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K O N Z E N T R A T I V E

U N D

A N A L Y T I S C H E

M E D I T A T I O N

G E S H E R A B T E N

Edition Rabten

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Scanned by Haudenlukas Alle Rechte vorbehalten (c) Rabten Stiftung c/o Thurnherr von Meiss & Partner, Zürich Herausgeber: Gonsar Tulku und Helmut Gassner Verlag: Edition Rabten, Zürich Druck und Bindung: Kösel, Kempten

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I N H A L T

Dieses Buch enthält eine Niederschrift von Unterweisungen, die Geshe Rabten am 9. und 10. Oktober 1982 auf dem Letzehof in Feldkirch gegeben hat und von Helmut Gassner übersetzt wurden.

Über den Autor 7 Konzentrative und analytische Meditation 13

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GESHE RABTEN

Geshe Rabten Rinpoche gilt als einer der bedeu- tendsten tibetischen Gelehrten und Meditationsmei- ster der jüngsten Vergangenheit. Nur die großen Gelehrten seiner Zeit und seine engsten Schüler kön- nen ermessen, welch tiefe Weisheit und alles umfas- sende Güte dieser Meister in sich vereint hat.

Trotzdem erlaube ich mir, einige Eindrücke zu schildern, die ich von Geshe gewinnen konnte. Ein Jahrzehnt lang hatte ich persönlichen Kontakt zu ihm und konnte viele Belehrungen von ihm hören. Ich hoffe, mit diesem Vorwort den Lesern, die nicht das Glück hatten, ihn kennenzulernen, eine Vorstellung von seiner Person zu geben.

Am tiefsten beeindruckt bin ich von Geshes Güte, die er jedem ohne Unterschied entgegenbrachte, gleich ob Mensch oder Tier, Schüler oder Fremder, Verehrer oder verzweifelt Hilfesuchender.

Jederzeit war Geshe bereit, Hilfe zu leisten, sei es in der Form von Belehrungen, eines Ratschlages oder materieller Hilfe. Ich habe mehrmals miterlebt, wie Menschen in geistiger Bedrängnis nachts im Kloster anriefen, um Geshe um einen Rat zu bitten. Immer hatte er dafür Zeit.

So kümmerte sich Geshe um einen jungen Mann, der völlig verwirrt war. Diese Verwirrung kam von

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der jahrelangen Beschäftigung mit allen möglichen esoterischen Richtungen ohne die Anleitung eines qualifizierten Lehrers. Geshe nahm den Mann bei sich auf, sorgte für Unterkunft und Verpflegung und machte über Wochen jeden Tag ausgedehnte Spazier- gänge mit ihm, bis er wieder geistig gefestigt war.

Während einer Belehrung im Klösterlichen Insti- tut in Rikon (Schweiz) sah Geshe in einer Ecke des Tempelraums einen Frosch, unterbrach die Beleh- rung und bat, daß einer der Zuhörer den Frosch ins Freie setzen möge, da dieser sonst von der Katze des Institutes erwischt werden könnte.

Bei einem kleinen Ausflug entdeckte Geshe in einem Warteraum auf einem Fenstersims eine Fliege, die auf dem Rücken lag. Vorsichtig nahm er sie auf die Handfläche, hauchte sie an, sprach einige Man- tras, bis sie sich wieder bewegte, und bat mich, sie nach draußen in die Sonne zu bringen. Solche und ähnliche Begebenheiten erlebten wir immer wieder.

Wenn Geshe von einer Reise zurückkam, brachte er immer für jeden in seiner unmittelbaren Umge- bung ein kleines Geschenk mit, ohne auch nur ein einziges Mal einen zu vergessen.

Für die Mönche besorgte er einfache Sportgeräte, um für sie einen Ausgleich zum strengen Studienplan zu schaffen. Immer wenn meine Frau und ich nach Tharpa Choeling kamen - dem Kloster, dessen Abt Geshe war und das jetzt Rabten Choeling heißt - war seine erste Frage: Seid ihr gut untergebracht, braucht ihr noch Decken usw. Und diese Fragen äußerte

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Geshe, während er tibetische Texte, die er immer vor sich auf einem Tischchen hatte, studierte und analy- sierte.

Neben Geshes Güte ist mir seine tiefe Bescheidenheit deutlich in Erinnerung. Obwohl er einer der ranghöchsten tibetischen Lamas im Westen war, trat Geshe überall als einfacher, bescheidener Mönch auf, zu dem jedermann Zugang hatte. Ich hörte nie, daß Geshe einmal Wünsche für seine eige- nen Belange äußerte.

Wenn ein hoher Lama nach Tharpa Choeling zu Besuch kam, stellte Geshe dem Besucher sein eigenes Zimmer zur Verfügung und er selbst wohnte dann in einer winzigen Nebenkammer. Er schlief und medi- tierte auf einer einfachen Matratze, vor sich ein leeres, umgedrehtes Obstkistchen als Tischchen, auf dem er seine Gebetstexte ablegte.

Es ist vor allem Geshe, der bereits in Indien die ersten westlichen Schüler unterrichtet hatte, zu ver- danken, daß der tibetische Buddhismus in Europa Verbreitung fand. Und dies in authentischer, klarer und verständlicher Form, die jedem einen Zugang ermöglicht, gleich welcher Konfession er angehört, gleich mit welchem geistigen Weg er sich auseinan- dergesetzt hat oder nicht.

Geshe baute in der Schweiz auf Wunsch seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, in beispielhafter Weise eine traditionelle klösterliche Ausbildung für

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tibetische und westliche Mönche auf. Trotz dieser starken zeitlichen Beanspruchung gab Geshe fast täglich und an den verschiedensten Orten im In- und Ausland Belehrungen, von der einfachsten Atemübung bis hin zu den schwierigsten Themen der buddhistischen Philosophie.

Eines der Hauptkennzeichen dieser Belehrungen ist die Klarheit und die leichte Verständlichkeit, mit der er auch schwierigste Aspekte deutlich machte. Erstaunlicherweise war Geshe mit unserer westlichen Art zu denken von Anfang an bestens vertraut. Er übertrug die Belehrungen des Buddha, der vor 2500 Jahren gelehrt hat, unverändert in die heutige Zeit und erschloß uns deren volle Tiefe und Weite in un- vergleichlicher Weise, häufig unter Verwendung ein- fachster Bilder und Beispiele.

Da ist beispielsweise das Gleichnis vom Haus. Wer eines baut, beginnt mit den Fundamenten; nie- mals mit dem Dach. Mit diesem Bild läßt sich gleich- zeitig eines von Geshes Hauptanliegen zeigen: in den Zuhörern und Schülern eine feste Basis für eine geistige Entwicklung zu setzen. Immer wieder machte Geshe deutlich, wie wichtig die vorbereitenden Übungen sind und wie wichtig die unmittelbare Anwendung des Verstandenen ist. Auch daß ein Schweben in hohen geistigen Gefilden ohne rechte Grundlage nicht nur eine Zeitverschwendung ist, sondern sogar äußerst gefährlich sein kann.

So hat Geshe sehr oft das sechste Kapitel von Shantidevas Leitfaden für das Leben eines Bodhisattvas

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unterrichtet, das ausschließlich von Geduld handelt. Ist es nicht ein erstrebenswertes Ziel und eine felsenfeste Basis für jede geistige Entwicklung, in jeder Lebenssituation einen heiteren, ungestörten Geist zu bewahren?

Ein weiteres Kennzeichen seiner Belehrungen ist, daß sie auf geistiger Toleranz gründen, so daß die Meditationen auch von Christen angewandt werden können. Aber darüber kann sich der Leser anhand dieses Büchleins, das ja in die Meditation einführt, sein eigenes Urteil bilden.

Der Zugang zu den Belehrungen für uns im deutschen Sprachraum wurde wesentlich durch Helmut Gassner bewirkt. Er übersetzte eine große Zahl von Geshes Belehrungen direkt vom Tibetischen ins Deutsche. Da ich selbst sehr viel davon profitiert habe, möchte ich ihm an dieser Stelle herzlich danken.

Wenn ich von Geshe als einem Begründer des tibetischen Buddhismus im Westen spreche, möchte ich seinen engsten Schüler nennen, der dieses große Werk in reinster Weise fortsetzt und sein Leben ganz dieser Aufgabe widmet: Gonsar Rinpoche, ein tibetischer Meister, der mehr als drei Jahrzehnte mit Geshe lebte und in jeder Beziehung als sein geistiger Sohn zu bezeichnen ist. Ihm ist es zu verdanken, daß wir auch heutzutage zum tibetischen Buddhismus in seiner authentischen Form direkten Zugang haben

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und daß der wertvolle Schatz der Belehrungen von Geshe Rabten Rinpoche erhalten und weitergegeben wird.

Ostermiething, Januar 1991

Prof. Dr. Franz Gschwind

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Der Anlaß unseres Zusammenkommens sind Er- läuterungen über Dharma, das heißt über Dinge, die es einem erlauben, ein heilsames Leben zu führen. Man sollte sich glücklich schätzen, Zugang zu sol- chen Ausführungen zu haben, und mit Freude zuhö- ren.

Wenn man sein eigenes Leben von der Kindheit bis jetzt betrachtet, dann kann man erkennen, daß ein Tag nach dem andern vergangen ist, ohne daß man etwas erreicht hat, worauf man ernsthaft seinen Finger richten könnte, und daß man sehr wenig Zeit dazu verwendet hat, sich um ein heilsames Leben zu bemühen und Dharma auszuüben. Deshalb sollte man in der Zukunft vorsichtig sein; denn es kommt bestimmt der Zeitpunkt, wo dieses Menschenleben sein Ende findet, und hat man bis dann die ganze Zeit, die einem zur Verfügung stand, nutzlos verstrei- chen lassen, ist das für einen selbst sehr bedauerlich.

Was immer man tut, die Zeit vergeht ständig. Gut ist es, wenn man sie für etwas Heilsames und außer- gewöhnlich Nützliches verwenden kann, und das ist dann auch ein Anlaß zur Freude.

Unter allen Wesen, die im Daseinskreislauf exi- stieren, kann man suchen, soviel man will, man wird

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keines finden, das in einem letztlichen körperlichen und geistigen Glück lebt. Denn manche leiden unter unerträglichen körperlichen Drangsalen; andere, die im Augenblick frei von solchen Leiden sind, haben dafür jedoch ebenso alle Voraussetzungen, die durch kleinste Umstände jederzeit aktiviert werden können. Auch wenn wir uns jetzt über keine körperlichen Unstimmigkeiten zu beklagen haben, können ganz kleine Veränderungen sehr schnell solche herbeifüh- ren.

Ob wir uns im Augenblick wohl fühlen oder nicht, ist auf die zuträglichen und abträglichen äuße- ren Umstände zurückzuführen; die Voraussetzungen für körperliches Leid sind jedoch von der Natur unse- res Körpers her ständig gegeben.

Im Augenblick ist das Gefühl z.B. in unserm Arm vielleicht angenehm, aber sobald man ihn zwickt, ver- ursacht einem das körperliches Leid. Der Umstand, der dazu führt, sind die Finger, die die Haut zwicken, die Ursache ist jedoch in der Natur des Körpers gege- ben. Das kennen wir alle aus unserer Erfahrung, man muß das nicht mit logischen Begründungen erhärten.

Ähnliches trifft auch auf unseren Geist zu. Selbst wenn wir vielleicht jetzt gerade fröhlich sind und kei- ne Traurigkeit in unserem Geist ist, genügen nur ganz kleine äußere Umstände, um uns zu betrüben.

Denn unser Geist ist nicht sehr stark, er ist sehr leicht dazu geneigt, traurig zu werden, Angst zu ha- ben; es braucht manchmal nur kleine innere Umstän- de, zum Beispiel, daß wir über irgendwelche Schwie-

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rigkeiten nachdenken, und schon fühlen wir uns be- drückt. Oder kleine äußere Umstände, daß z.B. je- mand etwas Böses sagt oder uns einen bösen Blick zuwirft, oder vielleicht nur, daß das Wetter schlecht wird, und schon sind wir unglücklich.

Das ist die Natur unseres Körpers und unseres Geistes; es ist unsere Lebensart, ständig dafür offen zu sein, durch kleine Umstände Leid zu erfahren, sei es körperliches oder geistiges.

Was dagegen wünschen wir uns wirklich, wonach verlangen wir? Das, was wir wirklich ersehnen, ist gei- stiges und körperliches Glück. Was wir um jeden Preis vermeiden wollen, ist geistiges und körperliches Leid; selbst dem bösen Blick eines anderen möchten wir nicht ausgesetzt sein. Aber das, was wir uns wün- schen, wonach wir trachten, das Glück, erreichen wir nicht, und das, was wir verabscheuen, körperliches und geistiges Leid, das befällt uns ohne Ende.

Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn sich jemand für die Nacht zum Schlafen hin- legt und keine ebene Unterlage hat, dann ist das, was er möchte, ein angenehmes Bett und das, was er hat, ein holpriges Nachtlager, das ihn kaum schlafen läßt.

Fragt man sich: Kann das Bett des Betroffenen angenehm gemacht werden? Dann ist die Antwort: Ja, natürlich, man kann die holprige Unterlage eben machen und sich somit ein angenehmes Nachtlager bereiten. Ob man das tut oder nicht, liegt am einzel- nen, man hat es selbst in der Hand.

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Wir gehen, dem Beispiel entsprechend, nicht den Weg zu einer Loslösung aus diesem bedrückenden Zustand, nicht den Weg zur Befreiung, sondern wir schlafen im Daseinskreislauf weiter, und zwar auf Grund unserer Unerkenntnis.

Fragen wir uns, ob das angenehm ist, dann müs- sen wir, wenn wir aufrichtig sind, antworten, daß es das nicht ist. Fragt man sich weiter, ob man diese Si- tuation ändern kann, ob man sich daraus loslösen kann, dann ist die Antwort ja.

Die Wesen z.B., die man als Buddhas, Bodhisatt- vas, Arhats oder Aryas bezeichnet, erfahren keinerlei Leid, keinerlei Schwierigkeiten, denn sie sind den Weg gegangen, der aus dieser Situation hinausführt.

Wenden wir die gleichen Mittel wie diese Wesen an, dann können wir genau die gleichen Ziele, genau das gleiche Ergebnis, den gleichen Zustand völliger Freiheit von Leid erreichen; genauso wie sich die Per- son im Beispiel ein angenehmes Nachtlager verschaf- fen kann, wenn sie sämtliche störenden Unebenhei- ten unter ihrer Matratze entfernt. Es trifft nicht zu, daß die Buddhas, Bodhisattvas usw. einen Zustand, der frei von Leid ist, erlangen können, während uns dagegen ein solches Ziel verwehrt bliebe.

Um das wieder mit einem Beispiel zu verdeutli- chen: Zwei Kinder sind gleich intelligent, sie haben die gleichen Fähigkeiten, Dinge zu lernen, Neues auf- zufassen. Wenn nun das eine Kind seine Begabung dazu benützt, etwas zu lernen, dann wird es nach

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einiger Zeit viele verschiedene Tugenden besitzen, viele nützliche Dinge beherrschen, während das ande- re Kind, das seine Fähigkeiten nicht zum Erfahren von Neuem und zum Lernen verwendet, immer noch in der gleichen Situation sein wird wie zuvor.

Der Unterschied zwischen diesen zwei Kindern kam auch nur dadurch zustande, daß das eine sich bemühte, Dinge zu lernen, und das andere nicht; in bezug auf ihre Fähigkeit, diese Ziele zu erlangen, gibt es zwischen diesen zwei Kindern im Beispiel keinen Unterschied.

Das gleiche trifft auch auf einen selbst zu. Wendet man die Mittel an, die zum Glück führen, dann kann das ganze Land rund um einen in Aufruhr sein, man selbst ist ruhig und zufrieden und erfährt keinerlei Schwierigkeiten; während für den, der diese Mittel nicht anwendet, die Situation die gleiche bleibt wie bisher.

Wenn es nun diese Mittel gibt, die einem erlau- ben, einen solchen Zustand der Freiheit von Leid zu erreichen, fragt man sich weiter: Was für Mittel sind dies? Welche körperlichen Mittel sind anzuwenden, welche geistigen?

Bemüht man sich, geistiges und körperliches Glück zu erlangen, ist es notwendig, vor allem die Mittel anzuwenden, die zu geistigem Wohlbefinden führen.

Unter den Methoden, die zu physischem Wohlbe- fmden führen, gibt es solche, die man als gegenwärti- ge Methoden und solche, die man als letzliche

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Methoden bezeichnet. Die Mittel, die uns zu gegenwärtigem Wohlbefinden des Körpers verhelfen, sind uns alle wohlbekannt. Das sind gute Nahrung, entsprechende Kleidung und gute Gesundheit mit Hilfe der nötigen Medizinen.

Um ein letztliches Wohlbefinden des Körpers zu erlangen, ist es jedoch notwendig, Ruhe und Glück des Geistes zu entwickeln, was dann das Wohlbefin- den des Körpers hervorruft.

Es ist uns klar, daß geistiges Leid wesentlich inten- siver und zerrüttender sein kann als körperliches und daß geistiges Glück außerdem körperliches Glück vollständig überstrahlt.

Wird zum Beispiel jemand, der sehr starkes geisti- ges Glück und feste Ruhe erreicht hat, von körperli- chem Leid bedrängt, dann werden seine geistige Ru- he und sein Glück dieses körperliche Leid vollständig überstrahlen. Wenn man mit einer solchen Person spricht, wird sie fröhlich und ungezwungen antwor- ten, und man kann deutlich erkennen, daß das kör- perliche Leid hier dem Wohlbefinden des Geistes kei- nerlei Abbruch tun kann.

Im Gegensatz dazu wird sich jemand, der bei be- ster Gesundheit ist, der genügend Nahrung zur Ver- fügung hat, körperlich nicht wohl fühlen, wenn er von starker Traurigkeit oder Depression bedrückt wird. Die Traurigkeit wird sogar dazu führen, daß der Körper seine Ausstrahlung und seine Kraft

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verliert und so der bedrückende geistige Zustand auf das körperliche Wohlbefinden zurückwirkt und dieses vollständig zerstört.

So ist deutlich, daß es sehr wichtig ist, dem Geist, wörtlich übersetzt, eine ordentliche Gestalt zu geben, sich zu bemühen, den Geist dazu zu bringen, daß er ruhig und fröhlich ist, daß er seine Stärke findet, daß er von Glück erfüllt ist.

Wenn man also Methoden anwenden sollte oder möchte, um geistiges Glück zu erwirken, um geistige Ruhe zu entwickeln, dann ist die nächste Frage: Wer muß diese Mittel anwenden, um wessen geistige Ruhe zu erreichen?

Das muß derjenige tun, der die geistige Ruhe selbst erreichen will. Derjenige, der mit geistigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, der bedrückt und traurig ist, der, der diesen Zustand beseitigen will und Ausgeglichenheit, Ruhe und Glück sucht, derje- nige muß die Methoden anwenden, um seinen Geist von diesen Schwierigkeiten wegzubringen und zu dem erwünschten Zustand zu führen.

Wenn ich zum Beispiel immer traurig und be- drückt wäre und Sie geistige Ruhe und Fröhlichkeit erreicht hätten, indem Sie die entsprechenden Me- thoden anwenden, dann werden Ihre Bemühungen meiner Traurigkeit sehr wenig nützen; ein kleines bißchen schon, aber nicht direkt und nicht sehr wir- kungsvoll.

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Wenn man sich nun selbst bemühen muß, um geistige Ruhe zu erreichen, selbst die Mittel anwen- den muß, welche Mittel sind dies, und wie wendet man sie an? Erreicht man durch Handel geistige Ru- he, indem man sie zu kaufen versucht, oder indem man fleißig schwätzt, oder indem man körperliche Arbeit durchführt? Nein, das sind nicht die Metho- den, die dazu führen, geistige Ruhe zu entwickeln, das sind Methoden, die andere Ziele anstreben.

Das ist sehr leicht zu überprüfen, denn die Welt ist voll von Leuten, die genau das Beschriebene tun, und es gibt kaum welche unter ihnen, die, wenn man sie von außen betrachtet, von geistiger Ruhe und gei- stigem Glück erfüllt zu sein scheinen.

Was hat man zu tun? Es ist nötig, daß man seinen eigenen Geist kennenlernt, daß man verstehen lernt, wie er funktioniert, welche Einstellungen und welche Gedanken zu Traurigkeit und Depression führen, daß man lernt, diese Einstellungen und Gedanken auf die Seite zu schieben und Einstellungen und Ge- danken zu finden, die dem Geist die ersehnte Fröh- lichkeit geben.

Ein solches Nachdenken, solche geistigen Bemü- hungen, um den Geist von Leid zu befreien, um ihm Fröhlichkeit und Glück zu verleihen, nennt man Meditation.

