Organozinnverbindungen in verbrauchernahen
Produktenund Lebensmitteln
Artikel des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
Umweltmed Forsch Prax 5 (2) 67 – 77 (2000)
Organozinnverbindungen (OZV)
Hintergrund / Problematik
Studienlage zur Toxizität versch. OZV
Einsatz und Wirkung von OZV
Schlussfolgerung
Hintergrund
Pressemeldungen:
„Tributylzinn als Biozid in Radlerhosen“
„Dibutylzinn in Fußballtrikots“ Problematik von
Organozinnverbindungen seit langem bekannt
– Erste Studien bereits 1958
Hintergrund
Verwendung von OZV:
– Antifouling-Farben für Schiffsrümpfe: Hohe Konzentrationen in Hafen- und Werftgewässern, aber auch im Sediment und in Grundbausteinen von Ökosystemen
– Häufig: Stabilisatoren gegen Licht/Hitze und Katalysatoren in Kunststoffen und anderen Polymeren, Glasvergütung und -beschichtung
– Pflanzenschutz, Holzschutz (seit 90er Jahren nicht mehr in D), Materialschutz (Textilien, Leder, Kunststoffe, Klebstoffe, Dispersionsfarben etc.), Desinfektion
Problematik
Toxikologische Bewertungen problematisch, da unterschiedliche Wirkprofile der OZV
Exposition der Verbraucher schwer einzuschätzen, da Expositionsvielfalt sehr groß
Tri-n-butylzinnchlorid (TBTC)
Di-n-butyl(3-hydroxybutyl)zinnchlorid (T3OH)
Di-n-butyl(3-carboxypropyl)zinnchlorid (TCOOH)
Di-n-butyl(3-oxybutyl)zinnchlorid (T3CO)
Diphenylzinndichlorid (DPTC)
n-Butyl(3-carboxybutyl)zinnchlorid (DCOOH)n-Butylzinntrichlorid (MBTC)
Triphenylzinnchlorid (TPTC)
Diphenylzinndichlorid (DPTC) ...............
Tetrabutylzinn (TTBT)
Dioctylzinn (DOT)
Merci – die große Vielfalt
Toxische EffekteTBT
Oral: Akute neurale und renale Schäden
Ratten: Leberzellnekrosen, entzündl. Veränderungen
der Gallenwege, mikrozytäre Anämie, Abnahme peripherer Lymphozyten
Mehrmalige Applikation: Effekte auf Körpergewicht, Gallengänge, Leber, Nieren, hämatologisches System und versch. endokrine Organe
Toxische EffekteTBT
Deutl. Effekte auf Gewicht und Morphologie lymphatischer Organe (Thymusatrophie mit Abnahme kortikaler Thymozyten, Lymphozytenzahl, Serum-Immunglobulin-Spiegel und spezifischer inmmunologischer Funktionen
Signifikanter immunotoxischer Effekt!
Diverse Toxizitätsstudien
TBT
Penninks (1993): Kein Nachweis einer Akkumulation von TBT
Stridth et al. (1999): In vivo: Vielfache Effekte auf Zellebene,
genauer Grund für Zelltod ungeklärt
In vitro: TBT in geringen Konzentrationen weniger direkt zytotoxisch, aber Apoptose-induzierend!
Funahashi et al. (1980): Kurzzeit-Studien zeigten Rückgang des Thymus- und Milzgewichtes
Krajnc et al. (1984): Abnahme von Insulin-, TSH- und T4-, Zunahme von LH-
Serumspiegeln
Abnahme TSH-produzierender Zellen in Hypophyse
Zunahme der LH-produzierenden Zellen
Abflachung des Schilddrüsenepithels
Auch hier wieder immunotoxischer Effekt feststellbar
Diverse Toxizitätsstudien
TBT
Vos et al. (1984): Deutlich verzögerte
Überempfindlichkeitsreaktion gegenüber Ovalbumin und Tuberkulin
Geringere Resistenz gegenüber Trichinen und Listerien während Applikation mit TBTO über 6 Wochen
Diverse Toxizitätsstudien
TBT
Vos et al. (1990): Bei 50 ppm TBTO kein Effekt auf
Körpergewicht
Aber: Resistenz gegenüber Trichinen signifikant beeinträchtigt
Bei älteren Ratten Effekt geringer
Diverse Toxizitätsstudien
TBT
Von Webster et al. (1990): Komibinierte chronische Toxizitäts-/Kanzerogenitätsstudie mit
TBTO
Inzidenz benigner Hypophysentumore signifikant bei 0,5 und 50 ppm erhöht
Bei 50 ppm Induktion von Phäochromozytomen der Nebenniere und Adenomen der Nebenschilddrüse
Tumore der Nebennierenrinde erniedrigt
Niedrige, nicht-dosisbezogene Inzidenz an Pankreaskarzinomen
Problematisch: Hohe Spontaninzidenzen, Fehlen einer Dosis-Effekt-Beziehung → kein Nachweis eines gentoxischen Potenzials von TBTO
Diverse Toxizitätsstudien
DBT und andere Diorganozinn- und Monoorganozinnverbindungen
Akute orale Toxizität (LD 50) DBTC: 58 – 219 mg/kg KG
DBTO: 164 – 683 mg/kg KG
TBTO: 112 – 194 mg/kg KG
Eliminations-HWZ versch. Organe mehrere Tage
Diverse Toxizitätsstudien
DBT und andere Diorganozinn- und Monoorganozinnverbindungen
Kanzerogene Wirkung: DBTAcetat: Uterus-Neoplasien u. hepatozelluläre Adenome in
weibl. Mäusen sowie hepatzelluläre Adenome und Karzinome in männl. Mäusen
Aber: Versch. Unzulänglichkeiten in diesen Studien lassen keine sichere Bewertung zu. In vivo kann ein gentoxisches Potenzial nicht belegt werden.
