Mystik 642. Die Dreiteilelehre 71

a) Das Objekt 72b) Das Bewußtsein 75

3. Der Idealismus des Selbstbewußtseins 77

Fünftes Kapitel: Metaphysik der Erkenntnis 83

Anhang I : Sein und Seiendes in der indischen Philosophie 89

Anhang II : Polemik gegen die Realität einer Gemeinsamkeit 98

Anhang III : Eine Sonderform der Apohalehre 110

Anhang IV : Abkürzungen und Literatur • . 112

Anhang V: Vergleich der Verszählungen des Pramänavärttikam 116

Anhang VI: Verzeichnis der zitierten Pramänavärttikastellen 118

Page 5: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Vorwort

Die philosophische Bearbeitung der Geschichte der indischenPhilosophie steckt noch in den Kinderschuhen. P. Deussen und0. Strauss haben verheißungsvoll angefangen. Das Verständniskonnte sich aber nicht weiter vertiefen, weil zu wenig Materialvorlag. Das blieb lange Zeit trotz beachtlicher Einzelleistungenso. Erst E. Frau wallner betrat mutig die gefürchteten Gebieteeiner Terra incognita, um sie für die Landkarte der indischenPhilosophie wenigstens im groben zu vermessen. Es war eineeinmalige Pionierarbeit, nicht mit bloßen Einzelheiten zurück-zukommen, sondern die Zusammenhänge aufzudecken: neuePerspektiven sind eröffnet; Altbekanntes ist zurechtgerückt undin einen größeren Rahmen gestellt.

Wichtigstes Neuland hat Frauwallner mit Dharmakirti zu-gänglich gemacht. Dharmakirti ist der wohl neben Dignäga ein-flußreichste buddhistische Denker der nachklassischen Periodeder indischen Philosophie. Der Hauptprobleme, die mit der er-kenntnistheoretischen Thematik dieser Periode entstanden, warer sich wie kein anderer bewußt und kann auch heute noch indiesen Dingen ein mehr als nur historisches Interesse beanspruchen.

Warum hat sein System bis jetzt noch keine genügendeDarstellung gefunden ? Das hat zwei Gründe. Einmal kannte manvon ihm in Sanskrit lange Zeit nichts als Fragmente bei brah-manischen Autoren und den Nyäyabinduh, ein für den Schulbetriebabgefaßtes Kompendium. Es war nicht zu sehen, mit welchenProblemen er rang und wie er argumentierte. Daher hat auch dasBuch von T. Stcherbatsky „Erkenntnistheorie und Logik bei denspäteren Buddhisten" nur das Verdienst, auf den Namen Dharma-kïrti's aufmerksam gemacht zu haben. Es erweist sich als uner-giebig, sobald man das Pramänavärttikam kennt. Den Weg, dieHauptwerke Dharmakïrtfs, das Pramänavärttikam und denPramänaviniscayah, in den tibetischen Übersetzungen zu studieren,mochte Stcherbatsky offenbar nicht gehen; in Petersburg undMoskau hätten ihm jedenfalls die Texte zur Verfügung gestanden.Diesen Weg nun ist Frauwallner gegangen und hat sich untergroßen Mühen aus den tibetischen Übersetzungen die Gedanken-

Page 6: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

6 Vorwort

welt Dharmakïrti's erschlossen (Aufsätze in der WZKM).Als R.Sänkrtyäyana kurz vor dem zweiten Weltkrieg Sanskrittextedes Pramänavärttikam in Nepal und Tibet fand und veröffentlichte,war er dann einer der wenigen, die dieses Werk wirklichübersetzen konnten. Denn — das ist der zweite Grund — es zeigtesich, daß auch im Sanskrittext die Verse des Pramänavärttikamnoch äußerst schwierig zu verstehen sind. Es genügt keineswegs,nur Sanskrit zu können. Bis heute ist denn auch in Indien meinesWissens noch kein brauchbarer Aufsatz über Dharmakirti er-schienen, geschweige denn eine größere Darstellung. Lediglichin Japan hat man sich etwas um Dharmakirti bemüht (z. B. inIBK Aufsätze von Y. Miyasaka, die mir leider nicht zugänglichsind, da ich nicht Japanisch kann, und von I. Yamada).

Im Frühjahr 1960 gab mir Prof. Frauwallner „Erkenntnis-probleme bei Dharmakirti" als Dissertationsthema. Die Aufgabewar gewissermaßen, unübersichtliche Stellen im Neuland Dharma-kirti genauer zu vermessen. Zugrundegelegt wurde das Pramä^a-värttikam (wo im folgenden nur römische und arabische Ziffernstehen, sind seine Kapitel und Verse gemeint). Prof. Frauwallnerübersetzte mir die meisten in Frage kommenden Stellen. Dazuwäre ich damals nicht in der Lage gewesen. Und selbst wenn:das Übersetzen der Verse erfordert auch für den Kenner so vielZeit, daß die vorliegende Arbeit noch nicht hätte abgeschlossenwerden können. Der Stoff nun, der zu bearbeiten war, verlangtdie philosophische Bearbeitung, auf die ich oben angespielt habe,und stellt sie nicht etwa bloß in unser Belieben. Es gibt Inhalteder Philosophiegeschichte, die sich nicht wie Fakta erzählenlassen. Oder wie will man z. B. das Idealismusproblem behandeln ?Will man wie indische Kommentatoren sagen, die einen Philo-sophen nähmen ein Außending an, die andern nicht ? Ich kannmir darunter nicht viel vorstellen und der gesunde Menschen-verstand hält den Leugner der Außenwelt für einen Narren.Schließt man sich aber der philosophischen Argumentation an,so wird einsichtig, zu welchen Ausweglosigkeiten es führt, wennErkennen und Erkanntes getrennt werden.

Die Dissertation, die ich im Frühjahr 1962 an der UniversitätWien vorlegte, behandelte nur den ersten Teil des Planes, den ichmir für die Darstellung der Erkenntnisprobleme gemacht hatte.Dank eines Stipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaftwar es dann möglich, die Arbeit fortzusetzen. Vor allem konnteich nun die 1960 von R. Gnoli sorgfältig edierte Svavrttih zu

Page 7: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Vorwort 7

Pramänavärttikam I hinzuziehen (zitiert mit p. . . .). Die Über-setzungen daraus stammen von mir selbst. Die Dissertation bildetzwar den Grundstock der vorliegenden Arbeit; doch ist allesgestrichen, was nicht unmittelbar zum Thema gehört. Wörtlichist so gut wie nichts übriggeblieben, in manchen Punkten bin ichzu einer andern Ansicht gekommen.

Prof. Frauwallner möchte ich dafür danken, daß er mir diesenStoff so großzügig überlassen hat und mir jederzeit mit seinemRat beistand. Auch Prof. Heintel, dem ich hauptsächlich meinephilosophische Ausbildung verdanke, bin ich für wertvolle Hin-weise verpflichtet. Dr. L. Schmithausen und Dr. E. Steinkellnermöchte ich für das Nachprüfen meiner Übersetzungen danken.Dr. Schmithausen hat mir wertvolle Anregungen, besonders zumProblem des Begriffs, gegeben.

Da die Arbeit sich auch die Aufgabe setzt, das wichtigsteMaterial zu sammeln und die schwierigsten Stellen in Überset-zung vorzulegen, sei dem Leser, der sich nur grob orientierenmöchte, empfohlen, bei den Kapiteln I—IV nur die Anfänge derAbschnitte zu lesen. Da ich immer vom Allgemeinen ausgehe unddie folgenden wörtlichen oder paraphrasierten Diskussionen alsBeweise für meine Behauptungen bringe, bedeutet es keinen Ver-lust an Neuigkeiten, wenn man die Lektüre jeweils an dem Punktabbricht, wo die Argumentationen allzu ermüdend werden. Da-gegen sind Kapitel V und Anhang I zusammenhängend geschrie-ben. Auch Anhang II, obwohl eine Übersetzung, gibt den beiDharmakirti wohl seltenen Fall eines lesbaren Zusammenhangsund eignet sich auch gut zur Einführung in seine Sprache, an-ders als die Stellen im Kapitel III, bei denen sich das Ringenmit den Schwierigkeiten des Problems oft in langen Schachtelsät-zen und schwebenden Formulierungen niedergeschlagen hat.

Page 8: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Einleitung

Nicht zuletzt nach dem großen Vorbild Vr.sagai^a's1, derwohl zum ersten Mal in der indischen Philosophie der Darstellungmetaphysischer „Erkenntnisse" eine Untersuchung der Art undWeise, wie man zu ihnen kommt, vorausgeschickt hat, führtDignäga (ca. 480—540)2 mit seinem Pramänasamuccayah dieUntersuchung der Erkenntnismittel (pramänäni) als eigene Dis-ziplin in die buddhistische Philosophie ein.

Dharmakirti's (ca. 600— 660)2 Hauptwerk, das Pramänavärtti-kam, ist ein ausführlicher Kommentar zum Pramâçasamuccayah.Die Ausführlichkeit jedoch ist nicht ein Ausmalen von SätzenDignäga's, sondern ein tiefgehendes Neuentwickeln seiner Position.Die gründliche Behandlung der Erkenntnismittel (Wahrnehmungund Schlußfolgerung) zeigt: die neue Disziplin kann keine selbst-genugsame Existenz führen. Der Hauptgrund liegt im Begriffder Erkenntnismittel selbst. Der Buddhist kann sich — im Gegen-satz etwa zum Naiyäyika — nicht vorstellen, was ein Erkenntnis-mittel getrennt von der Erkenntnis bedeuten soll. Auch wennmeist die einzelnen Erkenntnismittel, insbesondere die Logik,rein formal beschrieben werden, fordern sie doch, sobald ihreVoraussetzungen in Frage gestellt werden, die Grundlage einerPhilosophie der Erkenntnis, die wesentlich buddhistisch gedachtist. Hier in der Einleitung sollen dazu die allgemeinsten Voraus-setzungen beigetragen werden: erstens der Anätmaväda undzweitens der Gegensatz Hinayäna-Mahäyäna.

1. Der buddhistische Anätmaväda

Anätmaväda kann heißen, daß ein System keine Seele als onto-logischen Baustein anerkennt. Das gilt für fast alle buddhistischenSchulen mit Ausnahme der Vätsiputriya-Sämmatiyas (Pudgala-väda). Dieser Aspekt soll hier nicht betrachtet werden. Uns inter-essiert zunächst die Bedeutung des Anätmaväda als mystischer

1 Siehe E. Frauwallner: Die Erkenntnislehre des klassischen Sämkhya-sy stems.

2 Siehe Frauwallner Landmarks.

Page 9: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

10 Einleitung

Weg. Er ist die dem Buddha eigene Methode durch Ausscheidendes Vergänglichen, Leidhaften, Nichtichhaften zur Erlösung zuführen: „Der Körper ist nicht Ich. Die Gefühle sind nicht Ich"usw. Diese Methode ist der Methode der Upanischaden, sich aufdas Selbst zu konzentrieren, diametral entgegengesetzt, ohne sichvon ihr bezüglich des Ziels wesentlich zu unterscheiden. Wennman die Methode des Buddha bildlich beschreiben will, kannman sagen : der Mensch nähert sich hier gewissermaßen rückwärtsdem Absoluten, indem er durch Analyse das Endliche distanziert.Das Ende ist Schweigen und dieses Schweigen wird in den altenTexten bezüglich der Beschreibung des Nirväna meist durchge-halten.

Mit dem Beginn der philosophischen Schulbildung wird auchversucht, das Nirvana zu bestimmen. Das geschieht zunächstanalog der Bestandaufnahme der Gegebenheiten (dharmäh) : dasNirvana gilt als unbedingte (asaniskrta) Gegebenheit. Damitmindert sich keineswegs der Eindruck, den Buddhisten ginge esnur um die Negation. Auch dort, wo sich im Mahäyäna der Begriffmit dialektischen Mitteln auf das Absolute richtet und soundso-viele Prinzipien an ihrem Gegenteil aufreibt, wird nur an wenigenStellen der Anätmaväda selbst überstiegen, z. B. im Ratnakütaoder Vimalakirtinirdesa3. Diese Stellen bilden Höhepunkte derindischen Philosophie. Nur bei ihnen ist der Gegensatz der Positionund Negation des Ätma überwunden. Doch die dialektische Auf-hebung des Anätmaväda ist nicht durchgedrungen: auch nachder Gründung der Mädhyamikaschule bleibt das Nichtich oberstesPrinzip. Aber die mit dem Mahäyäna beginnenden Beschreibungs-versuche des Absoluten machen nun, wenn der AnätmavädaCharakteristikum des Buddhismus bleiben soll, eine Präzisierungnotwendig: im Anätmaväda erscheint das Ich nie als Subjekt

3 Frauwallner PB S. 166: „Selbst*' (ätmä), Käsyapa, das ist einExtrem. „Nichtselbst" (nairätmyam), Käsyapa, das ist ein zweites Extrem.Was zwischen diesen beiden, dem Selbst und dem Nichtselbst in der Mitteliegt, das ist formlos, unzeigbar, ohne Erscheinungsbild, ohne Erkennen,ohne Halt und ohne Kennzeichen. Das nennt man, Käsyapa, den mittlerenWeg, die wahrheitsgemäße Betrachtung der Gegebenheiten.

E. Lamotte: Vimalakirtinirdesa S. 308: „Moi" (ätman) et ,,non-moi" (anätman) font deux. La nature propre (svabhäva) du moi étantinexistante (anupalabdha), comment le non-moi existerait-il ? La non-dualité perçue par la vision de ces deux natures est l'entrée dans la non-dualité.

Page 10: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Einleitung 11

eines Satzes, sondern immer nur als Prädikat. Auf diese Weisefällt Säramati nicht außerhalb des Buddhismus, obwohl bei ihmder im Buddhismus seltene Fall eintritt, daß das Ich be jah tesPrädikat ist. Das Subjekt ist dann aber nichts Endliches: demElement der Gegebenheiten (dharmadhätuh) wird Reinheit, Ich,Wonne und Ewigkeit zuerkannt4. Zum Vergleich sei angeführt:Wenn im Ätmaväda Negat ionen vorkommen, ist das Prädikatetwas Endliches, z. B.: „Das Ich ist nicht der Körper".

2. Hmayäna und Mahäyäna.

Die deutsche Sprache hat den Vorteil, durch eine wohl in derNatur der Sache liegende Mehrdeutigkeit der Begriffe den Gegen-satz Hmayäna—Mahäyäna auf eine einfache Formel bringen zukönnen. Man kann nämlich das Hinayäna (kleines Fahrzeug) denrealistischen, das Mahäyäna (großes Fahrzeug) den idealistischenBuddhismus nennen. Der Realismus des Hinayäna gilt erstenshinsichtlich der nüchternen Einstellung zum praktischen Ziel(Ideal des Arhat) und zweitens hinsichtlich der theoretischenAuffassung der Wirklichkeit : Realität der Gegebenheiten undTranszendenzfeindlichkeit (konsequent negative Durchführung desAnätmaväda). Der Idealismus des Mahäyäna gilt erstens hin-sichtlich der Begeisterungsfähigkeit und Opferbereitschaft (Idealdes Bodhisattva) und zweitens hinsichtlich der theoretischen Auf-fassung der Wirklichkeit: Irrealität der Gegebenheiten und —falls der Anätmaväda nicht dialektisch aufgehoben wird — opti-mistischer Versuch einer Beschreibung des Absoluten und dessenpersonaler Explikation (neue Buddhologie).

Die Hauptbegriffe des Mahäyäna wie Mitleid und Zaubertrug(mäyä) finden sich zwar schon im alten Kanon5, aber der großeAufbruch zu Beginn unserer Zeitrechnung ist aus diesen Ansätzenallein nicht erklärbar. Die Polemik gegen das Hmayäna warzunächst scharf und Ausdruck der idealistischen Grundhaltung,von der aus die Charakteristika des kleinen Fahrzeugs sämtlichzu verurteilen waren. Das Wort für dessen Anhänger, £rävaka(Hörer), nahm damals fast den Unterton von „Spießer" an. Mitder Zeit verlor sich jedoch der Elan des Anfangs und die ursprüng-

4 Siehe Frauwallner PB S. 256.5 Mitleid z. B. Majjh. I p. 169, 6; Zaubertrug z. B. Samyuttanikäya

22, 95, 105.

Page 11: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

12 Einleitung

lieh stark emotioneil gefärbte mahäyänistische Denkart wandeltesich zu einem spekulativen Denken, welches auch dem Hinayänagerecht zu werden versuchte. Die Yogäcäraschule als Träger dieserEntwicklung stellte schon in ihren systematischen Anfängen(Bodhisattvabhumi)6 eine Formel auf, die für die ganze spätereZeit gültig war : Das Hinayäna lehrt die Wesenlosigkeit der Person(pudgalanairälmyam), hält aber die Gegebenheiten, aus denensie besteht, für real; das Mahäyäna lehrt auch die Wesenlosigkeitdieser Gegebenheiten (dharmanairätmyam) und beseitigt damitdas Hemmnis des zu Wissenden (jneyävaränam), während dasHmayäna nur das Hemmnis der Laster (klesävaranam) beseitigenkann. Wer dem Hmayäna folgt, erreicht das Nichtmehrgeboren-werden, wer dem Mahäyäna folgt, einen Stand der Einsicht, vondem aus Geburt und Nichtgeburt gleich belanglos sind.

Diese Formel kann zwar auch polemisch gebraucht werden,aber je sachlicher die Diskussion wird, desto mehr ist sie ein Rah-men, in dem widersprechende Bestrebungen zusammengeschautwerden können. Für das Denken Dharmakïrti's bietet sie sichals die Merkformel an, obwohl sie als solche bei ihm nicht be-sprochen wird. Beides ist nämlich bei ihm da: Der hïnayanistischeVerstand der Sauträntikas mit seiner ichlosen Welt augenblick-licher Gegebenheiten und die mahäyänistische Mystik des Begriffs(destruktive Dialektik), beides: die Resignation des Arhat und dasMitleid des Bodhisattva. Dabei stehen sie nicht in einem bloßenNebeneinander, sondern aus dem einen entwickelt sich über dieProblematik seiner Voraussetzungen das andere. Und wie dasYogäcärasystem im Begriff einer gesteigerten yogamäßigen Er-kenntnis (Mystik der Anschauung) die Gegensätze zusammen-bringen konnte, so ist bei Dharmakïrti das Thema der Erkenntnis-mittel (Ausgang von der Wahrnehmung) der Katalysator desÜbergangs und gleichzeitig Bewahrer des überwundenen hinayä-nistischen Naturbildes.

6 Siehe Frauwallner PB S. 266-267.

Page 12: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

I. Sautrantikaontologie

Zuerst soll der rationalistische Untergrund, auf dem Dharma-kirti sein System der Erkenntnismittel aufbaut, dargestellt werden.Es ist einleuchtend, daß er bei den Erkenntnismitteln einensensualistischen Ausgangspunkt hat, geht es ihm doch nicht ummetaphysische Behauptungen, sondern um Erkenntnisse, diejeweils unmittelbar das Handeln lenken. Nur über die Sinne werdensolche Erkenntnisse vermittelt. Und so ist der Gegenstand allesErkennens, auch mittelbar der Schlußfolgerung, ein Individuelles(svalahsanam), nach Raum und Zeit Einmaliges und Unteilbares,das fähig ist, einen Zweck zu erfüllen (arthakriyäsamartham).

Unter dem Rationalismus der Sautrantikaontologie ver-stehe ich folgendes: Wie kann man gegen den Augenschein be-haupten, daß die Dinge augenblicklich seien ? Wie kann man gegenden Augenschein behaupten, daß sie aus Atomen bestündenund die Form, in der wir sie sehen, nur ein Gemachte der Be-nennung (prajnaptih) sei ? Weil Zusammenhang und Ganzheiteiner Analyse nicht standhalten. Ein klares Denken sieht dieDinge, wie sie sind. Die Sinne sind mit Sprache behaftet undkonstituieren ein Konkretes. Ein Denken dagegen, das nichtvergeßlich ist (die , ßmriih ' ' übt), erkennt, daß die Dingevergänglich sind und ihre Ausdehnung ohne Wahrheit ist. DieAnalyse ist älteste buddhistische Methode. Das Denken ist eseigentlich, das den Kampf um die Erlösung führt, und für es sinddie Sinne genauso zu bewachen wie die unguten geistigen Ge-gebenheiten. Bei den Sarvästivädins wurden die Dinge in eineVielzahl von Gegebenheiten (dharmäh) zerlegt. Während aberbei ihnen die Realität noch von der Dauer her gedacht ist — po-tentielles Sein der Gegebenheiten in Vergangenheit und Zukunft— und eine große Zahl fragwürdiger Gegebenheiten registriertwird, gilt den konsequenten Sauträntikas Sein nur als Augen-blicklichkeit und Wirksamkeit von Atomen und Geist. DieserGeist ist der Strom des Denkerkennens mit seinem feinen Teil(süksmamanovijnänam), von dem Sinne und geistige Gegeben-heiten abhängen und aus dem sie, wenn sie aktuell ausgefallensind, wiedererstehen.

Page 13: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

14 Tilmann Vetter

Wir besprechen lediglich die Sauträntikaontologie, wie siebei Dharmakirti vorkommt. Trotzdem besteht sie neben oderunter dem System der Erkenntnismittel und wird nicht dadurchabgelöst. Dharmakirti hat hier eine Vielschichtigkeit, die ihn vorEinseitigkeit bewahrt, aber auch viel problematische Bewegungbringt. Einerseits widerspricht die Sauträntikaontologie nichtdem System der Erkenntnismittel und kann ihm einen festen Unter-grund geben. Die Augenblicklichkeit, die meist auch an einemkonkreten Ding wie Holz demonstriert wird, verträgt sich ohneweiteres mit dem individuellen Gegenstand der Anschauung.Nicht anderseits die Atome. Der Gegenstand der Anschauungist ein Ganzes. Hier können Widersprüche auftreten, die mehraus der Nachlässigkeit entspringen. Dazu habe ich im Anhang III„Sonderform der Apohalehre" ein Beispiel gegeben. Unüber-windbare Widersprüche treten jedoch auf, wenn es um die Objekt-bedingung der Wahrnehmung geht. Das „Problem der Anschau-ung" wird den Konflikt der Atome und des Individuellen bringen.Das Individuelle (als Bild im Erkennen) erringt zwar den Sieg,ist aber dann selbst nicht haltbar. Im Begriff der Nichtzweiheitbietet sich eine Möglichkeit, rationalen und sensuellen Ansatzdes Objekts hinter sich zu lassen. Zu keinem Ausgleich dagegenkommt es bei der Erkenntnis selbst. Die rationale Auffassung desGeistes als Denken bildet den Unter- und einen Überbau („pra-bhäsvaram cUtam")1, während im Mittelbau der Erkenntnismitteldie Sinne die Wirklichkeit erkennen und neben sich nur ein Vor-stellen haben, dessen Irrigkeit dauernd betont wird, und das nurbrauchbar ist.

Der Unterbau, der vor allem für die Fassung von Dharma-kirti's Logik bedeutsam ist, gliedert sich in die Lehre von derAugenblicklichkeit und in die Kausalitätslehre.

1. Die Lehre von der Augenblicklichkeit.

„Besitzt ihr vielleicht, Mönche," fragt der Buddha „einenBesitz, dessen Besitz ewig, fest, dauernd, nicht dem Wandelunterworfen, dauernd der gleiche eben so bliebe ? Seht ihr einensolchen Besitz ?" Auf die verneinende Antwort der Mönche sagtder Buddha, auch er kenne einen solchen Besitz nicht (Majjh. Ip. 137). In solchen und ähnlichen Wendungen hat der Buddha

7 Siehe fünftes Kapitel: Metaphysik der Erkenntnis.

Page 14: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 15

die Vergänglichkeit alles Entstandenen gelehrt. Die spätere Zeithatte die Aufgabe, diesen obersten Satz des Buddhismus, von demalle weiteren Behauptungen (Leid, Nichtich) abhängen, zu präzi-sieren. Die Entwicklung zur Zeit Vasubandhu's (ca. 400—480)war so8, daß etwra die Vâtsïputrîya-Sammatïyas zwischen Dingenunterschieden, die längere Zeit bestehen, bis sie der Vernichtunganheimfallen (z. B. Holz), und solchen, die jeden Augenblickvergehen und neu entstehen (z. B. eine Flamme). Demgegenüberbehauptet Vasubandhu, daß alle Dinge augenblicklich seien, undbeweist dies damit, daß die Vernichtung der Dinge nicht durchUrsachen herbeigeführt werden könne: Vernichtung is t ein Nicht-sein (abkävah), ein Nichtsein aber kann nicht Wirkung sein.Vergehen die Dinge ohne Ursache, dann müssen sie sofort ver-gehen oder sie vergehen überhaupt nicht. Als augenblicklichdefiniert Vasubandhu das, was unmittelbar, nachdem es seinDasein erlangt hat, vergeht. Die angeblichen Ursachen der Ver-nichtung eines Dings bewirken nur, daß nicht ein dem vorherigenähnliches, sondern ein sich von ihm erheblich unterscheidendesDing neu entsteht (Kosa IV v. 2—3).

Was Dharmakirti im Pramänavärttikam zur Lehre von derAugenblicklichkeit vorbringt, unterscheidet sich inhaltlich kaumvon der Lehre Vasubandhu's. Doch geht er in der apagogischenBeweisführung (gegen den Nyäya) andere Wege. Er setzt den Satzvoraus: In der Realität ist etwas notwendig entweder mit etwasidentisch oder von ihm verschieden (p. 144, 11).

Der Gegner fragt9 : Wie erkennt man, daß der Ton oder andereDinge nicht ewig sind ? Antwort : Weil das Vergehen schon mitdem Sein gegeben ist, ist der Ton nicht ewig. Denn das Vergehender Dinge kommt durch nichts zustande. Es dürfte daher imWesen der Dinge liegen; denn das Ding (selbst) entsteht aus sei-nen Ursachen so, daß ihm diese Beschaffenheit zu eigen ist. Auchkommt das Vergehen nicht bloß einer Sorte von Dingen zu. DasVergehen dürfte daher mit dem bloßen Sein schon gegeben sein.Infolgedessen ist erwiesen, daß der Ton oder jedes andere Ding,das Anteil am Sein hat, nicht ewig ist (p. 141, 17 — 24).

Damit gibt sich der Gegner nicht zufrieden. Er meint: Dasist nicht erwiesen, weil nicht erwiesen ist, daß eben dieses Ver-gehen nicht aus etwas Anderem entsteht. Durch Feuer nämlich

8 Siehe Frauwallner PB S. 101 — 103.9 Im folgenden Paraphrase und Ergänzungen nach K.

Page 15: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

16 Tilmann Vetter

wird Holz verbrannt und mit einem Stock ein Topf zerschlagen.Daran sieht man, daß es Ursachen der Vernichtung der Dingegibt. Das Sich-Richten nach Vorhandensein und Fehlen — wennFeuer vorhanden ist, vergeht das Holz, wenn es fehlt, nicht —bezeichnet man als das Merkmal von Ursache und Wirkung.

Darauf antwortet Dharmakirti grundsätzlich: Das ist nichtrichtig. Denn während das Frühere von selbst vergeht, entstehtein Anderes, nach den besonderen Bedingungen, die es zur Grund-lage hat, Verwandeltes (p. 141, 24—142, 3).

Dann läßt er sich aber auf eine Diskussion ein und sagt: Seieinmal das Feuer Ursache des Vergehens des Holzes. Dieses Ver-gehen, das durch Feuer entsteht, ist es nun identisch mit demHolz oder ein anderes Ding ? Wenn durch das Feuer ein anderesDing als Holz entsteht, müßte das Holz weiterhin gesehen werden,da es nicht vergeht. Wie kann das Holz nichtseiend genanntoder weshalb soll es nicht mehr gesehen werden, wenn ein anderesDing durch ein anderes Ding entsteht. Auf diese Weise könnteman alles auf Grund irgendwelcher Vorgänge nichtseiend nennenoder dürfte es nicht mehr sehen.

Gegner: Eben dies ist sein Nichtsein. Eben dies von Feuererzeugte Ding ist sein Nichtsein. Daher wird das Holz, weil esnicht mehr ist, nicht mehr gesehen.

Antwort: Mag für dies von Feuer erzeugte Ding einmal derName Nichtsein stehen, doch fragt sich weiterhin, wie ein Andereseines Andern Vergehen sei. Alle Dinge könnten dann das Ver-gehen des Holzes bedeuten.

Gegner: Wenn das Anderssein so weit genommen wird, dannkönnte man auch nicht von Rauch auf Feuer schließen, denn wasdas angeht, daß es ein anderes Ding ist, unterscheidet sich derRauch nicht von Töpfen usw. Daher ist auch für das Holz nichtalles, sondern nur das von Feuer erzeugte Ding Vergehen.

Antwort: ,,Für das Holz", was ist das für eine Verbindung?Gegner: Die Verbindung von Träger und Getragenem.Antwort: Das ist nicht richtig, weil wir das noch widerlegen

werden10.Gegner: Sie ist das Verhältnis von Hervorgebrachtem und

Hervorbringendem zwischen Vergehen und Holz.

10 Vgl. II, 63 : Es gibt keinen Träger, weil ein Seiendes keinen braucht,und ein Nichtseiendes keinen haben kann.

Page 16: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 17

Antwort: Warum sagt man dann, daß das Vergehen durchFeuer entsteht ? Denn hier entsteht es nur aus dem Holz.

Gegner: Weil das Vergehen aus Holz, das von Feuer abhängt,entsteht, liegt kein Fehler vor.

Antwort: Was ist das für eine Abhängigkeit des Holzes vomFeuer, wenn es von ihm keine Veränderung erfährt ? Oder, erfährtes eine, dann entsteht wohl ein anderes Holz. Das frühere hat dannaber keine Ursache zu schwinden. Es müßte also ebenso wie frühergesehen werden.

Gegner: Durch eben dieses Feuer, wodurch das andere Holzentsteht, vergeht das frühere.

Antwort: Was für eine Verbindung hat das Feuer mit demfrüheren ? Es ergeben sich damit die gleichen Folgen wie oben,wo wir nach der Verbindung gefragt haben, und es entsteht einGang ins Unendliche (p. 142, 3 — 24).

Außerdem bezeichnet man das Vergehen des Holzes als dasNichtsein des Holzes. Ein Nichtsein kann aber keine Wirkungsein. Denn für etwas, das positiv als Wirkung gilt, ergibt sich,daß es ein Ding ist. Auch soll man sich nicht durch gewisse Aus-drucksweisen verführen lassen: Was ein „Nichtsein bewirkt",wirkt überhaupt nicht. Es wird daher als etwas bezeichnet, vondem nichts abhängen kann. Das bedeutet im Fall des Feuers,daß es keinen Bezug zum Nichtsein des Holzes hat (p. 142,26—143, 2).

Nach Abweisung weiterer Einwände des Gegners bleibt nurdie andere Alternative: das Vergehen ist nichts anderes als dasDing. Dann dürfte aber das Vergehen mit dem Holz identischsein. Weil das Holz seiend ist — also keine Einwirkung mehrerfahren kann — besteht Ursachelosigkeit des Vergehens. ÜberIdentität und Verschiedenheit hinaus gibt es keine dritte Möglich-keit (p. 144, 2 -3 ) .

Damit ist erwiesen: dem Ding selbst ist die Beschaffenheitder Vergänglichkeit zu eigen. Wenn aber ein Ding seinem Wesennach vergänglich ist, muß es, wie Vasubandhu gezeigt hat, un-mittelbar, nachdem es sein Dasein erlangt hat, vergehen. Man istversucht, nach dem Maß eines Augenblicks zu fragen. Er mußmindestens so kurz sein wie das am kürzesten auftauchende undwieder verschwindende Ding. ,,Das kleinste Zeitmaß ist eine Zeit,die bemessen ist nach dem Schwund (und Neuerscheinen amnächsten Raumpunkt) eines Atoms : das ist ein Augenblick/ '(III, 495).

Page 17: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

18 Tihnann Vetter

Wir haben nur die Lehre von der Augenblicklichkeit, wie sieim Pramänavärttikam erscheint, besprochen. E. Steinkellner11 hatauf die eben besprochene Stelle aufmerksam gemacht und auf denGegensatz zum Nachweis der Augenblicklichkeit im Hetubinduhhingewiesen. Dort wird die Augenblicklichkeit nicht aus der Ver-gänglichkeit, sondern aus der Wirksamkeit der Dinge für unsereZwecke erklärt. „Was seiend ist, das ist augenblicklich. Wären(die Dinge) nicht augenblicklich, dann würden sie, weil das demErfüllen eines Zwecks widerspricht, das Ding-sein, das diesesMerkmal (einen Zweck zu erfüllen) hat, verlieren"12. Damit hatDharmakirti die Lehre von der Augenblicklichkeit dem Systemder Erkenntnismittel assimiliert. Das kann nicht mehr als Sauträn-tikalehre gelten.

2. Die Kausalitätslehre.

Die Kausalität ist die andere Seite der Augenblicklichkeit.Nichts vergeht, ohne eine seiner Eigenart entsprechende Wirkungzu hinterlassen. Es geht keine Energie verloren. Das Wirken istaber kein einfacher Vorgang: ein Ding hinterläßt eine Haupt-wirkung und Nebenwirkungen; eine Hauptwirkung, indem esein ähnliches Ding hervorbringt, Nebenwirkungen, indem esauf andere Dinge einwirkt (upakärah), so daß deren Hauptwirkungin einer von ihm modifizierten Gestalt entsteht13. Gleichzeitigerfährt das so wirkende Ding seinerseits bei der Bildung derHauptwirkung Einwirkungen.

Zuerst (a) soll dieses Zusammenwirken der Ursachen (derUrsachenkomplex) besprochen werden, dann (b) die Haupt-wirkung (das Gleichartige) und zuletzt (c) eine Besonderheit derKausalität der geistigen Gegebenheiten (das Entgegengesetzte).

a) Der Ursaehenkomplex (hetusämagri).

Die Lehre vom Ursaehenkomplex ist sehr alt. Sie bildet denGrundgedanken des Sälistambasütra. Die beste Formulierungfindet sich bei Dharmakirti in einer Polemik (III, 534); „Nie geht

11 Augenblicklichkeitsbeweis und Gottesbeweis bei SankarasvarninS. 30ff.

12 y at sat tat kçanïkam eva, aksanihatve arthahriyävirodhät tallaksanamvastutvam hiyate, HBT p. 44, 19 —23.

*3 Man sagt auch: Es wirkt bei der Bildung der Hauptwirkung einesandern Dinges mit (sahakärafy).

Page 18: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 19

ein einzelnes Ding aus einem einzigen hervor, sondern alles, wasentsteht, entsteht aus einer Gesamtheit (sämagri). Nun kannaber ein einzelnes Ding zwei Gesamtheiten angehören und insofernsagt man von ihm, daß es Verschiedenes hervorbringt' '. Es hatnicht, wie der Gegner meint, nur Eine Wirkung.

Es muß betont werden, daß die Ursachen im Ursachen-komplex isoliert stehen. Die gemeinsame Wirkung könnte einenauf den Gedanken bringen, es läge eine Verbindung (sambandhah)der Faktoren vor. Das ist nicht richtig. Jedes Ding beteiligtsich isoliert am Hervorbringen der Gesamtwirkung. Wenn mancheDinge erst im Ursachenkomplex zu gewissen Wirkungen fähigsind; haben sie einen Moment vorher von ihrem Wirkungsnachbarneine Einwirkung erfahren. Eine Verbindung in der Gegenwartgibt es nie. Darüber hat Dharmakirti eine eigene Abhandlunggeschrieben, die Sambandhapariksä, welche die wesentlichstenEinwände gegen das Vaisasikaschema von Träger und Getragenem,die im Pramä^avärttikam vorkommen, zusammenfaßt.

Mit dem Ursaehenkomplex wird die Verursachung der Sinnes-erkenntnisse nach Sauträntikalehre dargestellt. Nach einer Anschau-ung, die in den buddhistischen Schulen allgemein verbreitet ist,kommt eine Sinneserkenntnis14 unter vier Bedingungen zustande. Beider Augenerkenntnis, die meist stellvertretend für alle fünf Sinnesteht, sind dies Auge, Objekt, Licht und Aufmerksamkeit. Diewesentlichste Bedingung ist das Objekt. Es wird als eine Anhäufungvon Atomen im Sinne des Ursachenkomplexes gedacht. Eineinzelnes Atom kann nicht Objekt sein. Ein reales Ganzes (avayavï),wie es die Vaisesikas als Objekt der Wahrnehmung annehmen,gibt es nicht, da es der Analyse nicht standhält. Die „Anhäufung"erfüllt die Bedingung, keine reale Verbindung zwischen deneinzelnen Atomen herzustellen, und kann durch die Zahl derAtome die Wirksamkeit des Faktors erklären, der als Objekt an-gesehen wird. Die Wirksamkeit der Atome wird durch eine imvorhergehenden Moment durch die räumliche Nähe (pratysättihIII, 46—47) entstandene gegenseitige Einwirkung erklärt. „Diefolgenden Atome, die auf Grund der Verbindung mit anderenDingen (™ Atomen) entstehen, werden angehäuft (sandtet) genannt;diese sind nämlich Ursache für das Entstehen von Erkenntnis.

14 Die Denkerkenntnis ist hier nicht mitzuzählen, obwohl sie in deralten Zeit als sechster Sinn gilt, und man ihre Bedingungen analog denender Sinneserkenntnisse aufzustellen versucht.

Page 19: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

20 Tilmann Vetter

Und diese Besonderheit kommt den Atomen nicht zu ohne dieandern Atome" (III, 195-196a).

Ob der Ursachenkomplex noch eine Stufe zurückzuschiebenoder ob die sogenannte Akkumulationstheorie schon in der ebengeschilderten Anhäufung der Atome enthalten ist, vermag ichnicht zu entscheiden. Farbe (= Farbatome in der Anhäufung)hat nämlich nach Sauträntikalehre ein bestimmtes Verhältniszu den Objekten der übrigen Sinne, mit Ausnahme des Gehörs.Nach dieser Akkumulationstheorie ist Farbe (rüpam) nur sicht-bar unter Einwirkung von Berührung (sparsah), Geschmack(rasah) nur schmeckbar unter Einwirkung von Berührung undFarbe, Geruch (gandkah) nur riechbar unter Einwirkung vonBerührung, Farbe und Geschmack (vgl. II, 182ab und I, Hab).

Die Beziehung der Sinneserkenntnisse zum Objekt nachSauträntikalehre beschreibt Dharmakirti so: „(Bei dieser Theorie)aber wird die Erkenntnis durch den Gegenstand bewirkt. Sie trägtdas Bild des Gegenstandes. Daher kann man sagen, daß sie ihnoffenbar macht, auch wenn er (auf Grund seiner Augenblicklichkeitim Moment des Erkennens) nicht mehr vorhanden ist" (III,418b—d).

b. Das Gleichartige

Die Lehre vom Ursachenkomplex macht klar: die Haupt-wirkung, die ein Ding bei seinem Vergehen hinterläßt, kann keinmathematisch Gleiches, sondern nur ein Ähnliches sein. Die Be-dingung im Ursachenkomplex eines Dings, welche dessen Haupt-ursache ist15, wird in der älteren Terminologie ,,unmittelbarvorhergehende Bedingung" (samanantarapratyayah) genannt. DieInder etymologisierten: unmittelbar vorhergehende ähnliche Be-dingung (sama-anantarapratyayah). Dharmakirti spricht danebenvom Gleichartigen (sa- oder sva-jätiya, tulyajätiya) und vomStrom (santänah, santatih). Er scheut sich auch nicht, bei materi-ellen Dingen die unmittelbar vorhergehende ähnliche Bedingungmit dem Sämkhyaterminus „upädänam" zu bezeichnen16. Es istberechtigt, diesen Ausdruck, mit ,materieller' Ursache wiederzu-geben. Die Sauträntikaontologie läßt die Einseitigkeiten der

15 Bei den oben aufgestellten Bedingungen der Sinneserkenntnis sindnur Nebenursachen erwähnt. Das hat seinen historischen Grund in Textenwie Majjh. No. 38.