Meditation ist ein äußerst weites Gebiet, es enthält Methoden und Dinge, die sehr tief gehen und auch weit über unser Fassungsvermögen und unsere

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Vorstellung hinaus; deshalb ist es kaum möglich, in so kurzer Zeit eine umfassende Beschreibung von Meditation zu geben.

Der Grund dafür ist, daß es eine Unzahl von We- sen mit unzähligen verschiedenen physischen und geistigen Fehlern gibt, und für jede Art dieser Fehler des Körpers oder der negativen, unrichtigen Einstel- lungen bestehen Meditationen, die genau diesen einen Fehler beseitigen. Entsprechend den unter- schiedlichen Arten dieser Fehler gibt es unterschiedli- che Meditationen.

Meditation ist ein Wort, das heutzutage in aller Munde ist, und es gibt sehr viele Leute, die sagen, sie wüßten darüber Bescheid, und die auch sehr fleißig darüber sprechen. Unter ihnen sind diejenigen, die tatsächlich wissen, was Meditation ist, wie man sie anwendet und zu welchen Zielen sie führt, die solche Dinge unverfälscht und korrekt beschreiben und ver- mitteln können, wesentlich in der Minderzahl gegen- über denen, die zwar davon sprechen, aber nicht diese Fähigkeiten haben.

Deshalb soll kurz erklärt werden, was die eigentli- che Natur von Meditation ist, damit uns klar wird, was darunter wirklich verstanden wird, wozu sie ver- wendet wird und wie man die eigene Meditation, wenn man sie einmal begonnen hat, weiterführt.

Hat man das einmal verstanden und kann man das Gelernte anwenden, um so besser; aber selbst wenn man es nicht anwendet, weiß man Bescheid,

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man weiß, wie man es macht, man wird nicht so leicht von fehlerhafter Quelle beeinflußt und gerät nicht so leicht auf falsche Wege.

Wenn man nicht genau weiß, was unter Medita- tion verstanden wird und allen nachläuft, die darüber sprechen, wird man bald soweit kommen, daß man nichts mehr hat, worauf man sich wirklich verlassen kann, daß sich der eigene Geist wesentlich wohler fühlt, wenn er nicht meditiert, als wenn er meditiert, und das ist ein deutliches Zeichen, daß man auf einen falschen Weg geraten ist.

Man kann sonst leicht soweit kommen, wie im folgenden Beispiel beschrieben: Wenn zu einem Gasthaus auf einer Bergspitze verschiedene Wege führen, kann man dennoch der festen, aber fehlerhaf- ten Überzeugung sein, daß nur der eine Weg, auf dem man sich selbst befindet, dorthin führt.

Was ist nun eigentlich Meditation? Man sollte nicht den Körper mit Meditation verwechseln und auch nicht körperliche Aktivitäten, und man sollte nicht die Rede, das Sprechen, als Meditation betrach- ten, sondern Meditation ist eine Aktivität des Geistes.

Durch physische Bemühungen und die Verwen- dung der Rede kann man Dinge tun, die der Medita- tion zuträglich sind, aber Meditation selbst ist immer eine geistige Tätigkeit.

Meditation heißt, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn dann in diesem heilsamen Objekt zu schulen, ihn daran zu gewöhnen.

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Der Geist kann auf heilsame und unheilsame Ob- jekte gerichter werden. Die Natur der Meditation ist, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn darin zu trainieren. Im Tibetischen ist schulen, einüben das Wort, das allgemein als Meditation über- setzt wird.

Wenn Sie zum Beispiel an ein erbärmliches kran- kes oder hungriges Tier denken oder an einen kran- ken, armen Menschen, dann kann in Ihnen Erbar- men mit diesem Wesen entstehen, Sie haben Mitleid mit ihm und denken: Der Arme, wenn es ihm nur besser ginge, wenn er nur frei wäre von diesem Leid. Dieser Wunsch, daß das Wesen frei von Leid sein möge, ist Erbarmen. Wenn wir nun diesen Gedanken immer wieder denken, ihn uns angewöhnen, uns in dieser Einstellung schulen, dann ist das Meditation.

Ein anderes Beispiel: Wenn man bezüglich irgend- welcher heiliger Dinge Hingabe empfindet - man ver- spürt Vertrauen oder Glauben oder Hingabe gegen- über verschiedenen Objekten -, wenn man nun ge- genüber einem solchen Objekt in sich Hingabe ent- stehen läßt, diese Hingabe immer wieder verstärkt und in sich schult, indem man sich die Tugenden dieses Objektes zu Gemüte führt, indem man dar- über nachdenkt, von welch großem Nutzen, von wel- cher großen, positiven Auswirkung dieses Objekt der Hingabe ist, dann wird diese Hingabe verstärkt und entwickelt. Eine solche Bemühung ist ebenfalls Medi- tation.

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Das sind nur zwei Beispiele, die ich erwähnt habe, weil sie leicht zu verstehen sind. Man sollte jetzt nicht dem Fehler verfallen und denken, Meditation be- schränke sich lediglich darauf. Wie zuvor erwähnt, gibt es unzählige Meditationen, die ein Gegenmittel gegen unzählige Fehler sind.

Was ist nun ein heilsames Objekt? Erinnern Sie sich, die Charakteristik von Meditation ist, den Geist auf ein heilsames Objekt zu richten und ihn darin zu schulen. Nun, ein heilsames Objekt muß als etwas betrachtet werden, das in bezug auf den Meditieren- den heilsam ist, das hängt nicht nur vom Objekt selbst ab.

Ein Beispiel, um das deutlicher zu machen: Neh- men wir an, es sei irgendeine Person hier, der gegen- über der Übersetzer Erbarmen empfindet, und er schule und verstärke dann dieses Erbarmen weiter, während ich auf diese Person verärgert und wütend bin. Nun ist diese Person ein heilsames Objekt für den Übersetzer, weil er ihr gegenüber Erbarmen emp- findet und entwickelt, während dieselbe Person für mich ein unheilsames Objekt wäre, weil ich böse und wütend auf sie bin und dadurch eine unheilsame Ein- stellung ihr gegenüber habe.

Ein anderes Beispiel: Wenn da draußen auf der Wiese eine Kuh steht und jemand denkt, was für ein nützliches Tier, man bekommt Milch von ihm, und was für ein armes Tier, daß es so dumm ist und in

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einem solchen dumpfen Zustand leben muß, und tie- fes Erbarmen für die Kuh empfindet und ihr Gras und Wasser gibt, dann ist diese Kuh für diese Person ein heilsames Objekt, weil die Person der Kuh gegen- über Erbarmen empfindet und dieses in sich schult.

Für eine andere Person, die genau die gleiche Kuh sieht und sich denkt, wenn das Vieh nur bald schön fett ist, dann kommt es auf den Sonntagstisch, ist die- se Kuh ein unheilsames Objekt, weil die eigene Ein- stellung dem Objekt gegenüber unheilsam ist.

Wie wirkt sich nun diese Meditation aus? In der Person, die gegenüber der Kuh Erbarmen empfindet, dieses Erbarmen in sich weiter fördert und steigert, wird diese Fähigkeit, die Einstellung des Erbarmens, immer stärker werden, und sie wird dann mit der Zeit gegenüber allen anderen Wesen ebenfalls Erbar- men empfinden. Und im gleichen Maß, wie das Er- barmen in dieser Person im Vordergrund steht, wird sie weniger ärgerlich, weniger wütend werden, denn Erbarmen und Ärger sind direkte Gegensätze.

Und in dem Maß, in dem in einer Person Ärger und Wut schwach sind, erfährt sie Ruhe und Ausge- glichenheit, denn Ärger ist der Geisteszustand, der dem Geist sämtliche Ruhe und jedes Glück entreißt.

Nun überlegen Sie selbst: Wenn jemand sein Le- ben so lebt, daß er immer wieder anderen gegenüber Erbarmen empfindet, dieses Erbarmen, wie eben er- wähnt, versucht zu stärken und zu fördern, dann kann diese Person der Meinung sein, sie sei nicht

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religiös, sie wolle nichts von Religion oder von Dhar- ma wissen; in Wirklichkeit übt sie Dharma aus, und sie übt sich in Meditation; da spielt die Anschauung keinerlei Rolle.

Jemand, der zum Beispiel sagt, ich will nichts von Religion wissen, ich bin kein religiöser Mensch, ich will nichts von Dharma wissen, der jedoch den ande- ren gegenüber immer sehr lieb eingestellt ist, den andern gegenüber Erbarmen und Mitgefühl empfin- det, den andern hilft, wo immer er nur kann, der ist in Wirklichkeit auf dem Weg des Dharma, auf dem Weg von Religion, ganz gleich, ob er der Meinung ist, er sei es oder er sei es nicht.

So jemand übt wirklich ernsthaft Dharma aus, er geht den Weg des Dharma und ist lediglich bezüglich seiner Anschauung der Meinung, er sei kein religiöser Mensch, das heißt, er akzeptiert den Namen Religion oder Dharma nicht.

Im Gegensatz dazu ist jemand, der von sich be- hauptet, ein sehr religiöser Mensch zu sein, der aber ständig den anderen Schwierigkeiten macht, den an- dern Leid zufügt, den andern das Leben schwer- macht, wo immer er nur kann, der jedoch, wenn man ihn fragt, bist du ein religiöser Mensch? vielleicht sagt, ich bin ein Christ oder ich bin ein Buddhist oder Hinduist oder was immer, in Wirklichkeit kein religiöser Mensch, er geht nicht den Weg des Dhar- ma, sondern den des Gegenteils.

Wenn nun jemand ständig seinen Geist auf heilsa- me Objekte richtet und ihn in bezug auf diese heilsa- men Objekte schult und weiter daran gewöhnt, dann

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meditiert er, ganz gleich, ob er dabei spazierengeht, ob er dabei arbeitet oder was er sonst noch dabei tut.

So sollte man erkennen, daß Meditation nichts Beschränktes ist, sondern sich sehr weit durch den ganzen Lebensstil zieht.

Da gibt es manche Leute, die sich immer bekla- gen, sie könnten nicht meditieren, sie wüßten nicht, wie man das macht. Wenn sie so sprechen, haben sie etwas anderes im Sinn. Tatsächlich ist es so: Wenn z.B. jemand, der im Schiff auf dem See fährt und dort die Schwäne und anderen Wasservögel sieht, die um Nahrung betteln, Mitleid mit diesen Tieren hat und ihnen ganz von selbst etwas Nahrung zuwirft, dann ist seine Einstellung Erbarmen, die Natur seines geistigen Zustandes ist heilsam, und dadurch ist seine geistige Aktivität Meditation.

So ist die Charakteristik von Meditation, daß der Geist auf ein heilsames Objekt gerichtet ist und daran gewöhnt wird.

Was ist nun ein heilsames Objekt? Wir im Westen fragen uns sehr leicht, was man als heilsames Objekt bezeichnet und was als unheilsames. Heilsam ist eine Handlung, die frei von Verblendungen ist und die als Resultat ein Glück entweder für einen selbst oder für die anderen hervorbringt. Im Gegensatz dazu ist eine Handlung, die als Resultat Leid für einen selbst oder für andere erzeugt und die mit Verblendungen ver- bunden ist, unheilsam.

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Bei Samen zum Beispiel unterscheiden wir gute und schlechte. Und was führt uns zu dieser Eintei- lung? Wenn der Same ein Unkraut, etwas Unbrauch- bares oder Giftiges, etwas Unerwünschtes produziert, dann bezeichnen wir ihn als schlecht; wenn aus ihm etwas Angenehmes sprießt, z.B. eine Pflanze mit gu- ten Früchten oder ein Kraut, das man als Medizin verwenden kann, dann bezeichnen wir ihn als guten Samen.

Damit ist kurz beschrieben, was unter heilsam und unheilsam zu verstehen ist. Was dazu führt, z.B. Er- barmen oder Zuneigung zu fördern, ist ein Mittel der Meditation.

Zusammengefaßt kann man Meditation in kon- zentrative und in untersuchende oder analytische Meditation unterteilen.

Im Westen versteht man heutzutage unter Meditation meistens nur konzentrative Meditation. Leute, die an Meditation interessiert sind, wissen oft nur darüber etwas und gar nichts über analytische Meditation, oder sie erkennen diese nicht als Medita- tion.

Es gibt auch viele, die sich nicht genau darüber im klaren sind, was konzentrative Meditation ist, die der Meinung verfallen, es seien alle Arten von Gedanken darunter zu verstehen, und die somit etwas praktisch Unbrauchbares versuchen.

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In Wirklichkeit ist analytische Meditation die Art von Meditation, die für uns am nützlichsten und zu- gänglichsten ist, die wir auch durchführen können und die die besten Resultate bringt.

Hierher gehören die beschriebenen Beispiele. Wenn z.B. jemand Hingabe gegenüber einem beson- deren Objekt empfindet und diese weiter schult, ist dies Meditation, und zwar analytische Meditation. Das gleiche trifft auf die Beispiele des Entwickelns von Erbarmen und Mitgefühl zu. Die meisten in uns auftretenden Tätigkeiten dieser Art, die man als Me- ditation bezeichnen kann, sind analytische Medita- tion. Auch alle die Methoden, die das Ziel haben, die Fähigkeit des Ertragens oder der geistigen Ruhe zu steigern, alle diese geistigen Aktivitäten in bezug auf bestimmte heilsame Objekte sind analytische Medita- tion.

Wenn Sie z.B. ein korrektes, fehlerfreies Buch über Dharma aufmerksam lesen, über das Gesagte nachdenken, dann sind alle diese Bemühungen analy- tische Meditation. Auch wenn Sie z.B. den gegenwär- tigen Erläuterungen aufmerksam zuhören, sie sich überlegen, sich Gedanken machen, wie es sich verhält usw., dann sind alle diese Gedanken und Überlegun- gen ebenfalls analytische Meditation. Denn beim Zuhören sind unsere Gedanken auf etwas Heilsames gerichtet, wir überlegen uns das Gesagte, wir untersu- chen es, wir analysieren es; deshalb wird das richtiger- weise auch als analytische Meditation bezeichnet.

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Am Anfang, wenn man versucht zu meditieren, wird z.B. meistens der Atem beobachtet, um den Geist von störenden Gedanken zu befreien. Dieses Beobachten des Atems, genauso wie z.B. die Medita- tionen, die als Satipatthana bekannt sind, sind eben- falls untersuchende Meditation.

Alle diese Gedanken, diese Bemühungen sind uns zugänglich, wir können sie durchführen, und sie bringen eine ganz konkrete Veränderung und Verbes- serung unseres Geisteszustandes; und deshalb habe ich anfangs erwähnt, daß analytische Meditation für uns die nützlichste und beste ist.

Ein anderes Beispiel: Da ist irgend jemand, der uns immer wütend macht, auf den wir schon wütend werden, wenn wir ihn nur sehen. Dann kommt diese Person eines Tages wieder in die Nähe, und wir sehen sie und denken uns, na verflucht, jetzt ist der Kerl schon wieder da, und wir ärgern uns, werden wütend und zerstören unsern ganzen geistigen Frieden. Wenn wir nun dagegen eines Tages wieder diese Person se- hen und uns denken, warum soll ich mich immer über sie ärgern, warum soll ich immer wütend auf diese Person werden? Wenn ich mich immer ärgere, hat es nie ein Ende, und es führt zu gar nichts, statt- dessen bleibe ich ruhig, was immer diese Person ver- ursacht oder tut, ich ertrage das, lasse es einfach über mich ergehen. Sobald wir eine solche Einstellung zu erzeugen versuchen, solche Gedanken in uns denken, ist das ebenfalls analytische Meditation.

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Eine Meditation kann ihre Resultate sofort geben und zeigen. Wenn nun jemand, der wie in dem vor- her erwähnten Beispiel gegenüber einer Person, die ihn immer ärgert und in Aufruhr bringt, versucht, Ertragen zu üben, nicht wütend zu werden, dann wird als erstes der Gesichtsausdruck dieser Person nicht mehr so böse und aggressiv sein, sie wird ent- spannter sein, ihr geistiger Zustand wird nicht aufge- wühlt, sondern ruhig bleiben. Die andere Person, die ebenfalls auf den Ärger des Gegenüber reagiert, wird erkennen, daß diesmal kein entsprechend böses Ge- sicht vorhanden ist, sie selbst wird entspannter wer- den. Alles das sind direkte Auswirkungen der Medita- tion des einen Individuums.

Manche denken nun vielleicht, ja das ist sehr gut zu hören, daß solche Gedanken Meditation sind, da- zu bin ich tatsächlich auch imstande. Aber man kann gleichzeitig den Zweifel in sich aufkommen sehen, ob verbale Bemühungen wie die Rezitation von Gebe- ten, z.B. von MANIs, oder körperliche Bemühungen wie z.B. das Darbringen von Niederwerfungen usw. einen Sinn haben, ob sie Meditation sind, wo ihr po- sitiver Zweck liegt.

Diese verbalen und körperlichen Bemühungen sind sehr heilsam, und da man sie mit einer heilsa- men geistigen Einstellung durchführt, haben sie mit der Meditation eine Verbindung.

Manche, die die Bedeutung der Niederwerfungen kennen, haben keine weiteren Zweifel. Anderen wie- derum mögen sie als eine äußert kuriose Sitte erschei- nen. Niederwerfungen sind keine Verpflichtung,

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sondern für den, der den Wunsch hat, diese Form des Dharma anzuwenden, stehen sie zur Verfügung; wer diesen Wunsch nicht hat, kann sie ganz ruhig blei- benlassen.

Man fragt sich vielleicht, was Niederwerfungen eigentlich bedeuten. Sie sind entsprechend den Schriften ein Ausdruck der Ehrfurcht.

Beim Militär zum Beispiel grüßt man, indem man die Hand in die Höhe neben den Kopf erhebt, was vielleicht ebenfalls eine Ehrerbietung darstellt.

Im Dharma ist die Niederwerfung ein Ausdruck der Ehrerbietung. Aber neben dieser traditionellen Bedeutung ist das Darbringen von Niederwerfungen eine äußerst wirksame Methode, um negative Ein- drücke des Geistes zu bereinigen.

Was analytische Meditation ist, habe ich kurz be- schrieben. Was ist nun unter konzentrativer Medita- tion zu verstehen? Konzentrative Meditation ist eine Aktivität des Geistes, bei der die Aufmerksamkeit des Geistes punktförmig, völlig unabgelenkt auf ein be- stimmtes Objekt gerichtet bleibt.

Wenn Sie z.B. einen Nagel in eine Holzsäule trei- ben, dann bleibt dieser Nagel ganz unbewegt und fest in der Holzsäule stecken. Der Holzsäule entspricht das Objekt, dem Nagel unser Geist. Wenn der Geist punktförmig, unbewegt auf das Objekt gerichtet bieibt, so wie der Nagel in der Holzsäule steckt, dann ist das konzentrative Meditation.

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Das ist in Wirklichkeit unter konzentrativer Meditation zu verstehen. Nun gibt es sicher viele, die das nicht genau wissen, die zudem der Meinung sind, alle Meditation sei nur konzentrative Meditation. Sie setzen sich dann zur Meditation hin, und ihr Geist ist trüb und in leichten Bewegungen auf ein unklares Objekt gerichtet, wobei kaum deutlich zu sagen ist, ob die Person nun schläft oder meditiert; und dann sind diese Leute der Meinung, das sei konzentrative Meditation. Das ist allerdings ein Fehler.

Wenn man versucht, seinen Geist zu konzentrie- ren, er aber nicht auf das Objekt gerichtet bleibt, dann mag man wohl der Meinung sein, man übe konzentrative Meditation aus; das ist aber nicht ganz richtig, diese Bemühugen sind auch analytische Me- ditation. Sie sind korrekt, sie sind heilsam, es ist gut, sie durchzuführen, sie sind aber nicht konzentrative, sondern analytische Meditation.

Es spielt jedoch keine Rolle, ob dies nun als analy- tische oder konzentrative Meditation bezeichnet wird, tatsächlich sind die Bemühungen etwas sehr Heilsames. Man versucht seinem Geist eine heilsame Gestalt zu geben, indem man Meditation verwendet; das ist schon viel besser, als gar nichts zu machen.

Es gibt auch Leute, die in Meditation sitzen, die versuchen, ihren Geist zu konzentrieren und fest da- von überzeugt sind, daß er ganz fest auf sein Objekt gerichtet ist, während er in Wirklichkeit ständig umherschwirrt.