Teratogene Wirkung kann nicht ausgeschlossen werden für DBT-Verb. (Lippenspalten, Ankyloglossie, Missbildungen des Schädels etc. wurden beobachtet)
Penninks et al. (1990): Thymusatrophie streng von der Länge der Alkylkette abhängig
Diverse Toxizitätsstudien
n-Octylzinnverbindungen Niedrige Dosen: keine erhöhte Tumorrate
Hohe Dosen: signifikant höhere Inzidenz an Thymus-Lymphomen
In vivo: Kein gentoxisches Potenzial, kein erhöhtes teratogenes Risiko
Diverse Toxizitätsstudien
Methylzinnverbindungen Niere empfindlichstes Zielorgan
Wirkungen auf Immunsystem erst bei hohen Dosen
N-Dodecylzinnverbindungen Bis zur höchsten Dosisrate keine Hinweise auf Schädigungen des
lymphatischen Systems
Monoorganozinnverbindungen Immuntoxizität spielt praktisch keine oder nur untergeordnete
Rolle
Reduziertes Thymusgewicht bei hohen Dosen, Effekte auf Nieren bereits bei niedrigen Dosen
OZVin
Pflanzenschutzmitteln
Fentin-acetat / Fentin-hyroxid (Triphenylzinn-Verbindungen) Effekt ähnlich wie bei TBT: Hypophysentumore
Kein gentoxisches Potenzial
Signifikant erhöhte Inzidenz an Leydig-Zelladenomen
Gewichtsabnahme von Thymus und Milz, Reduktion der Leukozytenzahl
OZVin
Pflanzenschutzmitteln Diphenylzinn (DPT): nur begrenzt Informationen
vorliegend
Fenbutatin-oxid
Höhere Dosen: alkal. Phosphatase i. S. erhöht, erhöhtes Hodengewicht, mikroskopisch jedoch o. B.
Keine kanzerogene Wirkung
Azocyclotin/Cyhexatin
Parenteraltoxisch (zunächst bei Elterntieren, in Laktationsphase auch bei Nachkommen)
Wurfgröße verringert, mehr Totgeburten, verzögerte Entwicklung
Kein Anhalt für immunotoxischen Effekt
OZV und hormonelle
Wirkungen
TBT in Antifouling-Lackierungen an Schiffsrümpfen Virilisierung → Sterilisierung weibl.
Vorderkiemenschnecken bereits bei 1 ng Sn/l → Verschwinden ganzer Populationen einzelner Spezies (Fioroni et al. 1991)
Hemmt Cytochrom-abhängige Aromatase (Umwandlung Androstendion bzw. Testosteron → Östrogen gehemmt)
OZV und hormonelle
Wirkungen Wirkung auf Säuger kann derzeit nicht beurteilt
werden, da in-vivo Untersuchungen an Säugern fehlen. Risiko für Virilisierung auch an Säugern kann nicht ausgeschlossen werden
Fungizid Fenarimol (strukturähnlich zu TPT): verminderte Fertilität aufgrund gestörten
Kopulationsverhaltens männl. Ratten. Bei Nachkommen noch stärkerer Effekt!
Verlängerte Tragedauer und vermehrt Geburtskomplikationen (Dystokie) sowie erhöhte Inzidenz an Totgeburten bei weibl. Ratten
OZV und hormonelle
Wirkungen
Im Rahmen des Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel gehört die Bestimmung der Aromatase-Aktivität (weder in vivo noch in vitro!) zum Umfang der in den OECD-Richtlinien geforderten Untersuchungen!
OZV und hormonelle
Wirkungen
Heidrich et al. (1999): Signifikante und dosisabhängige Hemmung der Cyt-P-450-Aromatase durch TBTC in humaner Placenta bzw. Gehirn
Notwendigkeit weiterer Studien (in vivo)
Nun wird es spannender...
OZV in Textilien und anderen Bedarfsgegenständen mit
Hautkontakt Biozide Ausrüstung von Textilien
3 Textilhilfsmittel, vermutlich TBT-Verb.
Materialschutz für Schwertextilien wie Abdeckplanen, Markisen, Zelte
Nun wird es spannender...