16 Z. B. p. 71, 24; 72, 20; 73, 4.

Page 20: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti t 21

Sämkhya- und Vaisesikakausalitätslehren hinter sich; sie kenntbeides, Fortsetzung und Neuanfang. Das kann im Schema vonMaterie und Form beschrieben werden. Dieses Schema wird un-entbehrlich, wenn der Begriff des Gleichartigen auf den Geistund die geistigen Gegebenheiten angewandt wird. Und meist nurdafür wird er verwendet. Oben wurden die Bedingungen desErkennens beschrieben. Jetzt geht es um die andere Seite: Er-kenntnis kann nicht allein aus diesen Bedingungen hervorgehen.Das muß dem Materialisten gegenüber betont werden. Die Stärkeder buddhistischen Position besteht darin, daß die „substantielle"Auffassung des Geistes als eines Stroms von Gleichartigem (keineSeele) nicht in Konflikt kommt mit der Auffassung des Erkennensals je augenblicklichem Akt. Ohne „Materie" des Erkennens,ohne Sinnesvermögen, könnte keine Formung, kein wirklichesErkennen stattfinden. Auch die Vorstellung kommt, wie wirspäter sehen werden, ähnlich zustande. Freilich verhindert eineErscheinung die umgekehrte Behauptung, es gebe nur wirk-liches Erkennen : die Bewußtlosigkeit. Zur Erklärung diesesFaktums muß eine latente Fortsetzung des Geistes angenommenwerden. Als Ursachenkomplex kann man dafür eine Beeinflussungdes Denkens durch die geistigen Gegebenheiten annehmen. Eswürde sich nicht um eine vollkommene Latenz handeln, sondernnur um eine durch den Abbruch des Bezugs zu materiellen Dingenbedingte Unmerkbarkeit17.

Wir wenden uns nun einer Argumentation zu, bei der Dharma-kirti mit Hilfe des Begriffs des Gleichartigen dem Materialistenzu zeigen versucht: es gibt eine Wiedergeburt und damit ist einStreben nach Erlösung nötig und eine allmähliche Vervollkomm-nung der Tugenden möglich. Dem Materialisten entsteht dasErkennen aus der Materie wie Rauschkraft aus Hefe. Wenn esrichtig wäre, daß der Geist zum Körper in einem solchen Ver-hältnis steht, mit seinem Entstehen zu entstehen und mit seinemVergehen zu vergehen in der Weise, daß der Körper dafür diezureichende Ursache bildete, wäre der Materialist schwer abzu-weisen. Die buddhistische Kausalitätslehre sieht die Dinge anders:„Atmung, Sinne und Denken lassen sich nie aus dem Körperallein, sondern nur aus ebensolchen vorangehenden Fähigkeitenbegreifen. Es gibt keinen Teil der Erde, in dem nicht Lebe-wesen entstehen und alles ist seinem Wesen nach Same. Wenn

17 Vgl. zu dieser Thematik Karmasiddhi.

Page 21: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

22 Tilmann Vetter

die Sinne unabhängig von ihresgleichen entstehen könnten,dann müßte sich wie das eine alles entwickeln (d. h. an jederStelle der Erde müßte ein menschlicher Körper entstehen können),da kein Unterschied besteht. Wenn in jedem Augenblick der je-weils vorangehende Moment (des Gleichartigen) die Ursachedes folgenden ist, dann soll diese beobachtete Ursache immergelten. Bei was man die Fähigkeit sich fortzusetzen beobachtethat, wieso hat das früher etwas besessen, was ihm später nichtzukommen soll, so daß es sich nicht mehr fortsetzen kann?"(II, 35, 37, 38, 44, 36).

Damit wäre die Frage grundsätzlich erledigt. Dharmakïrtigeht nun, wie es seine Gewohnheit ist, auf die Ansichten desGegners ein und zeigt, daß damit nicht durchzukommen ist.Einen Teil dieser Polemik dürfen wir uns jedoch nicht schenken,da in ihr die zentrale Rolle des Denkerkennens sichtbar wird,die in starkem Widerspruch zu all den Stellen steht, wo er dasDenken zum Vorstellen degradiert. Er überläßt dem Materialistengegenüber die Sinne der Körperlichkeit. Damit ist das Denkenalleiniger Platzhalter des Geistes, obwohl die Sinneserkenntnisseauch zu ihm gehörten. Die Ausscheidung der Sinne bringt aucheinen Vorteil: die Erkenntnis wird einheitlich — zerfällt nicht insechs Erkenntnisse — und kann so dem Körper als Geist gegen-übergestellt werden18:

Wenn die Sinne im einzelnen gestört sind, gibt es keineStörung des Denkerkennens. Doch wenn das Denkerkennen aus-fällt, wird auch ein Ausfall der Sinne beobachtet19. Deshalb ist Mitur-sache der Sinneserkenntnisse dasjenige, was auch Grundlage des Be-stehens der Erkenntnis ist, und seinerseits selbst auf der Erkenntnisberuht. Dadurch gehen die Sinne auf das Denken zurück. Wenn auchdas Denken nicht ohne die Sinne vorkommen sollte, so doch diese auchnicht ohne es. Auch so würde ein gegenseitiges Ursacheverhältnisbestehen und auf Grund dessen (Geist und Körper) sich gegen-seitig bedingen (II, 39, 40, 42).

Eine Beeinflussung des Denkens ist aber nur durch etwas, das füres Objekt ist, denkbar. Das Denken kann nämlich nicht aus denmit den Sinnesorganen versehenen Körperteilen hervorgehen,weil es sonst in gleicher Weise wie die Sinne seinen Gegenstanderfassen müßte. Aus dem von Sinnesorganen freien Teil des Körpers

18 Im folgenden Paraphrase.19 Vgl. demgegenüber III, 123 ff.

Page 22: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 23

kann es deshalb nicht hervorgehen, weil dieser ungeistig ist. Aus demKörper als „Ganzem" kann es nicht hervorgehen, weil sich sonstdie Fähigkeit Erkenntnis hervorzubringen ändern müßte, sobaldz. B. ein Glied verloren geht. Daß Denken und Körper zusammen-bestehen, ist auf eine gemeinsame Ursache (Karma?) zurück-zuführen. Es ist wie wenn die Sinne und wie wenn Farbe und Ge-schmack zusammenbestehen (II, 47 — 48).

Sollte einmal der Körper den Geistesstrom beeinflussen, soergibt sich aber noch nicht, daß dieser beim Aufhören desKörpers auch aufhört, genausowenig wie Töpfe usw. vergehen,wenn das Feuer ausgeht, mit dem sie gebrannt wurden. Auchdürfte der Geist dann nicht aufhören, wenn der Körper nochals Leiche existiert. Aus der Atmung entsteht der Geist nämlichauch nicht; denn sie ist nur da, wenn der Geist da ist, und ist vonihm lenkbar, also weit eher von ihm abhängig. Auch müßte sichaus Verringerung und Verstärkung der Atmung eine Verringerungund Verstärkung des Geistes ergeben (II, 50—51, 52 cd).

(Der Gegner steigt nun auf die Särakhyaschablone „upädäna-upädeya" über und meint: Sobald die Veränderung der materiellenUrsache einen bestimmten Grad erreicht hat, kann sich der Geistnicht mehr an ihr zeigen.) Gegner: Wie der Docht, so kann derKörper nach dem Tod, wenn er durch die drei Säfte (do$äh) ver-dorben ist, nicht mehr Ursache des Geistes sein. Antwort: DerTote müßte dann wieder aufleben, sobald man die Säfte wiederins Gleichgewicht gebracht hat. Gegner: Auch wenn man dasFeuer wegnimmt, ist die Veränderung, die das Holz erfahren hat,nicht mehr rückgängig zu machen und so ist es auch bei der Leiche.Antwort : Das ist nicht richtig ; denn es müßte sich ärztliche Behand-lung anwenden lassen. Was eine Veränderung hervorruft, ruftsie bei gewissen Dingen so hervor, daß sie nicht mehr in den früherenZustand zurückkehren können, bei andern aber so, daß die Ver-änderung rückgängig gemacht werden kann, wie Feuer bei Holzund Gold. Im ersten Fall läßt sich auch eine geringe Veränderungnicht rückgängig machen. Woran aber eine vollzogene Veränderungrückgängig gemacht werden kann, das kann von jedem Punktaus in den früheren Zustand zurückkehren, wie Härte bei Gold.Manches wird als unheilbar bezeichnet, weil ein Heiler schwerzu finden ist, oder weil die Lebenskraft erschöpft ist. Was dieSäfte allein betrifft, besteht aber keine Unheilbarkeit. Wenn beimToten die Ursache der Veränderung dadurch beseitigt wird, daßman z. B. das Gift einer Schlange (durch Mantras?) beseitigt

Page 23: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

24 Tilmann Vetter

oder die Bißstelle ausschneidet, warum atmet er dann nicht wiederauf? Ohne Veränderung der materiellen Ursache ist eine Ver-änderung des daraus Bestehenden nicht durchführbar, genauso-wenig wie ohne Veränderung des Tones der Topf verändert werdenkann. Welches Ding sich nicht verändert, wenn es ein zweitesverändert, das kann nicht materielle Ursache dessen sein, genau-sowenig wie Kuh und Gayal in einem solchen Verhältnis stehen.Und genausowenig ist das bei Geist und Körper der Fall (II,54-~62a).

Der Gegner benutzt dann die Vaisesikaschablone von Trägerund Getragenem. Auch das ist nutzlos, da etwas Seiendes keinenTräger braucht und etwas Nichtseiendes keinen haben kann(II, 63ab). Von Träger kann man nämlich nur im Sinne des Ein-wirkens sprechen (II, 67) und das kommt nicht in Frage. Unterweiteren Einwänden geht die Diskussion bis II, 111. Wenn derGegner zuletzt noch meint, daß alle Erkenntnisse gleichberech-tigt aus der letzten Erkenntnis hervorgehen könnten, und da-mit eine Vielheit von Erkenntnissen entstehe, so lautet die Ant-wort: Ein ganz bestimmter Erkenntnismoment ist Ursache einesganz bestimmten Erkenntnismoments wegen der Festlegung derFähigkeit. Denn nur wenn sich die Erkenntnis an einen neuenGegenstand (aus Leidenschaft usw.) hängt, erfaßt sie ein neuesObjekt. Und weiter: Der Geist, der sich aus sich selbst fort-pflanzt, kann auch nicht e i nma l aus dem Körper hervorgegangensein. Denn wieso soll der Körper, der damals dazu fähig war,diese Fähigkeit jetzt nicht mehr besitzen? (II, 112—113.)

Damit ist die Wiedergeburt als gesichert zu betrachten undes kann nach ihren Ursachen gefragt werden. Dharmakirti folgtdem Sälistambasütra, das die zwölf Glieder des abhängigen Ent-stehens (pratHyasamutpädah) auf die vier Glieder Nichtwissen(avidyä), Werk (karma), Durst (tr§nä) und Erkennen (vijnänam)reduziert und diese in das Nebeneinander eines Ursachenkomplexesgestellt hat20. Dem Erkennen kommt dabei die Stellung derReispflanze zu, also des Dings, das von den übrigen UrsachenEinwirkungen erfährt. „Geburt ist das Eingehen in eine niedereStätte, das kraft des Nichtwissens, des daraus entstandenenDurstes und der (früheren) Willensregungen (— Karma) zustande-kommt (II, 260; ähnlich II, 188d—189).

20 Siehe Frauwallner PB S. 56.

Page 24: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 25

c) Das Entgegengesetzte

Es bleibt noch die Besonderheit der Kausalität der geistigenGegebenheiten (caittäh) zu besprechen. Dabei spielt der altehinayänistische Begriff des Entgegengesetzten (prati- oder vi-pahsah) die Hauptrolle. Als geistige Gegebenheiten sind alle Eigen-schaften des Geistes wie Mitleid, Nichtwissen (II, 213), Durstusw. anzusehen21. Sie sind einerseits seine Qualitäten, anderseitsstehen sie in einem Kausalverhältnis zu ihm und pflanzen sich aussich selbst fort (II, 129: svabïjaprabhava). Nichtwissen und Durstsind Ursachen für die Wiedergeburt. Diesen geistigen Gegeben-heiten kommt die entscheidende Bedeutung bei der Erlösung zu.Denn das Karma kann nach buddhistischer Ansicht nicht beein-flußt werden. Wie ist nun dem Nichtwissen und dem Durst bei-zukommen ?

Der Geist besitzt nicht nur Laster (kleeäh) wie Nichtwissenund Durst, sondern auch Tugenden wie das Mitleid. Jedem Lasterist eine Tugend entgegengesetzt. Wird eine Tugend gepflegt, sorottet sie das gegenteilige Laster aus. Am besten redet man vonTugenden und Untugenden des Geistes. Dadurch kommt das Ver-hältnis des Geistes zu den einen und zu den andern geistigenGegebenheiten zum Ausdruck : Tugenden sind echte Qualitäten desGeistes, das Gute ist ein Ausfluß des Wahren. Die Laster sind demGeist fremd und äußerlich (ägantuka). Sie verhüllen ihn wie Rauchdas Feuer und sind letztlich Nichtwissen. Nichtwissen ist dasSehen eines Ich (ätmadrstih). Aus ihm entspringen alle Laster22.Daher lohnt es sich nicht, die Laster durch die entgegengesetztenTugenden zu bekämpfen, da sie bei vorhandenem Sehen einesIch immer wieder einen Nährboden finden. Angewandt auf dieUrsachen, die zur Wiedergeburt führen, heißt das: nicht der Durst,

21 Auch die Geistartigkeit dieser Gegebenheiten wird dem Materia-listen gegenüber, der Leidenschaft usw. aus den Körpersäften und denElementen entstehen lassen will, verteidigt: II, 147 — 175; 186—188.

22 Vgl. II, 217 — 219: Wer ein Ich sieht, bei dem besteht dauernddie Begierde, weil er denkt: Ich. Aus dem Verlangen heraus dürstet ernach angenehmen Dingen. Der Durst bestärkt die (übrigen) Laster. WerVorzüge sieht und von Durst erfüllt ist, der greift, weil er denkt: Mein,nach den Mitteln (es zu erlangen). Daher ist man, solange das Hangenam Ich besteht, im Kreislauf der Geburten. Gibt es ein Ich, dann gibt esauch die Vorstellung von einem Andern. Auf Grund der Scheidung von Ichund Anderen ergibt sich Zuneigung und Abneigung und mit einem derbeiden jeweils verbunden entstehen alle (übrigen) Laster.

Page 25: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

26 Tilmann Vetter

obwohl er im Nacheinander des abhängigen Entstehens die un-mittelbare Ursache für eine Wiedergeburt ist, sondern das Nicht-wissen ist zu bekämpfen. Ist das Sehen eines Ich ausgerottet,dann zeigen sich die übrigen Laster (Durst usw.) in ihrer Nichtig-keit. Das Sehen eines Ich wird ausgerottet durch die Übung desSehens des Nichtich (nairätmyadrstih). Geübt muß werden,weil das Gegenteil tiefeingewurzelt ist (II, 200) und nicht durcheine einmalige Einsicht beseitigt werden kann. Wie das Sehen desNichtich aufgebaut werden kann, soll am Beispiel einer andernQualität, des Mitleids, illustriert werden23:

Gegner: Durch Übung kann zwar ein bestimmter FortschrittZustandekommen, aber auch wenn einer angestrengt übt, wirder doch nie beim Springen über eine gewisse Höhe oder Weite,die mit der menschlichen Natur gegeben sind, hinauskommen,und auch Wasser kann man über den Siedepunkt hinaus nichterhitzen. Antwort: Das ist nicht falsch. Es ist aber nicht jederFortschritt von der Art. Wenn der erreichte Fortschritt durchimmer erneutes Training erhalten werden muß wie beim Springenoder eine unbeständige Grundlage hat wie Hitze bei Wasser,dann ist der Fortschritt nicht weiter voranzutreiben, und es handeltsich um Dinge, deren Wesen eben so ist, nicht weiter wachsen zukönnen. Anders steht es, wenn ein erreichter Fortschritt zu seinerErhaltung keiner stets erneuten Anstrengungen bedarf. Dann isteine weitere Bemühung Ursache eines weiteren Fortschritts.Und das ist der Fall bei den durch Übung hervorgebrachtenTugenden wie Mitleid usw. Sie machen im Geist Fortschritte,weil es so in ihrer Natur liegt, genauso wie Holz, das einmal vonFeuer erfaßt ist, verbrennt. Es liegt also in ihrem Wesen, daß einFortschritt entsteht. Da immer weitere Bemühungen einen Fort-schritt bringen, und die geistigen Gegebenheiten wie Mitleid usw.aus dem Samen des jeweils vorhergehenden Gleichartigen er-wachsen, wie sollte es, solange geübt wird, eine obere Grenze desWachstums geben ? Wenn das Mitleid, das aus seinem eigenenSamen hervorgeht, nicht gehemmt wird durch sein Entgegen-gesetztes (Haß), das ebenfalls aus seinem eigenen Samen hervor-geht, dann gelangt es im Geist zu seiner äußersten Vollkommenheit.So ist die jeweils vorhergehende Übung Grundstock der Energieder nachfolgenden geistigen Gegebenheiten wie Mitleid, Leiden-schaftslosigkeit, Erleuchtung usw. (II, 120—126, 129—130).

23 Im folgenden Paraphrase,

Page 26: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 27

In ähnlicher Weise wie das Mitleid wird auch das Sehen desNichtich geübt, so lange bis das Sehen eines Ich, das aus einemanfanglosen Strom von Gleichartigem lebt, egalisiert ist. Damitist den Lastern der Boden entzogen und durch den Ausfall derMitursachen Durst und Nichtwissen eine Wiedergeburt unmöglichgemacht. Was dann mit dem Geiststrom und dem Karma geschieht,wollen wir im fünften Kapitel (Metaphysik der Erkenntnis) be-rühren.

Das Sehen des Nichtich ist insofern anderer Art als das Mit-leid, als es nach Egalisierung des Sehens eines Ich mit der nunnicht mehr behinderten Erkenntnisfähigkeit des Geistes zusammen-fällt. Das Mitleid dagegen, ist es eifrig geübt und nicht nur bloßzur Egalisierung des Hasses oder überhaupt nicht, steht als Tugenddem Geist noch selbständig gegenüber und veranlaßt ihn — esist, wenn es ein gewisses Maß erreicht hat, zureichende Mitursache— weitere Geburten auf sich zu nehmen. Das sind die Wieder-geburten des Bodhisattva, die nicht durch Schuld verursachtsind (II, 192—198). Auch darüber soll im fünften Kapitel ge-sprochen werden.

II. Das System der Erkenntnismittel

Die Erkenntnismittel sollen Erkenntnis für das Handelnbeschaffen. Die Bestimmung, daß durch sie etwas Neues erkanntwird (II, 5c), macht die Wahrnehmung zur primären Erkenntnis-quelle und sieht im Bereich der Sinne die Wirklichkeit. Die Be-stimmung, daß sich Erkenntnisse bewähren (avisarrivädanam)müssen (II, 1), mißt die Wahrheit jeder Erkenntnis am Erfolg desHandelns und gibt die Möglichkeit, den Buddha als Erkenntnis-mittel zu bezeichnen, obwohl durch Worte selbst nichts Neueserkannt wird. Gleichgeordnet der Wahrnehmung und der Schluß-folgerung ist der Buddha nicht. Er gilt als Erkenntnismittel,weil seine Autorität die Maßgeblichkeit von Wahrnehmung undSchlußfolgerung legitimiert. Denn der Buddha gibt Ziel und An-weisungen des Handelns, welche unsere Wahrnehmung und Schluß-folgerung nicht geben könnten, und auf welche nur eine flacheAufklärung verzichten würde. Daß er hierfür Autorität ist, mußerst bewiesen werden. Denn bloß auf Treu und Glauben ist mannicht Buddhist. Das ergibt einen historisch-sachlichen Zirkel,dem Dharmakirti mit Recht nicht aus dem Weg gegangen ist.Die vielfach in sich verschlungenen Bestandteile des Systems der

Page 27: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

28 Tilmann Vetter

Erkenntnismittel bringe ich in der Reihenfolge: erstens Schluß-folgerung, zweitens Buddha, drittens Zweck und Handeln, viertensWahrnehmung.

1. Die Schlußfolgerung (anumänam)

Der bekannte Vers I, 3 (und Anfang des Hetubinduh) faßtdas Wesentliche der Schlußfolgerung zusammen: „Der Grund istEigenschaft des Subjekts und vom Prädikat umfaßt. Er ist drei-fach nach der Notwendigkeit des Nichtgetrenntvorkommens(von Grund und Prädikat). Alles andere (als dieser dreifacheGrund) sind Scheingründe"24. Der Grund, aus dem etwas, dasnicht unmittelbar vor Augen liegt (paroksa), als Gegenstand desHandelns erschlossen wird, hat eine doppelte Beziehung zumSachverhalt, den er erschließen läßt. Es wird nämlich nicht wiebei der Wahrnehmung eine Sache, sondern zunächst ein Sach-verhalt und dann erst eine Sache (das Prädikat) zugänglich ge-macht25. Der Sachverhalt wird so zum Ausdruck gebracht: voneinem offenbaren Subjekt wird etwas Nichtoffenbares prädiziert. Zudieser Behauptung26 hat der Grund nun diese doppelte Beziehung :er ist offenbare Eigenschaft des Subjekts27 und vom Prädikat28

umfaßt (vyäpta). Das Denken kommt also nie zu einem „jen-seitigen" Gegenstand. Das Prädikat ist immer Eigenschaft einessichtbaren Gegenstandes und der Grund ist dessen sichtbare Seite.

Das notwendige Nichtgetrenntvorkommen von Prädikat undGrund, die Umfassung (vyäptih) des Grundes durch das Prädikatoder, anders ausgedrückt, die notwendige Konsequenz des Prädi-kats aus dem Grund, ist dreifach und dementsprechend wird derGrund eingeteilt in erstens den Grund des eigenen Wesens (sva-bhävahetuh), zweitens den Grund der Wirkung (käryahetuh) unddrittens den Grund der Nichtwahrnehmung (anupalabdhihetuh).Die beiden ersten beweisen, der dritte negiert, das heißt: die

24 paksadharmas tadaifisena vyäpto hetus tridhaiva sah avinäbhävaniya-mäd dhetväbhäsäs tato' pare //

25 Wird der Sachverhal t vernachlässigt — besonders bei der Be-g ründung aus der Wirkung , wo das Subjekt n u r Ort ist — d a n n spricht m a nvon Grund u n d Folge. Die Schlußfolgerung bes teh t d a n n nur in der Ver-einzelung eines allgemeinen Satzes, der Umfassung (vyäptijt).

26 paksajii.27 paksah 2 = dharmï: Eigenschaftsträger der Behauptung.28 tadamsati: der andere Teil der Behauptung (paksajii) = taddhar-

m a h : zu beweisende Eigenschaft des Subjekts

Page 28: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 29

Nichtwahrnehmung von etwas, das eigentlich wahrnehmbar seinmüßte, ist Grund für seine Negation (pratisedhah), nicht aberpositives Erkenntnismittel, da eine Wahrnehmung nicht etwasnicht erkennt. Ich kann im Rahmen dieser Arbeit nicht auf dieProblematik und Klassifizierung29 der Nichtwahrnehmung einge-hen und möchte auch die zwei ersten positiven Begründungennur kurz streifen.

Zuerst die Begründung aus dem eigenen Wesen. Die Not-wendigkeit der Umfassung des Grundes durch das Prädikat be-steht darin, daß es sich um Eigenschaften desselben Dings handelt,z. B. ,,dies ist ein Baum, weil es eine Simsapä ist". Das Prädikatist eine allgemeinere Eigenschaft als der Grund. Diese Begründungnimmt ihre festen Verbindungen aus der Sprache. Daneben kom-men Kategorienlehren wie die des Vaisesika in Betracht, die, miteiner Naturphilosophie verbunden, Festlegung allgemeinster sprach-licher Möglichkeiten ist. In diesem Bereich vor allem bewegtesich Dignäga. In der Kategorienlehre des Vaisesika lauten dieweiteren Umfassungen beim obigen Beispiel: Was ein Baumist, besteht aus Erde; was aus Erde besteht, ist eine Substanz;was eine Substanz ist, ist seiend. Dharmakirti dagegen bewegtsich meist ein Stockwerk höher im spezifisch buddhistischenBereich: Was seiend ist, das ist augenblicklich. Oder mit denälteren buddhistischen Implikationen: Was seiend ist, das istvergänglich; was vergänglich ist, das ist leidvoll; was leidvollist, das ist nicht Ich. Das ist die logische Seite der Lehre vomNichtich. Sie hat zur Voraussetzung, daß das Wort ,,seiend" fürVergängliches verwendet wird.

Die Begründung aus der Wirkung ist eine Weiterentwicklungder Logik Dignägas durch Dharmakirti. Hier wird der Bereichder Sprache überschritten und die Kausalitätslehre der Sauträn-tikas vorausgesetzt. Das dürfte der Hauptgrund sein, warum dieLogik Dharmakirti's, obwohl sie ungleich schärfere Unterschei-dungen hat als die Dignäga's, bei den brahmanischen Schulenkeinen Anklang gefunden hat. Der Bereich der Sprache wird abernicht nur so überschritten, daß eine bestimmte Ontologie voraus-gesetzt wird, sondern auch durch die Auffassung Dharmakirti'svon der Vorstellung. Bei Dignäga war die Vorstellung mit Wortenverbunden, gegliedert nach den fünf Kategorien Name, Gattung,Tätigkeit, Eigenschaft, Substanz (PS I, 3d). Bei Dharmakirti

» Vgl. NB II.

Page 29: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

30 Tilmann Vetter

kann die Vorstellung mit Worten verbunden sein, eine Kate-gorienlehre kennt er nicht. Bei ihm kann auch jemand, dem dieVerbindung von Rauch und Feuer geläufig ist, aus Rauch, ohnesprachliche Betätigung, einfach weil die Vorstellung Rauch dieVorstellung Feuer auslöst, auf Feuer schließen. Damit dürfteDharmakirti viele Schlußfolgerungen, die das tägliche Lebenbeherrschen, richtig beschrieben haben.

Das eigentümliche an der Begründung aus der Wirkung ist,daß zwei Dinge Grund und Folge sind. Die Identität, die für jedeLogik erforderlich ist, wird durch die Kausalität des Gleichartigenbereitgestellt. Von der Wirkung kann man auf die unmittelbarvorhergehende gleichartige Ursache schließen, bei sicher festge-stellten Ursachenkomplexen, z. B. bei der Akkumulationstheorie,auch von der Wirkung auf die Mitursachen. Das Wesentliche andieser Begründung ist jedoch die Gleichartigkeit der Wirkung mitder Hauptursache. Das Daraus-Entstehen (tadutpattih) ersetzthier die Selbigkeit (tädätmyam) des Substrats von Grund und Folgeder Begründung aus dem eigenen Wesen. Beim Daraus-entstehenwie bei der Selbigkeit liegt ein Dieses-Wesen-Haben (tatsvabhävatä)vor3o. Weil Rauch feuerartig ist, kann Feuer aus ihm erschlossenwerden.

Woher lernt man hier die feste Verbindung zwischen Grundund Folge kennen ? Aus der Sprache nicht ; denn es handelt sichum Erfahrungswissen, das sich jeder selbst erwerben muß. Die soerfahrenen Verbindungen, wie können sie aber fest und notwendigsein ? Niemand kommt über eine beschränkte Erfahrung hinaus.Dharmakirti löst das Problem so: eine einmalige Erfahrung ge-nügt. Genügt sie nämlich nicht — Voraussetzung ist, daß es sichum keinen Irrtum handelt, der durch das Handeln berichtigtwürde — dann tun es auch hundert Erfahrungen nicht31. Iste i n m a l ein Verhältnis von Ursache und Wirkung festgestellt,dann wird beim Vorhandensein der Wirkung immer die Ursachevorhanden sein. Die Feststellung geschieht so: „Was bestimmteMerkmale tragend (zuerst) nicht wahrgenommen bei Wahrnehmung

30 Vgl. p. 3, 3 käryasyäpi svabhävapratibandhali ; ähnlich NB II.31 Hier liegt ein Problem, das Dharmakïrti nicht weiter verfolgt hat:

Es gibt ein Allgemeines zwar nicht als Form, aber als kausale Gesetzlichkeit.Beim „Problem des Begriffs" geht er nur so weit, daß er die falsche Form desbestimmten Allgemeinen mit der Brauchbarkeit (Kausalität für uns)rechtfertigt, läßt sich also vom sensualistischen Ansatz bestimmen und nichtvon der Sauträntikaontologie.

Page 30: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 31

anderer (Dinge) wahrgenommen wird und, sobald unter dieseneines fehlt, nicht (mehr) wahrgenommen wird, das ist dessenWirkung und das ist (z. B.) (hinsichtlich des Feuers) beim Rauchder Fall" (p. 22, 2—4). Im Hetubinduh (HBT p. 45) heißt es:,,Bei der Wahrnehmung eines andern wird etwas wahrgenommen,was früher nicht wahrgenommen worden ist, obwohl die Be-dingungen für seine Wahrnehmung vorhanden gewesen wären,und dieses verschwindet mit dem Verschwinden des andern,auch wenn die übrigen Ursachen (für die Wahrnehmung) nochvorhanden sind"32. Entstünde der Rauch nur einmal ohne seine Ur-sache Feuer, so wären die Dinge ursachelos oder es konnte allesaus allem entstehen. In Zweifelsfällen wird rigoros entschieden:Kommt irgendwo etwas vor, das aussieht wie Rauch, z. B. beieinem rauchenden Ameisenhaufen (I, 38), so ist entweder Feueranzutreffen oder es handelt sich nicht um Rauch.

2. Der Buddha^

Steht die Schlußfolgerung bereit, dann kann die Frage nachdem Buddha als Erkenntnismittel gestellt werden. Keinesfallssoll das überlieferte Buddhawort als solches schon Autorität sein,nur weil es jemand gesagt hat, der für heilig gilt, und es von vielenfür maßgebliche Überlieferung (ägamah) gehalten wird. Erst wenngezeigt ist: diese Worte stammen von jemand, der durch seinenWandel beweist, daß er nicht lügt und etwas zu sagen hat, was nichtjedermanns Besitz ist, kann er als Erkenntnismittel angenommenwerden. Das höchste Ziel des Handelns muß von einer solchenAutorität gegeben werden. Es ist nämlich nicht unmittelbargegeben, sonst wäre es nicht das höchste Ziel. Denn sobald dashöchste Ziel erreicht ist, braucht nicht mehr gehandelt zu werden,es sei denn man habe das höchste Ziel auch anderer Wesen imAuge. Der Buddha ist Subjekt, von dem ausgesagt wird, es kennedieses Ziel und handle ( — verkünde es) nur um anderer willen.

32 Die Frage , ob sich diese einmalige Er fahrung aus drei oder fünfMomenten zusammensetze , h a t die Nachfolger Dharmakï r t i ' s beschäftigt .Die verschiedenen Meinungen sind übersichtl ich dargestell t von Y. Kaj i -y a m a : Tr ipancakacin tä , Miscellanea Indologica Kiotiensia 1963, 10, p . 1 — 15.

33 Vgl. zum folgenden Vrsagana 's Fassung des Erkenntn ismi t te l sMit te i lung: , ,Wer einem Objekt gegenüber erfahren u n d frei von Fehlernist, der ist in bezug darauf glaubwürdig. Seine Mittei lungen sind die R e d eeines Ver t rauenswürdigen. " ( E . F r au wallner : Die Erkenntnis lehr e desklassischen Sämkhyasys tems S. 47.)

Page 31: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

32 Tilmann Vetter

Der Grund dafür ist sein Wandel. Nur ein Wandel, der vom Besitzdes höchsten Ziels umfaßt ist, kann derartig sein wie der desBuddha. Doch das allein würde noch nicht genügen. Der Buddhaist auch das Subjekt, von dem ausgesagt wird, es kenne die Mittel,die zu diesem Ziel führen. Der Grund dafür ist sein Werdegang.

Das II, Kapitel (pramänasiddhih) des PV hat es hauptsäch-lich mit diesem Nachweis der Autorität des Buddha zu tun. Durchseine Autorität wiederum wird die Maßgeblichkeit von Wahr-nehmung und Schlußfolgerung legitimiert. Wenn ein buddhistischesSystem so mit vollem Bewußtsein zum Ausdruck bringt, woraufseine Grundlagen zurückgehen, kann es anderseits durch daslogische Vorgehen diese Grundlagen modifizieren, indem es siemit dem Maß der Vernünftigkeit mißt. Darauf kommen wir nochzu sprechen.

Das II. Kapitel des PV gibt sich als Kommentar zur erstenHälfte des Einleitungsverses des PS. Diese lautet : ,,Verehrthabend (pranamya) den, der Erkenntnismittel ist (pramänabhütäya),den das Heil der Welt suchenden (jagaddhitaisine) Lehrer (sästre),den Wohlgegangenen (sugatäya), den „Verkünder* ' (täyine) . . ."Die einzelnen Worte dieses Halbverses bilden das Gerüst desKapitels. Tragend sind vor allem die beiden Worte „pramänaJi

und , fihütah ' '. Dharmakirti interpretiert : Erkenntnismittel g e -worden und fragt nach dem Mittel (sädhanam), wodurch derBuddha es geworden ist. Zum Begriff Erkenntnismittel sagt erzuerst: Erkenntnismittel ist Wissen, das sich in (wir könnenergänzen: auf die Erlösung gerichtetem) Handeln bewährt. Auchwenn dieses Wissen durch das Wort übermittelt wird, ist es dochErkenntnismittel, da man erkennt, was der Sprecher meint, undwas er als Gegenstand seines Handelns hat, auch wenn einem dieSache selbst nicht unmittelbar zugänglich ist. Der Bereich derVorstellung kann zwar nicht als Erkenntnismittel betrachtetwerden, da er bereits Erfaßtes erfaßt, ist aber insofern Erkenntnis-mittel, als er Grundlage für das Handeln ist hinsichtlich zu tuenderund zu lassender Dinge. Was Erkenntnismittel ist, zeigt sich inder Betätigung. Dies trifft für den Buddha zu (II, 1 — 3; 5a; 7a).

Die Behauptung, der Buddha sei Erkenntnismittel, wirdbewiesen durch den Hinweis auf das Mittel, durch welches er esgeworden ist. Zum Erkenntnismittel muß man werden, ewigeDinge haben keinen Bezug zum Endlichen; von ihnen kann mannicht das Wissen erwarten, das aus dem Endlichen herausführt:überhaupt kommt es nur auf das Wissen um den Weg an, um

Page 32: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 33

das, was man zu tun und zu lassen hat. Wozu soll es gut sein,wenn ein „Allwissender" die Zahl der Würmer kennt? (II, 31 cd.)Und zum Erkenntnismittel muß man werden durch ein bestimmtesMittel, nämlich das Mitleid (II, 34 a). Es ist notwendige Mitursache.Nur so ist gewährleistet, daß nicht aus eigennützigen Zweckengelogen wird. Das Mitleid wird erworben durch Übung. Die Voll-kommenheit darin ist nur in unzähligen Geburten zu erwerben.In den Versen II, 34—119 wird die Möglichkeit der Wiedergeburtbewiesen durch den Nachweis, daß die materialistischen Theorienüber die Entstehung des Geistes unhaltbar sind. Mitleid ist alsobis zu einer äußersten Vollkommenheit steigerungsfähig (II,120—131). Nachdem der Buddha die Vollkommenheit im Mitleiderlangt hat, wendet er Mittel an, um dem Leid ein Ende zu machen.Denn das Lehren dieser Mittel ist nicht möglich, wenn man dieUrsachen, die zur Aufhebung des Leids anzuwenden sind, nichtselbst erprobt hat (II, 131 cd— 132ab). Er verkündet nun denselbstverwirklichten Weg: in den Versen II, 132—279 schildertDharmakirti unter häufig eingestreuten Polemiken den bud-dhistischen Erlösungsweg. Er spricht nichts Unwahres, da er keinenErfolg sucht, mitleidig ist und für andere alles unternimmt (II,145). Es ist eine falsche Ansicht, jemand, der andere belehrt,habe nicht alle Fehler zerstört. Als ob jemand, der schweigt,schon dadurch ein Weiser wäre! (II, 142 vgl. auch p. 9, 3f.). AmSchluß des Kapitels kommt Dharmakirti auf die Hauptabsichtzurück: Aus Mitleid verkündet der Buddha das Heil, auf Grundseines Wissens die Wahrheit samt den Mitteln, sie zu erlangen.Und weil er bemüht ist, dies zu lehren, daraus folgt, daß er Er-kenntnismittel ist. Das Sosein der Lehre wurde deswegen ge-priesen — das heißt: die ganze Beschreibung der buddhistischenErlösungslehre wurde deshalb unternommen —, um aus seinerLehre die Wahrheit über die Erkenntnismittel zu erweisen. (Beider Wahrnehmung ist das sicher.) Auch bei der Schlußfolgerung,weil sie nicht abgelehnt wird, und man auch in vielfacher Weiseihre Anwendung sieht in Sätzen wie ,,alles, was entsteht, ist demVergehen unterworfen". Die Grundlage der Schlußfolgerung istdas Merkmal (Ungarn), das gekennzeichnet ist durch das Nicht-getrenntvorkommen. Dadurch, daß in diesen Sätzen die Umfassung(vyäptih) des Grundes durch das zu Beweisende aufgezeigt wird,ist auch klar, daß er die Schlußfolgerung lehrt (II, 282—285).

Es mag etwas künstlich erscheinen, die Wahrheit über dieErkenntnismittel aus der Lehre des Buddha abzuleiten. Aber

Page 33: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

34 Tilmann Vetter

Dharmakïrti ist historisch im Recht. Nur durch das Auftretendes Buddha gibt es in Indien ein religiöses System, das nur Wahr-nehmung und Schlußfolgerung anerkennt und jede Überlieferung,die als solche schon maßgeblich sein will, ablehnt. Bekannt istdie Ablehnung der vedischen Überlieferung, die einer ReiheBlinder verglichen wird, von denen der erste nichts sieht, dermittlere nichts sieht und der letzte nichts sieht (Majjh. II p. 170).

Und gegenüber dem eigenen Kanon, selbst wo er in ältererZeit noch als Autorität an sich galt, mangelte es den buddhistischenScholastikern nie an interpretatorischer Freiheit. Auch sachlichhat Dharmakïrti recht. Es gibt genug Beispiele — diese Argu-mentation geht anscheinend gegen einen Materialisten, der nurdie Wahrnehmung als Erkenntnismittel gelten läßt —, bei denendie Anwendung einer Umfassung (vyäptih) offensichtlich ist,etwa wenn der Mönch seinen Körper usw. (Subjekt) als vergänglich(Prädikat) betrachtet, weil er entstanden ist (Grund). Es handeltsich um eine Schlußfolgerung, die getragen ist von der vom Buddhaverkündeten Umfassung ,,alles, was entsteht, ist dem Vergehenunterworfen".

3. Zweck und Handeln

Die Wahrnehmung steht im Mittelpunkt der Lehre des Buddha.Alle Anweisungen, die er gibt, sollen zur Wahrnehmung von etwasführen, das jetzt noch nicht wahrgenommen wird. Diese Wahr-nehmung ist der Zweck, um dessentwillen nach den Anweisungendes Buddha gehandelt wird. Es geht vor allem um die Formu-lierung der Anweisungen, aber man versucht auch, einen Begriffvon dem zu geben, was zuletzt unmittelbar geschaut wird. DerBuddha tut das nur sehr negativ. Die letzte Wahrnehmung, dieden Mönch davon überzeugt, daß er nicht mehr geboren werdenwird, ist ein unmittelbares Einsichtigwerden (säksätkr) der vorhernur verstandenen Wahrheit des Leids, seiner Entstehung, seinerVernichtung und des Wegs. Damit ist die Unwissenheit (avidyä),die indirekt das Leid der Geburten verursacht (pratttyasamut-pädah), beseitigt.