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Sie haben jetzt eineinhalb Stunden sehr aufmerk- sam zugehört. Verschwenden Sie diese Anstrengung nicht wieder, sondern versuchen Sie auch in den Pau- sen über das, was gesagt worden ist, der Reihe nach nachzudenken, es sich wieder zu Gemüte zu führen, Ihre eigenen Gedanken darüber zu fassen; oder wenn Sie sich mit den andern unterhalten, versuchen Sie auch über das Gesagte zu sprechen; dadurch wird es klarer und deutlicher, und die Anstrengung des Zu- hörens war nicht vergebens.

Einleitung zur Meditation:

Wenn man sich zur Meditation hinsetzt, ist es wichtig, daß man zuerst versucht, seinen Geist klar zu machen; das heißt, daß man zuerst seinen Körper entspannt, dann den Geist von den verschiedenen Gedanken frei macht. Ähnlich wie aufgewühltes Wasser durch Stehen von Schmutz getrennt werden muß, bis es wieder ganz klar ist.

Wenn Körper und Geist ruhig geworden sind, darf man nicht seiner Vergangenheit nachgrübeln, auch keine Pläne für die Zukunft schmieden, sondern man muß sich ganz nur auf den Moment konzentrie- ren. Sind dann Körper und Geist entspannt und der Geist klar und ruhig geworden, können Sie z.B. über das nachdenken, was heute morgen erklärt worden ist. Überlegen Sie sich, was dafür spricht, ob es zu- trifft, und wenden Sie es auf Ihre eigene Erfahrung an.

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Auch ist es wichtig, bei der Meditation fröhlich zu sein, sich darüber zu freuen, daß man die Möglich- keit hat, seine Zeit für etwas Heilsames einzusetzen, sie für die Verwendung von Dharma zu benützen.

Heute morgen sprach ich über die Natur von Meditation und die Einteilung von Meditation in konzentrative und analytische.

Jemand, der schon viele Unterweisungen über Dharma erhalten hat, kann auch die folgenden Über- legungen sehr leicht nachvollziehen: Zum Beispiel, wie wertvoll ein menschliches Leben ist, was für gro- ße Ziele damit erreicht werden können und von welch kurzer Dauer es ist. Solche Überlegungen und solche Erkenntnisse werden ebenfalls als analytische Meditation bezeichnet.

Wenn man sich andererseits überlegt, daß man nach dem Ende dieses Lebens keine Freiheit in bezug auf das Weiterleben hat, daß man sich nicht aussu- chen kann, wohin man geht, sondern in Abhängig- keit von unheilsamen Handlungen in elenden Berei- chen weiterexistieren wird, in Abhängigkeit von heil- samen Handlungen in angenehmen, ist dies ebenfalls analytische Meditation.

Wenn man sich dann weiter überlegt, daß man, um die Zukunft heilsam zu gestalten, die gegenwärti- ge Zeit möglichst gut auszunützen und sich zu

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bemühen hat, um unheilsame Eindrücke zu beseiti- gen und Heilsames zu tun, dann erkennt man, daß man das vor allem durch eigene Anstrengungen und durch die Hilfe eines Objektes der Zuflucht erreichen kann. Solche Gedanken sind wiederum analytische Meditation.

Andere überlegen sich die eigentliche Natur ihres Bestehens, sie erkennen, daß man als Wesen im Da- seinskreislauf keinerlei Freiheit hat, daß man ständig unter dem Einfluß der Verblendungen des Geistes und unheilsamer Handlungen existiert, daß man ge- boren wird, unfreiwillig altert, krank wird und un- freiwillig stirbt, um nur den gleichen Prozeß wieder durchzumachen. Indem man sich das überlegt und die Nachteile dieser Art des Bestehens erkennt, ent- steht in einem der starke Wunsch, von solcher Exi- stenz freizukommen. Solche Überlegungen und das Entwickeln eines solchen Wunsches sind ebenfalls analytische Meditation.

Wenn man weiter seine Einstellung so verändert, so revolutioniert, daß man seine Ichbezogenheit über- windet, daß man das Wohl der anderen zu seiner pri- mären Angelegenheit macht und somit Erbarmen und Zuneigung zu einer Vervollkommnung bringt und auch den Wunsch, das Streben entwickelt, die volle Erleuchtung für das Wohl der anderen zu erlan- gen; solche Einstellungen, solche Entwicklungen, genauso wie die verschiedenen Anwendungen der Paramitas, der Vollkommenheiten, vor allem der

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ersten fünf, all dies gehört zum größten Teil in die Klasse der sogenannten analytischen Meditation.

So habe ich nur einige Punkte erwähnt, die als analytische Meditation bezeichnet werden, gewisser- maßen wie eine kleine Landkarte. Für diejenigen un- ter Ihnen, die schon öfters Unterweisungen gehört haben, werden diese verschiedenen Namen etwas Klareres bedeuten, für die anderen mögen sie viel- leicht nur wie ein Wegweiser aussehen. Aber es ist nicht genügend Zeit, um Einzelheiten genau zu be- schreiben, vielleicht ergibt sich in der Zukunft einmal die Möglichkeit.

Ich erwähnte, daß man durch die gezielte Anwen- dung von Meditation den Geist so führen kann, daß er fröhlich ist, daß er von Glück erfüllt ist, daß die Traurigkeiten usw. überwunden werden können.

Wenn wir irgend etwas tun, dann bedeutet das eine Handlung. Die Handlungen, die wir mit unse- rem Geist oder mit unserer Rede oder mit unserem Körper durchführen, kann man in drei Gruppen ein- teilen.

Die eine Gruppe sind die sogenannten heilsamen Handlungen, die andere Gruppe das Gegenteil, die unheilsamen Handlungen, und dann gibt es noch eine Gruppe, die man als neutrale Handlungen be- zeichnet, weil sie weder heilsam noch unheilsam sind.

In den Schriften wird die Handlung in dieser Be- ziehung oft Karma genannt. Dieser Name hat weiter nichts anderes zu bedeuten als Handlung, Handlung des Geistes, der Rede oder des Körpers.

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Heilsame Handlungen z.B. sind etwas Veränderli- ches. Als etwas Veränderliches bringen sie Resultate mit sich. Sie sind also als Ursachen zu bezeichnen. Die Resultate, die durch heilsame Handlungen pro- duziert werden, sind immer etwas Angenehmes, sind immer eine Art von Glück.

Unheilsame Handlungen sind ebenfalls etwas Ver- änderliches und somit ebenfalls Ursachen, die be- stimmte Resultate hervorrufen. Sie sind negative Ur- sachen, die dementsprechend negative Resultate her- vorbringen; das heißt, unheilsame Handlungen wer- den immer Leid, Schwierigkeiten, Drangsal produzie- ren.

Die neutralen Handlungen produzieren ebenfalls Resultate; da sie weder heilsam noch unheilsam sind, sind auch ihre Resultate weder angenehm noch unan- genehm.

Die Samen bestimmter Früchte z.B. werden im- mer wieder nur süße Früchte hervorbringen. Der Same des Pfeffers dagegen wird immer wieder nur eine Pfefferschote hervorbringen, die im Munde wie- der heiß ist und brennt. Genauso gibt es Samen, die weder süße noch brennende Früchte produzieren.

Und mit den Handlungen der Wesen verhält es sich ähnlich, bestimmte Handlungen produzieren immer ihre entsprechenden Resultate.

Das Hauptziel der Meditation ist, den Geist so zu formen, daß er sich mit den heilsamen Aspekten immer vertrauter macht, daß diese mehr und mehr

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ein integrierter Bestandteil des Geistes werden und dadurch die negativen Aspekte des Geistes, die Ver- blendungen usw., immer mehr abgeschwächt werden. Wenn man den Geist intensiv an heilsame Aspek- te gewöhnt, dann werden unter dem Einfluß des Gei- stes die verbalen und körperlichen Handlungen eben- falls heilsam sein, man wird mehr zu heilsamen Handlungen neigen als zu unheilsamen; und je mehr heilsame Handlungen durchgeführt werden, um so mehr positive Ursachen werden gesetzt, die entspre- chend mehr angenehme Resultate mit sich bringen.

Unsere gewöhnliche Einstellung dagegen ist sehr von Verblendungen geprägt. Unter ihrem Einfluß werden unsere geistigen genauso wie die verbalen und körperlichen Handlungen negative Handlungen, und diese stellen wiederum Ursachen dar, die nichts als Schwierigkeiten und Leid hervorrufen.

Wenn man zuerst versucht, den Geist, seine Funk- tionsweise usw. etwas genauer zu erfassen und dann wenigstens in seiner Freizeit versucht, dem Geist eine heilsame Gestalt zu geben, ihn mehr an heilsame Ein- stellungen und Aktivitäten zu gewöhnen, dann tut man wirklich etwas für sich, das äußerst nützlich ist und angenehme Resultate mit sich bringt.

Für Eltern oder Lehrer, die in der Schule unter- richten, ist es sicher sehr wichtig, daß sie ihren Kin- dern oder Schülern Dinge beibringen, die diesen auf lange Dauer von großem Nutzen sind, daß sie sie

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dazu anhalten, heilsam zu leben, eine heilsame Ein- stellung zu finden. Wenn man das versucht und ge- wissen Erfolg hat, dann ist das von außerordentlich großem Wert für die Kinder oder die Schüler und auch von großem Gewinn für einen selbst.

Manche von Ihnen denken nun vielleicht, ich sei schlau, ich sage eigentlich, man solle seinen Kindern und Schülern den Buddhismus beibringen. Das trifft aber keineswegs zu; ich will deutlich machen, daß es ganz gleich ist, was für eine Religion es ist; das, was den Schülern und Kindern und einem selbst von wirklichem Nutzen ist, ist ein heilsames Leben, sind heilsame Einstellungen; diese kann man in jeder Art von guter Religion seinen Schülern oder Kindern bei- bringen. Der Name spielt dabei keine Rolle.

Ich bin ein buddhistischer Mönch. Das, was ich unterrichte, hat aber nicht ausschließlich mit dem Buddhismus zu tun, sondern ich versuche unsere eigentliche Natur deutlich zu machen, Mittel zu zei- gen, die ein wirklich nützliches, gewinnbringendes Resultat für einen ermöglichen.

Nach den verschiedenen Erklärungen über analy- tische und konzentrative Meditation sind Sie viel- leicht auf die Idee gekommen, daß analytische Medi- tation zweifellos etwas sehr Nützliches ist. Aber Sie bezweifeln vielleicht den Wert konzentrativer Medi- tation, oder es ist Ihnen nicht ganz klar, was eigent- lich das Ziel dieser Art von Meditation ist.

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Konzentrative Meditation, Shamata, geistige Ru- he, führt ebenfalls zu ganz außergewöhnlich positiven Resultaten.

Wenn wir uns z.B. bemühen, eine heilsame Ein- stellung zu gewinnen, und es uns auch gelingt, kommt oft sehr schnell irgendein anderer Gedanke, der dann die ganze vorhergehende Bemühung wieder auf die Seite wischt; das heißt, die heilsame Einstel- lung, die wir entwickelt haben, wird von anderen Gedanken sofort wieder zerstört. Oder wir finden eine heilsame Einstellung, und auf Grund irgendwel- cher anderer Gedanken ärgern wir uns, was wiederum unsere heilsame Einstellung zerstört.

So ist unser Geist nicht sehr stabil, er ändert sich sehr leicht und sehr schnell unter dem Einfluß einer großen Zahl von verschiedenen Vorstellungen. Das ist leicht zu erkennen; wenn wir versuchen, uns zur Meditation hinzusetzen, und uns ernsthaft bemühen, den Geist auf etwas Heilsames zu richten, dauert es nicht sehr lange, bis unser Geist wieder spazierengeht oder zur Arbeit geht oder über die Zukunft nach- denkt oder sich über irgend jemanden ärgert, der gestern etwas Böses gesagt hat. Und schon ist man vom Objekt der Meditation wieder abgekommen.

Daß unser Geist das ständig macht, muß ich nicht genau erklären, denn ich nehme an, daß Sie das alles aus Ihrer eigenen Erfahrung sehr genau kennen.

Wenn man Shamata, geistige Ruhe, erreicht hat, dann hat der Geist eine solche Kraft der Konzentra-

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tion, daß er genau auf das Objekt gerichtet bleibt, auf das er gerichtet ist, und ihn nichts davon abbringen kann.

Der Geist bekommt dann eine solche Fähigkeit, daß es, sobald er sich vornimmt, sich auf ein heilsa- mes Objekt zu richten, keine Gedanken und Vorstel- lungen gibt, die ihn vom Objekt ablenken können. Und wenn man sich vornimmt, bestimmte heilsame Handlungen durchzuführen, seinen Geist darauf zu richten, dann werden diese durchgeführt, ohne die geringste Behinderung durch andere störende ge- dankliche Einflüsse.

Wenn Sie an einem Fahnenmast im Wind eine Fahne aufhängen, wird diese nie ruhig sein. Die Fah- ne hat nicht die Freiheit, ruhig zu bleiben, wenn der Wind weht und sie bewegt. Unser Geist entspricht der Fahne, er wird ständig durch den Wind der vielen Vorstellungen und Gedanken hin- und herbewegt. Solange diese auftreten, scheint er nicht die Freiheit zu haben, ruhig zu bleiben. Wenn man die Fahne vom Mast nimmt und in ein Haus bringt, dessen Fenster alle geschlossen sind, dann wird sie ruhig bleiben und sich nicht mehr bewegen. Ähnlich bleibt der Geist ruhig und bewegt sich nicht mehr, wenn geistige Ruhe erreicht ist.

Wie ich schon erwähnt habe, ist konzentrative Meditation äußerst schwierig; man muß die Metho- den sehr genau kennen, und selbst dann ist es noch sehr mühsam, sie anzuwenden und dieses Ziel wirk-

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lich zu erreichen. Deshalb möchte ich die konzentra- tive Meditation etwas genauer erklären. Sie wird in sechs Abschnitten beschrieben:

1. Vorbereitungen 2. Eigentliche Meditation 3. Weiterentwickeln der Meditation 4. Hilfreiche Kräfte 5. Durchlaufene Stufen 6. Resultat Shamata

Die für eine erfolgreiche Shamata-Meditation not- wendigen Vorbereitungen sind fast das wichtigste. Jemand, der wirklich zu kochen versteht, kann, wenn alle notwendigen Zutaten usw. hergerichtet sind, sehr schnell eine gute Mahlzeit zubereiten. Oder wenn Sie ein Haus bauen möchten, wird Ihnen das schnell und leicht gelingen, wenn Sie alle Vorbereitungen, die dazu notwendig sind, vollständig ausgeführt haben.

Zuerst ist es wichtig, daß man analytische Medita- tion versteht und sie auch ausübt. Wenn man sich dann zudem noch in konzentrativer Meditation üben will, ist das sehr gut; möchte man das nicht, ist es dennoch wichtig, zu wissen, worum es sich wirklich handelt, weil man dann auf Grund verschiedener an- derer Meditationen nicht so leicht auf Fehler verfällt.

Möchte man die vollständigen Vorbedingungen zum Erreichen von Shamata beisammen haben, sind verschiedene Punkte zu beachten. Zum Beispiel in

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bezug auf die Umgebung, in der man diese Medita- tionen durchführen möchte, oder in bezug auf die Stellung des Körpers bei der Meditation.

Wenn man einen angenehmen, ruhigen Ort fin- den kann, der so beschaffen ist, daß man sich dort wohl fühlt, daß man den Wunsch hat, dort bleiben zu können und zu meditieren, dann ist das sehr hilf- reich für das Gelingen der Meditation.

Doch allein, daß der Ort sehr gefällig ist, genügt nicht, sondern er muß zudem frei von Gefahren sein; bestehen an einem solchen Ort innere und äußere Gefahren für das eigene Leben, ist er z.B. durch wilde Tiere bedroht, dann ist er nicht geeignet für eine sol- che Meditation.

Zudem müssen das Wasser und die Luft an dem Ort rein und gesund sein, denn das bewirkt eine ge- sunde Beeinflussung des Köpers, was wiederum eine positive Wirkung auf den Geist hat.

Wenn man selbst sehr hohe geistige Fähigkeiten erreicht hat, so daß man imstande ist, Hindernisse innerer oder äußerer Natur durch seine eigene Kraft zu überwältigen, dann kann man sich allein an einen solchen Ort zurückziehen; hat man einen solchen Zustand noch nicht erreicht, dann ist es unbedingt notwendig, ein bis zwei Helfer mitzunehmen.

Die Begleiter müssen Leute sein, mit denen man sich gut versteht, die gleiche Ansichten und ähnliches Benehmen haben wie man selbst; denn wenn man sich mit ihnen nicht gut vesteht, ist wahrscheinlich alle Meditation hoffnungslos, man wird seine ganze Zeit nur mit Streit verbringen.

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Weshalb ist es unbedingt notwendig, solche Be- deiter mitzunehmen? Wenn man sich an einen solchen Ort zum Meditieren zurückzieht, wird man leicht mit inneren oder äußeren Hindernissen kon- frontiert, man wird vielleicht krank, oder es treten andere Schwierigkeiten auf, die man allein nicht be- wältigen kann.

Ein weiterer Grund ist folgender: Der so zurück- gezogen intensiv Meditierende sitzt nicht mit leerem Geist oder schläfrig in seiner Meditationshaltung, sondern er leistet eine sehr angestrengte geistige Ar- beit, und dadurch entstehen auch entsprechend viele Zweifel und Ungewißheiten bezüglich schwieriger Punkte. Im Gespräch mit dem Begleiter können dann diese Punkte geklärt werden. Für jemanden, der nicht so intensiv nachdenkt, entstehen natürlich auch keine Ungewißheiten, man nimmt die Dinge so, wie sie sind, und denkt nicht viel darüber nach.

Wenn man meditiert, ist man auch auf Nahrung angewiesen, und so muß man Vorbereitungen tref- fen, daß man während seiner Anstrengungen in der Meditation Essen und Trinken relativ leicht erhalten kann.

Tibet war im Vergleich zurn heutigen Wohlstand des Westens ein wesentlich ärmeres Land. Es war dort üblich, daß jemand, der sich zurückzog, um zu medi- tieren, einen Gönner fand, der sich für seinen Le- bensunterhalt während dieser Periode verpflichtete, der von Zeit zu Zeit Nahrung zu dem Meditierenden

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in seine Klause schickte. Oder wenn einem das nicht gelang, konnte man in das nächste Dorf gehen und in einer Stunde genügend Nahrung erbetteln, um einen Monat lang davon leben zu können. Es ist notwen- dig, daß man während der Meditationen genügend Nahrung zur Verfügung hat, denn man kann nicht gleichzeitig arbeiten und konzentrative Meditation erlangen. Im Westen ist das heutzutage etwas schwie- riger, weil man nicht mehr so leicht betteln gehen kann wie in Tibet.

Auch ist es äußerst wichtig, daß die Nahrung, die der Meditierende erhält, nicht durch unheilsame Mittel zustande gekommen ist, daß z.B. Tiere eigens für seine Nahrung getötet wurden. Der Lebensunter- halt muß unbedingt auf ehrliche und korrekte Weise erworben sein.

Das wichtigste ist, daß der Meditierende, der sich zur Meditation zurückziehen will, genau Bescheid weiß, wie die entsprechenden Meditationen durchge- führt werden, was für Schwierigkeiten auftreten wer- den und wie man diese beseitigt. Alle diese Informa- tionen muß er zuerst erhalten und studieren und zu diesem Zweck jemanden bitten, der ihm diese Unter- weisungen geben kann.

Wenn man nicht Bescheid weiß, nicht studiert hat, wie und was man zu meditieren hat, sondern sich einfach irgendwo in den Bergen zurückzieht und zur Meditation hinsetzt, kommt bald der Punkt, wo man nicht weiß, was man jetzt eigentlich tun und denken sollte; dann bleibt einem nichts anderes mehr übrig, als vom hohen Berg wieder herunterzukommen.

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Um das mit einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn jemand zur Fußballweltmeisterschaft gehen will, und zwar nicht als Zuschauer, sondern als Spie- ler, muß er zuerst fleißig trainieren, um ein guter Fußballer zu werden. Denn wenn er nur den großen Wunsch hat, als Fußballer dort hinzugehen, und auch hingeht, wird er nicht lange auf dem Spielfeld bleiben, sondern recht schnell wieder weggeschickt werden. Mit der Meditation ist das ähnlich.

Auch dürfen die Bedürfnisse des Meditierenden nur sehr gering sein. Wenn er große Anforderungen stellt, wird er ständig damit beschäftigt sein, diese zu erfüllen; er wird dauernd denken, das brauche ich noch, das muß ich noch haben, und alle diese Be- dürfnisse bilden ein unüberwindbares Hindernis für das Gelingen der Meditation.

