„Wenn Sie sich fragen, was Sie persönlich
tun können, um verzweifelten Kindern zu
helfen, dann bitte ich Sie:
Informieren Sie sich über SOS-Kinderdorf
und unterstützen Sie seine Arbeit.“
Angelina Jolie
MexikoIsrael rennt Seite 2
sri lankaFamilienbande Seite 4
lettlandHinsehen und helfen Seite 8
NepalBlumen Seite 13
PeruJuans Traum Seite 14
RuandaWir wollen leben! Seite 16
IndienTashi baut Brücken Seite 20
Warum kommen Kinder ins
SOS-Kinderdorf? Wie wachsen sie
dort auf, was wird aus ihnen? Und was
für Menschen sind es, die für die
SOS-Kinderdörfer arbeiten und als
SOS-Mütter, Pädagogen und
Psycho logen täglich verzweifelten
Kindern neue Hoffnung schenken?
Die vorliegende Auslese zeigt Kinder,
Jugendliche und Erwachsene, denen Sie
durch Ihre Unterstützung geholfen haben.
Danke, dass sie Kindern in Not ein liebevolles Zuhause schenken!
2
Mexiko
Israel rennt
Israel rennt. Das tut er meistens. Entweder es ist ein Fußball,
dem der Achtjährige hinterherläuft, oder es sind seine jüngeren
Geschwister David (6) und Valeria (5). Die Geschwister sind
unzertrennlich, und das nicht erst, seit sie Ende Dezember
2008 ins SOS-Kinderdorf Mexiko-Stadt kamen. Schon zuvor
hatten die drei eine verschworene Einheit gebildet. Anders
hätten sie ihr Leben vor dem Kinderdorf auch nicht meistern
können. Aufgewachsen in einem der Armenviertel von Mexiko-
Stadt, kannten Israel, David und Valeria kein liebevolles Fami-
li en leben. Ihre alleinstehende Mutter war Alkoholikerin und
nicht imstande, den Kindern die notwendige Nestwärme zu
geben. Dafür gab es die Großmutter, an der Israel, David und
Valeria sehr hingen. Aber auch sie konnte ihnen kein sicheres
Zuhause bieten, denn der Großvater der Kinder war gewalttätig.
Seine Wut richtete sich abwechselnd gegen eines der Kinder.
Schnell war klar: Die Kinder müssen hier raus!
„Sind die ruhig. Viel zu ruhig!“, war der erste Gedanke von
SOS-Mutter Ana, als sie die Geschwister zum ersten Mal sah.
Für die Kinder aber war das „Unsichtbarsein“ überlebensnot-
wendig gewesen. Jahrelang. Nur nicht auffallen, keinen Mucks
von sich geben, niemals widersprechen – das hatten sie von
klein auf gelernt. Und selbst diese Taktik hatte ihnen die Prügel
des Großvaters nicht erspart. Es dauerte Wochen, bis Israel,
David und Valeria anfingen, aus sich herauszu gehen. Israel
brauchte am längsten, um zu glauben, dass ihm jetzt keine
Schläge mehr drohen. Valeria dagegen, die Kleinste, hat sich
am schnellsten in der Familie von SOS-Mutter Ana eingelebt.
Sie liebt die Vorschule, wo sie jedes Wort der Lehrerin wie ein
Schwamm aufsaugt. Daheim spielt sie am liebsten mit ihren
Puppen. David, das mittlere der Kinder, ist ein Bücherwurm
und sehr gut in der Schule. Außerdem malt er für sein Leben
gerne. Israel fühlt sich auch in der Familie von Ana stets für
seine Geschwister verantwortlich. Aber die größte Last hat
ihm Ana bereits am Tag seiner Ankunft von den Schultern ge-
nommen: Israel muss sich nicht länger schützend vor David
und Valeria stellen. Er darf jetzt selbst Kind sein.
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sri lanka
Familienbande
Thilaka Ranasinghe war eine von 20 Frauen, die sich ent schie-
den hatten, SOS-Mutter zu werden. Das war vor 30 Jahren, als
die SOS-Kinderdörfer in Sri Lanka ihre Arbeit aufnahmen.
