SemantikBedeutung
Anke [email protected]
Universitat Leipzig, Institut fur Linguistik
14.04.2016
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Inhaltsverzeichnis
1 Satz, Außerung,Sprechhandlung
2 Das Schema einerSprechhandlung
3 Kompositionalitat
4 Aspekte derAusdrucksbedeutung
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Satze
Ein Satz ist eine komplexe Struktur im Sprachsystem, die nachden Regeln der Grammatik gebildet wird.
3 Satzmodi:Deklarativsatz (Aussagesatz):
(1) Ich bin ein Berliner.
Interrogativsatz (Fragesatz):
(2) a. Ich bin ein Berliner?b. Bin ich ein Berliner?c. Wer ist ein Berliner?
Imperativsatz (Aufforderungssatz):
(3) Sei doch ein Berliner!
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Außerungen
Satze sind abstrakte grammatische Strukturen, die erstdadurch eine reale Existenz erhalten, dass sie vonSprachbenutzern geaußert (geschrieben, gesprochen)werden.Im aktualen Sprachgebrauch hat man es mit (konkreten)Außerungen von Satzen zu tun.Die Außerung eines Satzes entsteht dadurch, dass diebetreffende grammatische Struktur von einem Sprecher ineiner bestimmten Situation mit Hilfe eines physikalischenSignals realisiert wird.Mit einer solchen Außerung ist normalerweise einkonkreter Informationsgehalt verbunden.Ein und derselbe Satz kann von verschiedenen Sprechernzu verschiedenen Zeiten geaußert werden. Dadurch kannein Satz verschiedenen Informationsgehalt haben.
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Sprechhandlung
Mit dem Außern eines Satzes in einerKommunikationssituation wird vom Sprecher eineSprechhandlung vollzogen.Grundlegende Arten von solchen kommunikativenHandlungen (Sprechakten) sind Aussagen, Fragen undAufforderungen.Sprechhandlungen bilden die Beobachtungsbasis, von derdie linguistische Untersuchung von Bedeutungenauszugehen hat.Mogliche Sprechhandlungen oder Sprechakte sind z.B.Behaupten, Feststellen, Mitteilen, Fragen, Auffordern,Befehlen, Bitten, Vorschlagen, Versprechen, Ablehnen,Drohen, Entschuldigen, und Ankundigen.
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Konkretisierung und Abstraktion
Empirische Analyse durch Abstraktion:
Ebene der Sprechhandlung
Ebene des Außerungsprodukts
Ebene des Ausdrucks
Abstraktion
Formale Rekonstruktion durch Konkretisierung:
Ebene der Sprechhandlung
Ebene des Außerungsprodukts
Ebene des Ausdrucks
Konkretisierung
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Beispiel
(4) Ich bin ein Berliner.(geaußert vom US-Prasidenten John F. Kennedy am 26.Juni 1963 in seiner Rede vor dem SchonebergerRathaus in Berlin.)
FragenWas ist die Bedeutung auf der Ausdrucksebene(Ausdrucksbedeutung)?
Was ist die Bedeutung auf der Außerungsebene(Außerungsbedeutung)?
Was ist die Bedeutung auf der Handlungsebene(kommunikativer Sinn)?
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Kommunikation
Kommunikation ist dann erfolgreich, wenn der Adressat A auseiner Außerung u die vom Sprecher S mit u verfolgte Intentionerschließt.