Als weitere Eigenschaft muß der Meditierende Zufriedenheit besitzen, damit er mit dem, was ihm zur Verfügung steht, zufrieden ist; daß er damit zu- frieden ist, wenn er etwas Nahrung hat, daß er damit zufrieden ist, wenn er etwas Kleidung hat, die ihn vor Kälte schützt. Denn wenn er nicht zufrieden ist, wird er ständig nach etwas anderem verlangen; hat er eine Decke bekommen, die ihn warm hält, wird er diese wieder zur Seite legen und sich eine andere wün- schen. Ein Mangel an Zufriedenheit bildet ebenfalls ein unüberwindbares Hindernis für das Gelingen von Meditation.

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Außerdem muß die Meditation das Hauptanlie- gen des Meditierenden sein, es muß sein größter Wunsch sein, diese Meditationen durchführen zu können, um deren Ziel zu erreichen.

Er darf keine besondere Neigung zu Zusammen- künften und Geschwätz haben, denn solange er im- mer geneigt ist, mit vielen Leuten zusammenzusein und sich sehr angeregt zu unterhalten, wird er seine konzentrative Meditation nie zur Vollendung brin- gen können.

Eine der wichtigsten Bedingungen für das Gelin- gen der konzentrativen Meditation ist das Befolgen einer Ethik; im besonderen wird von der Ethik ge- sprochen, die die zehn unheilsamen Handlungen ver- meidet.

Man wundert sich vielleicht, weshalb. Der Grund ist folgender: Die konzentrative Meditation zielt dar- auf ab, die unkontrollierten Vorstellungen und Ge- danken des Geistes zu beseitigen. Unter diesen Ge- danken und Vorstellungen gibt es sehr grobe und wesentlich feinere, subtilere. Die subtilen Gedanken und Vorstellungen werden mit der Kraft der Konzen- tration überwunden. Dazu müssen aber zuerst die gröberen Gedanken und Vorstellungen durch das korrekte Befolgen der Ethik, der Moral beseitigt wor- den sein.

Jemand, der alle Vorbereitungen wie eben be- schrieben vollständig beisammen hat, wird auf jeden Fall die Vervollkommnung des Shamata, der geisti- gen Ruhe, erreichen können. Heutzutage sind es

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unter uns jedoch ohnehin schon sehr wenige, die sich dies als Ziel setzen, und die, die es anstreben, bringen alle diese Vorbereitungen nicht zustande, und des- halb ist es sehr schwer und mühsam, es auch wirklich zu erlangen.

Setzt sich nun jemand nach allen diesen Vorberei- tungen hin, um diese Meditation durchzuführen und ihr Ziel zu erreichen, dann muß der Geist punktför- mig, unabgelenkt und unbeweglich auf ein bestimm- tes Objekt gerichtet sein, ähnlich wie ein Nagel fest und unbeweglich in einer Holzsäule steckt, wenn er hineingeschlagen worden ist.

Wenn man bei der Meditation den Geist unklar läßt, ihn nicht auf ein bestimmtes Objekt richtet und in einem solchen Zustand verharrt, dann wird das kaum als Meditation zu bezeichnnen sein. Nicht nur das, das Ergebnis einer solchen Aktivität wird nicht sehr vorteilhaft sein. Ohne daß der Geist in der Me- ditation ein Objekt hat, ist es unmöglich, daß er ir- gendwelchen Fortschritt macht. In Abhängigkeit vom Objekt der Meditation kann eine Weiterentwicklung des Geistes erzielt werden.

Man fragt sich nun: Ist es, um konzentrative Me- ditation zu erreichen, notwendig, daß man ein ganz bestimmtes Meditationsobjekt wählt? Die Antwort ist nein, konzentrative Meditation kann in Abhängigkeit von irgendeinem beliebigen Objekt entwickelt wer- den. Ich erwähne immer wieder, daß es ein Objekt sein muß, das einem angenehm ist, an das man gerne

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denkt, das man sich leicht vorstellen kann. Dann ist es leicht, die Meditation zu verwirklichen.

Ist z.B. jemandem nichts lieber als der Klang der Gitarre und verwendet er diesen, um seinen Geist ganz darauf zu konzentrieren, dann ist es möglich - wenn die entsprechenden Vorbereitungen vollständig sind -, mit dem Klang der Gitarre als Objekt Shamata zu erreichen. Andere wieder stellen sich bei der kon- zentrativen Meditation lieber eine Glaskugel vor, oder jemand, der Äpfel besonders gerne hat, vielleicht einen Apfel oder sonst etwas; man kann alle mögli- chen Objekte verwenden.

Nicht gewählt werden darf jedoch ein Objekt, demgegenüber im Meditierenden Begierde oder Ver- langen auftritt. Selbstverständlich hat man den Wunsch, Objekte der Begierde zu sehen, sie sich vor- zustellen; aber wählt man ein solches Objekt als Ob- jekt der Meditation, dann wird es einem nicht gelin- gen, Konzentration zu entwickeln, weil das Objekt ständig die Verblendungen in einem hervorruft.

Es gibt Leute, die der Meinung sind, man müsse sich zum Entwickeln von Konzentration oder Shama- ta unbedingt die Gestalt einer heiligen Statue oder so etwas vorstellen; das trifft nicht zu. In den Texten wird gesagt, daß es einen besonderen Sinn hat, sich zum Entwickeln der Konzentration z.B. die Gestalt des Buddha vorzustellen. Das hat bestimmte Vorteile, ist aber keineswegs notwendig.

Man fragt sich vielleicht, welchem Zweck es die- nen könnte, bei dieser Meditation als Objekt z.B. die

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Gestalt des Buddha zu wählen. Die besondere Wir- kung liegt darin, daß man sich dadurch ständig sei- nen letztlichen Zufluchtsort vor Augen hält, sich ständig an ihn erinnert und damit vom Objekt her eine bestimmte Hilfe auf einen zukommt, während eine ähnliche positive Auswirkung des Objekts auf den Meditierenden z.B. bei einem Apfel usw. nicht gegeben wäre. Wenn man daher für diese konzentra- tive Meditation ein Objekt nimmt, dem gegenüber man ganz besonderes Vertrauen, ganz besondere Hingabe empfindet, dann hat das für die Meditation diese vorteilhafte Wirkung.

So hat man als Objekt irgend etwas Geeignetes zu wählen und dann in bezug auf dieses Objekt seine Konzentration zu entwickeln.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Zweck, den man mit diesen Bemühungen um die Entwicklung der Konzentration verfolgt. Manche Leute versuchen zu meditieren, um irgendwelche eigenartigen Erschei- nungen zu sehen. Wenn man darin den Sinn seiner meditativen Bemühungen sieht, dann hat man sich sehr geirrt. Denn verschiedene Erscheinungen sind gar nichts Besonderes und vor allem auch nichts Wertvolles. Sie können bei Krankheiten auftreten, oder indem man bestimmte Stoffe zu sich nimmt, verursacht man, wenn man will, ebenfalls die aller- erstaunlichsten und eigenartigsten Erscheinungen.

Andere wiederum möchten diese Meditation durchführen, um ihren Geist zu beruhigen. Sie emp- finden vielleicht starke geistige Unruhe, möchten

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diese beseitigen und suchen in der Meditation das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Diese Einstellung hat durchaus ihre Berechtigung, weil sich alle Men- schen Ruhe und Ausgeglichenheit wünschen. Aber sie ist ebenfalls nicht die beste oder letztliche Motiva- tion. Denn es gibt z.B. genügend Medizinen, die einen entspannen, die den Geist etwas ruhiger machen, und es ist recht deutlich, daß diese Arten der Beruhigung des Geistes keinen letztlichen Nutzen mit sich bringen.

Welche Beweggründe, solche Meditationen durchzuführen, sind dann wirklich korrekt? Wir sind alle Menschen, und jeder einzelne von uns hat einen eigenen Geist. Wenn es einem nun gelingt, Herr über seinen eigenen Geist zu sein, seinen Geist vollständig dem eigenen Willen zu unterwerfen, dann kann man jede beliebige Aufgabe durchführen.

Wir dagegen sind nicht Herr über unsern Geist, sondern unser Geist ist Herr über uns, und wir tun alles das, was vom Geist ausgeht.

Wenn Sie einen kleinen Hund an die Leine neh- men, kann er nichts anderes mehr tun, als dorthin zu gehen, wohin Sie ihn ziehen. Ähnlich sollte man sei- nen eigenen Geist an die Leine nehmen und dort hinlenken können, wo man möchte, und genau das wird durch diese Meditation erreicht.

Wenn Sie z.B. im Gefängnis landen oder von der Polizei eine Strafe aufgebrummt bekommen, kam das dadurch zustande, daß Ihr Geist Sie zu irgend etwas

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veranlaßt hat, was dann letztlich ins Gefängnis führte oder zur Strafe; Sie selbst hatten nicht diesen Wunsch.

So steht der Mensch einerseits vollständig unter der Macht des Geistes, und der Geist selbst wiederum ist ebenfalls nicht frei, sondern er steht ganz unter der Macht der Verblendungen. Unter dem Einfluß dieser negativen, fehlerhaften Faktoren oder Teile des Gei- stes wie z.B. Begierde, Haß, Eifersucht und Stolz usw. wird der Geist gestört, und dieser Geist führt dann zu allen möglichen negativen Handlungen.

Sowohl die Handlungen des Geistes als auch die verbalen Handlungen, die dadurch folgen, und ge- nauso die körperlichen Handlungen sind unheilsam.

Diese negativen, unter dem Einfluß der Verblen- dungen durchgeführten Handlungen haben zwar mit ihrer Beendigung aufgehört, aber sie hinterlassen auf dem Geist einen Eindruck, ein bestimmtes Potential, das dann die Fähigkeit hat, bei seiner Reifung in der Zukunft der entsprechenden Person Leid zu verursa- chen.

Wir können diese negativen Eindrücke mit den Augen nicht sehen, außerdem haben sie kein Ge- wicht, und deshalb ist es sehr schwer, davon über- zeugt zu sein. Ob man nun davon überzeugt ist oder nicht, tatsächlich befinden sich eine Unzahl solcher Eindrücke in unserm eigenen Geist.

Sie bilden die eigentliche Ursache. Wenn nun die- se Ursachen mit entsprechenden äußeren Umständen

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in Berührung kommen, dann reift ihr Resultat, und man erfährt Leid und Bedrängnis.

Der eigentliche Grund, weshalb wir ohne Ende in Schwierigkeiten leben, liegt in diesen negativen Ur- sachen, die wir durch negative Handlungen gesetzt haben. So große Katastrophen wie Weltkriege usw. bis zum Streit in der Familie oder dem Kampf zwi- schen Insekten, alle diese Probleme sind auf die eben erwähnte Ursache zurückzuführen.

Solche Leiden möchten wir vermeiden, und um die Ursachen, die solche Leiden produzieren, zu einem Ende zu bringen, verwendet man die Mittel der Meditation. Dazu ist es notwendig, daß der Mensch einerseits selbst die Macht über seinen eige- nen Geist erlangt, und andererseits verhindert, daß der Geist unter den Einfluß von negativen Geistes- faktoren, von Verblendungen gerät.

Ich sagte zuvor, daß die konzentrative Meditation darauf gerichtet ist, die verschiedenen Vorstellungen und störenden Gedanken zu beseitigen, und dies ist der Grund, weshalb das von solcher Wichtigkeit ist.

Ich erwähnte, daß man selbst nicht Herr über sei- nen Geist ist, daß der Geist unter dem Einfluß von Verblendungen handelt und dadurch negative Hand- lungen durchgeführt werden. Das habe ich gesagt, aber überlegen Sie selbst, ob das wahr ist oder nicht.

Jemand wird z.B. wütend; diese Wut ist ein Fak- tor, ein Teil des Geistes. Ist nun Wut im Geist einer

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Person aufgetreten, zu was für Gedanken und Einstellungen führt sie? Sie führt zu dem Wunsch, dem andern etwas zuleide zu tun, mit ihm zu streiten, sich gegen ihn aufzulehnen, kurz, diese Wut führt zu Einstellungen, die in jeder Beziehung unheilsam sind.

Was wird der Mensch tun, wenn Wut den Geist in einen solchen Zustand gebracht hat? Er wird böse Worte aussprechen oder sogar auf die andere Person einschlagen oder drohende Zeichen von sich geben. Kurz gesagt, er wird sich negativ und bösartig beneh- men.

Zu streiten und wütend zu sein ist nicht besonders angenehm für einen. So verursacht der negative Gei- stesfaktor der Wut ein gegenwärtiges Unbehagen, einen Aufruhr des Geistes; gleichzeitig werden negati- ve Eindrücke gesetzt, die das Potential haben, in der Zukunft noch mehr Leid für einen selbst zu verursa- chen.

Ein anderes Beispiel: Wenn man zuerst ruhig und entspannt ist und dann in einem Begierde bezüglich irgend etwas auftritt, führt diese dazu, daß man ganz unfreiwillig handelt, um das Objekt zu bekommen. Gelingt dies leicht, hat man Glück gehabt, gelingt dies nicht leicht, führt es dazu, daß man ebenso un- freiwillig alles mögliche weitere Unheilsame tut, um sich in den Besitz des Objektes zu bringen. So sieht man, daß selbst Handlungen wie Töten und Stehlen usw. fast unfreiwillig nur durch die Begierde, durch das Verlangen hervorgerufen werden.

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Heutzutage fürchten sich z.B. viele Leute vor einem dritten Weltkrieg. Nun, welche Ursachen kön- nen letztlich einen solchen Weltkrieg auslösen? Es sind in denen, die ihn auslösen würden, einerseits Verlangen, Begierde nach Besitz oder Wohlstand ir- gendeines anderen, andererseits Haß und Abneigung diesem gegenüber. Diese zwei Einstellungen führen zu allen nur erdenklichen negativen Handlungen, selbst zum Auslösen eines ganzen Weltkrieges.

Alles, was ein Mensch tut und wovon er nachher denkt, wenn ich das nur nicht getan hätte, weswegen ihn dann starke Reue brennt, kommt dadurch zu- stande, daß er unter den Einfluß seines Geistes gera- ten ist, weil er seinen Geist nicht in seiner Gewalt hat, und daß dieser Geist unter dem Einfluß negati- ver Faktoren steht und er unter dieser Wirkungskette handelt.

Da wir alle Menschen und nicht frei von Proble- men und Bedrängnis sind, können wir sehr leicht darüber nachdenken, wie diese und jene Schwierig- keit zustande gekommen ist. Wir können dabei den eigentlichen Ursachen, den eigenen Verblendungen, die die Auslöser dieser negativen Handlungen waren, und den Verblendungen in den andern nachforschen. Jemand, der ernsthaft Dharma anwendet, wird bei Schwierigkeiten solche Überlegungen anstellen.

Wenn man so den eigentlichen Ursachen, die zu falschen Handlungen führen, den Fehlern im eigenen Geist nachgeht, diese dann erkennt und zu deren

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Beseitigung oder wenigstens Abschwächung Mittel anwendet, wenn notwendig analytische Meditation, wenn notwendig konzentrative Methoden, dann ge- braucht man seine Zeit wirklich zu etwas Nützli- chem, man macht wirklich das Beste aus dem, was einem im Menschenleben gegeben ist.

Wenn man stattdessen ein Jahr nach dem andern ver- gehen läßt, ohne auch nur irgend etwas Konkretes getan zu haben, dann wird man sich bald am Ende des Lebens finden und nicht einen einzigen Punkt haben, auf den man mit seinem Finger zeigen könn- te, bei dem man sich darüber freut, daß man da rich- tig gehandelt hat. Um das zu vermeiden, ist es wich- tig, daß man sich schon jetzt bemüht, seine Zeit für wirklich Brauchbares, wirklich Nützliches zu verwen- den.

Antworten auf Fragen:

Es gibt drei unheilsame Handlungen des Körpers: Töten, Stehlen und sexuelles Fehlverhalten.

Vier unheilsame Handlungen der Rede: Lügen, Zwietracht säen, Schimpfen und Schwätzen.

Drei unheilsame Handlungen des Geistes: Begier- de, der Wunsch, alles haben zu wollen, sei es nun Kleidung, Essen oder was immer; Bosheit, das ist der Wunsch, andern Leid zuzufügen; falsche Ansichten, das bedeutet, Dinge, die in Wirklichkeit existieren, als nicht existent zu betrachten.

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Wenn man meditiert, versucht man den Geist an heilsame Eigenschaften zu gewöhnen. Die Kraft, um das wirklich zu tun, kommt ebenfalls auf Grund der Gewöhnung oder des Trainings zustande. In dem Maß, in dem man seinen Geist an Heilsames ge- wöhnt, in dem man sich bemüht, die heilsamen Eigenschaften zu den dominierenden des Geistes zu machen, in dem Maße wird der Geist ruhig und von Glück erfüllt.

Und das führt dazu, daß die Störungen, die Din- ge, die einen davon abhalten, schwächer werden, daß der Geist wesentlich leichter dazu zu bringen ist, sich mit heilsamen Objekten vertraut zu machen. Das ist am Anfang sehr mühsam, aber in dem Maß, in dem man Fortschritt macht, gewinnt man auch an Kraft, um das wirksam weiterzutreiben.

Das Rauchen z.B. ist am Anfang sicher nicht sehr interessant; man spielt herum und raucht manchmal da und dort ein bißchen, aus was immer für Grün- den. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran und kommt dann zu einem Punkt, wo man es nicht mehr lassen kann, wo man es eher ohne Nahrung aushält als ohne Zigarette. Der Grund dafür ist ebenfalls ein- fach die Gewöhnung des Menschen an die Zigarette.

So ist es am Anfang sehr mühsam, wenn man ernsthaft versucht, seinen Geist an Heilsames zu

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gewöhnen, ernsthaft zu meditieren. Man wird sich vielleicht hinsetzen, einige Minuten darauf verwen- den, und dann zu seinen alten Gepflogenheiten zu- rückgreifen, denken, daß man jetzt rauchen muß oder was immer. Ich schlage Ihnen vor, daß Sie dann eine rauchen oder was Sie sonst tun, sich dann aber gleich wieder mit der Meditation bemühen und vor allem über die Ziele der Meditation nachdenken; so daß Ihnen bewußt wird: Indem ich mich bemühe, den Geist an heilsame Dinge zu gewöhnen, kommen diese und jene positiven Resultate zustande, bringt das den und den Gewinn. Solche Überlegungen hel- fen sehr, den Mut und auch die Kraft aufzubringen, mit den Bemühungen weiterzufahren. Und wenn man das schrittweise macht, wird es einem immer leichter und leichter fallen.

Wenn jemand, der anfängt zu rauchen, gleich auf- hören würde, wäre das keine Schwierigkeit für ihn; wenn er jedoch immer weiterraucht, immer weiter- raucht, dann wird es mit der Zeit sehr schwer für ihn, aufzuhören; das heißt, er kann dann fast nicht mehr anders, als sich weiter den Wunsch immer wieder zu erfüllen; das führt dann nur zu einer Verstärkung der Begierde.

Wenn man dagegen, wie ich zuvor erwähnt habe, zuerst meditiert, ist das sehr anstrengend, es entsteht der Wunsch, irgend etwas zu essen oder zu trinken oder auszugehen, und wenn man dem Wunsch nicht nachgibt, kann einen das sehr bedrücken, oder es

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kann zu nervösen Schwierigkeiten führen. Besteht diese Gefahr, dann ist es vielleicht- auch angebracht, tatsächlich etwas essen zu gehen.

Nachdem man dann seinen Bauch gefüllt hat, sollte man sich überlegen: Ja, bisher war mein Leben mit lauter solchen Dingen ausgefüllt, und wieviel hat dabei wirklich herausgeschaut? Man kann erkennen, daß dadurch nichts Konkretes zustande gebracht worden ist und daß auch in der Zukunft durch ein solches Benehmen nichts Konkretes zustande kom- men wird. Mit solchen Überlegungen kann man dann seinen Geist von diesen Aktivitäten lösen und wieder auf heilsame Objekte richten.

Für jemanden, der sich z.B. sein ganzes Leben lang noch nie bemüht hat zu meditieren, seinen Geist auf heilsame Dinge zu richten und darin zu schulen, mag es äußerst mühsam sein, den Entschluß zu fassen, sich jetzt nur noch damit zu beschäftigen. Es würde ihm kaum gelingen, weil die Gewöhnung an das bis- herige Leben zu stark und die Kraft seines Geistes viel zu schwach ist.

Bestünde er auf dieser abrupten Änderung des Lebens, würde das bei ihm eine starke Abneigung gegen Meditation und gegen die Bemühungen, heil- same Eigenschaften zu entwickeln, verursachen. Das sollte man auf jeden Fall vermeiden; man sollte solche Änderungen nur langsam herbeiführen, indem man kleine, kurze Zeitabschnitte dazu verwendet, um z.B. zu meditieren, sich an Heilsames zu gewöhnen, und

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dann das alte Leben weiterlebt und langsam, langsam eine Umlenkung herbeiführt. Sonst wird es nicht ge- lingen, man wird sich nur einen Weg versperren.