Im Alter von zwei Jahren zog Sandun Samantha zu Thilaka ins
Familienhaus „Lotus“. Thilaka hieß den kleinen Sandun als ihr
erstes Kind herzlich willkommen. In den folgenden Monaten
wuchs die Familie: Thilaka nahm neun weitere Kinder bei sich
auf – nicht nur in ihr Haus, sondern auch in ihr Herz.
Thilaka war eine engagierte Mutter, die großen Wert auf gute
Erziehung und das Wohlergehen ihrer Kinder legte und immer
darauf bedacht war, dass ihre Kinder ihre Ziele erreich ten.
Dennoch war sie nur elf Jahre in der Lage, sich um ihre Kinder
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5
zu kümmern: Sie litt an Arthritis, die ihr starke Schmerzen be-
reitete, und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zu-
sehends. Schweren Herzens musste Thilaka vorzeitig in den
Ruhestand gehen.
Gerne wollte man Thilaka im SOS-Kinderdorf behalten, aber sie
kehrte lieber in ihr Heimatdorf zurück. Eine neue SOS-Mutter
übernahm Thilakas Familie, und obwohl sich die Kinder nach
anfänglichen Schwierigkeiten bei ihrer neuen Mutter wohl
fühlten, blieb der enge Kontakt zu Thilaka. Alle zehn Kinder,
auch Sandun, wuchsen heran, beendeten ihre Ausbildung und
begannen zu arbeiten.
Sandun und seine Geschwister besuchten Thilaka regelmäßig
an den Wochenenden. Sie halfen ihr beim Baden, wuschen
ihre Kleider, kauften für sie ein und leisteten ihr Gesellschaft.
Ein paar Jahre ging das so, bis sich Thilakas Zustand weiter
verschlechterte und sie in ein Heim ziehen sollte, weil sie in-
zwi schen rund um die Uhr Pflege brauchte. Als Sandun und
seine Geschwister davon hörten, waren sie sich einig: Das
woll ten sie nicht zulassen, sie selbst würden sich um ihre
Mama kümmern! Thilakas Kinder besprachen, wie es weiter-
gehen könnte. Es würde nicht leicht werden, das war allen
klar, denn die Geschwister lebten ziemlich verstreut, sie muss-
ten ihrem Beruf nachgehen und hatten selbst Familien, die sie
brauchten. Doch als sie in größerer Runde von ihrem Plan er-
zählten, fanden sich spontan andere ehemalige SOS-Kinder
dazu, und gemeinsam mietete man ein Haus, in das Thilaka
einziehen konnte.
Ein genauer Plan wurde ausgetüftelt, wer wann Zeit hat, und
alles so organisiert, dass ihre Mutter keine Minute allein sein
muss. Es fanden sich Wege und Mittel, dass Thilaka stets
eines ihrer Kinder bei sich hat. Rund um die Uhr.
Inzwischen hat sich Thilakas Zustand weiter verschlechtert.
Wenn Thilaka sich aus diesem Leben verabschieden wird,
werden ihre Kinder bei ihr sein. Das Band der Liebe und Für-
sorge, das die SOS-Mutter einst zu ihren Kindern geknüpft
hat, als sie ihre Hilfe brauchten, ist so stark, dass es die Familie
auch jetzt zusammenhält.
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lettland
Hinsehen und helfen
Hinsehen, das ist ein wichtiger Bestandteil von Alitas täglicher
Arbeit. Alita arbeitet im Team der SOS-Familienstärkung in
Olaine, einem kleinen Ort nahe der lettischen Hauptstadt Riga.
Sie schaut genau hin, wenn sie Familien besucht, die in Platten-
bauten oder erbärmlichen Hütten am Rande der Siedlung
leben: „Hier leben Eltern mit mehreren Kindern in einem nur
20 m2 großen Raum, weil sie sich keine richtige Wohnung
leis ten können“, berichtet Alita. Die wirtschaftliche Lage Lett-
lands hat sich in den vergangenen Jahren extrem verschlech-
tert. Viele Familien fallen durch das soziale Netz, da Teile der
öffent lichen Hilfen aufgrund der Wirtschaftskrise weggebro-
chen sind.
