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SWR2 Feature am Sonntag Made in Mayo. Insekten essen. Von Michael Arntz Sendung: Sonntag, 15. Juli 2018, 14.05 Uhr Redaktion: Walter Filz Regie: Fabian von Freier Produktion: DLF 2018 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. ___________________________________________________________________ Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml ___________________________________________________________________ Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
ZUSPIEL: Atmo, Soundscape Frühling, draußen, viele Vögel singen
SPRECHER: (bückt sich, hebt, bißchen stöhnend, einen schweren Stein hoch, murmelt vor
sich hin) Mal sehen, was hier unter dem Stein ist ... Käfer ... Ameisen ... Würmer ...
SPRECHERIN: Lumbricus terrestris. Gemeiner Regenwurm oder Tauwurm. Lebt in Wiesen
und Gärten. Bohrt meterlange Tunnel durch den Boden.
OT Rüdiger Nehberg: Würmer? Völlige Delikatesse. Wenn man die aus dem Misthaufen
zieht und grillt: das ist wie Kohlroulade.
SPRECHER: Also, essen werd' ich die nich'. - Foto reicht erst mal ... (Kamera,
Klickgeräusche) - (geht etwas zur Seite, schiebt große Mülltonne zur Seite) Und hier ...
unter der Mülltonne ... wimmelt's auch von so Krabbelviechern ...
SPRECHERIN: Myrmica rubra. Rote Gartenameise. Arbeiterinnen werden 4 bis 6 Millimeter
lang. Rötlich braun bis braunorange. Der Stich ist schmerzhaft.
OT Rüdiger Nehberg: ... alles gute eßbare Nahrung ...
SPRECHER: ... und jetzt noch mal unterm Hackklotz (schweres Teil, schiebt es mühevoll zur
Seite) ... Asseln ... Spinnen ... Tausendfüßer ...
SPRECHERIN: Megaphyllum unilineatum. Tausendfüßer oder Tausendfüßler. In
Gefahrensituationen sondert der Tausendfüßer einen giftigen Stoff ab, der nach
verbranntem Plastik riecht.
OT Rüdiger Nehberg: ... überhaupt ist ja alles eßbar - nur manches eben nur einmal. Das
muß man wissen ...
ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse
ZITATOR: Made in Mayo. Insekten essen. Feature von Michael Arntz
ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse
OT Folke Dammann: Ja, wo wir hier sind? Wir sind im schönen Witzeeze, kleines Dörfchen
in Schleswig Holstein. Und ich vertreibe Speise-Insekten seit jetzt - ja - fast fünf Jahren, ja
schon fast fünf Jahren. Genau. Und heute hast du die Chance, da mal reinzubeißen.
SPRECHERIN: Mehlwurm. Tenebrio molitor. Larve des Mehlkäfers. Wird bis zu 30
Millimeter lang. Anfangs leicht gelblich, mit zunehmendem Alter bräunlich. Proteingehalt
45 Prozent.
OT Folke Dammann: Ach so, ja, Folke Dammann bin ich und - ähm - genau, die Firma heißt
"Snack-Insects". Ja, 2012 bin ich, ja, kann man sagen, ganz zufällig auf das Thema gestoßen,
und Anfang 2013 haben wir mit dem Verkauf dann gestartet.
SPRECHER: Folke Dammann. 36. Schlank. Dreitagebart. Streifenpulli. Auf dem Tisch:
Kaffee und Plätzchen und - Energieriegel mit Buffalowürmern.
OT Folke Dammann: Ja, mittlerweile haben wir uns relativ breit aufgestellt. Wir haben halt
Eigenprodukte. Überwiegend gibt es eben Insekten, die man zuhause noch zubereitet. Das
sind vier Arten, die für den Verzehr speziell produziert werden. Das sind Mehlwürmer,
Buffalowürmer, Grillen und Heuschrecken. Kann man in diversen Varianten zubereiten. Also
süß, herzhaft, geröstet, frittiert, mit Schokolade, also eine riesige Vielfalt.
ZUSPIEL: Kau-Motiv
SPRECHERIN: Buffalowurm. Alphitobius diaperinus. Eigentlich die Larve des
Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers. Bis 15 Millimeter lang. Geblich-braun.
Geschmack: nussig. Proteingehalt: 56 Prozent.
OT Folke Dammann: ... ähm, dann haben wir ein Kochbuch rausgebracht, geben auch
Kochkurse in Hamburg ...
ZUSPIEL: Kau-Motiv
OT Folke Dammann: Dann gibt's 'n Energieriegel von uns. Der Bugbreak-Riegel ist so 'ne
Sesam-Mandel-Mischung mit Buffalowürmern. Das ganze wird in Isomaltolose
karamellisiert, das ist 'ne ganz spezielle Zuckerart, die nicht so süß ist und ganz konstant
Energie an den Körper abgibt ...
ZUSPIEL: Kau-Motiv
SPRECHERIN: Wanderheuschrecke. Locusta migratoria. Länge: 5 bis 7 Zentimeter.
Proteingehalt: fast 50 Prozent. Geschmack: nussig.
OT Folke Dammann: Dann haben wir 'ne Insektenschokolade. Wir bieten Insektenmehl an,
mit dem man Proteinbrot backen kann, Nudeln, wie auch immer ...
ZUSPIEL: Telemann, Tafelmusik
ZITATOR: Maikäfersuppe.
SPRECHERIN: Magazin für Staatsarzneikunde. Herausgegeben von Friedrich Julius
Siebehaar und Rudolph Julius Albert Martini. Leipzig 1844, Seite 404 folgende:
ZITATOR: Die Käfer [...] von welchen man 30 Stück auf eine Person rechnet, werden in
einem Mörser gestossen, in heisser Butter hart geröstet und in Fleischbrühe aufgekocht,
fein durchgeseiht und über geröstete Semmelabschnitte angerichtet. Ist die Bouillon auch
schlecht, so wird sie doch durch die Kraft der Maikäfer vorzüglich, und eine Maikäfersuppe,
gut bereitet, ist schmackhafter, besser und kräftiger, als eine Krebssuppe. - Alle Gäste,
welche bei mir, ohne es zu wissen, Maikäfersuppen genossen, verlangten doppelte, gar
dreifache Portionen!
OT Folke Dammann: ... einfach mal reinbeißen ...
ZITATOR: ... die Maikäfer wurden in Honig eingemacht und unsere Studenten essen sie
nach abgerissenen Füssen roh, ganz wie sie sind. In vielen Condithoreien sind sie
überzuckert zu haben, und man isst sie candirt an Tafeln zum Nachtische.
SPRECHER: Ich kram mal die Fotos raus. Insekten unter der Mülltonne, unter Steinen und
Holzklotz - wär' das was für Folke Dammann?
OT Folke Dammann: Würde ich die essen? Nö. Also, warum sollte ich? Ich würd jetzt auch
nicht 'n Goldfisch aus 'm Goldfischteich mir rausschnappen und in den Mund stecken, nur
weil ich Fischstäbchen ess. - Das kann man halt nicht vergleichen. - Das eine sind halt
Zuchtinsekten, so, und das andere sind halt Insekten, die ein schönes Leben unter 'ner
Mülltonne haben.
ZUSPIEL: "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "
OT Folke Dammann: So. Ich mach hier unseren leckeren Bugbreak-Riegel einmal auf ...
SPRECHER: ... drei Finger breit, eine Verpackung mit viel Grün. Stilisierte Insektenfühler.
Sechs Beinchen auf dem Cover ....
OT Folke Dammann: ... so, und hier siehst du diese Mischung von Sesam-Mandeln, und da
sind halt ein paar von drin, eigentlich kaum sichtbar ...
SPRECHER: ... wie ein typischer Müsliriegel: übersät mit Sesamkörnern und
Mandelstückchen. Eine glänzend-zuckrige Oberfläche. Riecht nach Malz. Und ... ja ... da
stecken sie, die kleinen Buffalowürmchen, zwischen den Körnern ...