Ich habe z.B. im Westen gesehen, daß man die kleinen Kinder in die Schule holt, man versucht ih- nen eine gewisse Zeit etwas beizubringen, und dann läßt man sie wieder hinaus zum Spielen. Aber dann läßt man sie auch nicht gar zu lange draußen, man holt sie bald wieder, es wird ihnen wieder etwas bei- gebracht, dann läßt man sie wieder hinaus.

Das ist sehr geschickt; man kann den Kindern etwas beibringen, dann können sie wieder spielen, sich entspannen und haben ihr Teil, aber dann holt man sie wieder zurück, um ihnen wieder etwas Neues beizubringen. Würde man das nicht machen, würden sie zu sehr angestrengt werden und eine starke Abnei- gung gegen das Lernen entwickeln. Wenn man ihnen das Lernen so langsam, langsam beibringt, dann ist das Kind später, wenn es wirklich den Wunsch hat, etwas intensiv und genau zu lernen, imstande, länger dortzusitzen und seine Fähigkeiten vor allem darauf zu verwenden. Und ganz ähnlich muß man es mit sich selbst machen.

Am Anfang sollte man nur sehr kurze Zeitab- schnitte meditieren, und indem man mit diesen ganz kurzen Meditationsperioden im Laufe der Zeit seinen Geist weiter schult, kann man später einmal zu dem Punkt kommen, wo man nicht nur den ganzen Tag mit diesen geistigen Aktivitäten verbringen kann, sondern dabei auch sehr schnell große Resultate erzie-

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len kann und der Geist dabei von Glück und Ruhe vollständig erfüllt ist. Aber am Anfang ist das unmög- lich.

Wenn man bei analytischer Meditation z.B. ver- sucht, Erbarmen zu entwickeln, ist das eines der be- sten Objekte, die man wählen kann. Bei der konzen- trativen Meditation jedoch versucht man den Geist punktförmig und unabgelenkt auf ein Objekt zu rich- ten und in keiner Weise zu untersuchen, was das Objekt ist, wie es ist oder in welcher Situation es ist. Da könnte man schon auch einen leidenden Men- schen nehmen, aber wirkungsvoller sind andere Ob- jekte, wie sie erwähnt wurden.

Vor der Meditation muß man sich die verschiede- nen Dinge schon überlegen, aber während der Medi- tation besteht ein deutlicher Unterschied zwischen konzentrativer und analytischer Meditation; bei der analytischen wird das Objekt untersucht, darüber nachgedacht, bei der konzentrativen der Geisr nur punktförmig, unabgelenkt auf das Objekt gerichtet. Diese zwei Arten der Meditation sind von ihrer Na- tur her ganz verschieden.

Wenn Sie z.B. über jemanden nachdenken, der leidet, dem es schlecht geht, und in bezug auf diese Person Erbarmen zu entwickeln versuchen, dann wäre das analytische Meditation. Wenn dann stören- de Gedanken auftreten, Sie z.B. über Ihre Arbeit

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nachdenken oder irgendwelche Pläne machen, dann können Sie zuerst versuchen, diese Gedanken einfach beiseite zu lassen, sie nicht zu beachten und Ihren Geist wieder auf das Objekt zu richten.

Gelingt einem das nicht, kann man kurz die Be- mühungen um das Entwickeln des Erbarmens beisei- te lassen und seine Aufmerksamkeit auf diesen stören- den Gedanken richten, indem man ihn beobachtet und schaut, was er macht, woher er kommt, was er eigentlich will und was er tut. Wenn man so den stö- renden Gedanken selbst betrachtet, seine Natur un- tersucht, dann verschwindet er, dann stört er nicht mehr weiter, und man kann seinen Geist wieder auf das Objekt der Meditation richten.

Wenn man z.B. als Sekretärin arbeitet und am Abend versucht, Erbarmen zu entwickeln, und einem immer wieder die verschiedenen Schreibarbeiten in den Sinn kommen, kann man das Erbarmen einmal kurz beiseite legen; aber dann sollte man auf keinen Fall den störenden Gedanken nachgehen, indem man wirklich über diese Schreibarbeiten nachdenkt; das sollte man vermeiden. Man kann jedoch zuerst ein- mal fragen: Wo befinden sich diese Gedanken über die Schreibarbeiten? im Kopf oder im Fuß, wo im Körper? usw.; indem man ihnen so nachgeht, ver- schwinden sie, und wenn sie verschwunden sind, kann man seine Aufmerksamkeit wieder auf das Ob- jekt der Meditation richten.

Machen Sie das Experiment heute abend. Gedan- ken und Vorstellungen haben wir ohne Ende; da

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nehmen Sie heute abend einfach einmal einen Ge- danken heraus, der gerade kommt, und beobachten Sie, was er tut, was er ist, woher er kommt und wo er sich befindet, und schauen Sie, ob er verschwindet oder nicht.

Bei Meditationen kann es vorkommen, daß man Spannungen z.B. in der Brust oder in der Stirne fest- stellt. Das ist ein Zeichen, daß man einen Fehler macht. In Wirklichkeit sollte man den Körper ganz entspannt lassen und eine geistige Anstrengung durch- führen.

Uns jedoch passiert es oft, daß wir denken, so, jetzt meditiere ich, wir setzen uns hin, sind körperlich angespannt, und das führt dann zu diesen Spannun- gen in der Brust oder in der Stirne. Dies kann ver- mieden werden, indem man den Körper wieder ent- spannt.

Bei gewöhnlichen Spannungen im Körper, die auf andere Ursachen zurückzuführen sind, ist die Wir- kung nicht die gleiche wie bei den Vorstellungen. Wenn man da versucht zu überlegen, wo sie sind, welcher Natur sie sind usw., werden sie ganz ruhig weiter bestehen bleiben, und das einzige, was wirklich helfen wird, sind wohl die Anweisungen des Arztes. Es ist eine Eigenschaft lediglich der Gedanken, der Vorstellungen, daß sie verschwinden, wenn man über ihre Natur nachsinnt.

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Ich erwähnte heute, daß es durchaus Leute gibt, die einen sehr leicht ärgern, und ich sagte, daß man sich, wenn man so jemanden kommen sieht, die Nachteile von Wut und Ärger überlegt, daß man sich der Vorteile des Ertragens bewußt wird, und mit einer solchen Überlegung seinen Geist nicht unter den Einfluß der Wut geraten läßt, sondern ihn ruhig hält. Das sollte man tun, wenn einem das möglich ist.

Aber wenn man stattdessen immer brav und freundlich zu sein scheint, es in seiner Einstellung jedoch nicht wirklich ist, dann ist das nur eine Lüge, und ich sage nicht, daß das gut ist.

Bezüglich des erwähnten Buches nehme ich an, daß es sich auf zwei Arten von Menschen bezieht. Es gibt manche Leute, die wütend werden und dann auch entsprechend in Schwierigkeiten geraten; und nachdem dann alles vorbei ist, tut es ihnen schreck- lich leid, daß das alles passiert ist; sie sehen, daß das wirklich nicht richtig war, und es entsteht in ihnen Traurigkeit und große Reue diesbezüglich. Das ist der bessere Vorgang, denn durch die Reue wird das Negative, das durch die Wut verursacht wurde, in sei- ner Kraft reduziert.

Die andere Art von Menschen sind die, die wü- tend werden, entsprechend streiten und sich nachher freuen, daß sie so wütend geworden sind, daß es einen solchen Streit gegeben hat. Diese Einstellung ist nicht gut, sondern die Freude danach führt nur zu einer weiteren Verstärkung des Negativen, das durch die Wut angesammelt wurde.

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Im übrigen bin ich nicht so überzeugt von diesen Büchern hier, da diejenigen, die sie schreiben, oft nicht sehr genau zuhören und dann Dinge schreiben, die der Vortragende nicht so gesagt hat oder gar nicht gesagt hat.

Wenn Leute einander schlagen usw., dann tun sie dies, weil sie in Konflikt geraten sind. Es gibt durch- aus Konfliktsituationen und viele verschiedene Mög- lichkeiten, dabei vorzugehen. Man sollte sich die Si- tuation sehr genau überlegen und nachdenken, was man tun könnte, um den Konflikt beizulegen. Wenn es irgend etwas gibt, sei es, daß man mit dem anderen spricht, ihn anhört, sich überlegt, was man machen oder ihm sagen könnte, um den Konflikt zu lösen, dann sollte man das tun. Wenn man eine Möglich- keit sieht, ihn zu lösen, ist es nicht richtig, sich ein- fach zurückzuziehen und nichts zu tun. Wenn man dagegen keinerlei Möglichkeit sieht, den Konflikt zu lösen, dann kann man nichts machen, dann ist es auch recht, ihn einfach so stehenzulassen, wie er ist.

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Gestern sprach ich über die Vorbereitungen, die zum Erreichen der konzentrativen Meditation not- wendig sind, und erwähnte auch kurz das Objekt, das man für diese Meditation zu wählen hat. Was für ein Objekt man wählt, liegt an einem selbst und ist ganz darauf abzustimmen, was einem leichter fällt, was der eigenen Meditation besser hilft; es gibt keinerlei Vor- schriften, daß man als Objekt für die konzentrative Meditation das eine nehmen dürfte und das andere nicht.

Ich möchte nun einige Punkte am Beispiel der Figur des Buddha als Objekt für die konzentrative Meditation beschreiben. Man sollte versuchen, sich diese Gestalt als etwas sehr Attraktives, etwas sehr Schönes vorzustellen.

Bevor man meditiert, sollte man mit seinen Augen eine Darstellung dieser Gestalt, ein Bild oder eine Statue sehr genau ansehen, sich genau einprägen, wie sie aussieht, wie die Einzelheiten gestaltet sind.

Wie gesagt, das ist nur ein Beispiel; was ich in be- zug auf dieses Beispiel sage, trifft auf jedes andere Objekt zu, das man für die konzentrative Meditation, für Shamata verwendet.

Wenn man dann die eigentliche Meditation be- ginnt, ist es nicht richtig, weiter auf die Repräsenta- tion dieser Figur zu schauen. Denn würde man sie vor sich aufstellen, sie ständig mit den Augen anstar- ren und so zu meditieren versuchen, brächte das

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einerseits mit der Zeit eine Störung des Gesichtssinns mit sich; andererseits ist die Konzentration etwas, das man mit dem Denksinn erlangen, in bezug auf den Denksinn entwickeln muß, und nicht in bezug auf den Gesichtssinn.

Wenn man diese Repräsentation genau angesehen hat und dann mit der eigentlichen Meditation be- ginnt, stellt man sich diese Gestalt vor, und zwar di- rekt vor sich, entweder in der Höhe der Augenbrauen oder in der Höhe des Nabels, und man denkt, daß diese Gestalt da ist, man versucht dieses Bild, wie man es zuvor gesehen hat, geistig zu rekonstruieren; es ist nicht etwas, das man dann mit den Augen sehen kann, sondern man erzeugt es geistig, man vergegen- wärtigt sich, wie es aussieht, mit möglichst vielen Einzelheiten und möglichst großer Genauigkeit.

Auch sollte man sich dieses Objekt der Meditation nicht weit weg vorstellen, sondern etwa eine halbe Armspanne entfernt; ganz gleich, ob in der Höhe der Augenbrauen oder in der Höhe des Nabels.

Man fragt sich vielleicht, was für ein Unterschied ist zwischen der Vorstellung des Objekts in der Höhe der Augenbrauen oder in der Höhe des Nabels. Das hängt ganz vom Meditierenden selbst ab, von seiner Natur, von seiner Einstellung.

Es gibt manche Leute, deren Geist bei der konzen- trativen Meditation nicht sehr stark abgelenkt wird, die aber während der Meditation leicht einer Dumpf- heit verfallen oder deren Geist leicht unklar wird. Für so jemanden ist es besser, wenn er sich das Objekt der Meditation in der Höhe der Augenbrauen vorstellt.

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Andere haben weniger Schwierigkeit mit einer Dumpfheit des Geistes - ihr Geist ist meistens sehr klar und scharf -, sondern mehr mit den störenden Gedanken, die der Meditation Hindernisse in den Weg werfen. Für so jemanden ist es ratsam, sich das Objekt der Meditation in der Höhe des Nabels vor- zustellen.

Zu welcher Kategorie man gehört, ob mehr zu den schläfrigen Meditierern oder eher zu denen, die im- mer abgelenkt sind, kann man selbst am besten ent- scheiden.

Das ist eine kurze Beschreibung der Objekte und des Ortes des Objektes bei der Meditation.

Ich erwähnte, daß das eigentlich meditierende Organ der Geist ist und nicht der Körper. Dennoch wird durch die Körperhaltung ebenfalls ein Einfluß auf die Meditation ausgeübt. Es gibt, wie ich deutlich gemacht habe, eine Unzahl verschiedener Meditatio- nen und eine dementsprechende Vielfalt von Körper- haltungen, die ganz besonders auf die jeweiligen Meditationen abgestimmt sind. Alle diese unter- schiedlichen Stellungen haben nur das Ziel, der Me- ditation eine Hilfe zu leisten, und sie werden nicht eingenommen, um eine möglichst eigenartige Kör- perstellung an den Tag zu legen.

Obwohl die verschiedenen Haltungen einen ge- wissen Einfluß auf die Meditation haben, ist es sehr wichtig, daß einem die Körperstellung bei der Medi- tation behagt. Manche Leute empfinden es als ange- nehm, wenn sie ihre Beine verschränkt halten

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können, anderen ist diese Stellung äußerst unange- nehm; dann ist es auf jeden Fall besser, auf einem Stuhl zu sitzen oder eine andere bequeme Haltung zu wählen.

Will man bei der Meditation unbedingt eine be- sondere Körperhaltung einnehmen, einfach, weil man denkt, jetzt meditiere ich, jetzt muß ich irgend etwas Besonderes machen, dann kann das unter Um- ständen dazu führen, daß einem die Haltung äußerst unangenehm ist, daß sie nach einiger Zeit starke Schmerzen hervorruft, und dann wird die Meditation ständig von diesen Schmerzen unterbrochen. Der Geist, der eigentlich über das Objekt der Meditation nachdenken sollte, wird immer wieder zu den Schmerzen gezogen, und so gelingt die Meditation gar nicht.

Wenn man nun diese Erläuterungen ganz wörtlich nimmt und sagt, man möchte die allerangenehmste Stellung für die Meditation einnehmen, und sich aufs Bett legt, dann ist das nicht ganz dem Sinn entspre- chend; denn das Liegen ist zwar äußerst angenehm, aber die Gefahr des Einschlafens ist so groß, daß die Meditation wahrscheinlich nur sehr kurze Zeit dau- ern wird.

Manche Leute können am Abend, wenn es wirk- lich Zeit dazu wäre, sehr schlecht einschlafen. Ma- chen sie sich dann über die Arbeit und alles mögliche andere Gedanken, wird dies das Einschlafen nur noch weiter hinauszögern. Dann ist es angebracht, über die verschiedenen Punkte der Meditation oder über

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Dharma nachzudenken; das kann sehr leicht dazu führen, daß man schnell und problemlos einschläft.

Wenn Sie Mühe haben einzuschlafen, probieren Sie es doch heute abend aus; denken Sie, sobald Sie sich hingelegt haben, über Dharma nach und schauen Sie, ob Sie schnell einschlafen oder nicht. Es ist durchaus möglich, daß der eine oder andere dadurch nicht leicht einschläft, aber im allgemeinen ist das ein ausgezeichnetes Mittel zum Einschlafen.

Daß man sich für die Meditation eine bequeme Stellung aussuchen soll, ist meine eigene Ansicht, die der Erfahrung entspricht.

Sonst wäre die Haltung, die man für die Shamata- Meditation einnehmen sollte, die bekannteste Medi- tationshaltung; nämlich die, bei der die Beine ver- schränkt und die Arme in den Schoß gelegt werden. Sie wird in den Texten folgendermaßen beschrieben:

Die Beine werden in die sogenannte Vajra-Stel- lung oder Vajra-Asana gebracht; das bedeutet, daß der Fuß jeweils auf den gegenüberliegenden Schenkel gelegt wird; die Hände werden in der Höhe des Na- bels in den Schoß gelegt; der Rücken sollte aufrecht sein; der Kopf wird nicht zu sehr, nur leicht nach vorn geneigt; die Augen sind auf den Boden vor den eigenen Beinen gerichtet, wobei man nicht versucht, dort irgend etwas zu sehen oder zu erkennen, sondern man richtet die Augen lediglich dorthin; der Mund wird natürlich, entspannt gehalten, und die Zunge leicht gegen den Gaumen gelegt.

Alle diese verschiedenen Punkte der Körperhal- tung haben einen letztlichen, symbolischen Sinn und

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ebenfalls einen gegenwärtigen Nutzen bei der Medi- tation. Die letztlichen Bedeutungen dieser Körperhal- tung will ich nicht erwähnen. Bezüglich der gegen- wärtigen Wirkungen dieser Meditationshaltung gibt es direkte nützliche Effekte und bestimmte symboli- sche Bedeutungen.

Wenn man seine Beine in die Vajra-Stellung bringt, das heißt, wenn beide Füße auf den gegen- überliegenden Schenkel gelegt werden, oder in die halbe Vajra-Stellung, bei der man ledigleich einen Fuß auf den andern Schenkel legt, oder wenn Sie so sitzen wie jetzt vielleicht gerade, die Beine gewöhn- lich gekreuzt, dann hat das einerseits die Wirkung, daß man sich daran erinnert, jetzt meditiere ich, jetzt ist es Zeit, ordentlich nachzudenken und aufzupas- sen; andererseits hilft diese Stellung, den Körper gera- de zu halten, und das hilft wiederum, den Geist klar zu halten.

Der Meditationssitz sollte nicht zu hart und nicht zu weich sein, angenehm und eben; und unter dem Gesäß kann man eine kleine Erhöhung anbringen, ein Kissen oder irgend etwas. So liegt das Gesäß etwas höher als die Knie, was oft als angenehm empfunden wird.

Die Hände werden in der Höhe des Nabels in den Schoß gelegt. Es ist auch angenehm, Kleidungsstücke zu unterlegen; denn versuchte man, die Hände durch die Kraft der Muskeln in der Höhe zu halten, würde das mit der Zeit Schmerzen im Oberarm verursachen.

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Die Haltung der Beine hat eine ganz direkte Aus- wirkung auf die Meditation. Die Haltung der Hände dagegen hat vor allem symbolische Bedeutung. Wenn man Dharma anwendet, dann geschieht das durch die Verbindung von Methode und Weisheit. Die rechte Hand symbolisiert dabei die Anwendung der Methode; die linke Hand symbolisiert die Weisheit; und dadurch, daß man diese Hände ineinander in den Schoß legt, wird deutlich gemacht, daß man nicht die eine oder die andere Seite allein anwenden sollte, sich nicht nur auf die Methodenseite beschrän- ken sollte oder nur auf die der Weisheit, sondern daß man diese beide in Verbindung benützen muß.

Im allgemeinen ist es gleichgültig, welche Hand man außen oder innen legt, oft jedoch wird die linke Hand, die die Weisheit oder das Verständnis symbo- lisiert, außen und die rechte in sie hineingelegt. Das hat folgende Bedeutung: Man will dadurch aussagen oder möchte sich daran erinnern, daß man zuerst die verschiedenen Punkte des Dharma genau verstehen, genau erkennen muß und dann mit diesem Verständ- nis, mit dieser Weisheit, die entsprechenden Mittel anzuwenden hat. Um diese Reihenfolge klarzuma- chen, wird die linke Hand, die die Weisheit, symboli- siert, nach außen gelegt und die rechte in sie hinein.

Wenn man irgendeine manuelle Arbeit ausführen möchte, betrachtet man normalerweise das Objekt der Arbeit sehr genau und sieht auch den Händen zu, während sie arbeiten. Manche sehr geschickte Ver- käufer allerdings können mit ihren Händen hinter

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ihrem Rücken oder auf der Seite irgend etwas bear- beiten, während sie ihren Blick woandershin richten; das wäre eine Ausnahme.

Der Oberkörper wird bei der Meditation aufrecht und gerade gehalten. Das hat folgenden Zweck: Im Körper befinden sich verschiedene Kanäle, in denen sich zum Teil subtile Energien bewegen. Bei aufrech- ter Körperhaltung sind diese Kanäle relativ gerade. Dadurch können diese Energien leicht im Körper fließen. Der Geist existiert in Verbindung mit und in Abhängigkeit von diesen subtilen Energien, und wenn diese gerade fließen können, hilft das, den Geist klar und scharf zu halten.