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Außerungen als Sprechhandlungen (Bierwisch (1980, 1983))
Die Außerung u eines Satzes ist ein geordnetes Paar< ins, l >, wobei
ins die Inskription von u ist, d.h. ein physikalisches Signalund damit die materielle Basisl die grammatische Struktur von u ist, d.h. jene Struktur,die aus der Grammatik der Sprache hervorgeht
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Die grammatische Struktur einer Außerung
Die grammatische Struktur l von u ist ein geordnetes Tripel< phon, syn, sem >, wobei
phon die phonologische Struktur von u istsyn die (morpho-)syntaktische Struktur von u istsem die semantische Struktur (Ausdrucksbedeutung) vonu ist
u=u = < ins, < phon, syn, sem >>
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Kontextuell spezifizierte Außerung
kontextuell spezifizierte Außerung mumu = < ins, << phon, syn, sem >, ct ,m >>
ct : Kontext von um: die Außerungsbedeutung von u
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Sprechakt
Sprechakt sa (kommunikative verwendete Außerung)sa = < ins, <<< phon, syn, sem >, ct ,m >, ias, cs >>
ias: der soziale Interaktionsrahmen von u (sozialeBedingungen, unter denen die kommunikative Handlungstattfindet, inkl. Informationen uber die Beziehungzwischen Sprecher und Adressat und die allgemeinenMuster und Normen menschlichen Zusammenlebens)cs: der kommunikative Sinn von u
Bemerkung:Bis auf die materielle Basis ins handelt es sich bei allen ubrigenKomponenten einer Sprechhandlung um mentale Phanomene.
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Zwei Grundprobleme
Problem der Produktivitat: Wieso konnen wir immer wiederneue Satze verstehen und auch selbstgebrauchen?
Problem der Erlernbarkeit: Wieso konnen wir eine derart“unendliche” Sprache uberhaupt erlernen?
Die Grammatik einer Sprache erlaubt uns, mit endlichen Mitteln(Lexemen und Regeln) potenziell unendlich viele Satze undAusdrucke zu produzieren und zu interpretieren.
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Kompositionalitatsprinzip (Frege (1923/1993))
Kompositionalitatsprinzip (Fregeprinzip)Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sicheindeutig aus der lexikalischen Bedeutung seinerKomponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und ausseiner syntaktischen Struktur.
Frage: Fur welche Bedeutungsebenen gilt dasKompositionalitatsprinzip?
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Bedeutung von Lexemen
Basislexeme:Arbitraritat der Bedeutung (Bedeutungen sind densprachlichen Formen per Konvention zugeordnetdie Bedeutung muss gelernt werden und ist Teil deslexikalischen Wissens von Sprechern
Abgeleitete Lexeme:werden nach morphologischen Regeln (Derivation,Komposition) aus anderen Lexemen gebildetDie Bedeutung kann nicht immer kompositional aus denBedeutungen der Teile abgeleitet werden
BeispieleBeispiele fur Basislexeme?Beispiele fur abgeleitete Lexeme?
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Bedeutung von syntaktischen Wortern
Syntaktische Worter gehen durch die Anwendungmorphologischer Operationen aus Lexemen hervor (z.B.Flexionsoperationen)Die Bedeutung ergibt sich kompositional aus derBedeutung der zugrundeliegenden Lexeme und derBedeutung ihrer grammatischen Form durch dieAnwendung semantischer Regeln.Die semantischen Regeln mussen gelernt werden und sindTeil des grammatischen Regelwissens von Sprechern.Die grammatische Form leistet aber nur dann einenBeitrag zur Bedeutung eines syntaktischen Wortes, wennsie nicht aus Grunden der grammatischen Kongruenz, d.h.aus rein syntaktischen Grunden.
(5) Die Kinder rollten den roten Ball.
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Bedeutung von komplexen syntaktischen Ausdrucken
Syntaktische Worter werden durch syntaktische Regeln zukomplexen Ausdrucken zusammengefugt.Die Bedeutung komplexer Ausdrucke kann kompositionaldurch semantische Regeln abgeleitet werden.
FrageWarum unterscheiden sich die Bedeutungen der beiden SatzeDie Kinder sahen die Eltern und Die Eltern sahen die Kinder?
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4 Aspekte der AusdrucksbedeutungBedeutungen als KonzepteDeskriptive BedeutungSoziale BedeutungExpressive Bedeutung
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4 Aspekte der AusdrucksbedeutungBedeutungen als KonzepteDeskriptive BedeutungSoziale BedeutungExpressive Bedeutung
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Wortbedeutung und Satzbedeutung
WortbedeutungDie Wortbedeutung (eines Inhaltswortes) ist ein Konzept, daseine mentale Beschreibung einer bestimmten Art von Entitaten(der Referenten) bereitstellt.