OT Folke Dammann: ... und dadurch ... die ham so 'n Grundgeschmack wie Haselnuß. Also,
du wirst das nicht rausschmecken, daß da jetzt irgendwas komisches ist oder so. Und die
geben einfach zusätzlich dann 'n Proteinanteil rein. Und wenn du ganz genau hinguckst,
müßtest du auch diese ganz kleinen Füßchen noch sehen (lacht) ...
SPRECHER: ... immer sechs ...
OT Folke Dammann: ... mhm, immer sechs. Paßt hervorragend zu deinem Kaffee, übrigens
... probier mal ...
ZUSPIEL: Musik, Simeon ten Holt, Palimpsest
OT Guido Ritter: ... einer der Vorteile, für Insekten ... was für Insekten statt der
herkömmlichen Viehzucht spricht, ist der ökologische Vorteil: weniger Landverbrauch,
weniger Wasserverbrauch, weniger Treibhausgase, also all das, was im Moment gerade
durch die Landwirtschaft unser Klima negativ beeinflußt, könnte durch Insekten ein
stückweit verbessert werden ...
ZUSPIEL: Kauen auf Bugbreak-Riegel
OT Guido Ritter: ... mein Name ist Guido Ritter. Ich bin Lebensmittelchemiker und
Ernährungswissenschaftler an der Fachhochschule Münster ...
ZUSPIEL: Kauen auf Bugbreak-Riegel
OT Guido Ritter: ... äh, deshalb wird und muß es auch 'n Umdenken geben, aber vor diesem
Umdenken - auch ohne Insekten - stehen wir in der Landwirtschaft sowieso ...
OT Folke Dammann: ... was viele halt auch nicht wissen, was eigentlich auch immer schön
zu argumentieren ist (er knabbert weiter genüßlich an seinem Riegel, knurpsel, knurpsel):
Daß wir alle sowieso Insektenesser sind. Durch die industrielle Verarbeitung von
Lebensmitteln ist es gar nicht möglich, daß man Insekten aus dem Nahrungsmittelkreislauf
komplett rausholt. Von daher: man ißt so ungefähr 400 bis 500 Gramm Insekten jedes Jahr,
unbewußt, in verarbeiteten Lebensmitteln. Von daher bist auch du ein Insektenesser. Seit:
einigen Jahren (lacht).
ZUSPIEL: Musik, Vladimir Cosma, L'aile ou la cuisse
SPRECHER: Von Folke Damman hab' ich das große Einsteigerpaket mitgenommen. Drei
Insektenarten, ein Lolli mit Mehlwurm, Insektenschokolade, Energieriegel. Zuhause nehm
ich die Schokolade mit den Buffalowürmern und die Energieriegel (im Hintergrund
Auspackgeräusche) und biete sie meiner Tochter an. Die hat gerade Besuch von ihrer
Freundin.
OT Laurie und Laurie: Ich heiße Laurie. - Ich heiße Laura. - Wir essen gar keine Würmer -
eigentlich - nee. - Ich bin acht und bin fast neun. - Ich bin acht und bin auch fast neun. - Ich
nehm ... (beide lachen) ... ich nehm diese ... Schokolade ... üah, Würmer ... okay (kauen) ...
einfach runterschlucken, einfach runterschlucken ... widerlich (lachen)... ... schmeckt
überhaupt nicht gut ... ich hab nur geschmeckt, daß es ein bißchen süß ist ...
SPRECHER: ... jetzt der Energieriegel ...
OT Laurie und Laura: ... (kauen) schmeckt nach gar nix ... boah, ich hatte noch 'n Wurm im
Mund (spuckt, lachen).
ZUSPIEL: Straßengeräusche am Campus Wageningen, Niederlande
SPRECHER: Universität Wageningen, Niederlande. Ein wenig charmanter Campus für "Life
Sciences". Fünfzig Kilometer vor Utrecht. Die typischen Zweckbauten sind umgeben von
geraden Kanälen und Wiesen.
ZITATOR - Voiceover OT Arnold van Huis: 2013 habe ich im Auftrag der FAO, der
Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen, ein Buch geschrieben. Das haben wir
auf einer Konferenz in Rom präsentiert. Ich hatte zwei Minuten. Danach gab es eine riesige
Presse-Resonanz. Nach 24 Stunden hatten wir 2,3 Millionen Downloads. Das Buch ist
inzwischen ins Koreanische, Französische und Chinesische übersetzt.
SPRECHERIN: Arnold van Huis und andere: Edible Insects. Future prosepcts for food and
feed security. Studie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten
Nationen FAO. Rom 2013. 210 Seiten.
ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Mein Name ist Arnold van Huis. Ich war hier in
Wageningen Professor für tropische Entomologie. Vor drei Jahren bin ich emeritiert worden.
Eigentlich war mein Fachgebiet die biologische Bekämpfung von Insekten in den Tropen.
SPRECHER: Vom Saulus zum Paulus. Van Huis ist heute ein führender Experte auf dem
Gebiet der - "Entomophagie". Der wissenschaftliche Begriff für den Verzehr von Insekten.
ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: 1995 hatte ich ein sabbatical. Ich war drei
Monate in Afrika - fünf Jahre später noch einmal - und hab ungefähr 40 Länder besucht, um
Menschen über die kulturelle Bedeutung von Insekten zu interviewen. Oft ging es dabei um
das Essen von Insekten. Das hat mein Interesse geweckt. Dann kam das Buch für die FAO,
und es gab so viel internationale Resonanz - so wurde aus dem Hobby ein Beruf.
ZUSPIEL: Ausschnitt aus Jim Knopf: »Mein Name, ihr ehrenwerten Fremdlinge, ist Ping
Pong. - Ich heiße Lukas. - Und ich Jim. - Ich habe den Klagegesang eurer erhabenen Mägen
vernommen. Was darf ich euch bringen? Vielleicht tausendjährige Eier auf zartem Salat aus
Eichhörnchenohren? Oder gezuckerte Regenwürmer in saurer Sahne?«
SPRECHERIN: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer von Michael Ende, Hessischer
Rundfunk 1976, Buch & Regie: Manfred Jenning.
ZUSPIEL: »Oder hättet ihr gerne Wespennester in Schlangenhaut? Wie wäre es mit
Ameinsenklößchen auf köstlichem Schneckenschleim? Gut sind auch geröstete Libelleneier
in Seifenschleim oder Seidenraupen mit weich gekochten Igelstacheln.«
ZUSPIEL: Kaugeräusche
ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Es wird eine Fleischkrise geben. Bis zum Jahr
2050 wird die Nachfrage an Fleisch um 70 Prozent zunehmen. Schon jetzt werden 70, 80
Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Viehzucht verwendet. Das kann also so nicht
weitergehen. Wir brauchen alternative Eiweißquellen.
SPRECHERIN: Grillen, auch: Heimchen genannt. Acheta domesticus. Länge: 16 bis 20
Millimeter. Grau-braun bis schwarz. Eiweißgehalt gefriergetrocknet: 70 Prozent. Frittierte
Grillen schmecken wie knusprige Hähnchenhaut.
ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Klar, man kann an Entengrütze denken, an
Algen, an Seetang. Aber Insekten - die kann man sofort benutzen. Man muß auch beachten,
daß die Fleischproduktion sehr umweltschädlich ist. 15 Prozent der gesamten
Treibhausgase kommen aus der Viehzucht. Dreiviertel der Ammoniak-Emmissionen
kommen aus der Viehzucht. Bei Insekten ist diese Bilanz viel besser.
ZUSPIEL: Musik "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "
SPRECHER: Ich habe recherchiert: bei zwei Milliarden Menschen sind Insekten Teil der
traditionellen Ernährung.
OT Guido Ritter: Was ich jetzt schon sagen kann: Es wird uns garantiert schmecken. Auch
wenn viele sagen: Oh Gott, ja? Was kommt da auf uns zu, ist ja eklig ...
SPRECHERIN: Guido Ritter. Ernährungswissenschaftler. Münster.