Bei Dharmakïrti ist, wie schon lange im Hinayäna, die Ver-wirklichung des Nichtich die Aufgabe. Damit wird eine im altenKanon (z. B. Majjh. I p. 138, 3f.) noch isoliert stehende Abhandlungüber das Ich an die Stelle des Nichtwissens der vier heiligen Wahr-heiten als erstem Glied des abhängigen Entstehens (pratityasamut-

Page 34: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 35

pädah) gerückt. Dharmakirti sieht, daß die , ̂ Betrachtung desLeids" (duhkhabhävanä) mit dieser Auffassung in Konflikt kommenkönnte und bezeichnet sie ausdrücklich als letztlich für die Er-lösung ungeeignet (II, 226ff.). Die im alten Kanon vorkommendenEmpfehlungen der Duhkhabhävanä legt er so aus (II, 252): „VonBetrachtung des Leids wird (im Kanon) gesprochen im Hinblickauf das Leid des bedingt Entstehenden (sarpskärah)y und dieses(Leid) ist für uns das bedingte Entstehen (pratyayotpattih). Dieses(bedingte Entstehen) ist die Grundlage der Lehre vom Nichtich".Damit ist das Übergehen von den vier heiligen Wahrheiten zumNichtich gerechtfertigt. Es wird (II, 253) noch genauer formuliert:„Die Erlösung beruht auf der Erkenntnis der Leerheit (sünyatä— Nichtich). Ihr dienen alle übrigen Betrachtungen. Aus ebendiesem Grund hat (der Buddha) das Leid wegen der Vergänglich-keit und das Nichtich wegen des Leids gelehrt". Ein unmittelbaresEinsichtigwerden des Nichtich genügt aber noch nicht. Das Sehendes Nichtich verhindert nur dann weitere Geburten, wenn esso lange geübt wird (bhävanämärgah), bis der letzte Rest desSehens eines Ich verschwunden ist. Das Unwissen (avidyä) istdas Sehen eines Ich und die letzte Wahrnehmung auch wiedernur negativ formulierbar als Sehen des Nichtich, aber das Handelnerstreckt sich auch auf diese Wahrnehmung. Das letzte Ziel desHinayäna, die Nichtwiedergeburt, wird durch eine anhaltende,immer wieder begrifflich erstrebte Wahrnehmung des Nichticherreicht.

Doch nicht jeder hat dieses Ziel. Mahäyäna ist der Name einerHaltung, die den Buddha ganz nach dem eigenen Maßstab mißt:der Buddha kann gewisse Aussagen in den vom Hinayäna tradiertenSütren nicht ernsthaft gemeint haben, sondern nur im Hinblickauf die Fassungskraft seiner Zuhörer. Und er muß, wenn er wirklichwar, was er sein soll, gewisse Dinge gesagt haben. Diese Dingehaben die Schriftsteller des Mahäyäna in den neuen Sütren nieder-gelegt. Der Begriff, der darin der letzten Wahrnehmung gegebenwird, betrifft nicht nur die eigene Person: Alle Dinge werden derWahrheit gemäß erkannt. Doch trotz dieser Position kann dienegative Formulierung kaum überwunden werden. Unter derAllwissenheit, die nun dem Buddha zugeschrieben wird, läßt sichnicht viel denken. Besser ist, wieder von der Unwissenheit (avidyä)auszugehen. Sie besteht darin, die Gegebenheiten (dharmäh),so wie wir sie uns denken, für existent zu halten. Sie sind abernicht so, wie wir uns einbilden. Wenn sie auch nicht absolut

Page 35: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

36 Tilmann Vetter

nichtexistent sind34, so stel len wir sie uns doch falsch vor.Diese falsche Vorstellung schwindet in der höchsten vorstellungs-freien Erkenntnis (nirvikalpakant jnänam). Was in ihr geschautwird, kann nicht berichtet werden, denn der Begriff ist Vorstellung.Man kann nur sagen, daß dort die Wirklichkeit in ihrem eigenenWesen gesehen wird, in ihrer Einzigartigkeit: das Ding an sich(vastumätram). Diese vorstellungsfreie Schau ist die Erfüllungaller Wünsche. Sie wird nicht geübt, um weitere Geburten zuverhindern. Vielmehr ist man, wird die Wahrheit so erkannt,über alles Handeln für eigene Zwecke (svärthakriyä) hinaus undhandelt nur noch für andere (parärthakriyä).

Nun behauptet Dharmakirti, daß wir auch im täglichenLeben an der Wirklichkeit teilhaben und nicht nur vorstellen.Jede Wahrnehmung und echte Empfindung ist Erfüllung undströmt etwas vom Wesen der Wirklichkeit aus. Klar läßt sichnämlich die Erfüllung eines Zwecks von seiner Erwartung unter-scheiden und klar hebt sich das wirkliche Erscheinen eines Gegen-stands in seiner Einmaligkeit von seiner verschwommenen Vor-stellung ab. Freilich ist diese jeweilige Erfüllung, weil sie auchdas harte Gegenteil von Gewünschtem enthalten kann, nichtErfüllung eines Endzwecks. Hier muß man noch für sich handeln,entweder um allem zu entrinnen oder um den Anlaß zu tilgen,der die unangenehmen Begegnungen mit der Wirklichkeit verur-sacht, und die Freiheit zu erringen, aus der man andern wirklichhelfen kann. Für beides ist die Verwirklichung des Nichtich er-forderlieh. Aber die Ichlosigkeit, die sich für den zweiten Wegentscheidet, entspringt nicht aus der Negation des Ich, sondernaus der richtigen Erkenntnis der Wirklichkeit. Diese wird ver-mittelt durch ein Denken der Anschauung, welches dabei zur„Theorie" wird, die sich als die beste Praxis erweist, indem siedie Anschauung verwandelt, das heißt: die Zweiheit, in der sichdas gewöhnliche Wahrnehmen befindet, auflöst. Mit der Subjekt-Objektspaltung vernichtet sie jede Vorstellung von Ich und Welt.Vorläufig, im System der Erkenntnismittel, ist die Wahrnehmungnoch geteilt und Mittel zur Erkenntnis eines Objekts, welcheseinen beschränkten Zweck erfüllt. Gegenüber der Vorstellung,die einen Zweck nur erwartet, ist sie Repräsentant der Wahrheit.Der Vorstellung muß zugute gehalten werden, daß sie in dieser

34 Ich folge hier der Bodhisattvabhümi. Vgl. Frauwallner PB S. 265bis 279.

Page 36: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 37

Situation der beschränkten Erfüllung einen jeweils neuen undauch den Endzweck entwirft, das heißt: erwünschte Wahrnehmungzu verschaffen und unerwünschte zu vermeiden sucht. Sie gehtdabei nicht sehr wahrheitsgemäß vor35, aber als Schlußfolgerungist sie Erkenntnismittel. Gewöhnliche Wahrnehmung und Schluß-folgerung haben ihre Funktion bis zur Umgestaltung der Grundlage(äsrayaparävrttih), da sie sich bei der Erreichung beschränkterZwecke und auch dieses Endziels bewähren. Dazu soll noch einkurzes Textstück gebracht werden:

Gegner: Wieso erkennt man (mit der Vorstellung) das Dingnicht so, wie es ist, in seiner unvermischten Verschiedenheit ?Antwort: Es ist dies die Unfähigkeit der Vorstellungen, die daherkommt, daß sie aus dem Nichtwissen (avidyä) entstehen. Irrtümersind wahrlich nicht nur von Äußerem abhängig. Vielmehr ent-stehen sie auch durch innere Trübung wie der Irrtum der Haareusw. Gegner: Wenn Trübungen durch das Entstehen aus demNichtwissen gegeben sind, dann folgt, daß auch bei Augener-kenntnis usw. Irrtum vorliegt. Antwort: Das stimmt nicht, weildas Nichtwissen durch Vorstellen gekennzeichnet ist. Denn Nicht-wissen ist Vorstellen (vikalpa eva hy avidyä). Nichtwissen ist vonNatur aus schon irrig. Nicht so sind die Sinneserkenntnisse vor-stellend. Oder (bei tieferer Betrachtungsweise) ist dies auch beiihnen kein Fehler, da sie als zweiheitlose in der Form der Zweiheiterscheinen. Das werden wir noch beschreiben36. Auch wenn allesirrig ist, besteht doch der Unterschied von Erkenntnismittelund Scheinerkenntnismittel, weil sich bis zur Umgestaltung derGrundlage (äsrayaparävrttih) das, was als zur Erfüllung einesZwecks fähig angenommen wird, bewährt. Es ist, weil dies zurBeruhigung der Leidenschaft führt, wie wenn (eine Person), auchwenn das nicht stimmt, Mutter usw. genannt wird (p. 50, 15—51, 5).

4. Wahrnehmung (pratyaksam)

Hier sollen Definition und Einteilung des ErkenntnismittelsWahrnehmung behandelt werden.

Wahrnehmung ist frei von Vorstellung (kalpanäpodham) undläßt den Gegenstand in seiner Wirklichkeit (= einen Zweck er-füllend), ohne allgemeines Charakteristikum (sämänyalaksanam)als Individuelles {svalaksanam) erkennen. Ihr Erscheinungsbild

35 Siehe dr i t t es K a p i t e l : P rob lem des Begriffs.36 Siehe vier tes Kap i t e l : P rob lem der Anschauung.

Page 37: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

38 Tilmann Vetter

ist gegenüber dem der Erinnerung oder der Feststellung einesAllgemeinen durch Klarheit ausgezeichnet. Gegenstände, die vor-gestellt werden und mit denen allein Worte verbunden werdenkönnen, sind verschwommen und haben nicht das Merkmal desunmittelbar Gegenwärtigseins. Doch das klare Erscheinungs-bild (sphutapratibhäsah) garantiert nicht, daß die Wahrnehmungein wirkliches Ding erkennt. Die gewöhnliche Wahrnehmung isteben noch Instrument des Handelns und nicht letzte Wahrheit.Es zeigt sich erst in der Praxis, ob kein Irrtum vorgelegen hat.Daher muß die Definition der Wahrnehmung neben ,,vorstellungs-frei" die Bestimmung „frei von Irrtum" (abhräntam) enthalten.

Um zu zeigen, daß die Wahrnehmung frei von Vorstellung ist,beruft sich Dharmakirti auf die Wahrnehmung selbst und empfiehlt,mit sich selbst ein Experiment anzustellen: „Es wird durch dieWahrnehmung selbst bewiesen, daß Wahrnehmung frei vonVorstellung ist. Jeder kann bei sich selbst bemerken, daß es dieVorstellung ist, welche für die Benennungen die Grundlage ist.Ziehe ich nämlich das Denken von allem ab, dann sehe ich, obwohlich mit unbeweglichem Inneren verharre, mit dem Auge trotzdemeine Farbe. Das ist eine Sinneserkenntnis. Wenn ich nun wiedervorstelle, habe ich von der Sinneserkenntnis im vorhin geschildertenZustand nicht das Wissen: ,,Ich habe eine derartige Vorstellunggehabt" (III, 123—125).

Das Allgemeine ist eine Sache des Vorstellens und nichtsWirkliches: ,,Ein Einzelding (bhedah), das man an einem Ortgesehen hat, wird nämlich an einem andern Ort nicht (mehr)gesehen. Daher gibt es keine Gemeinsamkeit (sämänyam), dieetwas an sich wäre; sie ist nämlich vom Vorstellen nicht zu trennen.Daher hat jede Sinneserkenntnis eine einmalige Besonderheit(viseçah) zum Objekt. Worte können bei einmaligen Besonder-heiten keine Anwendung finden, denn es kann den einmaligenBesonderheiten gegenüber, da sie sich nicht erstrecken, keinerleiVereinbarung zustande kommen. Und nur das wird mit Wortenverbunden, was Gegenstand dafür ist. Die Verbindung ,,das istdessen" (dieses Wort bezeichnet diesen Gegenstand) bezieht sichnämlich nur auf zwei Sachen, die bei (Festlegung) dieser Ver-bindung erscheinen. Sie hat zu der Zeit kein Sinnesobjekt, dennzu der Zeit ist man sich keines Gegenstandes bewußt, der einklares Erscheinungsbild trüge. Was die Dinge unterscheidet, istnämlich der Unterschied der Erscheinungsbilder in der Erkennt-nis (III, 126—130).

Page 38: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 39

Es gibt nun Fälle, wo das klare Erscheinungsbild nicht dieWirklichkeit des Objekts garantiert. Etwas Wirkliches ist Objektnicht nur Eines Sinnes und außerdem geeignet, objektiv einenZweck zu erfüllen, also Ausgangspunkt für Erwartung und Ver-wirklichung weiterer Zwecke zu sein. Der Timirakranke merktbald, daß von den Haaren, die er sieht, nichts zu erwarten ist.Sie sind das Produkt einer defekten Physis. Der Feuerkreis, den auchein gesundes Auge sieht, wenn eine Fackel schnell geschwungenwird (III, 140), ist ebenfalls auf die Trägheit des physischen Sinnes-organs zurückzuführen und nicht, wie der Gegner meint, Syntheseeinzelner Wahrnehmungen durch die Vorstellung; denn sonstkönnte man nicht erklären, wieso ein Feuerkreis gesehen wird,da die Wahrnehmung der Leerstellen bei weitem überwiegenmüßte. Es kann nicht jeder Irrtum der Vorstellung zugewiesenwerden. Daher muß die Wahrnehmung nicht nur „vorstellungs-frei", sondern auch „frei von Irrtum" sein.

Dignäga hatte im Pramänasamuccaya in wenig systematischerArt aufgezählt: „Irrtum (bhräntih), Erkenntnis des scheinbar Sei-enden (sawvrtisajjnänam) Schlußfolgerung nebst Gefolgertem(anumänänumänikam), Erinnerung (smärtam) und Wunschvor-stellung (abhiläsikam), das sind die Scheinwahrnehmungen samt derWahrnehmung des Timirakranken" (PS 1,7 cd, 8 ab). Dharmakirtisagt dazu: „Es gibt zwei Arten von Schein Wahrnehmung. Die eineberuht auf Vorstellung, die andere nicht. (Bei Dignäga werden)vier Scheinwahrnehmungen (aufgezählt). Die drei ersten sindVorstellungen, die vierte ist frei von Vorstellung und entsteht auseiner Trübung des Sinnesorgans (äsrayah)" (III, 288). In denVersen III, 289—292 versucht er, dieser schon von Vasubandhu37

zusammengestoppelten Einteilung der drei ersten Scheinwahr-nehmungen einen systematischen Sinn abzugewinnen. Dann sagter (III, 293): „Die vierte (Scheinwahrnehmung) ist eine Ausnahme

37 Siehe E. Frauwallner: Vasubandhu's Vädavidhih S. 120: „. . . Da-durch ist eine irrige Erkenntnis (mithyäjnänam) abgelehnt, wie z. B. dieErkenntnis von Perlmutter als Silber . . . Auch eine scheinbare Erkenntnis(samvrtijnänam) ist dadurch abgelehnt. Denn eine solche wird nach Töpfenusw. als Topferkenntnis usw. benannt, aber sie entsteht nicht dadurch,da diese, weil sie scheinbar sind, nicht Ursache sein können . . . Schließlichist auch eine Schlußerkenntnis (anumänajnänam) dadurch abgelehnt, denneine solche entsteht auch durch die Erkenntnis des Rauches und durchdie Erinnerung an die Verbindung (desselben mit dem Feuer), aber nichtnur durch das Feuer . . . "

Page 39: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

40 Tilmann Vetter

(von der Regel, daß Irrtümer vorstellungsbedingt sind). Gemeintist das aus der Störung (der Sinnesorgane) entstandene (falscheErkennen). Die allein genannte Timirakrankheit steht dabei füralle Störungen (der Sinnesorgane)'\ Dann weist er einen Gegner ab,der meint, auch der Irrtum des Timirakranken sei vorstellungsbe-dingt (111,294—298), und sagt zum Abschluß (III, 299—300): „Obman träumt oder wacht, Erkenntnis, die in klarer Gestalt erscheint,ist in beiden Fällen vorstellungsfrei. Nur wenn sie nicht klar er-scheint, ist sie vorstellend. Daher ist widerlegt, daß (die Wahr-nehmung des Timirakranken), obwohl vorstellungsfrei, Erkenntnis-mittel sei. Denn sie bewährt sich nicht (visarrivädät). Deshalbhabe ich die Schein Wahrnehmungen in zwei Arten eingeteilt".

Dharmakirti kann das tun, weil Sinneserkenntnis bedingtentsteht. Wahrnehmung ist nicht irrig. Aber aus dem Ursachen-komplex, der eine Wahrnehmung herbeiführt, kann eine Ursache,das Sinnesorgan, teilweise ausfallen. Dadurch entsteht eine un-vollständige Wahrnehmung oder eine, die überhaupt nichts mehrvon einem wirklichen Ding mitteilt38.

Die Merkmale der Wahrnehmung sind an der sinnlichen Wahr-nehmung entwickelt. Sie können noch bei drei anderen Arten un-mittelbarer Gewißheit gefunden werden. Dharmakirti zählt imAnschluß an Dignäga (PS I, 6) vier Arten von Wahrnehmung:die sinnliche Wahrnehmung, die mentale Wahrnehmung (mäna-sam), das Selbstbewußtsein (svasamvittih) der geistigen Gegeben-heiten (caittäh) und die Wahrnehmung der Yogis (yogipratyaksam).

Die mentale Wahrnehmung spielt keine große Rolle. In denVersen III, 239—248 zahlt Dharmakirti seinen Tribut an dieTradition und behandelt die Frage, wie sie Erkenntnismittel seinkann. Ohne Sinneswahrnehmung kann sie nicht eintreten, sonstmüßten auch Blinde die Dinge sehen, damit besteht aber dieGefahr, daß sie schon Erfaßtes erfaßt.

Das Selbstbewußtsein wird dagegen noch sehr wichtig beimProblem der Anschauung. Hier bedeutet es, daß Lust usw. nichtEigenschaften einer Seele, sondern selbst erkenntnisartig und sichihrer Individualität selbst bewußt sind (III, 249ff.).

38 Die sinnvolle Erklärung als Defekt ist allerdings nur vom Stand-punkt der Sauträntikaontologie möglich. Vom Standpunkt des Systemsder Erkenntnismittel handelt es sich um einen Effekt, der nicht erklärtwerden kann, es sei denn, man billige zuletzt allen bestimmten Erkennt-nissen nur Irrtumscharakter zu (siehe Problem der Anschauung).

Page 40: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 41

Die sogenannte Wahrnehmung der Yogis (III, 281 — 287)spielt ebenfalls keine große Rolle. Sie läßt Dinge, die nicht gegen-wärtig sind, deutlich sehen. Im Unterschied zur Erkenntnis vonMenschen, die unter dem Einfluß von Liebesleidenschaft, Kummerusw. zu Eidetikern werden (III, 282), ist die Vergegenwärtigungvon Nichtvorhandenem durch Menschen, welche Unwissenheitund Leidenschaft überwunden haben, Erkenntnismittel, da siesich bewährt. Es wird dabei nicht ein Objekt gegeben, sonderngeschafFen. Was die Klarheit angeht, kann man von Wahrnehmungreden, hinsichtlich der Spontaneität ist sie eher Vorstellung.Daß sie sich bewährt, liegt vielleicht an der hohen Erfahrung derYogis und ihrem ungetrübten Blick für ganz spezifische Merkmale.Es kann ja auch etwas an sich Unwahrnehmbares Gegenstand einersolchen Wahrnehmung sein. In der Santänäntarasiddhih (v. 90—94)sagt Dharmakirti deutlich, die Erkenntnis der Gemütsart einesandern Geistes (cetahparyäyajnänam) sei keine Wahrnehmung,sondern eine hochentwickelte Vorstellung. Nur den Buddhaswird ein Bereich zugestanden, der jenseits dieser Unterscheidungenliegt.

III. Das Problem des Begriffs.

Ist das Objekt der Wahrnehmung ein Individuelles, so istmit der Schlußfolgerung, welche es bei Ausfall direkter Wahr-nehmung indirekt ermittelt, das Problem gegeben, wie sie, da siedoch mit einer fremden Gestalt (pararüpena) und nicht mit dereigenen des Dinges (svarüpena) arbeitet, zu ihm einen Bezugbekomme. Wir können es das Problem des Begriffs nennen. Zubeachten ist: der Begriff ist für Dharmakirti nur Vorstellung.Das ist Folge des sensualistischen Ansatzes. Dharmakirti denktauch nicht daran, hier etwas rückgängig zu machen. LogischeEindeutigkeit ist Gesetz auf der Ebene des Handelns. Also istdas Problem so zu losen, daß das Allgemeine grundsätzlich außer-halb der theoretischen Wahrheit bleibt. Nichtsdestoweniger mußseine praktische Brauchbarkeit erklärt werden. Im folgendenwerden wir zeigen: mit der Anerkennung des Satzes vom (zu ver-meidenden) Widerspruch werden alle realistischen Auffassungendes Allgemeinen hinfällig. Logische Eindeutigkeit ist aber zurLösung des Problems notwendig (1. Methode). Damit bleibt dasAllgemeine aus dem Bereich der Wahrheit verbannt. Seine Brauch-barkeit wird mit der Sonderung von anderem begründet (2. Apoha-lehre).

Page 41: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

42 Tilmann Vetter

1. MethodeHsüan-tsang gibt in seiner Vijnaptimätratäsiddhih folgende

Übersicht über die möglichen Verhältnisse von Einzelding undrealem Allgemeinem:

Sämtliche nichtbuddhistischen Schulen, wie zahlreich sie auchseien, lassen sich nach der Art, wie sie das Seiende auffassen,in vier Gruppen einteilen.

Nach der ersten Auffassung ist das Seiende mit dem Seinusw. identisch. Das behaupten z. B. die Sämkhyas. Diese Auf-fassung ist nicht richtig, Warum ? Da dann alles Seiende, weil esnur Sein ist, identisch mit dem Sein und seinem Wesen nach nichtunter sich verschieden wäre. Außerdem widerspricht ein Sämkhyaseiner eigenen Lehre, nach der die drei Gunas und der Purusaihrem Wesen nach verschieden sind. Und er widerspricht der ge-meinen Erfahrung, nach der die Dinge verschieden sind. Wärez. B. Farbe nichts als Farbheit, dann dürfte es keine verschiedenenFarben wie Blau und Gelb geben.

Nach der zweiten Auffassung ist das Seiende vom Sein usw.verschieden. Das behaupten z. B. die Vaise.sikas. Diese Auffassungist nicht richtig. Warum ? Da dann alles Seiende, weil er am Seinkeinen Anteil hat, wie etwas, das nicht mehr ist (pradhvanisä-bhävah), seinem Wesen nach überhaupt nicht wäre. Außerdemwiderspricht der Vaisesika seiner eigenen Lehre, nach der dieSubstanzen ihrem Wesen nach nicht nicht sind. Und er wider-spricht der gemeinen Erfahrung, nach der die Dinge offensichtlichexistieren. Hätte z. B. Farbe nicht an der Farbheit teil, danndürfte sie genausowenig wie Töne Objekt der Augen sein.

Nach der dritten Auffassung ist das Seiende sowohl identischals verschieden vom Sein usw. Das behaupten z. B. die Digam-baras. Diese Auffassung ist nicht richtig. Warum ? Der Fehlerbei „sowohl identisch als verschieden" ist der Fehler bei „identisch"plus dem Fehler bei „verschieden". Die zwei vertragen sich nichtzusammen, weil sie kontradiktorisch sind. Wenn Identität undVerschiedenheit zusammengeworfen werden, dann sind sie esbeide nicht mehr. Alles Seiende hätte dann zusammen Ein Wesen.Oder man darf Identität und Verschiedenheit nur als Zuschreibun-gen des Denkens betrachten, nicht aber als den Dingen selbstzukommend. Es ist aber eure Ansicht, daß sie real seien. Das istkeineswegs haltbar.

Nach der vierten Auffassung ist das Seiende mit dem Seinusw. weder identisch, noch verschieden. Das behaupten z. B. die

Page 42: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 43

Äjivikas. Diese Auffassung ist nicht richtig. Warum ? Die Auf-fassung „weder identisch noch verschieden" fließt mit „sowohlidentisch als verschieden" zusammen. Ist die Ausdrucksweise„weder identisch noch verschieden" negativ oder affirmativ ?Ist sie rein affirmativ, dann ist die zweifache Negation nichtzulässig. Ist sie rein negativ, dann kann von einer Auffassung nichtmehr die Rede sein. Ist sie sowohl affirmativ als negativ, dannwird bei euch ein Lehrbuch nur zur Erheiterung verfaßt. Außerdemwiderspricht „weder identisch noch verschieden' ' der gemeinenErfahrung, welche die Dinge als identisch und verschieden kennt,und es widerspricht eurer eigenen Lehre, nach welcher Gegeben-heiten wie Farbe auf jeden Fall als real anzusehen sind. Im Grundegenommen ist diese Ausdrucksweise nichts als der verstohleneVersuch, sich vor den Schwierigkeiten des Problems zu retten.Verständige ziehen sie überhaupt nicht in Betracht (T 1585p. 3cl3—4a6; bei La Vallée Poussin p. 35 — 37).

Diese Einteilung gilt für Dharmakirti's Zeit. Die vierteAuffassung kommt nicht in Betracht, da sie das Heil ineiner Epoche sucht. Bei der ersten ist man versucht, auch aneinen Sattädvaita-Vedänta zu denken. Dann würde die KritikHsüan-tsangs nicht treffen, da gerade das, was vorgeworfen wird,die Auflösung des Einzeldings im höchsten Allgemeinen, beab-sichtigt ist. Die Auffassungen eins bis drei sind für Dharmakirtimit den gleichen Namen verbunden wie oben. Die erste tritt etwasin den Hintergrund und mit der dritten wird nun auch der NameKumärila's verbunden. Davon, daß auch das Sämkhya zu derdritten Auffassung übergegangen sei39, scheint den Buddhistendamals nichts bekannt gewesen zu sein. Das Sämkhya gilt meistals das Identitätssystem.

Im Anhang II. bringe ich ein längeres zusammenhängendesStück der Polemik Dharmakirti's gegen die Auffassung des Vaise-sika, nach der die Gemeinsamkeit ein vom Einzelding getrenntes(vyatirikia) ewiges Reales ist. In diese Polemik sind auch kleineStücke eingeflochten (z. B. p. 75, 9 — 27), welche die erste Auf-fassung, nach der die Gemeinsamkeit mit dem Einzelding identischist, kurz widerlegen. Dharmakirti hat dabei durchwegs recht:die dingliche Auffassung des Allgemeinen zusammen mit derAnerkennung logischer Eindeutigkeit führt in die Ausweglosig-keiten, die er aufzeigt.

Vgl. Frauwallner G. i. Ph. I S. 399-400.

Page 43: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

44 Tilmann Vetter

Viel ernster zu nehmen ist denn die dritte Auffassung, dieSowohl-als-auch-Methode (syädvädah). Sie verdankt nicht zu-letzt der Gattung-Einzeldingproblematik ihre Entstehung. DieLösung des Problems ist, die logische Eindeutigkeit aufzugeben.Das Ding ist sowohl Einzelnes als Allgemeines, je nachdem manes betrachtet. Kumärila glaubt sogar, sich auf die Wahrnehmungberufen zu können: „In der unmittelbaren Erfahrung zeigt sich,daß ein und dasselbe Ding entgegengesetzte (Eigenschaften)trägt. Es ist kein königliches Gesetz, daß Ein Ding nur Eine Formhaben kann. Wie etwas wahrgenommen wird, so ist es eben zusetzen" (SV Sünyaväda 219—220ab). Dharmakirti weiß, daß manüber das nur theoretisch gefaßte Objekt der Wahrnehmung end-los streiten kann, nehmen doch einige sogar an, es sei das All-gemeine40. Es kommt darauf an, was man unter Objekt der Wahr-nehmung näher versteht, und für ihn ist es das, was demHandelnden einen Zweck erfüllt. Wenn also Kumärila oder weres sei — es muß nicht unbedingt die oben zitierte Stelle sein,gegen die sich das Folgende richtet — die unmittelbare Gewiß-heit des Wahrnehmens, die im allgemeinen als sichere Burg desNominalisten gilt, in Beschlag nimmt, so kann Dharmakirti immernoch mit dem Handeln beweisen, daß die Dinge nur individuellsind. Dabei hat er auch Gelegenheit zu sagen, was er unter Identitätversteht :

Das Wesen, auf das der Mensch sein Handeln richtet, wenner ein dadurch erfüllbares Ergebnis wünscht, muß die Grundlagebei der Erwägung von Verschiedenheit und Identität bilden.Dem jeweiligen Wesen nach besteht Verschiedenheit, der Aus-schließung nach Gleichheit. Das Wirkliche erstreckt sich nichtwegen der Folgen für das Handeln (I, 181 — 182).

Jeder, der nach Verschiedenheit und Identität fragt — istdie Kuh vom Pferd verschieden oder nicht — handelt, indem ernur jene Besonderheit des Dings, die man „eigenes Wesen" nennt,im Auge hat. Denn nur diese wird so (z. B. Kuh) genannt. Sub-stanztum usw. werden aber dabei durch die Worte nicht mit-geteilt, weil sie je für sich gesondert genannt werden. Weil der(„Kuh" genannte) Gegenstand von ihnen nicht abweicht, könnensie (Substanztum, Sein) durch ihn (mittels Schlußfolgerung)erkannt werden. So ist es vom Lehrer (Dignäga) dargelegt worden.

40 Vgl. Anhang I S. 96 und B. Gupta: Die Wahrnehmungslehre inder Hyâyamanjarî S. 79 — 80.

Page 44: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 45

Wenn daher jemand einen durch das Wort Kuh usw. mani-festierten Gegenstand als verschieden oder identisch untersucht,wieso wird er dadurch, daß ein anderer Gegenstand angedeutetwird, zu einem, dessen Erkenntnis zwei Seiten hat, gemacht ?Das Wesen also, das einem (Ding) mit keinem andern gemeinsamist, auf welches ein Mensch, der die Erfüllung eines bestimmtenZweckes sucht, sein Handeln richtet — wie (des Zwecks) einerKuh bei Ziehen, Melken usw., nicht (des Zwecks) eines Dings,bei dem anderes möglich ist, wie (eines Pferdes) beim Eintrittin eine Schlacht — eben dieses eigene Wesen wird von den Worten— jedes von dem ihm entsprechenden — ausgedrückt, nichtjedoch eine Gemeinsamkeit Substanztum usw. Denn diese wünschtman mittels der Bezeichnung durch die (Worte Kuh usw.) zumZeitpunkt dieser (Bezeichnung) gar nicht zu erlangen, da sich(diese Worte) der Sprachkonvention nach auf Kuh usw. beziehen,und an ihr, auch wenn (Substanztum usw. ) zu ihrem Wesengehörten, keine Zweiförmigkeit vorläge, weil (Substanztumusw.) sich dann nicht erstreckten. Und auf eben dieses wirklicheDing bezieht sich die Unterscheidung nach den Aspekten (derVerschiedenheit und Identität). Seine Verschiedenheit (an sich)wird durch die Identität mit dem Substanztum usw. nicht beein-trächtigt. Denn es wird überall eine Verschiedenheit dem Wesennach angenommen und eine Gemeinsamkeit, die in der Aus-schließung besteht. Und darauf, daß die Identität in einer eineeigenständige Wesenheit bildenden Gemeinsamkeit bestehe, habenwir bereits geantwortet41. Wenn aber die Identität wirklich durchdas eigene Selbst (der Dinge gebildet) würde, könnte jemand,der die Erfüllung eines auf dieses Wesen gegründeten Zweckswünscht, sein Handeln auf zwei Dinge (Kuh und Pferd) gleicher-maßen richten. Das eine erfüllt diesen Zweck, weil es tatsächlichdieses Wesen hat. Doch auch das davon Verschiedene (müßtenach eurer Theorie) das gleiche (Wesen) haben: Warum erfülltnicht auch es (den Zweck)? (p. 88, 26—89, 21.)

Damit (mit dem Hinweis auf die Folgen für das Handeln)ist auch, was die schamlosen (Digambaras) alles an Ungereimtemund Verworrenem schwätzen, widerlegt. Denn Eindeutigkeit istdurchaus möglich (I, 183).

Die Jainas sind die methodischen Vertreter des Syädväda.Die Polemik gegen sie, wenn auch manches vom Obigen wieder-

41 Siehe Anhang II.

Page 45: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

46 Tilmanii Vetter

holend, ist stärker gegen die Methode selbst gerichtet. Der Syädväda,von den Jainas die Lehre von der Nichteindeutigkeit (anekäntavä-dah) (des Wirklichen) genannt, ist, da er vom Ding gleichzeitigVerschiedenheit und Identität aussagt, mit der Kontradiktion„A = Non-A" oder „sowohl A, als Non-A" zu beschreiben. Daszynische Beispiel, das Dharmakirti wählt: Sauermilch und Kamel,erscheint beim ersten Anblick etwas unangebracht, geht es dochum das Verhältnis von Einzelding und Allgemeinem. Es liegtaber folgender Gedanke zugrunde : Ist das Substanztum wesenhaftim Einzelding, und dieses trotzdem ein Einzelnes, dann gilt nichtnur, daß Sauermilch eine Substanz ist, sondern auch das Umge-kehrte: Substanz ist Sauermilch. Da auch das Kamel eine Sub-stanz ist, sind Sauermilch und Kamel identisch. Die Polemiklautet im Einzelnen:

Was ein solcher Schamloser, wenn er sagt: ,,Ein Kamel istsowohl Sauermilch als auch nicht", an Unsinnigem, Ungereimtem,demzufolge es kein zu Lassendes und zu Tuendes gäbe, da nichtseindeutig bestimmt ist, an Verworrenem schwätzt, das ist damitwiderlegt, da die (Dinge) ihrem Wesen nach eindeutig verschiedensind. Oder, wenn sich das Wesen erstreckt und alles ein doppeltesWesen hat, so ist die Besonderheit der Dinge aufgehoben. Warumläuft dann einer, den man aufgefordert hat: ,,Iß Sauermilch",nicht auf ein Kamel zu ? (I, 184) Es gälte dann: Auch ein Kamelist Sauermilch. Nicht: Nur ein Kamel ist ein Kamel, weil auchetwas anderes ein Kamel wäre. Ferner gälte: Auch Sauermilchist Kamel. Nicht : Nur Sauermilch ist Sauermilch, weil auch etwasanderes Sauermilch wäre. Darum gibt es bei diesen beiden, weiles für keines entweder das Nichtsein der Form des andern odereine Eigenform, die im andern nicht vorhanden und auf es be-schränkt wäre, gibt, überhaupt keinen Unterschied. Und so könnteeiner, den man auffordert: ,,Iß Sauermilch", genausogut auch einKamel essen. Wenn dagegen noch irgendeine Besonderheit besteht,derzufolge man beim Handeln einen Unterschied macht, dann istdiese die Sauermilch. Und da sie anderswo fehlt, ist (das Wesenaller Dinge) durchaus einfach (I, 185). Gibt es eine bestimmteBesonderheit bei den beiden, derzufolge man nach einer solchenAufforderung nur auf das Milchprodukt hin handelt, nicht aberauf das andere hin, so ist eben diese Besonderheit, welche Objektdes Handelns dessen ist, der die Erfüllung eines Zwecks wünscht,die Sauermilch. Sauermilch ist nämlich ein Ding, dessen Wesengekennzeichnet ist durch das Ursachesein für diese besondere

Page 46: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 47

Wirkung. Und dieses sobeschaffene Wesen ist am andern nichtvorhanden. Denn niemand, der (Sauermilch) wünscht, richtetsein Handeln (auf ein Kamel). Daher hat (die Sauermilch und jedesandere Ding) nicht zweierlei Natur und somit ergibt sich die Lehrevon der Eindeutigkeit (ekäntavädah) (als das Richtige) (p. 89,24-90, 12).

Auch meint Dharmakirti, daß bei den realistischen Voraus-setzungen der Jainas der Syädväda für sie nicht einmal subjektivdurchführbar, also kein Urteil, das Einzelnes und Allgemeineszusammenwirft, möglich sei: Wenn alles das Wesen von allemhat, dann dürfte es keine unterschiedlichen Erkenntnisse und Wortegeben. Auf Grund von deren Fehlen ist auch die Lehre von derZusammenziehung der Unterschiede nicht möglich (I, 186).

2. Die Apohalehre

Die Wirksamkeit der Dinge für uns und die Psychologie derVorstellungen geben die Möglichkeit, das Begriffsproblem zulösen, ohne die logische Eindeutigkeit aufzugeben. Die Einzel-dinge erscheinen verschieden in der Wahrnehmung, viele übenaber eine gleiche Wirkung für uns aus, erfüllen den gleichen Zweck.Dieses Faktum bildet die Grundlage der Brauchbarkeit des Be-griffs. Indem man Dinge von den Dingen, die einen Zweck nichterfüllen, sondert (Apoha), stellt man ihren Unterschied von denanderen als ihre Indifferenz fest. Diese steht in keinem Wider-spruch zu ihrer Verschiedenheit an sich.

Das soll zuerst in seiner Beziehung zum Grund des eigenenWesens (svabhävahetuh) betrachtet werden: a) die logische Seitedes Begriffs. Dann soll beschrieben werden, wie sich die Vorstellun-gen auf die Dinge, die eine gleiche Wirkung für den Menschen tun,beziehen, wodurch erst ein bestimmtes Allgemeines und die be-stimmte Beurteilung eines Dings möglich werden: b) die psycho-logische Seite des Begriffs. Zuletzt muß noch auf die Funktionvon Wort und konkreter Sprache, die ein Verständigungsmittelunter den Menschen sind, eingegangen werden: c) Wort und Satz.

a) Die logische Seite des Begriffs

Der Schluß aus dem eigenen Wesen ist auf der Identität desaugenblicklichen Individuums aufgebaut. Daher scheinen Aus-sagen über es nur tautologisch und ein Verhältnis von Grund undFolge an ihm nicht möglich zu sein. Der Sinn der Schlußfolgerung

Page 47: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

48 Tilmann Vetter

aus dem eigenen Wesen ist aber nicht, dem Ding näher zu kommen,es besser zu erkennen. Man ist ihm durch Wahrnehmung schonnahe genug und hat es in seiner ganzen Fülle. Zu der menschlichenErwartung freilich mag das wahrgenommene Ding noch nichtim richtigen Verhältnis stehen. Es hat aber zu allen Erwartungenein Beziehung, wenn auch meist nur eine negative. Diese Er-wartungen sind vom Ding aussagbar und stellen verschiedeneAspekte von ihm dar. Nun sind gewisse Aspekte gut „sichtbar",andere aber nicht, und zwar nicht, weil das Ding nicht ganz sicht-bar wäre, sondern weil das Gegenteil von dem, was wirklich ist,erhofft wird. So sieht man wohl, daß ein Ding entstanden ist,macht sich aber Illusionen über seine Dauer. Hier kann durchSchlußfolgerung mit Hilfe der Umfassung (vyäptih) ,,was ent-standen ist, ist vergänglich" der falsche Schein der Dauer ausge-schieden werden.

Es ist nun keine Frage, daß mit diesem Verfahren, der bloßenFernhaltung von Irrtümern, das Ding nicht als solches bestimmtwird. Nur Allgemeinheiten, die von jedem Ding gelten, könnenherangetragen werden, um falsche Einbildungen allgemeiner Artzu vertreiben. Soll das Ding in das Reich der Zwecke aufgenommenwerden — Wesensbestimmungen unterhalb des Seins und Ausgangs-punkt für die Schlußfolgerung aus der Wirkung —, dann gehörtdazu außer der logischen Ausschließung von anderem das, wasdie Ausschließung lenkt: eine Vorstellung als Substitut (oder„Schema") des Zwecks. Sie ist das bestimmte Allgemeine, dasvom Einzelding prädiziert wird. Das soll im nächsten Abschnittbehandelt werden.