SatzbedeutungDie Satzbedeutung ist ein Konzept, das eine mentaleBeschreibung einer bestimmten Art von Situation bereitstellt.
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4 Aspekte der AusdrucksbedeutungBedeutungen als KonzepteDeskriptive BedeutungSoziale BedeutungExpressive Bedeutung
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Deskriptive Bedeutung
Ein Ausdruck hat eine deskriptive Bedeutung, wenn er einementale Reprasentation ausdruckt, die seinen Bezug aufGegenstande im weitesten Sinne erlaubt.Die deskriptive Bedeutung eines Inhaltswortes ist einKonzept, das seinen Bezug auf Objekte, Ereignisse,Zeiten, Orte etc. einer bestimmten Art erlaubt. (Beispiel:Mann)Die deskriptive Bedeutung eines Satzes ist eineProposition (ein Situationskonzept), die seinen Bezug aufSituationen einer bestimmten Art erlaubt. (Beispiel: DerMann fahrt heute in die Stadt.)Die deskriptive Bedeutung eines Lexems, einergrammatischen Form oder einer Phrase besteht in demBeitrag, den sie zur deskriptiven Bedeutung eines Satzesleisten.
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Referenz I
Die Referenz eines Ausdrucks (Bezug auf Situationen, Objekte,Ereignisse, Zeiten, Orte etc.) wird im Außerungskontextfestgelegt.
Akt des Referierens:
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Referenz II
Welche Referenten ein Ausdruck haben kann, hangt von seinerdeskriptiven Bedeutung ab.
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Denotation eines Inhaltswortes I
Die deskriptive Bedeutung eines Ausdrucks determiniert seinReferenzpotential, auch als Denotation bezeichnet.
NotationJαK: die Denotation von α
Die Denotation eines Inhaltswortes ist die Kategorie und damitdie Menge aller seiner potenziellen Referenten. Dabei umfasstdie Denotation eines Inhaltswortes alle Entitaten derVergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, auf die mit ihmreferiert werden konnte.
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Denotation eines Inhaltswortes III
Ausgehend von der Denotation einfacher Ausdrucke lassensich die Denotationen von Ausdrucken errechnen, die ausdiesen zusammengesetzt sind.
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Denotation und Wahrheitsbedingungen eines Satzes I
Die Denotation eines Satzes ist die Menge aller Situationen, dieseine potenziellen Referenten sind (die Situationen, auf die einSatz zutreffen wurde).
Beispiele: Maria schlaft, Maria schlaft und Hans lacht
Wir wissen, auf welche Situationen mit einem Satz referiertwerden kann gdw wir die Wahrheitsbedingungen des Satzeskennen.
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Denotation und Wahrheitsbedingungen eines Satzes II
Die Wahrheitsbedingungen eines Satzes sind die Bedingungen,unter denen er in einem Außerungskontext wahr ist.
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4 Aspekte der AusdrucksbedeutungBedeutungen als KonzepteDeskriptive BedeutungSoziale BedeutungExpressive Bedeutung
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Soziale Bedeutung I
Die soziale Bedeutung ist eine nicht-deskriptiveKomponente der Ausdrucksbedeutung.
Ein Ausdruck hat eine soziale Bedeutung, wenn er aufspezifische Weise der Anzeige sozialer Beziehungen oderdem Vollzug sozialer Handlungen dient.
Die soziale Bedeutung ist zu unterscheiden von dersozialen Funktion, die jede Außerung auf der Ebene deskommunikativen Sinns hat.
In Bezug auf die soziale Bedeutung ist ein Ausdruck dannkorrekt verwendet, wenn bestimmte Regeln der sozialenAngemessenheit korrekt befolgt wurden.