OT Guido Ritter: ... nein, wer Insekten schon mal probiert hat und gemerkt hat, oh, hoppla,
das ist ja eigentlich ganz lecker, weil das ist ein bißchen nussig, wenn sie ordentlich
zubereitet sind, sind sie auch von den Röstaromen und so weiter ganz schmackhaft, wird
merken, alles andere ist Kopfkino. Und das läßt sich also mit bißchen Gewöhnung auch ganz
gut leisten.
ZUSPIEL: Kaugeräusche
SPRECHER: Ich erinnere mich an eine Hollandreise. 2014. Da lagen schon Insektenprodukte
in den Supermärkten. Bei Albert Heijn und bei Jumbo. "Schmeckt nach Nüßchen, hat aber
Füßchen", hieß es bei unseren Nachbarn. 2017 suche ich dann vergeblich nach den
Insektenburgern. Ich frage nach bei Albert Heijn und Jumbo und bekomme eine knappe
Antwort: Wir haben den Verkauf von Insektenprodukten eingestellt.
ZITATOR - Voiceover - OT Arnold van Huis: Das kann man einfach erklären. Was man
unterschätzt hat: Die Insektenprodukte waren nicht lecker. Ich hab die auch probiert, da
hätte man sich viel mehr Mühe geben müssen, um die Burger und Balls lecker zu machen.
Das haben die Supermarktketten unterschätzt.
ZUSPIEL: Atmo, Straßenszene Basel, Autos Traßenbahn, Passanten
SPRECHERIN: Neue Zürcher Zeitung. 14. August 2017.
ZITATOR : Die Insekten-Burger kommen nächste Woche in die Regale. Ab dem 21. August
werden Produkte auf Insektenbasis in insgesamt sieben Coop-Supermärkten sowie beim
Hauslieferdienst Coop@home erhältlich sein ...
SPRECHER: In holländischen Supermärkten sind die Insekten verschwunden. In der
Schweiz fängt die Geschichte erst an. Ich reise nach Basel.
OT Ramón Gander: ... und Sie sind jetzt auch zu 'nem guten Zeitpunkt gekommen, weil
eine Weile lang mußten wir da auch ein bißchen abblocken, weil wir haben so viele Anfragen
gekriegt, eigentlich hätten wir da gar nichts anderes mehr tun können, als über Insekten zu
informieren ... [Rest des O-Tons im Hintergrund weiterlaufen lassen, wie Atmo]
SPRECHER: Basel. Thiersteinerallee 14. Die Zentrale von Coop. Ein nüchterner
Besprechungsraum. Ramón Gander hat eine abgewetzte Kühltasche mitgebracht. Der
Mediensprecher zieht zwei Packungen heraus. Insects Balls. Und Insect Burger.
OT Ramón Gander: Wir haben da bewußt entschieden, daß wir mit verarbeiteten
Produkten starten, die bekannten Produkten sehr ähnlich sehen. Also, das sind zum einen
solche Bällchen, die vielleicht mit Falafelbällchen vergleichbar sind, und zum anderen ein
Burger, um dem Kunden auch den Einstieg zu erleichtern.
SPRECHER: Zehn goldgelbe Insektenbällchen stecken in der Packung. Ich sehe grüne
Kräuterpüntkchen, Möhrenschnipsel, aber weder Köpfe noch Füßchen ...
OT Ramón Gander: ... und die kosten acht Franken fünfundneunzig. Dasselbe gilt für die
zwei Burger. Die kosten ebenfalls acht Franken fünfundneunzig ...
SPRECHER: ... umgerechnet rund sieben Euro siebzig. Insektenprodukte sind teuer.
OT Ramón Gander: ... im Moment werden Insekten noch in sehr kleinen Mengen
hergestellt, und auch die Produkte werden eher in einer Art Manufaktur als in einer großen
industriellen Anlage gefertigt. Entsprechend wirkt sich auch das auch auf die Verkaufspreise
aus.
SPRECHER: ... und wie reagieren die Kunden?
OT Ramón Gander: .. die meisten Leute haben sich positiv geäußert, gewisse auch, die das
nicht ganz verstanden haben, wieso wir das machen, aber die meisten Leute wollten
eigentlich wissen, wo die Produkte erhältlich sind.
ZUSPIEL: Musik "Automate. Das Erste Wiener Gemüseorchester "
SPRECHER: Ramón Gander packt Burger und Balls wieder in die Kühltasche und gibt sie
mir. Ich könne sie ja mal zuhause braten. - Darf ich die so einfach in die EU einführen?
OT Ramón Gander: Das ist 'ne gute Frage. Ich geh davon aus, daß das möglich ist ... [Rest
unter folg. Text, dann blenden] ... weil ich denke, Sie dürfen die Produkte haben, Sie dürfen
sie konsumieren, aber vermutlich nicht gewerbsmäßig verkaufen ...
SPRECHER: Ich werde zum Insektenschmuggler. - Vorher fahre ich aber in den Coop-Markt
am Bahnhof Süd und suche nach den Burgern im Kühlregal...
ZUSPIEL: Atmo, Straße vor Coop, Eintreten in den Markt ...
SPRECHER: Zwischen Tofuburgern und Frühlingsrollen werde ich fündig. Da hängen
Insektenburger und -bällchen, als wäre es das sebstverständlichste der Welt. Hersteller: die
Firma Essento.
OT Melchior Füglistaller: Essento ist ein Startup, das sich den Insekten, den eßbaren
Insekten verschrieben hat. Wir entwickeln Produkte, wir produzieren Produkte und wir
vermarkten Produkte, basierend auf eßbaren Insekten.
SPRECHER: Ich treffe mich mit Melchior Füglistaller. Verantwortlich für Marketing und
Verkauf bei Essento.
OT Melchior Füglistaller: Also, wir können glücklicherweise sagen, daß unsere Produkte
jetzt immer schnell ausverkauft waren im Coop. Das liegt einerseits daran, daß das Thema
sehr präsent war in den Medien, daß viele Leute darauf gewartet haben und unsere
Produkte höchstwahrscheinlich auch gut ankommen und schmecken. Und andererseits: Wir
produzieren alles noch von Hand in unserer Manufaktur in Zürich. Das sind kleinere
Auflagen ...
SPRECHER: Wir gehen ein paar Schritte zur Seite, weg von den laut brummenden
Kühlregalen ...
OT Melchior Füglistaller: Was unser Team so alle verbindet, ist immer die Suche nach
neuen Antworten oder nach Antworten auf die Frage, ob der Status Quo, unser
Konsumverhalten, ob das richtig ist. Und 2013 ist dann ein Bericht von der FAO
rausgekommen mit dem ökologischen und gesundheitlichem Potential zu eßbaren
Insektem. Und das war so der Startpunkt, wo wir gesagt haben: Hey, so was brauchen wir
auch in der Schweiz.
SPRECHERIN: Insekten als Nahrung und Tierfutter gewinnen im 21. Jahrhundert immens
an Bedeutung. Gründe dafür sind die steigenden Kosten für tierische Proteine, Nahrungs-
und Futtermittelskandale, Umweltzerstörung, Bevölkerungszuwachs und der wachsende
Bedarf an Protein in Haushalten der Mittelklasse.
ZITATOR: Aus: Arnold van Huis. Edible Insects. FAO-Studie 2013
SPRECHERIN: Daher müssen dringend Alternativen zu konventioneller Tierhaltung
gefunden werden. Der Verzehr von Insekten, genannt Entomophagie, wirkt sich positiv auf
Umwelt, Gesundheit und Existenzsicherheit aus.
OT Melchior Füglistaller: Bis jetzt haben wir sehr, sehr positive Feedbacks gekriegt.
Wirklich, daß die Leute fanden, das schmeckt gut, es ist cool, daß ihr etwas macht. Ich
glaube, es gibt auch Leute, die sehr stolz darauf sind, daß die Schweiz jetzt eine
Vorreiterrolle eingenommen hat in diesem Thema - das ist sicher toll - oder weil man es cool
findet, daß man so was anpackt.