Hier, wo wir es vorläufig nur mit der rein logischen Seite derAusschließung zu tun haben, also nur die Ausscheidung vonIrrtümern zur Debatte steht, wird betont, daß auch das Subjekt42

der Bestimmungen ein Substitut ist und nicht das Einzelding selbst,denn die Wahrnehmung schreibt nichts Falsches zu. Auch vondiesem Verhältnis des Subjekts eines Urteils zum Einzeldingsoll noch die Rede sein.

Hierher gehören die Verse I, 42 — 59, die kurz referiert werdensollen :

Alle Dinge sind, weil sie von Natur nur in ihrem eigenenEigenwesen bestehen, von Gleichartigem und Andersartigemverschieden. Daher bildet man verschiedene Gattungsbegriffe, die

42 Meist verwendet man dafür das Demonstrativum „dies" (idam).

Page 48: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 49

sich darauf stützen, wovon jeweils die Dinge unterschieden werden,und die diese Unterschiede erfassen. Welcher Unterschied darumdurch Eine Eigenschaft erkannt wird, der kann nicht durch eineandere erkannt werden. Daher haben sie ein gesondertes Be-stehen (obwohl sie Eigenschaften des Einen unteilbaren Dingssind). Warum ist noch Schlußfolgerung nötig, wenn durch dieWahrnehmung schon das ganze Wesen eines Dings erfaßt wird ?Durch einen Anlaß zum Irrtum wird das in der Wahrnehmungerfaßte Ding mit einer fremden Eigenschaft verbunden, so wiePerlmutter als Silber angesehen wird infolge des Sehens einer ähn-lichen Formbeschaffenheit. Der Irrtum verhindert also, daß einDing richtig bestimmt wird, obwohl es eigentlich, wenn es ge-sehen ist, mit allen seinen Eigenschaften gesehen ist. Hier hat dieSchlußfolgerung ihre Aufgabe. Sie erfaßt aber nicht das Dingselbst, sondern macht dadurch, daß sie eine Eigenschaft bestimmt,unmöglich, daß deren Gegenteil weiterhin dem Ding zugeschriebenwird. Sie sondert ab (Apoha). Oder es wird ein Ding direkt bestimmt,dann wird eine künftige Zuschreibung des Gegenteils unmöglichgemacht. Wieviele Zuschreibungen möglich sind, so viele Be-stimmungen und Worte gibt es, sie fernzuhalten. Das Eine Dingwird nicht durch Eine Vorstellung oder Ein Wort ausgeschöpft,sonst hätten die andern keinen Gegenstand mehr und es bestündeSynonymität (zwischen allen in Frage kommenden Wörtern).Das Wirkliche besitzt keine ihm anklebenden Attribute, mitdenen man allenfalls die Vielheit der Worte erklären könnte.Damit ist erwiesen, daß sich die Schlußfolgerung auf die Aus-schließung von Übertragungen richtet, und daß die Bestimmungennicht das wirkliche Ding zum Objekt haben.

b) Die psychologische Seite des Begriffs

Die Vorstellungen sind Substitut des Begriffs als Zwecksund garantieren durch die Art ihres Entstehens die Brauchbarkeitder Identifizierung des Einzelnen mit dem Allgemeinen.

Die Vorstellungen sind ihrer „materiellen4 ' Kausalität nachanfanglos. Ihre Form aber wird geprägt und angereichert (ähita)durch die Wahrnehmung wirklicher Dinge. Daher können siewieder dazu dienen, ähnliche Dinge aufzufinden. Ihre Form wirdnicht dem jeweils wahrgenommenen Ding völlig angepaßt. Sonstkönnte eine Vorstellung nicht mehr bei weiteren Dingen in An-wendung kommen. Es ist also auch ein Vorteil, daß die Vorstellun-gen die Dinge nicht so nachahmen, wie sie sind. In der Unscharfe

Page 49: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

5 0 Tilmann Vetter

der Vorstellungen liegt ihre theoretische Irrigkeit und ihre prak-tische Brauchbarkeit.

Wichtig ist, daß viele Vorstellungen angenommen werdenmüssen. Es sind genausoviele wie wir an Ähnlichem festzustellenvermögen, mindestens so viele wie die Sprache Wörter hat. Eskönnen aber zu neuentdeckten Vorstellungen immer neue Wörtergebildet werden. Viele Vorstellungen muß der Buddhist deshalbannehmen, weil er keine Seelensubstanz oder dauernde Eigen-schaft derselben als Vorstellung hat, in welcher Eindrücke in derArt einer Wachstafel hinterlassen werden könnten. Jeder Eindruckist er selbst und, wenn erwacht, genauso selbstbewußt wie anderegeistige Gegebenheiten. An die Materie der Vorstellungen mußalso die Bedingung gestellt werden, daß sie seit anfangloser Zeitvereinzelt und auf Bestimmtes hin schon ausgerichtet ist. DurchWahrnehmungen erhalten die Vorstellungen eine bestimmtereForm. Diese wird nach der Wahrnehmung eines neuen ähnlichenDinges bewußt: man wird durch das Neue an Früheres erinnert.Gleichzeitig wird das neue Ding zum Reichtum der Vorstellunggeschlagen. In potentiellem Zustand und ohne unsachlich-will-kürliche Beschäftigung mit ihr kann man sie sich bis zur nächstenWahrnehmung eines Ähnlichen als in der Zeit gleichbleibendvorstellen und in substantieller Ausdrucksweise von ihr als Ein-druck (väsanä) und Same (bïjam) der Vorstellung sprechen.

Eine besondere Stellung nehmen die Vorstellungen ein,denen nie ein Gegenstand gegeben war und denen auch nie einergegeben werden kann, da sie zur Natur des Wirklichen in gerademGegensatz stehen. I, 207 sagt Dharmakîrti: „Der Gegenstand derWorte besteht in Vorstellungen, die aus anfanglosen Eindrücken(väsanäh) hervorgehen. (Seine) Beschaffenheit ist dreifach, jenachdem er sich auf Seiendes, Nichtseiendes oder beides stützt/ 'Vorstellungen, die sich auf beides stützen, sind wohl solche, diefrüher an Wirklichem geformt wurden, denen aber jetzt nichtsentspricht, wie die Vorstellung Wasser bei einer Luftspiegelung.Vorstellungen, die sich auf Nichtseiendes stützen, also noch niemit Seiendem in Berührung gekommen sind, sind Ideen wie Ur-materie (pradhänam) usw. Es ist zu zeigen, daß sie auch niemalsmit Seiendem in Berührung kommen werden, also ihr Nichtseinzu beweisen. Das bringt Probleme des Grundes der Nichtwahr-nehmung (anupalabdhih) mit sich, die wir hier nicht verfolgenkönnen.

Page 50: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 51

Die Vorstellungen, die sich auf Seiendes stützen, sind Begriff,da sie trotz ihrer Irrigkeit — daß sie das Einzelne nicht in seinerEinzelheit zeigen — den Unterschied von anderem erfassen.Jedes wirkliche Ding, z. B. eine Kuh, erfüllt dem Menschen einenZweck, z. B. Ziehen, Milch Geben usw. Dabei ist uninteressant,daß im Grunde keine Kuh wie die andere ist, daß sie alle Individuensind. Die Vorstellung „Kuh" führt auf die Individuen hin, die zumZiehen und Milch Geben geeignet sind. Die Vorstellung selbsterfüllt den Zweck nicht, sonst müßte man durch bloßes Daran-denken schon seine Ziele erreichen. Aber mit dem Bild verbindenwir diesen Zweck und er ist dann erfüllbar, wenn die Vorstellungnicht willkürlich entsteht, sondern von einer Wahrnehmung hervor-gerufen wird, deren Bild in den Rahmen des bereitliegendenunschärferen Vorstellungsbildes paßt. Die Vorstellung bedecktdas Wirkliche — daher die Bezeichnung des Allgemeinen als durchBedeckung Seiendes (sarrivrtisat) (III, 3) — und leitet, verbundenmit einem Zweck, das Handeln an die richtige Stelle. Das wirklicheDing, obwohl es anders ist als es unter der Bedeckung erscheint,erfüllt den Zweck, weil der Rahmen der bedeckenden Vorstellunges von anderem, das nicht so aussieht und nicht so ist, sondert.Die Gleichung ,,so aussehen = so sein" ist allerdings noch eineQuelle für Irrtümer, z. B. kann man beim Schein einer Lampeeinen Edelstein erwarten oder bei einer Luftspiegelung Wasser.Inwieweit diese Irrtümer möglich sind, dürfte vom Grad derBestimmtheit der Vorstellung abhängen43. Der Rahmen um dasEinzelding muß immer enger und die Erwartung eines Zwecks,die von der Erfahrung korrigiert wird, mit immer spezifischerenVorstellungen gekoppelt werden.

Zur folgenden Diskussion, in der Dharmakirti die doppelteAufgabe zu losen hat, einerseits die Form des Urteils und seinemöglichen sprachlichen Explikationen zu begründen, anderseitsdas Subjekt des Urteils praktisch mit dem Ding zu identifizieren,ist noch zu bemerken: Konkrete Sprache und Vorstellung sindgetrennt. Das heißt aber nicht, Vorstellung enthielte nicht dieSprache an sich. Hier ergeben sich nun Schwierigkeiten, weil dieVorstellung nur optisch aufgefaßt wird und ihren sprachlichenAspekt (früher manojalpah: Denksprechen oder prajnaptih: Be-nennung) weitgehend verloren hat. Das Bild in der Vorstellung

43 Vgl« P- 51, 12: vise$alaksanäpätavät und p. 43, 5: yathädr$tavisesä-nusarariam parityajya.

Page 51: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

52 Tilmann Vetter

kann unmöglich die Form des Urteils, das Einzelnes und All-gemeines zusammenbringt, spiegeln. Weder durch eine Teilungnoch durch die Einheit des Vorstellungsbildes wird man dieserForm gerecht. Anläßlich der Besprechung von Eigenschaft undEigenschaftsträger (p. 35, 7—13) sagt Dharmakirti, ihr Verhält-nis sei unausdrückbar (aväcya), denn die Eigenschaft sei wederetwas anderes noch dasselbe wie der Eigenschaftsträger.

Bei der im folgenden immer wieder auftretenden Gegenüber-stellung von Irrtum der Vorstellung und Wahrheit der Sonderung,kommt man am besten so durch, wenn man die Fläche (das Be-deckende) des Vorstellungsbildes als das Irrige faßt, seinen Um-fang oder Rahmen aber als das Wahre, da er das Ding nach einemZweck aussondert. Das Urteil ist formal die Beziehung des Be-deckenden zu seinem Umfang, inhaltlich die Beziehung des Be-deckten zum Umfang des Bedeckenden:

Die fremde Form wird mit der eigenen Form bedeckt voneiner Erkenntnis, die Einen Gegenstand erscheinen läßt, obwohlsie sich auf verschiedene Dinge stützt (I, 70); von dieser, der„Bedeckung" (samvrtih), wird die Verschiedenheit der Dingeverdeckt (samvrtanänätväh), so daß sie, obwohl an sich verschieden,in irgendeiner Form wie nichtverschieden erscheinen (I, 71).Im Anschluß an die Intention dieser (Erkenntnis) wird die Ge-meinsamkeit als seiend bezeichnet. In Wirklichkeit (aber) ist sieso, wie sie von dieser (Erkenntnis) vorgestellt wird, nicht seiend(I, 72).

(Obwohl) die Erkenntnis gestützt auf die von andern alsihnen verschiedenen Dinge entsteht, schließt sie sich als vor-stellende der Natur ihrer Eindrücke an und — die verschiedeneForm der (Dinge) verdeckend und (ihnen statt dessen) ihr eigenesnichtverschiedenes Bild auflegend — zeigt die (Dinge), indemsie sie vermischt. Es ist aber die Natur der Dinge, die, insofernsie die gleiche Wirkung und Ursache haben, von anderem ver-schieden sind, und des Eindruckes dieser Vorstellung, daß diese(Erkenntnis), die aus ihnen entsteht, so in Erscheinung tritt.Und dies ist die Bedeckung, weil von ihr mittels ihrer eigenenForm die fremde Form bedeckt wird. Die Dinge, deren Verschieden-heit durch sie verdeckt ist, erscheinen, obwohl sie an sich ver-schieden sind, gleichsam in irgendeiner Form nichtverschieden.Diese (Form) wird von denen, die sich an das Bild in der vor-stellenden Erkenntnis halten, deren Gemeinsamkeit genannt;(sie ist aber nur Gemeinsamkeit) der in der (vorstellenden) Erkennt-

Page 52: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 53

nis befindlichen Dinge, die dadurch, daß (vorher ihre) besondereGestalt erfaßt wurde, gleichsam außen aufscheinen (p. 38,11 — 39,1).

Gegner : Wieso ist dann die Gemeinsamkeit Sonderung von ande-rem ? Antwort : Eben dieses (Bild in der Erkenntnis) ist die Sonderungvon anderem. Indem sie nur dieses (Bild) erfaßt, scheint die (Er-kenntnis) auf Grund des den Vorstellungen eigenen Irrtumsgleichsam die wirklichen Dinge zu erfassen. Indem sie sich nämlichauf die wirklichen Dinge richtet, die eben von andern als ihnenverschieden sind, wird sie als die Verschiedenheit zum Objekthabend aufgefaßt. Gegner: Die äußeren Dinge sind verschieden;auf sie aber richtet sich die Vorstellung nicht. Wieso kommt siedann ihnen gegenüber vor ? Antwort : Nur in der Theorie machtman diesen Unterschied, nicht aber in der Praxis. In der Praxishält man den Anhaltspunkt der jeweiligen (Vorstellung) für ge-eignet zur Erfüllung eines Zwecks und handelt, indem man dieGegenstände der Wahrnehmung und Vorstellung zu Einem macht.Im Anschluß an die Intention der (Handelnden) sagt man so:Dinge, die dadurch, daß sie eine bestimmte Wirkung tun, vondenen, die sie nicht tun, verschieden sind, teilt man mittels einesWortes als solche mit. Aber wegen des Unterschieds der Erschei-nungsbilder usw. kann man, wenn man die Wahrheit erwägt,keine NichtVerschiedenheit zugeben (p. 39, 1 — 10).

Wie ist aber eine nichtunterschiedliche Wirkung bei den ver-schiedenen Dingen möglich, mittels derer man auf Grund des Unter-schieds von andern als ihnen von einer Nichtverschiedenheitreden kann ? Es ist die Natur der Dinge, daß gewisse Dinge, wieSinnesorgan usw., trotz ihrer Verschiedenheit von Natur aus dazubestimmt sind, Eine Wirkung hervorzubringen, sei es eine gleicheBeurteilung, sei es eine Gegenstandserkenntnis usw. (I, 75). WieSinnesorgan, Objekt, Licht und Aufmerksamkeit oder Seele,Sinnesorgan, psychisches Organ, Gegenstand und Kontakt der-selben, obwohl es keine Gemeinsamkeit, die diesen Dingen eigenwäre, gibt, Eine Farberkenntnis hervorbringen, so bringen auchEinzeldinge wie iSimsapäbäume, obwohl sie sich nicht aufeinandererstrecken, eben auf Grund ihrer Natur Ein, (das heißt) ein diegleiche Gestalt zeigendes Wiedererkennen hervor oder, je nachden Mitursachen, eine andere den Menschen betreffende Wirkung(arihakriyä), die durch Holz bewirkt werden kann, wie etwaBrennen oder Haus(bau). Wasser usw. (bewirkt) das aber nicht,obwohl, was die Verschiedenheit (der Einzeldinge als solcher)betrifft, kein Unterschied besteht, genausowenig wie Gehör usw.

Page 53: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

54 Tilmann Vetter

bei Farberkenntnis usw. beteiligt ist. Oder wie man sieht, daßgewisse Heilpflanzen zusammen oder sogar einzeln trotz ihrerVerschiedenheit Fieber usw. beruhigen, andere dagegen nicht(I, 76). So wie einzelne Gudüci(pflanzen) usw. zusammen odereinzeln die gleiche Wirkung — bestehend in der Beruhigung vonFieber usw. — ausüben. Und dabei hängen sie nicht von einerGemeinsamkeit ab. Denn trotz der Verschiedenheit liegt dies inihrer Natur. Sauermilch, Gurken usw. hingegen tun dies nicht,obwohl hinsichtlich der Verschiedenheit kein Unterschied be-steht^ (p. 40, 21-41 , 12).

Genauso werden auch gewisse Gegenstände, wenn sie trotzder Verschiedenheit ihres Wesens, eine den Menschen betreffendeWirkung tun, wie z. B. ein gleiches Wiedererkennen, auf Grunddes Unterschieds von denen, welche diese nicht tun, als nichtunter-schiedlich bezeichnet (käryadvärena K). Oder wenn durch Einesein Mehrfaches hervorgebracht wird, auf Grund des Unterschiedsvon dem, was nicht von diesem Einen hervorgebracht ist (kära-nadvärena Kj (p. 42, 5 — 8).

Mit dieser letzten Unterscheidung sind die Variationen desUrteils, Einbeziehung des einmaligen Individuum in eine Klasse(Gemeinsamkeit) und Teilung des unteilbaren Individuums inEigenschaften und Eigenschaftsträger, erklärt. Obwohl nur dasSubstitut einbezogen und geteilt wird, ist doch, weil es praktischmit dem Individuum eins ist, das Urteil eine Beurteilung desEinzeldings. Bei der Betrachtung der Struktur des Satzes — Ko-ordination und Verhältnisse von Bestimmendem und Bestimmtem— ist wieder der Aspekt der Substitution wichtiger, denn er bringtSubjekt und Prädikat in ein wesensähnliches Element:

Gegner: Wird nun durch diese Gemeinsamkeit, deren Merkmalder Unterschied ist, das Individuum als gleich erkannt oder etwasanderes ? Und was folgt daraus ? Wenn es das Individuum ist,wie kann dieses Objekt der Vorstellung sein ? (Wird) hingegenetwas anderes (als gleich erfaßt), wie soll dadurch ein Zweck er-füllt werden ? Und weil man (in diesem Fall) Vergänglichkeitusw. am Individuum nicht erkennen würde, ergäbe sich, daß das(Individuum) die (Vergänglichkeit usw.) nicht zu seinem Wesen

44 Zu den Beispielen ist zu bemerken, daß sie überspitzt sind. Nurdie Heilpflanze, die einzeln Fieber beruhigt, entspricht dem, was erläutertwerden soll. Es kommt auf die Gleichheit der Wirkung an, nicht auf ihreEin-heit, wie das Gleichnis mit Sinnesorgan usw. vermuten lassen könnte

Page 54: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 55

hätte, und die (Vergänglichkeit usw.) nicht Beschaffenheit desWirklichen wäre (p. 42, 8—12).

Antwort: All das ist kein Fehler. Der Gebrauch von Gemein-samkeit, Koordination im Satz und Eigenschaft und Eigenschaft-träger richtet sich auf den Gegenstand, der in der Erkenntniserscheint. Diese Erkenntnis entsteht als vorstellende, indem siesich auf einen psychischen Eindruck stützt, der durch eine dasEigenwesen eines realen Dinges erfassende Wahrnehmung geformt(ähita) wurde, und hat, obwohl sie dieses nicht zum Objekt hat, esdoch gleichsam zum Objekt. Sie bestimmt auf Grund ihrer Natur —daß sie nämlich entspringt aus einem Eindruck; der durch dessenWahrnehmung geformt ist — ihre eigene Form als das (Ding) underfaßt gleichsam, weil sie entsteht auf Grund von Dingen, die einenichtunterschiedliche Wirkung haben, einen nichtunterschiedlichenGegenstand. In Wirklichkeit (aber) besteht ihre gemeinsame Formnur in der Verschiedenheit (der Dinge) von andern als ihnen. Was indieser vorstellenden Erkenntnis als Gestalt der Gegenstände erscheint,so nämlich, daß sie gleichsam außen, gleichsam als Eine und, obwohlsie eine zweckentsprechende Wirkung nicht vollbringt, diese gleich-sam doch zu vollbringen scheint, weil man in der Praxis erst handelnkann, wenn man die Dinge so festgestellt hat, andernfalls ein Han-deln nicht möglich wäre — dieses ist, weil es einen Zweck zu er-füllen scheint, gleichsam von den Dingen, die ihn nicht erfüllen,verschieden; es ist aber nicht das Wahre, weil es nicht die eigent-liche Grundlage der Überlegung ist. Das werden wir (jetzt) dar-legen (p. 42,12-22).

Diese Gegenstände, die sich in der vorstellenden Erkenntnisbefinden, werden durch die Gemeinsamkeit als gleiche erfaßt,weil sie als verschieden von irgendetwas erscheinen; nicht dasIndividuum, weil es sich nicht in der vorstellenden Erkenntnisspiegelt. Und eben sie, die von irgendetwas abgegrenzten (z. B.von Nichtlotus) erscheinen weiterhin auch als von anderem (z. B.von Nichtblau) abgegrenzt und nichtunterschiedlich. Weil sie also,obwohl an sich nichtseiend, von der vorstellenden Erkenntnisso gezeigt werden, ist der Gebrauch von Gemeinsamkeit undKoordination (z. B. von Lotus und blau) möglich; (aber) er beziehtsich nur auf einen irrigen Gegenstand. Und dies alles ist eineTäuschung, die ihre Ursache allerdings in einem durch das Sehenvon Individuen geformten Eindruck hat. Daher bewähren sichVorstellungen, deren Entstehen an das Ding gebunden ist, hin-sichtlich des Dings, obwohl sie es nicht spiegeln, wie der in bezug

Page 55: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

56 Tilmann Vetter

auf den Schein eines Edelsteins (entstehende) Irrtum eines Edel-steins. Andere (Vorstellungen bewähren sich dagegen) nicht,weil sie sich nicht, obwohl sie auch aus einem bestimmten realenDing entspringen, an eine Besonderheit, so wie gesehen wird,halten und durch das Erfassen irgendeiner Gemeinsamkeit eineandere Besonderheit zuschreiben, wie die in bezug auf den Scheineiner Lampe (entstehende) (nicht nur theoretisch irrige, sondernauch praktisch irreführende) Erkenntnis eines Edelsteins. Dahergibt es für die Gegenstände, welche Objekt der Vorstellung sind,kein Bewirken eines Zwecks (p. 42, 22—43, 8).

Auch geht dem Individuum Vergänglichkeit usw. nicht ab.Denn was man Vergänglichkeit nennt, ist nicht etwas vom dahin-schwindenden Ding Verschiedenes. Dadurch, daß man das so-beschaffene ( = dahinschwindende) (Ding) als die Bestimmunghabend, nur einen Augenblick zu bestehen, erfaßt, kommt man zuder Erkenntnis: Dies ist vergänglich, oder: Diesem kommt Ver-gänglichkeit zu. Indem die Vorstellungen sich eben hierauf, daß(jene Bestimmungen) Beschaffenheiten der (Dinge) sind, richten,zeigen sie mehrere Eigenschaften (Ein Ding ist verursacht, ver-gänglich usw. ), Eine Eigenschaft (Vergänglichkeit kommt denDingen zu) und Trennung (von Gemeinsamkeit und Einzelding).Und sie sind nicht grundlagelos, weil ihre Grundlage das Seheneines bestimmten Einzeldings ist. Es ist also nicht so, daß es sichnicht um Beschaffenheiten der Dinge handelte, denn nur etwas,das ein solches Eigenwesen hat, wird so erfaßt. Es wäre jedochein Irrtum, das Ding als viele (Eigenschaften habend), Einer(Klasse zugehörig) oder (in Gemeinsamkeit und Einzelheit) ge-trennt aufzufassen. Denn nur weil man denen, die über sein SoseinBescheid wissen wollen, sein Sosein mitteilen will, werden überdas Ding als eine oder mehrere Wirkungen tuend solche (kate-goriale) Feststellungen gemacht; nicht auf Grund einer Teilungdes Dings, denn Eines kann nicht Vieles sein, (noch auf Grundeiner Einheit der Dinge), denn Vieles kann nicht Eines sein. Außer-dem ist eine vom Einzelding getrennte Gemeinsamkeit widerlegt,weil auf Grund ihrer wesenhaften Verschiedenheit für euch, dieihr meint, daß jedem Wort ein realer Gegenstand entspricht,eine Koordination im Satz nicht möglich ist (p. 43, 8—19).

Bei der Form in der (vorstellenden) Erkenntnis handelt essich um etwas anderes (als wenn reale Dinge Subjekt und Prädi-kat sind). Bei ihr sind, wenn man Einen Aspekt (z. B. blau) zumGegenstand macht, andere Aspekte noch unbestimmt. Ein weiterer

Page 56: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 57

Aspekt (z. B. Lotus) wird erst durch eine auf ihn ausgehende(vorstellende) Erkenntnis erfaßt. Diese Form erscheint, auch wennman nun die Gegenstände der verschiedenen Worte zusammen-faßt, als nichtunterschiedlich. Daher sind Gemeinsamkeit, Ver-hältnis von Bestimmendem und Bestimmtem und Koordinationim Satz, so wie sie vorgestellt werden, kein Widerspruch. Auchnicht der Unterschied von Eigenschaft und Eigenschaftsträgeram (Bild in der Vorstellung)45. Wenn eine Unterscheidung vonmehreren Sachen möglich ist und jemand wissen möchte, ob hin-sichtlich Einer bestimmten Sache für das Ding ein Unterschiedbehauptet werden kann oder verneint werden muß, dann zeigtman dasselbe Ding auf, indem man es (einerseits) mit einemEigenschaftswort, bei dem alle andern Unterschiede beiseitegelassen sind, nennt und es, weil die (vorstellende) Erkenntnisso erscheint, gleichsam als eine getrennte Eigenschaft setzt, (ander-seits) sein übriges Wesen, ohne es zu unterscheiden, als Eigenschafts-träger (etwa durch das Demonstrativum ,,idam") setzt. Und weilEigenschaft und Eigenschaftsträger in dieser Hinsicht verschiedensind, erscheint die Erkenntnis gleichsam Verschiedenheiten habend ;nicht auf Grund einer Verschiedenheit im Ding, wegen des oben-genannten Fehlers. Durch Herausstellung einer Vielheit solcherUnterschiede bildet man die verschiedenen Worte und den Unter-schied von Grund und Folge, um mit Hilfe verschiedener Bildervon Eigenschaften, die ihre Grundlage im Wesen eines (Dings)haben, das Wesen dieses (Dings) aufzuzeigen (p. 44, 2—14).

Die wirklichen Dinge verschmelzen und teilen sich an sichnicht. Eine einheitliche oder mannigfaltige Form an ihnen isteine Täuschung der vorstellenden Erkenntnis. ,,Das ist eine Ge-

45 Der Unterschied zwischen Eigenschaft und Eigenschaftsträgerbesteht in Ausschließung und Nichtausschließung (I, 63). Wenn ich jemand,der eine Kuh noch nicht richtig erkannt hat, darauf aufmerksam machenwill, daß dieses Gebilde nicht zum Reiten taugt, dann werde ich auf dieEigenschaft „Nichtpferdheit" hinweisen. Sollen aber die Möglichkeitenoffen bleiben, die sich daraus ergeben, daß etwas kein Pfernd ist (z. B.Milchgewinn), so werde ich „Nichtpferd" sagen. An dieses Wort für einenEigenschaftsträger können nun wichtige Bestimmungen geheftet werden.Kenne ich dagegen eine Eigenschaft, dann können sich daran keine weiterenEigenschaften mehr anschließen. Dafür ist diese Eigenschaft besondersbetont. Ich werde je nachdem das eine oder das andere wählen. Die Wortefür Substanz (dravyam) und Akzidenz (bhävafy) sind, ohne jede ontologischeBedeutung, lediglich Ausdrücke, die das eine Mal weitere Ausdrücke tragenkönnen, das andere Mal nicht (I, 64).

Page 57: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

58 Tilmann Vetter

meinsamkeit und das eine Besonderheit" auch dieser Unterschiedbezieht sich daher auf den vorgestellten Gegenstand; und nurauf ihn bezieht es sich, wenn man sich auf Grund des Unterschiedsvon anderem unterschiedliche Eigenschaften vorstellt. Weil dieWahrnehmung der Dinge bereits verschwunden ist, wenn man sichGrund und Folge vorstellt, wird dabei eine mit einer Gemeinsam-keit verbundene Besonderheit erfaßt, nicht das Individuum.Dieses wird überhaupt weder in einer Gestalt der Gemeinsamkeitnoch der Besonderheit erfaßt, weil diese vielerlei Verschiedenheitenin diesem Einen nicht möglich sind. Die Form des Wirklichenist von allem verschieden. Ein Wort oder eine Vorstellung, die sieso erkennen ließen, gibt es nicht, weil diese sich nur im Allgemeinenbetätigen (I, 89 -93 : p. 45, 10-19).

Anderseits muß betont werden, daß das wahrgenommeneDing beurteilt wird. Mit dem „dies" (idam) ist das wahrgenommeneDing gemeint und seine Gleichheit besteht darin, daß es diegleiche Beurteilung hervorruft. Ein Einzelding ruft z. B. die Vor-stellung „Kuh" hervor. Wäre es schon immer als „Kuh" wahr-genommen, dann könnte man die eigentümliche Form des Urteils„dies ist eine Kuh" gar nicht bilden. Das Urteil ist seiner Intentionnach ein Rückbezug auf das im letzten Moment wahrgenommeneDing und wird gleichzeitig auch durch diese Wahrnehmung hervor-gerufen. Das was als gleich beurteilt wird, ist also auf dem Wegüber die Wahrnehmung selbst die Ursache dieser Beurteilung.Die Wahrnehmung ist das Vermittelnde und auf sie wird im folgen-den mit „Erkenntnis" angespielt, obwohl sie selbst nicht dieDinge beurteilt:

Das Erscheinungsbild in den Erkenntnissen ist verschieden,weil man die (Einzeldinge) als gleich erfaßt (I, 109cd). Es gibt inder Tat bei diesen Erkenntnissen kein einheitliches Erscheinungs-bild, weil man die (Einzeldinge) als gleich erfaßt. Läge dasselbeErscheinungsbild vor, so könnte man nämlich nicht urteilen :„sie sind gleich", sondern man müßte sagen: „dasselbe". Gegner:Weil man eine Zweiheit (Gemeinsamkeit und Einzelding) erfaßt,besteht kein Fehler. Antwort: Auch so könnte man nur sagen:„an diesem ist das", nicht: „sie sind gleich".46 Gegner: Ein und

46 Vgl. dazu das Gleichnis von den Stockträgern, wo der Stock dieGattung symbolisiert: „Denn selbst wenn ein (weiterer Stockträger) mitdemselben Stock verbunden ist, kommt es hinsichtlich des anderen Stock-trägers nicht zu dem Urteil: „Dieser ist derselbe", sondern nur: „An ihmist derselbe (Stock)4', (p. 49, 24-25.)

Page 58: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 59

dasselbe ist deren Gleichheit. Antwort: Wie kann ein andereseines andern Gleichheit sein ? Gegner : Auf Grund der Verbindungdamit. Antwort : Das ist nicht richtig. Denn was nicht miteinander(kausal) verknüpft ist, kann nicht verbunden sein. Außerdemwürden sich zu weit reichende Folgen ergeben (es wäre dann allesGemeinsamkeit, was nach eurem System mit etwas verbunden ist).Gegner: Wenn sie (als) gleich (erfaßt werden), wieso werden siedann von einer nichteinheitlichen Erkenntnis erfaßt? (I, llOab.)Gerade dadurch, daß man sie als gleich erfaßt, ergibt sich doch eineinheitliches Erscheinungsbild. Antwort: Auf keinen Fall ergibtsich dadurch, daß sich bei Wahrnehmung der (Einzeldinge) Ver-schiedenes und Nichtverschiedenes spiegelt, die Erkenntnis:„sie sind gleich". Vielmehr besteht die Ähnlichkeit darin, daßihre Wirkungen gleich sind (I, HObc). Wir nämlich sehen bei der(Wahrnehmungs-)Erkenntnis des Gegenstandes nicht zwei Formen.Und wenn wir sie nicht sehen, warum sollen wir uns nur selbstdurch die Einbildung einer Zweiheit der Gegenstände täuschen ?Daß aber die Einzeldinge mit gleicher Wirkung, wenn sie Ob-jekt der Vorstellung werden, so von ihr auf Grund eines Irrtumsvermischt werden, dagegen ist nichts einzuwenden. Gegner: DieErkenntnis ist Wirkung dieser (Einzeldinge) und ebenfalls ver-schieden (I, 110 cd), Ding für Ding. Denn wie diese (Dinge) istauch die sie spiegelnde Erkenntnis verschieden. Wie haben siedie gleiche Wirkung ? Die Erkenntnis ist nämlich ihre Wirkungund die ist verschieden. Was auch eine gleiche Wirkung vonTöpfen usw., wie Wasserfassen usw., ist, die ist in Wirklichkeitauch verschieden, auf Grund der Verschiedenheit der jeweilszugrundeliegenden Substanzen. Es gibt also keine gleiche Wirkungbei den Einzeldingen. Antwort: Das ist kein Fehler. Denn weildie (Wahrnehmungs-)Erkenntnis Ursache einer gleichen Beur-teilung ist, gilt sie als nichtunterschiedlich. Und weil die Einzel-dinge Ursache sind für die als gleich geltende (Wahrnehmungs-)Erkenntnis gelten auch sie als nichtunterschiedlich (I, 111) (p. 55,14—56, 17).

c) Wort und Satz

Begriff ist ein Wort, wenn es im Satz steht. Satz ist ein Hin-weis im Zusammenhang des Handelns. Während die Dinge beimeinzelnen eine Vorstellung auslösen, die ihre Beurteilung enthält,versucht man, wenn ein anderer Mensch da ist, durch Worte indiesem Vorstellungen zu erregen, die ihn auf das entsprechende

Page 59: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

60 Tilmann Vetter

Ding führen. Dazu müssen zuerst Wörter vereinbart werden.Sie sind nicht von Natur mit den Vorstellungen oder gar Dingenverknüpft. Das läßt sich an vielen Eigentümlichkeiten der Sprachezeigen (vgl. I, 61 — 69). Verständigungsmittel ist das Wort alsonur unter Menschen, die eine gleiche Bedeutung mit seinem Klangverbinden. Dieser Klang ist bei den meisten Wörtern seit alter Zeitfestgelegt und wird gelernt, kann aber noch heute neu vereinbartwerden. Wofür % Nicht für Individuen. Das wäre sinnlos, da siezur Zeit der späteren Anwendung nicht mehr bestehen (p. 45,20—29). Noch für Gattungen. Das würde das Handeln nicht aufdie Einzeldinge führen (p. 45, 29—46, 25). Noch für Einzeldingeverbunden mit einer Gattung. Das war genauso fruchtlos wiefür die Einzeldinge ohne Gattung (p. 46, 25—47, 13):

Warum wird die Vereinbarung nicht getroffen für die Gleich-heit des Unterschieds der Dinge, die etwas tun, von den Dingen,die etwas nicht tun? (I, 97ab). Indem man die Erfüllung einesZwecks im Auge hat, verknüpft man Worte mit den Dingen.Warum wird ein Wort nicht auf Grund des Unterschieds der Dinge,die einen bestimmten Zweck erfüllen, von andern, die ihn nichterfüllen, und nur dafür mit deren NichtUnterschied verbunden ?Gegner: Weil sich die gleichen Fehler ergeben wie bei dem mitder Gattung verbundenen Einzelding. Antwort: Sei dem so, aberes ist unnötig, noch dazu eine Gattung anzunehmen (I, 97 cd).Gegner : Auch wenn ein von anderem gesondertes Ding Gegenstanddes Wortes ist, besteht, weil das durch die Sonderung bestimmteDing als mit ihr verbunden ausgesagt wird, kein Unterschiedgegenüber dem Standpunkt, daß ein mit der Gattung verbundenesEinzelding Gegenstand der Worte ist. Denn welcher Unterschiedbesteht zwischen Sonderung und Gattung, zwischen mit derSonderung verbundenem und mit der Gattung verbundenemEinzelding? Antwort: Zugegeben es bestehe (auch bei Dignäga?)der (gleiche) Fehler wie bei dem Damit-Verbundenen (tadvat).Doch es soll nicht noch eine Gattung als real gesetzt werden.Denn auch von dem, der die Gattung annimmt, ist notwendigder Unterschied der Dinge zuzugeben, weil sich bei dessen Fehlenauch ihr Nichtsein ergibt. Und dieser Unterschied von Einemist der NichtUnterschied derer, die anders sind als das. Auf diedurch den (NichtUnterschied) bestimmten Gegenstände kann sichdie Erkenntnis richten. Denn wie man es auch macht, Fehler lassensich nicht gänzlich vermeiden. Zur Annahme eines weiteren Gegen-standes aber fehlt ein Anlaß. Denn die Leistung der (Gattung)

Page 60: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 61

wird auch durch etwas anderes (die Sonderung) zustandegebracht,die Annahme dieses (andern) aber ist unumgänglich. Ein Wortaber spricht man aus, indem man denkt: Möge (der Hörer) handeln,indem er anderes als das meidet. Wie ist das (Meiden) nun möglich,wenn der betreffende Gegenstand nicht durch das (Wort) vonandern gesondert wird? (I, 98). Wenn man nämlich ein Wortgebraucht, so gebraucht man es aber in der Absicht, daß (derHörer) sich mit Bezug auf die Dinge unter Vermeidung von Un-erwünschtem betätigen möge. Wenn (die Worte) nicht die Sonderungvon anderem ausdrückten, wäre, da dann das Handeln mit Bezugauf dieses und auf anderes zugelassen würde, der Gebrauch desNamens (dieses Dings) überflüssig, und da sowohl Handeln alsauch Nichthandeln zugelassen wären, brauchte man sich nicht umdie Mitteilung des einen davon zu bemühen und es dürfte infolge-dessen überhaupt kein Sprechen stattfinden. Darum wird not-wendig durch das Wort die Ausschließung mitgeteilt. Und da diesenichtunterschiedlich ist bei den (Dingen), die anders sind als die(welche eine Wirkung nicht tun), hat sie auch die Eigenschaftder Gattung. Ohne diese Ausschließung, die (auch für eine Gattung)notwendig zugegeben werden muß und die (wenn ein Wort etwasfruchten soll) notwendig mitgeteilt werden muß und die denGegenstand der Gattung nachweist, ist die bloße Einbildungeines andern Dings (einer realen Gattung) nur das Beharren aufeinem Unding, Denn so wie es vorgestellt wird, ist es nicht richtig(p. 47, 14-48, 18).

Die Sonderung (Apoha) ist also der Gegenstand der Verein-barung. Sie hängt sich aber zunächst an etwas Positives, die Gattung,und das ist für Dharmakirti das Vorstellungsbild. Über das Vor-stellungsbild erst geht sie auf die Dinge, obwohl sie direkt fürihren Unterschied geschaffen wurde. So bewährt sich das Wort,wie sich die Vorstellung bewährt und es gilt: „Obwohl das Worteine falsche Vorstellung erzeugt, die entsteht, wenn man auf dieDinge, denen ein einheitliches Wesen fehlt, ein solches projiziert,(und die), weil (diese) falsch erscheinen, (dieses Wesen), obwohles eine Wirkung nicht tut, gleichsam als eine bestimmte Wirkungtuend feststellt — sie ist (falsch, weil) sie bloß im Sondersein derDinge ihren Samen hat, sie (aber) als gleich feststellt —, bewährtes sich bei den in Wirklichkeit davon (— dem einheitlichen Wesen)verschiedenen Dingen, weil es Ursache ist, andere als die (besagtenDinge) zu vermeiden" (p. 58, 6—10).