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Soziale Bedeutung II
Ausdrucke mit sozialer und deskriptiver Bedeutung:
Formen der Anrede, die jeweils unterschiedliche Qualitatenvon sozialen Beziehungen signalisieren (z.B. du vs. Sie)
Ausdrucke mit sozialer, aber ohne deskriptive Bedeutung:
Ritualisierte Wendungen zur Kenntlichmachungbestimmter Arten der sozialen Interaktion (z.B. Hallo!,Danke!, Verzeihung!)
Fur jede dieser Wendungen gibt es eine soziale Regel, diedie Umstande definiert, unter denen sie verwendet werden.
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4 Aspekte der AusdrucksbedeutungBedeutungen als KonzepteDeskriptive BedeutungSoziale BedeutungExpressive Bedeutung
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Expressive Bedeutung I
Die expressive Bedeutung ist eine nicht-deskriptiveKomponente der Ausdrucksbedeutung.
Ein Ausdruck hat eine expressive Bedeutung, wenn er demunmittelbaren Bekunden von personlichen Gefuhlen,Empfindungen, Einstellungen oder Bewertungen dient.
Die expressive Bedeutung ist zu unterscheiden von derexpressiven Funktion (bestimmt durch Tonfall,Sprechtempo Wortwahl etc.), die jede Außerung hat.
Die Verwendung von Ausdrucken mit expressiverBedeutung gehorcht den Bedingungen der subjektivenAngemessenheit.
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Expressive Bedeutung II
Ausdrucke mit expressiver und deskriptiver Bedeutung:Ausdrucke, die auch einen subjektiven Bewertungsinhalthaben (z.B. Pejorativa: Gaul, Spelunke; Kraftausdrucke:Kerl, Knete (fur Geld))
Ausdrucke mit expressiver, aber ohne deskriptiveBedeutung:
Interjektionen (Empfindungsworter): Aua!, Pfui!, Mmmh!
Ausrufe (Worter, Wortgruppen, Satze, deren deskriptiveBedeutung irrelevant sind): Mist!, Mein Gott! Na so was!
Exklamativsatze (Satze mit Proposition, aber ohneeigentliche Information): Das darf doch nicht wahr sein!
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Expressive Bedeutung III
Expressive Adverbien, die eine Einstellung der Sprecherinzum jeweiligen Sachverhalt ausdrucken und dabei nichtszur Proposition des Satzes beitragen: Leider habe ichkeine Zeit., Dummerweise regnet es gerade.(Diese Einstellung kann man deskriptiv ausdrucken: Es tutmir Leid, dass ich keine Zeit habe., Ich finde es dumm,dass es gerade regnet.)
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Konnotationen
Konnotationen eines Ausdrucks sind die kulturellenAssoziationen, die die Mitglieder einerSprachgemeinschaft typischerweise bei der Verwendungdes Ausdrucks haben.Konnotationen sind ein Grund, warum sich Ausdrucke mitderselben deskriptiven Bedeutung in ihrerAusdrucksbedeutung unterscheiden konnen.Beispiele: Boss vs. Chef, Dame vs. Frau, Stadt vs.Metropole, Klo vs. ToiletteNegative Konnotationen eines Ausdrucks zusammen mitTabuisierungen fuhren oft zu Euphemismen(beschonigenden Ausdrucken)Beispiele: Seniorenresidenz (statt Altersheim),einschlafern (statt toten), entsorgen (statt wegwerfen)
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Referenzen I
Bierwisch, Manfred (1980): Semantic Structure andIllocutionary Force. In: J. R. Searle, F. Kiefer andM. Bierwisch, eds, Speech Act Theory and Pragmatics. D.Reidel, pp. 1–35.
Bierwisch, Manfred (1983): Psychologische Aspekte derSemantik naturlicher Sprachen. In: W. Motsch andD. Viehweger, eds, Richtungen der modernenSemantikforschung. Akademie, Berlin, pp. 15–64.
Frege, Gottlob (1923/1993): Logische Untersuchungen. V&R,Gottingen.
Lobner, Sebastian (2003): Semantik: Eine Einfuhrung. DeGruyter, Berlin.
Saeed, John (2002): Semantics. 2 edn, Blackwell.
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