ZUSPIEL: Musik, Paganini 24 Capricci (24)
ZITATORIN (sehr distinguiert lesen): Insekten (Ziefer) machen die fünfte Klasse des
Thierreichs aus, und haben ihren lateinischen Namen daher, weil ihr Körper, mit einigen
Ausnahmen, gleichsam eingekerbt oder eingeschnitten (daher auch Kerbthiere) ist.
ZITATOR: Real=Encyclopädie oder Conversations=Lexicon. Fünfter Band. Leipzig 1824.
Seite 80 folgende.
ZITATORIN: Unterscheidungsmerkmale, die allen Insekten ohne Ausnahme zukommen,
sind der weißlichte kalte Saft in ihrem Körper, [...] und die eingelenkten hornartigen
Bewegungswerkzeuge oder Beine, von denen kein Insekt weniger als sechs hat ...
SPRECHER: Ein Insekt hat sechs Beine - weiß ich noch aus der Schule. Spinnen sind also
keine Insekten. Trotzdem locken mich gerade diese Tierchen nach 06712 Würchwitz. Hier
lebt eine deutsche Tradition auf acht Beinen.
OT Christian Schmelzer: Wir stehen an dem Milbenkäse-Denkmal, dem berühmtesten
Käsedenkmal der Welt. Das ist drei Meter hoch. Und diese Käsemilbe, die da drauf ist, die
hat am hinteren Teil - da gehen wir mal hin, kommen Se mal mit, ich zeig Ihnen das mal - die
hat hier hinten ein Loch drin, und in diesem Loch - wenn er nicht geklaut wurde, jetzt wurde
er gerade geklaut - liegt sonst immer ein Milbenkäse drin, und dann dürfen Sie dran riechen,
an diesem Käse, so, hier (er riecht sehr lautstark). Sehen Se, da sind auch noch 'n paar
Milben hier drin, die jetzt hier leben, da müssen wir nachher mal saubermachen, wenn die
Gäste morgen kommen, und dann kommt da wieder ein Käse rein. Dann kann man dran
riechen. Am Hintern der Milbe.
SPRECHER: Am Hintern der Milbe. Am hinteren Ende der Welt. - Bildhauer Christian Späte
aus Zeitz hat das elf Tonnen schwere Kunstwerk aus Carrara-Marmor geschaffen. Das war
2001 - ermöglicht durch großzügige Spender, durch den engagierten Bildhauer und die
Gemeinde Würchwitz. Die liegt 50 Kilometer vor Leipzig. Das Mekka des deutschen
Milbenkäses: ein beschauliches Dörfchen in Sachsen-Anhalt.
OT Christian Schmelzer: Ich bin eigentlich evangelischer Theologe. Ich bin noch nicht
Pfarrer, aber ich promoviere jetzt zur Zeit noch, und das würde dann danach kommen.
SPRECHER: Vor dem Denkmal der tonnenschweren Milbe treffe ich Käsemacher Christian
Schmelzer.
OT Christian Schmelzer: Den Käse gibt es ja schon seit 500 Jahren, ungefähr, in der Region,
und früher, müssen Sie sich vorstellen, haben diese ganze Bauerngehöfte, die Sie hier
rundrum sehen, also, hier sind ja jetzt nicht ganz so viele, aber da hinten im Ort, die haben
alle selber diesen Käse auch hergestellt. So bis, sagen wir mal, Ende des Zweiten
Weltkrieges, und dann, zu DDR-Zeiten, hat dann die Hygiene der DDR gesagt, nee, das ist
verboten, und dann ham dann nur so ein paar rebellische alte Frauen das weitergeführt ...
SPRECHER: Zusammen mit Helmut Pöschel, den hier alle nur "Humus" nennen, hat
Schmelzer die Milbenkäse-Manufaktur gegründet. Ein schräges Paar. Schmelzer, der
evangelische Theologe, jung, hip, gut aussehend. Lebt in Berlin. Und Pöschel. Der
pensionierte Biologielehrer, der in der DDR der 1960er Jahre angefangen hat, Sexfilme zu
drehen.
OT Helmut Pöschel: Also, hier hat meine Mutter und meine Großmutter schon diesen Käse
gemacht und die Urgroßmutter. In dieser kleinen Ecke - Thüringen, Sachsen-Anhalt und
Sachsen, also im Dreiländereck praktisch, hier ...
SPRECHER: Pöschel ist rundlicher als der schlanke Schmelzer. Er hat auch weniger Haare
und trägt eine weiße Kappe.
OT Helmut Pöschel und Christian Schmeler: Ich bin 72. Aber gefühlt 34. - Ich bin 30 am
ersten - nee - ich bin dreißig ...
SPRECHER: Wir schlendern zu einem alten Bauernhaus. Hier lebt Helmut Pöschel, hier
entsteht der berüchtigte Milbenkäse. Eigentlich nichts anderes als Magerquark mit
Gewürzen. Der wird getrocknet und dann den Milben überlassen. - Im Haus riecht es nach
Pferdestall. Und in einem kleinen Nebenraum stehen mehrere Holzkisten, in denen es - lebt.
OT Helmut Pöschel: Das sind hier Munitionskisten, die sind so stabil, aus dem Ersten und
Zweiten Weltkrieg. Und hier drin sind immer 250 Millionen Tiere, und die arbeiten Tag und
Nacht an dem Käse, ne.
OT Christian Schmelzer: Sie sehen, das sieht aus wie im Denkmal vorne, dieser Staub, den
wir da hinten drin hatten. Das sind Milben und Roggenmehl. Und Sie sehen jetzt auch, wie
die sich bewegen, über den Käse, gucken Sie mal da hinten, auf der großen Scheibe, da
fallen die richtig runter, da sieht man die ein ganz klein bißchen mit dem Auge ...
OT Helmut Pöschel (fällt ihm ins Wort): ... die Tiere arbeiten jetzt gerade an dem Käse.
Und die dürfen 50 Prozent abknabbern, und dann isser reif. Das dauert ein Vierteljahr.
Mindestens.
SPRECHER: In den Kisten liegen - in einer Art sandfarbenem Mehl - kleine Käserollen und
Käsetaler. Und tatsächlich - wenn man genau hinsieht, kann man es krabbeln sehen.
ZUSPIEL: Musik, Xenakis, Concrete Ph
OT Helmut Pöschel: Damit die nicht zu viel abfressen, da füttern wir die immer mit tollem
Roggenmehl. Frisch gemahlenes Roggenmehl. Und da können wir das balancieren, nicht
daß die zu viel wegnehmen. Und wenn die gestorben sind, werden die von ihren Kindern
aufgefressen. Also, das heißt, es gibt hier keine Beerdigung. Das geht einfach in den
Kreislauf wieder rein.
ZUSPIEL: Musik, Ligeti, Artikulation
SRECHERIN: Tyroplyphus siro. Früher: Tyroglyphus casei. Käsemilbe. Spinnentier. Größe:
circa 0,3 Millimeter. Vermutlich bewirkt der Milbenspeichel die Fermentation des Käses.
Beim Verzehr des Würchwitzer Milbenkäses werden die Milben lebend mitgegessen.
OT Helmut Pöschel: Wir werden oft gefragt: Wie schmeckt er denn? Er hat so 'ne Richtung
wie Harzer Käse, aber mit bitterer Note, aber mit milbigem Abgang.
OT Helmut Pöschel: In so 'ner Kiste passen ungefähr so fünfzig Käse rein. Ja, und das ist
diese Mittelalter-Rolle, die schon Martin Luther gegessen hat. Diese wird geklitscht, aus
Magerquark, getrocknet, gewürzt mit geheimen Zutaten, wie zum Beispiel Holunderblüten,
und, ähm, dann kommen diese ... Quärke in die Kiste, und ein Vierteljahr müssen die reifen.
Und Gourmets wollen ein Jahr diesen Käse drin reifen lassen - da wird er schwarz.
(Klopfgeräusche: harter Käse auf Holzkiste) Knochenhart. Een richtiger Hartkäse, der 'ne
Farbe annimmt wie Bernstein.