Doch damit ist die Wirkungsweise des Wortes noch nicht

Page 61: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

62 Tilmann Vetter

ganz geklärt. Ein Wort hat nur Sinn, wenn es in einem Satz steht.Daher ist auch der Vorwurf, es gebe Wörter, die, weil sie aufalles gehen, nicht die Sonderung von anderem zum Gegenstandhaben könnten, abgewiesen. Es gibt keine Anweisung zu einemHandeln, das auf alles gehen soll, und infolgedessen auch keinWort, das alles meint. Dieser Irrtum entsteht nur, wenn man dieWorte isoliert — als Wörter — betrachtet. In dieser Stellungwerden sie aber weder vereinbart noch verwendet.

Gegner: Sei es denn so, daß bei den Worten Topf usw. eineAusschließung des andern stattfindet. Wie aber verhält es sichmit den Worten „erkennbar" usw. ? Es gibt ja nichts Unerkenn-bares, wovon es unterscheidbar wäre. Denn wenn man wirklichdas Erkennbare usw. durch den Unterschied vom Nichterkenn-baren zum Objekt machen wollte, müßte dieses (das Nichterkenn-bare) erkennbar sein. Antwort: Dieser Fehler trifft nicht zu,weil ein Wort verwendet wird, um die Erkenntnis auf einen be-stimmten Gegenstand zu lenken, indem es von Sonstigem abhältdurch die ausschließende Bestimmung desselben (I, 124). Andern-falls wäre eine Verwendung zwecklos. Daher gibt es auch bei denWorten „erkennbar" usw., wenn sie in zusammenhängenderRede stehen, etwas, das durch diese Worte ausgeschlossen wird(I, 125). Denn niemand, der ein Wort verwendet, überschreitetEinschließung und Ausschließung (anvayavyatirekau), weil Han-deln und Nichthandeln Zweck des (Wortes) sind. Wenn mannämlich nicht durch Sprechen jemandes Geist von etwas abhaltenund auf etwas hinlenken möchte, würde man bei allen praktischenAngelegenheiten, weil man (mit allem so), wie es eben ist, einver-standen wäre, nichts sagen. Denn Reden hat ausschließendesBestimmen zur Voraussetzung. Wie wenn man sagt: „Hole Wassermit einem Topf!". Wenn man wollte, daß Wasser geholt wird,gleichgültig ob mit einem Topf oder mit den Händen, brauchteman nur zu sagen: „Hole Wasser!", nicht: „mit einem Topf".So auch, wenn nur etwas gebracht werden soll, sei es Staub oderetwas anderes, würde man nur sagen: „Hole!", ohne ein Mitteloder ein Objekt der Tätigkeit anzugeben. Wenn es völlig gleich-gültig ist, welcher Tätigkeit man sich unterzieht oder nicht,des Holens oder einer andern, dann sagt man auch nicht: „Hole!",weil (dann auch dies) Wort zwecklos wäre. So gibt es auch für dieWorte „erkennbar" usw., wenn sie in zusammenhängender Redestehen, etwas, das durch sie ausgeschlossen wird, weil, wennnichts anderes in Frage käme, der Gebrauch von Worten sinnlos

Page 62: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 63

wäre. Denn es ist dabei immer nur das abzuwehren, was ein Gegen-stand des Zweifels für den nicht klar Sehenden ist. Oder wiesosollte einer, der nicht im Zweifel ist, der Unterweisung durcheinen andern bedürfen ? Wer aber mit seinen Worten gar nichtauf den Hörer einwirken will, der kann kaum für normal gelten.Denn die Worte werden nur vereinbart, um einen Hörer zu beein-flussen. Und daß sie nicht in zusammenhängender Rede stehen,kommt bei Wörtern wie „erkennbar" usw. überhaupt nicht vor.Denn nur einem Wort, das in einem Satz steht, kann man einenSinn zuerkennen.... Wenn man hingegen fragt: Was ist derSinn der Worte „erkennbar' ' usw. ohne Rücksicht auf ihre Ver-wendung (im Satz), (so lautet die Antwort:) Sie haben keinenSinn. Denn durch sie erfährt man über nichts Bescheid. Das giltauch für Worte wie Topf usw. Auch wenn man bei irgendeinerGelegenheit durch das Hören eines isolierten Wortes etwas ver-steht, so erfaßt diese (Erkenntnis) seinen Sinn nicht vollständig,da sie einer Ergänzung im Sinne der vorgekommenen Sätze be-darf, und ist ein Irrtum. Das gilt für Worte wie Topf. Ein gleicherIrrtum tritt aber auch bei Worten wie „erkennbar" auf ent-sprechend dem, was vorgekommen ist. Daher hat jede Verwendungvon Worten den Zweck, durch Abhalten von Sonstigem die Er-kenntnis auf irgendetwas hinzulenken. Denn das zeitigt Früchte(p. 61, 8—62, 15).

Das Gesagte gilt auch für die Abfassung philosophischerWerke. Man will damit andern helfen, auch wenn die Aussicht,bereite Hörer zu finden gering ist. Dharmakirti schrieb sein Pra-mänavärttikam, obwohl er befürchtete, es werde keine Wirkungauf andere tun (ayant na paropakära iti nas cintäpi I, 2).

IV. Das Problem der Anschauung47

Schien, vom bloß vorstellenden Begriff aus gesehen, die Wahr-nehmung ein Ding so, wie es ist, zu erfassen, so zeigt sich beinäherer Betrachtung: ein Gegenstand der Wahrnehmung ist, wieman ihn auch denkt, nicht haltbar. Damit löst sich aber auch dieWahrnehmung auf ( 1. Problemdenken und Mystik). Wie diegewöhnliche Wahrnehmung für das System der Erkenntnismittelzu retten ist, soll in 2. Dreiteilelehre und 3. Idealismus des Selbst-bewußtseins behandelt werden.

47 Anschauung sage ich hier zur Abhebung von der Behandlung derWahrnehmung als Erkenntnismittel.

Page 63: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

64 Tilmann Vetter

1. Problemdenken und Mystik

Die Dinge sind widersprüchlich. Je mehr man sie untersucht,desto mehr schwinden sie einem weg (III, 209cd). Das ist dasResümee einer Debatte (III, 194—207) über das Objekt der An-schauung, in der Dharmakirti zu dem Schluß kommt, daß Eine(kategorienfreie) Anschauung (nicht ein Ganzes, sondern) eineVielheit zum Objekt haben müsse. Die Konsequenz ist nicht,wie der Gegner meint, daß das genauso widersprüchlich sei wie diereale Einheit einer Vielheit (ein „Ganzes") und daher zu seinerschon erledigten Ansicht zurückgegangen werden könne. Vielmehrist die Untersuchung weiterzutreiben und das zu beseitigen,was zu dem letzten Widerspruch geführt hat: ein äußeres Objektin Gestalt von Atomen. Damit haben wir eine dritte Position.Auch sie wird sich als nicht haltbar erweisen, insofern sie nochein Objekt als Bild in der Erkenntnis annimmt. Doch bevor wirzeigen, wie hier weitergeschritten wird, soll ein Blick zurückge-worfen werden. Die drei Positionen, die wir bis jetzt kennenge-lernt haben, und die wir das unmittelbare Anschauen eines Realen,das mittelbare Anschauen eines Realen und die bloße Idealitätdes Angeschauten nennen können, haben alle zu ihrer Zeit einegewisse Berechtigung.

Das unmittelbare Anschauen eines Realen ist die Haltung desLebens und der Praxis und bewährt sich auch darin. Doch kannman mit ihr keine erkenntnistheoretischen Probleme behandeln;sonst gerät man in merkwürdige Widersprüche. Das Vaisesikaz. B. nimmt Atome an. Zur Erklärung der Wahrnehmung mußes daneben ein Ganzes (avayavl) setzen. Dieses „Daneben" istes vor allem, was Dharmakirti am Begriff des Ganzen nicht ge-fällt, abgesehen davon, daß er so gefaßt ist, daß nicht alles Wahr-nehmbare darunter fällt.

Besser ist es, nur die Atome auf die Erkenntnis einwirkenzu lassen. Das ist das mittelbare Anschauen eines Realen (Sautran-tikalehre). Das Erkenntnisbild wird durch den Ursachenkomplex derAtome und nicht durch ein Ganzes hervorgerufen. Sieht man dannaber die Dinge, wie sie sind ? Man hat die Wahl, entweder dieWahrnehmung von Ganzheiten als Benennung (prajnaptih) zubezeichnen oder, wenn die Wahrnehmung die Wirklichkeit er-kennen soll, die Atome zu.eliminieren. Nach dem sensualistischenAnsatz muß sich Dharmakirti für das Zweite entscheiden, wieschön es auch war, zur Unterscheidung von Wahrnehmung und

Page 64: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 65

Vorstellung auf die Gegenwart eines äußeren Objektes verweisenzu können.

Die bloße Idealität des Angeschauten48 kann nämlich auchden Zwang der Wahrnehmung erklären, aber man muß nun nebenden Eindrücken (väsanäh) der Vorstellung auch Eindrücke derWahrnehmung und der Vergeltung — im System der Siddhi:nisyanda- und vipäkaväsanäh — annehmen. Trotzdem ist dieserStandpunkt einfacher und viel ökonomischer in den Prinzipien.Intersubjektive Ereignisse kommen durch die Gesamtheit derTaten der beteiligten Wesen zustande. Dafür muß ein Aufeinander-einwirken der Erkenntnisströme, also ein räumliches Neben-einander angenommen werden. Vor diesem Problem resigniertallerdings Vasubandhu in der Vimsatikä (v. 21) und überläßt esdem Wissen der Buddhas49.

Hat die letzte Position sich nicht mehr mit der Schwierigkeitherumzuschlagen, wie sich zwei Objekte aufeinander beziehen,das angeschaute und das dahinterliegende wirkliche, so ist dochnicht klar, was noch ein Objekt für sich innerhalb der Erkenntnissoll. Denn teilt man die Erkenntnis in das Wahrnehmen und dasWahrgenommene, so kommt man nicht zu der Einheit, aus derheraus Erkennen allein erklärt werden kann (vgl. III, 330—332ab).Die Einheit der Teile, was soll das sein ? Nur ihre Negation führtweiter. Die Wahrheit ist die Nichtzweiheit von Subjekt und Ob-jekt. Das ist die ursprünglich synthetische Einheit des lebendigen,negierenden Begriffs. Indem er die Extreme überwindet, denkter anschauend die Anschauung und verändert dadurch gleich-zeitig ihr Wesen. Die Sinne werden mitgerissen in die Spannung,in der sich das Denken hält, und ihrer unwahren Spaltung inSubjekt und Objekt beraubt. Die Lösung des Problems bestehtdarin, daß es seinen Gegenstand verändert. Dadurch erst wirddie Anschauung zum unmittelbaren Vermittler der Wirklichkeit.D as ist Mystik des Begriffs (, ,Mädhyamika' ' ). Ein intensives

48 Es kann hier, wie aus vielen Anspielungen hervorgeht, Vasubandhu'sVijnaptimätratäsiddhih in zwanzig (Vimsatikä) und in dreißig (Trimsikä)Versen vorausgesetzt werden.

49 Die Santänäntarasiddhih» die eine Abhandlung Dharmakïrti's imAnschluß an Vimsatikä 18 und 21 ist, zeigt: Der Vorwurf der Realisten,mit dem Wegfall eines äußeren Dinges ergebe sich Solipsismus, ist unbe-rechtigt. Die Erschließung eines andern Erkenntnisstroms aus Gebärdenund Worten hat im Idealismus nicht nur die gleiche Wahrscheinlichkeit,sondern ist auch einfacher.

Page 65: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

66 Tilmaim Vetter

Problemdenken erreicht eine Spannung, in der die Sinne ihregespaltene sinnliche Natur aufgeben. Das führt zum gleichenZiel wie die Übung des Yoga („Yogäcära"), wobei das Denkendurch eine Resorption der Sinne zur Ruhe kommt, was nicht derWeg Dharmakirti's ist. Daß das Problemdenken in der Mystikendete, ist fast unbeabsichtigt. Aber die Logik hat ihr wahresWesen enthüllt, über die jetzige Wirklichkeit hinauszuführen undsie zu verwandeln. Was so erreicht ist, läßt sich am besten mitden Mystikern der Anschauung (Yogacäras) formulieren: Allesist nur Erkenntnis (vijnaptimätratä). Die Erkenntnis, die auf derersten Stufe nur Beziehung zwischen einem starren realen Objektund Subjekt war und auf den weiteren Stufen diese immer mehrin sich aufnahm, hat damit beide verschlungen. Die Theorie läßtnun keinen Raum mehr für eine Praxis, in der ein Subjekt einbesseres Verhältnis zu Objekten gewinnen will.

Für Menschen jedoch, die nicht zu diesem Aufschwung fähigsind, haben die Sinneserkenntnisse noch die Subjekt-Objekt-Spaltung und die Dinge noch alle Härte. Sie müssen handelnund die Erkenntnis ist für sie noch Erkenntnismittel. Vom höchstenStandpunkt aus ist nun eine Zugabe zu machen, welche versucht,die Subjekt-Objekt-Spaltung in der Erkenntnis unterzubringen unddie Ermitteinsfunktion des Erkennens zu erklären. Das geht nicht,ohne die Logik zu manipulieren; denn rücksichtslos angewandtführt sie über, diese Unterscheidungen hinaus. Dharmakirti tutdann etwas zugunsten des Handelns, was er beim Problem desBegriffs noch strikt abgelehnt hat. Das werden wir in den beidennächsten Abschnitten behandeln.

Beim nun folgenden Stück des PV, dem Muster für die voran-gehenden Ausführungen, wird vom Sauträntikamodell des Er-kennens ausgegangen. Dieses Modell, bei dem eine Anhäufungvon Atomen die Sinneserkenntnis hervorruft, war früher so be-schrieben worden, daß man sagte, die Sinneserkenntnis habe eineGemeinsamkeit (von Atomen) zum Gegenstand. Der Gegnerbenutzt die Äquivokation von Gemeinsamkeit und meint, dieWahrnehmung könne, da eine Gemeinsamkeit Objekt sei, nichtvorstellungsfrei sein. Darauf wird die Darstellung der Kausalitätder Erkenntnis präzisiert und damit endgültig eine von Vorstellungbegleitete Wahrnehmung abgelehnt. Ab III, 197 beginnt danndie eigentliche Problematik, die wir das Problem der farblichenSynthesis nennen können. Sie hat zwei Stufen, die im folgendenmanchmal ineinander verfließen: erstens viele Atome bilden

Page 66: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 67

Eine Farbe; zweitens, viele Farben bilden das Eine Objekt „bunt".Der Gegner hält die Wahrnehmung einer Vielheit für unmöglich.Entweder würden die einzelnen Teile blitzschnell erfaßt und vonder Vorstellung zu einem Ganzen zusammengesetzt oder (III,200ff.) es sei schon real ein Ganzes da, das als solches perzipiertwird50. Es wird gezeigt, daß beide Annahmen falsch sind. Das Er-gebnis ist: Eine vorstellungsfreie Wahrnehmung hat eine Vielheitzum Objekt. Der Text lautet:

Eine Ansammlung von Atomen wird „angehäuft" genannt.Nur diese Ansammlung wird als „Gemeinsamkeit" betrachtet.Und hinsichtlich ihrer entsteht Sinneserkenntnis. Gegner: DieErkenntnis einer Gemeinsamkeit ist aber notwendig von Vor-stellung begleitet. Antwort : Die folgenden Atome, die auf Grundder Verbindung mit andern Dingen (= Atomen) entstehen, werden„angehäuft" genannt. Sie sind nämlich die Ursache für das Ent-stehen von Sinneserkenntnis. Diese Besonderheit (Erkenntnishervorzubringen) kommt den Atomen nicht zu ohne die andernAtome. Daher sagt man, daß die Erkenntnis eine „Gemeinsam-keit" zum Objekt hat, weil ein einzelnes Atom allein noch keineErkenntnis hervorbringen kann (III, 194—196).

Gegner: Wiewohl es sich um einen einzigen Bereich handelnmag (die einzelnen Atome mögen zusammen eine Erkenntnismit Einem Objekt hervorbringen, aber nur nacheinander ; nurEin Atom tut jeweils seine Wirkung und daraus setzt dann dieVorstellung das Objekt zusammen), so wird doch nicht mehreresauf einmal wahrgenommen. Antwort: Wieso scheinen dann (wennman einen Haufen Sesamkörner sieht) die getrennten Sesamkörnerauf einmal erfaßt zu werden? (Der Gegner meint: Durch dieblitzschnelle Aufeinanderfolge der Erkenntnisse entsteht derIrrtum, daß man sie auf einmal erfaßt. Antwort:) Die rascheAufeinanderfolge (als Grund für dieses Schein) ist bereits wider-legt worden (vgl. III, 133—140). (Außerdem:) Wenn (man) dieselben Sesamkörner der Reihe nach (eins nach dem andern) (ausden Händen) fallen (läßt), warum werden sie nicht als nicht derReihe nach (fallend) erfaßt ? (Wenn die Erkenntnisse so raschaufeinander folgen, müßte man die Sesamkörner in der Luft bei-einander sehen und würde gar nicht merken, daß sie fallen; denn

50 Die Vaisesikalehre vom Ganzen (avayavi) ist nicht zuletzt für dieWahrnehmungslehre ausgebildet worden. Vgl. Frauwallner G. i. Ph. IIS. 173ff.

Page 67: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

68 Tilmann Vetter

die Fallgeschwindigkeit ist demgegenüber langsam. Daß man aberfür diesen Fall eine langsamere Abfolge der Erkenntnisse an-nimmt als bei den angehäuft daliegenden Sesamkörnern, ist unzu-lässig, denn) alle Erkenntnisse haben die gleiche Dauer. Wiesogibt es hinsichtlich dieser Sesamkörner einige Erkenntnisse,die ein Nichtnacheinander spiegeln, und andere, die ein Nach-einander zeigen ? (Es gibt nun einmal diesen Unterschied.) Nachder (gegnerischen Voraussetzung) würde sich (weil sich dieSchnelligkeit der Erkenntnisse nicht ändern läßt) ergeben, daß alleDinge ohne Nacheinander erfaßt werden (III, 197 — 199).

Oder wie kann eine Form, die nicht einheitlich ist, wie einbunter Schmetterling, gesehen werden (wenn nicht Mehreresdurch Eines gesehen werden kann) ? Gegner : Dieses Bunte istEines. Antwort: Das ist doch reichlich „bunt". Was ein einheit-liches Wesen hat, ist nämlich nicht bunt. Das ist wie die Er-scheinungsform von Edelsteinen (ein Haufen Edelsteine ist keinGanzes). Falls der Gegner meint, (beim Edelsteinhaufen redeman nur in übertragener Weise von Buntheit, so ist festzustellen,daß) das Erscheinungsbild von Blau usw. bei bunten Tüchernusw. (die als Ganze angesehen werden) sich nicht (von dem beieinem Edelsteinhaufen) unterscheidet. (Wenn der Gegner sich sozurückziehen will, daß er sagt:) Bei den Tüchern sieht man nurdie Erscheinungsform der Teile so (nämlich blau usw.) (,so ist zuantworten:) Das ist reichlich „bunt", wenn du neben dem Blauenusw. noch gesondert ein Buntes siehst. Von zwei Erkenntnissen,bei denen man die gleiche Form des Objekts und, daß sie die gleicheZeit haben, beobachtet (von denen die eine einen künstlichenSchmetterling, also kein Ganzes, die andere einen natürlichenzum Objekt hat), wieso hat die eine Mehreres zum Objekt und istnacheinander, die andere ein Einziges und ist nicht nacheinander %Nur aus der Verschiedenheit der Erkenntnisse ergibt sich die Ver-schiedenheit der Dinge. Wenn das kein Grund ist, worauf solldenn sonst die Feststellung einer Verschiedenheit beruhen? (III,200—204).

Weil (nach gegnerischer Lehre) aus verschiedenartigen (Teilen)(kein Ganzes) zusammengesetzt werden kann, dürfte es bei einemGemälde usw. nicht zu einer Erkenntnis des Bunten kommen.Die Verbindung (samyogah) ist nicht bunt, denn (als Eigenschaft)kann sie keine Farbe tragen. Auch als Grundlage einer über-tragenen Ausdrucksweise kommt sie nicht in Betracht, weil imEinzelnen keine Buntheit vorliegt (man kann sagen: der Wald

Page 68: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 69

blüht, weil die einzelnen Bäume blühen. Nicht so sind beim Bilddie Bestandteile schon bunt). Wenn (Blau usw.) der Reihe nacherfaßt werden, gibt es keine Zusammenfassung zu einer Erkenntnisdes Bunten, weil (nach dieser Lehre) nicht Mehreres durch Eine(Erkenntnis) erfaßt werden kann (vielmehr die Einheiten alleschon real da sein müssen) (III. 205—206).

Daher dürfte es so sein, daß Eine (Sinneserkenntnis) Mehrereszum Objekt hat. Damit ist auch erwiesen, daß sie frei von Vor-stellung ist. Denn wenn man einen dieser Gegenstände (z. B. Blauherausnimmt und) sich vorstellt, sieht man trotzdem noch einenandern (z. B. Rot) (III, 207).

Das Ergebnis von III, 207 — Vieles in Einer Erkenntnis— ist trotz seiner widersprüchlichen Form zunächst festzuhalten.Die Wirklichkeit ist nun einmal so, daß ihre Beschreibung zuwidersprüchlichen Formulierungen führt (III, 208—210). Dannaber wendet sich die Logik, bei welcher der Satz des zu vermeiden-den Widerspruchs unverändert gilt, gegen die Voraussetzungen,die diesem Widerspruch zugrundeliegen. Die Verwirrung kommtdaher, daß einem Subjekt ein „äußeres" Objekt entgegengesetztwird. Man ist gezwungen, diese Äußerlichkeit aufzugeben unddas Objekt als Teil der Erkenntnis zu setzen. Gibt es aber keinObjekt an sich, dann kommt dem Objekt in der Erkenntnis auchkeine Wahrheit zu. Schwindet mit dieser Einsicht das Objekt,dann hat auch das Subjekt keinen Halt mehr. Die Wahrheit istdie Zweiheitlosigkeit von Subjekt und Objekt (III, 213). Das istnicht nur eine erkenntnistheoretische Feststellung — die Über-windung der bis jetzt aufgetretenen Schwierigkeiten —, sondernheißt auch, wie aus den folgenden Versen hervorgeht: Wer sichGegenständen gegenüber wähnt, befindet sich in einem Irrtum.Das Vorhandensein von Welt bedeutet, daß die ursprünglicheSynthesis von Subjekt und Objekt verloren ist. Das ist negativzu werten. Die Unwissenheit (avidyä) ist Prinzip nicht nur desLeids, sondern auch der Dinge. Der Text lautet:

Gegner: Wenn bei den Dingen, die ein buntes Erscheinungs-bild zeigen, eine Einheit nicht berechtigt ist, wieso kann dann dieseEine Erkenntnis eine Buntheit spiegeln ? Antwort : Dies ist nuneinmal so wegen der Brutalität der Tatsachen. Daran zeigt sicheinmal mehr die Wahrheit dessen, was die Weisen verkündethaben: Je mehr man die Dinge untersucht, desto mehr schwindensie einem hinweg. Was macht es eigentlich, wenn diese Buntheitin der Einen Erkenntnis liegt? Gegner: (Genausowenig wie es

Page 69: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

70 Tilmann Vetter

in der Realität ein Ganzes geben kann,) kann es die Buntheitin dieser Erkenntnis geben. Antwort: Wenn es den Dingen sobeliebt, was sind dann wir dabei? (III, 208 — 210.)

(Weil Erkenntnis, in der eine Vielheit von Farben vereinigtist, wirklich ist,) gibt es weder bei den Dingen noch bei der Er-kenntnis eine grobe Erscheinungsform (d. h. es ist falsch, sichdie Objekte aus realen Atomen zusammengesetzt zu denken undsie einer ebenfalls dinghaft gedachten Erkenntnis entgegenzusetzen.Dann nämlich entsteht das unlösbare Problem, wie eine Vielheitin die Eine Erkenntnis hineinkommt). Weil die grobe Erscheinungs-form bei Einem Atom widerlegt ist (vgl. Vimsatikä v. 11 — 15),ist sie auch bei vielen nicht möglich (III, 211).

(Gewöhnlich sieht man) das Erkennen ,,innen" und den Teil,der sich gleichsam „außen" befindet, als etwas Getrenntes (an).Die Erkenntnis ist aber eine ungetrennte Einheit und die Er-scheinung der Trennung nur ein Irrtum. Dadurch, daß das Objektnicht an sich existiert, schwindet auch die Zweiheit. Daher istdie Wahrheit, daß es die Zweiheit (von Subjekt und Objekt)nicht gibt (III, 212—213).

Die Feststellung der Verschiedenheit der Dinge gründetsich auf deren (Subjekt und Objekt) Verschiedenheit. Ist dieseeine Täuschung, dann ist auch deren (der Dinge) Verschiedenheiteine Täuschung. Auch gibt es kein Merkmal (zur Definition einerSache) getrennt von den Erscheinungsformen des Objekts undSubjekts. Daher sind die Dinge wegen der Leerheit von einemMerkmal als wesenlos (nihsvabhäväh) verkündet worden. De-finitionen im Einzelnen für die Gruppen (skandhäh) usw. benutzensämtlich zur Spezifizierung eine Tätigkeit. Diese ist aber (wegender Augenblicklichkeit) nichts Wahres. Daher sind auch sie (dieRealitäten des Hinayäna) ohne Merkmal (und somit wesenlos).Bei Leuten, die durch die Unwissenheit (avidyä) getäuscht sind,entsteht eine Erkenntnis, die eine irrige Form zeigt, in Abhängig-keit von einer jeweils eigenen Ursache wie bei einem Timirakranken.Ihr (der Erkenntnis) wahres Wesen kommt allen, die niedrigeErkenntnis haben, nicht zu Bewußtsein. Denn die (gegenständliche)Erkenntnis könnte bei ihnen nicht bestehen, ohne daß sie sichüber Objekt und Subjekt täuschten. Daher wird der Gedanke vonetwas Äußerem (von den Buddhas) ausschließlich wegen desVerständnisses der gewöhnlichen Menschen vorgetragen, wobeisie die eigentliche Wahrheit unberücksichtigt lassen, indem siedie Augen schließen wie Elefanten (III, 214—219).

Page 70: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 71

Die Diskussion geht dann (III, 220ff.) wieder, gewissermaßenmit geschlossenen Augen, auf die Polemik gegen das ,,Ganze"über: die Sauträntikalehre ist immer noch besser als die Vaisesika-lehre.

2. Die Dreiteilelehre

Wir werden nun, um das Erkenntnismittel zu retten, „Teile"der Erkenntnis bereitstellen und dann auf sie das Schema Zu-ermittelndes-Mittel-Ergebnis (meya-mäna-phala) anlegen. Bis jetzthaben wir nur zwei Teile der Erkenntnis, Objekt und Erkennengehabt. Der Grund, warum jetzt noch ein dritter Teil auftritt,liegt nicht in diesem Schema. Es ist nämlich in der Form Mittel-Ergebnis (sädhana-phala) oder Ursache-Ergebnis (hetu-phala) vielgeläufiger. Vielmehr ist ein dritter Teil der Erkenntnis bis jetztvernachlässigt worden bzw. hat im Erkennen, das jetzt nurmehrMittel ist, gesteckt, wodurch es oben als Subjekt bezeichnet werdenkonnte : das Bewußtsein. Dieser Teil wird sich als das Wesentlichedes gegenständlichen Erkennens erweisen und zwar dadurch,daß das Schema von Zuermittelndem-Mittel-Ergebnis auf dieErkenntnis angelegt wird. Durch dieses Schema werden nämlichdie drei Teile der Erkenntnis zueinander in eine Beziehung ge-bracht, aus der sich zeigen wird, daß Erkenntnis nur Selbstbewußt-sein ist (Idealismus des Selbstbewußtseins). Zuvor müssen wir dieTeile bereitstellen. Objekt, Erkennen und Bewußtsein sind die Teileder Erkenntnis. Daß die Erkenntnis erkennt, bezweifelt niemand.Es muß aber bewiesen werden, daß weder Objekt noch Bewußt-sein außerhalb der jeweiligen Erkenntnis liegen. Das geschiehtin den zwei Abschnitten: a) das Objekt, b) das Bewußtsein. Ob-wohl wir uns mit den „Teilen" auf der Stufe der Unwahrheitbefinden, die oben als dritte Position auftrat, und nur auf dieserEbene an eine Rettung der Erkenntnismittel zu denken ist, wirddoch versucht, möglichst auf der zweiten Ebene, mit der Sauträn-tikalehre, zu argumentieren, sei es, um eine größere Nähe zu findenzum realen Gegenstand, mit dem es die Praxis, um derentwillendie Erkenntnismittel da sind, zu tun hat, sei es, um sich dem Gegnerverständlicher zu machen. Diese Argumente werden aber immerin der dritten Position aufgehoben.

Zum Begriff des Bewußtseins kann noch bemerkt werden:Bei der alten Zerlegung der Person in die fünf Gruppen (skandhäfy)kann die dritte, „Samjnä", mit Bewußtsein wiedergegeben werden.

Page 71: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

72 Tilmann Vetter

In Vasubandhu's Pancaskandhakam51 wird sie erklärt als dasErfassen der verschiedenen Merkmale der Objekte. Das wäreBewußtsein im rationalistischen Sinn oder Apperzeption. Dem-gegenüber wäre das „Vijnänam" nur Perzeption und die Auf-zählung der fünf Gruppen wäre eine Zergliederung der Personin immer feinere und unmerklichere Bestandteile, die noch fürdas Ich gehalten werden könnten : materieller Leib, Gefühle,Bewußtsein, Willensregungen, Perzeptionen. Die „Samjnä", dievon den Sauträntikas als geistige Gegebenheit registriert wird,wird beim sensualistischen Ansatz durch die „Samvittih" abgelöst,die ,,Teil" jedes Erkennens ist. Keine Perzeption ohne Bewußtsein.Damit kann Erkennen und Bewußtsein gleichgesetzt werden und„Bewußtsein" erhält die Doppeldeutigkeit, sowohl Bewußtseindes Gegenstands als Bewußtsein des Erkennens oder seiner selbstzu sein. Um die Argumentation übersichtlicher zu halten, werdeich unten das Bewußtsein des Gegenstands mit Bewußtwerdenwiedergeben.

a) Das Objekt

Die Erkenntnis erkennt nicht das Ding an sich, sondern hates nur als Erscheinung. In der Sprache Dignäga's (PS I, l ib 5 2 ) :Die Erkenntnis ist zweiförmig. Sie besteht aus Erkennen (grähakah)und Erkanntem (grähyah). Das wird von Dharmakîrti so bewiesen :

Jede Erkenntnis entsteht aus einem Objekt und zeigt irgend-wie die Form des Objektes, auch wenn noch etwas anderes Ursacheder Erkenntnis ist. So wie beim Erzeugen eines Kindes, obwohlauch Nahrung, Zeit usw. Ursachen sind, das Kind nur die Formeines der Eltern annimmt, nicht irgendsonst einer Ursache. Wenndas Objekt auch mit den andern Ursachen (Sinnesorgan usw.)dem Ursachesein nach gleich ist, so ist doch nur d a s Objekt, wasTeil der Erkenntnis wird. Wo es fehlt, fehlt auch die Erkenntnis(III, 367-369).

Wer zweifelt, ob die Form des Objektes in der Erkenntnisgegeben ist, auch wenn die Erkenntnis ein Objekt hat, brauchtnur die Erfassung eines vergangenen Objektes zu nehmen, umvon der Zweiförmigkeit und dem Selbstbewußtsein der Erkennt-nis überzeugt zu werden: Der Vorgang ist dann nicht der gleichewie bei Erkenntnissen, die wirkliche Dinge zum Objekt haben.

Siehe Frauwallner PB S. 113.Siehe Frauwallner PB S. 390 — 394.

Page 72: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 73

Weil sie nur vom Wunsch abhängen, ist die Kraft des Objektesnicht erwiesen. Eine solche Erkenntnis ist Erinnerung. Sie entstehtaber durch eine frühere Wahrnehmung. Ist nun diese frei vonder Form des Objektes, wie kann nun die Erinnerungserkenntnisdieses Objekt haben ? Die Erinnerung ergibt sich nicht aus demGegenstand, denn dieser ist zur Zeit der Erinnerung nicht vor-handen. Selbst wenn er wahrgenommen würde, dürfte die Formin der Erinnerung so (= vorgestellt) sein; und diese kommt nichtdem Gegenstand zu, weil ihr die deutliche Erscheinungsform fehlt.Wenn diese Form (= das vergangene Objekt) etwas (vom Erfas-ser) Getrenntes wäre, dann müßte sie ein anderer (der in derNähe weilt) genauso erkennen. Nimmt man hingegen an, (dasVergangene) gehöre schon immer Einem Subjekt an, dann ver-stände man Gesprochenes nicht. Auch bei einer (materiellen) Ver-bindung des einen mit dem andern wäre eine Beziehung zwi-schen der Erkenntnis des Sprechers und des Hörers, bei der das-selbe Ding gemeint ist, nicht möglich (III, 370; 372b — 376).

Daher wird eine Wahrnehmungserkenntnis anschließend er-kannt von einer Erkenntnis ihrer, die (ihre) beiden Teile (Objektund Erkennen) zum Anhaltspunkt hat und gekennzeichnet istdurch Eine Erscheinungsform des Objektes (in der früheres Objektund Erkennen enthalten sind). Wie nämlich könnte sonst (die ersteErkenntnis), wenn sie nicht die Form des Objekts besäße, auf die(Erinnerungs)erkenntnis übergehen ? So besitzt die jeweils folgendeErkenntnis immer eine Form darüber hinaus. Denn von einerdritten Erkenntnis werden an der zweiten Erkenntnis zwei Er-scheinungsformen in Form des Objekts und irgendeine Erschei-nungsform ihrer selbst unterschieden. Wenn die erste Erkenntnisnicht beide Formen besäße, dann gründete sich auch die zweitenur auf Eine Form und könnte von der (darauffolgenden) betrachten-den Erkenntnis nicht (von der ersten) unterschieden werden. Daherstützt sich die zweite Erkenntnis, die Gegenstand und Wahr-nehmung (samkalanam) vereinigt zeigt, auf eine früher in derForm des Blauen usw. erschienene Erkenntnis. Andernfalls würdenur e i n e Erkenntnis (mit einem Gegenstand) verbunden sein,weil sie durch den Gegenstand hervorgerufen ist; nicht aber diejeweils folgenden (Erkenntnisse), bei denen eine Verbindung mitdem früher (gesehenen) Gegenstand nicht gesehen wird (III, 378bis 380; 384 bis 386).

Es wird nun die Frage gestellt, die früher oder später auf-tauchen muß : Wie kommt man überhaupt dazu, von einem äußeren

Page 73: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

74 Tilmann Vetter

Gegenstand zu reden ? Zwar muß der Zwang der Wahrnehmungs-erkenntnis erklärt werden, das kann aber auch durch den unmittel-bar vorhergehenden Moment (samanantarapratyayah) des Er-kenntnisstroms geschehen. Das feine Denkerkennen (süksmama-novijnänam) führt die zur Vergeltung reifenden Taten (= Willens-regungen) der Vergangenheit mit sich. Geschehnisse und Situationenkönnen deshalb immer noch intersubjektiv sein. Sie sind dieResultante des Karma der beteiligten Wesen :

Auf welche Weise will man nachweisen, daß das Objekt etwasvon der Erkenntnis Verschiedenes ist, wenn es notwendigerweisezugleich mit dem Erkennen bewußt wird ? Eine Verschiedenheitdürfte von solchen wahrgenommen werden, deren Erkenntnisverwirrt ist, wie beim zweiheitlosen Mond. (Erkennen undObjekt sind nicht so voneinander verschieden wie etwa) Blauund Gelb, bei denen kein notwendiges (gleichzeitiges) Bewußt-werden besteht. Ein Gegenstand, der nicht bewußt ist, kommtnicht vor; genausowenig wird ein Bewußtwerden ohne Gegenstandbeobachtet. Infolgedessen sind beide nicht voneinander getrennt.Daher ist kaum abzuweisen, daß der Gegenstand, der zur Zeitdes Erkennens erscheint, von der Erkenntnis nicht verschiedenist. Die Erschließung einer besonderen Ursache wäre möglich durchdie Abwesenheit der Sinneserkenntnis trotz Gegebenseins derübrigen Ursachen (Sinnesorgan usw.), wenn man nicht den Zwangder Sinneserkenntnisse durch den Samanantarapratyaya erklärenkönnte (III, 387-391).

Nachdem er erklärt hat, wie die Schlußfolgerung von derWirkung auf die Ursache funktioniert, wenn man kein äußeresObjekt hat (III, 392—396), sagt er: Das ist die Rede der Wissenden.Die Zweiförmigkeit der Erkenntnis wird aber erklärt, indem mansich auf einen äußeren Gegenstand stützt. Durch das (oben zurAblehnung eines äußeren Dings führende) notwendige gleichzeitigeBewußtwerden ist sie übrigens ebenfalls bewiesen (III, 397).

Und nun folgen ein paar handfestere Argumente:Man beobachtet, daß die Erkenntnisse verschiedener Menschen

infolge der Verschiedenheit der Sinnesorgane Einem Objekt gegen-über eine Verschiedenheit des Erkenntnisbildes zeigen, insofernes klar, unklar, verworren usw. ist. Wenn der Gegenstand nichteine Spiegelung von sich in der Erkenntnis bewirkt, dann mußjede Erkenntnis, die sich auf diesen Gegenstand bezieht, gleich-artig sein, da die Beschaffenheit des Gegenstandes nicht ver-schieden ist. Wenn dagegen die Erkenntnis seine Beschaffenheit

Page 74: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 75

nachahmt, indem sie auf den Gegenstand gestützt entsteht, dannkann durch einen andern Einfluß in irgendeiner Hinsicht eineVerschiedenheit entstehen. Denn ein Sohn, der auf den Vatergestützt, dessen Bild zeigt, kann durch irgendeine andere Ursachein irgendeiner Hinsicht eine Verschiedenheit vom Vater aufweisen(III, 398-401).

Leute, deren Sehkraft geschwächt ist, erblicken bei einerLampe einen Kreis, der einem Pfauenschwanz ähnelt: blau, rotund helleuchtend weiß. Wenn es sich dabei um eine äußere Formhandelt, wieso kann ihn ein gesundes Auge nicht sehen ? Wenn das,was die Betreffenden sehen, etwas Wahres ist, warum sagt mandann, ihr Sinnesorgan sei gestört ? Wenn ihr Auge ,,geklärt" istdurch die Timirakrankheit, wieso ist es klar, wenn es etwas ,,Über-sinnliches* * sieht, dagegen unklar bei einem Gegenstand, den auchdas Auge eines andern sieht ? Es wird neben Licht, Auge undAufmerksamkeit nur die Wirksamkeit Einer weiteren Ursacheerkannt. Wie kann etwas Objekt sein, das nicht Ursache ist ?Wenn dieser Farbkreis Ursache der Erkenntnis ist, warum ist erdann von der Lampe abhängig ? Wird die Erkenntnis von derLampe allein hervorgerufen, dann ist nicht beides Ursache (derFarbkreis also nicht Objekt) (III, 402—406).