Der Kopf wird nicht nach oben gerichtet, sondern leicht nach vorn gesenkt. Auch das hat einen ganz direkten Zweck und Nutzen. Unser Körper besteht aus vier Urstoffen, und jeder dieser Urstoffe löst im Körper bestimmte Funktionen aus. Diese werden mit Hilfe der subtilen Energien durchgeführt. Die subtile Energie, die vor allem die Funktionen des Urstoffes der Wärme kontrolliert und diese ausführt, liegt in einem Zentrum der Kanäle in der Höhe des Halses, des Adamsapfels, und wird aufwärtsstrebende Energie genannt.

Bei der Meditation muß man eine intensive geisti- ge Arbeit verrichten. Das kann dazu führen, daß der Urstoff der Wärme erhöht wird, was bewirkt, daß der Oberkörper sich dehnt, sich leicht erweitert und die

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Augen zu brennen beginnen, daß der Kopf spannt oder auch Kopfweh entsteht. Wenn man den Kopf leicht nach vorn neigt, wird dieses Zentrum der Ka- näle, in dem die Energie wohnt, die den Urstoff der Wärme steuert, leicht nach unten gedrückt, und das verhindert, daß dieser Urstoff der Wärme erhöht wird. Diese Stellung des Kopfes hat also einen direk- ten Nutzen.

In manchen Texten wird beschrieben, daß man die Augen auf die Nasenspitze richten sollte. Das ist nicht zu wörtlich zu nehmen, denn einerseits kann man die Nasenspitze nicht klar sehen, andererseits würde das nur zu Schmerzen in den Augen führen. Es bedeutet, daß man seinen Blick leicht in der Rich- tung der Nase auf den Boden fallen läßt, ohne daß man versucht, dort irgend etwas zu sehen.

Auch diese Haltung der Augen hat eine ganz be- stimmte Aufgabe. Hauptsächlich durch unsere fünf Sinne, den Gesichtssinn, den Gehörsinn, den Ge- ruchssinn, den Geschmacksinn und den Tastsinn wird der Geist auf äußere Objekte gerichtet, und dadurch ist er auch ständig darauf abgelenkt. Unter den fünf Sinnen ist der Gesichtssinn derjenige, der den Geist am stärksten ablenkt. Das ist leicht zu ver- stehen. Wenn wir irgend etwas sehen, dann denken wir auch schon darüber nach, dann ist unser Geist schon darauf gerichtet, außer man lenkt ihn mit Gewalt woandershin. Um zu verhindern, daß bei der Meditation der Geist durch den Gesichtssinn nach außen abgelenkt wird, werden die Augen leicht nach unten auf den Boden gesenkt.

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Unter den Leuten, die tatsächlich meditieren, gibt es manche, die bei der Meditation die Augen schlie- ßen, andere, die sie weit geöffnet halten. Das ist wie- der eine spezifische Einstellung der entsprechenden Anwender. Der Blick soll der Meditation möglichst zuträglich sein. Das Schließen und das Öffnen der Augen hängt ganz von der Natur des einzelnen ab.

Die Lippen und die Zähne werden ganz natürlich gehalten. Man versucht nicht, sie irgendwie in eine besondere Stellung zu bringen, weil dies in der Medi- tation zu Schwierigkeiten führen würde.

Die Zunge wird leicht gegen den Gaumen gelegt. Das bedeutet nicht, daß man sie mit Kraft gegen den Gaumen drücken sollte, sondern sie wird ganz natür- lich und leicht nach oben gelegt. Denn bei der Medi- tation kann es vorkommen, daß sich der Blutdruck erhöht und der Rachen austrocknet, und ein Nach- obenlegen der Zunge hilft, diese Schwierigkeiten zu vermeiden.

Das war eine kurze Beschreibung der Haltung bei der Meditation und der Aufgabe der verschiedenen Punkte. Es ist gut, wenn man damit vertraut ist, denn einerseits meditieren Sie selbst, Sie selbst sitzen in dieser Meditationshaltung. Wenn Ihnen die Bedeu- tung der einzelnen Punkte klar ist, dann hilft das auch Ihrer eigenen Meditation. Und wenn andere Leute Sie fragen, was das bedeutet und Sie darüber Bescheid wissen, dann können Sie ihnen eine klare Antwort geben.

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Die von mir beschriebene Meditationshaltung ist jeder Art von Mensch in jeder Art von Religion bei Meditation von Nutzen; sie gehört nicht zu einer spe- zifischen Religion. Es ist eine allgemeine Medita- tionshaltung, die bei jeder Art von Meditation ihren Zweck erfüllt.

Beginnt man dann ernsthaft zu meditieren, wird man feststellen, daß während der Meditation und auch außerhalb der Meditation, in den Zwischenzei- ten, Hindernisse auftreten. Diese muß man der Reihe nach überwinden können.

Während der Meditation treten vor allem geistige Hindernisse auf. Wenn man sich zur Meditation hin- setzt und überhaupt keine Lust dazu hat, eigentlich viel lieber etwas anderes täte, und es einem einfach zu mühsam ist zu meditieren, dann ist das ein geistiges Hindernis für die Meditation.

Wenn z.B. jemand arbeitslos ist und auf Arbeit- suche gehen sollte und ihm jede Art von Arbeit von vornherein zuwider ist, er viel lieber nichts tut, dann ist das ein Hindernis für seine Arbeit. Er wird schon gar nicht suchen gehen, er wird keine Arbeit bekom- men und weiter arbeitslos bleiben.

Diese Einstellung, daß man keine Lust hat zu meditieren, keine Lust hat, irgendeine Arbeit oder so etwas zu beginnen, wird als Trägheit oder Faulheit bezeichnet. Um zu meditieren, muß man zuerst diese Trägheit, diese Unlust, geistige Arbeit durchzufüh- ren, überwinden, und man muß den Wunsch, das

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Verlangen nach Meditation schaffen, eine wirkliche Freude daran entwickeln.

Diese Trägheit kann man am leichtesten überwin- den, indem man über die positiven Auswirkungen der Meditation nachdenkt, über die Ziele, die da- durch zu erreichen sind; mit solchen Überlegungen wird die Unlust vertrieben.

Als erstes macht man sich klar, daß man sich bis- her nie in Meditation angestrengt hat. Man kann se- hen, was für ein Leben man gelebt hat, zu welchen Zielen es geführt hat, was für Resultate man dadurch erreicht hat.

Andererseits kann man sich deutlich machen, daß das Leben, wenn man es so weiter betreibt, am Ende auch nichts weiter gebracht haben wird als bisher. Und um das zu verhindern, möchte man doch etwas Konkretes, letztlich Brauchbares tun.

Der Geist, den man als menschliches Wesen be- sitzt, hat die Fähigkeit, entwickelt zu werden und bis zu letztlichen Zielen weiterzuschreiten. Das ist eine Eigenschaft, eine Fähigkeit des menschlichen Geistes, die dem Geist anderer Wesen nicht eigen ist. Der Geist eines Stieres z.B. ist in seiner Natur gleich wie der des Menschen, aber er hat nicht die Fähigkeit, entwickelt zu werden, weil seine Dumpfheit, seine Unklarheit viel zu stark ist.

Wenn man als Mensch das Leben vergehen läßt, ohne dieses Potential, diese Möglichkeit, seinen Geist weiterzuentwickeln, auch nur im geringsten ausge- nützt zu haben, dann unterscheidet sich der Tod

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eines solchen Menschen nicht vom Lebensende ir- gendeines Tieres. Denn wenn das eigene Leben nichts weiter beinhaltet, als Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen und die Reste wieder auszuschei- den, ist das kaum etwas anderes als die Tiere machen; auch sie führen ihr Leben auf diese Art und Weise, und ihnen steht nichts Weiteres offen.

Man verfügt als Mensch über ein ausgezeichnetes Material, nämlich den menschlichen Geist. Wenn man dieses hervorragende Material nicht verwendet, um etwas daraus zu machen, dann ist das wirklich ein Verlust und traurig für den einzelnen.

So sollte man sich überlegen, daß man einen Geist besitzt, der im Moment von unkontrollierten Gedan- ken, von Ängsten und Sorgen ganz überwältigt ist, daß man aber die Möglichkeit hat, ihn durch Medita- tion von allen diesen Sorgen, Gedanken und Ängsten zu befreien, ihn davon loszulösen, wie man ver- schmutztes Wasser durch die Ausfilterung der Verun- reinigungen zu klarem, durchsichtigem Wasser ma- chen kann. Diese Möglichkeit steht einem zur Verfü- gung, wenn man sich in der Meditation bemüht, die- se Ziele zu erreichen. Man kann dadurch einen Geist entwickeln, der klar ist und von Glück erfüllt.

Hat man Shamata erst einmal erreicht, steht einem auch die Möglichkeit offen, nicht nur während des Tages, während man wach ist, seinen Geist in Meditation zu versenken; sondern auch während der Nacht, während des Schlafes, diese Zeit mit bestimmten Meditationsmethoden zu verwenden.

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Wenn man durch die Bemühungen in der Shama- ta-Meditation erst einmal eine gute Konzentration, ein Samadhi, erlangt hat, wird man nicht nur geisti- ges Glück erfahren, sondern auch der Körper muß nicht mehr so umsorgt werden, wie das bis dahin der Fall war. Jetzt müssen wir Nahrung zu uns nehmen, Kleidung tragen, und mit Hilfe von Medizinen versu- chen wir, Krankheiten zu beseitigen. Durch die Kraft eines Samadhi, einer solchen Konzentration, werden Krankheiten sehr verringert, der Körper kann durch die Kraft der Konzentration ernährt werden, und es kann auch eine innere Wärme erzeugt werden, die es überflüssig macht, den Körper durch äußere Klei- dung warm zu halten.

Indem man sich über solche hervorragenden Re- sultate der Bemühungen in der Meditation klar wird, kann man die Trägheit, die einen daran hindert, zu meditieren, überwinden.

Zur Zeit ist unserer Erfahrung lediglich das zu- gänglich, was wir mit unseren Sinnen erfassen kön- nen. Durch die Entwicklung der Konzentration und das Verwirklichen einer solchen Meditation kann man seine Wahrnehmungsfähigkeit weit über die der gewöhnlichen Sinne hinaus erweitern, so daß man Dinge erkennt, die in großer Entfernung existieren; daß man nicht nur sehen kann, was im Geist der an- deren vor sich geht, sondern selbst die Gedanken und den Geist der Wesen bis zu kleinsten Insekten direkt erfassen kann; man sieht, was in der Vergangenheit geschehen ist, was in der Zukunft auf einen zu- kommt.

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Solche erhöhte Wahrnehmungsfähigkeiten kön- nen auf Grund dieser Konzentration erlangt werden. Indem man sich darüber klar wird, sollte man den- ken, ja, Meditation anzuwenden ist wirklich der Mühe wert.

Eine andere Möglichkeit, die sich ergibt, ist die folgende: Im Moment hat jeder Mensch einen Kör- per, und wenn er arbeitet, muß er wohl oder übel die- sen Körper zur Arbeit bewegen; wenn er irgend etwas tut, muß er immer mit diesem Körper dorthin und dahin gehen. Ist Shamata erreicht und sind solche Konzentrationen entwickelt worden, kann man dank der erhöhten Fähigkeiten, die man erlangt hat, von diesem einen Körper zehn andere Körper aussenden, aus diesen wieder hundert und aus diesen tausend Körper usw., mit denen man alle möglichen Dinge verrichten kann. Indem man sich darüber klar wird, sollte man ebenfalls denken, ja, es ist wirklich der Mühe wert, sich mit der Meditation abzugeben.

Daß solche Resultate durch die Konzentration, durch die Meditationen des Shamata erreicht werden können, entspricht der Wirklichkeit. Ich würde nicht sagen, daß man darüber nachdenken sollte, um den Wunsch zu meditieren zu entwickeln, wenn diese Dinge nicht der Wirklichkeit entsprächen.

Wird man sich dieser außergewöhnlichen Wir- kungen des Shamata bewußt, dann kommt einem der Gedanke, ja, Shamata ist wirklich etwas Außerge- wöhnliches, etwas Ausgezeichnetes, und es entsteht in

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einem eine Hingabe an diese geistige Fähigkeit. Wenn ein solches Vertrauen, ein solches Mögen, eine solche Freude an Shamata in einem entstanden ist, bewirkt das, daß man auch den starken Wunsch empfindet, die Methoden anzuwenden, die erlauben, ein solches Ziel zu erreichen.

Um das wieder am Beispiel deutlich zu machen: Unser Arbeitsloser wollte zuerst nicht zur Arbeit ge- hen, er wollte sich auch keine Arbeit suchen. Über- legt er sich nun, ja, wenn ich eine gute Arbeit finde, dann bekomme ich jeden Monat 40.000 Schilling, und wenn ich so viel Geld habe, kann ich mir das und das leisten, und ich kann auf Ferien gehen; über- legt er sich, was er auf Grund dieser Arbeit dann alles machen kann, was ihm dadurch ermöglicht wird, entsteht in ihm der große Wunsch, doch eine solche Arbeit zu bekommen und so viel Geld zu verdienen.

Wenn in einem der Wunsch entwickelt worden ist, Shamata zu erreichen, dann ist dieses Verlangen eine heilsame Geisteseinstellung. Man sollte nicht jede Art von Verlangen, jeden Wunsch als etwas Unheilsames betrachten. Es gibt verschiedene Arten von Verlangen, manche sind unheilsam, manche sind heilsam; das Verlangen nach solchen geistigen Eigen- schaften ist ein heilsames Verlangen.

Setzt man sich nach dem Entwickeln eines solchen Wunsches zur Meditation hin und führt man tatsäch- lich diese konzentrativen Meditationsübungen durch,

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dann bewirkt das im Geist eine große Ruhe und eine aufsteigende Freude. Und diese Freude erzeugt dann Begeisterung für die Meditation. Durch diesen En- thusiasmus, diese Freude bei der Meditation werden die Bemühungen weiter gesteigert. Das Glücksgefühl bei der Meditation verstärkt sich, und diese Freude an der Meditation überwältigt vollkommen die Träg- heit, die einen zuvor daran gehindert hat zu meditie- ren. Und nicht nur der Geist wird von einem solchen Gefühl des Glücks erfüllt, sondern auch der Körper fühlt sich leicht und wohl.

Mit solchen Überlegungen müssen zuerst die Trägheit und die Faulheit überwunden werden, die einen daran hindern, sich überhaupt mit der Medita- tion zu beschäftigen, sich hinzusetzen und diese Me- thoden anzuwenden. So wird der unwillige Geist zu- erst willig gemacht, der Wunsch zu meditieren wird in ihm erzeugt, und wenn dieser dann vorhanden ist, beginnt man mit der eigentlichen Meditation.

Was meditiert nun eigentlich? Es ist der Geist, der diese Aktivitäten durchführt. Die verschiedenen Ent- wicklungsstufen bei der Shamata-Meditation werden auch graphisch dargestellt, oft mit einem Elefanten, der einen bestimmten Weg geht. Viele von Ihnen haben diese Zeichnung sicher schon gesehen. Der Geist wird darauf durch den Elefanten versinnbild- licht.

Wenn in einem Beispiel etwas mit einem Objekt verglichen wird, müssen das Beispiel und das Objekt

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eine Beziehung zueinander haben. Inwiefern gleichen nun der Geist und der Elefant einander? Wenn ein wilder Elefant gefangen wird, muß er zuerst gezähmt und abgerichtet werden. Ist er einmal gezähmt und abgerichtet, führt er ganz willig jegliche Art von Ar- beiten aus, die ihm sein Anführer aufträgt.

Den Elefanten können Sie z.B. im Zirkus beob- achten, Sie können sehen, was er alles macht, obwohl ihm da sicher einiges nicht paßt; aber er macht es, weil es ihm sein Herr und Gebieter aufträgt. Wenn er z.B. auf einem Bein stehen muß, ist dies sicher nicht sehr bequem für den Elefanten, aber er macht es den- noch, wenn es ihm aufgetragen wird.

Es gibt auch Geschichten, die sich früher zugetra- gen haben, in denen erzählt wird, daß einem Elefan- ten befohlen wurde, eine glühende Eisenkugel zu schlucken, und er habe selbst das durchgeführt; daß ihm das nicht angenehm ist, kann man sehr leicht verstehen. Aber dies zeigt, bis zu welchem Grad ein abgerichteter Elefant den Befehlen gehorcht.

Das Abrichten eines wilden Elefanten entspricht sehr dem Abrichten unseres eigenen Geistes durch die Anwendung der Shamata-Meditation. Wenn der Ele- fant einmal abgerichtet ist, wenn der Geist einmal Shamata erreicht hat, dann macht alles der Geist selbst. Er beseitigt die Krankheiten des Körpers, er bewirkt das Glück des Körpers und des Geistes, er bewirkt das Erreichen weiterer geistiger Fähigkeiten und Entwicklungen.

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Von der negativen Seite her entspricht der Geist ebenfalls wieder sehr dem Elefanten. Ein wilder, un- gezähmter Elefant kann leicht gereizt werden; wenn dies geschieht, wird er wütend, und in seiner Wut kann er sehr große Zerstörung anrichten. Er tötet Menschen, er rennt sogar Häuser ein, wenn sie nicht aus Beton gebaut sind wie hier, zertrampelt Ernten und ist, kurz gesagt, ein äußerst bösartiges und zerstö- rerisches Tier.

Ähnlich ist der ungezähmte Geist äußerst gefähr- lich. Wenn er so wild ist wie jetzt und unter den Ein- fluß der Verblendungen kommt, dann führt das da- zu, daß er alles tut, was er nicht tun sollte; daß man mit seiner Rede alles tut, was nicht getan werden soll- te, und daß man mit seinem Körper alles tut, was man nicht tun sollte. Und eine zukünftige Existenz in elendem Dasein, in großen Qualen, die wir sehr fürchten, wird von nichts anderem produziert, als von einem solchen ungezähmten, wilden Geist, der großes Leid in der Zukunft verursachen kann und auch in diesem Leben nichts anderes als endlose Schwierigkeiten hervorbringt.

Wenn Sie noch nie eine solche Zeichnung von der Entwicklung der Shamata-Meditation gesehen haben, werden Sie vielleicht in der Zukunft einmal darauf stoßen. Dann ist es gut zu wissen, was sie bedeutet. Sie werden sehen, daß der darauf dargestellte Elefant ein Sinnbild des Geistes ist; daß es also der eigene Geist ist, der gezähmt werden muß, und daß er diese und jene Ziele erreichen kann, wenn das getan wird;

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und wenn Sie dabei den Wunsch entwickeln, um je- den Preis Ihren eigenen Geist zu zähmen, wenn Ih- nen derartige Gedanken in den Sinn kommen, dann wird selbst das Betrachten eines solchen Bildes zur Meditation.

Das war eine Beschreibung der Hindernisse vor der Meditation. Wenn man sich nun zur Meditation hinsetzt und sie durchführt, können wieder Schwie- rigkeiten auftreten, und zwar zwei Arten. Die eine ist eine Unruhe, eine ständige Aufregung und Ablen- kung des Geistes; die andere ist eine Unklarheit des Geistes, man hat Mühe zu meditieren, der Geist scheint keine Kraft und Schärfe zu haben.

Auf der Darstellung der Shamata-Meditation kön- nen Sie wahrscheinlich einen Affen erkennen; er sym- bolisiert diese Aufregung, dieses Unruhigsein des Geistes. Außerdem ist der Elefant schwarz gemalt, was die Möglichkeit des Auftretens der Dumpfheit, der Unklarheit des Geistes bedeutet. An verschiede- nen Stellen ist auch Feuer gezeichnet; es soll deutlich machen, daß die Meditation Anstrengung und starke Bemühung erfordert.

Auf diesem Bild sind auch Objekte der fünf Sinne dargestellt; Objekte des Gesichtssinns, also Form, des Gehörsinns, wahrscheinlich eine Art Gitarre, Objekte des Geruchssinns, Dinge, die den Geschmacksinn an- sprechen, und fühlbare Objekte. Diese Darstellungen wollen deutlich machen, daß während der Medita- tion ein Wandern der Gedanken zu Sinnesobjekten möglich ist und daß man sich nicht davon ablenken

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lassen soll; daß man auf jeden Fall versuchen sollte, eine Anhaftung, ein Verlangen nach diesen Sinnes- objekten nicht aufkommen zu lassen.

Ich möchte Sie nicht weiter ermüden, indem ich Ihnen ein Bild erkläre, das Sie im Moment nicht se- hen, sondern ich wollte kurz erwähnen, was diese Darstellungen bedeuten, damit es Ihnen bewußt ist, wenn Ihnen später einmal ein solches Bild unter- kommt.