SPRECHER: Der lebendige Genuß hat seinen Preis. Die Würchwitzer Himmelsscheibe, rund
150 Gramm, kostet dreizehn Euro. Die Milbenkäse-Rolle mit 30 bis 50 Gramm kostet neun
Euro. Verschickt wird das "Lebendgut" mit DHL ...
OT Helmut Pöschel: ... da sind nicht ein paar Milben drin, da ja hunderte, tausende Milben
an einem Käse ...
SPRECHER: ... allerdings, so heißt es in den AGB, kann es zu "Lieferverzögerungen"
kommen. In Würchwitz hat es niemand eilig. Weder die Milben noch Helmut "Humus"
Pöschel.
OT Helmut Pöschel: Es gibt nur noch ein Land, wo wir diesen Käse nicht hinschicken
dürfen. Das ist die USA. Und da haben wir einen ganz tollen Trick erfunden, wie wir die NSA
austricksen können, die uns ja immer belauschen: Wir kaufen einfach so eine Federmappe
für die Einschulung, nehmen den Radiergummi raus und schieben so'n Milbenkäse rein als
Radiergummi. Und wünschen alles Gute zum Schulanfang. Kommt immer an.
ZUSPIEL: Jimi Hendrix, Star Spangled Banner
SPRECHER: Ja, ich geb's zu: Milben sind keine Insekten. Aber Ex-Biolehrer Pöschel sieht das
auch nicht so eng ...
OT Helmut Pöschel: ... ist ein Spinnentier. Aber im Großen und Ganzen kann man sie zu den
Insektengruppen mit dazustecken. Besteht aus wunderbarem Eiweiß. Und ist die Zukunft. -
Die Milbe ist die Zukunft (beide lachen).
ZUSPIEL: Wiener Gemüseorchester
SPRECHER: Sind Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft? Entomologe Arnold van Huis
ist davon überzeugt. Doch wer soll die Milliarden Insekten züchten? - In den Niederlanden
gibt es schon heute große Zuchtbetriebe, aber niemand läßt mich rein. Alles ganz geheim.
Ein kleiner Zuchtbetrieb in Kessel bei Venlo öffnet mir doch die Türen.
OT Sanne van Erp: Mein Name ist Sanne van Erp, und wir sind bei Tasty Bugs. Wir sind eine
insect farm für Insekten und wir produzieren Insekten für Tiere, aber wir produzieren auch
Insekten für Essen für Menschen.
SPRECHER: Sanne van Erp ist klein und kräftig. Eine Frau, die zupacken kann. Die braunen
Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
OT Sanne van Erp: Ich kann deutsch reden, also, dat geht schon, aber nur mit manchen
Sachen muß man eben nachdenken, wie man das sagt (lacht).
SPRECHER: Wir stehen in einem Raum mit Terrarien. Geckos, Eidechsen, Bartagamen
beobachten uns still.
OT Sanne van Erp: Wir haben angefangen mit Snacks für bei die Pommes. Und das sind
dann die holländischen Kroketten und Bamis, was wir dann gemacht haben - das ist nicht
schlimm für Menschen zu essen. Das geht leicht. Weil aus der Friteuse essen sie dann schon
- also, dat geht dann auch noch!
SPRECHER: Wir gehen in einen weiteren Raum, in dem große Kühl- und Gefrierschränke
stehen ....
... um dann in den eigentlichen Zuchtbetrieb zu kommen.
ZUSPIEL: ziemlich heftig quietschende Tür, neuer Raum
OT Sanne van Erp: Ja, hier sind wir in der Züchterei. Hier produzieren wir die Mehlwürmer,
die Moriowürmer, die Heuschrecken und die Grillen produzieren wir hier. Alles in separaten
Räumen, so daß sie nicht durcheinander wachsen. Das macht es für uns leichter, um alles zu
verarbeiten.
SPRECHER: Ein heller, weißer Raum. An der Wand hängen kleine Schaufeln aus Kunststoff:
gelb, schwarz, orange und grün. Siebe in mehreren Größen und Formen.
OT Sanne van Erp: Ich kann dir alles sehen lassen. Wir können anfangen bei die
Heuschrecken, da fangen wir an, da ist das meiste Geräusch. Die hörste schon, wenn die Tür
zu ist ...
ZUPIEL: Tür wird geöffnet, kleiner Raum, erfüllt vom Zirpen der Heuschrecken
OT Sanne van Erp: Hier siehst du die Boxen von die Heuschrecken, die haben alle einen
Deckel drauf. Die Wand an der Innenseite ist alles glatt. Weil wenn das glatt ist, dann können
die Heuschrecken nicht nach oben klettern.
SPRECHER: In dem kleinen Raum ist es warm und feucht ...
OT Sanne van Erp: Insekten haben es gerne warm. Also, hier ist es Minimum 28 Grad.
Mininum! Und das geht Maximum 30 Grad.
SPRECHER: Wie man Insekten züchtet, kann man - noch - nirgendwo studieren. So hat
jeder Züchter seine ganz eigenen Methoden. Und weil damit in den kommenden Jahren viel
Geld gemacht werden soll, sind die meisten Züchter eher verschwiegen. - Anders Sanne van
Erp.
OT Sanne van Erp: Möhren essen die, Kartoffeln essen die. Die haben auch ein
Trockenfutter. Da bekommen sie die Mineralen, was sie nötig haben, holen sie da raus. Die
Möhren und die Kartoffeln ist nur für Feuchtigkeit ....
SPRECHER: .. und weil sich die Insekten in großen Mengen vermehren, ist die ganze
Geschichte besonders nachhaltig ...
OT Sanne van Erp: Ja, wir haben bei die Heuschrecken und die Grillen ein klein Kistchen mit
Sand da drin. Die Frau, die hat 'ne Beuse an ihrem Hintern, da legt sie die Eier durch, und die
legen das in das Sand. Das Sand, was drin ist, holen wir raus, setzen wir in eine andere Box -
bei Grillen, da kommen zwei, dreihundert neue raus.
SPRECHER: Bleibt noch die Frage, wie man so viele Insekten tötet.
OT Sanne van Erp: Die Grillen und die Heuschrecken, die werden eingeschläfert in der
Gefriertruhe. Erst fangen wir die, machen die in eine Box. Dann bekommen sie 24 Stunden
kein Essen. Daß die Organe ganz leer sind, der Darm und so. Dann kacken die alles aus,
sozusagen. Und dann gehen die in Gefriertruhe, schlafen die ein und werden so freundlich
wie möglich getötet.
SPRECHER: Sanne van Erp hat mir Buffalowürmer angeboten. Zum Probieren. Nichts
dabei, hat sie gesagt. Einfach machen. Naja, nennen Sie es feige oder stur, aber ich hab
nicht zugegriffen. Ich brauche mutige Vorkoster. Wieder zuhause, besuche ich unseren
Kindergarten und biete den Erziehern fein geröstete Insekten an.
OT Kindergärtnerinnen: Ich bin 51, bin die Birgit, und ja, ich würd was probieren. Ja, so'n
Buffalowürmchen. (riecht daran) Nussiger Geruch ... die riechen nach Nuß ... ja, nehm ich
mal eins ... (kaut) ... mhm, sie schmecken eigentlich so mehr nach nichts, aber sie knacken
wenigstens noch. Also, wenn man die untergemischt bekommt - man merkt's nicht. Doch,
kann man essen. - Ich bin die Eva und bin 22 Jahre alt. Dann würd ich mich mal an so ein
Buffalowürmchen herantrauen. Und mal testen, wie das schmeckt. Aber: die leben nicht
mehr, ne, nein, ne? (probiert, kaut) Das schmeckt so'n bißchen wie ... wie so 'ne Reiswaffel
...
SPRECHER: Gibt es einen freundlichen Tod - auch wenn es "nur" Insekten sind? Ich mache
mir eine Notiz, muß später darauf zurückkommen. Jetzt aber geht's erst einmal wieder
nach Deutschland, und zwar nach Osnabrück.