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Hinsehen hat für die 40-Jährige viele Bedeutungen. Vor eini gen
Jahren war sie gezwungen, ihr eigenes Leben genau unter die
Lupe zu nehmen. Die Mutter von drei Söhnen fühlte sich damals
ihrer Familiensituation nicht mehr gewachsen. Ihr Jüngster ist
sehbehindert, der Älteste war Mitglied in einer Jugendgang und
der Mittlere kam oft zu kurz. „Mein Mann hatte nur wenig Zeit,
sich um die Kinder zu kümmern“, erzählt Alita. Die schwierige
Situation auf dem Arbeitsmarkt zwang ihn, mehrere Jobs an-
zunehmen. Nur so konnte er die Familie versorgen. Alita litt
unter der Sorge um ihr blindes Kind und fühlte sich isoliert. „Ich
war nur noch zu Hause. Ich merkte, dass ich die Bedürfnisse
meiner Söhne immer weniger verstehen konnte.“ Unterstüt-
zung fand Alita in der SOS-Familienstärkung. In Gesprächen
und Therapiestunden lernte sie, mit ihrer Familiensituation
um zugehen. Und ihre Jungs profitierten von Kursen und Frei-
zeitaktivitäten. Die Mutter und ihre Söhne fanden einen Weg,
wieder gut mitein an der klarzukommen. Und Alita sah ein, wie
wichtig eine richtige Förderung für ihren Jüngsten ist. „Julijs
besucht nun während der Woche ein Internat für Sehbehin-
derte. Er macht dort große Fortschritte und spielt begeistert
Trompete“, be richtet sie stolz. „Im vergangenen Jahr war er
sogar zu sammen mit seinem großen Bruder in einem Ferienla-
ger.“ Das Erlebnis hat die Brüder zusammengeschweißt – und
den Mitreisenden viel über den Umgang mit Blinden gelehrt.
Mit der Lösung ihrer eigenen familiären Probleme entdeckte
Alita eine neue Seite an sich. Sie hatte die Kraft, etwas zu
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verändern und wollte dieses Talent auch für andere einsetzen.
So begann sie eine Ausbildung zur Sozialhelferin und arbeitet
heute als Teilzeitkraft im Team der SOS-Familienstärkung.
„Mein Traum ist es, mich weiterzubilden und Sozialarbeiterin
zu werden“, erzählt Alita, „dann kann ich noch besser sehen,
was Familien in Not brauchen.“ Erkennen, wo Gefahr droht,
dass ein Kind misshandelt wird. Hinsehen, wo angesichts ma-
teriellen Elends die Menschen seelischen Beistand brauchen.
Wissen, welche Maßnahmen notwendig sind, um das Potential
der Betroffenen auszuschöpfen.
Bei der Frage, ob ihre eigene Lebensgeschichte ihr dabei hilft,
die betreuten Familien zu einer Verbesserung anzuspornen,
lacht Alita und schüttelt heftig den Kopf. „Wenn ich mit einer
Familie arbeite, zählt nur deren Geschichte“, sagt sie. „Es ist
wichtig, dass jede Familie ihre eigene Lösung für ihre Situation
findet.“ Und dabei hilft Alita.
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Nepal
BlumenSaneetha, 13 Jahre, SOS-Hermann-Gmeiner-Schule Itahari, Nepal
Die Knospen wachsen
Verwandeln sich in Blumen
In den verschiedensten Farben
Wenn ich Blumen sehe
Gehe ich zu ihnen
Um ihren beruhigenden Duft zu atmen
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Lilie und Lotus
Lächeln mich an
Rosen und Stiefmütterchen
Sprechen zu mir
Blumen machen mich glücklich
Blumen erfrischen mich
Ich pflanze Blumen
Ich liebe Blumen
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Peru
Juans Traum
„Für mich, wirklich für mich?!“ Noch heute, 14 Jahre nachdem
Juan den ersten Brief seines Lebens bekommen hat, kann der
junge Mann sich ganz lebendig erinnern. Er war fünf Jahre alt,
als er das erste Mal Post von seinem Paten erhielt: einen Brief
und einen kleinen Bildband über die Heimat des Paten. Die
Fotos hatten es Juan besonders angetan, denn sie zeigten
eine ihm unbekannte Welt, mit Schneelandschaften und zuge-
frorenen Seen. „Ich weiß noch genau, wie sehr mich die Bilder
fasziniert haben. Auch den Brief habe ich lange angeschaut,
obwohl ich noch gar nicht lesen konnte.“ Juan hatte sich die
Post geschnappt und war damit auf sein Bett geklettert, um
sie ungestört betrachten zu können.