OZV in Textilien und anderen Bedarfsgegenständen mit
Hautkontakt Bekleidungstextilien
Polsterung von Radlerhosen: Entwarnung, da geringe Belastung ; 1. Exposition höchste Dosis, danach abnehmend (Untersuchung von Schweiß-Testlösungen)
„Plusminus“ fragt: Leben Dortmund-Fans gefährlich? TBT in Fantrikots von Borussia Dortmund (wenn auch niedrige Konzentrationen)
Nun wird es spannender...
OZV in Textilien und anderen Bedarfsgegenständen mit
Hautkontakt Intimhygieneartikel (ausländische
Veröffentlichungen) Binden, Slipeinlagen, Tampons, Windeln … geht das in die Hose?
Keine Angaben für deutschen Markt :o(
Ob analysierte Anteile mit Schleimhaut in Kontakt kamen, geht aus Daten nicht hervor... :o(
Niederländ. Studie: 69 Proben insgesamt, 8 positiv für DBT, 8 positiv für DOT, 2 positiv für TPT! (Gehalte zwischen 0,2 – 33 mg/kg.
Japanische Studie: Geschirr, Backpapier, Haushaltshandschuhe, Haushaltsschwämme, Zahnbürsten (Gehalt an TBT zwischen nicht nachweisbar – 230 mg/kg!)
Nun wird es unappetitlich...OZV in Lebensmitteln
MBT+DBT+TBT µg/kg Frischgewicht
– Danziger Bucht
• Flunder 316
• Hering 40
• Aal 188
– Ital. Küste
• Thunfisch 62 – 230
– Ölhafen von Genua
• Muscheln 2000 – 4000
Spaghetti Vongole in Genua ... buon appetito!
Fisch, ein gesundes Lebensmittel?
Verzehr von Fisch und im besonderen Maß von Muscheln kann einen bedeutsamen Anteil der Exposition des Verbrauchers ausmachen!
Bei Meerestieren aus Problemgewässern ist mit hohen Überschreitungen der TDI-Werte (tolerable daily intake) zu rechnen!
Fisch, ein gesundes Lebensmittel?
Aber: Gelegentlicher Verzehr selbst hoch kontaminierter Meerestiere gibt nach heutigem Kenntnisstand keinen Grund zur Besorgnis :o)
OZV in pflanzlichen Lebensmitteln
Höchstgrenzen in D für Fentin nur für Kartoffeln und Hopfen (des Deutschen liebste Grundnahrungsmittel, wen wundert's ...)
Nachweisbare Rückstände nur, wenn die Erzeugnisse direkt mitbehandelt werden
OZV in pflanzlichen Lebensmitteln
Aufnahmemengen (NEDI = National Estimated Daily Intakes) für Fentin, Fenbutatin-oxid bzw. Cyhexatin/Azocyclotin max. 65 % der geltenden ADI-Werte (acceptable daily intake).
Migration von OZV aus Kunststoffen
Bei Verwendung radioaktiv markierter DOT-Stabilisatoren wurden Migrationen in wässrigen Medien und in Fett festgestellt (Figge et al. 1979).
Durchschnittl. tägl. Aufnahme von aus Kunststoff herausgelösten DOT ca. 10 % des TDI-Wertes
Migration von OZV aus Kunststoffen
Nur geringe oder keine immunotoxische Potenz für aus Hart-PVC migrierende zinnorganische Verbindungen
Zusammenfassung
Stärkstes Augenmerk bei OZV liegt derzeit auf immunotoxischen Wirkungen
Zusammenfassung
Die Kettenlänge ist ein relevanter Faktor für die Immunotoxizität: OZV mit Alkylketten kürzer als 4 und länger als 8 sind deutlich geringer wirksam
Kombinationswirkungen können nicht ausgeschlossen werden
Schlussfolgerungen
Grunsätzlich kein Einsatz von TBT-Verbindungen in Bekleidung
Bedarfsgegenständen mit Hautkontakt: Kein Einsatz von TBT vonnöten
Biozidausrüstung von Textilien: Es stehen alternative Ersatzstoffe zur Verfügung. Verwendung sollte unterbunden werden
Schlussfolgerungen
1989 Verbot von OZV-Lackierungen bei Schiffen unter 25 m Länge (seither allerdings keine Abnahme der OZV-Belastung in Nord- und Ostsee)
Verzehr von Fisch und Muscheln Hauptbelastungsquelle für TBTO, daher deutliche Verringerung der Verwendung von Antifoulinganstrichen von Schiffsrümpfen wünschenswert!
Förderung von Human-Biomonitoring zur quantitativen Erfassung von Personen oder Bevölkerungsgruppen für validere Gesamteinschätzung der Exposition ggf. vorteilhaft. Erste Ergebnisse aus USA vorhanden.
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