ZUSPIEL: Atmo, Kaffeemaschine in Osnabrück. - Jemand führt mich durch die Büroräume
SPRECHER: Ein schäbiges Industrieviertel vor der Stadt. Autoverkäufer, Schrotthändler,
Abschleppdienste. In einer Sackgasse liegt die Adresse Kirksweg 5. Die Büroräume der
"Bugfoundation" liegen im obersten Stock.
OT Max Krämer: ... das ist die Klingel [ping] - wenn wir verkaufen, dann klingelt's im Büro.
ZUSPIEL: Atmo, Kaffemaschine, klackernde Geräusche, dann:
OT Max Krämer: Mein Name ist Max Krämer. Ich hab zusammen mit Baris das
Unternehmen gegründet. Im Febrar 2014. Ich bin 31 ...
OT Baris Özel: ... und ich bin Baris Özel, und ich habe die Bugfoundation zusammen mit
Max gegründet und bin hauptsächlich für das Marketing verantwortlich. 30 Jahre alt.
SPRECHER: Max Krämer und Baris Özel: das sind die Macher hinter dem "BuxBurger" - eine
hippe Bulette aus Insekten und allerlei geheimen Zutaten. Die zwei ähneln sich irgendwie.
Beide schlank, T-Shirt, bißchen Bart - und den Schalk im Nacken.
OT Max Krämer: Genau. Wir essen eigentlich nichts anderes mehr, weil das auch zu teuer
wär'. Wir verdienen ja auch nicht so viel Geld. Deswegen haben wir hier einen Riesen-Vorrat
an BuxBurgern angelegt, und den gibt's dann in verschiedener Form. Manchmal pürieren
wir den, so, machen 'ne Suppe morgen daraus oder tun den ins Müsli. Aber es gibt nichts
anderes mehr zu essen hier. (OT Baris Özel:) Ja.
ZUSPIEL: z.B. Wiener Gemüseorchester
OT Max Krämer: Also, man muß erst mal vorher sagen, daß Baris und ich uns schon seit -
ich glaube es sind jetzt - 18 Jahre kennen wir uns schon, und haben während des Studium
beide entschlossen, wir brauchen mal 'ne Pause. Haben uns ein Jahr freigenommen und sind
auf 'ne Weltreise gefahren. Und da waren wir unter anderem in Südostasien, wo wir
eigentlich so alles probiert haben, was uns in den Weg gekommen ist, kulinarisch. Und unter
anderem haben wir dann eben auch Insekten probiert, und die haben uns geschmacklich
halt sofort überzeugt.
ZUSPIEL: z.B. Wiener Gemüseorchester
OT Baris Özel: Nachdem wir uns Gedanken darüber gemacht haben, ob so was tendenziell
vermarktbar ist, kamen wir eigentlich zu dem Entschluß, wenn wir ein Produkt schaffen,
was in erster Linie köstlich schmeckt und auch ästhetisch aussieht, ist es mit Sicherheit auch
an den Mann zu bringen. Und deswegen haben wir uns auch entschieden, den Burger zu
machen, als erstes Produkt, weil wir dort die Insekten komplett verarbeiten können, so daß
keine Insekten oder Insektenteile sichtbar sind. Und deswegen haben wir auch mit dem
BuxBurger angefangen.
ZUSPIEL: Musik, Marcel Dupré, Variations sur un Noel
ZITATOR: Alles auch, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier Füßen, das soll euch
eine Scheu sein.
SPRECHERIN 1: Drittes Buch Mose, Kapitel 11
ZITATOR: Doch das sollt ihr essen von allem, was sich regt und Flügel hat und geht auf vier
Füßen: was noch zwei Beine hat, womit es auf Erden hüpft; von demselben mögt ihr essen
die Heuschrecken, als da ist: Arbe mit seiner Art und Solam mit seiner Art und Hargol mit
seiner Art und Hagab mit seiner Art.
ZITATORIN: Die Rechtslage zum Verzehr von Insekten war bis 2017 eine Grauzone. In der
bis dahin gültigen Novel-Food-Verordnung Nr. 258/97 gelten Insekten als neuartige
Lebensmittel. Jedes EU-Land konnte selbst entscheiden, ob und welche Insekten als
Nahrungsmittel zugelassen werden.
ZUSPIEL: Glockenklang
ZITATOR: In Deutschland und Holland durften bis Ende 2017 vier Insektenarten verkauft
werden, in Belgien zehn Arten. Rechtssicherheit gab es dennoch kaum. Das Düsseldorfer
Restaurant Mongo's mußte Mitte 2017 auf richterliche Anordnung die Zubereitung von
Insektengerichten einstellen. Und die Burgermacher aus Osnabrück bekamen Probleme, als
der Oberbürgermeister ihren Bratklops probierte, fotografiert wurde und tags darauf in der
Zeitung auftauchte.
ZITATORIN: Anfang 2018 ist eine neue EU-Verordnung in Kraft getreten: 2015/2283 . Das
Bewertungs- und Zulassungsverfahren wird vereinfacht und beschleunigt. Das Jahr 2018
könnte EU-weit zum Startpunkt für eßbare Insekten werden.
OT Max Krämer: Also, für mich ist das kulinarisch, als hätte man gerade den Käse neu
entdeckt. Also, so von 'ner Kragenweite. Es gibt 2.000 [eßbare] Insekten, manche
schmecken nach Bacon, manche nach Hühnchen. Da gibt es ungeahnte Möglichkeiten. Und
da wird's noch viele, viele Produkte geben, die auf den Markt kommen.
ZUSPIEL: mehrere Kaugeräusche parallel
OT Max Krämer: Also, wir haben unseren Schwerpunkt ja zur Zeit in den Niederlanden, und
da im B-to-B-Bereich, daß heißt wir verkaufen hauptsächlich an Unternehmen. In den
meisten Fällen sind das Gastronomen ...
OT Baris Özel: ... das sind ziemlich gute Burger- und Steakhäuser: der Geschmack
überzeugt letztendlich.
ZUSPIEL: Atmo, Hintergrund-Sounds aus dem Amsterdamer Burger-Restaurant "Grizzl",
schon unter die O-Töne von Krämer & Özel legen ...
SPRECHER: Noch ein Abstecher nach Holland. Ich sitze im Grizzl. Einem kleinen Burger-
Restaurant in Amsterdam-Süd. Viel Holz. Die Einrichtung grün, blau, sandfarben.
Gedämpftes Licht über hohen Tischen. Philip Paternotte hat Grizzl vor vier Jahren
gegründet.
ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Ja, wir bieten seit kurzem den BuxBurger an.
Vor 'nem Jahr waren hier zwei total begeisterte Jungs aus Osnabrück. Die haben mir ihren
Insektenburger gezeigt. Auf Basis von Buffalowürmern. In Holland gezüchtet. Ja, dachte ich,
nachhaltiger geht's nicht! Ich habe den Burger probiert, fand den Burger super, aber
trotzdem brauchte das noch Zeit. Ein Jahr später waren die beiden noch mal hier. Und jetzt
haben sie einen so fantastischen Burger entwickelt! Der schmeckt so super! Zusammen mit
unseren Zutaten ist das großartig. Ja. Wir haben jetzt den BuxBurger auf der Karte.
ZUSPIEL: Pfannengeräusche, etwas wird in heißes Öl gelegt, Brutzeln
ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Die Gäste sind sehr neugierig. Die gucken
zuerst. Dann sind sie still. Dann sprechen wir sie an: Was haltet ihr davon? Dann kommt da:
Ja, heute noch nicht. Vielleicht morgen. Ich hab auch 'n Jahr gebraucht, um mich an die Idee
zu gewöhnen, Insektenburger zu essen. Heute ist das für mich das normalste der Welt. - Und
jetzt? Ich sag' s mal so: Es gibt schon Leute, die haben ein zweites Mal den BuxBurger
bestellt.