Beginnt man nun mit der Meditation, muß man sich als erstes das Objekt der Meditation vorstellen, das heißt, seinen Geist auf das Objekt richten. Wenn Sie als Objekt Ihrer Meditation z.B. die Erscheinung einer goldenen Figur gewählt haben, dann wird diese in Ihrer Vorstellung leicht gelblich oder leicht goldig erscheinen; oder wenn Sie eine weiße Gestalt gewählt haben, wird sie vielleicht leicht fahl oder weißlich vi- sualisiert werden können.

Viele beklagen sich, sie könnten sich das Objekt nicht klar und deutlich vorstellen. Das ist üblich am Anfang; es ist nicht möglich, daß einem von allem Anfang an das Objekt so klar und brillant erscheint, wie das dann später in der Meditation erreicht wird. Wenn man sich gleich zu Beginn vor allem darauf konzentriert, das Objekt klar und deutlich zu visuali- sieren, kann das den Geist bedrücken, ihn durchein- anderbringen, und das ist nicht das Ziel der konzen- trativen Meditation. Das eigentliche Ziel ist, den Geist auf das Objekt gerichtet zu halten; und eine

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solche Störung des Geistes durch zu starke Bemühun- gen bezüglich der Klarheit des Objektes bildet dann nur ein Hindernis für das Erreichen dieses Zieles.

So genügt es am Anfang, das Objekt in seinen gro- ben Umrissen im Sinn zu haben; das ist es, was not- wendig ist. Wenn man jedoch kein Objekt mehr hat, wenn man es verliert und nur noch eine unklare, trü- be Dumpfheit in der Vorstellung ist, dann genügt das nicht mehr, dann ist man nicht mehr in Meditation.

Am Anfang wird der Geist immer nur ganz kurze Augenblicke auf das Objekt gerichtet bleiben und sofort wieder abspringen, sofort wieder abgelenkt werden. Das macht nichts; man versucht einfach immer wieder, den Geist auf das Objekt der Medita- tion zu richten; und wenn er wieder abgelenkt ist, ihn wieder darauf zu richten.

Wenn im Sommer Pferde im Freien sind und viele Mücken in der Umgebung sind, dann versuchen manche Mücken immer wieder, sich auf ein Pferd zu setzen, um es zu stechen. Das Pferd wedelt mit sei- nem Schwanz und vertreibt die Mücke immer wie- der. So berührt die Mücke das Pferd immer nur eini- ge Augenblicke, fliegt dann weg und versucht von neuem, das Pferd zu stechen.

Unser Geist ist am Anfang in der Meditation ganz ähnlich: Er berührt das Objekt der Meditation immer nur ganz kurz und wird dann gleich wieder abge- lenkt. Aber man muß wie die Mücke immer wieder versuchen, ihn auf das Objekt zu richten.

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Der Meditierende hat dann am Anfang das Ge- fühl, daß jetzt bei der Meditation noch mehr stören- de Gedanken und Ideen auftreten, als das sonst ge- wöhnlich der Fall war. Aber das ist nicht richtig, die störenden Gedanken sind nicht zahlreicher gewor- den. Normalerweise sind unser Geist und die vielen Gedanken und Ideen ganz untrennbar miteinander verbunden, sie sind ständig vorhanden; man kann eigentlich gar nicht feststellen, ob der Geist abgelenkt ist oder nicht.

In dieser Meditation versucht man jetzt zum er- stenmal, seinen Geist ganz gezielt auf ein Objekt zu richten, und dadurch wird einem zum erstenmal bewußt, wie groß der Strom dieser störenden Gedan- ken ist. Man erkennt sie zum erstenmal, man faßt sie zum erstenmal als solche auf.

Wenn Sie z.B. jeden Morgen zu Stoßverkehrszei- ten durch die Stadt eilen und in dem Gedränge da- nach trachten, noch rechtzeitig in Ihr Büro zu kom- men, fällt Ihnen die Menge gar nicht besonders auf. Wenn Sie nun eines Tages zu Hause bleiben und am Morgen vom Fenster aus dieses Gerenne betrachten, dann wundern Sie sich, was da eigentlich alles los ist.

Zuerst bleibt der Geist immer nur ganz kurze Zeit auf das Objekt gerichtet. Durch die Bemühungen in der Shamata-Meditation wird diese Zeitspanne im- mer länger, die Fähigkeit des Geistes, auf das Objekt gerichtet zu bleiben, ständig weiter erhöht, bis sie zur Perfektion gebracht wird, und das ist dann das Ver- wirklichen der Shamata-Meditation.

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Das ist ähnlich, wie wenn man einen Samen setzt, ihn gießt und umhegt, er dann anfängt zu sprießen, sich die ersten grünen Stengel und Blätter zeigen und mit der Zeit die ganze Blume wächst und zum Blü- hen kommt. Diesen Vorgang werde ich am Nachmit- tag erklären.

Antworten auf Fragen

Das Swastika oder Hakenkreuz hat die Bedeutung der Festigkeit, der Stabilität. Deshalb war es in Tibet üblich, auf den Sitz des Meisters ähnlich wie hier sol- che Stoffe zu hängen, auf die Swastikas gezeichnet waren, was gewissermaßen als gutes Omen gedacht war, damit das Leben und die Aktivitäten des Mei- sters ungestört, fest und stabil bleiben.

Auch ist es bei denen, die sehr intensiv meditieren, üblich, unter ihrem Sitz entweder mit Kreide ein Swastika zu zeichnen oder eines aus Reis zu streuen; darauf legte man, die Spitzen nach innen, Kusha- Gras, das es vor allem in Indien gibt, und darauf Quecke, ein anderes Gras, das hier auch sehr häufig vorkommt. Und darauf legte man dann den Sitz und meditierte.

Das Swastika wurde unter den Sitz gezeichnet, damit das Leben und die Meditationen des Meditie- renden unumstößlich gelingen; das Kusha-Gras legte

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man unter den Sitz mit den Spitzen nach innen als gutes Omen, damit das Verständnis des Meditieren- den klar und deutlich sei; und die Quecke wurde als gutes Omen für ein langes Leben unter den Sitz ge- legt.

Die zentrale Figur, das Vajra, hat eigentlich genau die gleiche Bedeutung wie das Swastika; es symboli- siert immer eine Festigkeit, eine Untrennbarkeit oder Unumstößlichkeit.

Mantras können durchaus dazu verwendet wer- den, der konzentrativen Meditation zu helfen. Man- tras sind Worte, die von der entsprechenden Erschei- nung des Buddha, des erleuchteten Geistes gesegnet sind; und das Rezitieren eines solchen Mantras bringt dann einen besonderen Segen, der der konzentrativen Meditation ebenfalls zuträglich sein kann.

Auch können die Bedeutungen der spezifischen Mantras eine besondere positive Auswirkung haben. Jemand, der von tiefer Hingabe erfüllt ist zu einer Erscheinung des Buddha, die mit einem bestimmten Mantra verbunden ist, und der auch ein entsprechen- des reines Vertrauen auf das Mantra selbst hat, kann sich zuerst diese Erscheinung des Buddha vorstellen, diese dann um ihre Hilfe bei der konzentrativen Meditation bitten, darum bitten, daß keine Hinder- nisse auftreten, dann das Mantra rezitieren, sooft man kann, und nachher die eigentliche konzentrative Meditation beginnen. Das Mantra zu rezitieren und gleichzeitig Shamata-Meditation durchzuführen geht nicht.

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Das Wort, das ich für diese Erscheinung des Bud- dha verwendet habe, ist das Sanskrit-Wort Deva, was oft mit göttliches Wesen übersetzt wird. Als ich vor kurzem in Italien war, wunderte ich mich, daß die Leute, wenn von Devas die Rede war, immer etwas sehr Hohes verstanden, und wenn vom Menschen die Rede war, immer an etwas Niedrigeres dachten. Un- ter den Menschen gibt es viele verschiedene, die ganz unterschiedliche Stufen erlangt haben; und genauso gibt es unter den Devas oder den sogenannten göttli- chen Wesen ganz unterschiedliche. Die göttlichen Wesen müssen nicht immer alle gut sein und die menschlichen Wesen nicht immer alle schlecht oder nieder.

Unter den Menschen gibt es solche wie wir, deren Geist voller Verblendungen ist, die ständig in einem leidvollen Dasein umherirren; und es gibt unter den Menschen solche wie die Arhats und die Bodhisatt- vas, deren Entwicklung wesentlich höher ist, die von keinen solchen Leiden geplagt werden.

Unter den Bodhisattvas und Arhats gibt es sehr viele, die in der Form eines Menschen leben, die auch Menschen sind; und es gibt Wesen, wie z.B. Buddha Shakyamuni, der von sämtlichen Fehlern und sämtli- chen Leiden frei ist, der einen Zustand erreicht hat, der eine Vervollkommnung sämtlicher Eigenschaften darstellt, und es gibt kein anderes Wesen, das ihm irgendwie vergleichbar wäre; auch ein solches Wesen wie Buddha Shakyamuni ist als Mensch zu bezeich-

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nen. Also wird deutlich, daß ein Wesen, das ein Mensch ist, nicht immer nur als etwas Schlechteres oder Niedrigeres betrachtet werden kann.

Ebenso gibt es unter den Devas oder den göttli- chen Wesen wieder ganz unterschiedliche. So gibt es alle möglichen verschiedenen Arten von Lebewesen, und der erleuchtete Geist oder der Buddha erscheint in der Form, in der er einer spezifischen Art von We- sen von größtem Nutzen sein kann. Und analog, wie es unter den Menschen die Erscheinung des Buddha Shakyamuni gibt, gibt es unter den Devas die Er- scheinung sogenannter, wörtlich übersetzt, letztlicher Devas, das sind Erscheinungen des Buddha, des er- leuchteten Geistes selbst.

Dann gibt es unter den Devas samsarische Wesen, die an den Daseinskreislauf gebunden sind, die die Verblendungen nicht beseitigt haben, die Leid eben- falls nicht beseitigt haben, die auf Grund der heilsa- men Ursachen, die sie zu einem früheren Zeitpunkt angesammelt haben, ein sehr angenehmes Dasein er- fahren, und, sobald diese Ursachen aufgebraucht sind, wieder von diesem Dasein fallen werden, wieder irgendwelche anderen Arten der Existenz im Daseins- kreislauf nehmen werden.

Es gibt unter den Devas auch solche, die nicht unbedingt wieder in andere Bereiche fallen müssen. Diese Arten von Devas existieren in unterschiedli- chen Bereichen, die man Rupadatu und Arupadatu oder Bereich der Form und formlosen Bereich nennt.

Andere Devas, die im sogenannten Kamadatu exi- stieren, im Bereich der Begierde, sind samsarische

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Wesen, Wesen im Daseinskreislauf, die größeres Glück erfahren als Wesen, die in menschlichen Berei- chen existieren; sie werden aber ebenfalls, sobald die Ursache, die ihr Leben produziert hat, aufgebraucht ist, durch andere in ihnen noch vorhandene Ursa- chen wieder in irgendeinem Bereich des Daseinskreis- laufes weiterexistieren.

Um Dharma anzuwenden, ist es jedoch am be- sten, als Mensch zu leben. Denn als Mensch macht man viele schmerzliche Erfahrungen und hat dadurch Interesse am Dharma, an Methoden, diese Erfahrun- gen zu überwinden. Dadurch ist man sehr zugänglich für Dharma und hat auch die Motivation, es anzuhö- ren und auszuüben. Während die Devas, diese göttli- chen Wesen, im Moment wesentlich größeres Glück erfahren als der Mensch und dadurch ganz vom Dharma abgelenkt werden und keinerlei Interesse an einer Ausübung des Dharma zeigen, bis die Ursa- chen, die ihnen diese Existenz verschafft haben, ihr Ende finden und sich negative Eindrücke wieder manifestieren.

Das ist leicht zu verstehen. Denn das gleiche Phä- nomen zeigt sich auch unter den Menschen. Jeman- dem, dem es sehr gut geht, der alles mögliche macht und einen großen Spaß dabei zu haben scheint, ob- wohl es nicht viel gibt, woran man da Spaß haben könnte, der nichts anderes im Sinn hat, als herumzu- reisen und alles mögliche zu unternehmen, kommt ein Gedanke an Dharma oder Religion nur sehr mühsam oder kaum. Im Gegensatz dazu ist jemand, der entweder mit körperlichen Leiden zu kämpfen

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hat oder mit geistigen Schwierigkeiten zurechtkom- men muß, wesentlich offener für die Ausübung des Dharma.

Wenn man mit der Shamata-Meditation beginnt, ist der Geist oft nur ganz kurz auf das Objekt gerich- tet und dann wieder abgelenkt. Andererseits ist das Objekt am Anfang nicht sehr klar. Was ich erwähnte, ist, daß man sich am Anfang nicht darauf versteifen sollte, das Objekt klar zu visualisieren, da dadurch der eigentliche Sinn der Meditation, den Geist auf das Objekt gerichtet zu halten, gestört wird. Durch diese übermäßigen Anstrengungen, das Objekt klar zu sehen, wird der Geist leicht vom Objekt abge- bracht. Aber der eigentliche Zweck der Meditation ist, den Geist auf das Objekt zu richten und gerichtet zu halten. Wenn er nun gleich wieder abgelenkt ist, muß man ihn schon mit einiger Anstrengung wieder auf das Objekt zurückbringen. Man muß also die Anstrengung darauf verwenden, den Geist auf das Objekt zu richten; am Anfang aber nicht darauf, das Objekt klar zu visualisieren.

Wenn Sie z.B. ein kleines Kind haben, das immer irgendwohin wegläuft, wo es sich etwas zuleide tut, werden Sie, sobald Sie das Kind vor sich haben, nicht mit ihm schimpfen; denn wenn Sie dies tun, wird es keine Lust mehr haben, bei Ihnen zu bleiben. Wenn es bei Ihnen ist, werden Sie es sein lassen, und wenn es wieder davongelaufen ist, holen Sie es mit Gewalt zurück. Ähnlich ist es mit dem Geist; wenn er auf das

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Objekt gerichtet ist, sollte man sich nicht anstrengen, um es nun klar zu machen, weil der Geist sonst nicht mehr auf dem Objekt bleiben will. Wenn er aber weggegangen ist, holt man ihn mit Gewalt wieder zurück.

Die eigentliche Anstrengung besteht darin, den Geist auf das Objekt gerichtet zu halten. Wenn er weggegangen ist, muß man seine Anstrengung wieder darauf verwenden, ihn zurückzuholen.

Man macht vielleicht viele verschiedene Medita- tionen; bei diesen wird man auch unterschiedliche Objekte haben. Aber wenn man die konzentrative Meditation durchführen will, ist es besser, immer das gleiche Objekt zu nehmen. Am Anfang sollte man sich gut überlegen, was man als Objekt wählt, und dann ist es besser, dabeizubleiben.

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Heute morgen besprach ich die Shamata-Medita- tion, und erklärte, daß man sich bemühen muß, sei- nen Geist auf das Objekt zu richten, daß der Geist am Anfang nur einen Moment dortbleibt, dann wahrscheinlich schnell wieder abweicht, und daß man ihn dann mit Kraft wieder zurückholen muß.

Meistens wird in den Erklärungen über die Sha- mata-Meditation von zwei Hindernissen gesprochen, von Erregung und vom Sinken. Wird der Geist vom Objekt weggerissen oder abgelenkt, wird das allge- mein als Erregung bezeichnet; und eine Unklarheit, eine Kraftlosigkeit des Geistes wird allgemein Sinken genannt.

Man muß da jedoch unterscheiden; nicht jede Ablenkung ist Erregung. Wenn der Geist vom Medi- tationsobjekt durch ein Objekt der Anhaftung, der Begierde abgelenkt wird, dann ist das Erregung. Wird der Geist jedoch vom Meditationsobjekt in Richtung eines Objektes der Abneigung, der Sorgen, der Angst, des Ärgers abgelenkt, dann ist das nicht Erregung; es ist ebenfalls eine Ablenkung, aber sie wird nicht als Erregung bezeichnet.

Ist der Geist unklar und kraftlos, obwohl er auf das Objekt gerichtet bleibt, wird das im allgemeinen als Sinken bezeichnet. Aber auch hier muß unter-

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schieden werden. Nicht jede Trübheit und Unklar- heit des Geistes ist wirkliches Sinken, es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Wenn der Geist trüb wird, wenn sich der Körper schwer anfühlt, wenn man schläfrig ist und das Meditationsobjekt unklar und dumpf, dann ist das nicht Sinken, sondern gei- stige Dumpfheit.

Die Gefahr des Sinkens besteht nicht von allem Anfang an; erst wenn man in der Meditation relativ weit fortgeschritten ist und der Geist sehr stabil auf dem Objekt bleibt, kann das eigentliche Sinken auf- treten. Stellt sich, wenn wir anfangen zu meditieren, eine Dumpfheit des Geistes ein, dann ist das sicher nicht Sinken, sondern geistige Dumpfheit.

Übt man diese Meditation, dieses Shamata, aus und entwickelt man seinen Geist entsprechend den beschriebenen Methoden, dann werden neun Stufen durchlaufen, bis das eigentliche Shamata erreicht ist. Wie ich erwähnt habe, ist es ähnlich, wie wenn zuerst ein Same gesät wird, dieser langsam sprießt und sich im Laufe der Zeit zur vollen Blume entwickelt.

Das Sinken und die Erregung wie die andern Feh- ler, die bei der Meditation auftreten, bilden Hinder- nisse für die Meditation. Nun gibt es auch Faktoren des Geistes, die als Gegenmittel gegen diese Hinder- nisse angewendet werden müssen.

Einer dieser Geistesfaktoren ist die Erinnerungsfä- higkeit oder das im Gedächtnis Halten des Objektes. Diese Fähigkeit, sich an das Objekt zu erinnern, sich

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seiner bewußt zu bleiben, hilft, das Objekt nicht zu verlieren; während ein anderer Geistesfaktor, die Auf- merksamkeit, ständig beobachtet, ob der Geist noch auf das Objekt gerichtet ist oder nicht, wie ein Spion, der darüber wacht, daß die Meditation nicht durch Ablenkung oder andere Fehler gestört wird.

Wenn man meditiert und feststellt, daß man auch nach längerer Zeit keinerlei Beruhigung des Geistes, keine Fröhlichkeit und kein geistiges Glück dabei er- fährt, ist das ein deutliches Zeichen dafür, daß man in seiner Meditation einen Fehler macht. Denn führt man die Meditation richtig durch, stellt sich schon nach sehr geringen Fortschritten ein leicht erkennba- res geistiges Glück in der Meditation ein.

Am Anfang, wenn der Geist immer nur einige Augenblicke auf das Objekt gerichtet ist, muß man vor allem seine Fähigkeit des Erinnerns, des im Ge- dächtnis Haltens anwenden; das heißt, man ist sich des Objektes der Meditation bewußt,- man erinnert sich daran, man hält es im Gedächtnis, im Sinn; und wenn der Geist wieder abgelenkt ist, ruft man es sich wieder ins Gedächtnis. Diese Fähigkeit des Erin- nerns, diese Erinnerungsfähigkeit, ist am Anfang das Hauptwerkzeug bei der Meditation. Das ist die erste von diesen neun Stufen, die bei dieser Meditation durchlaufen werden.

Bemüht man sich dann weiter, kommt man zu dem Punkt, wo der Geist schon etwas länger als zuvor

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auf das Objekt gerichtet bleibt. Gelingt dies auch nur ein bißchen länger, dann bringt das schon um so viel mehr geistiges Glück für den Meditierenden. Der Grund dafür ist folgender: Der Geist ist schon etwas mehr an die heilsame Seite gewöhnt, die störenden Gedanken sind schon etwas schwächer geworden; und je schwächer das Auftreten der störenden Gedan- ken ist, um so größer ist das Glücksgefühl des Medi- tierenden.

Auf einer Bergspitze wird eine Fahne im starken Wind sehr heftig flattern, je schwächer aber der Wind wird, um so schlaffer wird sie herunterhängen. Ähn- lich ist es mit der Meditation. Je schwächer der Sturm der störenden Gedanken und Vorstellungen ist, um so größer ist das Empfinden von Ruhe und Glück im Geist des Meditierenden.

Wenn der Geist schon etwas länger auf das Objekt gerichtet bleiben kann, ist man auf der zweiten Stufe angekommen. Obwohl die störenden Vorstellungen und Gedanken inzwischen etwas schwächer gewor- den sind im Vergleich zum Anfang der Meditation, sind sie immer noch stark genug, um die Meditation ganz offensichtlich zu stören. Auch jetzt muß man sich noch weiter anstrengen und den Geist, sobald er abgelenkt ist, immer wieder auf das Objekt richten, es sich im Bewußtsein, im Gedächtnis halten, sich daran erinnern.