Außerdem ist es ungereimt, daß die Erkenntnis deutlich oderundeutlich ist auf Grund der Verschiedenheit von Ferne und Nähe.Gegner: Die Verschiedenheit der Erkenntnis ergibt sich durchdie Verschiedenheit des Lichts, je nachdem es schwach oder starkist. Antwort: Wieso soll etwas Nichtverschiedenes verschieden er-scheinen wegen der Verschiedenheit eines andern. Und warumist denn das Licht schwach? Gegner: Weil es verdeckt wird.Antwort: Warum ist das hier (bei dem Licht, das sich um dennaheliegenden Gegenstand herum befindet) nicht der Fall ?Gegner: Weil (das Verdeckende, Staub usw., das sich im Zwischen-raum zwischen Beobachter und naheliegendem Gegenstand be-findet) in geringerer Quantität vorhanden ist. Antwort: Dafürist auch (weniger) Licht (in diesem Zwischenraum. Und) beimentfernteren (Gegenstand ist) auch (beim Licht) die Quantitätgrößer (III, 407; 410-411).

b) Das Bewußtsein

Daß zum Wesen der Erkenntnis ein Bewußtwerden desGegenstands gehört, darüber wird nicht gestritten, heißt es III,422. Wie es aber fraglich schien, ob die Erkenntnis das Bild des

Page 75: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

76 Tilmann Vetter

Objekts trägt, so scheint es auch fraglich, ob sie ihrer selbst bewußtist, ob sie als drittes einen Bewußtseinsteil hat. Es kann nungezeigt werden, daß das Bewußtsein des Erkennens ebensowenigjenseits der Erkenntnis liegt wie das Erkannte. Die Erkenntnisist sich ihres Erkennens bewußt. War die Lehre vom Selbstbewußt-sein ursprünglich wohl aufgestellt worden, um abzulehnen, daßLeidenschaften usw. Eigenschaften einer Seele seien (vgl. III,249ff.), so richtet sich die Polemik im folgenden vor allem gegeneine Lehre, die das Bewußtwerden eines Erkenntnisaktes in einezweite Erkenntnis verschiebt. Dem Gegner, der die Spiegelungdes Objektes anerkennt, kann vorgehalten werden, daß das Er-kennen ohne Bewußtsein durch die bloße Nachahmung (Ähnlich-keit) zu einem rein mechanischen Akt wird, wie er dann auchzwischen ähnlichen Gegenständen stattfinden müßte. Darin istdas Wesen des Erkennens verkannt. Zu seinem Wesen gehörtvielmehr, daß ,,Ich nehme wahr" alle Wahrnehmungen begleitenkönnen muß. Begleiten können heißt, daß von jeder Wahr-nehmung nachher gesagt werden kann : , ,Ich habe wahrge-nommen":

Mit dem Nachweis der Zweiförmigkeit ist im Allgemeinen auchdas Selbstbewußtsein erwiesen; denn man beobachtet, daß danndas Bild, das zum Wesen der Erkenntnis gehört, bewußt wird.Wie soll durch eine Erkenntnis, die nicht die Form des Objekteshat, eine Wahrnehmung hinsichtlich einer bereits vergangenenErkenntnis möglich sein ? Und wenn die zweite Erkenntnis nichtihre eigene Form erkennt, hört jede Wahrnehmung auf. DieErkenntnis dieser Erkenntnis zeigt sich nach außen gerichtet,indem sie (die andere Erkenntnis) als Objekt erscheinen läßt.Das Erkennen aber, welches das Erkennen wirklich erfaßt, ist immernach innen gerichtet auf das eigene Selbst. Worauf sich das Bild desObjekts bezieht, das erkennt eine solche Erkenntnis (die nicht selbst-bewußt ist) nicht. Das ergibt sich auch damit. Gegner: Was ist denndas Bewußtwerden anderes als das Die-Form-des-Gegenstandes-Ha-ben ? Antwort: (Wenn du meinst, daß die Ähnlichkeit allein genügt,um einen Gegenstand zu erkennen), dann folgt daraus, daß alle ähn-lichen Dinge einander erkennen. Gegner: (Nicht jede Ähnlichkeitbedingt) die Wahrnehmung des (Ähnlichen, sondern nur) die Ähnlich-keit des Erkennens. Antwort: Dann ist die Ähnlichkeit nicht (dasMerkmal) des Erkennens (III, 425 — 429).

Bis jetzt wurde ein äußerer Gegenstand vorausgesetzt undbehauptet, das Erkennen ahme ihn nach und sei sich dieser Tätig-

Page 76: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 77

keit bewußt. Woher will man aber um die Ähnlichkeit der Erkennt-nis mit dem Gegenstand wissen ? :

Das Bewußtwerden der (Erkenntnis) ergibt sich aus ihr selbstund ist nicht durch eine Ähnlichkeit verursacht. Diese Ähnlichkeitmag in der gewöhnlichen Rede (von der Erkenntnis) die Grundlagefür das Verhältnis von Tätigkeit („Erkennen") und Objekt ab-geben. Weil das Bewußtwerden die Form des (Objekts), die eigent-lich nur zu ihr selbst gehört, irrigerweise hinausprojiziert, sagtman, daß Blau usw. wahrgenommen wird, nicht weil wirklich einanderes Ding wahrgenommen wird. Womit will man einenäußeren Gegenstand beweisen, wenn die Erkenntnis die Formdes Blauen trägt % Wenn die Erkenntnis die Form desBlauen (aber) nicht trägt, wie will man es dann wahrnehmen ?Wenn nun, daß sie Bewußtwerden zum Wesen hat, nicht auf derÄhnlichkeit beruht, sondern von selbst gegeben ist, was wirddann von einem Gegenstand noch hinzugetragen ? Auch bestehteine Ähnlichkeit nicht der ganzen Natur nach, weil sich dann er-geben würde, daß nicht erkannt wird. Bei Ähnlichkeit nur einembestimmten Teil nach, müßte alles alles erkennen (111,430—434).

Ebenso wie die Wahrnehmung des Blauen angenommen wird,weil die Erkenntnis die Form des Blauen trägt, genauso findetauch die Wahrnehmung des Erkennens statt, weil es die Wahr-nehmung zum Wesen hat. Gegner: Es findet keine begrifflicheFeststellung statt wie beim Objekt, indem man sagt: Die Wahr-nehmung ist wahrgenommen. Daher bin ich nicht widerlegt.Antwort: Auch bei einem Gegenstand findet nicht immer eineFeststellung statt. Wieso soll anderseits eine Feststellung bei derWahrnehmung nicht stattfinden, sobald die Bedingungen für ihrVorhandensein gegeben sind? (III, 435 — 437).

Was sich dem Menschen zeigt, wenn er etwas Weißes usw.wahrnimmt, dieses Bewußtwerden, das die Form des Erscheinen-lassens des Weißen hat, ist unmittelbar deutlich. Ist dies nun eineandere oder eine im Wesen des Erscheinenlassens des Weißen liegendeForm ? Ist es etwas Verschiedenes, dann ist das Sichtbarmachennicht bewußt. Wieso ist dann das Weiße sichtbar ? Das Erkennenist Sichtbarmachen. Ist es nun selbst nicht sichtbar, dann ist dieganze Welt unsichtbar (III, 438 — 439).

3. Der Idealismus des Selbstbewußtseins

Sind die Teile der Erkenntnis gesichert, dann können sie ineine solche Beziehung zueinander gebracht werden, daß sie das

Page 77: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

78 Tilmann Vetter

Verhältnis von Zuermittelndem, Mittel und Ergebnis erklären.Doch muß immer die Einheit der Erkenntnis im Auge behaltenwerden. Die wichtigste Voraussetzung dieser Dreieinigkeit stehtschon bereit: Bewußtsein ist sowohl Bewußtsein des Gegenstandsals Bewußtsein seiner selbst. Es muß jetzt noch gezeigt werden,daß auch der Gegenstand nur Bewußtsein ist. Damit ist ein Selbst-bewußtwerden das Ergebnis und der Begriff des Selbstbewußtseinsenthält nun Gegenstand, Erkennen und Bewußtsein. Das kannauf drei, nicht wesentlich verschiedene, Arten bewiesen werden:

a) Wird das Bewußtwerden eines Dings, das, weil es als Bewußt-werden eines Dings und nicht der Erkenntnis erscheint, vomSauträntika als Bewußtwerden eines Erkenntnisäußern betrachtetwird, an der Definition der Objektbedingung (älambanapratyayah)5^gemessen (III, 320ff.), so zeigt sich, daß über die Erkenntnisnicht hinauszukommen ist. Was als Bewußt wer den des Blauenusw. erscheint, ist nur ein Bewußtwerden der Erkenntnis. DieErkenntnis ist sich also nicht nur insofern ihrer selbst bewußt,als man sich immer des Erkennens bewußt ist, sondern auchinsofern, als man sich immer eines Erkannten bewußt wird. Indiesem Sinn wird das Selbstbewußtsein als Ergebnis betrachtet(III, 332cd).

b) Einen äußeren Gegenstand anzunehmen, erscheint zwarzunächst denkmöglich (III, 333ff.), doch wenn man das Bewußt-werden des Gegenstands naher betrachtet, stellt sich heraus,daß kein Gegenstand erfaßt wird, ohne daß er bewußt wäre. Istman sich dagegen eines Bewußtwerdens bewußt, dann kann auchein Gegenstand erfaßt werden. Daran zeigt sich, daß es keinenGegenstand für sich allein gibt. Insofern das Bewußtsein Bewußt-sein des Erkannten und des Erkennens ist, ist es Ergebnis (III, 337).

c) Meint man aber, ohne einen von der Erkenntnis verschie-denen Gegenstand nicht auskommen zu können, so ist sicher,daß er nur über das Bild in der Erkenntnis ermittelt werden kann.Dieses Bild ist es, das dem Handelnden erwünscht oder uner-wünscht erscheint und dementsprechend festgestellt wird, nichtaber der Gegenstand, der eigentlich ermittelt werden soll. Insofernman also auch hier, mag die Erkenntnis auch durch einen äußerenGegenstand verursacht sein, nicht zu ihm hinkommt, ist das

53 Das Bild in der Erkenntnis wird von der Anhaltspunkt- oder Ob-jektbedingung hervorgerufen und zeigt sie, wie sie ist. Das ist eine alteDefinition. Vgl. Dignägas Älambanapanksä.

Page 78: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 79

Selbstbewußtsein wiederum Ergebnis (III, 345). Auch die Ver-schiebung des Mittels auf den Objektteil und Differenzierungvon der Tätigkeit54 des Erkennens ändern daran nichts (III,348-350).

Ist auf diese drei Arten gezeigt, daß das Ergebnis Selbst-bewußtsein ist, so ist doch auch das Unzulässige dieses Vorgehensdeutlich geworden. Damit, daß diese Konstruktion die Voraus-setzung des endlichen Erkennens und Handelns anerkennt, bleibtsie in einem Dilemma, das die destruktive Dialektik hinter sichläßt, da sie die Wirklichkeit des Erkennens verwandelt. Der be-stimmte Begriff ist immer einseitig. Einerseits ist die Wirklichkeitdes gewöhnlichen Erkennens gespalten und dementsprechendist sie begrifflich festzustellen. Anderseits ist Erkenntnis nichterklärbar ohne die Einheit der Bestandteile. Über dieses Dilemmakommt die endliche Existenz nicht hinaus, es sei denn sie über-schreite die Voraussetzung ihres Daseins, die schlicht als Irrtumbezeichnet werden kann.

Der dazugehörige Text lautet :Y(ogäcära) : Was ist das Bewußtwerden des Dings ? (Sauträn-

tika) : Es ist dieses jeweilige Bewußtwerden, das uns unmittelbar zuBewußtsein kommt. Y: Wodurch ist es aber Bewußtwerden einesDings ? S : Dadurch, daß es dessen Form hat. Y: Das ist unverläß-lich. S: Worauf soll sich denn sonst das Bewußtwerden eines Ob-jekts beziehen? Y: Gerade das ist hier zu untersuchen. Inwiefernsind denn diese Atome ähnlich dieser (Erkenntnis), die doch einegrobe Erscheinungsform zeigt ? Dann liegt aber ein Die-Form-des-Dinges-Tragen bei der Erkenntnis überhaupt nicht vor. Oderwenn das, was sie erscheinen läßt, die Form des Dings ist, danngeht sie fehl und ist nicht geeignet zu beweisen, daß es sich um einBewußtwerden des Dings handelt. Wenn das Merkmal des Wahr-genommenen die gleiche Beschaffenheit und die Entstehungdaraus wäre, dann wäre das, dessen man bewußt wird, die un-mittelbar vorhergehende Erkenntnis, die das gleiche Objekt hat(III, 320—323).

54 Beim mittelbaren Anschauen eines Realen ist das Bild des Objektsdas Mittel zur Erkenntnis des Realen. Hier fallen Tätigkeit (Erkennen)und Mittel nicht zusammen. Vgl. III, 301 — 319. In übertragenem Sinn hathier Vätsyäyana's Definition (Anfang des Nyäyabhäsyam) noch eine ge-wisse Berechtigung: „Erkenntnismittel ist das, womit der (Erkenner)einen Gegenstand ermittelt" (sa yenäriham praminoti tat pramänam).„Yena" ist Mittel, „praminoti" Tätigkeit. Vgl. auch PS I, 8cd —9.

Page 79: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

80 Tilmann Vetter

S: Worauf sich diese feststellende (= vorstellende) Erkenntnisbezieht, die sagt: „das ist gesehen, das gehört", das ist Objektder Wahrnehmung. Y: Gerade diese Beziehung zwischen Sehenund Gesehenem soll untersucht werden, auf Grund derer man dasals Wahrnehmung dessen ansieht. Nur gestützt auf die Ver-einigung der beiden kann der Seher zu der Feststellung kommen :(„das habe ich gesehen") (III, 324 — 325).

Dieses Gewahrwerden macht das Wesen der Erkenntnis ausund es ist nicht das Gewahrwerden von irgendetwas anderem.Auch das jeweilige unmittelbare Bewußtsein (ihres Gewahrwerdens)gehört zu diesem ihrem Wesen. Von der Erkenntnis gibt es nichtswahrzunehmen, was nicht sie selbst wäre. Das Gewahrwerden(des Erkennens) ist nichts anderes, weil sich auch dagegen diegleichen Einwände vorbringen lassen. Daher erleuchtet die Er-kenntnis sich selbst. Die blaue usw. Erscheinungsform gehört zumWesen der Erkenntnis und dieses ist Gewahrwerden. Es wird alsGewahrwerden des Blauen usw. betrachtet, obwohl es nur dasBewußtwerden der eigenen Form ist. So wie Licht, das hell macht,weil es dieses Wesen hat, betrachtet wird als sein eigenes Wesenerleuchtend, so ist die Erkenntnis sich ihrer selbst bewußt (III,326-329).

Zuerkennendes und Erkennen lassen sich kaum zusammen-bringen, wenn das Zuerkennende etwas anderes als die Erkenntnisist. Wenn bei der Erkenntnis die Unterscheidung in der Weisegetroffen wird, daß — wie bei bestimmten Erkenntnissen von Haarenusw. (nämlich durch Augenkranke) — sie, der die Erscheinungs-form von Zuerkennendem und Erkennen (in Wahrheit) nichtzukommt, betrachtet wird wie von den in Irrtum Befangenen,nämlich getrübt durch die Erscheinungsform des Zuerkennendenund des Erkennens als verschiedene Merkmale besitzend, dann istgegen die Merkmale des Zuerkennenden und des Erkennensnichts einzuwenden. In diesem Fall wird das Selbst-Bewußtseinals Ergebnis betrachtet, da das Bewußtwerden eines andern nichtgegeben ist (III, 330-332).

Gegner: Welcher Fehler ist es, wenn ein äußerer (Gegenstand)wahrgenommen wird ? Antwort : Keiner. (Aber) was willst du damitsagen, wenn du behauptest, ein äußerer Gegenstand werde wahr-genommen ? Wenn die Erkenntnis die Erscheinungsform desObjekts trägt, dann ist sie eben durch diese Erscheinungsformcharakterisiert. Ob sie dies durch einen äußeren Gegenstand ist

Page 80: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 81

oder durch etwas anderes, das ist zu untersuchen (III, 333bis 334).

Weil der Gegenstand nicht erfaßt wird frei von der Behaftungmit dem Sehen, bei dessen Erfassen dagegen erfaßt wird, istes das Sehen, das die Form des Blauen trägt. Einen äußerenGegenstand für sich allein gibt es (aber) nicht. Irgendetwas wecktden inneren Eindruck (antarväsanä) für irgendetwas. Dadurchbesteht der Zwang (viniyamah)55 der Erkenntnisse,nicht aber durchAbhängigkeit von einem äußeren Gegenstand. Daher ist sie (= dieErkenntnis), die zwei Erscheinungsformen hat, ein Einziges,das so wahrgenommen und erinnert wird. Das Bewußtwerdendieser doppelten Erscheinungsform ist das Ergebnis (III, 335—337),

Wenn ein von der Erkenntnis verschiedener Gegenstand, seier erwünscht oder unerwünscht, dessen Sein als dieses ( = erwünschtoder unerwünscht) entstanden ist, als Ursache der ErkenntnisObjekt ist, dann findet deren Bewußtwerden ebenso statt (III, 338).

Wenn die Erkenntnis einen (äußeren) Gegenstand hat, sowird dennoch, weil das (Objekt) in dem Teil der Erkenntnis be-steht, nur das, was ein Wahrnehmen ihrer selbst ist, als Gegen-stand festgestellt. Wenn also die eigene Natur der Erkenntnisin erwünschter Form oder anders wahrgenommen wird, dann wirdder Gegenstand als erwünscht oder unerwünscht empfunden.Gesetzt also, es ist ein äußerer Gegenstand vorhanden, so wirddieser doch in seinem Wesen der Erkenntnis entsprechend be-stimmt, aber nicht seiner wirklichen Beschaffenheit nach; dennsonst würde sich der Fehler ergeben, daß er ein mehrfaches Wesenin sich vereinigte (III, 339—341).

Daher ist auch, wenn ein Äußeres Objekt ist, die Selbstwahr-nehmung als Ergebnis berechtigt, weil die Bestimmung des Gegen-standes nur so erfolgt, wie ihr (—der Erkenntnis) Eigenwesen ist(III, 345).

Daher wird das Bewußtsein des Gegenstands nur als Selbst-bewußtsein angesehen, weil der Gegenstand an sich nicht gesehenwird. Daher ist der in die Erkenntnis eingeprägte Gegenstand dasMittel, das die Erkenntnis be tä t ig t . Weil sie so erscheint, wiesich dieser Gegenstand eingeprägt hat, und daher das Feststellenäußerer Dinge auf ihrem Wesen beruht, wird sie, obwohl sie Selbst-

55 Zwang: sie sind nicht willkürlich. Oder nach Vimsatikä 2 — 3: dasGebundensein an Ort und Zeit.

Page 81: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

82 Tilmann Vetter

bewußtsein ist, für ein Bewußtsein des Gegenstandes gehalten.Daher besteht auch hier keine Verschiedenheit des Objekts. Über-legt man die eigene Beschaffenheit (der Erkenntnis), so wird dasSelbstbewußtsein als Ergebnis bezeichnet, weil das Bewußtseindes Objekts eben darin besteht (III, 348™350).

Gegner: Ursache der so erscheinenden Erkenntnis ist trotz-dem ein so oder anders beschaffener Gegenstand. Daher ist an-zunehmen, daß (durch die Erkenntnis) ein Ding ermittelt wird.Wenn die (Erkenntnis) in irgendeiner Weise ein Bild zeigt ohnedas An-sich des Gegenstandes, wieso wird dann von ihr ein Gegen-stand erfaßt ? Antwort : Ganz schön. Aber ich verstehe das Erfasseneines Gegenstandes auch gar nicht so. Obwohl es ohne Teile ist, wirddas Wesen der Erkenntnis von Leuten, deren Einsicht verwirrt ist,gleichsam die Teile des Zuerkennenden, des Erkennens und desSelbstbewußtseins habend wahrgenommen (lakçyate). So wieTonstücke Leuten, deren Auge durch Zaubersprüche usw. ge-trübt ist, anders (z. B. als Gold) erscheinen, obwohl sie diese Formnicht besitzen. (Und wir merken, daß es sich um eine Täuschunghandelt,) weil sie nicht so gesehen werden von Leuten, derenGesichtssinn nicht getrübt ist. Oder wie in Wüsten ein kleinerGegenstand in der Ferne groß gesehen wird (III, 351 — 355).

Diese Zergliederung der Erkenntnis in Zuermittelndes,Mittel und Ergebnis wird nur dem Anschein nach bei Zuerkennen-dem, Erkennen und Selbstbewußtsein vorgenommen, obwohlsie in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Wie sollten andernfalls(= wenn sie in Wirklichkeit gegeben wären) bei dem Einen DingFormen, die in verschiedener Gestalt erscheinen, war sein ? Es würdeja dann seiner Einheit verlustig gehen, und das Anderssein vonanderem würde aufhören. Wir können auch nicht von Nichtver-schiedenheit (der Teile) sprechen, weil die Wirklichkeit (noch)nicht gesehen wird. Denn eine Erkenntnis, die eine Nichtver-schiedenheit der Form wahrnimmt, stellt die Nichtverschiedenheitfest. Die Form, in der die Dinge (gewöhnlich) wahrgenommenwerden (nirüpyante), besteht in Wirklichkeit nicht, da wedereine einheitliche noch eine mehrheitliche Form bei ihnen vor-handen ist (III, 356 bis 359).

Gegner: Das, was man Irrtum nennt, findet im alltäglichenLeben dadurch statt, daß man auf Grund der Wahrnehmung einerÄhnlichkeit einer Sache, die nicht dieses Wesen hat, diesesWesen zuschreibt. Das findet im vorliegenden Falle nicht statt,

Page 82: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 83

da auf der ganzen Welt nicht ein einziges (Ding) von dieser Be-schaffenheit zu beobachten ist.

Antwort: Einen solchen (Irrtum) gibt es auch. Aber der Irr-tum, der durch die innere Trübung entsteht, bringt, da eraus Fehlern hervorgeht, von Natur aus eine falsche (Form) zurErscheinung, unabhängig vom Wahrnehmen einer Ähnlichkeit,wie bei Augenkrankheit usw. (Ill, 360-—362).

V. Metaphysik der Erkenntnis

In ähnlicher Weise wie man sich bemühen mußte, die Er-kenntnismittel im Selbstbewußtsein unterzubringen, und nichtbei der destruktiv-dialektischen Auflösung stehenbleiben konnte,so nötigen zwei Fragen, die den befreiten Geist betreffen, eine ArtMetaphysik der Erkenntnis zu errichten. Die Fragen, da sie direktdas Handeln und sein Ergebnis angehen, müssen eindeutig be-antwortet werden.

1. Nachdem Dharmakirti — etwa im Sinne Asanga's — be-hauptet hatte (II, 205), daß sich durch die Übung des Wegs(märgah) die Grundlage umgestalte (äsrayah parivartate) meintder Gegner: Auch wenn die Grundlage vollständig umgestaltetist, indem das Sehen eines Ich dadurch restlos geschwunden ist,daß man sich das Sehen des Nichtich völlig zu eigen gemacht hat,so können doch wieder Fehler entstehen, genauso wie sich beivölligem Vorhandensein des Sehens eines Ich und aller damitverbundener Fehler die Übung des Weges entfalten konnte.Darauf antwortet Dharmakirti: Das ist nicht richtig, denn esfehlt die Fähigkeit dazu. Daß sich die Übung des Wegs entfaltenkonnte, lag nicht daran, daß aus Nichts etwas wurde, woraus manschließen könnte, daß das nun auch umgekehrt möglich sei. Auchbeim völligen Vorhandensein des Sehens eines Ich ist die wahreNatur des Erkennens lediglich behindert und verdeckt, nichtetwa nicht vorhanden. (II, 206:) Die Eigenschaft des Erkennensist das Erfassen des Objekts: „so wie dieses ist, wird es vom Er-kennen erfaßt" und , ,es erzeugt die Erkenntnis nach seinemobjektiven Wesen". Was also durch die Übung des Nichtich ge-fördert wird, ist nichts als die Wahrheit des Nichtich. Dies istmit Anstrengung verbunden, weil sich das Sehen eines Ich ange-lagert hat und weggeräumt werden muß. (II, 207:) Der „Sünden-fair' des Sehens eines Ich ist durch eine von außen kommendeUrsache bedingt, die Unwissenheit (avidyä), welche schon ihrem

Page 83: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

84 Tilmann Vetter

Begriff nach nicht zum Erkennen gehört. Und bei der Übung desGegenteils kommt es nur darauf an, diese Ursache für die An-lagerung der Fehler zu beseitigen. Das ist nicht so leicht. Denndie durch den „Sündenfall" entstandene Situation des Handelns— der Versuch, das Heil zurückzugewinnen und das Unheil hintersich zu lassen — kennt keine reine Erkenntnis mehr: selbst dasErkenntnismittel der Wahrnehmung bedarf der Bewährung.Doch wenn das Ziel des Handelns erreicht ist, erkennt man, daßder Geist von Natur aus helleuchtend rein ist (prabhäsvaram idamcittam prakrtyä) und daß die Fehler und Hemmungen nur äußerlichwaren (II, 208). Jetzt kann man auch versichert sein, daß das,was vorher nicht die Fähigkeit besaß, die Übung des Wegs zuverhindern, nun, da das Erkennen in seiner Reinheit erstrahlt,überhaupt keine Chance mehr hat. Es war die Natur des Erkennens,die sich mit Beginn der Übung des Weges durchzusetzen be-gonnen hat. (II, 209:) Es kann sich etwas, auch wenn es an sichwirksam ist, nicht bis zum Äußersten entwickeln bei einem Ding,das in sich die Fähigkeit trägt, dessen Gegenteil hervorzubringen,genausowenig wie sich Feuer auf einem wasserüberströmten Bodenausbreiten kann.

Das Wichtige ist nicht so sehr56, daß Dharmakirti die PositionAsanga's — erstmaliges Einströmen des überweltlichen Elementsvon außen57, nämlich durch Hören der Mahäyänasütren — über-schreitet und sich der Position Maitreyanätha's (und Säramati's)— Offenbarwerden eines immer schon Vorhandenen — anschließt,sondern daß er in einem damit die Erkenntnis, nun die von Naturreine Substanz, die nur äußerlich befleckt werden kann, als Er-kennen, als wirkliches Subjekt auffaßt. Dadurch allein kann erplausibel machen, was sonst nur optimistischer Glaube wäre,daß es keinen Rückfall gibt. (II, 210:) Etwas, dessen Wesen glück-lich (nirupadrava) und wahrhaftig (bhütärtha) ist, kann nichtdurch Irrtümer beeinträchtigt werden, selbst wenn man sichdarum bemühte; denn die Erkenntnis steht auf dessen Seite:sie wird immer die Partei des Wahren ergreifen, weil darin ihrWesen besteht, und ebensowenig wird sie sich unglücklich machen.Das ehemalige Leid auf Grund der Unwissenheit hat jeden Bodenverloren wie die Angst vor einer Schlange, sobald man gemerkthat, daß es nur ein Strick ist (II, 207 d). Durch diese Wendung

56 Zum folgenden vgl. Frauwallner Amalavijnänam.57 Frauwallner PB S. 332.

Page 84: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 85

zum Subjekt ist aber die Frage, was mit dem Geistesstrom desArhat und seinem Karma geschieht, nicht mehr richtig beantwort-bar geworden. Nirvana bedeutet lediglich, daß es zu keiner Wieder-geburt mehr kommt, weil die Ursachen dazu fehlen. Darüberhinaus behaupten zu wollen, der Geistesstrom selbst werde abge-brochen (ucchedavädah) oder bestehe für sich in Ewigkeit weiter(aäsvatavädah) ist bei Dharmakirti genauso unzulässig wie inder Hauptsache sonst im Buddhismus. Mit der Erlösung wird derzwölfgliedrige Pratityasamutpäda überschritten und die Kausalitätideell. Der Unterschied der Position des helleuchtenden Geistes(prabhäsvarant cittam)), die bekanntlich schon im alten Kanonvorkommt (Anguttaranikäya I, 5, 9—10), von der sonst sosehr geübten Enthaltung einer positiven Aussage über das Nirvanabesteht darin, daß hier der Prozeß der Verstrickung in das Leidselbständig abrollt, während dort gewissermaßen ein dreizehntesGlied genannt ist, an dem sich der Pratityasamutpäda (— dieäußerliche Befleckung des Nichtwissens und seiner Folgen) ab-spielt. Durch diese Auffassung, wenn sie so substantiell genommenwird, besteht allerdings die Gefahr der „Metaphysik", der Sack-gasse der Ansichten, die der Buddha als Gefahr für die ernsthafteÜbung des Weges angesehen hat58.

2. Aus der Verschiebung der Erlösung ins Erkennen resultiertnun der zweite Einwand: Man sieht doch, daß die sogenanntenErlösten weiterbestehen, die Kausalität also für sie noch real ist.Darauf antwortet Dharmakirti: Leidenschaftslos Gewordene be-stehen weiter entweder aus Mitleid oder auch auf Grund des Karma.Was die Zweiten betrifft, so wird nämlich nicht angenommen,daß bereits ausgelöstes (~ das die jetzige Geburt bestimmende)Karma mit der erlösenden Erkenntnis aufhört. Doch weil dieMitursache, der Durst, zerstört ist, ist das Karma nicht fähig,bei denen, die den Daseinsdurst überwunden haben, eine weitereGeburt auszulösen Jedoch, was die Ersten betrifft, so ent-steht dem, der sich bei der Erkenntnis des Leids nicht abwendet,aus früher dafür gelegten Samen hervorwachsend, Mitleid. DieNatur der Dinge ist so, daß bei dem, der sich dem Anblick desLeids nicht verschließt, Mitleid entsteht. Mitleid ist nicht durchdas Sehen einer Person bedingt. Indem man ein anderes Ich aufeine Gegebenheit projiziert, die nicht dieses Wesen hat, entstehtdieser gegenüber Leidenschaft. Dagegen entsteht das Mitleid bloß

58 Sie hat hier aber nach Vollendung des Wegs Bedeutung.

Page 85: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

86 Tilmann Vetter

dadurch, daß man mit einem Strom von Leid in Berührung kommt.Wurzel aller Fehler ist die Verblendung und sie ist das Seheneiner Person. Wenn man keine Person sieht, dann besteht auch keinHaß gegenüber jemand, der etwas Böses getan hat. Daher wirdMitleid nicht als ein Fehler betrachtet. Es ist nicht so, daß eskeine Erlösung für die Bodhisattvas gibt; denn sobald sie dieEindrücke des Mitleids zerstören, kommt es zu keiner neuen Geburtmehr. Doch die, bei denen der Eindruck des Mitleids seine Kraftbehält, bestehen schuldlos weiter. Wegen der Schwäche des Mit-leids gibt es bei den Arhats kein ernsthaftes Streben, weiterzu-bestehen. Doch die viel Mitleid besitzen, bestehen weiter um derandern willen (II, 192cd—198).

Wenn wir unter Wiedergeburt Wiederverkörperung ver-stehen — auch das Wort Weiterbestehen (avasthä) kann nichtgut anders interpretiert werden als körperlich dasein — sohat das von Dharmakirti hier Vorgebrachte folgenden Sinn:Körper sei das Medium des Leidens und Wirkens. Vom Arhatgilt nun, daß er trotz endgültiger Erlangung der erlösenden Er-kenntnis den Körper als Medium des Leidens behält, und zwarsolange das Karma dieser Geburt bestimmt. Er kann allerdings,wie die alten Texte berichten, den Freitod wählen, wenn die indiesem Leben noch bestimmten Leiden ein unerträgliches Maßerreichen. Karma aber, das z. B. in Höllenwelten abgebüßt werdenmüßte, kann ihm mit dem Eintritt in den letzten Tod, dem Parinir-väna, nicht mehr blühen, genausowenig wie ein durch Freitodabgebrochenes hier abzubüßendes Leid. Es kann nämlich nichtzu einer neuen Geburt kommen, wenn der Daseinsdurst zerstörtist, und damit eine notwendige Bedingung im Ursachenkomplex,der zu einer neuen Geburt führt, ausfällt. Mit dieser Theorie istein guter Kompromiß zwischen der Realität und der Idealitätder Kausalität zustandegebracht. Endgültige Freiheit gibt es füreinen Schuldbeladenen trotz erlösender Erkenntnis erst mit demTod, dann aber lösen sich alle noch vorhandenen Kausalenergienin nichts auf. Man kann auch sagen: Die Objektivität der Weltist durch die Gesamtheit der Taten aller Lebewesen garantiert undbesteht für jeden, der an diesen Taten beteiligt war, solange eran der Welt durch ein Medium des Leidens teil hat. Die Welt alsdas Erleiden von Objektivem wäre nur dann nicht mehr, wenn alleWesen erlöst sind. Dies ist das utopische Ziel der Bodhisattvas.

Ein vollkommener Bodhisattva besitzt die erlösende Er-kenntnis und geht doch wieder in neue Geburten ein. Der Grund

Page 86: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 87

dafür ist nicht der Daseinsdurst, sondern das Mitleid. Außerdemgibt es für ihn nicht Karma abzubüßen, sondern nur die Aufgabezu wirken. Durch viele Geburten hindurch hat ein Bodhisattvanicht nur eine große Menge Verdienst angesammelt, sondern auchseine Untaten restlos abgebüßt. Er ist schuldlos (anaghah). Under ist frei von Verblendung. Dharmakirti legt größten Nachdruckauf die Peststellung, daß Mitleid nicht durch das Sehen eines Ichbedingt sei. Davon ist der Bodhisattva völlig frei. Es ist also keinFehler (do$ah), sondern geht aus der Natur der Sache hervor,ist einfach Ergebnis klaren Erkennens bei dem, der sich demAnblick des Leids nicht verschließt. Damit ergibt sich die merk-würdige Situation, daß einerseits das Weiterbestehen der Bodhi-sattvas exakt kausal begründet wird — das Mitleid ist zureichendeBedingung für eine neue Geburt —, anderseits ein Kausalvorgangstattfindet ohne das Nichtwissen (avidyä) als oberstem Prinzipund ohne das Ergebnis einer Vergeltung (vipäkah). Es wird viel-mehr ein Medium des Wirkens geschaffen. Dieses Ergebnis könntemit dem Begriff eines Verwandlungskörpers (nirmätyalcäyah)umschrieben werden. Aber dazu sagt Dharmakirti nichts.

Nicht daß er dazu nichts sagt — schließlich ist in den Ma-häyänasästras genug über die Körper der Buddhas geredet wor-den59 — , fordert zu einer kritischen Bemerkung auf, sondern dieexakte Einarbeitung des Weiterbestehens der Bodhisattvas indie Kausalitätslehre. Es drängt sich die Vorstellung auf, daß derhelleuchtende Geist (prabhäsvararri cittam) weiterhin in Augen-blicke unterteilt ist. Das bedeutet : in der letzten metaphysischenAussage ist der Anätmaväda nicht überschritten, und hat folgendeKonsequenz. Im System der Augenblicklichkeit kann die Einheitdes Handelnden und der Bezug des Begriffs auf die Anschauungnicht wirklich gelöst werden, weil die Erinnerung nur mechanisch,nie aber erkenntnismäßig gesehen werden kann60. Zur Vereinigungder Probleme des Begriffs und Anschauung hätte Dharmakirtiwie beim Problem der Anschauung zu einem Überbegriff vorstoßenmüssen, diesmal dem der Nichtzweiheit von Ich und Nichtich. Damithätte er, wenn auch nicht das Problem gelöst, so doch den Raumdafür geschaffen. Vielleicht war er sich des Problems nicht bewußt.

59 Vgl. Frauwallner P B S. 257.60 Vgl. B . Heintel : „Der Begriff des Menschen und der spekulative

Satz" in Hegelstudien Band 1, Bonn 1961, S. 215, wo auf die Schwierig-keiten hingewiesen wird, die H u m e mit der Erinnerung ha t .

Page 87: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

88 Tilmann Vetter

Doch etwas anderes ist mehr zu beachten. Die Nichtzweiheit derMädhyamikas schenkt sich den Verstand und das bestimmteErkennen. Dharmakirti ging, um bei der Anschauung überhauptnoch etwas sagen zu können, zum Idealismus des Selbstbewußt-seins über. Im „metaphysischen" Bereich, in dem wegen seinesdirekten Bezugs auf das Handeln eindeutige Aussagen verlangtwerden, hätte er sich gewiß zur augenblicklichen Erkenntnisbekannt und wäre nicht wegen des Problems der Erinnerung zumSeelenbegriff übergegangen (vgl. II, 269), obwohl die Positiondes Prabhäsvaram Cittam die größte Nähe des Buddhismus zumÄtmaväda bedeutet. Augenblicklichkeit und Ewigkeit sind ebenVerstandeskategorien und der in der Mitte liegenden Wahrheitnicht fähig61. So bleibt, zumindest in Indien, den Denkern, diezu Fragen im metaphysischen Bereich Stellung nehmen wollen,nichts übrig, als in Opposition zueinander zu stehen, auch wennsie im Grunde das Gleiche meinten. Sie bleiben vom Standpunktder den Buddha hier ganz richtig interpretierenden Mädhyamikasin den Sackgassen der Einseitigkeiten stecken. Auch hier könnteman das Wort anbringen: „Wie man es auch macht, Fehler lassensich nicht gänzlich vermeiden" (p. 48, 5).

61 Der Pudgalavädin will bekanntlich durch die Unaussagbarkeit(anirvacaniyatä) des Pudgala die Mitte erzwingen. Aber mit der Unaussag-barkeit ist nichts gesagt (vgl. II, 202 — 204). Buddhist sein heißt eben meist,beim Nicht ich zu bleiben, weil man den Seeienbegriff für gefährlich hält.

Page 88: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Anhang I

Sein und Seiendes in der indischen Philosophie

Der folgende Exkurs zeigt, wie Dharmakirti's Auffassung vomObjekt der Anschauung als Katalysator in der Entwicklung desVedänta gelten kann :

In dem bekannten Rigvedahymnus X, 129 wird oft über-setzt: „Weder Nichtsein noch Sein war damals . . ."62 oder ähnlich.Im Text steht aber: „Weder Nichtseiendes (asat) noch Seiendes(sat) war damals . . . " Da es im Sanskrit keinen Ausdruck gibt,welcher der Bildung nach unserem , ,Sein' ' (Verbalsubstantiv)entspricht, scheint es fraglich zu bleiben, ob an dieser Stelle nichtdoch Nichtsein und Sein einsetzbar seien. Das Abstraktum „sattä"(Seiendheit), das gewöhnliche Wort für Sein, kann nämlich invedischer Zeit kaum vorausgesetzt werden6*. Die Sorglosigkeitjedoch, mit der hier meist übersetzt wird, läßt es angebracht er-scheinen zu untersuchen, ob gute Gründe vorliegen, statt deseinfach dastehenden Seienden von Sein zu reden. Zu diesem Zwecksoll ein kleiner Gang durch die indische Philosophiegeschichte•— beginnend mit dem Rigvedahymnus — gemacht werden.Dabei soll darauf geachtet werden, ob es einen Seinsbegriff gibt,der sich in ontologischer oder mystischer Weise von der abstraktenSeiendheit abhebt, und unter welchem Ausdruck er läuft.

1. Der zitierte Satz des Rigvedahymnus kann zunächsteinmal betrachtet werden als Anfang einer Tradition der Begriffs-aufreibung, wie sie später im Mädhyamikasystem ihren Höhepunkterreicht. Die Mädhyamikas stellen die Dialektik des Begriffs inden Dienst der erlösenden Einsicht (prajnä), nicht einer konstruk-tiven Philosophie. Bei dieser Destruktion der Begriffe bleibt auchder Seinsbegriff nicht verschont. Er ist unzulängliches Prädikatdes Absoluten und abhängig vom Begriff des Nichtseins. Von

62 K . F . Geldner, Der Rigveda , H a r v a r d Or. Ser. 33 — 36, CambridgeMass. 1951, I I I . B a n d S. 359 — 361. Auch im folgenden alle R igvedaz i t a t enach Geldner.

63 Vgl. J. Wackernagel - A. Debrunner, Altindische Grammatik II, 2,Göttingen 1954, § 462 und § 527.

Page 89: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

90 Tilmann Vetter

diesem Standpunkt aus ist es gleichgültig, ob man Nichtsein undSein oder Nichtseiendes und Seiendes sagt. Prüfen wir, wieweitsich der Rigvedahymnus einer solchen Auslegung fügt. Es heißtin Geldners Übersetzung weiter: „. . . nicht war der Luftraumnoch der Himmel darüber. Was strich hin und her ? Wo ? In wessenObhut ? Was war das unergründliche tiefe Wasser ?" und in Vers 2:„Weder Tod noch Unsterblichkeit waren damals; nicht gab esein Anzeichen von Tag und Nacht." Bis hierher spräche nichtsgegen die Gleichgültigkeit des Einsetzens von Nichtsein oderNichtseiendem bzw. Sein und Seiendem. Während „Tod" und„Unsterblichkeit" die Übersetzung „Nichtsein" und „Sein"nahelegen, erscheinen „Luftraum" und „Himmel" wie Beispielevon „Seiendem".