ZUSPIEL: Pfannengeräusche, etwas wird in heißes Öl gelegt, Brutzeln
ZITATOR - Voiceover - OT Philip Paternotte: Irgendwie steckt der BuxBurger zwischen den
Burgern aus Fleisch und den vegetarischen Burgern. Der BuxBurger hat - und das finde ich
so toll und einzigartig daran - einen ganz eigenen Geschmack. Man kann den Burger nicht
vergleichen mit den anderen Burgern.
ZUSPIEL: Atmo, zurück in Osnabrück, Schritte, Burger werden aus der Packung geholt
OT Max Krämer: Ich würd' auch gern mal einen Versuch mit dir starten, und zwar können
wir ja auch mal den Burger einfach in die Pfanne schmeißen. Und wenn dich der Geruch
nicht überzeugt, muß du ihn ja nicht probieren.
ZUSPIEL: Pfannengeräusche, Musik "Stars & Stripes" von Sousa
OT Max Krämer: Also, das schöne ist ja, daß du durch unsere Insektenburger noch stärker
wirst, als wenn du einfach nur Rindfleisch essen würdest, weil wir zum einen einen sehr
hohen Proteingehalt haben. Wir liegen da bei 24 Prozent, während 'nen Rindfleischburger
etwa bei 18 Prozent liegt. Und das vorteilhafte an den Proteinen: daß sie eben sehr
hochwertig sind. Wir haben alle essentiellen Aminosäuren drin, d.h. die sind einfacher
hochwertiger als die Eiweiße im Rindfleisch. Gleichzeitig sind die Fette auch besser. Wir
haben kaum gesättigte Fettsäuren und haben größtenteils ungesättigte Fettsäuren. Und
dann sind noch viele Mikro-Nährstoffe drin, wie Eisen oder Vitamin B12.
OT Max Krämer: Ja, der Burger wäre jetzt auch so weit ... ich weiß nicht, ob du probieren
möchtest ...
SPRECHER: ... ich ... warte noch was ...
OT Baris Özel: ... ich glaub, gleich ham wir ihn so weit ...
OT Max Krämer: ... ja, ich glaub auch ...
SPRECHER: ... glaub' nicht ...
OT Max Krämer: ... wenn man erst mal sieht, wie gut das aussieht ... wie gut er sich anhört
...
OT Baris Özel: ... wir haben auch auf Sound geachtet ...
OT Özel/Krämer zugleich: ... mal zuhören (man hört es deutlich knirschen beim Schneiden)
OT Max Krämer: ... ja, also Sounddesign war auch in der Produktentwickelung sehr wichtig
...
OT Özel/Krämer zugleich: (beide lachen laut) ... nein, das ist natürlich wichtig, daß der
knusprig ist und mit der Knusprigkeit kommt dann auch das Geräusch ...
OT Baris Özel: ... so, wir machen mal den Anfang ... (Kaugeräusche von zwei
Jungunternehmern)
OT Max Krämer: ... schmeckt genauso, wie er soll, perfekt ... (Kaugeräusche)
OT Baris Özel: ... das wär' jetzt ja auch so 'n bißchen unfreundlich, wenn du uns das
abschlagen würdest, den zu probieren ... wir ham dich in unser Haus eingeladen, haben dir
einen Burger zubereitet ... ich glaub, in deinem Inneren bist du auch ein sehr ...
OT Max Krämer: ... (fällt ihm ins Wort) ich sag mal so: Balu, der Bär, war auch ein ziemlich
brummiger Typ, und der hat auch ziemlich viele Insekten gegessen ...
SPRECHER: Tja, die Insektenbulette hab ich auch nicht getestet. - Die Erzieher in unserem
Kindergarten waren mutiger. Selbst die größeren Heuschrecken und die nach Fischfutter
riechenden Grillen haben sie probiert ...
OT Kindergärtner: Ja, ich bin Marcel, 50 Jahre alt. Ich bin Nils, 45 Jahre alt. Ich fang mal hier
mit so 'nem ... wie hießen die? ...
SPRECHER: ... Grillen ...
OT Kindergärtner: ... (kaut) ja, kann man essen, ist jetzt nicht, dass ich sag, schmeckt nicht.
Erinnert mich so'n bißchen ... mhm ... ungewürzte Chips, find ich. - Also, ich probier jetzt
mal so 'ne Heuschrecke, obwohl mich das so'n bißchen - so von der Größenordnung -
Überwindung kostet. Also, Flügel ab ... die müssen also noch sozusagen (er bricht die Flügel
ab, es knackt deutlich) ... eben abzupfen, oah ... (kaut lange) ... mhm, muß sagen, also, die
find ich jetzt ganz lecker eigentlich. Die haben also so'n würzigen Geschmack auch. Also gar
nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Mit Kopf oder ohne Kopf? (kaut munter weiter) Ich
hatte jetzt bei den kleinen [Insekten] gar keinen Ekelfaktor, bei dieser größeren
Heuschrecke ein wenig, aber den hab ich jetzt schon abgelegt. Also, da würd ich jetzt noch
eine von essen, ohne dass ich denken würde, das ekelt einen ...
ZUSPIEL: Brust oder Keule, wie Anfang, etwas länger stehenlassen
SPRECHER: Auf der Rückfahrt von Osnabrück kommt eine E-Mail. Kreca, einer der größten
Insektenzüchter, lädt mich nun doch ein. - Ich fahre sofort nach Ermelo, einem
holländischen Dörfchen zwischen Zwolle und Amersfoort.
ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Wir sind hier bei Kreca, einer Abteilung der
ProtiFarm-Gruppe. Wir züchten elf Insektenarten. Als Tierfutter und auch als menschliche
Nahrung.
SPRECHER: Hinter einem gepflegten Bauernhaus mit großem Blumengarten stehen
mehrere Hallen. Nur selten erhalten Journalisten Einblick in diese Welt. Geschäftsführer
Nico Rood lächelt.
ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Es gibt unglaublich viele Anfragen von Journalisten.
Das Thema ist sehr populär, ein boomender Markt. Aber die Insektenzüchterwelt ist
ziemlich hermetisch. Alle diese Züchter haben ihre eigenen Methoden entwickelt, das
Futter, die Art der Fütterung, die Zuchtmethoden - das wollen sie geheim halten, weil jeder
Angst hat, daß die Konkurrenz davon erfährt. Dieser Markt wird extrem wachsen, es wird
einen riesigen Boom geben, vor allem auf dem Gebiet des menschlichen Verzehrs. In fünf
Jahren werden wir alle Insekten essen.
SPRECHER: Nico Rood schlendert mit mir durch die Hallen. Eigentlich sieht es aus wie bei
Tasty Bugs, nur viel, viel größer. Überall laufen Mitarbeiter herum und betreuen meterlange
Regalreihen mit Insektenboxen.
ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover: Angefangen haben wir mit Insekten als Tiernahrung.
Daraus ist dann ein Zweig mit Insekten für menschliche Nahrung entstanden, vor acht
Jahren. Wir dürfen fünf Arten von Insekten züchten. Zwei Arten von Grillen, Heuschrecken,
Buffalowürmer und Mehlwürmer. Die Zucht der Buffalowürmer machen wir schon viele
Jahre, die haben wir hier entwickelt und perfektioniert. Und die Buffalowürmer werden wir
jetzt auf ganz großem Niveau züchten. Wir bauen eine neue Fabrik hier in Ermelo. Das wird
der größte Insektenzuchtbetrieb der Welt. Komplett automatisiert. Im März wollen wir mit
der Produktion beginnen. Dort werden täglich 10.000 Kilogramm Insekten produziert. In der
Anfangsphase. In der zweiten Phase sollen es 20.000 Kilogramm täglich werden. Sieben
Tage die Woche. Rund um die Uhr. Alles für den menschlichen Konsum.
SPRECHER: Mal nachrechnen. 10.000 Kilo Buffalowürmer am Tag. Das macht im Jahr 3.650
Tonnen Insekten. - Wer soll die alle essen?