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Juan ist heute 19 Jahre alt. Er kann als junger Erwachsener bild-
haft schildern, was es ihm bedeutet hat, einen Paten zu haben
und zu wissen, dass am anderen Ende der Welt jemand an ihn
denkt. Juan lebt seit einiger Zeit nicht mehr im SOS-Kinder-
dorf, weil er in Lima eine Ausbildung macht. „Ich komme oft
am Wochenende nach Hause“, erzählt er. Juan hängt sehr an
seiner zwei Jahre jüngeren leiblichen Schwester und seiner
jüngsten SOS-Schwester und gesteht, dass er sie und seine
SOS-Mutter Maria oft vermisst. Doch Juan ist auch sehr froh
über seine Ausbildung in der Hauptstadt. Er besucht eine
Fachschule für Modedesign und möchte sich eines Tages mit
dem Verkauf selbst entworfener Herren bekleidung selbständig
machen: „Vorher möchte ich noch ein Studium zum Textil-
ingenieur machen. Und einen Namen für meine Firma habe
ich auch schon: ‚Honu‘, das heißt Schildkröte.“
Nach seinen Plänen für die Zukunft befragt, sind es nicht nur
berufliche Pläne, von denen Juan erzählt. Er hält einen Mo-
ment inne und dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht:
„Ich stelle mir vor, wie ich eines Tages einmal nach Europa
fahre und dort Schlittschuh laufe.“ Ein Kind, das auf einem
zugefrorenen See Schlittschuh läuft, das ist ein Bild aus dem
Büchlein von seinem Paten. Juan hat es all die Jahre wie einen
Schatz bewahrt.
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Ruanda
Wir wollen leben!
Catherine Flore Ngo Biyack ist als Sozialarbeiterin für die
SOS-Kinderdörfer in Zentralafrika im Einsatz. Sie erlebt täglich
mit, wie wichtig die SOS-Familienstärkung in Ruanda ist. Und
sie erfährt Familiengeschichten. Es sind Geschichten, in denen
die furchtbaren Ereignisse von 1994 stets präsent sind, als ein
Völkermord binnen drei Monaten rund eine Million Menschen
das Leben kostete. Und es sind Geschichten, in denen AIDS
eine Hauptrolle spielt, auch wenn die Immunschwächekrank-
heit kaum je beim Namen genannt wird. Trotz dieser Tragödien
überwiegt letztlich die Hoffnung.
sandy ist ein winziges Mädchen. Auf den ersten Blick würde
man sie für eine Vierjährige halten. Aber Sandy ist schon zehn
Jahre alt. Und sie ist HIV-positiv. Vor vier Jahren starb ihre
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Mutter an AIDS, und auch ihr Vater leidet an der Immun-
schwächekrankheit. Aber HIV hin oder her: Sandy ist ein leb-
haftes Kind, das gerne mit den Nachbarskindern spielt und
voller Neugierde auf Fremde zugeht. Sie hat vieles aufzu holen.
Aufgrund jahrelanger Mangelernährung und fehlender medizi-
nischer Behandlung konnte Sandy in ihrer Entwicklung nie mit
Gleichaltrigen mithalten. Zum Laufen war sie zu schwach. Des-
halb konnte sie nicht zur Schule gehen. Die SOS-Familien-
stärkung hilft Sandy nun, das Versäumte nach zuholen: Die
Kleine wird mit Medikamenten versorgt, und ihr Vater erhält
Lebensmittelpakete. Das Schönste für Sandy und ihren Vater
ist jedoch, dass das Mädchen im vergangenen Jahr endlich
eingeschult werden konnte. Sandys Beispiel zeigt: Es gibt ein
Leben mit HIV / AIDS. Und eine Zukunft.