Nun findet innerhalb des Hymnus ein Bruch statt, der genaudem unvermittelten Ereignis entspricht, das die Weltentstehungdarstellt. Wie man das Vorhergehende auslegt und übersetzt, wirdsich nun auch danach richten, wie weit an einer Einheit des Ge-dichts festzuhalten ist. Der Dichter jedenfalls fordert in Vers 4eine solche Einheit. Es heißt nämlich weiter (Vers 2): „Es atmetenach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses EINE, irgendeinanderes als dieses war weiter nicht vorhanden. / (Vers 3 :) Im Anfangwar Finsternis in Finsternis versteckt. All dieses war unkenntlicheFlut. Das Lebenskräftige, das von der Leere eingeschlossen war,das EINE wurde durch die Macht seines heißen Dranges geboren./(Vers 4:) Über dieses kam am Anfang das Liebes verlangen, wasdes Denkens erster Same war. Im Herzen forschend machten dieWeisen das Band des Seins (im Text: des Seienden) im Nichtsein(im Text: im Nichtseienden) ausfindig."

Zu dieser Darstellung der Weltentstehung, die in einem ge-wissen Gegensatz zu der Schilderung des Absoluten als Unvor-denklichem zu Beginn des Hymnus steht und doch auch darananknüpfen möchte durch das „Band des Seienden im Nicht-seienden", gibt es nun eine klare Stellungnahme der indischenTradition selbst. Die Chändogya-Upanisad, die noch in III, 19, 3an dieser Lehre festhält, bringt in VI, 2, 1 ff. unter dem NamenUddälaka's folgende Belehrung: „Seiend (sat) nur, o Teurer,war dieses am Anfang, EINES nur ohne ein Zweites . . . Wiekönnte aus dem Nichtseienden das Seiende geboren werden?"64.

64 P. Deussen, Sechzig Upanishad's des Veda, Leipzig 1897. Auchdas nächste Zitat nach Deussen.

Page 90: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 91

Die Welt entsteht nicht, indem das Seiende aus dem Nichtseiendenhervorgeht, sondern indem aus dem SEIENDEN Glut, Wasserund Nahrung evolvieren. Alles was in einer bestimmten Formexistiert, besteht aus diesen drei Elementen und damit aus demEinen Seienden: „Was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus demist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du(tat tvam a$i), o Övetaketu".

Wenn der Marxist W. Ruben im Anschluß an diese Belehrungaus Uddälaka den ersten indischen Materialisten machen will65, sokann er sich allerdings nur auf ein sehr kurzes Textstück berufen.Der etwa am Anfang des VIII. Kapitels oder III, 14, 3 — 4 vonSändilya verkündeten Herzmystik steht tatsächlich im VI. Ka-pitel eine Alleinheitslehre gegenüber, die materialistisch — auchim erbaulichen Sinn (VI, 15, 2) — interpretiert werden kann.Aber diese Alleinheitslehre wird nicht konsequent durchgehalten.Während die Beispiele vom Honig (VI, 9) und von den Flüssen(VI, 10) durch den Hinweis auf die unbewußte Einheit der Lebe-wesen eine materialistische Interpretation stützten, befinden wiruns schon mit dem nächsten Beispiel (Baum mit absterbendenZweigen VI, 11) bei einem Denken, das Seele (Leben) und Materietrennt. Wird diese Trennung aufrechterhalten, dann bleibt ent-weder der Weg des Dualismus, wie ihn das Sämkhya im Anschlußan die Chändogya-Upanisad gegangen ist : hier Urmaterie und ihreEvolution, dort Purusa (vgl. VIII, 12, 1 — 3); oder der Weg, vonder Mystik aus, die ja auch behauptet: ,,all dies ist Brahma**(III, 14, 1), die Evolution aus dem Einen Seienden idealistischzu interpretieren und dem in einer bestimmten Form Existierendenein wahres Sein abzusprechen, wie es später der Vedänta tut.

2. Dieser idealistische Strom soll nun kurz in seinen Anfängenbeleuchtet werden. Bei der Frage, was er mit Seele (ätmä) meint,halten wir uns zunächst an die Brhadäranyaka-Upanisad, Nichtmehr das Schauern vor dem unvordenklichen Leeren, sondern dieErfahrung von machtvollem Wissen und Wonne steht im Zentrumder Aussagen. Ein dinglich Gegebenes wie Wasser, Atem oderFeuer als das eine lebentragende Element anzusetzen gibt zwargewissen Einsichten in das Wesen der Welt eine Grundlage, kannaber die Seele nicht als Subjekt dieser hohen mystischen Erfahrungbestimmen. Daher ist weder etwas Gegenständliches noch das

65 W. Ruben, Geschichte der indischen Philosophie, Berlin 1954,S. 25-27 und S. 87-94.

Page 91: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

92 Tilmann Vetter

Denken (manah) eine zutreffende Bestimmung. Die beste Bestim-mung scheint „Erkennen" (vijnänam) zu sein, doch auch nur,wenn mit den gehörigen Negationen vermittelt. BrhadäranyakaIII, 4, 2: „Nicht sehen kannst du den Seher des Sehens, nichthören den Hörer des Hörens, nicht denken den Denker des Denkens,nicht erkennen den Erkenner des Erkennens. Das ist deine Seele,die allem innewohnt. Was davon verschieden ist, ist leidvoll."Oder III, 8, 8: „ . . . es ist nicht grob und nicht fein, nicht kurzund nicht lang . . . ohne Inneres und ohne Äußeres . . . " OderIII, 9, 26: „Das ist diese Seele, von der es heißt: Nein, nein (netineti). Sie ist unfaßbar . . . unzerstörbar . . . nicht haftend . . . sieist nicht gebunden, sie wankt nicht und leidet keinen Schaden."66

Der legitime Erbe dieser unter dem Namen Yäjfiavalkya'süberlieferten Lehren war der Buddha. Konsequenterweise ent-fernte er auch noch den Seelenbegriff. Der Versuch der Sarvästi-vädins, das Nirväna als un-bedingt Seiendes (asamskrtadharmah)zu fixieren, muß demgegenüber als ein Rückfall in gegenständlichesDenken angesehen werden. Und nur als Gegenzug hierzu ist esverständlich, wenn die Sauträntikas, die in konsequentem Zuende-denken des Anätmaväda das Sein dem bedingt Seienden vorbe-halten, das Nirväna als Nichtsein (abhävah) bezeichnen. DasMädhyamikasystem erscheint noch als angemessenste Inter-pretation der Absicht des Buddha. Es zieht in seine Aufreibungder Begriffe auch den Gegensatz Sein-Nichtsein hinein und beruftsich mit Recht auf das alte Buddhawort: „Weder ist der Tathägatanach dem Tode, noch ist er nicht, noch kann man sagen, daß ersowohl ist als auch nicht ist, noch kann man sagen, daß er wederist noch nicht ist" (Majjh. I p. 426). Das in bestimmter FormExistierende ist für dieses Denken nichts Wahres67.

3. Die Systeme der Sarvästivädins, der Jainas und des Vaise-sika sind die uns relativ gut überlieferten Vertreter eines auf denGegenstand gerichteten Denkens in der indischen Philosophie.Das Vaisesika repräsentiert am deutlichsten diese Art. Was esgegenüber den erstgenannten Systemen auszeichnet, ist, daß esvon Haus aus nicht Erlösungslehre ist, sondern schon immerund zuerst Interesse für die Natur war und erst nachträglich miteiner Erlösungslehre versehen wurde. Damit hat es weniger einen

66 Die drei Z i ta te nach Frauwal lner , G. i. P h . I S. 70 — 71.67 Vgl. E . Frauwal lner , P B S. 132ff. u n d S. 19ff.

Page 92: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 93

psychologischen (Sarvästivädins) oder erlösungsphysikalischen (Jai-nas) Gegenstand, sondern einen echten Gegenstand der Natur.

Das Seinsverständnis geht von der alltäglichen Erfahrung aus,nicht von der mystischen. Das bedeutet, daß man einen endlichenpraktischen Horizont hat, vor dem am Untergang eines Dingesimmer jemand oder etwas schuld ist, nicht einen unendlichentheoretischen, vor dem der schließliche Untergang der Dinge nurmit Resignation hingenommen (Buddhismus) oder ein die Unver-gänglichkeit einschließender Seinsbegriff nur durch die Aus-schließung des Gegenstands befriedigt werden kann (Vedänta).Das Vaisesikasystem, wie es uns dann bei Prasastapada vorliegt,stellt die Verschmelzung einer Naturphilosophie mit einer wohleinmal von der Sprachbetrachtung ausgegangenen Kategorien-lehre dar. Das System gibt eine Bestandaufnahme der einfachenund ewigen Bausteine der Welt sowie ihrer Verbindungen undVerhältnisse und benutzt dafür die sechs Kategorien Substanz,Eigenschaft, Bewegung, Gemeinsamkeit, Besonderheit und In-härenz als Einteilungsschema. Diese Einteilung bringt den eigent-lichen Charakter der Kategorien — Arten des Seins der Substanzzu sein — in ein schiefes Licht. Da bei den Elementen die Atomeals erste Substanz gesetzt sind, muß das Ding der Wahrnehmung,der wohl ursprüngliche Gegenstand der Kategorien, in der Lehrevom Ganzen (avayav!)6$ umständlich wiedergewonnen werden.Anderseits freilich garantieren die Kategorien, daß es sich bei demAggregat der Atome um ein Ganzes handelt, und nicht um einebloße Anhäufung von Atomen. Eine Anhäufung könnte nämlichdie Dauer und das In-sich-Zentriertsein der Dinge nicht erklären.Das Ganze hat damit also einen von der einfachen Substanz hergedachten ewigen Seinsbegriff. Es ist anderseits gegenüber diesenseinen , ,Ursachen ' ' etwas Neues (asatkäryavädah), womit sichseine Vernichtung erklären läßt.

Die sechs Kategorien erscheinen als Zerlegungen des Seiendenals solchen. Merkwürdigerweise ist aber das Sein (sattä), dasSubstanzen, Eigenschaften und Bewegungen zukommt, selbstwieder kategorial gefaßt. Es ist oberste Gemeinsamkeit ohne jedeBesonderheit. Die Kategorien Gemeinsamkeit, Besonderheit undInhärenz sind nun, im Gegensatz zu den drei ersten Kategorien,nicht dadurch, daß ihnen dieses Sein inhäriert, sondern durch einSein in sich (svätmasattvam) : sie sind nur durch Erkenntnis

68 Vgl. E. Frauwallner, G. i. Ph. II S. 162-186.

Page 93: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

94 Tilmann Vetter

charakterisiert (buddhilaksanatvam) und es kommt ihnen nichtSein (sattä), sondern nur Ist-heit (astitvam) zu. Mit diesen eigen-artigen Formulierungen stößt das Vaisesika zur transzendentalenProblematik vor, ohne sie freilich als solche zu haben69.

4. Das Vasiesika hat einen erheblichen Einfluß auf die Be-grifflichkeit aller indischen Systeme nach der Zeitenwende gehabt.Dadurch, daß es Sein (sattä) in die Kategorien — das Systemdes Erkennbaren (jheyam) und Benennbaren (abhidheyam) —einordnete, hat es ihm einen nicht mehr zu beseitigenden Charakterder Abstraktheit gegeben. Um es mit Worten N. Hartmanns,dessen Denkweise der des Vaisesika nicht ganz unähnlich ist,zu beschreiben: „ . . . das bedeutet, daß man nicht etwa nacheinem einheitlichen Seienden hinter der Mannigfaltigkeit allesSeienden zu fragen hat — das würde von vornherein das Suchennach einer Substanz, einem Absoluten oder sonst einem Einheits-grunde bedeuten, und dies müßte ja selbst wiederum ein Seinhaben —, sondern nach dem, was das schlicht ontisch verstandeneGenerelle darin ist".70

In Indien wurden aber die größten gedanklichen Anstren-gungen gerade darauf verwendet, „von vornherein nach einerSubstanz, einem Absoluten oder sonst einem Einheitsgrunde zusuchen" und in eins damit die eigene (ätmä) Existenz zu erklären.Das brahmanische System, welches zunächst das Erbe der Upani-schaden übernahm, das Sämkhya, war an der zweiten Aufgabegescheitert. Auch die bestgemeinten Gleichnisse (wie vom Lahmenund Blinden usw.) konnten nicht darüber täuschen, daß mit diesemSystem nicht zu erklären war, wie es zu einer Erlösung kommt.Der Purusa ist nämlich schon immer frei und die Materie empfindetnichts. Das Sämkhya war zwar ein Versuch der Synthese vonprinzipieller Naturerklärung und mystischer Erfahrung, aber dieeigentliche Leistung lag auf der ersten Seite : in seiner Evolutions-lehre und Psychologie. Um zu erklären, wie Erlösung möglichsei, konnte man an Stelle der Urmaterie (prakrtih) das Nichtwissen(avidyä) als Prinzip der Welt einsetzen. So legte der Vedänta dieUpanischaden aus. Es ist klar, daß damit die Natur aus dem Blick-feld verschwindet. Vom Sämkhya ist er aber insofern abhängig.

69 Vgl. E. Frauwallner, G. i. Ph. I I S. 1 9 7 - 1 9 8 .70 N. Hartmann, Zur Grundlegung der Ontologie, 1935, S. 41. J.

Hoffmeister, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Hamburg 1955,s. v. Sein.

Page 94: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 95

als er meist seine Psychologie benutzt und das Nichtwissen oftziemlich substantiell faßt. Will man — um nämlich nicht in denVerruf zu kommen, mit den buddhistischen idealistischen Systemenetwas gemein zu haben — beim Nichtwissen und hinsichtlich deswahren Prinzips ontologisch vorgehen, so bleibt, wenn man einenneuerlichen Dualismus vermeiden will, nur der Ausweg, das Nicht-wissen als unbestimmbar (anirvacaniya) zu bezeichnen.

Beim Sämkhya waren die Begriffe des Seins und des Seiendenweitgehend für den Bereich der Materie in Gebrauch. Da die Materiezweites Absolutes ist, und ihr in gleicher Weise Sein zukommt wiedem Geist, kann die Vergänglichkeit der Dinge nur als Veränderungerklärt werden (parinämavädah). Gegenüber dem Vaisesikaformuliert sich diese Auffassung als die Lehre, daß jede Wirkungin der Ursache vorhanden ist ( satkäryavädah ) . Wir haben fernerein Fragment7 *, in dem die erste Entfaltung der Natur, derMahän (der Große), als reines Sein (sattämätro mahän) bezeichnetwird. Damit ist wohl ein erstes Inerscheinungtreten ohne jedeBesonderung gemeint. Unter Sein dürfte Sichtbarsein zu ver-stehen sein. Früher hatte man die drei Eigenschaften (guriäh),solange sie sich im Zustand gleicher Verteilung befinden, weder -seiend-noch-nichtseiend (nihsadasantah) genannt. Wie eine un-gewollte Unterstützung des Vedänta klingt es nun, wenn Vindhy-aväsi die Urmaterie, um sie gegen das reine Sein des Mahän ab-zugrenzen, weder-seiend-noch-nichtseiend nennt72.

In Vedänta werden durch die Ausschaltung der Urmateriedie Begriffe des Seins und Seienden frei für die Ontologie desÄtman oder Brahma. Zunächst scheint man darangegangen zu sein,den Ätman in ähnlicher Weise vom unterschiedlich Gestaltetenabzusetzen wie das Sämkhya den Mahän von den gestalthaftenEntfaltungen der Natur. Ein Upanischadzitat „das ist dieserungeborene Ätman" (vgl. Brhadäranyaka IV, 4, 24) las man mitder Erweiterung „dessen Merkmal das Sein ist" (sattälaksanah)1*.Das Sämkhya war historisch schon zu sehr am Ende, als daß esdiese Bestimmung hätte beeinträchtigen können. Die Schwierig-keiten kamen nun von einer andern Seite. Will man sagen, daß

71 G. Oberhammer, On the Sästra Quotations of the Yuktidïpikâ,Adyar Library Bulletin Vol. XXV, p. 165.

72 E. Frauwallner, G. i. Ph. I S. 353 und 402.73 Brahmasiddhi, ed. S. Kuppusvami Sastri, Madras G. O. M. S. No. 4,

S. 37, 19 — 23. Sämtliche Brahmasiddhizitate verdanke ich L. Schmithausen.

Page 95: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

96 Tilmann Vetter

der Ätman von allen Unterschieden frei ist, und bestimmt ihnals das Allgemeine (sämänyam), und verwendet dabei das WortSein (sattä), dann besteht die Gefahr, daß auf Grund des Ein-flusses des Vaisesika das, was von der Upanischadtradition ge-meint ist, unterbestimmt wird. Wenn sich der Begriff „Sattä-dvaita" nicht halten konnte, so zeigt sich daran, daß der Vedäntakeine abstrakte Identifizierung von Seele und Welt will. Das„Sein" war offensichtlich nicht geeignet, die Ontologie des Brahmazu tragen.

Mandana, dem an diesem Punkt für die Entwicklung desVedänta nun eine entscheidende Bedeutung zukommt, setzt inseinen Argumentationen das System Dharmakirti's voraus. Dhar-makîrti kennt nur Einzelnes in bestimmter Form Existierendes alsObjekt der Anschauung. Die Beschreibung des Einzelnen folgtder Beschreibung des Realen (vastuh), das als letztes Ziel desHandelns in der vorstellungsfreien Erkenntnis (nirvikalpakamjnänam) erlebt wird. Der feststellende Begriff kann bei Beschrei-bung des Objekts der Anschauung lediglich sagen: Es handeltsich um das Seiende (sat) oder das reine Wirkliche (vastumätram)oder das, was sein Merkmal in sich selbst hat (svalaksanam).

Selbst wenn es offen bliebe, ob das Objekt der Anschauungeine Einheit ist oder eine unterschiedliche Vielheit, würde es dochdie Praxis in jedem Moment mit einem andern von anderem klarabgegrenzten Individuum zu tun haben. Für Mandana entscheidetsich diese Frage jedoch nicht aus dem Handeln, sondern aus denErfordernissen der Theorie des Brahma und so kommt er beiAnerkennung des gleichen Realitätsgrades, was Einheit und Unter-schiedlichkeit betrifft, zum entgegengesetzten Ergebnis wie Dharma-kïrti. Wenn man mit diesem meint, daß die Anschauung immerschon ein unterschiedliches Eigenwesen der Dinge antreffe, dannist das Schriftwort hinsichtlich des Einen Zweiheitlosen (ekasminnadvaye) nicht Beweis und Autorität; denn es würde der Wahr-nehmung widersprechen. Deshalb ist anzunehmen, daß es in derAnschauung keine Unterschiedlichkeit gibt und daß diese erstdurch die Vorstellung geschaffen wird. Daß die Wahrnehmungnicht der von der Schrift behaupteten Einheit widerspricht,wird so bewiesen: Anschauung ist nur affirmativ (vidhätr), niemalsnegativ (niseddhr). Von Dharmakirti hat man ja gelernt, daß derBegriff sein Objekt durch Sonderung trifft. Diese Sonderung kannnur gegenüber einem Seienden stattfinden. Ohne Affirmationkeine Negation. Daß sich die Negation schon in der Anschauung

Page 96: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 97

abspiele, ist aber nicht anzunehmen. Daher ist die Anschauungdie Affirmation des Eigenwesens des Realen (vastusvarüpavidhih)14.Da diese Affirmation keine Negation kennt, ist bei ihr keine Unterschiedlichkeit anzutreffen. Gegen Dharmakirti kann man sagen:Die Anschauung hat nur das Allgemeine (sämänyalahsanam) zumObjekt, während jedes Besondere erst durch die Vorstellung( = Nichtwissen) geschaffen wird. Dieses Allgemeine ist aber nunnicht mehr abstrakt, sondern das Wirkliche in seiner wahrenForm. Das reine Seiende (sanmätram) — so lautet jetzt dieBezeichnung75 — ist das Eine Zweiheitlose. Dieses Eine ist nichtdas vielheitliche All (a-sarvam) und doch alles (sarvam)16, dennes ist nicht die Form und doch das Wesen der Welt.

5. Es kann nicht die Aufgabe dieses Exkurses sein, das ThemaSein und Seiendes in der indischen Philosophie erschöpfend zubehandeln. Es sollte auf die Hauptpunkte der Entwicklung hin-gewiesen werden. Wie sehr sich andere Vedäntins in ihrer Auf-fassung des Nichtwissens (avidyä) und der damit verbundenenObjektivität des Scheins77 oder der stärkeren Betonung desGeistes (cit) von dem stark von Dharmakirti (Nichtwissen istVorstellung) beeinflußten und anderseits mehr ontologisch vor-gehenden Mandana unterscheiden mögen, durch Mandana ge-schieht es, daß das Seiende (sat) im Vedänta zum gesichertenPrädikat des Brahma wird, was es bei Öankara (vgl. Kommentar zuBrahmasütra II, 3, 9) wohl nur in ungebrochener Tradition ist.

Damit ist die Lehre Uddälakas vom Ursprung der Vielheitaus dem Einen Seienden, die eine materialistische Auslegung zu-läßt und Vorbild für die Evolutionslehre des Sämkhya war, wirklichfür den Vedänta gewonnen, nämlich über das Nichtwissen: dieWelt geht gar nicht aus dem Einen Seienden hervor; es bildetaber das notwendige Substrat dieser Projektion.

Der spätere Vedänta hat in dem Kompositum Sac~cid-änanda(das Seiende, Geist, Wonne) die Bestimmungen des Brahma aufeine übersichtliche Dreizahl reduziert. Nun wird deutlich sichtbar,

74 Brahmas iddh i S. 39, 1 - 6 u n d S. 44, lOff.75 Z u m Beispiel B rahmas iddh i S. 58, 20. Auf das Allgemeine als Objekt

der Anschauung u n d den Wechsel von Sein u n d Seiendem h a t schon B . Gupta ,Die Wahrnehmungs l eh re in der Nyayamanjar ï , S. 81 — 85 hingewiesen.

76 Einle i tungsvers der Brahmas iddhi .77 Vgl. P . Hacker , Vivar ta , Akad . d. Wiss. u. d. Li t . (Mainz), Ab-

handl . der geistes- u . sozialwiss. Klasse J a h r g a n g 1953 Nr . 5, S. 234ff.

Page 97: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

98 Tilmann Vetter

was spätestens seit Padmapäda78 durch die Hereinnahme des„sat" in die Bestimmungen des Brahma einerseits großartigeSetzung, anderseits, soll es sich nicht um bloße Worte handeln,Problem der Vermittlung von ursprünglich objektivem (sat) undsubjektivem (cid-änanda) Ansatz bedeutet. Es wird Aufgabeweiterer Forschung sein zu zeigen, wieweit sich einzelne Vedäntinsum diese Vermittlung bemüht haben.

Was den Rigveda betrifft, so ginge es noch an, Sein stattSeiendes einzusetzen, wenn nur der erste Vers erhalten wäre. Daaber der Hymnus eine Einheit sein will und zu den folgendenVersen eine Stellungnahme der indischen Tradition selbst vorliegt,sollte das in einer philologisch-historischen Übersetzung besserunterbleiben. Denn auch Uddälaka setzt dann in nur ontischerDifferenz das Seiende als erstes. Das Merkwürdige an der Ent-wicklung der indischen Philosophie ist eben, daß erst seit Mandanader Ausdruck „satu dazu dient, das Seiende vom einzelnen Seien-den so abzuheben, daß es mehr ist als ein nur ontisches Prinzip.Ab diesem Zeitpunkt haben wir in Indien das „Seiende" in einerontologischen Bedeutung wie bei einigen europäischen Systemendas „Sein".

Anhang II

Polemik gegen die Realität einer Gemeinsamkeit

Die folgende Übersetzung bringt einen der zusammenhängend-sten und klarsten Abschnitte des Pramänavärttikam I. Erläute-rungen dürften überflüssig sein. Es sind die Seiten und Zeilen derAusgabe von R. Gnoli angegeben (p. . . .) und — hin te r deneingestreuten Versen — die Verszahlen nach der alten Zahlung,von der Gnoli jeweils um zwei Nummern abweicht. Nach jederVersangabe ist eine Wiederholung des Gedankens (Kommentar)zu erwarten. Die Ergänzungen in Klammern, vor allem der Prono-mina, folgen meist Karnakagomin, der bis auf ganz schwierigeStellen, wo man manchmal mit eigenem Nachdenken weiter kommt,äußerst zuverlässig ist.

Man beachte, daß im folgenden die wie Alternativen aus-sehenden drei Hauptpunkte — 1. Vorhandensein der Gemeinsam-

Einleitungsvers der Paficapädikä.

Page 98: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 99

keit ist entweder Getragenwerden (p. 69, 19—72, 11) oder Ge-offenbartwerden (p. 72, 11 — 75, 9), 2. die Gemeinsamkeit als realeist entweder etwas anderes als das Einzelding oder nichts anderes(p. 75, 9—76, 5) und 3. die Gemeinsamkeit als anderes Ding istentweder nur an ihrem Träger befindlich (p. 77, 2 — 78, 11) oderallgegenwärtig (p. 78, 12—79, 8) — im ersten und im dritten Fallals vom Gegner selbst herangebracht erscheinen. Nur im zweitenFall und innerhalb der Diskussion über das Getragenwerden(p. 71, 30—72, 10) handelt es sich um rein logische Alternativen.Das übrige wird an der Sauträntikaontologie — Realität ist Kau-salität — gemessen und an den Systemvoraussetzungen des Vaise-sika selbst ad absurdum geführt.

(p. 69, 9) Der Gegner meint: Auch auf Grund des Vorhanden-seins (vrttih) eines einzigen Dings (nämlich der Gemeinsamkeit)dürften mehrere Dinge mit Einem Wort bezeichnet werden (I,145 ab). Es mag dir zugestanden sein, daß man gewisse Dinge,welche die gleiche Wirkung haben, auf Grund des Nichtunter-schieds des Unterschieds von anderen als ihnen mit Einem Wortbezeichnet, aber es ist auch der Fall, daß man mehrere Dingewegen des Vorhandenseins eines Einzigen (nämlich der Gemein-samkeit) mit Einem Wort bezeichnet. Wieso sollte das einen Wider-spruch enthalten ?

(p. 69, 13) Antwort : Dazu wurde unter anderem gesagt :(Diese zweite Auffassung ist nicht möglich,) weil es dieses (Einzige),soll es wahrnehmbar sein, nicht gibt; denn es wird (offensichtlich)nicht gesehen. Soll es aber nichtwahrnehmbar sein, (wie können)dann auf seinem Sehen die Worte, das Wiedererkennen usw.beruhen ?

1. (p. 69, 15) Ferner ist ein Vorhandensein (vrttih), ob man essich als Getragenwerden (ädheyatä) oder als Geoffenbartwerden(vyaktih) vorstellt, bei der (Gemeinsamkeit) nicht möglich (I,145cd). Was ist dieses Vorhandensein jenes Einen, das an mehrerenvorhanden (auf sie) Ein Wort anwenden läßt ? Es könnte entwederein Getragenwerden sein — wie Früchte auf einem Teller vor-handen sind — oder ein Geoffenbartwerden, weil sie mittels derer(, an denen sie vorhanden ist,) offenbar werden soll.

(p. 69, 19) Angenommen, es liege Getragenwerden (ädheyatä)vor, (so gilt) : Es gibt für ein Ewiges, weil auf es nicht eingewirktwerden kann, keinen Träger (I, 146ab). Die Gemeinsamkeit wirdja als ewig angenommen. Denn wenn sie nicht ewig wäre, müßte

Page 99: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

100 Tilmann Vetter

es, weil eine nach der andern entstünde, mehrere Gemeinsamkeitengeben, und es wäre wie bei den Einzeldingen eine Erkenntnisderselben als Eine nicht möglich. Was aber tuend ( = durch welcheEinwirkung) könnte etwas eines Ewigen Träger sein ?

(p. 69, 23) Gegner: Weil ihnen die (Gemeinsamkeit) inhäriert,sind (die Einzeldinge) ihr Träger. Frage: Was ist denn diese In-härenz ? Gegner : Das Verhältnis von Träger und Getragenem beigesondert nicht vorkommenden (Dingen). Antwort: Gerade diesesTrägersein eines Nichteinwirkenden halten wir für unmöglich,aus Furcht vor zu weit reichenden Folgen (es wäre dann alles vonallem Träger). Daher sind Inhärenz und Verbindung (samyogah)und auch die Inhärenz in Einem Ding usw., wenn sie reale Ver-bindungen sein sollen, nicht vom Wirkung-Ursache-Verhältnisverschieden. Denn es gibt keine Verknüpfung von Dingen, dieweder eines vom andern noch (beide) von Seiten eines Dritteneine Einwirkung erfahren. Und was nicht verknüpft ist, ist nichtverbunden. Wenn es auch bei den Dingen, die Einem Ding in-härieren, keine gegenseitige Einwirkung gibt, dann muß es wenig-stens eine Einwirkung seitens dieses Einen geben, weil sich, wenn siefehlte, der oben genannte Fehler einstellen würde. Daher wird auch(bei der Inhärenz zweier Dinge in demselben Gegenstand) nur ver-mittelst einer Einwirkung (dieses Gegenstandes) selbst das eine vonder Erkenntnis mit dem andern verbunden und (so) erfaßt. Es wirdalso auch dabei eine Verknüpfung nur durch das Verhältnis von Wir-kung und Ursache hergestellt. Aus all dem ergibt sich, daß dieser Trä-ger, indem er nicht auf das eigene Wesen der Gemeinsamkeit einwirkt,ihr Träger wäre, ohne daß sie von ihm abhängig ist: ein geborgtesSchmuckstück (oder ein Schmuckstück, das man bei andern siehtund selbst gern haben möchte).

(p. 70, 12) Gegner: Wieso ist nun aber der Teller, der dieBadarafrüehte doch gar nicht erzeugt, ihr Träger? Antwort: DieWirksamkeit des Tellers usw. bei den Badarafrüchten usw. bestehtdarin, daß etwas, das (an sich) seine Lage verändern würde, (weiter-hin) am selben Ort entsteht (I, 146b—-d). Daß eine Substanz,die von Natur schwer ist, und bei der das Erzeugen ihrer Wirkungan nicht demselben Ort das Natürliche ist, ihre Wirkung am selbenOrt erzeugt, wird durch einen Träger bewirkt. Daher wird derTeller, der als mitwirkende Ursache des vorhergehenden Momentsder Früchte an derselben Stelle die Früchte als Wirkung hervor-bringt, Träger genannt. Andernfalls könnte man auch nicht sagen :„Früchte auf dem Teller" . . .

Page 100: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 101

(p. 71, 2) Daher gründet sich jede reale Verbindung auf einVerhältnis von Wirkung und Ursache, wobei kraft des besonderenBeteiligtseins eines Erzeugenden besondere Verhältnisse möglichsind. Deshalb besteht auch für den Teller usw. ein Trägerseinhinsichtlich der Früchte nur dadurch, daß er fähig ist, bei ihrerHervorbringung mitzuwirken. Auch eine solche (Fähigkeit) istbei der (Gemeinsamkeit) nicht möglich (I, 147a). Denn ein solchesTrägersein, das durch ein besonderes Hervorbringen gekenn-zeichnet ist, ist hinsichtlich der Gemeinsamkeit für den Trägerder Gemeinsamkeit nicht möglich, weil sie nicht hervorgebrachtwerden kann.

(p. 71, 9) Da die (Gemeinsamkeit) verweilt, auch wenn die(Einzeldinge) fehlen, ist ein Verweilen (sthitih) ebenfalls ausge-schlossen (I, 147bc). Der Gegner meint: Träger der Gemeinsamkeitist das, was sie verweilen läßt. (Er spricht) also vom Träger (Be-hälter!) nicht auf Grund des Hervorbringens (einer Sache), sondernauf Grund dessen, daß er Ursache ist für ihr Verweilen. Das istnicht richtig. Denn die (Gemeinsamkeit) bleibt, auch wenn die(Einzeldinge) nicht (mehr) sind.

(p. 71, 13) Bei Dingen nämlich, die eigentlich fallen müßten,wäre es vielleicht noch denkbar, daß etwas dadurch, daß es dasFallen hindert, ohne dabei hervorbringend zu sein, sie verweilenläßt; allerdings nur, solange niemand dieses „Hindern'' näheruntersucht. Dieses Hindern des Fallens ist nämlich kein weiteresDing, so daß es von etwas, das verweilen läßt, bewirkt werdenkönnte. Wenn es nämlich ein weiteres Ding wäre, dann würde sichdie Einwirkung des (Trägers) nur auf es beziehen. Wie ist es dannHindern des Fallenden ? Auch wenn man eine Nichtfallen auf Grunddes Hinderns annimmt, kann man in gleicher Weise weiter-fragen oder einen Regress ad infinitum feststellen (weil man zumNichtfallenden selbst nicht kommt).

(p. 71, 18) Darum ist das Hindern des Fallens das Nichtseindes Fallens. Wie könnte dies von irgendetwas bewirkt werden ?Der Ausdruck ,,es bewirkt ein Nichtsein*' (weist) nicht (auf eineEntität) „Nichtsein" (hin), die bewirkt würde. Denn wenn (sie)irgendwie die Form (== Dasein) einer Wirkung hätte, könnte (sie)kein Nichtsein sein. Der Ausdruck ist also so zu erklären, daßdamit das Bewirken eines Dings negiert wird, und bedeutet soviel wie: Dies bewirkt nicht ein Sein.

So bewirkt dies denn gar nichts. Es ist daher ebenfalls zu nichtsnütze: Wie soll es wessen Verweilen-lasser sein? Da jenes somit

Page 101: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

102 Tilmann Vetter

durch nichts aufgehalten würde, würde es überhaupt nie ver-weilen. Daher ist auch „Hindern des Fallens" nur ein Ausdruckfür das Hervorbringen augenblicklicher Dinge am selben Ort,(an dem sich) die ,materielle' Ursache (= der vorige Moment desDings) (befunden hatte).

(p. 71, 25) Aber geben wir einmal zu, es gäbe eine solcheHinderung der fallenden Dinge, die kein Hervorbringen ist. Essei auch etwas gegeben, das dadurch, daß es diese bewirkt, einebewegliche Substanz verweilen läßt. Was für ein Verweilen solldas, was verweilen läßt, bei der Gemeinsamkeit, die doch ohneBewegung ist, bewirken ? Denn Verweilen ist bei ihr nur dasMchtschwinden der eigenen Form. Und das ist nicht auf einenTräger angewiesen, weil sie ewig ist.

(p. 71,30) Auch ist das (Verweilen), ob man es nun als verschiedenoder nichtverschieden (von der Gemeinsamkeit) betrachtet, nichtdenkbar (I, 147 cd). Angenommen, es gäbe ein Verweilen derGemeinsamkeit, das durch den Träger verursacht ist. Diesesist nun etwas anderes als die Gemeinsamkeit oder es ist nichtsanderes.

(p. 72, 2) Wenn das (Verweilen) etwas anderes ist, dann be-wirkt der Träger nur das Verweilen. Das (Verweilen) ist nun mitder Gemeinsamkeit nicht verknüpft. Was hat die Gemeinsamkeitdann von ihrem Träger ? Soll aber (das Verweilen mit der Gemein-samkeit) verknüpft sein, dann ist zu fragen, worin diese Ver-knüpfung besteht. Wenn einer sagt: „Es ist Bewirken des Ver-weilens", dann ergeben sich die gleichen Folgen und ein Regressad infinitum. Weil seitens ihrer eine Einwirkung nicht festzustellenist, kommt man auch nicht zu der Erkenntnis: dies ist ihr Ver-weilen. Wenn einer sagt: „(Diese Verknüpfung) ist Hervorbringen",was soll (die Gemeinsamkeit dann) mit einem Träger, von demsie abhängig sein soll, der aber nicht auf sie einwirkt ? Abhängig-keit nämlich ist Verknüpfung damit und das ist bei der Gemeinsam-keit, an der keine Veränderung bewirkt werden kann, nicht amPlatz. Also brächte (die Gemeinsamkeit) allein (das Verweilen) her-vor. Also gibt es kein Anderes, das Ursache für das Verweilen wäre.

(p. 72, 9) Wenn das Verweilen von der Gemeinsamkeit nichtverschieden ist, dann ist es nichts anderes als die Eigenform derGemeinsamkeit und die ist ewig gegeben. Infolgedessen wird ihrVerweilen durch nichts bewirkt. Daher gibt es keinen Träger fürdie Gemeinsamkeit. Damit ist (die eine Möglichkeit), daß ihrVorhandensein ein Getragenwerden sein soll, erledigt.

Page 102: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 103

(p. 72, 11) Gegner: Das Vorhandensein an dem Träger dürfteein Geoffenbartwerden durch ihn sein, weil die Gemeinsamkeit,obzwar seiend, aber nicht offenbar, durch ein Einzelding Ursacheeiner Erkenntnis wird. Antwort: Das kann nicht so sein. Denngeoffenbart wird etwas, wenn es eines andern bedarf, um fähig zuwerden, eine Erkenntnis von sich hervorzurufen. Und das, wasUrsache dieser Fähigkeit ist, muß als Bewirkendes betrachtetwerden (I, 148). Wenn es von vornherein schon fähig ist, dann isteine Abhängigkeit davon nicht möglich. Wie kann das (Geoffen-bartwerden) der unveränderlichen Gemeinsamkeit vom Trägerder Gemeinsamkeit geleistet werden? (I, 149). Es gibt auf jedenFall keinen Unterschied zwischen Offenbarendem und Bewirken-dem. Was ein anderes Ding (so) hervorbringt, daß es fähig ist,eine Erkenntnis von sich selbst hervorzubringen, sei dies abhängigvon einer gleichartigen ,materiellen' Ursache oder nicht, das wirdOffenbarendes genannt. Bei andern (bewirkenden Dingen) aberwird dem Hervorgebrachten die Fähigkeit zum Hervorbringeneiner Erkenntnis nicht mitgeteilt. Also nur dadurch, daß es hervor-bringt, ist etwas Bewirker (des Offenbarwerdens).

(p. 72, 23) Wenn das, was von einem andern die Fähigkeitzum Hervorrufen einer Erkenntnis erhalten soll, nicht von diesemhervorgebracht ist, dann ist diese Fähigkeit als zu seinem Wesengehörig schon von vornherein gegeben. Es hängt also hinsichtlichdes Hervorbringens einer Erkenntnis nicht von jenem ab. Wennsie aber nicht zu seinem Wesen gehört, dann wird nur sie durch jenesandere und es ergeben sich die gleichen Folgen wie beim Verweilen(daß man nämlich nicht zu seiner Fähigkeit kommt: vgl. p. 72, 2).Daher wirkt ein Offenbarer nicht auf das (zu Offenbarende) ein,noch auf ein (von diesem) Verschiedenes. Und daß von etwas,das nichts bewirkt, Abhängigkeit bestehen soll, ist ein Wider-spruch.

(p. 73, 1) Gegner: Obwohl sie nicht hervorbringen, sindRauch usw. auf Grund ihres Wirkung-seins Offenbarer. Antwort:Sie sind freilich Offenbarer, aber wenn das Feuer auf den Rauchangewiesen ist, bringt es keine Erkenntnis von sich selbst hervor.Denn ein solches Feuer bringt keine unmittelbare Erkenntnishervor. Nur kraft der ,materiellen* Ursache (upädänam: Rauchist feuerartig) entsteht in diesem Fall eine Erkenntnis, nicht krafteines (unmittelbar gegenwärtigen) Objekts. Denn sie kommtzustande, auch wenn ein (unmittelbar gegenwärtiges Objekt)nicht gegeben ist, auf mittelbare Weise über ein Merkmal.