Durch die fortgesetzten Anstrengungen kommt man zu dem Punkt, wo manchmal die störenden Gedanken und Vorstellungen ganz abwesend zu sein

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scheinen. Plötzlich treten sie wieder auf, nach einiger Zeit der Meditation verschwinden sie jedoch wieder ganz.

Wenn z.B. jemand Schwerarbeit durchführt, wird er eine Zeitlang sehr intensiv arbeiten, sich dann aus- ruhen, um dann wieder intensiv zu arbeiten, und dann wird er sich wieder ausruhen.

Ähnlich ist es auf dieser Stufe in der Meditation; die störenden Gedanken und Vorstellungen brechen immer wieder durch, treten deutlich auf und ver- schwinden dann wieder ganz. Sie können also auch zu diesem Zeitpunkt noch die Meditation unterbre- chen. Aber da die Fähigkeit der Erinnerung des Me- ditierenden, die Fähigkeit, sich des Objektes bewußt zu sein, inzwischen schon sehr stark geworden ist, erkennt er die Situation sofort und kann seinen Geist gleich wieder zum Objekt zurückbringen. Dann kann er relativ lange seinen Geist auf das Objekt gerichtet halten, bis wieder solche relativ starken Vorstellungen und Gedanken auftreten, die den Geist vom Objekt wegreißen. Aber wiederum kann er sofort reagieren und den Geist zurückbringen. Das ist die dritte Stufe in der Entwicklung dieser Meditation, und das Glücksgefühl im Meditierenden ist im Vergleich zu dem auf der zweiten Stufe wesentlich stärker.

Da dieses Glücksgefühl auf der dritten Stufe schon intensiv und stark ist, hat der Meditierende kein gro- ßes Verlangen nach äußeren Aktivitäten und führt sie mehr aus Notwenigkeit durch; es besteht in ihm ein

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innerer Drang, seine Meditation fortzusetzen und weiterzuentwickeln.

Um das mit einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn sich jemand in Glücksspiele vernarrt hat, kann es so weit kommen, daß er so versessen auf das Spie- len ist, daß er nicht einmal zur Toilette gehen will, selbst wenn das Wasser schon sehr drückt; er wird noch relativ lange beim Spiel bleiben und erst gehen, wenn es wirklich nicht mehr anders möglich ist, und dann wird er schnell, schnell hinausrennen, um sofort zurückzukommen und mit dem Spiel weiterzuma- chen. Ähnlich ist der Drang des Meditierenden auf der dritten Stufe, bei seiner Meditation zu bleiben und mit dieser weiterzufahren.

Auch nach der dritten Stufe muß sich der Medi- tierende noch weiter anstrengen, immer mit dem gleichen Objekt. Er darf es nicht wechseln, wenn er wirklich das Ziel dieser Meditation erreichen will.

Durch weitere Bemühungen wird der Geist noch mehr gefestigt, bis er zur vierten Stufe kommt. Auch auf dieser gibt es noch störende Gedanken und Vor- stellungen, aber sie sind nur noch von sehr geringer Kraft. Auf der dritten Stufe war es den störenden Gedanken noch möglich, den Geist vom Objekt ab- zubringen. Auf der vierten Stufe nun können die stö- renden Gedanken und Vorstellungen, die relativ schwach sind, den Geist nicht mehr vom Objekt wegreißen, aber sie sind noch im Untergrund und können die Meditation beeinflussen.

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Einige kleine Fische, die in einem kleinen Teich umherschwimmen, können die Oberfläche nicht in Bewegung setzen, das Wasser nicht aufrühren. Ana- log können auf der vierten Stufe diese schwachen stö- renden Gedanken den Geist nicht mehr vom Objekt trennen. Wiederum ist auf dieser vierten Stufe das Glücksempfinden des Meditierenden unvergleichlich größer als auf der dritten Stufe.

Durch weitere Bemühungen werden dann selbst diese schwachen störenden Gedanken zum Ver- schwinden gebracht. Auf der fünften Stufe ist die Fähigkeit des Haltens des Objektes, die Erinnerungs- fähigkeit des Meditierenden so ausgeprägt, daß sie die störenden Gedanken vollständig überstrahlt; im Ge- gensatz zur ersten Stufe, wo die Erinnerungsfähigkeit so schwach war, daß die Meditation einen groben Kampf zwischen den störenden Gedanken und dieser Erinnerungsfähigkeit darstellte.

Da auf dieser fünften Stufe der Geist ganz unabge- lenkt auf das Objekt gerichtet bleibt und es keine stö- renden Gedanken mehr gibt, die den Geist beeinflus- sen, ist das Glücksgefühl außergewöhnlich, nicht ver- gleichbar dem auf der vierten Stufe.

Erst auf dieser fünften Stufe fängt die Gefahr des Sinkens an. Ich möchte das mit einem Beispiel ver- deutlichen: Wenn zwei Leute in einen Kampf geraten und miteinander ringen und schließlich der eine den andern besiegt hat, dann hat er zwar den Kampf ge- wonnen, aber er ist davon erschöpft und möchte sich

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ausruhen, und es besteht die Gefahr, daß er ein- schläft.

Analog hat der Meditierende von der ersten bis zum Erreichen der fünften Stufe einen großen Kampf mit den störenden Gedanken und Vorstellungen aus- gefochten. Jetzt auf der fünften Stufe hat er den Kampf gewonnen, die störenden Gedanken sind be- siegt, der Geist bleibt punktförmig auf das Objekt ge- richtet, und der Meditierende muß sich nicht mehr sehr anstrengen, um seine Erinnerungsfähigkeit dazu zu verwenden, den Geist auf das Objekt gerichtet zu halten. Dadurch entsteht eine gewisse Ruhe, die ähn- lich wie beim Einschlafen ein Absinken mit sich bringt. Dieses auf der fünften Stufe auftretende Sin- ken entspricht unserem Einschlafen.

Das Sinken bewirkt, daß der Geist, der nun auf der fünften Stufe unabgelenkt auf das Objekt gerich- tet ist, an Kraft und Stärke verliert. Das ist ähnlich, wie wenn man einen Ballon aufgeblasen hat und die- ser dann ein kleines Loch bekommt, durch das die Luft langsam entweicht, so daß der Ballon immer kleiner und kleiner wird. Ähnlich schwindet durch die Kraft des Sinkens auf der fünften Stufe die Kraft des Geistes.

Eigentlich ist das Sinken ein Hindernis für das wirkliche Gelingen der Meditation, weil es dem Geist seine Kraft nimmt. Aber viele Anwender täuschen sich, wenn sie auf dieser Stufe angekommen sind und das Sinken auftritt; sie meinen, sie hätten ihr Ziel, Shamata, schon erreicht, da sie einerseits ein großes Glück empfinden und andererseits der Geist unabge-

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lenkt auf das Objekt gerichtet bleibt. Dann liegt es ganz am Anwender selbst, nachzudenken und zu prü- fen, ob die Kraft seines Geistes nachläßt, und die ent- sprechenden Gegenmittel anzuwenden.

Das Gegenmittel ist die Aufmerksamkeit, die be- obachtet, was in der Meditation tatsächlich mit dem Geist geschieht, ob er an Kraft verliert oder nicht; verliert er an Kraft, muß der Meditierende die Erin- nerungsfähigkeit, das sich des Objektes Bewußtwerden, wieder verwenden, um dem Geist seine Schärfe, seine Kraft zurückzugeben. Durch dieses Anwenden der Erinnerungsfähigkeit wird der Geist wieder etwas schärfer als zuvor. Sobald er wieder klar und stark geworden ist, muß die Benützung der Erinnerungs- fähigkeit zur Seite gelegt werden, weil sonst die Ge- fahr besteht, den Geist zu sehr zu erregen, so daß wie- der schwache störende Gedanken auftreten können.

An diesem Punkt in der Meditation muß der Meditierende sehr sorgfältig beobachten, was er zu tun hat. Wenn er feststellt, daß der Geist an Kraft verliert, muß er die Erinnerungsfähigkeit mehr ein- setzen, um den Geist wieder scharf und stark zu ma- chen; wenn er feststellt, daß ein übermäßiges Einset- zen dieser Erinnerungsfähigkeit im Geist wieder stö- rende Gedanken erzeugt, muß er davon ablassen. So muß der Anwender ständig danach trachten, daß sein Geist nicht auf die eine oder auf die andere Seite fällt, indem er die zwei Fähigkeiten, die Aufmerksamkeit und die Erinnerungsfähigkeit in richtigem Maß ein- setzt.

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Auf dieser fünften Stufe verursacht das Auftreten des Sinkens, daß das Objekt der Meditation dem Meditierenden nicht klar erscheint, daß es an Brillanz verliert. Durch weitere Bemühungen, durch maßvol- les Einsetzen von Aufmerksamkeit und Erinnerungs- fähigkeit, wie eben beschrieben, wird der Geist zu einem Punkt gebracht, wo er einerseits fest auf das Objekt gerichtet ist und großes Glück empfindet und wo andererseits das Objekt der Meditation auch sehr klar und deutlich, sehr prägnant erscheint. Damit ist die sechste Stufe erreicht.

Das Empfinden der Ruhe und des Glücks im Geist des Meditierenden ist unvergleichbar dem der fünften Stufe. Aber nicht nur der Geist empfindet ein außerordentliches Gefühl der Ruhe und des Glücks, sondern auch der Körper ist von einem Wohlbefin- den durchflossen; auf dieser Stufe wird der Körper zum Teil schon durch die Konzentration ernährt und gesund erhalten.

Mit dem Erreichen der sechsten Stufe wurde der grobe Teil des Fehlers des Sinkens beseitigt; noch ist der subtilere Fehler des Sinkens vorhanden, und auch der kann die Meditation stören, wenn der Anwender nicht aufmerksam ist.

Wodurch wird nun das subtile Sinken verursacht? Auf dieser Stufe ist die Konzentration des Anwenders ungestört, sein Geist bleibt auf das Objekt gerichtet, er empfindet ein Wohlbehagen, und das Objekt er- scheint ihm klar. Tritt nun dieses subtile Sinken auf,

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dann verursacht das, daß der Geist an Schärfe, an In- tensität verliert.

Wenn man z.B. ein Bierglas in die Hand nimmt, verwendet man eine gewisse Kraft des Zupackens, um das Glas festzuhalten. Dem Halten des Glases in der Hand entspricht die Klarheit des Objektes an diesem Punkt der Meditation, und der Festigkeit des Zugrei- fens, des Anpackens, die Schärfe des Geistes.

Bei dieser Gefahr des subtilen Sinkens auf der sechsten Stufe muß der Anwender wieder aufmerk- sam sein und feststellen, ob sein Geist an Schärfe, an Zugriffsfestigkeit verliert, und wenn das der Fall ist, muß er wieder die Erinnerungsfähigkeit einsetzen, um die Schärfe des Geistes zu erhöhen; ist das er- reicht, muß er wieder lockerlassen und so seine Be- mühungen fortsetzen.

Wenn dann der Geist unabgelenkt auf dem Ob- jekt bleibt, die Fehler des subtilen und des groben Sinkens überwunden sind, hat der Anwender die siebte Stufe erreicht.

Das Empfinden des Glücks und der Ruhe ist wie- der um ein Vielfaches gesteigert gegenüber dem auf der vorhergehenden Stufe. Dieses Glücksgefühl zu beschreiben ist unmöglich, es ist lediglich der Emp- findung des Meditierenden zugänglich.

Wie ich schon erwähnt habe, liegt der Grund, weshalb wir uns nicht wohl fühlen, weshalb wir trau- rig sind, weshalb wir Angst haben usw. darin, daß die störenden Faktoren, die störenden Gedanken und Vorstellungen in uns sehr stark sind. Werden diese

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beseitigt, wie das im Prozeß dieser Meditation getan wird, bleibt dem Geist nichts anderes übrig, als sich außergewöhnlich wohl zu fühlen.

Wenn dann der Anwender durch weitere Bemü- hungen zu einem Punkt kommt, wo er lediglich am Anfang der Meditation einige Anstrengungen auf- bringen muß, um den Geist auf das Objekt zu rich- ten, aber sobald der Geist auf das Objekt gerichtet ist, die Faktoren der Erinnerung und der Aufmerksam- keit nicht mehr benützen muß, hat er die achte Stufe erreicht. Auf dieser Stufe kann der Anwender dann schon über sehr, sehr lange Zeit in Meditation ver- harren.

Wenn er durch weitere Anstrengungen und Be- mühungen dann zu einem Punkt kommt, wo er le- diglich dadurch, daß er sich an das Meditationsobjekt erinnert, in diese Konzentration versinkt, hat er die neunte Stufe erreicht. Seinen Geist auf das Objekt zu richten, erfordert dann keinerlei Anstrengung mehr, und der Anwender kann in dieser Konzentration ver- harren, solange er will, z.B. eine ganze Woche unun- terbrochen Tag und Nacht.

Durch die Kraft dieser Konzentration, dieses Sa- madhi, werden die Sinneswahrnehmungen absorbiert und zurückgezogen, und äußere Erscheinungen, Lau- te und Bilder oder was immer können den Meditie- renden nicht mehr erreichen.

Auf dieser neunten Stufe ist es sehr leicht möglich, daß der Meditierende vollständig davon überzeugt

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ist, er habe Shamata nun erreicht, oder daß er sogar der Meinung ist, er habe irgendwelche sehr hohen Erkenntnisse tantrischer Meditationen erlangt.

Durch weitere Anstrengungen in dieser Medita- tion kann der Anwender dann einen Punkt erreichen, wo das Empfinden der Ruhe und des Glücks des Körpers und des Geistes unaussprechlich ist, wie er es bisher noch nie erlebt hat, und zu diesem Zeitpunkt ist Shamata erreicht worden.

Es kann bei uns z.B. vorkommen, daß wir zwar den Wunsch haben, zu meditieren oder irgend etwas durchzuführen, aber daß in der Tiefe unseres Den- kens dennoch ein gewisses Unbehagen vorhanden ist, eine gewisse Störrigkeit oder Unbeweglichkeit. Das wird geistige Unbeweglichkeit genannt. Mit dem Er- reichen des Shamata wird nun diese Unbeweglichkeit des Geistes vollständig beseitigt, und es wird gesagt, man habe eine Flexibilität, eine vollständige Beweg- lichkeit erlangt.

Es ist ähnlich wie Wasser; man kann Wasser ohne Schwierigkeit überall, wo man will, hinleiten, es da- hin oder dorthin spritzen; und ähnlich hat der Geist dann eine vollständige Bewegungsfreiheit erlangt, er fühlt sich außerordentlich leicht und ungebunden.

Zuerst entsteht dieses Empfinden der Beweglich- keit im Geist; das führt dann auch zu einer physi- schen Empfindung, die den Körper so leicht und ungebunden anfühlen läßt wie einen Löwenzahnsa- men. Sie haben vielleicht gesehen, wie leicht ein

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solcher Löwenzahnsame ist; wenn man ihn nur ein bißchen anbläst, fliegt er in die Luft; ähnlich empfin- det der Meditierende nach dem Erreichen des Shamata eine Leichtigkeit des Körpers und des Geistes.

Überdies entwickelt sich dann im Körper des Meditierenden eine ganz besondere, nützliche subtile Energie, die ihm ein unaussprechliches Gefühl der Ruhe und des Glücks verursacht; und der Meditie- rende hat dann auch die Möglichkeit, seinen Geist ganz nach Wunsch und ohne jede Schwierigkeit auf beliebige heilsame Objekte zu richten.

Dieses außergewöhnliche physische Glück, das zu diesem Zeitpunkt entsteht, ist ein Gefühl des Tast- sinns. Es verursacht dann ein zusätzliches geistiges Glücksgefühl.

Die Kraft dieser Konzentration, dieses Shamata, ist so, daß der Mensch, der diesen Zustand erreicht hat, das Gefühl hat, seine Konzentration dringe in das Objekt, auf das sie gerichtet ist, ein und durch- dringe es vollständig.

Und der Körper fühlt sich so leicht an, daß die Person das Gefühl hat, sie könnte jederzeit fliegen. Zudem ist der Geist so klar, daß er das Gefühl hat, er könnte jedes einzelne Atom jedes beliebigen Objektes zählen. Wenn sich diese Eigenschaften eingestellt haben, hat der Anwender das eigentliche Shamata zur Vervollkommnung gebracht.

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Auf der Basis des Shamata können dann solche Eigenschaften wie erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, wunderbare Kräfte und viele andere ganz besondere Fähigkeiten entwickelr werden, wie ich sie erwähnt habe. Die Basis bildet das Shamata.

Diese Konzentration, dieses Shamata, kann man nun für verschiedene Dinge verwenden. Es gibt zwei grundlegende Möglichkeiten. Eine davon ist, daß man diesen scharfen, konzentrierten Geist, dieses Shamata, dazu verwendet, Shunyata oder die Leerheit zu erkennen oder Bodhicitta zu entwickeln; und man kann relativ einfach und problemlos den Weg der Bodhisattvas oder der Shravakas gehen und die Be- freiung oder die volle Erleuchtung erlangen.

Die andere Möglichkeit ist, daß man in dieser Konzentration verharrt, was zwar sehr angenehm und gut ist; das führt dann dazu, daß man nach diesem Leben als Deva oder als göttliches Wesen in einem der Bereiche des Rupadatu oder des Arupadatu wei- terexistiert, das heißt, entweder im Bereich der Form oder im formlosen Bereich. Das sind dann allerdings wieder Existenzen im Samsara, es sind Existenzen, die im Daseinskreislauf gebunden sind.

Es sprechen viele Leute davon, daß sie über Sha- mata meditieren. Was darunter verstanden wird, wel- cher Weg dabei zu gehen ist, das wurde eben erklärt, und es sollte auch deutlich geworden sein, daß Medi- tationen, bei denen man an nichts denkt, den Geist

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zu nichts verwendet, kaum ernsthaft als Shamata be- zeichnet werden können.

Da das wirkliche Shamata ein solcher außerge- wöhnlicher Geisteszustand ist, der von jeglichen stö- renden Gedanken frei ist und ohne jede Anstrengung auf beliebige Objekte gerichtet werden kann, ist es ein ganz besonders geeignetes Werkzeug, um den Geist sehr schnell und wirksam in jeder beliebigen Richtung weiterzuentwickeln.

Es ist wichtig, daß man weiß, was unter Shamata verstanden wird, wie es erreicht wird und was es tat- sächlich darstellt. Es selbst durchzuführen, selbst die- se Meditationen zu verwirklichen ist etwas schwierig. Dagegen können wir durchaus mit analytischen Me- ditationen sehr gute Resultate erzielen; und sein Le- ben mit Verwendung dieser Arten von Meditationen zu führen ist sehr empfehlenswert und heilsam.

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Daß Sie diese zwei Ferientage nicht nur für einen Ausflug verwendet haben, der ohnehin sehr schnell zu Ende gewesen wäre, sondern um sich mit Dharma zu beschäftigen, ist sicher kein Fehler Ihrerseits, son- dern als etwas sehr Positives zu werten, und Sie soll- ten sich darüber auch freuen.

Sie denken sich vielleicht, daß Sie an diesen zwei Tagen alles mögliche Neue erfahren haben, aber das ist nicht das einzige. Denn Sie hören aufmerksam Unterweisungen über Dharma zu; dadurch hinterläßt jedes Wort, dem Sie aufmerksam folgen, im Geist einen Eindruck, der die Fähigkeit hat, in der Zu- kunft, bei seiner Reifung, ein angenehmes Resultat hervorzurufen. Es ist ein doppelter Gewinn; denn Sie hören nicht nur zu, sondern wenn Sie dem Gesagten folgen, überlegen Sie es sich, Sie denken nach, und diese Gedanken sind wiederum heilsame geistige Ak- tivität. Deshalb ist es wirklich angebracht zu denken, ja, das habe ich richtig gemacht.

Seit dem letzten Mai wurden Vorträge gegeben und es bestand die Möglichkeit, Erläuterungen über Dharma zu erhalten, und ich hoffe, daß das auch in Zukunft in noch weiterem Ausmaß möglich sein wird.

Die eigentlichen Ursachen, die es ermöglichen, in einem solchen Rahmen zusammenzukommen, wur- den zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt einmal

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angesammelt. Ein Umstand dafür sind ebenfalls die Vorbereitungen der Veranstalter.

Wenn Sie einerseits die Erläuterungen, soweit Sie Ihnen nützlich sind, zu Ihrem eigenen Gebrauch anwenden, dann ist das sehr gut; wenn Sie darüber hinaus die Möglichkeit solcher Zusammenkünfte för- dern möchten, dann ist das ebenfalls eine sehr lobens- werte Bemühung.

Ich freue mich sehr, daß Sie so interessiert und aufmerksam zugehört haben, und Anfang Dezember werde ich wieder hierherkommen.