Ganz anders als bei Sandy daheim, herrscht im Haus von
Gregorys Großmutter gespenstische Stille. Gregory leidet
wieder einmal an einer Entzündung, die seinen schwachen
kleinen Körper fest im Griff hat. Die HIV-Infektion des Neun-
jährigen wurde jahrelang nicht behandelt, weil seine Familie
das notwendige Geld nicht aufbringen konnte. Gregorys Mutter
war während des Genozids 1994 vergewaltigt und mit AIDS
infiziert worden. Aufgrund ihrer Krankheit und der furchtbaren
Erinnerungen, die sie quälten, hatte sie bis zu ihrem Tod vor
drei Jahren nicht die Kraft, dem Jungen viel Zuneigung zu
schenken. Umso mehr hängt Gregory an seiner Großmutter.
Noch ist er zu schwach, um zur Schule zu gehen, aber die
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Antiretroviraltherapie, die er im Rahmen der SOS-Familien-
stärkung erhält, schlägt bereits an. Er leidet weniger häufig
an Infektionen, kann heute zumindest stunden weise das Bett
verlassen und wird, wenn alles gut geht, nächstes Jahr ein-
geschult werden.
AIDS hat in Afrika eine ganze Generation ausgelöscht, die Ge-
neration der Eltern. Zurückgeblieben sind Kinder und Groß-
eltern. Während es in Gregorys Fall die Großmutter ist, die
die Elternfunktion übernommen hat, ist es für Clementine (16)
und Esther (10) die 17-jährige Claudine. Sie kümmert sich um
ihre jüngeren Schwestern. Wie früher ihre Mutter, sorgt jetzt sie
dafür, dass beide Mädchen morgens pünktlich das Haus ver-
lassen, um zur Schule zu gehen. Claudines besondere Sorge
gilt der kleinsten Schwester, denn Esther hat sich noch im
Mutterleib mit HIV angesteckt. Claudines Herzenswunsch ist
es, dass Esther trotz ihrer Erkrankung so normal wie möglich
aufwachsen kann. Das ist dank der SOS-Familienstärkung
auch möglich: Esther kann zur Schule gehen, sie erhält die
überlebensnotwendigen Medikamente und wird mit gesunden
Lebensmitteln versorgt. Am liebsten mag Esther übrigens die
frische Milch in den Lebensmittelpaketen der Familienhilfe.
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Indien
Tashi baut Brücken
„Wer weiß, wohin mich meine nächste Aufgabe verschlägt?“,
sagt Tashi Rubling. Und dabei lächelt er. Tashi ist Tibeter. Als
er vier war, hat er seine Heimat verloren – gemeinsam mit vie-
len anderen Tibetern floh Tashis Familie vor der chinesischen
Invasion zu Fuß nach Indien. Das war 1959. Tashi verlor auch
seine Familie und kam ins SOS-Kinderdorf der Exil-Tibeter im
nordindischen Dharamsala. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte
Tashi Dinge von der Welt gesehen, die für zwei Biographien
reichen würden. Und seine Reise über die Grenzen von Spra-
chen und Kulturen ging weiter: In England wurde er Ingenieur.
1978 kam er zurück mit dem Wunsch, sein Wissen und seine
Kraft den Tibetern zu widmen – wiederum im SOS-Kinderdorf.
Er war zuständig für den Bau von neuen SOS-Kinderdörfern
und Ausbildungszentren in Indien und Nepal. Und manche
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dieser Einrichtungen leitete er selbst. Tashi lebte für die Men-
schen und nicht für die Häuser, die er als Ingenieur für diese
Menschen baute. Und doch war er am Bau eines Gebäudes
beteiligt, auf das er ganz besonders stolz ist: Der Dalai Lama
beauftragte ihn mit dem Bau seines Sitzes in Dharamsala. Für
Tashi eine ganz besondere Anerkennung. Dabei vergaß er aber
nicht, wo er herkam: Er brachte gleich viele seiner ehemaligen
Schüler aus den SOS-Einrichtungen mit zur Baustelle nach
Dharamsala. Für eine Reihe von ihnen markierte dieses Projekt
den Durchbruch auf dem eigenen Lebensweg! Zwischenzeit-
lich bekam Tashi den kanadischen Pass, auf den er und seine
Familie schon lange gewartet hatten. Tashi brachte alle seine
Projekte in Asien erfolgreich zu Ende und trat die Reise in die
neue Heimat nach Calgary an. Zum wievielten Mal fing er hier
von vorne an? Er weiß es selber nicht mehr. Dann, irgendwann
in den 1990er Jahren, erreichte ihn eines Nachts ein Anruf von
Tashi Rubling im Kreis seiner Mitarbeiter
SOS, er würde dringend in Äthiopien gebraucht, wo es mit
dem Bau eines SOS-Ausbildungszentrums nicht voranging.