Page 103: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

104 Tilmann Vetter

Auch gibt es, wie wir bereits gezeigt haben und auch imfolgenden noch zeigen werden, für Erkenntnisse, in denen einAllgemeines (sämänyalaksanam) erscheint, keinen in der Nähebefindlichen Gegenstand ; noch entstehen sie kraft eines (unmittelbargegenwärtigen) Objekts. Welche Gegenstände daher durch un-mittelbare Einwirkung Erkenntnis hervorbringen und dabei voneinem andern abhängen, diese erlangen notwendig von diesemandern ihr Dasein (und daher kann man z. B. von Rauch auf Feuerschließen). Ein solches Erlangen ihres Daseins ist aber für die ewigeGemeinsamkeit von nichts her möglich. Daher kann sie durchnichts geoffenbart werden.

(p. 73, 11) Gegner: Wir bezeichnen nun nicht das Geoffenbart-werden der Gemeinsamkeit als Erlangen einer Fähigkeit, sondernals Inhärenz in ihrem Träger; denn in ihrem Träger inhärierendist sie Ursache einer Erkenntnis von sich oder einem Andern.Antwort: Darüber wurde schon gesprochen (vgl. p. 69, 23): Wasist diese Inhärenz, die das Verhältnis von Träger und Getragenemsein soll, bei (Dingen), die nicht Hervorbringendes und Hervor-gebrachtes sind ? Wenn die Ursache der Erkenntnis von derInhärenz in ihrem Träger abhängig ist, dann dürfte sie auch dadurchhervorgebracht sein ; denn sie war von Haus aus nicht Ursache dafürund wurde es später dadurch. Wenn es immer zu ihrem Wesengehörte, hätte schon vor der Inhärenz die Erkenntnis entstehenmüssen.

(p. 73, 18) Gegner: Das Einzelding ist nun nicht in der Weiseoffenbarend, daß es die Gemeinsamkeit beeinflußt, sondern so,daß es das die (Gemeinsamkeit) erfassende Sinnesorgan beein-flußt. Antwort: Daß das Sinnesorgan durch ein Einzelding wiedurch eine Augensalbe u. dgl. beeinflußt wird, ist nicht richtig,weil die Erkenntnis (einer Gemeinsamkeit) die gleiche ist zur Zeitder Anwesenheit des (Einzeldings) wie zur Zeit seines Fehlens(I, 150). Ein durch Augensalben u. dgl. behandeltes Sinnesorganbringt in die Erkenntnis eine gewisse Zusätzlichkeit durch denUnterschied von klar und weniger klar. Denn was diese Wirkungnicht tut, übt auch keinen Einfluß (auf das Sinnesorgan) aus.In der Weise gibt es aber keine Beeinflussung des Sinnesorgansdurch ein Einzelding, da hinsichtlich der Erkenntnis kein Unter-schied bestehen würde zwischen der Zeit, in der ein (Einzelding)vorhanden ist, und der Zeit, in der es fehlt (d. h. wenn die Beein-flussung des Sinnesorgans durch das Einzelding einer Behandlungdurch Augensalbe usw. verglichen werden könnte, dann müßte

Page 104: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 105

sie anhalten und könnte nichts zur Besonderung der je augen-blicklichen Erkenntnisse beitragen). Eine Beeinflussung des Ob-jektes dagegen dürfte dadurch, daß es, auch wenn beim Sinnes-organ kein Unterschied besteht, seine Besonderheit der (Erkennt-nis) einprägt, wirksam sein, nicht (aber) eine Beeinflussung desSinnesorgans.

(p. 74, 3) Gegner: Die Behandlung des Sinnesorgans wirktdadurch, daß sie hinsichtlich eines vorher nicht sichtbaren (Gegen-stands) die Fähigkeit des Sehens verleiht. Antwort : Wieso verändertsie dann nicht (grundsätzlich) die Erkenntnis, indem sie einenübersinnlichen Gegenstand zeigt ? Wäre sie aber auf Einen (Gegen-stand) beschränkt, so dürfte sie keine weitere (umfassendere) Ge-meinsamkeit sichtbar machen. Und wenn man die (Gemeinsamkeit)sähe auf Grund einer Beeinflussung des Sinnesorgans durch dasEinzelding, dann dürfte es bei den durch dieses offenbarten Ge-meinsamkeiten nicht so sein, daß man sie zu irgend einer Zeit nichtoder nur Eine bestimmen kann. Denn bei dem unteilbaren (Einzel-ding) besteht hinsichtlich der (Gemeinsamkeiten, d. h. allerGattungen, die in der untersten Art schon enthalten sind) keinUnterschied.

(p. 74, 8) Ob eine Beeinflussung des Sinnesorgans durch dasEinzelding nun stattfindet oder nicht, wTenn es das Wesen derGemeinsamkeit ist, Erkenntnis hervorzubringen, so müßte sie,da sie ihr Wesen nicht verliert, auch unabhängig von einer Be-einflussung des Sinnesorgans Erkenntnis hervorbringen. Gegner:Weil sie (dazu) der Mitwirkung des beeinflußten Sinnesorgans(bedarf), ist sie allein nicht fähig. Antwort: Was soll „Mitwirken"bedeuten bei etwas, an dem keine Unterschiede bewirkt werdenkönnen ? Vergängliche Dinge nämlich können dadurch, daß sievon einem mitwirkenden Ding eine besondere Art des Daseinserlangen, von diesem abhängig sein. Was nämlich ihr Dasein alshervorbringende (Ursache) ist, das entsteht eben dann auf Grunddes (Mitwirkenden). Daher ist ihre gegenseitige Abhängigkeitnichts als Her vorgebracht wer den. Die Gemeinsamkeit dagegen,die ohne Hinzuziehung eines Andern dauernd dieses Wesen (Er-kenntnis hervorzubringen) besitzen soll, wie kann die vom Sinnes-organ abhängig sein ? Denn wenn sie dieses Wesen nicht schonan sich besitzt, entsteht es ihr auch nicht irgendwie.

(p. 74, 17jvynlcter ... ) Gegner: Durch das Einzelding entstehteine Beeinflussung des Sinnesorgans. Durch deren Mitwirkung istdie Gemeinsamkeit Ursache der Erkenntnis. Antwort: Auch damit

Page 105: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

106 Tilmann Vetter

dürfte man die Gemeinsamkeit auf eine mittelbare Weise zu einerWirkung des Einzeldings machen.

(p. 74, 19) Ferner, wenn man annimmt, daß das, was dieGattungen offenbart, sie auch besitzt, dann ergibt sich, daß eineLampe usw. dadurch, daß sie das Kuhtum usw. offenbart, es auchbesitzt (I, 151). Was nämlich Ursache der Erkenntnis eines Ob-jekts ist, das ist dessen Offenbarendes. In Hinsicht auf das Kuh-tum usw. gilt auch von einer Lampe usw., daß sie Ursache derErkenntnis sind. Denn das Auge erkennt ein Ding abhängig voneiner Beeinflussung durch Licht. Daher dürfte Lampe usw. Kuh-tum usw. besitzen.

(p. 75, 1) Es gibt nämlich auch für das Einzelding keine andereMöglichkeit die Gemeinsamkeit zu offenbaren, als Ursache fürihre Erkenntnis zu sein. Denn (der Gemeinsamkeit an sich) kannkein Unterschied des Wesens mitgeteilt werden. Gegner: DasGeoffenbartwerden ist Inhärenz. Antwort: Das ist schon insofernbesprochen, als bei der (Gemeinsamkeit) eine Inhärenz sich alsunmöglich erwiesen hat. (Geben wir einmal eine Inhärenz zu, dann)wäre sie nämlich, da bloß ihre Inhärenz zusammen mit dem Einzel-ding hervorgebracht würde, nicht sonst noch eine Besonderheit,auch weiterhin wie zuvor nicht Ursache einer Erkenntnis. Solltesie aber schon auf Grund der Inhärenz Ursache einer Erkenntnissein, dann müßten auch alle andern in ihrem Träger inhärierenden(Wesenheiten) gesehen werden. Daher ist das Offenbarer-seinnur ein Ursache-sein für Erkenntnis. Und das ist das gleiche beiLampe usw. Diese Folgen lassen sich nicht umgehen. Daher istdas Vorhandensein der Gemeinsamkeit kein Getragenwerden undkein Geoffenbartwerden. Und weil sie somit nicht vorhanden ist,ist sie nicht bei mehreren Dingen Ursache (Einer) Erkenntnis.

2. (p. 75, 9) Gerade daher (fragt man sich): Wie kann es fürdiejenigen, für welche es eine Gattung, sei sie getrennt vom Einzel-ding oder ungetrennt, als reale gibt (tu vidyate), bei Einzeldingen,die früher nicht vorhanden waren, eine gleichartige Erkenntnisgeben? (I, 152) Das Wort „tu" hat den Sinn der Bekräftigung:es gibt tatsächlich. Ein reales Ding nämlich, wenn es durch seineeigene Fähigkeit bei einem andern eine Erkenntnis hervorruft,die seine eigene Form nachahmt, bedarf eines Nexus mit diesem.Sonst würden sich zu weit gehende Folgen ergeben. Dieser (Nexus)ist aber bei der Gemeinsamkeit, wenn sie real sein soll, in beidenFällen nicht möglich, ob man sie mit dem Einzelding identischsetzt oder verschieden.

Page 106: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 107

(p. 75, 16) Denn es ist nicht möglich, eine (Gemeinsamkeit),die man in Einem Einzelding gesehen hat, in einem andern zusehen (I, 153ab). Die Erkenntnis nämlich, die an Einem Ding ent-standen ist, könnte in dieser Form auf ein anderes Ding über-gehen und (dabei) ein Wahres erfassen, wenn sie etwas bei jenemGesehenes auch an diesem andern sähe. Das ist aber nicht möglich,weil (die Gemeinsamkeit) als reale, wenn sie nichts anderes ist(als das Einzelding), sich nicht erstreckt, oder, wenn sie etwasanderes ist, (zu den Einzeldingen) keinen (Bezug hat, etwa in demvon euch angeführten und schon widerlegten Sinn, daß diese)ihre Träger sind (I, 153b—d). Das Wesen (svabhävah) überspringtnämlich in bezug auf ein (anderes) Wesen nicht das Dies- oderAnders-sein (d. h. ein reales Ding ist mit einem realen Ding ent-weder identisch oder von ihm verschieden). Denn eine Form(rüpam), die nicht dieses ist, kann nicht umhin, ein Anderes zusein. Denn darin besteht ja das Anderssein einer Form, daß sienicht das(selbe) ist. Das ist wie bei einer anderen Gestalt (äkärah),da kein Unterschied besteht. Wenn (also) die Form der Gemeinsam-keit nicht verschieden ist (vom Einzelding), dann ist sie eben damitidentisch; denn wenn sie nicht damit identisch wäre, wäre sie davonverschieden wie ein (anerkanntermaßen) verschiedenes Ding. Auchgibt es für das Wesen (ätmä) eines Einzeldings kein Sich-erstreckenauf ein anderes Einzelding, weil dieses dann gar kein anderesEinzelding sein würde.

(p. 75, 26) Durch eine Gemeinsamkeit, die (vom Einzelding)nicht verschieden ist, dürfte man daher nichts als gleichartig er-kennen; aber auch nicht durch eine, die verschieden ist, weil siedann nirgendwo einen Träger hat. Denn auch eine andere Ver-bindung wie etwa die des Verhältnisses von Offenbartem undOffenbarendem gibt es nicht, weil es mit etwas, auf das durch nichtseingewirkt werden kann, keine Verknüpfung gibt. Würde aberdie Erkenntnis (eines Einzeldings als gleichartig) auch ohne eineVerbindung (von Gemeinsamkeit und Einzelding) entstehen, soergäben sich zu weit reichende Folgen (atiprasangät). Deshalbkommt man, wenn man annimmt, daß eine Erkenntnis, die durchdas Sehen (!) Eines Dings bei Einem (Ding) auftritt, auch beieinem andern auftrete, nicht über (die Alternative) der Identitätund der Verschiedenheit hinaus. Mit diesen Voraussetzungen ist(die Erkenntnis einer Gleichartigkeit) nicht erklärbar. Daher istdiese Erkenntnis, die bei den Dingen Eine Form zeigt, nur einaus Eindrücken der Vorstellung entstandener Irrtum (bhräntih)

Page 107: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

108 Tilmann Vetter

Er gründet sich (tasyä äsraya) auf den Unterschied der Dinge unddie Eigenart der psychischen Eindrücke . . .

3. (p. 76, 25) Ferner, wer sich die Gemeinsamkeit als ein (vomEinzelding) verschiedenes Ding vorstellt, stellt sie sich entwederals nur in ihrem Träger befindlich vor oder als allgegenwärtigwie den Äther usw.

(p. 77, 2) Wenn sie nur in ihrem Träger befindlich ist, (kannman fragen): Wie kann, wenn Töpfe usw. an Orten, die frei sindvon Topftum usw., entstehen, ihnen die Gemeinsamkeit, die dochin Substanzen weilt, welche davon verschiedene Orte einnehmen,zukommen? Denn sie geht nicht (I, 154a) von der früheren Sub-stanz zu der, die jetzt entstehen soll, weil sie, wie ihr annehmt,ohne Bewegung ist. Es ist nämlich nicht denkbar, daß ein Ding,das in einer andern Substanz weilt, sich mit einem Ding an einemdavon getrennten Ort vereinigt, ohne sich von jener Substanzwegzubewegen und den Zwischenraum zwischen beiden zu durch-dringen.

(p. 77, 8) Früher war es nicht dort, später ist es dort (I, 154ab).Und es ist dort weder entstanden noch von irgendwoher hinge-kommen. Wer ist fähig, es sei denn aus Dummheit, eine solcheLast von Widersprüchen zu tragen ? Ferner hat sie keine Teile, ver-läßt aber auch nicht ihren früheren Träger (1,154bc), der einen vomOrt der jetzt entstehen sollenden (Substanz) getrennten Ort einnimmt,und ist doch in beiden vorhanden: welch eine Kette von Schwierig-keiten ! (I, 154d). Eine Verbindung mit zwei an verschiedenen Ortenbefindlichen Dingen ist nämlich auf zwei Arten möglich: (erstens)dadurch, daß (etwas), weil es aus mehreren Teilen besteht, mitzwei voneinander verschiedenen Teilen mit den (beiden Dingen)verbunden ist, wie das bei Licht, Strick, Rohr, Stock usw. derFall ist. Denn ohne Teile zu haben, kann etwas nicht gleichzeitigmit zwei (Dingen), die sich an getrennten Orten befinden, ver-einigt sein; es hat ja kein zweites Selbst, und sein eines Selbsthat den Status, mit der an der einen Stelle weilenden (Substanz)verbunden zu sein, da andernfalls eine Verbindung mit dieser(Substanz) nicht möglich wäre. Daß Ein zu Tragendes dort weiltund zu ebenderselben Zeit mit ebendemselben Selbst dort nichtweilt, ist unmöglich ; denn es ist ein Widerspruch, daß Einem Dingein in etwas verweilendes und zugleich ein dort nichtverweilendesSelbst zukommen soll. Wenn es ein überall und immer in allenGestalten vorhandenes Wesen hätte, dann müßte die Erkenntnis,die auf dem Sehen dieses ihres Wesens beruht, überall in allen

Page 108: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 109

Gestalten auftreten. Dann müßte man auch eine Kuh als Pferderkennen. Denn sie ist verbunden mit dem Substanztum, das einim Pferd weilendes Wesen hat und sie wird so bestimmt auf Grundeiner Erkenntnis ihres Wesens; auch gibt es keine weitere Gestaltdieses Einen, die nicht gesehen wäre. Darum wird, was keineTeile hat, nicht gleichzeitig an mehreren Orten getragen.

(p. 78, 6) Wenn es aber (zweitens) seinen früheren Träger ver-ließe, könnte es zwar auch in einem an einem andern Ort be-findlichen (Ding) vorhanden sein, aber dieses (Verlassen desfrüheren Trägers) wird von euch nicht angenommen. Daß etwas,was in einem andern weilt, nun auch, ohne sich von seiner Stellezu bewegen, in etwas weilt, das an einer davon getrennten Stelleentstanden ist, das ist allzu logisch (I, 155). Mit dem Ort, wo sichdas Ding befindet, tritt die Gemeinsamkeit nicht in Verbindung,aber sie durchdringt das an dieser Stelle befindliche Ding. Wasist auch das für ein großes Wunder! (I, 156.)

(p. 78, 12) Nun zum Standpunkt, daß die Gemeinsamkeitallgegenwärtig sei. Wenn die Gattung allgegenwärtig wäre, dannmüßte sie als etwas, das wegen seiner Ungeteiltheit dadurch,daß es an einer (Stelle) offenbart wird, schlechthin geoffenbartist, überall gesehen werden (I, 157 a—c). Wir haben schon gezeigt,daß ein Offenbar-werden für eine ewige Gattung nicht möglichist. Darum wird sie, die unabhängig von einer Einwirkung durchanderes ist, entweder dauernd gesehen oder überhaupt nie. Dennsie beharrt in diesem Wesen, weil ihr nirgendwoher ein anderesWesen entsteht. Geben wir trotzdem einmal ein Offenbarwerden(für die Gattung) zu, so wäre (die Gattung), da sie allerfüllend ist,dadurch, daß sie an Einem (Einzelding) offenbar wird, in der Tatüberall offenbar, da sie nicht unterteilt ist, und müßte infolgedessenauch an Orten, wo keine (entsprechenden) Einzeldinge sind,gesehen werden.

(p. 78, 20) Sie hängt auch nicht von den Einzeldingen ab(I, 157 d). Denn wenn sie von den Einzeldingen abhinge, dürftenämlich beim Nichterkennen des offenbarenden (Einzeldings) diezu offenbarende (Gemeinsamkeit) nicht erkannt werden. Warumwird nun bei der Gemeinsamkeit und ihrem Träger das Gegenteilangenommen? (I, 158) (Das Gegenteil: Die Erkenntnis des Be-stimmenden und die Erkenntnis des Bestimmten sollen sich wieUrsache und Wirkung verhalten). Wer sich nämlich damit heraus-zureden sucht, daß er sagt : Da die Erkenntnis der Gemeinsamkeitauf die Verbindung ihres Trägers mit dem Sinnesorgan angewiesen

Page 109: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

110 Tilmann Vetter

ist, wird sie an Orten, die frei von einem Träger sind, nicht gesehen,— nach dessen Lehre müßte, da die Verbindung von Träger undSinnesorgan, welche (die Wahrnehmung der Gemeinsamkeit)bewirkt, in der Tat gegeben ist, derjenige, welcher auf Grund ihrerdie (Gemeinsamkeit) sieht, sie so sehen, wie sie wirklich ist (nämlichüberall befindlich). Denn wenn die (Gattung) (bei irgendeinemEinzelding) gesehen wird, ist es nicht möglich, daß etwas zu ihrGehöriges nicht gesehen wird.

(p. 79, 1) Zu behaupten, daß die Gemeinsamkeit, weil sie durchein Einzelding geoffenbart werden muß, an Stellen, wo kein Offen-barer ist, nicht gesehen werden kann, ist auch falsch, weil dabeiein solches Verhältnis von Offenbarer und zu Offenbarendem fehlt.Denn ein Offenbarer, wie die Lampe usw., der Ursache der Erkennt-nis eines andern ist mittels der Erkenntnis seiner selbst, zeigt nichtan einem Ort, der von seiner eigenen Form frei ist, sein zu Offen-barendes. Das ist beim Einzelding nicht der Fall, weil (von ihm)das Gegenteil (behauptet wird). Wie sollte es nämlich sowohlder Offenbarer der Gemeinsamkeit sein als auch mittels ihrer Er-kenntnis sichtbar sein ? Auf diese Weise würde für es vielmehrfolgen, daß es das Geoffenbarte ist, wie ein Topf durch die Lampe.Denn das Einzelding ist (dann) in seiner Form nicht sichtbar,ohne daß man in irgend einer Weise die Gemeinsamkeit erkannthat (p. 79, 8).

Anhang III

Eine Sonderform der Apohalehre

Hier soll ein kurzes Stück der Vrttih zu PV I, das eine merk-würdige Form der Apohalehre zeigt, vorgelegt werden.

Im ersten Teil (p. 68, 6—24) wird die Apohalehre mit dendrei Arten bloß nominaler fprajnaptisat) Dinge, die wir ausDignäga's Upädäyaprajnaptiprakaranam kennen (s. FrauwallnerDignäga S. 122), dem Ganzen, der Reihe und den Zuständen,in Verbindung gebracht. Diese drei bloß nominalen Dinge spielenbei Dharmakïrti in dieser Aufzählung sonst keine Rolle. Merk-würdig ist aber mehr, daß die Lehre von der Benennung(prajnaptih), die sich mit der Lehre vom Individuum (svalaksa-riam) hinsichtlich des „Ganzen" nicht verträgt, zur Formulierungder Apohalehre herangezogen wird. Als ob man die einzelnenAtome angehäuft sähe und ihnen dann den Namen Topf gibt!

Page 110: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 111

Wahrscheinlich hat Dharmakïrti hier eine ältere Form der Apoha-lehre übernommen.

Im zweiten Teil (p. 68, 24—69, 4) wird die Apohalehre in einerWeise differenziert, die ebenfalls im PV I ungebräuchlich ist.Hier haben die Worte einen vierfachen Ursprung: Wirkung,Ursache, Nichtwirkung, Nichtursache. Im Allgemeinen kenntDharmakïrti nur die zweifache Aufgabe des Wortes: Eine gemein-same Wirkung mehrerer Dinge (Gemeinsamkeit) und mehrereWirkungen Einer Ursache (Eigenschaften) anzugeben. Und auchdabei wird das Zweite meist vernachlässigt. Es wird meist nurvon der Wirkung geredet.

(p. 68, 6) Derartig sind alle Worte für (1.) Anhäufung (sa-muhah), ( 2. ) Reihe (santänah) und ( 3. ) besonderen Zustand(avasthä).

(1.) Bei Dingen, die im Zustand der Vereinigung irgendeineeinheitliche Wirkung vollbringen, ist, weil sie sich in dieser Hin-sicht nicht unterscheiden, eine Mitteilung ihrer Besonderheitzwecklos. Um sie daher alle auf einmal zu bezeichnen, vereinbartman für sie das eine Wort „Topf". Sie sind, obwohl sie in gleicherWeise von Gleichartigem und Anderem verschieden sind, dochdadurch, daß sie diesen Zweck (prayojanam) erfüllen, von anderenals ihnen unterschieden und auf Grund dieses NichtUnterschiedswerden sie einheitlich erkannt. Auch die Ausdrucksweise „Farbeusw. des Topfes" (die von der Sprache her auf eine Substanz,welcher Qualitäten inhärieren, schließen läßt) besagt nichts anderes,als daß die Farben usw. ihrem Wesen nach „Topf" sind, das heißt,daß sie zu gewissen Wirkungen wie z. B. Wasser auf eine bestimmteArt aufzubewahren, fähig sind. Die Farben usw., die durch dieWorte „Farbe" usw. in einem Wesen bekannt sind, das bekanntist als Zustandebringen einer allgemeinen Wirkung, werden,wenn sie sich auszeichnen durch eine Besonderheit, die genanntwird „Zustandebringen einer speziellen Wirkung", so („Farbedes Topfes") genannt. Nicht aber gibt es daneben noch eine Sub-stanz von der beschriebenen Beschaffenheit (wie sie die Vaisesikasangeben?); denn eine solche (Substanz) wird (neben der Farbe)nicht wahrgenommen. Auch (den) Singular (anzuführen, ist nutz-los; er) hat den Zweck, auf eine einheitliche Fähigkeit bei ihnenhinzuweisen oder hängt (überhaupt nur) von der Konvention ab(wie etwa im Sanskrit der Ausdruck sarirtagarï = sechs StädteSingular ist. Vgl. I, 69).

Page 111: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

112 Tilmann Vetter

(2.) So werden auch Dinge, die in einem besonderen Ver-hältnis von Ursache und Wirkung stehend ein bestimmtes Einziges(z. B. eine Frucht) erzeugen oder von einem Einzigen (z. B. Same)erzeugt werden, damit man sie auf einmal erkenne, mit den Worten„Reis" usw., nachdem man diese Namen für sie festgelegt hat,mitgeteilt.

(3.) Auch Dinge, die für sich oder zusammen mit andernsich für irgend etwas eignen, werden, damit man sie auf einmalerkennt, durch Worte, die einen besonderen Zustand bezeichnen,als „sichtbar" oder „undurchdringlich" mitgeteilt wegen der Ge-meinsamkeit des Unterschieds von andern als ihnen.

(p. 68, 24) Wie Dinge, die eine einheitliche Wirkung haben,wenn man diese Wirkung mitteilen will, wegen des Unterschiedsvon andern als ihnen mit den Worten „Topf" usw. mit einer Ver-einbarung versehen werden, so wird auch, allein um der Praxiswillen, Mehreres mit Einem (Wort) bezeichnet im Hinblick aufdie Ursache wie „von der scheckigen (Kuh abstammend)",„von der schwarzen (Kuh abstammend)", „der Ton entstehtunmittelbar nach einer Bemühung oder ist gemacht".

So sagt man auch, indem man eine bestimmte Wirkungausschl ießt : „Der Ton ist nicht-sichtbar, nicht-ewig und ohneSelbst", und indem man eine bestimmte Ursache ausschl ießt :„Ohne Herrn", „leer" (vielleicht: nicht meinem Willen unter-worfen. Vgl. Cülasaccakasuttam Majjh. I p. 231).

Anhang IV

Abkürzungen und Literatur

Älambanapanksä Dignäga's Älambanapariksa.a) E. Frauwallner: — ,Text, Übersetzungund Erläuterungen. WZKM 37, S. 174—194.b) S. Yamaguchi: Examen de Fobjet de laConnaissance. Textes tibétain et chinoiset traduction des stances et du commen-taire, JA, Jan.—Mars, 1929, p. 1-65.

Bodhisattvabhümi ed. by U. Wogihara, Tokyo, 1930 — 36.CCTBC A complete Catalogue of the Tibetan Bud-

dhist Canons, ed. by H. Ui, M. Suzuki,Y.Kanakura, T. Tada. Sendai 1934.

Conze, E. Der Buddhismus, Wesen und Entwicklung.Stuttgart (2), 1956 (Urban Bücher 5).

Page 112: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 113

Frauwallner Amalavijnänam

Frauwallner Dignäga

Frauwallner G. i. Ph. I, II

Frauwallner Landmarks

Frauwallner PB

Frauwallner, E.

Gnoli,Gupta,

H B

HBT

R.B.

E. Frauwallner: Amalavijnänam und Alaya-vijfiänam. Ein Beitrag zur Erkenntnislehredes Buddhismus. (Festschrift Schubring.)Beiträge zur indischen Philologie und Alter-tumskunde 7, S. 148—159. Hamburg 1951.E. Frauwallner : Dignäga, sein Werk undseine Entwicklung. WZKSO 3 (1959), S. 83bis 164.E. Frauwallner : Geschichte der indischenPhilosophie. Salzburg, I. Band 1953, II. Band1956.E. Frauwallner: Landmarks in the Historyof Indian Logic. WZKSO 5 (1961), S. 125 bis148.E. Frauwallner: Die Philosophie des Buddhis-mus. Berlin (2), 1958.Die Reihenfolge und Entstehung der WerkeDharmakïrti's. Asiatica, Festschrift F. Weller,S. 142-154. Leipzig 1954.

Beiträge zur Apohalehre. I. Dharmakirti.WZKM 37, S. 259-283 (PV I, 42 - I, 187tibet. Text und Sanskritfragmente). WZKM39, S. 247-285 (Übersetzung bis I, 115a).WZKM 40, S. 51 - 94 (Übersetzung bis I, 187).WZKM 42, S. 93 — 102 (Zusammenfassung).

Beiträge zur Apohalehre. II. Dharmottara(tibetischer Text des Apohaprakaranam,Übersetzung und Zusammenfassung). WZKM44, S. 233-287,

Dharmottaras Ksanabhangasiddhih. Textund Übersetzung. WZKM 42, S. 217 — 258.

Die Erkenntnislehre des klassischenSämkhyasystems, WZKSO 2 (1958), S. 83 ff.

Vasubandhu's Vädavidhih, WZKSO 1 (1957),S. 104ff.(s. Anhang V. Vergleich der Verszählungen.)Die Wahrnehmungslehre in der Nyäyaman-jarï, Dissertation, Bonn 1962.Dharmakïrti's Hetubinduh (CCTBC No. 4213- Ce 238a7-255al).Hetubindutîkâ of Bhatta Arcata with theSubcommentary entitled Äloka of DurvekaMisra. Edited by Pandit Sukhlalji and MuniShri Jinavijayaji. Gaekwad's Oriental SeriesKo. CXIII, Baroda 1949.

Page 113: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

114 Tilmann Vetter

IBK

JAJBORS

K

Karmasiddhi

Kitagawa, H.

Kosa

La Vallée Poussin, L. de

Majjh.

MCB

NB

Pra j näkaraguptaPr. vin.

PS

PSV

PTS

Indogaku Bukkyögaku Kenkyü (Journal ofIndian and Buddhist Studies).Journal Asiatique.Journal of the Bihar and Orissa ResearchSociety.Karnakagomin (s. unter Anhang V. Vergleichder Verszählungen).E. Lamotte : Karmasiddhiprakaranam, leTraité de l'Acte de Vasubandhu. Traduction,Versions tibétaine et chinoise ; avec uneIntroduction et, en appendice, la Traductiondu chapitre XVII de la Madhyamakavrtti.MCB IV (1935-36), p. 151-263.A Refutation of Solipsism (Annotated Trans-lation of Santänäntarasiddhi). Journal ofthe Greater India Society, vol. XIV No. I,2. Calcutta (J. ?).

L. de la Vallée Poussin: L'Abhidharmakosade Vasubandhu. Traduit et annoté par . . .Paris —Louvain, 1923 — 1931.Sarvästiväda. Documents d'Abhidharma.Traduits et annotés par . . . La controversedu temps. MCB V (1936-37), p. 7-158.

Madhyamaka, MCB II p. Iff. I. Réflexionssur le Madhyamaka p. 4ff. II. L'auteur duJoyau dans la main p. 60ff. III. Le Joyaudans la main p. 68ff.Le petit traité de Vasubandhu-Nâgarjunasur les trois natures, MCB II p. 147£f\

Majjhimanikäya, ed. PTS, vol. I (V. Trenck-ner) 1888, vol. II, III (R. Chalmers) 1898bis 1899.

Mélanges chinois et bouddhiques.

Dharmakïrti's Nyäyabinduh.a) The Nyayabindutika of Dharmottaracha-rya: to which is added The Nyayabindu.Ed. by P. Peterson. Calcutta 1889.b) —, —. (ed. by Th. Stcherbatsky, Bibl.Buddhica VII, Petersburg, 1918).

(s. Anhang V. Vergleich der Verszählungen.)Dharmakïrti's Pramänaviniscayah (CCTBCNo. 4211 - Ce 152bl-230a7).Dignäga's Pramänasamuccayah (CCTBCNo. 4203 - Ce Ibl-13a7).Dignäga's Pramänasamuccayavrttih (CCTBCNo. 4204 — Ce Hbl — 85b7).Pali Text Society.

Page 114: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 115

PV

SBP

Schmithausen, L.

Schott, M.

Siddhi

Stcherbatsky, T.

Steinkellner, E.

Strauß, O.STS

SV

TTrimsikä

TS

Vimsatikä

Dharmakirti's Pramäuavärttikam (Ausgabens. unter Anhang V.Vergleich der Verszählung).Dharmakïrti's Sambandhapariksä. Text undÜbersetzung von E. Frauwailner WZKM 41,S. 261-300.Die Entwicklung der indischen Irrturaslehrebis Mandanamisra, Dissertation Wien 1963.Sein als Bewußtsein. (Materialien zur Kunded. Buddhismus, 20. Heft.) Heidelberg, 1935.Vijnaptimätratäsiddhi. La Siddhi de Hiuan-tsang. Traduite et annotée par L. de laVallée Poussin. Paris 1928 — 29.Logik und Erkenntnistheorie bei den späterenBuddhisten. Deutsche Übersetzung von O.Strauß, München-Neubiberg, 1924. (Russi-sches Original: Petersburg 1903.)

Buddhist Logic, 2 vols., BibliothecaBuddhica XXVI, Leningrad 1932Augenblicklichkeitsbeweis und Gottesbeweisbei aankarasvämin, Dissertation Wien 1963.Indische Philosophie, München 1925.Dharmakirti's Santänäntarasiddhih.a) Tibetischer Text ed.T. Stcherbatsky, Bibl.Buddhica XIX, Petersburg 1916.b) Übersetzung s. Kitagawa.Mimämsäslokavärttikam of Kumärila Bhattawith . . . Nyäyaratnäkara .. . ed. by Romaâastrï Tailanga. Chowkamba Sanskrit SeriesNo. 11, Benares 1898.Taishö-Ausgabe des chinesischen Tripifaka.Vasxibandhu's Trimsikä.a) S. Lévi : Vijnaptimätratäsiddhi, deuxtraités de Vasubandhu, Vimsatikä accom-pagnée d'une explication en prose et Trim-sikä avec le commentaire de Sthiramati.Bibl. de l'École des Hautes Études. Paris,1925.b) H. Jacobi: Trimsikävijnapti des Vasu-bandhu mit Bhäsya des Äcärya Sthiramatiübersetzt. Beitr. zur ind. Sprachwiss. u.Religionsg., 7. Heft. Stuttgart 1932.c) s. Frauwailner P. B.Tattvasangraha of âantaraksita with thecommentary of Kamalasîla, Ed. byKrishnamacharya. 2 vol. Gaekwad's OrientalSeries XXX, XXXI. Baroda 1926.Vasubandhu's Vimeatikä. Text s. Trimsikä,S. Lévi. Übersetzung s. Frauwailner P. B.

Page 115: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

116

Vimal akïrtinirdesa

WZKM

WZKSO

Tilmann Vetter

E. Lamotte: L'Enseignement de Vimalakïrtitraduit et annoté, Louvain-Leuven 1962.Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgen-landes.Wiener Zeitschrift für die Kunde Süd- undOstasiens und Archiv für indische Philosophie

Anhang V

Vergleich der Verszählungen des Pramänavärttikam

I. Svärthänumänaparicehedah

MeineZählung

1,1-21,3I, 4 cdI, 5bc1,61,33fällt ausI, 113abI, 187 cdfällt aus1,201 abfällt ausI, 216abfallt ausI, 233 cd1,271 cdI, 272ab1,341 cd1,342

Malvaniya

1 - 234 cd5bc633113ab113cd188ab201 cd202 abVrttih217ab234 cd235 ab273ab273 cd342%(343%)

WZKM

—_

33Vrttih113 ab187 cd

—__

——__—

Gnoli

ohne Z.12 cd3bc431Vrttihl l l ab185 cdVrttih199abVrttih214abVrttih23 led269cd270ab339 cd340

Karna-kag.

1 - 234 cd5bc633113ab113 cd188 abVrttih201 cdVrbtih216cd234ab234cd272cd273 ab342cd(343)

JBORS24

1,1-21,3fehltfehlt1,51,32I, 112 abI, 112cdI, 187 abfehltI, 200cdI, 215cdI, 216ab1,233 cdI, 234abfehltI, 272abI, 341 cd(I, 342)

Manor.

I, 1-2III, 1fehltfehlt111,3III, 30III, 110 abIII, llOcdIII, 185 abfehltIII, 198 cdIII, 213cdIII, 214abIII, 231 cdIII, 232 abfehltIII, 270 abIII, 339 cdfehlt

II. Pramänasiddhiparicchedah

Meine Z.

II, 1II, 20 A11,21fällt ausII, 131 cdII, 285cd

JBORS 24

H , lII, 20 Anm.11,21II, 131 cdII, 132 abII, 286 ab

Manor.

1,3fehlt1,23I, 133 cdI, 134 abI, 288 ab

Prajn.

I, 1 usw.

Page 116: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti 117

III. Pratyaksaparicchedah

III, 1fällt ausIII, 342fällt ausIII, 510III, 539

III, 1III, 342III, 343III, 511III, 512III, 541

H , lII, 342IT, 34311,511II, 512II, 541

II, 1 usw.

IV. Parärthänumänaparicchedah

IV, 1IV, 285IV, 286

IV, 1IV, 285(IV, 286)

IV, 1IV,285fehlt

III, 1 usw.

Die tibetische Übersetzung zählt einmal:-123-126 . . .

IV, 123-124-125-

Beim I. cap., wo die Umrechnung nicht aufgeführter Verse oft nichtleicht zu überschauen ist, kann man mit folgender Regel durchkommen:Meine Zählung ist durchwegs zwei Nummern höher als bei Gnoli. Bei denübrigen Texten rechne man mit dem Abstand der nächst niederen in derTabelle erscheinenden Verse. Beispiel: I, 150 (Meine Zählung) soll beiManor, gefunden werden. Bei 113 ab hinkt Manor, um 2% Verse nach.Der gesuchte Vers ist also unter III, 147cd/148ab nachzuschlagen.

WZKM ^ WZKM 37, S. 259ff.; 39, S. 247ff.; 40, S. 51 ff.; 42, S. 93ff.Gnoli — Kaniero Gnoli, The Pramänavärttikam of Dharmakirti, the

first chapter with the autocommentary; Serie OrientaleRoma XXIII, Roma 1960.

Malvaniya = Dalsukhbhai Malvaniya, Svärthänumänapariccheda byDharmakirti; Hindu Vishvavidyalaya Nepal Rajya Sans-krit Series Vol. 2, Banaras (1960).

Karnakag. = Pramänavärttikam (Svärthänumänaparicchedah), with thesvavrtti and the commentary of Karnakagomin, ed. RähulaSänkrtyayäna, Allahabad (1943).

JBORS24 = Appendix JBORS vol. XXIV, Pramänavärttikam, ed.Rähula Sänkrtyäyana, Patna 1938.

Manor. = Appendix JBORS vol. XXIV/XXV/XXVI, Dharmakirti'sPramänavärttika with a commentary by Manorathanandin,ed. Rähula Sänkrtyäyana, Patna 1938/39/40

Prajn. = Prämanavärttikabhäsyam or Värtikälankärah of Prajnä-karagupta, ed. Rähula Sänkrtyäyana; Kashi Prasad Jayas-wal Research Institute, Patna 1953

Page 117: Tilmann Vetter - Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

118 Tilmann Vetter, Erkenntnisprobleme bei Dharmakirti

Anhang VIVerzeichnis der zitierten Pramänavärttikastellen

I. Kapitelp. 22, 2 -4p. 38, 11-39, 10p. 40, 21-41, 12p. 42, 5-43, 19p. 44, 2-14p. 47, 14-48, 18p. 50, 15-51, 5p. 55, 14-56, 17p. 58, 6-10p. 61, 8-62, 15p. 68, 6-69, 4p. 69, 9-70, 19p. 71, 2 — 76, 6p. 76, 25 — 79, 8p. 88, 26-89, 21p. 89, 24-90, 12p. 141, 17-142, 24p. 142, 26-143, 2p. 144, 2 -3

II. Kapitel

Seite

Vers 1 — 3 Seite 325a7a

35-40424447-4850 — 5152 cd54-62a63 ab

112-113120-126129 — 130192-198205-210217-219252 — 253260282-285

323221-22222222-23232323-242424262685-8683-8425352433

} 30-3152-5353-5454-565760-613758-596162-63

111-11299-100

101 — 108108-11044-4546-4715-171717

Vers 23

42-5970-72757689-939798

109-111124-125181-182183186207

III. KapitelVers 123—130 Seite

194-207208-219288293299-300320-341345348—362367-370372-376378 — 380384-386387-391397398-407410-411418425-439495534

Seite

3867-6969-703939-404079-818181-837272-737373747474-75752076-771718

632848-4952535457-58606158-596244454750