ZITATOR - OT Nico Rood- Voiceover:: Jeder (lacht). Daraus entsteht eine große
Produktpalette. Die Insekten werden als Fleischersatz benutzt, z.B. in Hamburgern, in
Würstchen. Wir machen Eiweißpuder daraus, zum Beispiel für Fitness-Drinks. Wir können
die Fette extrahieren, für Kosmetikprodukte oder auch Nahrungsmittel. Insekten werden
getrocknet, so daß man sie in Pasta verarbeiten kann, indem ein Teil des Mehls durch
Insektenmehl ersetzt wird.
ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Karneval der Tiere, Voliers
SPRECHER: Eine Frage geht mir nicht aus dem Kopf. Können - dürfen wir eigentlich so
einfach Milliarden von Insekten züchten und töten? Sanft in den Kältetod schicken? In
kochendem Wasser blanchieren? - Antworten von einem Mann, der nicht mehr in Zoos geht
und schon lange kein Fleisch mehr ißt.
OT Markus Wild: Mein Name ist Markus Wild. Ich bin Professor für Philosophie an der
Universität Basel in der Schweiz, und mein Spezialgebiet sind Tiere, d.h. ich befasse mich
mit Tierphilosophie, mit dem Unterschied zwischen Mensch und Tier, aber auch mit der
Tierethik. Und ich glaube nicht, daß die Tatache, daß etwas ein Tier ist, alleine schon
moralisch relevant ist. Man muß sich fragen, ab wann wird etwas, ja, zu einem Gegenstand
moralischer Sorge oder moralischer Fürsorge. Und das passiert dann, wenn es einem Wesen
besser oder schlechter gehen kann, also, wenn es empfindet, was mit ihm passiert. Das
heißt, das zentrale ist so etwas wie Empfindungsfähigkeit, bewußte Empfindungsfähigkeit.
Und ein schöner Marker dafür ist die Fähigkeit, Schmerz zu empfinden.
ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Kangorous,
OT Markus Wild: Und jetzt stellt sich die Frage: Auf welche Tiere trifft das zu? Und nach
allem, was wir bislang wissen, trifft das auf alle Wirbeltiere zu. Das heißt: Säugetiere. Vögel.
Fische. Lurche. Und Reptilien.
OT Markus Wild: Ein Recht auf Leben oder so etwas wie ein Schutz vor Qualen - da ist
Empfindungsfähigkeit gefragt. Also würde ich sagen: Natürlich gibt es Tiere, die man essen
kann. Nämlich die außerhalb der Empfindungsfähigkeit fallen. - Beispiele für mich sind im
Moment Schnecken, gewisse Insekten und Muscheln. Nach allem, was wir wissen, sind die
nicht im Bereich der empfindungsfähigen Lebewesen.
ZUSPIEL: Musik, Saint Saens, Aquarium
SPRECHER: Aha. Also, Glück gehabt. Bitte einmal die große Meersfrüchte-Platte mit
Insektenzugabe. Ohne schlechtes Gewissen. Und moralisch einwandfrei. - Oder doch nicht?
OT Markus Wild: Wir gehen eigentlich immer davon aus - bei der Lösung aller anstehenden
ökologischen Probleme - daß wir so weitermachen können wie bisher und nur die Mittel des
Weitermachens wechseln können. Nehmen Sie das Elektroauto. Die große Lösung für alles.
Irgendwoher muß der Strom kommen. Nehmen Sie Insekten. Wir wollen so viel essen wie
bisher. Irgendwoher müssen die Grundmaterialien kommen. Das heißt: Wir leben immer
noch in der Illusion eines uneingeschränkten Konsumverhaltens, das auch auf Lasten eines
großen Teils der Bevölkerung geht. Und daß wir einfach die Mittel wechseln müssen, die
bislang nicht so gut waren. Und das ist dieselbe Logik. Ob da jetzt Insekten in dieser Logik
vorkommen oder Mastschweine, macht für diese Logik des Wachstums und des Weiter-So
keinen Unterschied.
ZUSPIEL: Musik, Brust oder Keule
SPRECHER: Jetzt hab' ich immer noch keine Insekten gegessen. Außer den 400 Gramm, die
jeder von uns ißt - ohne es zu wissen. - In meiner Tasche stecken die Fotos von Insekten
unter Mülltonne und Hackklotz. Taugen diese Tierchen wirklich nichts?
ZUSPIEL: Atmo, wieder Landszene, wie eingangs, viele Vögel, draußen im Garten
OT Rüdiger Nehberg: Ja, ich bin Rüdiger Nehberg, eigentlich Konditor von Beruf. Der Beruf
hat mich nicht erfüllt, aber Reisen hat mich erfüllt. Vor allem das Reisen auf eigene Faust.
Um mich auch von Straßen und Zivilisation entfernt bewegen zu können, habe ich mich
immer für das Thema Survival interessiert. Ich kann klarkommen in der Natur wie ein Tier,
ohne jede Ausrüstung. Und weil das bekannt geworden ist, daß ich Insekten mag - ich lebe
nicht davon, aber ich weiß: ich hab's probiert, ich kann sie essen - war ich verschrien als
Würmerfresser der Nation.
SPRECHER: Rüdiger Nehberg - Jahrgang 1935 - ist schlank, drahtig, muskulös und: topfit. In
seinem großen Garten suchen wir nach Insekten.
OT Rüdiger Nehberg: Also, jetzt würde ich mit meinem Grabstock die Erde aufpflügen,
dann wäre sie voller Würmer. - Würmer? Völlige Delikatesse. Wenn man die aus dem
Misthaufen zieht und grillt, das ist wie Kohlroulade.
OT Rüdiger Nehberg: Ich fing an mit einer Heuschrecke. Kopf zerdrücken, damit sie keine
Schmerzen empfindet, die Hinterbeine rausreißen, weil da Widerhaken sind, die im Hals
hängenbleiben können, wie 'ne Gräte, und dann stellt man fest: Mensch! Mit geschlossenen
Augen - wenn man nicht wüßte, daß es eine Heuschrecke ist - die schmeckt knackig,
süßlich, fettig. Wie eine Haselnuß. Und Mehlwürmer. Total lecker. Das ist gar kein
Beigeschmack. Einfach Nahrung. -
ZUSPIEL: Schritte
OT Rüdiger Nehberg: Hier unter dem Baumstumpf werden wir jetzt einiges finden. Da hält
schon mal 'ne Weinbergschnecke, aber die hat bei mir Naturschutz. Da sitzt sie. Und da
drunter haben wir Asseln, Würmer, irgendwas, so'n Tausendfüßler, der wäre eßbar, da, noch
einer. Da. Da wimmelt es doch hier, diese, diese ... Mauerasseln. Alles gute, eßbare
Nahrung.
SPRECHER: An diesem Tag ißt Rüdiger Nehberg keine Insekten. Es gibt auch keinen Grund
dafür. Wenn es nötig wäre, könnte Nehberg überall überleben - auch mit Insekten. Die Idee
allerdings, mit Insekten den Hunger der Welt zu bekämpfen, betrachtet er mit gemischten
Gefühlen.
OT Rüdiger Nehberg: Ja, wenn man eine Heuschrecke von einer gesunden Wiese nimmt, ist
sie eigentlich viel besser als jedes gedopte Schweinefleisch. Wenn man jetzt Insekten als
Weltnahrung irgendwann herstellen wird, dann wird es nötig werden, auch wieder
medikamentös einzugreifen, damit es diese Mengen werden, diese Tonnen von Fleisch.
Und ich glaube, dann reduziert sich auch der Gesundheitsfaktor. Ja, da bin ich skeptisch.
Lieber auf die Wiese gehen und 'ne einzelne Heuschrecke vernaschen.
ZUSPIEL: Musik, Brust oder Keule
ZITATOR: Made in Mayo. Insekten essen. Feature von Michael Arntz.
ZITATORIN: Es sprachen: Philipp Schepmann, Tatjana Clasing, Aischa-Lina Löbbert und
Jonas Baeck
Ton und Technik: Ernst Hastmann und Jens Müller
Regie: Fabian von Freier
Redaktion: Klaus Pilger
Produktion: Deutschlandfunk 2018.
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