Tashi sagte schlaftrunken zu, legte auf und fragte sich am
nächsten Morgen, ob er das nur geträumt habe?
Hatte er nicht. Das von ihm erbaute Ausbildungszentrum für
Krankenpfleger in Makalle ist seit 2002 in Betrieb und gehört zu
den erfolgreichsten seiner Art. Der Traum, in Kanada sesshaft
zu werden, geriet bei Tashi etwas in Vergessenheit: Der rast lose
tibetische Baumeister übernahm den Job des SOS-Bau koor-
dinators in Südost-Asien und hat nun seine Zelte in Phnom Penh
aufgeschlagen. SOS-Schulen, -Dörfer, -Ausbildungszentren –
Tashi hat großen Anteil an einem Netzwerk, das Kinder und
Jugendliche auffängt.
Seit er vier Jahre alt ist, ist Tashi unterwegs. Verschleißt der
Mensch da nicht vorzeitig? „Nein, ich habe zwar seit 1959
keine geographische Heimat mehr. Aber das, was man hier
und dort für andere Menschen tun kann, lässt eine Heimat
im Herzen reifen“, sagt Tashi. Er fühlt sich vom Leben reich
beschenkt: Seine Kraft und sein Wissen setzt er dafür ein,
dass Kinder ein Zuhause finden, bevor sie selbst die Lebens-
reise antreten. Und natürlich ist er stolz auf den Beitrag, den
er geleistet hat, damit sein Volk sich wenigstens ein bisschen
daheim fühlen darf – weit weg von Tibet. Seine eigenen drei
Kinder sind längst aus dem Haus. Oft haben sie das unstete
Familienleben verwünscht. Heute sagen sie: „Wir sind reich
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beschenkt worden durch das, was wir auch an den armen und
traurigen Plätzen dieser Erde erlebt haben. So was lernt man
nicht in der Schule. Wir sind unserem Vater sehr dankbar.“
Viele junge Menschen denken gerne an Tashi, ihren Lehrer,
Meister und Ratgeber aus den SOS-Einrichtungen. Viele haben
Tashis Handynummer gespeichert. Wenn er wieder mal ge-
braucht wird, klingelt das Telefon. Und Tashi hat immer eine
Idee, wie man das Problem in den Griff kriegen kann. Und
dabei lächelt er.
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sOs-Kinderdörfer weltweit
Jedem Kind ein liebevolles Zuhause,
das ist unser Credo. Dank Ihrer
Unterstützung können die
SOS-Kinderdörfer diesen Wunsch
Wirklichkeit werden lassen.
Helfen Sie mit, vielen weiteren Kindern
eine Familie, Bildung und medizinische
Versorgung zu sichern.
unterstützen sie die sOs-Kinderdörfer weltweit auch in Zukunft!
Fotos: Robert Fleischanderl, Katerina Ilievska,
Reinis Hofmanis, Wolfgang Kehl, Marko Mägi,
Alan Meier, Benno Neeleman, Catherine Flore
Ngo Biyack, Patrick Wittmann
„Es gibt viele gute Wege, Kindern zu
helfen. Wir sind nicht die einzigen, aber wir
haben unseren Weg und der ist so einfach
und so selbstverständlich, dass die Welt es
verstehen muss.“
Hermann Gmeiner
sOs-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds
Deutschland e.V.
Ridlerstraße 55
80339 München
Telefon: 089 / 179 14 - 140
oder gebührenfrei: 0800 / 50 30 300
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